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Inhalt
I. Im Ring des Bauerntums
1. Sieben Sprüche für ein neues Haus
2. Der abendliche Rundgang
3. Die Bäurin
4. Im Wochenbett
5. Die Suppenterrine
6. Samstags Abends
7. Der scheidende Bauer
8. Seine singenden Freunde
9. Heimaten
II. Im Ring der Natur
1. Vorfrühling
2. Hände
3. Vor einer Tanne
4. Sieben mal flammt auf das Tal
5. Ein Blatt
6. Meere
7. Das Wurzelgeflecht
8. Drei Quellen — drei Grünstreifen
9. Mein Garten
III. Im Ring der Frau
1. Die Türen an den Grenzen
2. Die Mutter
3. Die Dämmerstunde
4. Lampe oder Stern
5. Die Hausfrau
6. Ererbte und geschaffene Heimat
7. Haustürenschlüssel
8. Sag, was ist zu Hause
9. Des Küchleins und der Quelle Durchbruch
IV. Im Ring der Liebe
1. Den Müttern der gefallenen Jüngsten (gekürzte Form)
2. Den Müttern der jungen Gefallenen (ursprüngliche Form)
3. Wo ihre Söhne ruhn
a. in memoriam
5. Werbung
6. Ehe
7. Deine Stimme
8. Zwiesprache
9. Stufungen der Liebe
V. Im Ring des Menschenlebens
1. Stille
2. Knoten im Halm
3. Schalengleiche
4. Das Schicksal geht um
5. Leid
6.. Freude
7. Vier Gedichte von der Einsamkeit
8. Im Knettrog


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Aenne Gausebeck, Bonn


Bilder aus dem inneren Kreis

1944


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l. Im Ring des Bauerntums


Sieben Sprüche für das neue Haus

Jahrhunderte haben sie nur das Eigene gekannt.
Nun hat der Krieg es zerstört und verbrannt,
aber im Wald, dem uralten, lebendigen,
wuchsen schon die Eichen und die Fichten,
aus denen sie ein Neues fügen und richten.
Als es sich hob aus den Fachwerkmauern
rief der Bauer die Seinen zusammen unb sprach:
"Zum Zeichen, daß uns dieses möge überdauern,
wird in den Balken, unter dem die Schwalben flitzen,
mir der Zimmerman ein Spruchband schnitzen.
Von der eigenen Tür soll es sein
und Gottes Name muß mit herein.
Denke ein jeder sich eines aus!"
Nach wenig Tagen traten sie alle vor das Haus
auf den freien Plan
.und die Mutter fing an:

"Kannst du gehn durch die eigne Tür
Täglich lobe Gott dafür!"
Folgte gleich der Älteste ihr:
"Dein Name über der Tür
Wahre der Ehre Zier .
Eine Tochter tritt vor. Den Ring der Treue an der linken Hand
Liest sie klar und tönend ihres Spruches Band:
"Dir und mir die eigene Tür und den Gästen nach Gebühr
Christoph Diepenbrock Bertha Ossenbeck Eheleute 1944".


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Da stockt es. Ist einer nicht auf dem Posten?
Der zweite Sohn, "vermißt im Osten".
Es springt der Vater für ihn ein
Ihm glich er von allen am meisten,
herb, herrisch unb stolz.
"Kurz soll es sein, drum stehe auf seinem Holz:

           "Eigne Tür erkämpf ich mir".
Und wieder ein Mädchen, flächsern und zart:
            "Guter Gott, bewahre mir
            Glück und Schutz der eignen Tür".
Dann strafft der Jüngste den Kopf und wirft ihn in den Nacken;
Sonne liegt auf seinem hellen Schopf und glüht aus den roten Backen
und er sagt:
        Ich habe Mut und eine arbeitsfrohe Hand,
        Damit baue ich mir eine Tür in Gottes weitem Land"
Unter dem alten Birnbaum steht hochgewachsen die Sippe.
Scheint es nicht genug?
Doch des Vaters Vater hat noch seinen Spruch:
Lasset uns darüber schreiben,"
spricht der Ahne:
— und dabei soll es bleiben —
            "Ich ziehe fort aus dieser Tür,
            wenn ich Gottes Anruf spür".


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Der abendliche Rundgang

Ein rechter Bauer geht nicht schlafen
ohne den letzten Rundgang durch Hof und Stall.
Eine rechte Bäuerin geht nicht schlafen,
ehe sie nicht überall
sichre Ordnung weiß im Haus.
—————————

           Hände, Augen und Stimme
tragen sie einmal zu allem,
was lebendig in ihrem Bereich.
           Die am Tage geballt um den Pflugsterz
oder den Hengst gezügelt mit hartem Griff
diese Fäuste,
sie krauen nun spielrisch die Kruppen,
klatschen sacht der erwartenden Stute
die Flanke,
unb wohlig kuscheln sich Dackel
in ihre wärmende Rundung.
           Die Augen aber, die über der Arbeit
mit scharfem Blick prüften,
wer das Futter verstreut,
die Egge im Regen vergaß,
sorglich blicken sie jetzt nach dem Wohlgehn.
           Und die Stimme, die befehlend
laut schallte über den Hofplatz,
tadelnd auch, wo es sein muß,
schmeichelnd ruft sie im Vorbeigehn
die Pferde noch leise bei Namen
unb den wedelnden Wächter im Zwinger.
           So tragen sie gemeinsam vor der Nacht
Hände, Augen unb stimme noch einmal
durch den lebenden Bereich,
denn Gedeihen brauchet dies alles,
und gedeihlicher wirb bann sein Schlaf sein. — —
           Im Sommer gehen sie bisweilen noch
bis in den Garten.
Wie Sachte legen die Blumen die Blätter zusammen!
Wie still stehen die Bäume!
Wie leise flügelt die Eule!
Wie weiß unb weit spannt sich die Milchstraße über ihnen!
Es duftet wohl die Linde und später Reseda unb Phlox.
Der Bauer zieht ihren Ruch auf,
aber weniger um der Süßigkeit willen,
als um zu wissen, woher ihm der Wind kommt


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und ob er morgen bei Gut-Wetter
früh ausziehen kann ins Feld.
           Wie soll er bei aller Arbeit alles Schöne sehen?
Auch Zärtlichkeiten wurden selten genug zwischen ihnen.
Ist der Werkeltag zu rauh?
Wuchs eine Kruste darüber?
Nur bei dem abendlichen Rundgang
Kommt es manchmal,
daß sie einander wieder bei den Händen halten,
oder daß er unter dem Einfahrtstor
den Arm um sie legt.
Nicht, weil es dunkel
und Knecht und Kinder schon schlafen,
nein, weil es sie plötzlich mit Macht überkommt:
Dies da ist Ehe!
Dieses ruhige Nebeneinandergehen,
Dieses feste Zusammenstehen,
Sein Tagewerk gemeinsam tun,
Im Zuverlaß des Andern ruhn.
           Dann stehen sie schweigend noch ein Weilchen still
auf der Tenne zwischen den Tieren
und horchen den Stimmen der Ruhe.
Klirrt eine Kette? — aber sie ist fest geheftet;
schlägt noch ein Huf? — aber hinter dem Riegel;
im Schwalbennest zirrt's einmal auf,
sonst Schlafatmen ringsum.
O, aller Ordnung Bedachtsamkeit
aller Sorgen Gemeinsamkeit
aller Huten Hutsamkeit
aller Liebe Innigkeit.


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Die Bäurin

Immer, wenn die Bäurin durch das Ihre geht,
schreitet sie durch neues Leben hin,
das unerschöpflich wächst, wohin sie sich auch wendet.
Vom Wind gesamt in wilder Wirrnis,
in Regelfurchen selbst gesät, schwillt es ihr unterm Schuh.
Durch die Gezeiten zieht's in starker Strömung;
denn alle Frühjahr wandern Vogelscharen, Monde schon,
die Brut an ihrem Dach, in ihrem Weinstock aufzuziehn;
und alle Sommer brausen Bienen hochzeitlich schwärmend aus;
und jeden Herbst am neu entfachten Feuer schrillen neue Heimchen,
und jeden Winter lang weiß sie vom Lebensanstieg in dem Wildgetier,
fühlt unterm weißen Laken sie die Saaten schwellen,
die plötzlich millionenhäuptig heben sich aus Eis und Schnee,
im ersten Märzenschein,
so Gras wie Blume, Korn wie Klee.
Es drängt und quillt und will die Wände ihres Hauses weiten;
da schmiegt es schnurrend sich an ihren Fuß,
stößt wedelnd an ihr Knie,
spürt schnobernd in der Hände Rundung
und sucht den warmen Quelltrunk aus zwei milden Brünnlein.

           O süße Heimlichkeit voll tiefem Zugehör!
O Strom aus tausend Quellen, die alle vor ihr, um sie münden,
mehr noch: durch sie hindurch ihr Flußbett graben!

Denn horche: ein jedes junge Leben
bringt aus dem Schöpfungsstimmenschwalle seine Sprache mit,
ob säuseln, wispern, rauschen; ob janken, fiepen, ungeformtes Lallen,
doch — o Geheimnis — sie versteht sie alle.

Und siehe: ein jedes junge Leben
bringt aus der Schöpfung Aderwerk den eignen Pulsschlag mit;
doch — tieferes Geheimnis — seit in ihrem Leib ein zweites Pulsen ging,
weitz alle sie mit ihrem schlagen.

und fühl' es: ein jedes junge Leben,
das aus der Schöpfung fällt in die Vereinzelung,
will Hege, Wärme. Drum wächst das Kraut in ihre Wartung,
das flaumbepelzte Tier ihr in die Streichelhand
und leise rührt das Kind sie unterm Herzen an.

           O Unergründlichkeit!
Urimmer drängt all neues Laben aus der Mütter Schoße fort u. dennoch immer
bettet sich all neues Leben in der Mütter spendend Lieben wiederum zurück,


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Drum, fragt die Bäurin einmal einer,
wie sie die Lasten alle trägt in ihrer harten Arbeit hartem Sein:
den müden Bückerücken überm Feld;
der Sorgen dumpfen Gang;
vom unaufhörlichen Geschaff die Schwielenschwere,
da schweigt sie nur und blickt dem Glanze nach,
der allem jungen Leben anhaftet aus dem Feuerstrom des All:
die Mondenhelle eines Keimlings in der schwarzen Krume,
der Knospen harziggoldnen Überzug,
das Glänzefell der Fohlen,
und erst die Augen alle von Blüte, Tier und Kind,
aus derem wachen Blick ihr eine Erde und ein Himmel scheinen;

da schweigt sie nur und siehet Licht um Licht,
das jedes Neugewordne im Funkenflug mitreißet aus dem Feuerstrom des All
und in sich trägt vom ersten Blitzen des Begreifens
bis zu dem herrlich großen Scheinen voll gelebter Leben
in der Sippenglieder Folge;

da schweigt sie nur und schauet in die Fernen vor sich,
hält hütend eine Hand auf jenen neuen Pochepuls der Zukunft in dem

fühlt sich tief drin im Kreis
und lächelt — still und stark.
eignen Schoß,


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Im Wochenbett

Was ist Stille für ein weites Tor,
durch das die Dinge ziehn
und sich in ihr enträtseln.
— —— — ——

Sieben Tage liege ich nun viel allein.
Sieben Tage horche ich schon ins Haus hinein,
ob alle Arbeit auch zu rechten geht.
Wie filtert sie durch meine Stille!
Wie füllt ihr Echo meine Kammer an!
Wähnt ich bislang,
es sei die Hausfrau und der Bauer Selbst,
die wechselnd regeln Schlaf und Schaffen
aus Ordnungssinn, weiß ich doch nun
(und kann es nie mehr überhören),
es ist Natur in ihrem großen Gang,
die unsrer Arbeit Anfang setzt und Ende
in einem wundersamen Regelschritt,
der stet wie Atem geht.
Horcht nur und seht!

Rührt früh das Vieh sich mit gefülltem Euter,
schon klirrt der Eimer
unb es schäumt die Milch im Siebe;
und wenn die Schwalbe ihre Schwinge
abhebt vom Balkennest,
fliegt flugs das Tennentor weit auf
und es entströmen ihm die Knechte
mit bem Gerät der Arbeit.
Vor ihnen aus den Aeckern steigen Lerchen flirrend;
breit hinter ihnen fallen Halme sirrend
bis heiß der Mittag stille sieht.
Es will die Mahd den Schnitter;
der müde Mäher den gekühlten Krug
und Rast im Schattenrand.
Doch immer weiter runden sich die Säcke mit den Früchten,
unb immer höher schichten sich die Garben
unb immer vollre Wagen rollen draußen durch das Tor,
wenn sich das steile Licht zu Schatten längt.
Doch eh' sie noch entladen ganz,
dampft drinnen duftend Süße Milch
in voller Schüssel.
Es warten Mahl und Tisch unb Bank und Rast,
indessen waldwärts Rehe aus zur Aesung treten.
O welcher Kräfte gleichgestimmter Wechselgang!


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Spürst Du, wie's drängend nachquillt
aus allem, was lebendig?
So wie in Brunnen, die auf Quellen stehen,
die Wasser tief im Schacht nachströmen ständig
und nimmermehr versiegen,
ob sie ' auch droben ihre Eimer
senkend füllen, schöpfend leeren;
so fließt aus der Natur, aus Wettersturz und Jahreslauf
uns Arbeit unaufhörlich zu.
Nun seh' ich solche Brunnen ragend stehen!
Brunnen der Arbeit seh' ich stehn auf allen Höfen!
Und wer die Arbeit schafft, der packt die Eimer an.
Doch, ob er sie auch senkend füllt
und schöpfend leert,
er schöpft den Brunnen unsrer Arbeit nimmer ans.

So horche ich und sinne!
Noch stille liegend
lab' ich nur mein Kind. Lind
bläst sein Atem meine Brust
wie leichter Wind,
der einer Sommerblüte Samen trägt.
Doch bald will ich die Eimer wieder schwingen!
Mit neuer Kraft tret ich an meinen alten Platz,
so wie ein Sänger neu einfällt
auf einen Wink
in seinen rechten Takt.

Schon tritt sie an den Brunnenrand zurück
und greift die Winde wie im Spiel;
kein schwerer Hub wird ihr zu viel.

Doch einmal bleibt ein Eimer leer;
der Arm wird schwer.

Ihr Sohn packt an.
Ein Enkel dann.

Ewig bleibt nur der Brunnen stehn.
Um ihn dies kommen und dies Gehn. .

Wie es ihn unterirdisch speist!
Ein Eimer fällt, ein Eimer kreist.

Die Sippen verlöschen in Schweigen.
Im Brunnen bleibt Sinken und Steigen.


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Die Suppenterrine

In der alten, bauchigen Terrine
mit dem braunen Riß und dem angestoßenen Henkel
birgt sie in Säckchen und Tüten
schon manches Jahr hindurch
die Sämereien des Gartens;
ihr matter Würzduft hängt in dem Schrank.

           "Was ist in der Terrine, Mutter?"
"Siehst du es nicht? Sie quillt doch fast über:
Arme voll Tulpen und Reseden,
voll Malven und Mohn
und Sonnenblumen, höher noch, als du und ich."
Lacht Manfred: "Mich kannst du nicht necken!"
Viel mehr noch! Und Körbe voll Erbsen und Möhren,
voll Radieschen und Kürbis,
"Mutter!", schreit der Knabe erschrocken fast:
"Man darf doch nicht flunkern"
Und die Mutter, nun nicht minder ernst.
"Ein Geheimnis ist darinnen;
komm, hilf mir gärtnern heut,
Sicher verrät es sich dir.
           Du Terrine in der Mulde zwischen Arm und Brust
und den Spaten in der Rechten,
geht sie in den Garten durch die Märzensonne.
Kleiber lärmen in der Linde.
Auf dem First die Stare schwatzen wie berauscht.
           Und die Sonne wandert.
Und die schwachen Samen fallen in die Furchen
Und die kleinen Hände decken sie mit Erde
Und die Starken Kräfte fangen an zu wirken;
und die großen Wunder fühlst du staunend wehn.
           Lag der Garten schon in der Terrine:
Oder steckt er hier in einer Handvoll Sand?
           In der Mulde zwischen Arm und Brust
lehnt der Kopf des Knaben.
Mit zwei Fingerkuppen deckt die Mutter ihm die Lider,
"Spürst du es, Manfred?
Sieh, kleiner noch als die Terrine ist dein Auge,
öffnest du es,
steht der ganze Garten darin
mit allen Blumen und Bäumen.
Fühlst du es, Manfred?"

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und sie legt ihm die Hand in die Seite,
"So klein ist dein Herz, hier klopft es unter meinen Fingern,
doch alle Freude der Welt geht darein
und alles Leid", das Letzte sagt sie nach innen.
           Ein erster Abendhauch streicht über die Beete.
Aus dem Arm der Mutter löst sich der Knabe
und geht allein,
ahnend angerührt vom Geheimnis des Samens.


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Samstags Abends

           Warum verhält die Bäuerin am Gartentor
und schaut von fern nur auf die Sommerpracht,
statt der Levkojen letzten warmen Duft
am Beete selbst zu trinken?
           Weil es des frühen Sonntags köstlich Vorrecht ist,
den frisch geharkten Wegen
die ersten Spuren
stapfend einzudrücken;
der Samstag Abend muß sich mit dem Blick begnügen.
           Ueber den Hof kehrt sie zurück
durch ein Gegitter, das Birkenbesen
mit weiten Schwüngen
dem Boden aufgezeichnet.
Scheint hin! Wie Mittags Tauben auf dem First
hockt dort von Holzschuhn
eine Reihe, weißgescheuert
und zum Trocknen aufgereiht.
Sie hebt sie einzeln
klappt zu der Läden grüne Flucht
und greift der Tür sprühblanke Messingklinke
mit ihrer braunen Hand.
Im Dielengang blaun dunkel-feierlich
Lupinen ihr entgegen
auf der Truhe, in dem irdnen Krug.
Sie stupft sie noch zurecht
und hebt ein abgefallnes Blatt
oon blanken Fliesen auf.
Aus offner Stubentüre glüht ein Strauß von Rosen,
den Sonntag festlich anzusagen
und süßer Duft von frischem,
lockrem Brot mit Birnenschnitz
folgt ihr auf die gefegte Treppe.
Müd steigt sie aufwärts.
Doch geht sie noch durch jede Kammer,
auf jedes Bett ein frisches Hemd
zu spreiten und den Sonntagsputz zu richten
und —kehrt den gleichen Weg sodann zurück,
die Runde doppelt heut' zu machen
jun ganz allein und still
das feiertägliche Gesicht von Haus und Hof
innig noch einmal auszukosten. — —


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           Sagt mir, was gibt den schlichten Dingen
dieses stille Glänzen?
Macht zu Besonderem ein frisches Brot,
ein reines Hemd und den geschnittnen Strauß?
           Ist's nicht der Widerschein aus schlichten Herzen
und von rauhen Händen, die in Verläßlichkeit
der steten Wiederkehr, aus der Gewohnheit Sitte,
aus Wand und Dach uns das Zuhause baun?
           Doch sagt, was ist, wo tausendfach
solch still Genügen an dem selbstgeschaffnen Glanze?
Wo tausendfach soviel an Treue und einer Sauberkeit,
die ganz von innen kommt?
           Das weiß ich für gewiß! Wo tausendfach
solch wache Hände die grauen Werkelwochen
zu solchen Feierstunden liebend runden,
da blüht die Heimat!
Da wächst des Volkes fester Kern!


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Der alte Bauer und die Vögel

So sehr liebe ich den Gang der Gezeiten
in den wechselnden Stimmen der Vögel,
daß eher lahm ich werden will
(wenn das Geschick mich schlagen muß
in meinen alten Tagen),
blind auch, am Stecken hinzutaten
als taub
und dieser Orgel Tönen schwiege mir.
Dann hockte ich wohl ausgeschlossen am Herde,
rin einsamer Greis.

Wie hat es mich schon als Knaben durchschauert,
wenn uns die Mutter
im Spätherbst abends aus den Betten riß,
weil zum Beschuhn die Zeit nicht langte.
Horcht!"
Aus dem dunklen Gewölbe des Himmels
gurrt geller Laut:
"De Krunenkranen", (I)
schrie es von den Höfen rings.
Licht quoll aus allen Tennen
und Schatten standen starr
und sahen hoch ins Weite hin
den Vögeln nach,
die weglos zogen in magischer Eins. (2)

Nun will es Abend werden und ich wehre mich;
denn so inbrünstig liebe ich den Gang der Gezeiten
in den wechselnden Stimmen der Sänger,
daß ich einen Jahreslauf noch erflehe
init nur vieren der Vögel,
die je .zu ihrer Zeit
mit mir in Einklang sind:
im Frühling die Schwalbe,
den Segler im Sommer,
den Kranich im Herbst
und im Winter das Käuzchen.
Jnzwischen will ich geduldig die Wiege schaukeln
und mit den Enkeln spielen.
Doch diese vier laßt mich noch einmal hören!


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Frohe, schlanke Zwitscherschwalbe!
Achtzig Mal mir Gefährtin der Arbeit,
Nest an meinem Nest,
das mich binden will noch die Weile
bis der Mauersegler kühn
hinschwingt in Lüften: "Löse Dein Herz!"
Und der Kranich vermeldet: "Zeit ist es zur Reise!"
Dann horch ich still nur auf das Käuzchen noch,
das durch die wintertoten Bäume geisternd
eines Abends ruft:

"Kiwitt du Bauer!

Komm mit du!

Komm mit!"
 

I) Kraniche niederdeutsch;
 
2) ist die Zugform der Kraniche.


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Seine singenden Freunde

Frei, wie niemand auf der Welt,
schreitet der Bauer über sein Feld.
Wohl schreitet er mühsam, wohl stapft er oft schwer,
doch sind auch keinem ringsumher
so viel an Freunden zugesellt.

Da, wo er fiedelnd rodet in der Öde,
rufet vertraut der Kuckuk
und klingelnd klimmt das Volk der Meisen im Geäst.
Wenn er sein Haus errichtet,
hat eingeschnitten schon die "Uhlenflucht" der Zimmermann
und Schwalben bau'n gesellig gleich das ihre an.
Geht er durch nassen Tau — ein Frühaufsteher —
es wecken Wachtel und die Lerche eher.
Dünket ihn tot das flache Sund der weiten Ebene,
wie füllt der Bussard, Kreise schwingend, es mit Leben aus
und Stunden rüttelnd mitten inne steht der Falk.
Wo eintönig scheint die immer gleiche Färbung:
grün in grün der Sommerwald, da schießt der Pirol wie ein goldner Pfeil;
wo grau in grau das Herbstfeld bleicht,
leuchtet der Distelfink gleich später Blüte
und blau wie Sommerhimmel, Eisvögel schwirren über's weiße Schneefeld hin.
Wird er zum ernsten Schweiger in seiner stillen Welt,
kehren die großen Sänger — Singdrossel wie die Nachtigall —
sie ihm zum Jubelzelt.
Wo er gebunden geht im ewig gleichen Aus und Ab der Felderbreiten,
da sind sie frei und segeln, segeln, segeln in die Fernen.
Wie manchen Herbst weckt ihn der Wildgans, ihn des Kranichs Schrei
und weckt die Wandersehnsucht mit.
Doch kehren sie!
Stehn zu der Heimat beide ja in heißen Treuen!
So oft die Fluten auch sein Feld verschlammen,
oft die Muren wieder Steine säen auf den steilen Acker,
es weicht der Bauer nicht.
So wagt die weite Fahrt der Rotfchwanz jährlich zu der Sparrenritze,
findet der Storch zum alten Rade auf dem alten Dach.

Und keine Arbeit kann er tun auf seiner Erde,
zu der sie nicht Musik ihm machen,
wahrlich, daß sie schöner werde.
Schlägt er im Wald das Holz,
ruckguckt der wilde Täubrich und der Specht hackt mit;
bricht er im Steinbruch Blöcke, schaut ihm der Schmätzer zu;
kippt er den Pflug zum Mahl im Heckenschatten,
hocket der ~ürger in dem dicksten Dorn


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und wo er steif und knorrig seine Egge wirft,
kebolzt der Kibitz, wettfliegen Mauersegler mit den Wolken.
Prüft vor der Reife er den Roggen noch, Rohrsänger rufen hell vom Halm
und wo das Gras am Bach aufschießt zum Schnitt, da wippen quick die Stelzen;
selbst wo er rupfend nur die Sesseln reutet hinterm Haus,
quinkelt am Zaun der König.

Sie künden ihm sein Wetter an;
auch ernten sie, so Kern wie Kirsche, Fink wie Star;
und aus den Wipfelhorsten wuchtig schlagen Weihen ihm sein Kümmerwild.

Wohin er immer gehen mag, sie wandern mit,
scheiden ihm Nacht vom Tag, den Morgen von dem Abend.
und ist kein öder Strich zu rauh, kein Forst zu tief,
kein Fels zu schroff, kein Sturm zu schwer,
es schweift die Möwe mit dem Fischer;
Wildheuer weiß den Adlerhorst; dem Jäger zeigt der Schwarzspecht sich;
und wo im tiefen Moor einsam ein Bauer sticht den Torf,
da dudelt süß vom nahen Bruch die Heidelerche ihm.

Ja, Freunde sind sie wahrlich! Und dennoch!
Was wissen sie von ihm? Was er von ihnen?
Sind beide einer andern Welt? Und dennoch!
O höret hin!
Mit dem Wehen der Winde,
mit dem Rauschen der Wasser,
mit dem Brausen der Wälder,
mit dem Wispern der Felder,
mit dem Gelärm seines Werkens, ,
mit dem Gelaut seiner Tiere,
lullen, pfeifen, zwitschern, singen, kreischen, dudeln, tirilieren sie,
spielen sie gemeinsam auf der großen Orgel.

Mit seines Schweigens Mächtigkeit,
mit ihrer Stimmen Süßigkeit,
spielen sie die brausende Orgel der Schöpfung,
das große Leben zu lobsingen alle Zeit.


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Heimaten


I

So tief gebettet ruht kein Kern in seiner Frucht
und glüht so golden kein Juwel in seinem Schrein,
wie jedem drinnen eingeschrieben steht
der Heimat leuchtend Bild.

Dem ist s die Wildheit schneezerfreß'ener Felsen,
die frühe grau und ernst der Macht entsteigen
und rosenglühend in den Abendhimmel sich verklären;

diesem der Wald, der immer schweigt
und dennoch immer rauscht und orgelt;
der immer alt und dennoch
— selbst sich samend — immer jung zugleich.

Jener muß Ströme wandern sehn an seinem festen Haus vorbei,
ob ihn auch stets die Sehnsucht packt, den Masten nachzuziehn.

Dieser liebt Segel und Gefahr und Sturm
und letzte Einsamkeit der Hallig in dem Meer,
das heut' ihn wiegend trägt, beschenkt und nährt
und morgen brüllend ihn verschlingt mit seinem Boot und Land und Haus.

Dem tönt in seinen tiefsten Traum
das Immensummen von der Purpurheide,
an deren weißen Wegen weiß die Birken stehn.

und wieder einer hebt den Wein in alle Himmel,
der grün und rank auf dunklen Schieferplatten felsenan
dem Lichte sich entgegen stuft, bis golden er und
sonnentrunken in die Becher und die Herzen rinnt.

Mir aber mutz ein ~oggenfeld sich dehnen,
nein, ein Gebreit von Roggen,
augenweit, dem Horizont verschmelzend.


II

O Bucht der Heimat!
Hat einst die See dich ausgefüllt,
daß du zurück sie strömen läßt in jedem Sommer,
wenn der Roggen halmt zum Meer?
Der wächst und wogt und wallt und wellt,
in grün zuerst, dann silbern, grau,
bis er sich aus geläutert hat zu purem Gold!


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So kraftvoll wird der Rggen nirgendwo zur Saat
geworfen aus dem großen, groben Leinentuch;
noch geht er irgendwo so dicht, wie Pelz auf einem Tier.
Zm Schwanken knotet er sich hart in Halmen und steht
so fest, wie nur die Nachbarschaft bei uns zu Haus.
Und o, der herbe Duft! Denn eben blüht er! Wär' ich doch
jetzt daheim, wo wacher Wind die Samenwolken
stäubt aus Millionen Baumelblüten!
Gleich hoch auch schießt er nirgendwo, daß ausgewachsen
er dem Blick so Kind wie Mann entzieht;
und nirgend, längst vor der Lerche Anstieg, hörst du so früh die Dengelsteine.
Auch stehst du nirgendwo so volle Schwaden fallen
von so hohen Schnittern unter breitgekremptem Hut.
Nirgends stehn Hocken mannsgewaltig so;
und nirgend gibt es Erntewagen gleicher Türmung,
die Last von Wieselbaum und Tau gebändigt.
Auch öffnen nirgendwo so hohe Seelentore sich,
fassen die Frucht solch kühn geschwungne Dächer
unter so wuchtig schweren Eichenbalken, wie auf den Höfen hierzuland,
Wo steigen über Stoppelfeldern Windvögel wohl in gleicher Zahl
und auch so hoch, wie wir sie fliegen ließen an dem straffen Halt,
augenentschwindend, ins Blaue, unermeßliche?
Wo auf der Erde gibt es Knabbeln, knuspernd aus dem Kump zu löffeln?
und wo jemals siehst du ein Brot, so groß und schwarz und schwer,
von Kindern nicht zu tragen; von Frauen kaum zu bändigen im Schnitt?
Brotkorn der Heimat du, ein Inbegriff!

O Roggenbreiten jener weiten Ebene,
ihr aller Bauernsaaten Urbeginn!
O schwanke Halmenfülle, Bildnis und Born des Lebens selbst!
Wie eine Liebste schön, die dich verzaubert hat.
Wie eine Mutter, unerschöpflich im Spenden und Mehren!
Wie dort die Sippen, fruchtbar und vielhäuptarzählig!
O Reichtum unser in der gesegneten Bucht!


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ll. Im Ring der Natur


Vorfrühling

Immer bricht er strömend ein durch alle Sinne.
Immer neu ergriffen werd' ich seiner inne.

Schwand von Schnee des Schlehdorns Schleier? Nun ist's Blühen!
Seh' rundum der Weidenruten rostrot Glühen.

Spür' der Scholle Erdruch spielen mit den Lüften
und der Schlüsselblume saftgewürztes Düften.

Hör' der Gänse Wandersittich nächtens rauschen;
muß im Frühlicht liederprallen Lerchen lauschen.

Fühl' im Föhngeflutter sich die Wende künden.
Ahnend weiß ich Leben steigen unter Rinden,

straffe Knospen sprengen, bersten aus dem Kerne.
Salzig schmeck' ' im Wind ich Meer und Ferne.


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Hände

Fegen Föhn und Sonne mit der
Frühlingshand den Schnee, die Feuchte,
quellen brausend tausend Keime
grüned auf im Land.

Legt die Morgenröte ihre
Finger auf den Spiegel nächtig
schwarzer Quelle blüht die Welle
wie ein Rosenblatt.

Taucht die Sonne Strahlenhände
in den Strom, so zieht's der Fische
stumme Schar verzaubert hoch und
spielend auf zum Licht.

Schwankt vom Ueberschwall des Wassers
nach dem Regentag die Blüte,
wischt ein Wind mit sachten Händen
ihr die Träne fort.

Deckt der moose filzge Flechthand
dicht des kahlen Berges Boden,
Regen saugend, speichernd, sickernd,
segnet sie das Tal.

Wenn der Bäume Zweige ihre
Hände fest verschränken, hält dies
Gitter alle rauhen Winde
unserm Hause fern.

So Sind Hände! Durch der Liebe
Speisung wecken Leben sie und
trösten, stützen. spenden Heilung,
lassen dich nicht los!


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Vor einer Tanne

Wie eine Seele im Leide erstarrt,
steht unterm Schnee eine Tanne
erdrückt von der massigen Last;
rings um sie weht Kälte.

           Kein Zweig kann noch schwingen,
           kein Vogel ihr singen,
           sie siehet nicht Sonnen. nicht Sternenlicht mehr.

Verwandt sind die Lose!
Erdschwer
beugt es gleich ihr uns hinab oft zu Boden.

Wie eine Seele vom Seide sich löst,
ringt in der Schmelze die Tanne
aus Schwere und Dunkel sich frei;
der Sturm hilft ihr rütteln.

           Mun rauscht sie in Lüften,
           sie würzt sie mit Düften
           und breitet die Zweige wie Flugschwingen aus.

O siehe solch Siegen!
Lichtan
streckt sie den Wipfel und wächst zu den Wolken.


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Sieben mal flammt auf das Tal

Es löschen die Farben von Feldern und Hängen mit den Gezeiten;
— so schwinden im Leben des Menschen die Freunde
und Freuden dahin, wenn es herbstet.

Sieben Mal in jedem Sommer flammt in Farben auf dies Tal,
das zwischen seinen dunklen Bergesbändern ruht
und sieben Mal vergehen sie wie matter Mond.
Maßlieben tausendäugig fangen an
weithin die Wiesen ganz in Weiß zu überziehen,
sie blicken lachfroh in den ersten Lerchenhimmel.
Dann breitet Löwenzahn den gelben Teppich aus,
die grünen Säle schöner noch zu schmücken '
doch schwinden beide bald im dichten Grase,
das sie überwuchert.
Schon aber reitet Ginster längs den Rainen,
ein güldner Reif faßt nun das Talrund ein,
glüht auf und leuchtet und vergeht.
Inzwischen reift und gilbt das Korn
und überall liegt es gleichwie ein goldner Schild
auf einer Ackerbreite Brust,
erschimmert, leuchtet und entschwindet
und Schafe grasen auf den grauen Stoppeln.
Nun loht der Kahlschlag auf, mit lauter Fingerhut
und Weidenröschen dicht besteckt, ein riesengroßes Fackelbeet,
es brennt, es leuchtet und verlöschet.
In schwäch'rem Feuer röten sich die Blößen
ein letztes Mal von Heidekraut und Thymian,
auch diese glimmen kurze Zeit und blassen hin.
Bis dann das Herbstlaub bunt in bunt
den großen Erntekranz im Tal aufhängt,
er prunkt und flattert mit den Farbenbändern.
Doch löscht auch er in den November nebelüberweht dahin
und grau in grau steht jeder Baum im Regenumhang
ohne Sicht allein.
Doch sieh! Schon rieselt Schnee!
Bald blinken alle Hänge hell.
Sings sprüht das Licht und jeder Baum ist nah
und greifbar hingezackt vor dem gefrornen Blau.

Wohl löschen die Farben von Feldern und Hängen,
wohl schwinden Freunde und Freuden dahin —
ewig jedoch gewahret sie neu ein gerüstetes Herz.


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Ein Blatt

Herzgeformt und lang und rund
zupfte ich einst Blattgerippe,
uns als Kinder sie zu schenken
in der Jahresspiele Rund.

War im Mai, da blies dein Mund
oft auf jungen Blättern Weisen
und ich horchte traumversunken,
wenn für mich sie blies dein Mund.

Ihr Geäder wirr und bunt
schaun als Abbild wir geschrieben
in den Linien unsrer Hände,
drinnen je ein Blatt jetzt ruhet.
—Schicksalszeichen wirr und bunt.

Rätselnd mühn wir uns zum Grund.
Blatt und Baum und Bruder wurzeln
im Geheimnis alle. Drum, so
spiele selig, schau dich trunken!
Denkend dringst du nicht zum Grund.


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Meere

Wie eine dunkle Kappe aus Metall
deckt sich das Meer über den Urgrund der Erde hin,
fern zu den Horizonten weggebogen
ins unbekannte und ins Unbegrenzte.
Doch von den Wellen allen ist es nur eine,
die deinen Fuß umspült am Strand;
nur eine immer trägt dir ihr Spielzeug zu,
Tang, Muscheln und Gestein.
Einer nur wirfst du schwimmend dich entgegen
im Ansturmprall der Flut.
Die eine hebt dich, bringt dich an das Land,
doch läßt sie sinken dich,
sinkst du ins Grundlose, ins Meer hinab.

           Schauend stehe ich am Rande, leise schauernd. —

Wie ein vergilbter Bilderteppich legt dunkel sich und dicht
die Zeit über Geschlechter hin und Völker,
jenseits von Horizonten, die nicht zu schaun, noch auszumessen sind.
Auch sie ist Meer!
Auch sie schenkt dir nur eine Stundenwelle,
die dich beglückt, dich kümmert.
Nur dieses Wellenschlages Länge
weißt du das Leben dein,
doch läßt sie sinken dich,
sinkst du ins Namenlose ab, ins Meer der Zeit.
und dennoch ist die eine Stunde alles, was du hast.

           O trinke, halte, schöpfe, fülle sie!

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Das Wurzelgeflecht

Wer kennt nicht Wurzelgeflechte
aus Wäldern und Gärten:
Dicht verfilzte Gewebe
brauner, erdiger Fäden
sind es,
eins mit dem Boden,
den sie bespannen;
kaum findest du ihrer den Anfang
noch das Ende.

           Mit solch einem festen Geflecht
von faserfeinen und dickeren Strängen
ist auch mein Herz umzogen,
denn sieh, seit ich fort bin,
har alles Wurzelfäden saugend nach mir ausgestreckt
das Haus nicht nur und die Traueresche dahinter,
nein, jeder einzelne Ziegel der Mauer,
das Freudenrasen des Hundes,
wenn ich unversehens heimkam,
aus dem Fenster der Sang eines Liedes,
der Duft der Levkojen,
das Abendrauschen der Bäume,
die L Lockung der Schwalben an unserem Dachbord
und der weiße Scheitel der Mutter
in der sich öffnenden Türe.
           Erinnerung nur ? — — ?
Und dennoch, täglich, so spüre ich,
ward deia, Geflechte dichter und dichter,
in dem mein Herz geschützt liegt,
von dem es genährt wird geheimnisreich,
in dem es einzig nun schlagen muß: Heimat!


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Drei Quellen - drei Grünstreifen

Was für ein Spendewunder
läuft in der Landschaft hie und da
am dürrsten Ackerfeld vorbei
schräg über Einödsbreiten?

           Ein schmaler Streifen Grün ist es,
von satten Kräutern dunkel eingefaßt,
mit Erlenbüschen dicht besteckt.

Stud du vernimmst,
daß unter solchem unverhofften Grün
einer unterirdischen Quelle '
geheime Zufuhr
rinnt
und saftig aufquillt.

Als Kind trieb ich im Herbst
meinen Windvogel tagelang
über die Stoppelfelder,
wobei ich oft den alten Philipp traf,
einen einschichtigen Bauersmann aus dem Dorf,
der — immer allein —
mit Sense, Dengelstein und Spaten
den Acker seiner Sippe pflegte.

           "Nein, eintönig ist es nie",
sagt er, als ich ihn drum befrage.
"Das macht das viele Geld,
das ich auf die Sparkasse brachte
und nun langsam verzehre.
           Arm war er, wußt ich's doch,
grad langte es zu seinem Pfeifchen.
           "Das scheint dir wunderbar?
Hör her mein Kind!
Da gehe ich nun siebenundachtzig Jahre
still unter all den Leuten
und sehe, was sie treiben
und wie sie quälen sich mit Lieben und mit Leiden,
wi heut' sie Weises, morgen wieder Torheit tun
alles hab ' ich treu verwahrt
und wie Gold auf meine Kasse gelegt,
die Erinnerung heißt.
Frisch und grün ist sie und spricht mit mir,
wie ich mit ihr,
drum bin ich nie allein.


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           Weiterstapfend griff er mit eckigem Schwung
in fein graues Sählaken,
griff tiefer wohl in die Brust
nach der Erinnerung Sinngrün
bis hinter ihm die Sonne sank.
Vor ihrem lodernden Ball stand der Greis
wie Andächtige dunkel gemalt sind
vor dem Goldgrund
alter Altarbilder,
verklärt von innerem L Leuchten.
           War ich auch damals klein und leer,
Sein Wort fiel in mich wie ein Stein
und ankerte auf meinem Grund.
Drum such ich heute schon
(obgleich sein weißes Haar
und seiner Jahre Zahl
noch nicht die meinen sind)
die Blätter hier
mit der Erinnerung Bild und Deutung anzufüllen
und mit des Lebens Sinn.
           Leise raune ich dazu
Fließe Quelle! Fließe!
Sprieße Grashalm! Sprieße!
Damit ein Streifen Grün daraus wachse,
von innerer Quelle getränkt
und eben groß genug,
sich rings um eure Stubenfenster zu breiten,
ein immergrüner Kranz.


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Mein Garten

Es muß dann wohl ein andrer Garten sein,
denn wenn ihr von "Idylle" sprecht und "klein"
ist es der meine nicht!

Mein Garten reicht bis an die Sterne weit,
da er mit ihnen die Gesetze teilt
von Maß und Zahl und Wunderwerk
und festgelegtem Ordnungsgang
bis in die Harmonie.

Betrachte was Du willst, du triffst Geheimnis!

Sieh nur den stummen Stamm
wie er sich innen sondert;
im Splint steigt aufwärts, was ihn nährt und hält;
sein Alter zählt er selbst in Ringen fest gerundet
und bindet schützend Bast und Borke um.

Dort im Gemüseland gibt jede Bohne
dem Keimblatt Wiegenbett und Speisekammer mit.

Halte ein Blatt ans Licht! Ou siehst,
wie es aus tausend Poren den Atem haucht
und wie's mit tausend Mündern
das Seine aufsaugt aus dem Weltenraum.
So ist ein jedes reglos, arglos Blatt
ins Ganze hingegeben
und stillt sich aus dem Ganzen.

Wie Sternenbilder ziehn in ihrer festgelegten Folge,
verwechselt keines die Gezeiten hier.
Nicht drängt die Aster sich der . Rose vor,
die Rose nicht dem Veilchen.
Und ob im Herbst die Hecke wildern ließest du,
ob wer sie kurz geschnitten hat bis auf den Grund,
im Frühjahr steigt und grünt und duftet
sie wie je zu rechter Zeit.

Im Schatten kroch die Kresse eben noch am Boden;
im Licht jedoch hebt sie wie Schlangenleiber sich,
und jedes Stenglein wächst auf einer Hälfte flugs,
damit die Blüten ihre Hälse drehn,
der Sonne nachzuwandern und sie auszukosten.


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Am Bienenstock erneut sich vor der Wabe
stets mein altes Staunen.
Wer führte Maß und Zirkel hier,
daß Sechseck sich an Sechseck formte,
geheimnisvoll verwandt dem edelen Kristall?

Der Same drängt auf Wandrung!
Drum unterm Schubfach des genarbten Schildes
verstreut der Mohn ihn aus der Schüttelbüchse.
Doch fällt er nah, indes der Esche zwiegeflügelt Korn
vom Wind verblasen wird in alle Fernen.
und erst der Löwenzahn
Im Reifen rundet er
— die Federschirmchen spannend —
eine Weltenkugel,
als wolle er mit dieser Form symbolisch
den Sinn des Samens deuten:
sich auszubreiten auf der weiten Welt.

So dehnt es sich um mich!
So sag ich ganz zu Recht:

           "Mein Garten reicht bis an die Sterne weit"
Kommt nur!
           Ich lud' euch gern,
                    doch bringt das innre Auge mit


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III. Im Ring der Frau


Die Türen an den Grenzen

Alle Kinder müssen einmal durch die Tür,
hinter der das Geheimnis des Lebens steht.

           Zwölf war ich alt,
als ich im Herbst um der Nachbarin willen
einen Gedankenschlag aufmerkte vom Puppenspiel.
Dann hat sie ein Mädchen geboren,
das wir Kinder uns ansahn;
ein Pusteblümchen im Arm seiner Mutter.
Doch bald darauf dünkt mich die Frau wiedrum verändert,
zurückverwandelt gleichsam,
so daß ich die Mutter befragte.
           Die nahm mich bei der Hand mit in den Garten:
"Schau, wie die Blüten dort schlafen
im Kelchbett,
so ruhen auch Kinder zuvor
unterm Herzen der Mutter.
Ich hörte wohl — doch hören ist nicht fassen,
und lachend entlief ich zum Spielen.
           Bis hin zum nächsten Mai,
da ich vorm Schlafengehn
noch eben in den Garten huschte,
um am Tulpenbeet
die herrlich aufgegangne Pracht zu zählen
in purpurn und golden und lila.
           Der äußere Ring war später gesetzt,
darin noch kein Stengel eine Blüte emporhob.
Mich bückend, kniet ich drum
und legte die Hand um die bauchige Rundung
der knospeverhüllenden Blätter,
zu sehn, ob bald auch da . . .


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           Da rief die Nachbarin
jenseits der Hecke
nach ihrem Mädchen
und — wie ein Blitz
traf mich die Klarheit des Zusammenhangs.
Die Tür sprang auf!
Noch lag die Kinderhand um die Dickung
der kommenden Blüte,
noch kniet ich am Boden,
da bog ich den Kopf bis ins Gras,
das jähe Erschrecken zu bergen
und hob es wieder, das Gesicht,
— die ersten Sterne zogen eben auf —
"O ihr, ihr goldnen fernen Fackeln,
entwachst auch ihr, wie Mensch und Blume sprießen,
entsprühend einem andern Stern?
Welche Weite mit einem Mal!
           Wunder wird Wirklichkeit
           und Wirklichkeit bleibt Wunder!

So gehn die Menschenkinder ihre Lebensbahn.
Von Tür zu Tür, die ein Geheinmis birgt,
tut sich von Tür zu Tür Erkenntnis auf
und immer größer wird die Welt
und immer offner blättert sie die Seiten,
wie Fächer sich entbreiten,
in ihren Falten zeigend
Bild um Bild.

           Doch sehn im Drang
nach immer größrer Weite
wir oft erst Spät,
daß um des Menschen Bahn
ein Zirkel einen Kreis geschlagen hat,
der an den weit gespannten Bögen
uns rückführt zu dem Ausgangspunkt.
           Zwei Türen stehen an den Grenzen.
Aus einer kamst du,
aus der Geheimnisse Anfang.
Zur andern kehrst du,
dahinter das letzte Geheimnis steht.
ganz fern am äußersten Saume
wo diese zwei sich scheiden:
das Menschliche, gegrenzet durch die Zeit;
das Göttliche, fließt bis in Ewigkeit.


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Die Mutter

"Noch ist mein Schoß die Grenze deiner West
und ich allein bin all dein Schutz,"
denke ich stillfroh,
indes ich im Garten einen Apfel esse.
Da bewegst du dich leise in mir
und mit jähem Erschrecken
werde ich plötzlich einsichtig,
daß ich dich ja selber
mit jedem Atemzug,
den ich in dein Blut presse,
forttreibe von mir
und mit jeder Speise,
an der du wachsen mußt,
dich um so schneller aus mir herausstoße
in das Alleingehn.

Was soll ich nun tun, ich Verwirrte?
Soll ich zu atmen aufhören
oder zu essen,
damit du so hilflos bleibst
und geborgen im Dunkeln,
eng unter mein Herz geschmiegt'?

Nein! Von nun an will ich
jedem Atemzug,
mit dem ich dich verdrängen muß,
drei Herzstöße nachschicken,
beladen mit guten Gedanken und Wünschen.
Die sollen dich einhüllen
und sich um dich spinnen wie ein Netz,
besser wohl,
weit dich umbauschen wie ein Schleier,
unsichtbar und von fern.
Denn ich weiß ja, mein Kind,
wenn du groß bist, ~ willst du selber
~~~~~~ beschirmen,
Darum spinne ich heimlich
an disem Schleier der guten Gedanken,
der dich hegen und wärmen soll
wie mein Schoß es getan,
und umwehe damit dich, mein Kind,
wohl über mein Sterben hinaus noch.


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Die Dämmerstunde

Verplustert und verfroren kehrst du vom Spielen
und drängst auf den Schoß mir,
daß ich dich wärme und dir erzähle,
wie wir es lieben im Dämmern
die Stunde.
Eng in die Arme geschmieget,
dein Bäckchen an der Backe,
die Fäustchen beide in der meinen Hand
hör ich dich betteln:
"Sag es mir wieder, Sterntaler-Märchen!"
Dein Flachshaar sprüht mir um die Stirn.

           "Es war einmal ein armes Mädchen,
           das ging ganz allein durch einen

Wohlig entspannst du die Füße.

           "Und es hatte alles weggegeben
           bis auf sein Hemdchen".
"Hat es nicht gefroren, Mutter?"
In dein Nestchen duckst du dich tiefer.
           "Arg gefroren hat es in dem dünnen Hemdchen,
                    doch da fing es an zu regnen
                    goldne Taler
                    auf das kleine Mädchen

Dein Auge plinkt kurz auf
und lacht mich an.

                    "Viele runde Taler
                    auf das Mädchen in dem Hemd

Plinkt wieder zu dein Aug?
und schon — bist du entschlafen.

           Mir aber blieb ein goldener Sterntaler
im Schoße liegen,


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Lampe oder Stern ?

Wenn ich aus dem Dorfe
rückkehre bei sinkendem Abend
zu unserm alleinliegenden Hofe,
muß ich eine Stunde wandern.
Nie jedoch wird mir der Weg lang,
denn er kommt mir entgegen der Hof
aus der Weite der Ebne.

Schon sehe ich den Kranz seiner Eichen,
die den Brandteich umstehen
und breit daneben die wuchtigen Dächer
des Hauses und der Scheuern.
Die Apfelallee führt mich
vom Hauptweg hin,
und näher kommend,
winkt das vertraute Tor
weiß aus den laubgrünen Hecken.

Kehre ich später,
verschwimmt der Hof mit dem Walde zusammen
wie ein schwarzes Gebirgsband
Doch wenn selbst nichts mehr ragt
aus dem Dunkel des Abends,
Füße und Herz behalten die Peilung.

Da! Ein L 'icht glimmt auf!
Ungefähr in der Richtung!
Gleich mein ich die Lampe im Zimmer zu sehen,
drei Kinderköpfe darunter,
beschienen, im Bilderbuch blätternd,
und höre: "Wo bleibt nur die Mutter?"
Du widersprichst,
es sei der Abendstern über der Wolkenbank.
Nein, die Lampe ist es!"

                    "Doch, ein Stern!"
Ach, ich lasse streiten dich im Nebel
und bin still.
Denn was ficht es mich an
ob es Stubenlampe oder Stern,
wenn schon die Richtung allein genügt,
daß von solchem fernen kleinen Lichte
mir ein himmlischer Schein
in das Herz fällt.


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Die Hausfrau

Der Erde gleichst du, der großen Verwandlerin,
die Winter und Sommer aufsaugt
in ihren dunklen Schoß alles,
was welk und verdorben und abfällt;
Schutt und Asche auch und verwestes Getier,
wie den übelriechenden Dung,
den sie untergepflügt auf den Äckern.

                    Schweigend saugt sie es auf
und verwandelt es schweigend.
Doch aus welchen Kräften des Innern
sie es wirkt, dieses immerwährende Wunder,
wir wissen es nicht.
Wir erfahren es nur neu
jeden Frühling und Sommer
mit gleichem, innigem Staunen,
wenn sie die ersten zarten Keimlinge ans Licht hebt,
ringsum der Wisen sprossendes Grün,
den Silbernen Speerwald der Ähren,
die würzigen Äpfel, den flaumigen Pfirsich
wie in Himmeln gewachsen —
und der herrlichen Blumen wohlduftende Vielfalt.
                    Daß du dies auch vermagst,
Schwester der Erde! Zauberin du!
Alle Tage wandelst du
aus Schmutzigem das Saubre;
schaffst aus Verbrauchtem Neues;
weißt die Unordnung in Ordnung zu verkehren;
was zerschlissen, deine Hand verheilt es,
und wo es kalt und unbehaglich,
tust du nur wenig gute Griffe,
schon füllet sich der Raum mit Wohlbehagen;
wie du den kahlen Tisch
gastlich deckst aus dem Nichts.
Ja, wo nur irgendwo vier Mauern stehn,
du schaffst ein Heim, schafft eine Heimat draus.
                    Alle Tage, alle Stunden wirkest du dies,
ungezählte Tausendmal.
                    Bescheiden nennt man solche Berufung
und unscheinbar?
Nein, wahrlich groß und schön ist dein Los!
(Du empfindest es selber)
Sieh, des Schöpfers Gefährtin bist du,
des gewaltigsten Ordners,
denn täglich verjüngst du die Welt
und bildest sie neu in dem innersten Kreis.


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Ererbte und geschaffene Heimat

Allen Wachstums, aller Wärme Wurzel ist die Sonne
und wie gelassen nehmen wir ihr täglich Strahlen,
wie wir der Heimat hundertfältig Liebeszeugnis
oft ganz erkennen erst, wenn es erlosch.

Wenn das Bettuch noch nicht frisch gespreitet ist
bei deiner Ankunft und das Wasser noch nicht im Kruge,
das dir sonst den Duft entgegenbot,
dann schmeckst du, daß die Heimat ward zur Fremde.

Wenn es in der offnen Türe ruft: "Bist du schon da?
Wie ist der Zug so pünktlich heute!
Statt jener andren Stimme: "Endlich bist du angekommen!"
Dann hörst du, daß die Heimat ward zur Fremde.

Wenn du vom Wetter und der Fahrt dich unterhalten mußt,
damit der Wind nicht aus den Segeln falle;
statt daß Ihr gleicherweise froh,
ob eins auch still, ob eins auch spricht,
dann fühlst du, daß die Heimat ward zur Fremde.

Ein ander Ding ist, Heimat hinzunehmen,
ein ander Ding, sie neu zu schaffen
Doch gilt nicht Klage! Denn nun ist's Zeit,
selbst liebend eine Tür zu richten,
aus der es Kindern ruft und Gästen:

                    "Ach, endlich seid ihr angekommen!
                    Schon gestern ward das Bett bezogen
                    und im Glase welkt schon fast die Blume."


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Haustürenschlüsel


I

So will es die Ordnung des Wandels,
daß Väter vor uns sterben
und unsre Mütter auch.

                    Dann erst gewahren wir,
dag zu unserem Hause ein Schlüssel gehörte,
denn darin war es einzig ja
und das "Zu-Hause" eben.
Während die anderen nämlich sich riegelten
und uns ein Weilchen warten ließen
auf der Stufe wohl, draußen im Regen,
stand das Unsere, immer weit aufgetan.
Gewiß verschloß es die Mutter am Abend auch,
doch, da waren wir klein
und traumselig schliefen wir schon;
am Morgen aber war die Tätige längst auf.
Und später, wenn wir heimkehrten als Feriengäste,
die Brüder mit ihrer jungen Frau an der Hand
oder dem Enkel,
ach, immer stand die Tür schon geöffnet
und sagte Willkommen.
Zur Nacht aber blieb es die Mutter,
die den letzten Gang durch das Haus tat,
das Feuer löschte,
die Lichter ausblies
und die Türen sicherte.
                    So aber will es die Ordnung des Wandels,
daß Väter vor uns sterben und unsre Mütter auch
und aus der Türe gehn,
die abgeschlossen wird.
— Wochen zögerst du ihn hinaus, den dunklen Tag.
Aber endlich ist nichts mehr zu ordnen.
Verteilt sind die Kleider, das Linnen,
Schmuck und Gedenken holten die Freunde,
den Hausrat die Erben;
leer sind die Räume;
nach den Gräbern hast du noch einmal geschaut. —
Dann legst du den Schlüssel in eine fremde Hand
Schwer wiegt er wie ein Stein dir,
schwerer noch — wie ein ungetröstetes Herz in der Brust.


II

So um 1941 war es
im hannoverschen Lande in einem großen Saale,
und viele Menschen hörten zu,
als eine deutsche Frau von ihrer Farm in Afrika erzählte,


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die sie zwischen den zwei gewaltigen Kriegen
mit Sorge, Schweiß und Hoffen aufgebaut.
           Klar und sachlich war der Vortrag,
von den Saaten berichtend und der Ernte dort,
von fremden Gefahren und Dürre,
von Rückschlägen erst und endlichem Gewinn.
Und weiter erzählte sie,
wie der Feind kam,
in die mühsam gezogenen Farmen
neue Eigner einsetze,
sie selbst aber auf Schiffen zurück entließ
ins Leere.
Doch auch das war sachlich berichtend
und ohne Empfinden zu äußern.
           Befremden faßte mich;
schon rückten Hörer die Stühle ernüchtert,
als es kam zum Schlußsatz:
"Nichts konnten wir mitnehmen von unserer Farm;
nur den Hausschlüssel zog ich heimlich ab
und trag' ihn seitdem in der Tasche.
manchmal aber, wenn ich allein bin,
nehme ich ihn in die Hand und hoffe . . . . . . ."
           — da brach ihr die Stimme.
Lautlos war es im Saale,
denn nun wußten wir alles.


III

Nächtens fiel Feuer vom Himmel und verbrannte die Stadt.
In den Morgenzug, in dem ich saß,
stieg der erste Flüchtlingsstrom
mit rauchgeröteten Augen
und leeren Händen.
Eng rückten wir andern zusammen
und wagten kaum zu fragen:
"Haben Sie alles . . . . . . ?"
"Ja, alles verloren," hieß es.
Dann lehnten sie den Kopf an die Rückwand,
erschöpft und welk und zerknittert.
Bis einer van ihnen einen Haustürschlussel aus der Tasche zog,
rötlich angelaufen von Hitze
und ein wenig verbogen.
Das ist es, was ich noch habe,
nur das Haus dazu steht nun nicht mehr,"
sprach es nicht kläglich, nicht bitter:
"Aber er ist doch ein Unterpfand!"

                    So groß ist die Hoffnung!
                    So stark ist das Leben!
                    Sv tapfer der Mensch!


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Sag, was ist Zu-Hause?

                    Sage, was ist es?
Brot, das ich selber Schneiden darf;
Obst, das ich selber brechen kann;
Schübe, die ich nicht verschließen brauche;
eignes Bett im duftvertrauten Raum;
jedem Kinderkummer leise Heile-Tröstung;
Kosenamen, die man trägt wie Schmuck.
                    Ist es mehr noch?
Wo gemeinsam alles
denen, die aus gleicher Wiege wuchsen
und an gleichen Gräbern weinen.
Keiner kann sagen da "meines" und "ich nur",
denn verbunden hängt es in den goldnen Ringen:
Mutter unser! Vater unser! Sorgen unser! Kinder unser!
                    Ist es mehr noch?
Einzge Stube, in der alle schweigen können
und doch tief verbunden sind.
Weil wir mit der Tastung unsres Innern
fühlend umeinander wissen,
wenn wir uns nur atmen hören
in dem stillen, zugetanen Kreis.
                    Ist es andres auch ':
Wo man Treue nicht beschwören braucht;
unsre Fehler mildres Urteil finden
aus der Sippe Blut begründet;
wo Verzeihn dem harten Wort rasch folget,
weil das Gute man im Andern
unbeirrbar weiß und glaubt.
                    Reicht es weiter noch?
Wo dem Kinde spaltenweit schon auftun
alle Türen sich, die in das Große münden,
in die Schönheit, in das Wissen, in die Kunst auch,
in die blanke Arbeit mit der Pflugschar
wie dem Hobel und der treuen bloßen Hand.
                    Reicht es tiefer noch?
Wo durch Wort und Uebung und Vererbung
jeder seinen Kern empfängt und weiterbildet,
daß er ihn ein Leben lang begleite
als guter Geist der Haltung und der Sitte.


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                    Dies alles ist ~ii hause und noch mehr.
O Dach der Dächer!
Meiner Kälte ein wärmendes Feuer!
Meiner Not eine Tröstung
Meiner Arbeit die Hege
Siner Ehre ein Leittrieb
Wiederkehr meinen Kindern!
Du bergende Muschel im All
und Sehnsucht dennoch darüber hinaus.
                    Antworte mir,
ob etwas auf der Welt dem gleichkommt
an Fülle der Gaben,
an Wirkstoff der Formung?
— —
                    Gott, so gib es drum Jedem!
Ja, schenke es Selbst meinen Feinden.

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Des Küchleins und der Quelle Durchbruch

Habt ihr euch einmal in die '
schon vollbrachte Tat des Küchleins versenkt,
wenn ihr die flaumigen, purzligen Sonnenbällchen
bewundernd und zärtlich aufhobt ':

                    Wenn es erwacht,
filtert ein ferner Schein
durch die Poren der Schale
und locket das Küchlein.
Doch es kann nicht zur Sonne,
denn lebendig begraben ist es,
festgeklebt noch mit Bauch und Flügeln
an die Wände der Wohnung
und keine Mutter da,
in Wesen einen Weg zu bahnen.
Nur das Köpflein ist frei,
behende auf schwankendem Stiele.
                    Den hebt es nun wie einen Hammer
und schlägt und hackt mit hartem Schnabel
die Mauer an, allein auf sich gestellt
und hackt und schlägt
und zittert, naß und nackt,
und zuckt am blutig gerissenen Flügel;
tiit berit noch einen Schlag
und dann
                    ——stürzt es ins Licht.

So war auch ich gesargt
in eine dichte Schicht von Lehm und Stein
ein halbes Leben wohl.
Nicht so jedoch, daß tausend Poren
mir eine Lichtbahn wiesen;
nicht so jedoch, daß eine Uhr mir schlagen mußte,
wie sie Natur gestellt dem Küchlein.
Nein! Ungewiß blieb alles
bis zu der Durchbruchsstunde!

                    Es hatten Waser sich gestaut von früh,
(ob es von Tränen war, nach innen tropfenweis' gefallen?)
doch schwollen sie und ließen alle Becken überfließen.
Und wie doch Wasser immer,
wenn es nicht sickert, sondern staut,
sich eines Tags mit Urgewalt
den Weg freimacht
und sei es durch Gestein,


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so unterhöhlte diese Strömung meine Haft
und brach hindurch mit starkem Strahl.
Nun singe ich!
Nun bin ich, was ich bin:
bin eine Quelle!
Sie sprudelt rasch;
sie kühlt den Fuß;
sie tränkt mein Herz,
das fast verdorrt war in der langen Leere;
sie läßt ein Gräslein sprießen;
im Sonnenstrahl spielt sie das alte Wunderspiel,
die Welt in einem Tropfen rund zu spiegeln,
von sieben Farbenbogen satt durchglüht;
sie badet mich, die Quelle
und —
zagend seh ich zu
                    — enteilt zu euch!

Du meine Schickung!
Da du den Quell entspringen und entrinnen hießest,
so helfe mir, daß ihm die Zufuhr ströme
stetig, voll und klar
und müßt ich schöpfend schmelzen
Eis und Schnee dafür in meiner Hand.
O meine Schickung du!
Mag ich nun schweigen oder singen fürder,
mein Schweigen
wie mein Singen
tönt nur Dank.


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IV Im Ring der Liebe


Den Müttern der gefallenen Jüngsten

O klaget nicht, daß es noch Knaben waren!
Dies eben ist ihr Reichtum ja.
Wie war ihr Wesen licht und darum ihr Gedenken!

Mit der Begeistrung unvermischtem Wein;
voll Gläubigkeit in ihres Volkes Auftrag;
der Freundschaft zugetan und heilig eifernd;
viel Frohheit, Trübes zu vertreiben;
sauber ihr Leib, ihr Wort, das Auge hell;
voll Selbstvergessen, hinzugeben für Ideen sich,
von deren Glanze ihre Stirne leuchtet;
ohne Enttäuschung noch und nicht enttäuschend;
Talent noch nicht durch Scheelsucht,
Pflicht nicht durch kalte Nüchternheit verdunkelt,
so gingen sie.

So Knaben ganz im vollen Glanz der Jugend!
So Männer durch der Männer frühe Werke!
So Reife, vom Geschehen ausgeschachtet zu der rechten Tiefe!
So Wissende, vor Leid und Schuld und Tod auf Augennähe
handelnd hingestellt.

und alles dies in einem stolzen Augenblick
der Selbsverschwendung
bereit und frei dahingegeben?
Welch eine Schenkung!
Wir rühmen's nie genug.
Drum hat in Dankbarkeit
ein jedes Volk
die also früh Geopferten geehrt mit Kränzen
und sie in Bildern ausgedeutet,
Erzengeln ähnlich, im Schimmerschein von Schwert und Schild.

Was edle Jugend je ersehnt,
in seinen Besten zu vollenden,
nun ist es nicht mehr Wunsch, Gebet nur, Schwur,
Erzählung aus des Volkes alten Sagen,
nein, ist erfüllt durch sie;
ist große Wirklichkeit wie Meer und Berg.
Als Weiser stehn sie an den Wegen
zu Ehre, Treu und Opferkraft.
In ihrer Rüstung ohne Rost
erglänzen sie wie Fackeln,
daß auch in dunklen Tagen
ihr Volk sich finde zu der rechten Spur.


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Wie klaglos legten sie als Korn sich in die nächste Furche,
vom Kameraden zugedeckt,
der sich am andern Tage in die andre Furche streckt,
und einer noch, und viele mehr, ein ganzes Feld,
randvoll gefüllt mit Saat,
zu keimen und zu fruchten.

Nicht Unvollendete,
da sich die nächsten Ringe
tiefer draus vollenden.

So leisten sie das Große
in ihrem Untergang;
und sind damit des Großen
ewig neuer Aufgang.


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Den Müttern der jungen Gefallenen

Verschleierte ihr
durch der Tränen Geriesel,
dunkelgewandete Mütter!
Behutsam nur nahen wir euch
in den Tagen der Nachricht,
weil kein Band,
das Menschen verknüpfet, ist fester
geflochten als das
von der Mutter zum Kinde.
Zerreißt es,
da dünkt es die Frucht euch noch einmal zu reißen
tief aus der Brust.
Darum treten wir schweigend beiseite,
mitfühlend in Ehrfurcht.

Doch kehren die Tage,
von wann ihr den einwärts gewendeten Blick
wieder ausschickt ins Weite,
die Tröstung zu sehen:
O klagt nicht, daß es Kinder waren!
Dies eben ist ihr Reichtum ja.
Wie war ihr Wesen licht und darum ihr Gedenken!

Mit der Begeistrung unvermischtem Wein;
voll Gläubigkeit in ihres Volkes Auftrag;
der Freundschaft zugetan und heilig eifernd;
viel Frohheit, Trübes zu vertreiben;
sauber ihr Leib, ihr Wort, das Auge hell;
voll Selbstvergessen, hinzugeben sich o
für die Idee, von deren Glanze
ihre Stirne leuchtet;
ohne Enttäuschung noch und nicht enttäuschend;
Talent noch nicht durch Scheelsucht,
Pflicht nicht durch kalte Nüchternheit verdunkelt,
so gingen sie.

So Knaben ganz im vollen Glanz der Jugend!
So Männer durch der Männer frühe Werke!
So Reife, vom Geschehen ausgeschachtet zu der rechten Tiefe!
So Wissende, vor Leid und Schuld und Tod auf Augennähe
handelnd hingestellt.


gausebeck_0048.arpa

Und alles dies in einem stolzen Augenblick
der Selbstverschwendung
bereit und frei dahingegeben ':
Welch eine Schenkung!
Wir rühmens nie genug.
Drum hat in Dankbarkeit
ein jedes Volk
die also früh Geopferten geehrt mit Kränzen
und sie in Bildern ausgedeutet,
Erzengeln ähnlich, im Schimmerschein von Schwert und Schild.

Was edle Jugend je ersehnt,
in seinen Besten zu vollenden,
nun ist es nicht mehr Wunsch, Gebet nur, Schwur,
Erzählung aus des Volkes alten Sagen,
nein, ist erfüllt durch sie;
ist große Wirklichkeit wie Meer und Berg.
Als Weiser stehn sie an den Wegen
zu Ehre, Treu und Opferkraft.
In ihrer Rüstung ohne Rost
erglänzen sie wie Fackeln, ~
daß auch in dunklen Tagen
ihr Volk sich finde zu der rechten Spur.

Wie klaglos legten sie als Korn sich in die nächste Furche,
vom Kameraden zugedeckt,
der sich am andern Tage in die andre Furche streckt,
und einer noch, und viele mehr, ein ganzes Feld,
randvoll gefüllt mit Saat
zu keimen und zu fruchten.

Nicht Unvollendete,
da sich die nächsten Ringe
tiefer draus vollenden.

So leisten sie das Große
in ihrem Untergang;
und sind damit des Großen
ewig neuer Aufgang.


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Wo ihre Söhne ruhn

Alle Mütter würden weite Wege tun,
nackter Zehe und in staubvergrauten Schuhn,
landeten sie dort, wo ihre Söhne ruhn.

Stand am Bache Eine bei dem grauen Steg,
wo die schnellen Wellen wandern, tief gebückt:
"O so eilet! O so findet euren Weg
Fluß und Strom hinab, bis wo er sank, ins Meer!"

           — Neigt sich bald die Welle wie zum Kuß ihm dicht,
           spiegelt sie der Mutter liebendes Gesicht.

Eine streut vom kahlen Berg mit voller Hand
in den weh'nden Westwind Samen, die sie zog:
"Wollet blühend sprießen nah' dem fremden Strand
Grün-Reseden, Rittersporn und Akelei!"

           —Nächsten Sommer schon, bis in die schmale Gruft,
           dringt zum jungen Schläfer heimatlich ihr Duft,

Tritt die Andre aus dem winterwarmen Haus
in das Schneegestöber stille; strecket weil
beide Hände wie zwei offne Schalen aus;
langsam füllt das weiße Wehn sie mit Geflock.

           —Tief drückt sie hinein dann ihren warmen Mund,
           gibt der Sturm doch Botschaft aus dem Osten kund.

Horcht dem Schrei der Wildgans, die zum Nordkap fliegt,
Diese nachts im Traume; folgt vom First dem Storch
südwärts, wo ein Mal im Wüstensande liegt,
eine Andre lange mit dem heißen Blick.

           . — Und es sah und sagt's die Schwalbe, eh' sie weicht,
           wie die Mutter abends oft sein Kissen streicht.

Wandern Vögel jährlich über Alp' und Meer,
weiß ich Mütterherzen, fliegen täglich her.
Wünsche haben Flügel, Schwingen die Gedanken,
decken damit alle Stätten, wo sie sanken;

           —decken sie wie Vögel in dem Nest die Brut
           schlafen nun wie einst in ihres Schoßes Hut.

Denn die Wege, welche Mütter hier noch tun,
auf der Sehnsucht unhörbaren Schuhn,
münden alle, wo die Söhne ruhn.


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in memoriam

Beschämt und unruhvoll steh ich im warmen Glanz des Tageslichtes.
Sind wir so schnell so ungetreu,
wenn einer von den Freunden früher aus der Reihe tritt
und geht dahin und stirbt?
Seit Morgengrauen liegst du still, die Hände neben dich gebreitet;
doch sieh, die Sonne eilt, den Mittagsbogen zu erreichen;
die Blumen wachsen; Bäume lassen ihre Früchte reifen;
die Vögel proben zu der großen Reise;
an unsern Tischen wird das Brot gereicht wie sonst;
die Arbeit hält uns bei der Hand
und alles ist auf Zukunft hingerichtet.
Du aber gleitest fort, so daß mit jedem Schritt
wir zwei von dir uns zu entfernen scheinen.

Ruhig und ausgeglichen steh' ich nach langer Nacht
des Sinnens unter ihrem blauenden Gewölbe,
darin die goldenen Laternen gegen Morgen matter schimmern.
Auch hier schien nicht ein Weggenosse dem anderen zu warten.
Der "Abendstern" erglänzte früh und zog die ganze Macht,
noch seh' ich ihn dort durch die Ulme schimmern;
"der große Wagen" aber glitt schon bald zum Horizont hinab;
auch ging die "Kassiopeia" nur eine kurze Strecke
schräg durch meinen Blick. und dennoch nein!
Nur unserm kleinen Schaukreis scheint es so,
den sie verschieden weit durchqueren.
In Wahrheit ziehn die Sterne allesamt
um ihre ferne Mittelsonne hin.
So gehn auch wir den gleichen Gang,
die nur für kurze Zeit entliehne Fackel
zurückzutragen in das große Licht.


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Werbung
 
(1914)

Auf den ausgespannten Seilen vieler
süßer Fragen eurer Werbung
wiegte sich der Freundinnen Kreis
wie auf Schaukeln,
die hoch ins Blaue schweigen.

Du aber warest karg im Wort
und hast die Stufe übersprungen
als wir abschiednehmend
an der grauen Reihe der Soldaten standen,
verstummt in Trauer.
Ich gebe kein Versprechen
und fordre keins, bis ich zurück",
stieß es fast rauh heraus;
"nur einer Frage Antwort
gib mir mit, wenn du es magst.
Gehst du mit mir durch dick und dünn?"
Befehle fielen! Die Reihen formten sich,
eh ich die Antwort gab.
So Mund auf Mund und Blick in Blick
besiegelt es: "Ich gehe mit durch dick und dünn!"

Vier Schritte nebenher noch,
dann riß der Hände Brücke,
mein Aug' verschleiert sich,
und harte Stiefel hör ich trappen:

           durch dick und dünn,
                    und dick und dünn.

Nun schaun wir rückwärts schon
in unser Leben
wie in einen Brunnen.
Manchmal aber,
wenn wir uns darüber beugen,
kriecht uns ein leises Grauen an
vor Kälte, Dunkelheit,
Geheimnis und Gefahr,
die alle tiefen Brunnen bergen
auf ihrem Grund,
denn selbst die Sonne und die Sterne
zittern leise ja,
wenn sie sich senken
in sein Rund.


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Doch auf des Brunnens Brüstung
fassen zwei Hände sich;
es spricht ein Mund:
"O daß du gingst mit mir durch dick und dünn!
und unsre Augen sehn,
wie unser beider Bild zurückgespiegelt wird
in eins verschmolzen.


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Ehe

Wartet deine Hand auf
meinem Kissen Liebster, wieder,
mein Gesicht darin zu betten?
—Süße Tröstung vor der Nacht.

Hält mich deine Hand noch,
wenn ich schlafgestärkt erwache,
— süßre Tröstung vor dem Tage,
vor dem immer neuen
Anbeginn der Liebe.


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Ehezyklus [1-7]


3. Deine Stimme

Sieh, zu Jahren dehnte sich das Jahr der Trennung.

                    Drum als deine Stimme früh am
                    Tore mächtig scholl wie eine
                    Glocke, o wie schlug der Klöppel
                    meines Herzens schwer.
Nun schlagen die Glocken zusammen
in rascherem Gang.

Sieh, zur Trauer ward das Jahr der Trennung.

                    Doch als mit der Kinder süßen
                    Stimmen heut' im Hause sich die
                    deine mischte, sang ich. Ach, wie
                    lange sang ich nicht.
Nun klingen die Lieder zusammen
zu froherem Klang.

Sieh, zur Sehnsucht ward das Jahr der Trennung.

                    Sprichst nun nächtig nah und innig:
                    Wellen überwehn das Herz mir,
                    wie der Teich im Obsthof zittert
                    von der Blüte Blatt.
Es kreisen die Kringe zusammen;
nicht mehr ist mir bang.


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Ehezyklus [1-7]


5. Zwiesprache

Wenn die Männer fern in Waffen rücken,
schlägt die Liebe länderweite Brücken,
nach dem Zeichen suchend, das sie binde
zu der Herzen tröstend Zwiegespräch.

Lachend griff er bei der Trennung aus der
Flechte einen goldnen Faden; wand ihn
ernster um den Zierratknopf am Aermel:
"Deckt ihn meine Hand am Abend, sei's, als
streiche sie dir sacht das Haar.
Sieh! Solch schwanke Leiter trägt den Fuß zu ihr!

Vor der Kammer unsrer Kinder grünt im
zartesten Geblätter nun die Birke.
Darum, wenn dir vor dem Graben fern im
Mondlicht ihre Silberzweige zittern,
glaub', du sähest sie im Schlaf.
Durch ihr grünes Gitter führt der Weg zu dir.

Weiß der Siebenstern, was wir zu denken
uns gelobt, wenn wir ihn suchen vor der
Nacht, weil er so leuchtet? Sieben goldne
Fäden spannt er — eine goldne Sternen-
Harfe —durch die dunklen Räume; darin
weht der Wind ein Lied von dir zu mir.

Wenn die Männer fern in Waffen rücken,
schlägt die Liebe länderweite Brücken
bis die Herzen stürmisch schlagen nah an nah.
—Ach! — Und du bist wieder da!


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Ehezyklus [1-7]


7. Stufungen der Liebe

War's so, daß wir zwei Wurzelstöcken gleich auf

                    kargem Boden kümmerten, bis eins im
                    andern seinen Gärtner fand, der mit den
                    Händen gutes Erdreich trug und dann —
ergrünten sie ?

Bist du mein Brunnen, der mir unversiegbar

                    stillt den Durst? Bin Brunnen ich, der dir die
                    Labsal spendet, daß im Wechsel tränken
                    wir und trinken uns, so Dürstende
und Quell zugleich?

Bin ich die Nuß, die in der braunen Schale

                    wächst und du der Sommer, strahlend so, bis
                    lichter wird das Holz, durchscheinend fast und
                    runder drin und reif ein süßer Kern,
der Würze voll?

Sind wir zwei eng gepflanzte Bäume wohl, die

                    ihre Wurzeln fest verknotend, fester
                    in den Stämmen steigend, auch die Kronen
                    flechten, bis die Früchte fallen in
die Erntehand?

Bist du ein Schiff und ich des Hafens stille

                    Bucht, von Stürmen auszuruhn? Bist du der
                    Hafen, ich das Schiff, das seiner Frachten
                    aufgestaute Güter froh in dir
nun löschen kann?

Bist du die Sonne, ich ein Stern, im Schwung dich

                    zu umkreisen Jahr um Jahr? Bin ich die
                    Sonne voller Glut und Sternbild du, das
                    Licht zu leihen von des Andern Strahl?
Wir schaun uns an! —


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Zwei Sterne ziehn wir in dem großen Ringe.
                    — So liebend, wie geliebt —
bricht Licht, das wir empfahn, durch unsre Hüllen,
da im Gesetz der Bahn wir uns erfüllen.
                    — So liebend, wie geliebt —
geschieht es uns, wie Früchte mählich reifen,
einander tief und tiefer zu begreifen.
                    — So liebend, wie geliebt —
gelingt aus innrem Rufen,
stetig uns höher aufzustufen.


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V. Im Ring des Menschenlebens


Stille

Tief in Stille ruht der Mittag, da die
Sonne heimlich hundertfältig mehrt das
Korn und taucht die Weizenfelder
alle in ihr eignes Gold.

Stille füllt die Gründe, wenn des Mondes
Zauberscheide in die Schale dieses
Tales, in die aufgehaltnen
Hände seiner Bäume tropft.

Stille faßt das junge liebend Herz, dem
erstes Ahnen bringt, daß Trennung aller
Nähe Ausgang ist und Leid der
Lust begleitende Musik.

Stille werden wir und schweigend vor der
Orgel Klanggewalten, vor des Meißels
Bild, der Räume wohlgewognen
Maßen und der Worte Kraft.

Stille gibt der Reife Süße, wird zur
Fülle und aus ihrem angestauten
Überflusse bricht entriegelnd
jähe sich das Werk, die Tat.

O, so laß die Stille in mich dringen
und beschwingen zur Gedanken-Saat!
O, so laß die Stille mich ausweiten
und bereiten für das letzte große
Stillesein, das unser Teil.


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Knoten im Halm

Schmähe sie nicht, deine Schmerzen,
die wie Knoten sind
im Halm deiner Schaftbahn,
denn schau, nur die stark geknoteten Halme
halten die Aehren den Winden entgegen,
bis sie befruchtet sich neigen.
Nur die stark geknoteten Halme
trotzen den Stürmen des Sommers
und heben die silbern befiederten Aehren
ins Licht, bis sie golden
und reif für den Schnitter.
Darum schmähe sie nicht, deine Leiden:
Sind es doch Reifestufen
auf dem Wege zur Mahd.


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Schalengleiche

Nennst du die Sonne grausam, weil sie grell
hinglänzt auf unsern Gram? und anteillos
den Mond, ausleuchtend unermeßnes Leid

der Menschen rings und deins? Glühn Sterne Hohn
auf Trümmerfelder, stolzes Steinwerk einst,
das Völker schufen in Begnadigung?

Begrenzt ist Leid! Doch die Gestirne gehn
weit über Menschen Maß und Zeit hinaus.
Es kehret Dauer nicht sich an Vergänglichkeit,

Schmerzt dich die Blume, prangend auf dem Schutt?
Tun dir der Vögel neue Nester weh
in brandgen Mauern, draus der Mensch entirrt?

Sieh! Beides, Tag wie Nacht, Dunkel wie Licht,
Zerstörung wie die Schönheit, hält die Welt
auf blanker Wage schalengleich verteilt.

Drum wird das Leben in den Tod eingehn.
und möchtest du vor dem Geschick bestehn,
mußt beides du zugleich, wenn auch durch Schleier sehn!


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Das Schicksal geht um

Daß Augen uns nachspähn, die wir nicht gesehen,
daß Herzschläge stocken, die wir so geschrecket,
oft fühlt ich es jähe und fast dünkt's gespenstisch.
In taubblinder Angst hetzt der Hase von hinnen;
das Rehwild erbangt; selbst der Hirsch birgt sich furchtvoll.

Sie hören die Tritte, nicht witternd noch, ob es
ein Jäger, der tückisch Verderben geschultert;
ob Liebende lachend; beim Räuberspiel Kinder
mit Lärmen nur oder auf klappernden Brettern
ein Argloser, stiebend zu Tal durch die Schneise.

Sag, hast nicht auch du so bisweilen gestanden
wie Rehe in Fürchten? Es wehte wohl hinter
dir kühler ein Atem? Du spürtest durch Wände
und Dunkel: ein Schritt klang. Vorbei geht das Schicksal!
Doch wo nur verhält sein zertretender Fuß? Trifft

das fallende Feuer? Schlägt eben — ach ferne —
die bittere Wunde den Sohn, den Geliebten
dir oder rührt einer, der beinern hier umgeht,
den Laden am Fenster schon an und er lüftet
die Sense? So horchet! Ich höre es treten!

Die Hinde duckt tiefer sich in das Gedick und
zur Mitternacht plötzlich schlägt jacher das Herz dir.
Es rücket wohl näher! Dort zielt schon ein Jäger!
Nun strafft er den Bogen und — trifft.


gausebeck_0062.arpa


Leid

Leid ist zuerst der wilde Wehschrei nur;
das jähe Bäumen des zerschnittnen Wurms;
ist die gerungne Hand; gefangnes Tier,
das unaufhörlich vor dem Gitter rennt;
die ewig blinde Frage: "Warum mir?

                    O schweig! Ich weiß. Leiden ist hart
                    und schwer. Doch Leid ist mehr!

Leid ist der Mühlenstein auf einer Brust;
der langen Wartenächte Stundenschlag;
das nasse Nebeltuch, das alle Sicht
rundum verhängt; ist die im Hagelschlag
grad vor dem Ernteglück zerfetzte Frucht.

                    O schweig! Ich weiß. Leiden ist hart
                    und schwer. Doch Leid ist mehr!

Leid ist ein Schleifstein, der die Sensen schärft;
ein Scheidefeuer, das die Schlacken trennt;
das Bitterkraut, darin der Heilsaft rinnt;
ein Worfeltuch, das Spelzen schleudernd wirft,
die schweren Körner aber sammelnd hält

                    Ich weiß — Leiden ist hart und schwer.
                    Doch höre! Leid ist mehr!

Leid ist ein Lot und mißt die Tiefen aus;
ein Schiff im Sturm, das Ballast wirft von Bord:
für falsche Freunde ist's das Schüttelsieb.
Es gibt der Klärung Ruhe und das Maß,
den steten Atem der Gelassenheit.

Ins Antlitz ritzt es scharfe Runen ein,
daran man die Beladenen erkennt.
Drum schlägt Leid Brücken zu der andern Gram;
es quillt der Trost für fremde Kümmernis
aus feiner Fühlung wachen Tastensinns,

So wandelt Leiden denn in Segnung sich,
Vom steilen Anstieg nimmt's den weitren Blick;
aus langer Einsamkeit die tiefre Schau,
und schenkt den Seinen jenen schmalen Reif,
der Hoheit von entwölkten Stirnen strahlt.


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Freude

Du kommst so schwebend, wie der Orgel Ton, der um die
Säulen fließt und senkst dich doch und füllst mit Inbrunst
ganz, wie ihrer Pfeifen Vielfalt jubeltönig
quillt, ihr dunkler Wundermund Gott rufend machtvoll
im Gewölbe schwillt.

Du fliehst wie Wolken vor dem Wind und kehrst wie sie, die
früh der Sonn' opalner Knospenschoß, drauf schneeweiß
segelnd durch den Mittag wehn; die Rosen säend
ziehn im Abendraum und licht den Mond umflockend
wie dein Traumbild stehn.

Und wechselnd bist du so, wie in der Wiege eines
Kindes Lächeln leichthin blüht und übersprüht von
Tränen löschet und verweilest so, wie dieses
Lächelns Leuchte auf geneigtem Mütterantlitz
spiegelnd steigt und ruht.

Du wiegest so gering, wie unsrer kargen Hände
schmale Gaben, die im Alltag Liebe sich und
Freundschaft reichen; doch so schwer, wie ihre leichte
Fracht der Kummerstunden tiefgesunkne Schalen
hebt ins Gleichgewicht.

So kurz bist du, wie wohl der Augenblick, darin die
Liebe trifft mit ihrem Brand; so kurz, wie jene
Stunde, da sie band; und dauerst so, wie ihres
Glücks Bewährung eines Lebens weite Schale
füllet bis zum Rand.

In Dunkel hüllst du dich, solang' Gesetz dem Forschen
nicht sich löst aus Rätseln; bleibst fern wie Form, eh'
die Gestalt sie zwingt. Doch heller scheinest du! Und
segnest den, der denkend zur Erkenntnis dringt, wie's
nur der Geist vermag.

Auch hungert dich! Gebrauchst mein Herz als nährend Brot.
Und doch! Wie speisest du! Verdrängst den grauen Tod.
Bewegend strömt es dir von innen. Wirkend fließest
du von außen. — O wunderreichen Kreislaufs Macht,
der den Beschenkten erst zum Geber macht!


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Vier Gedichte von der Einsamkeit


I

Wie Schnee vom Gipfel sinket stufenweise
auf nackten Fels, der Wälder grünen Saal,
die Siedlung trennt, unwegsam jede Schneise
begräbt und kalt ein froh gesellig Tal;

wie nasser Nebel sich in zäher Welle
heranwälzt näher, nichtend Sicht und Helle,
bis lautlos er verhockt vor deiner Schwelle;

wie Nacht umfaßt all lichte Zeit,
so greift nach dir die Einsamkeit,

hängt Gewicht sich an Gewicht.


II

Der Liebe eigenes Versäumnis; Schuld
des Unbedachten; was sie dess' entbehrten,
leiht deiner Not nun flüchtig nur Geduld.
Wo blieben dir Gespielen? Wo Gefährten?

Geschlossne Tür: aus Bitte wird Beschämungen
Gebrochnes Wort: der Glaube stickt in Grämung!
Ach, war dir Gott im Glücke nur Verbrämungen?

Nun will auch er sich dir nicht neigen,
wo Brüder sich als Feind bezeigen,

Du verstummst vor dem Gericht.


III

Zerreißt so rasch des Ruhmes Flatterband
wie Spinnenwebe? Name tritt vor deinen.
Gewähr und Ehrung rinnen in den Sand
und ein Gerippe bleibt von leerem Scheinen.

Der Gaben Gnade hebet aus den Reihn.
Du stufst dich fort, wenn du zu höh'rem Sein
dich wandelst, Sicht der Tiefe stellt allein.

Auch was du liebend reich besessen,
dir hoffend selbst noch zugemessen,

gleitet still in den Verzicht.


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IV

Das Außere fällt, damit das Wesen scheine.
Was nichtig, rückt ins Maß, Ganz abgespult
und tief am Grund der Anker hält das Eine,
dafür dich früh'res Lösen lang geschult:

die unt're Wirklichkeit gelassen sehn;
durch viele Einsamkeiten schweigend gehn,
die Letzte, Große, furchtlos zu bestehn.

Zum Stein nicht soll das Herz, nein, zum Kristall
sich härten ganz, darin das weite All

wiederspiegelnd steigt ins Licht.


gausebeck_0066.arpa


Im Knettrog

Im Knettrog liegt des Menschen Herz,
wenn es gewalkt wird vom Schicksal
wie der Brotteig der Bäuerin,
den sie knetet und wirft,
stehn läßt über Nacht
mit dem bitteren Sauerteig
und abermals knetet und walkt
und schneidet und formt
mit knöchernen Händen
in schweißsaurer Arbeit,
eh' sie in den Ofen ihn schiebt
zwischen glühheiße Steine,
daß er gar wird auf Asche.

Ihr aber, die ihr die Bilder hier
wie Scheiben Brotes nehmt,
mundlich euch zugeschnitten,
vergessen dürft ihr,
wie hart ein Herz geknetet wird zuvor im Troge,
auf glühende Steine gelegt in den Ofen
rund iim sich Asche,
ehdenn ein Brot es in der Schale reicht,
das würzig euch schmecke
und kräftig euch nähre.
Denn die Schale —

                    ist Waage zugleich auch und Maß.