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HANS WAHL Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz

MORGARTEN-VERLAG ZÜRICH

CONZETT & HUBER



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BUCHSCHMUCK VON URSULA BAVIER UND LISEL MUHR

ALLE RECHTE VORBEHALTEN. DRUCK: CONZETT & HUBER. ZÜRICH

COPYRIGHT 1944 BY MORGARTEN-VERLAG. PRINTED IN SWITZERLAND



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Von galgenvögeln, item wie den Schaffhausern ins hengken gepfuschet wird

Über Schaffhausen kochte der Sommerhimmel. In den leeren Straßen der Stadt paarten sich Sonne und Schatten. Einsam plauderten die Brunnen.

Um die vierte Nachmittagsstunde schlug ein fernes Glöcklein jammernd an: Zwei Armsünder wurden zum Galgen gebracht. Voraus rannte ein Rudel barfüßiger Lausbuben aus der Ampelngasse. Dann erschien Martin Ziegenspeck, der Züsler genannt. Er wandelte so bedächtig dahin, daß ihn die Wächter in die Seite stießen, wie ein Kindlein, das nicht weiter will. Der Züsler scheute nicht etwa vor dem luftigen Tod, olala: er hatte immer gewußt, daß ihn am End des Seilers hänfernes Töchterlein umhälsen würde. Aber seine eitle Seele hatte ein ansehnlicheres letztes Geleit erhofft, mit ehrbaren Stadtbürgern, erschauernden Jumpfern, rätschenden Weibsbildern und viel gaffendem Landvolk. Jetzt schielte er verdrossen nach den Erkerfenstern, wo nur selten ein Menschengesicht aus dem Stubendunkel tauchte. Es war zu heiß.

Hinter dem Züsler ritt Reichsvogt Dietegen Ringk. Er nickte schläfrig mit dem Haupt und sein Gaul auch. Der



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eine träumte von der kühlen Amtsstube und den Aktenbündeln auf dem Tisch, der andere vom dämmrigen Stall und dem Heu in der Krippe, und beiden saß noch immer das eintönige Sumsen der Fliegen im Ohr. Nebenher trabten die Herrendiener und Überreiter, der großen Sitze wegen ohne Brustharnisch und die gleißenden Eisenkappen tief im Nacken.

In weitem Abstand folgte der zweite Delinquent, Bartle Munitäsch. Er schritt so mächtig aus, als die krummen Beine vermochten, denn er schämte sich. Ihm zur Seite schnaufte empört der dicke Pfarrer Vyt. Bartle Munitäsch entstammte einem alten, aber verarmten Geschlecht . Er war als halbwüchsige Waise mit einem Schaffhauser Fähnlein nach Frankreich gefahren, im Glufenstädtlein Nantua zwischen Genf und Lyon lang siech gelegen, wunderbarlich dem schwarzen Tod entronnen, schließlich über die verschneiten Alpenpässe zurückgekehrt und verrucht und verlottert durchs Land gesteißt. Als er in der Heimatstadt gestohlene Rüben für zaubrische Alräunchen verkaufen wollte, hatte ihn die Scharwache aufgegriffen, und nun sollte er hängen.

Eine so schimpfliche Strafe war sonst nicht gebräuchlich; aber die hohe Obrigkeit hatte bedacht: primum, daß ein verluderter Landsknecht noch viel schlimmere Streiche verüben könnte, sekunda, daß der morsche Doppelgalgen die einseitige Belastung durch den Züsler kaum ertrage und schließlich, daß Henken billiger zu stehen komme als das übliche Köpfen.



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Die erbärmliche Prozession war inzwischen beim Stadttor angelangt. Es tat sich murrend auf, und in die Wölbung hinein brandeten die blühenden Sommerwiesen. Der Weg wand sich langsam bergan. Martin Ziegenspeck hatte alle Hoffnungen auf eine glanzvolle Hinrichtung begraben und verdoppelte seine Schritte. Junkher Ringk trieb ebenfalls zur Eile an. Er schaute besorgt nach der aufgehenden Himmelsweite, wo über den Waldhängen sich schimmernde Wolkenböcke aufbäumten und in die blaue Einsamkeit türmten. Ein Gewitter war im Anmarsch.

Das Züglein hatte die Höhe erklommen, und der Galgen breitete bedrohlich seine altersschwarzen Arme aus. Hier oben war das Sterben schwer. Die Wiesen wogten so feierlich hinab zum strömenden Wasser und jenseits wieder hinan zu den Waldkuppen. Sie lagen nun im Schatten eines gewaltigen Wolkenhauptes, das sich ins Dunkel gewendet hatte und von der verborgenen Sonne nur am Rand erhellt war, gleich einem Heiligenschein. In der Ferne aber leuchtete die Hügellandschaft immer noch in unirdischem Glanz.

Junkher Ringk sprang vom schweißnassen Gaul. Die übrigen Pferde wollten sich ebenfalls ihrer Last entledigen, tänzelten unruhig auf und ab und schnaubten in die gewitterschwangere Luft. Der Reichsvogt gebot den Buben Ruhe, ließ die Reitknechte einen Ring um den abgemähten Platz schließen, trat mit den beiden Malefikanten in die Mitte und verlas die Urteilsformel...



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"und in der erd entfrömde und dem lufft empfelhe und an den Galgen zu tod erhengke". Pfarrer Vyt murmelte das letzte Gebet, eintönig und würdelos, denn er litt entsetzlich unter der Schwüle dieses Sommernachmittages. Dann wurde den Sündern der Strick um den Hals gelegt. Der Züsler spuckte einen Fluch ins Gras. Bartle Munitäsch aber schaute gebannt über das erlöschende Land. In der Stille hörte er ganz nahe den Rheinfall tosen. Oder war's sein eigen Blut, das schäumend durch verschüttete Adern schoß?...

Die Gehängten hatten verzappelt. Reichsvogt Ringk warf sich aufs Pferd, grüßte den Scharfrichter mit erhobener Hand und sprengte inmitten seiner Eskorte talwärts zur Stadt hinab.

Es war völlig dunkel geworden. Der erste Windstoß kräuselte die Wiesen. Dann zerbarst der Himmel jäh. Durch die Risse flammte eine andere Welt. Der Sturm ritt erst mit schleifenden Zügeln über das Land. Jauchzend schwang er die Hagelpeitsche, hieb in die geduckten Fruchtfelder und nach dem fliehenden Volk.

"Und zu Schaffhausen und da herumb war ein überaus ungestümes Wätter mit donder, plitzg und hagel. Es fielen stein wie Oemli und Kriese. In Jacoben Wisers haus jenseit Rheins schluge die kalte stral, traf beide fürst, zerspielt die eck bis auf den boden, schmelzte löcher in die küpferne Kesse und ährine häfen, warf die fenster in den Hof, zertrennte den ofen und fuhr endlich unter dem Kuchebrätt durchs gewelb in den Keller.



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Jacob samt Felixen seinem sohn saßen beim tisch in der Stuben, geschahe ihnen nichts. Es brannte nichts im ganzen haus als ein alter Kuchelumpen."

Der Blitz züngelte aber auch zum Galgen, zerspliss den Stamm und warf die beiden Gehenkten wie reife Früchte ins Gras. Und welch miraculum: Bartle Munitäsch tat einen seufzenden Schnauf und öffnete die Augen. Er schaute lange sinnverloren in das feuerzuckende Firmament. Dann wandte er stöhnend den Kopf ab. Doch jetzt sah er zu Häupten den lohenden Galgenstrunk, und jenseits schwebte tief unten ein fremdartiges Städtchen im Schwefelschein. Da vermeinte Bartle, er sei in der Hölle angelangt, und versank wieder in Bewusstlosigkeit. .

Das Gewitter vergrollte allmählich. Nur noch ab und zu ließ die himmlische Artillerie aus der Ferne einen Schuß herüberbullern. Der Regen rauschte friedlich nieder, rieselte über das bärtige Gesicht des ohnmächtigen Sünders, rann in das Totenhemd und fröhlich glucksend wieder heraus. Das erweckte Bartle zum andern Mal. Er richtete sich auf und erkannte durch stiebende Regenschwaden den Schattenriß der Heimatstadt. Im Gras nebenan streckte sich Martin Ziegenspeck als stiller Nachbar, steif wie ein Stück Holz. Bartle spürte den Strick am Hals brennen, das Grauen lief ihm spinnenbeinig über den Rücken, er erhob sich mit schlotternden Knien und wankte zum Wald hin, um sich unter den träufenden Bäumen zu bergen.



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Unter einer mächtigen Tanne saß aber beim Zobig. Es war vom Unwetter und hatte mit einem Zicklein hier Zuflucht Der Landmann wollte warten, bis der dann zur Stadt hinunterwandern für ein paar harte Batzen dem Metzger Inzwischen hatte er den Schnappsack um sich an Wein, Speck und Brot brach der Bartle durch die Büsche. Das in der Galgenfratze die flackernden Augen umflattert vom fahlen er im düstern Zwielicht wie ein Und als Bartle tastend die Hände vermeinte das Bäuerlein, er wolle ihm fahren und das Genick umdrehen. Es hoch, jagte in wilden Sätzen zum Wald Hang hinab und lief um sein liebes Leben. ihm verwundert nach, dann schüttelte ihn Lachen ob den tollen Bocksprüngen, und setzen. Gierig machte er sich über den Schnappsack her, hielt sich aber fürnehmlich sauren Landwein, der so herrlich kühl wieder die Stadt würden die diesmal ging es Bartle beendete und schritt ein Bäuerlein überrascht worden gefunden. Regen nachlasse, und die Geiß Spleiß verkaufen. ausgepackt, zu letzen. Da Haar gesträubt, eines Auferstandenen, Totenhemd, erschien leibhaftiges Gespenst. streckte, da an den Hals fuhr kreischend hinaus, den Bartle sah ein rauhes er mußte sich verlassenen an den durch die geschundene Gurgel floß. Doch würgte ihn die Angst. Das fliehende Bäuerlein hatte wohl erreicht und sein Abenteuer erzählt. Nun Häscher aus dem Tore schwärmen, und endgültig um den lebendigen Schnauf. sein Mahl, faßte das Zicklein am Strick



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hastig davon, einen knorrigen Waldweg entlang, immer stromabwärts. Auf kurze Zeit brach die Sonne durch das Gewölk. Das tropfnasse Gebüsch begann zu funkeln und der Boden zu dampfen. Bartle ließ sich auf einem gestürzten Stamm nieder, um sich zu wärmen. Bald aber trieb ihn die Furcht weiter, durch dick und dünn, mit der widerspenstigen Geiß hintennach, welche sich schleifen ließ wie ein Schlitten.

Der Flüchtige hätte getrost verweilen dürfen. Die erschröckliche Mär des Bäuerleins hatte zwar geschwind wie ein Zunderfunke die Runde gemacht, und die Schaffhauser waren einmütig nach dem Galgenbuck gepilgert. Dort bestaunten sie den verkohlten Galgen mit dem gefällten Ziegenspeck und beratschlagten, ob dem andern armen Schelm nachzustellen sei. Sie gerieten darob in eine hitzige Disputation. Aber auf einmal trat die Sonne aus dem Himmelstor, und "sie war mit einem ring gleich einem Rägenbogen umgeben; darinnen stund ein hälles Creuz, welches mitten durch die sonnen ginge". Nun erkannten die weisen Stadtväter, daß es mit der Errettung des Bartle seine wunderbarliche Bewandtnuß habe. Sie beschlossen, den Gehenkten laufen lassen, wohin er wolle. Alsdann begann ein fröliches Festen auf feuchtem Wiesenplan, an dem alle teilhatten; nur der leichenstarre Ziegenspeck schmollte einsam und vergessen unter einem wilden Holderstrauch.

Beim Einnachten gelangte Bartle Munitäsch in ein stilles Waldtal. Es war auf der einen Seite durch eine



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gespenstisch schimmernde Felswand begrenzt, auf der andern öffnete es sich gegen den Rhein hin. Im Wiesengrund murmelte ein verlorener Bach. Das Zicklein wollte nimmer weiter und legte sich störrisch nieder. Bartle bedachte, es sei gut, hier die Nacht zu verbringen, warf sich unter einem Baum ebenfalls ins Gras, hing seinen verworrenen Gedanken nach und sah dem Sternenvolk zu, das sich sachte auf und nieder wiegte, im windbewegten, nächtlichen Geäst.


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Hier wird mit fleiß von drey unheyligen erzelt, einem hellischen, geistlichen und gemainen

Bartle erwachte, von der Morgenfrühe angehaucht, und sah sich verwundert um. Das Tal lag zwischen Traum und Tag. Die Nebelspinne hatte über die Gräserspitzen ein schwankes Netz gebreitet; im schlafdunklen Wald regten sich die Vögel, und am blassen Frühhimmel verflackerte ein letzter, großer Stern.

Bartle erhob sich fröstelnd, schritt steifbeinig durch die übertaute Wiese zum Rhein hinab, wusch sich im frischen Wasser und scheuchte dabei ein schimpfendes Entenpaar in die rauchende Strömung hinaus. Alsdann verzehrte er die Resten aus dem Vespersack und begann die Umgebung auszuforschen.

Hinten im Tal, am Fuß der Felswand, entdeckte Bartle eine Höhle. Sie war ganz mit Brombeerranken überhangen und hatte wohl vor langer Zeit einem braven Einsiedel als Klause gedient. Von hier aus stieg ein verwitterter Pfad in einer Steinfalte bis zur höchsten Kanzel hinauf. Oben stieß der Abenteurer auf eine Kapelle. Sie war aus unbehauenen Baumstämmen zurechtgezimmert, nun halb zerfallen und vom Wald überrauscht. Mitten im Kirchlein hatten die Ameisen



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ein knisterndes Nest gebaut. Der Blick schweifte von da aus frei übers Land, über den glänzenden Fluß und die Waldzüge hinweg bis zum fernen Morgenrauch der Dörfer und Gehöfte. Bartle ward es wohl und weit, die Luft schien ihm besonders rein und der Himmel so wundersam nah. Er dachte an ein gottgefälliges Leben und an die ewige Seligkeit. Aber als er wieder im Tal unten war, da plagten ihn die Gelüste dieser Welt. Er schürzte sein Totenhemd und stieg in den Bach, um nach den Schattenfischen zu grapsen, die leise überm sonnenhellen Kieselgrund schwänzelten.

Um diese Stunde betrat ein "feistes, mit guten Bißlein wohlausgemästetes Pfäfflein"die Wiesenmulde. Es kam aus dem Schwarzwald, war auf einer Bußfahrt zum Bischof von Konstanz begriffen und hatte sich hügelauf, hügelab verlaufen. Der verirrte Pilger war nun froh, in der verlorenen Gegend eine Menschenseele anzutreffen. Er hielt aber den fischenden Bartle für einen Eremiten und gedachte listig, die Gelegenheit zu nutzen, um durch eine Beichte das verrußte Gewissen auszufegen, ehe er vor dem gestrengen Herrn in Konstanz stünde. Bartle war über das Begehren baß erstaunt; doch wollte er lieber für einen frommen Waldbruder gelten als für einen entwichenen Galgenvogel, und so gab er guten Bescheid. Er beschloß indes, dem Pfaffen in der einsamen Kapelle oben eins über den Kahlkopf zu hauen, daß ihm das Sündigen für immer vergehe, ihn dann auszuplündern und selber als Geistlicher durchs Land fahren.



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So schritten sie selbander zum Kirchlein hinauf, Bartle einen Kieselbollen in der Faust, der Pfarrer mit hinterhältigem Sinn, zwei hartgesottene Kerle ohne Reu und Güte.

Aber im geweihten Raum der Kapelle wehete ihnen über alle Zeiten hinweg der fromme Geist des längst vollendeten Einsiedels entgegen -alte Gebäude sind oft erfüllt vom Wesen der frühern Bewohner, wie Wäschespinde vom leisen Duft der lavandula ——, und es ward den Sündern Einsicht gegeben, daß sie das Torenspiel ihres Lebens erkannten bis in die letzte Tiefe. Sie brachen in die Knie; es überkam sie eine große Herzensnot, und sie begannen inbrünstig zu beten, daß "inen der schwaiß in bächlein lieffe".

Die beiden Reueknochen hatten sich jedoch mitten in die Bahnen der Waldameisen gesetzt, und die erbosten Tierlein rannten nun an den Störefrieden närrisch auf und ab und zwackten sie mit grimmiger Gewalt. Bartle und der Pfarrherr rückten wohl seufzend hin und her; aber sie achteten in ihrer Betrübnis nicht, wo die Höllenpein herkäme, und vermeinten, es seien des Gewissens brennende Bisse.

Als die Widersacher nicht weichen wollten, trugen die Ameisen Hölzlein und Tannadeln herbei und bauten um die beiden Menschen eine vollkommene Hülle, daß sie wie in einem Backofen saßen. Doch die Büßer fuhren fort mit Bekennen, Bereuen und Beten da ließen die Tierlein von ihnen ab.



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Zu jener Zeit begab sich das böse Prinzip auf eine Erdenreise. Es fuhr an einem Kreuzweg aus dem Boden, drehte sich eine Weile als weißer Wirbelwind im Kreise, denn der Ewigunruhvolle kann nie stille stehn, tänzelte hierauf einen Wiesenweg entlang und warf im Vorbeiwehn einem Bauern die Kappe vom Kopf, daß jener lästerlich fluchte. Der tüchtige Herr der Verdammten läßt nämlich kein Geschäftlein aus. Auf einmal stieg ihm aber der Brandgeruch der beiden Höllenbraten, welche im Kirchlein oben am Feuer der Reue schmorten, in die Nüstern; er schnupperte wie ein Hatzhund, wandelte sich aus einem zierlichen Bodenkreisel zu einem riesigen Staubwirbel, wuchs bis in die Wolken empor und sprang dann in weiten Sätzen querfeldein und über die Wälder weg, daß sich die Wipfel unter den wuchtigen Tritten stöhnend beugten.

Der Meister aller schwarzen Künste wagte sich indessen nicht in die Felsenkapelle hinein, weil es scharf nach verhaßtem Heiligen schweiß roch. Er streckte deshalb nur die Pfote durch das Fensterloch und griff in den Ameisenstock. Doch die Tierlein bissen ihn erbärmlich in die gelbe Klaue, daß er sie heulend zurückzog. Jetzt versuchte der Gottseibeiuns die beiden Büßer durch allerhand erschröckliche Erscheinungen aus dem Bau zu scheuchen. Zuerst trollte er johlend um das Kirchlein herum und rüttelte am morschen Gebälk, bis das Glöcklein klirrend herunterstürzte. Hierauf begann ein unterirdisches Kegelspiel, daß es dumpf heraufrumpelte und



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die Erde schütterte. Nachher schmiß der böse Herr eine Handvoll prasselnder Hagelkiesel in die Kapelle hinein. Als auch das nichts nutzte, schüttelte er einen großen grauen Wolkensack aus; es schneite vier Wochen lang. Doch die Büßer verharrten eifrig im Gebet. Nun riß dem Unseligen, den du nicht berufen sollst, sonst hat er dich am Kragen, endgültig die Geduld. Er lüpfte das Bocksbein gegen die Kirchwand, wie es Hunde tun, pfiff gellend durch zwei Krallen, und dann zischte er weißglühend in einen Felsenschrund.

Als die Zeit vollendet war, krochen Bartle und der Pfarrer aus dem Bau, mager und struppig, frischgeschloffenen Hähnchen gleich. Sie lasen sich liebevoll die Ameisen aus den Gewandfalten und schritten bei sinkender Sonne in den Talgrund hinab, dessen Tiefe sich schon mit den durchsichtigen Dämmerschatten eines späten Sommerabends füllte. Unten meckerte ihnen freudig die Geiß entgegen. Aber siehe, aus dem Zicklein war eine stattliche Ziege geworden, und die beiden Büßer vermochten nun erst mit Staunen zu ermessen, wie lange Zeit sie in der Kapelle oben um ihren Seelenfrieden gerungen hatten. Sie teilten brüderlich das harte Brot aus dem Wanderbeutel des Pfaffen und erquickten sich an Ziegenmilch. Nachher saßen sie beisammen, priesen vereint des himmlischen Vaters unendliche Güte, und ihr brummiger Sang tönte getragen durch die verklärte Mondscheinnacht.



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Zwo glustige wäsen werden von satanas versuchet, solcher verliert das spill und mehreres

Anderntags nahm der Schwabe herzinnigen Abschied und machte sich auf zum Bischof von Konstanz. Dieser, ein sehr gestrenger Herr, hatte ihn schon längst erwartet und empfing nun den säumigen Sünder mit scharfen Worten. Wer aber ihrer höllischen Majestät getrutzet hat, forcht sich auch nicht vor einem Kirchenfürsten. Der gescholtene Pilgrim blieb deshalb die Antwort in keiner Weise schuldig, sondern donnerte selber los gegen Völlerei und Trunksucht, daß dem hohen Prälaten, welcher vor einem gebratenen Täubchen und einer Kanne Meersburger saß, die ganze Eßlust verging und er schließlich heilfroh war, als der streitbare Eiferer den bischöflichen Segen erbat und seinen Wanderstab weitersetzte. Wie vermeldet wird, zog der Pater von hier aus geradewegs zu den Ungläubigen, wo er sich den Ruf eines gewaltigen Predigers erwarb, denn er vermochte die Qualen der Verdammnis so beißend schildern, daß es manchem verstockten Heiden wie von Ameisen über die Seele gramselte und er sich bekehrte.

Bartle blieb im Tal und baute die Kapelle auf. Als das Glöcklein zum erstenmal wieder über die Baum-



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wipfel scherbelte, hielten die Bauern auf dem Feld mit der Arbeit inne und horchten erstaunt auf den fremden Klang; die Uralten aber, aus fernen Jugendtagen angerufen, falteten die zitterigen Hände zum Gebet.

Nach und nach fanden sich allerhand Besucher mit ihren Bresten und Nöten beim Einsiedel ein, denn Bartle kannte manche Künste, von seinen Kriegsfahrten her, wußte das Vieh zu besprechen, Wunden zu arznen, kinderlosen Frauen zu helfen und den Liebenden zu raten. Er hatte eine gute und vertraute Art, mit den Leuten umzugehen, so daß sie ihn gern gewannen und den Waldheiligen hießen.

Bei ihren Bittgängen brachten die Bauern die Gaben des Landes mit: etwa ein Körbchen mit legwarmen Eiern, Brot in dunklen Doppellaiben, zwischen feuchten Blättern eine goldiggelbe Butterballe, klebrig süße Honigwaben oder ein rußiges Schinklein, das beim Anschnitt aufglänzte wie Morgenrot nach finsterer Nacht.

Also litt Bartle keinen Hunger. Wenn das Fasten zu lange währte, so erbarmten sich seiner die Tiere des Waldes. Die Eichkätzchen trugen Nüsse herbei und die Krähen gestohlene Eier; der Hamster erschien mit Hängebacken voll Körnern, und die Hirsche stolzierten mit Kohlköpfen auf den Geweihzinken daher. Als der Einsiedel einmal im Bächlein Wasser schöpfte, um sein mageres Süpplein kochen, sprang ihm —platsch — eine rotgetüpfelte Forelle in die Pfanne und ließ sich gelassen sieden. In einem besonders harten Winter



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hoppelte ein alter Hase vor die Klause des Waldheiligen, machte munter das Männchen, packte mit den Pfoten die eigenen Löffel und zog sich artig den Balg über den Kopf "gleich einem nachthembdlein, wann es taget". Bartle brauchte ihn nur noch zu beizen und zu braten.

Also diente Bartle getreulich seinem Herrn und führte ein wohlgefälliges Leben. Aber dem Widersacher klingelte das Glöcklein der Einsiedelei verdrießlich in den Ohren: es wurmte ihn maßlos, daß eine überreife Seele entronnen war, und er sann, wie er sie doch noch zu Fall bringen könnte.

An einem gedämpften Herbsttag kroch der Versucher, einem verspäteten großen Maikäfer vergleichbar, aus dem Boden und nahm die Gestalt eines Handelsmannes an. Im Felleisen trug er zwei Kannen Wein, von jenem Tropfen, welcher nur in Höllenglut gedeiht und dafür die ganze Süße von sieben Sünden in seinem kühlen Feuer birgt. Den Inhalt des einen Kruges ließ der Hinkefuß gleich selber durch die ausgedörrte Gurgel glucksen; er ward darob so vergnügt, daß er ein Schelmenliedchen für sich pfiff und hin und wieder einen unverhofften Hupfer tat. Die Bauern sahen ihm lachend nach; es war halt Sauserzeit.

So trat der böse Feind gut gelaunt vor den Waldheiligen und begann ein Gelafer über die Arglist der Zeitläuffte und mancherlei erschröckliche Zeichen und Wunder. Da er ein weitgereister Mann war, fand Bartle an dem Geplauder großen Gefallen, und bald widerhallte



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das Wiesental vom Gelächter und Sang der beiden Gesellen.

In der milden Sonne reifte langsam jener sanfte, aber unlöschbare Durst, welcher Brave und Böse zum Bechern zwingt, ganze Nächte lang, bis sie einen Mordsrausch, blutige Köpfe oder das trunkene Elend haben. Bartle füllte daher vorsorglich die Kanne mit kaltem Bachwasser und lud den Gast zum Trinken ein. Doch dieser verzog das Gesicht zur Grimasse, holte mit feierlicher Gebärde den eigenen Krug hervor, hob ihn mit ausgestreckten Armen in die Helle, als müßte er eine Messe zelebrieren, warf den dunklen Bocksgrind in den Nacken und ließ alsdann das Labsal in funkelndem Strahl von oben herab in die trockene Kehle plätschern. Dann übergab er das Gefäß mit einem wohligen Grunzen dem Waldheiligen.

Es war einer der späten Tage im Jahr, wo das Herz noch einmal wandern will, wie die rufenden Vogelschwärme in der stillen Luft. Dem Einsiedel schwoll die Brust vor Fernweh. Er trank. Und schau: in der flutenden Tiefe des Krügels brannten die Lagerfeuer lombardischer Nächte, die weichen Lippen der Marietta, das Flammgewand und die tolle, blutrote Luft der Landsknechte. Bartle trank wieder. Nun deuchten ihn Pfeifen- und Trommelklang herrlicher als das besinnliche Bimmeln des Betzeitglöckleins. Erhob den Wein zum drittenmal an den bärtigen Mund, und wer weiß, ob sich sein Sinn nicht vollends der irdischen Welt zugewendet



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hätte... doch nun griff die himmlische Vorsehung in den Handel ein.

Der Unterirdische trug einen langen Frack, um den Teufelsschwanz zu verbergen. Jetzt aber lüftete er, vom Wein erhitzt, die Schöße, und das Zeichen seiner höllischen Natur ward sichtbar. Es geschah nun, daß die ehrsame Geiß Kätterlin jenen Wackelwedel erspähte und ein närrisches Gelüst über sie kam. Sie packte den sonderbaren Leckerbissen mit den Zähnen, wobei ihr der Bocksgeruch aufreizend in die Nüstern stach, und rupfte und riß mit Macht, "als wenn es ein Grasboschen were". Der Versucher rutschte knurrend hin und her, denn er fühlte sich an einer empfindlichen Stelle schmerzlich angefaßt. Doch Kätterlin ließ nicht los, zupfte und zerrte nur toller und zerzauste den Stolz des Höllenfürsten erbärmlich, bis dieser heulend auffuhr.

Bartle hielt verwundert mit Schlückeln inne, und es währte eine geraume Weile, ehe er das schlimme Spiel begriff. Dann aber ergrimmte er in seiner redlichen Seele, faßte den falschen Handelsmann hart an, und es entbrannte ein wildes Ringen, daß sich die Waldtiere erschrocken im Gebüsch verkrochen. Der Böse fauchte, kratzte und biß wie eine Katze; er kannte gemeine Griffe, verruchte Kniffe und allerlei teuflische Künste. Aber Bartle besaß Bärenkräfte, betete und keibete durcheinander und setzte dem Widersacher weidlich zu. Sie wälzten sich im Gras, rollten in den Bach, standen auf, stampften, stöhnten, spien, brüllten, fielen hin,



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schlugen, schäumten, würgten, röchelten und tobten. Endlich gab sich der Verdammte geschlagen, wandte sich zur Flucht und verschwand kläglich in einem Mausloch. Bartle schmiß den Krug hintennach, daß er im Gestein zerschellte und der Wein herrlich versprühte.

Dort, wo der Wein verschüttet worden war, wuchs später ein Rebstock heran. Er trug Trauben in praller Fülle und von einer Süße über alle Maßen. Bartle kelterte daraus einen wunderbaren, aber gefährlich hinterhältigen Tropfen, welcher den Kopf in Glut setzte und den er "Höllenblut" nannte. Von nun an war der Zulauf heimlicher Pilger nach der Waldklause noch größer, und keiner kehrte ungetröstet an sein Tagwerk zurück, mancher sogar vom mächtigen Geist hin- und hergeweht und prophetische Worte lallend. Bartle hatte gute Zeiten, wie es sich geziemt, wenn man aus einer solchen Versuchung siegreich hervorgegangen ist.



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Ein mannstuck gwünnet wol ein heyligenschein, aber ist ihn auch bald wider los

Auf den Wiesen flatterten die Zeitlosen; der Herbststurm kämmte die Wälder aus, und der ganze graue Himmel war auf Wanderschaft.

Bartle bäschelte am Heuschopf und brummelte vor sich hin. Der Wind warf ihm welke Blätter in den Bart. Kätterlin stand zerzaust nebenzu und zupfte unlustig am vergilbten Gras. Es war beiden langweilig. Das Wiesental versank immer tiefer in Stille. Die Liebenden blieben fern; sie hatten ausgerammelt, saßen nun sittsam in warmen Stuben oder gingen sich traurig und trotzig aus dem Weg. Die alten Kumpane und Saufbrüder spürten den Vorwinter in den Knochen, wurden häuslich und pflegten Glieder und Gemüt mit selbstgebranntem Schnaps. Nur die Tiere rückten jetzt näher. Im Höhlengrund hingen die Fledermäuse dicht wie Würste im Rauchfang; die Spinnen hatten alle Steinnischen überwoben, und im Moosbett des Heiligen rumorten Käfer und Blindschleichen, daß Bartle manche Nacht kaum schlafen konnte.

Es geschah aber, daß an diesem trostlosen Tag ein Zigeunermädchen durch die Herbstwiesen wanderte, ein



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hübsches, freches Weltkind, wie es die Bösen gern haben und die Braven auch - wenn es niemand sieht. Das Jümpferlein hatte bei den Bauern im Dorf um Unterkunft gebettelt, umsonst, denn das Weibsvolk schnitt essigsaure Mienen und schlug der Vagantin die Türen vor der Nase zu. Da war das fremde Frauenzimmer weitergegangen, mit dem Wind und tanzenden Laub, bis zur Waldklause, wo es seine Bitte ebenfalls vorbrachte Es anerbot sich demütig, den Haushalt zu besorgen, Bartle und die Geiß zu betreuen, nach bestem Vermögen, alles für Nahrung, Unterkunft und Gottes Lohn. Bartle kratzte sich den Kopf und sah die schwarze Ratze zweifelnd an. Dann aber bedachte er die lange Wintereinsamkeit und daß ein Waldheiliger ein verlassenes Geschöpf nicht verstoßen soll, sonderlich wann es ein nettes Mädchenwesen ist. So sagte er zu.

Die Landstreicherin hielt Wort. Sie schüttelte das Mooslager aus, daß Käfer und Würmer eilig nach allen Seiten krabbelten; sie braute aus Wurzeln und Kräutern heilsame Suppen, welche dem Bartle das Blut in Wallung brachten; sie striegelte das Kätterlin, bis ihm die Rückenhaare als knisternde Bürste standen, und dem Waldheiligen strich sie also um den Bart, daß er vermeinte, der heiße Föhnwind gehe in der Felsenhöhle um. Doch die verflixte Hexe gelüstete es von Anfang an nach dem Heiligenschein des Bartle, welcher"ihm als ein güldener reyffen über dem Haupte schwebete". Damit hatte es folgende Bewandtnis:



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Alle guten Werke sind Samen in der Engel Hand. Sie werden ausgestreuet auf den himmlischen Wolkenäckern, und es wachsen die schönsten Blumen hervor: Aus absonderlich stolzen Taten sprießen prächtige Tulipanen, aus Handlungen von reiner Güte wohlriechende Viönli oder makellose Narzissen. Manchmal, gen Abend, blühen auch ganze Rosenfelder. Von diesen Blumenweiden holen die Himmelsbienen goldschimmerndes Wachs; sie bauen aber keine Honigwaben, sondern Heiligenscheine.

Nach seiner Bekehrung hatte Bartle viel Gutes getan. Sein Wolkengarten stand deshalb in reichstem Flor, und die Beiel waren emsig am Werk. Das Zigeunermeitli hörte sie jede Nacht in die Felsenkammer summen und den schnarchenden Kopf des Heiligen umschwärmen; es sah den Reif sich immer voller ründen und herrlich durch das Dunkel leuchten. Dazu wehte ein feiner Würzduft von geweihten Regen durch den Raum.

Das begehrliche Frauenzimmerchen hatte, wie bereits berichtet, an der himmlischen Zierat Gefallen gefunden und meinte, daß er sich im eigenen Kraushaar weit besser ausnehme als über der heiligen Glatze; es versuchte nächtens, heimlich ihn zu lösen, doch vergeblich, er blieb unverrückbar fest.

Indes, eine Eva gibt keine Ruh, ehe der Adam um sein Paradieslein beschissen ist. Also begann das arge Weibsstück den Bartle höchlich zu rühmen, vorab des



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Funkelscheins und seiner großen Frömmigkeit wegen, bis der einfältige Narr sich täglich im Uferwasser des Flusses bespiegelte und alles tat, was ihm das falsche Lüderchen zur Pflege und Stärkung der Heiligkeit anriet. Zum Exempel: zerrissene Spinnweben flicken, steife Blindschleichen aufwärmen, den heisern Krähen Halswickel anlegen und dergleichen Torheiten mehr. Alle diese Werke geschahen jedoch nicht aus biederem Herz, sondern aus Eitelkeit, Hoffart und windigem Sinn. Von nun an blieben die Himmelsboten fern, und als das heillose Mägdlein wiederum verstohlen am Heiligenschein rührte, siehe, da wackelte er.

"Zu anfang dies jars und folgends bis zu mittem Hornung gabs sehr vil schnee. Er lage bis zu angehndem Merzen, da kam ein rägen und warmer wind, der nam ihn weg." Und dann, über Nacht, schalmeiete der Lenz durchs Land. In der lichten Höhe wandelten sittsam und sonntäglich gestrahlt die Wolkenschäfchen. Unten zog das Wasser gelassen dahin, voll quirlendem Himmelsblau, vorüber an junggrünem Gebüsch, vorbei an strahlenden Löwenzahnhängen und durch endlose Wiesen mit dem weißen Schaum blühender Birnbäume. Es roch herrlich nach Maikäfern.

Bartle spürte die Sonnenwärme wohlig durch die Glieder rinnen, und dem Kätterlin juckte derart das Fell, daß es mit überquerem Gestell durch die Matten stelzte. In der heimatlosen Landstreicherin dagegen regten sich die urtümlichen Frühlingstriebe des Weibes, als da



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sind: Putzen, Fegen, Waschen, Klopfen. Sie vergaß für eine Weile den begehrten Heiligenschein und begann die Klause auszumisten. Das Mooslager wurde gesonnt, und über die ungebetenen Wintergäste brach die Sintflut herein; in den Wasserstürzen schwamm alles Geziefer zappelnd in den Blust hinaus.

Einmal stand das Jümpferlein braunbeinig am Fluß und füllte den Eimer. Bartle trat hinzu, freute sich am lieblichen Bild und am verrieselnden Spiegelbild im Wellenschlag. Unversehens erfaßte ihn aber die seltsame Lust, welche jeden bestandenen Mann überkömmt, wenn er die sanfte Rundung eines saubern Weibleins betrachtet: Er hob die Hand und verabreichte dem gebückten Persönchen einen saftigen Klaps, dorthin, wo es gerade am höchsten war.

O Leid, da sprang der Heiligenschein mit dem schmerzlichen Klang einer geborstenen Glocke in den Sand, und bevor ihn die Fluten als Sonnenkringel forttragen konnten, hatte ihn der Zigeunerbalg eidechsenschnell gepackt, in das kohlschwarze Kraushaar gedrückt, und schon hüpfte die Diebin davon, über Steintrümmer weg und zwischen Baum und Busch hindurch, daß der rote Rock wie eine Flamme auf und nieder tanzte.

Der Waldheilige stand und starrte. Nach geraumer Zeit ließ er einen langfädigen Fluch fahren, welchen die Felswand auffing und weiterwarf, über den Strom zum andern Ufer hinüber, das ihn vielfältig und mit Hohngelächter wieder zurückgab, Die Enten aber steckten



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die Köpfe ins Glitzerwasser und die Wackelschwänze in die linde Luft, denn sie schämten sich.

Also ist einem nichtsnutzigen Frauenzimmer gelungen, was selbst der Höllenfürst nicht fertigbrachte. Die Leute im Land lachten. Sie waren aber dem Einsiedel nicht gram, sondern gewannen ihn nur noch lieber. Man nannte ihn von jetzt an Bruder Bartle.



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Bartle unternimmt einen scharffen kreuzzug, notabene zieht gen ein hauskreutz ins fäld

Seit der Heiligenschein abgefallen war, fror Bartle häufig an die Glatze und bekam hierauf den Pfnüsel. Er hegte deshalb einen hartgekochten Groll gegen das weibliche Geschlecht, das er als innerste Ursache des Tauwetters in der Nase und alles andern Ungemachs erkannte. Hierbei ließ er nur die brave Geiß Kätterlin als löbliche Ausnahme gelten; sie hatte sowieso einen eher bockigen Charakter.

Die schnöde Gesinnung des Einsiedels ward bald ruchbar. Das Weibervolk mied empört die Waldklause. Dafür fanden sich nun Junggesellen ein, verschmähte, verratene oder verlassene Liebhaber und gequetschte Ehemänner, kurz alle, welche mit den Langhaarigen im Streite lagen.

Die Verdrossenen saßen bärbeißig beisammen, schlugen sich schimpfend auf die Schenkel, prahlten und krakeelten, berauschten sich am eigenen großen Wort und an Bartles "Höllenblut" und zogen schließlich bei später Nacht lärmend durchs stille Land, im Herzen fest, in den Knien nachgiebig, heimzu, rechte Unfläter und jedem sittsamen Frauenzimmer eine Ärgernuß.



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Den ganzen andern Tag über roch es dann in den Dörfern nach Kamillentee und Katzenjammer,

Dazumalen lebte im Nachbardorf der Bauer und Schänkwirt Dionysius Keller. Er war, unbeschadet seines wollüstigen Heidennamens, ein rechtschaffener, besonnener Mann, der nur ein einziges mal eine Dummheit beging, alsdann aber eine gewaltige, unverdauliche, welche ihm immer wieder aufstieß, wie oft er sie auch hinunterwürgte, so daß er zeitlebens ein armer Schlucker blieb. Diese Torheit geschah, als er mit grauem Haar ein blutjunges, bettelarmes Babettlein aus der Stadt weibete. Das Jümpferlein brachte nichts anderes in die Ehe mit als ein artiges Lärvchen, eine brennende Zunge und ein hoffärtiges Herz. Solcherlei Spezereien geben aber keine bekömmliche Hauskost.

Kaum hatte die frischgebackene Frau Wirtin das glitzernde Brautschappel abgelegt, so begann sie schon über die groben Sitten der Gäste das Näschen zu rümpfen. Sie ließ dabei ihr scharfes Mundwerk wacker laufen und meinte, es zieme sich für eine Stadtbürgerin schlecht, dem gemeinen Landvolk aufzuwarten. He nun, da blieben halt die Bauern, Fuhrleute und Roßknechte weg, und durch die leere Wirtstube taumelten nur noch die blauhaarigen Brummfliegen.

Jetzt ward es dem Babettlein zu einsam, und es lud die Erinnerungen zu Gast. Sie kamen hoch zu Roß und zaubrisch verwandelt, so daß die alltägliche Gegenwart gegen den Traumglanz der Vergangenheit erst recht



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spinnwebfarbig schien. Neben die stille Dorfstraße trat nun das geschäftige Treiben der Schifflände am glasgrünen Rhein. Die dunstigen Miststöcke maßen sich mit den duftversunkenen Lindengärten bei der Stadtmauer. Das Singen der Sommerwiesen vermochte nicht mehr zu bestehen gegenüber dem kunstvollen Chor der Mönche im Kloster Allerheiligen, und das eilige Betzeitglöcklein der Bergkapelle mußte verstummen vor dem Rufen der vielstimmigen Türme in Schaffhausen, welches manchmal, bei günstigem Wetter, erzen über die Wälder wogte.

Also sann die Kellerin und pflegte das strohdürre Blümlein Unzufriedenheit. Obzwar aus freien Stücken in den Stand der Ehe getreten, warf sie nun doch alle Schuld am eigenen trostlosen Tun auf den Gatten, nicht erkennend, daß im sauren Boden ihres Wesens kein frohwüchsiges Menschenglück gedeihen mochte. Sie fuhr weiter, mit gespickten Lippen die Bauernweiber durchzuhächeln, weil sie bloß vom Rackern und Gebären zu schwätzen wüßten und abends mit gekrümmtem Rücken und erdigen Händen heimkehrten, stumpf wie das käuende Vieh in den Ställen. Der Dionys selber, maulte sie, sei bloß ein simpler Bauer, ohne jede Lebensart und unwürdig einer feinen Städterin.

Der Mann hielt jeweils lange still. Zuletzt aber überschäumte ihm die Galle; er verfluchte das leichtfertige Stadtleben, pries den biderben Bauernstand und hielt seinem Ehgespons die graue Armseligkeit ihres Vaterhauses



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vor. Alsdann war ein Zetern und Zanken ohne Ende, bis der schwerblütige Mann, in dumpfer Wut stotternd, verzweifele die Tür ins Schloß schmiß, barhäuptig davonlief und sich zur wüsten Kumpanei des Bartle gesellte.

Mit den Jahren ward die Kellerin immer räßer und ihr Gatte ein altbekannter Kunde in der Waldklause. An einem überblauen Föhntag, nach heißem Streit, erschien Dionysius mit einer Gans unterm Arm und bot sie Bruder Bartle an, mit der Bitte, die allzu bewegliche Zunge der bissigen Babette zu bannen, auf daß sie endlich verstummen müßte. Der Einsiedel wollte sich weigern, denn er wußte wohl, welch heikel Ding es ist, eine sträzende Röhre stopfen. Aber das Mannsvolk bestürmte ihn, das Wagnis zu versuchen, das, wenn es gelänge, allen bösen Weibern landauf, landab eine heilsame Warnung wäre. Also gürtete er die Lenden mit dem Galgenstrick, flehte den heiligen Sankt Georgen, den Drachentöter, um Beistand an, stärkte mit einem tiefen Trunk aus dem Fäßchen im Höhlengrund und begab sich auf den schweren Gang.

Das Babettlein erspähte den Widersacher durch die Butzenfenster und empfing ihn im obern Geschoß mit großem Geschrei. Aber Bruder Bartle richtete gegen das zornige Weibsstück seine Bannsprüche wie dröhnende Böllerschüsse. Es entstund ein erschröckliches Getöse. Derweilen hockten in der Wirtsstube unten mit Zittern und Zagen die Spießgesellen. Sie machten keinen



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bis der Lärm allmählich leiser ward und die Beschwörungen dunkel dahinrauschten. Nun wagten sie sacht mit den Bechern zu läuten. Als aber Bruder Bartle schwitzend und schnaufend die Stiege herabknarrte, hub ein Zechen an, so herzhaft, wie schon lang nicht mehr in diesem verrufenen Haus.

Die Weiberfeinde frohlockten. Etliche Tage später erschien aber Dionysius wiederum in der Waldklause, ein arg geschlagener Mann. Er berichtete, daß seine böse Hälfte jetzo ihren Unmut stumm, dafür handgreiflich kundtue. Sie schmeiße Teller, Tassen und Pfannen, "das es pfeiffe und klepfe, erger dann bey der belägerung von Perpinion". Nur schieße die Babette schneller und besser als die welschen Feldschlangen. Er bitte deshalb Bartle inständig, die Zunge der ehelichen Hausfrau Babette Kellerin gegen Vergeltsgott und ein Mutterschwein wieder zu lösen.

Der Waldbruder schüttelte den kahlen Schädel und murrte, ein alter Kriegsknecht sollt sich in den Handel schicken; doch Dionysius schwor, er wolle lieber Worten als Würfen wehren, und der Freund möchte ihm um Himmels willen Gefallen sein. Da machte sich Bartle grochsend auf den Weg, ach, so ganz allein.

Diesmal traute sich der Einsiedel nicht mehr ins Haus. Er rief die Babette von der Straße aus an, bis ein Fenster aufklirrte und ihr dräuender Zottelschopf herausfuhr. Dann schrie er durch die hohle Hand: "Schwätz!" neigte sich demütig vor einem heranschwirrenden Waffeleisen



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und floh, gesagt von den unflätigen Verwünschungen des erlösten Weibes wie von bissigen Hunden. Also erfuhr das gesamte Dorf, daß der Bann von der Kellerin genommen sei.

Über eine kleine Weile fand sich Dionysius abermals beim Einsiedel ein und flehte um Hilfe. Die Babette keife und keibe zwar wie ehedem, aber sie lasse dennoch nicht davon ab, ihren angetrauten Ehegatten mit allen Hausgeräten mördrisch zu traktieren; so leide er zwiefache Plag.

Bartle bekeuzigte sich und zuckte die Schultern; er könne bloß raten, das Fegefeuer willig zu erdulden, sintemal im irdischen Jammertal ein jeder sein Kreuz zu tragen habe, wobei allerdings das Hauskreuz vom schwersten sei. Der Himmel werde das Martyrium dereinsten löhnen.

Da brach Dionysius in ein verzweifeltes Gelächter aus, griff zum Krug und soff dermaßen lästerlich, daß es Bartle um sein Fäschen angst und bange ward.

Von nun an lebte der gequälte Wirt seinem sündhaften Namen gemäß, trieb sich in allen Pinten um, nur nicht in der eigenen, bis er schließlich ein erbärmliches Ende nahm:

"Auf Zinstag nach Ostern den 27. Merzen wolte Dionysius Keller, der wol bezächt und trunken war, ab dem markt wider nach Haus. Als er nun bis auf den fußweg an der Staig äußert dem obern Thor kam, baumelte er hindersich den Rain hinab, und weil er



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sein schwert auf der achsel mit hindersich gekehrtem Creuz truge, schusse dasselbige aus der scheiden; darein fiel er hinderwerz, daß es ihme durch den rucken und fornen bey dem herzgrüeblin wider heraus gienge. Da man ihn sande, lag er mit dem rucken ganz auf dem Creuz. Er lebte noch bis umb 12 uhren des folgenden tags, da er gar vernünftig starb."

Die Wittib betrauerte und beklagte den Toten, wie es sich gebührt. Als sich kein Freier finden wollte, nahm sie den Schleier und ward ein holdes Nönnchen im Kloster Paradies.



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Dwundersüeßer Odem, o bitterschwartzer Tod, Auss beydem ist gebacken das hartte Aerdenbrod

Durch den silberkühlen Morgen trieb ein Weidling flußab. Manchmal glitt er rasch dahin, von der gefurchten Strömung erfaßt, dann wieder hielt er inne, bis ein sachter Ruderschlag ihn aus der Verzauberung löste. Im Kahn lag abgezehrt und hohläugig Caspar Schamler, Säckelmeister der Stadt Schaffhausen. Vor seinen Blicken breitete sich das Stromland aus: der grünschwarze Fluß und die herbstbunten, vom Duft der Frühe überhauchten Waldufer, vergleichbar einem schönen Sommerfalter, der leis die Flügel hebt. Darüber wölbte sich der tiefe Himmel, mit einer einzigen, glänzenden Wolke, welche dahinschmolz und in die Bläue einging. Hin und wieder zog ein aufgestörter Wasservogel mit schwerem Schwingenschlag vorüber und barg sich im Baumgeäst, oder es schnellte ein Fisch, drehte sich funkelnd im Licht und tauchte zurück in die schattendunkle Flut.

Und wie sich nun die Uferhänge im sanften Gleichtakt der Wellen vorüberwiegten, gedachte Caspar Schamler einer andern Rheinfahrt, stromwärts, der Sonne entgegen. Er war damals ein Büblein gewesen,



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am Anfang des Lebens, und hatte die Großmutter im Städtchen Stein besuchen dürfen. Noch sah er die großen Silberreiher träge von den Wasserinseln abstreichen, sich in die Waldwipfel schwingen und die gestreckten Hälse hin- und widerwenden. Er erinnerte sich auch der Großmutter als eines verschrumpften Weibleins und wie er geschrien hatte, daß er nie, nie eine Großmutter mit runzeligen Händen werden wolle. Jetzund lagen seine eigenen Fäuste kraftlos auf den Decken, knochenbleich, umschnürt vom blauen Adergewürm.

Derweilen hatte sich eine Schnake auf der eingefallenen Wange des Säckelmeisters niedergelassen, stach und soff sich prall am süßen Lebenssaft. Als er nach der Trunkenen schlug und sie traf, färbte sich die Hand mit Blut. Er senkte das besudelte Glied voller Ekel in die kühle Flut, spürte das Wasser unheimlich strömen und sah die eigenen Finger durch das Dunkel scheinen wie kleine weiße Fische. Da zog er die Hand von der Tiefe angeschauert zurück. Die Tropfen rannen glitzernd ab, fielen - und nichts blieb übrig als eine leere, arme, schwache Hand, die kaum taugte, um den Mücken zu wehren.

Der große Alexander hat im Sterben befohlen: "Bestattet mich königlichst, doch meine rächte hand sollent ir aus dem sarge hängen, wyß und nackend wie sie ist. Sie hat die gange Welt gefasset und nüt ist ir blieben." Aber Caspar Schamler, Säckelmeister der



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Stadt Schaffhausen, wollte nicht von dieser Erde fahren wie der große Heidenkönig. Er hatte selber drei Ehefrauen begraben und gedachte auch die vierte zu überdauern.

Den Reigen eröffnete die Veronica Speißeggerin, eine tüchtige Hausbewahrerin, scharf zum Gesind, hitzig und geizig, von einem fremden Maler abkonterfeit, mit säuerlichem Gesicht, langer, blasser Nase, steif und streng im Stuhl sitzend, ein Gelbveigelein züechtig in der harten Hand. Sie hatte den Storch im Wappen und ihrem Gatten elf Kinder geboren, lauter Buben, war dann "ihres tragenden zwelften kinds, eines knäblin, viel zu fruehe genesen und mit tods abgangen".

Alsdann hatte Caspar Schamler die Anna Brümsin gefreit, item ein braves und gar lustiges Weib und eine fürtreffliche Köchin, Mehrerin der Familie um sieben Köpfe, teils Knaben, teils Meitli. Sie versturb beim Bohnenfädeln eines gähen Todes.

Nach geziemendem Witwerstand ehelichte der Säckelmeister die Agnes Peyerin, eine dünnblütige, fromme und vermögliche Person, welche unter der ungestümen Natur ihres Ehegesponsen litt, ihm drei schmalbrüstige Kinder bescherte und sich dann seiner Leidenschaft entzog: Im siebenten Jahr "zu anfang des Herbstmonats fienge die Sterbend in der Statt an und name die Pestilenz bis auf die Wienachten bey 400 personen hinweg, darunter ware auch Agnes Peyerin, des Caspar Schamlers ehelich Hausfraw".



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"Wie das geschehen, da machte er mit seiner magd Anastasia umb so viel freundschaft, daß sie von ihm schwanger war und bey ihm ein Kind gebar." Die Anastasia, eine schlaue Schwäbin, mochte aber die eingebrockte Suppe nicht allein auslöffeln und brachte den Handel vor das Ehegericht, welches die beiden zusammensprach. Caspar Scharmler mußte also seinen Küchenschlampen als Vierte heiraten. Das bereitete dem stolzen Säckelmeister viel Verdruß; die Speisen wollten ihm nimmer munden, dafür brannte ihm ein gräulicher Durst im Gedärm. In seinem abgemagerten corpus hatte sich der Ärgerwurm eingefressen, der wuchs nun seltsamlich heran, als wie ein werdendes Kindlein; es war aber der grimmige Tod.

Trutz dem Tod! Säckelmeister Caspar Schamler will nicht sterben. Er will sich an der vierten Frau ergetzen, jetzt erst recht. Er will Kinder zeugen, bis das zweite Dutzend voll ist. Er will noch lang den köstlichen Odem trinken, die reine, frische Morgenluft, die blütensatte Mondscheinluft der Mainächte, die würzige Luft nach einem warmen Sommerregen, die fischige Luft des Flusses an einem Föhntag, die rauchige Luft über umgebrochenen Äckern, die mit Schmöckwässerchen geschwängerte Luft um junge Frauenzimmer, die berauschenden Dünste aus Bottichen voll gärendem Traubensaft, die ganze liebe Erdenluft. Und vor allem will er die trockenrissige Kehle mit manchem Becher "Höllenblut" benetzen, von jenem Sonnentropfen, herrlich



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über alle Maßen, rot wie das Herzblut und gleich einem lebendigen Wesen atmend mit einem Schauer schimmernder Schaumperlen. Aus diesem Trank will er Kraft schöpfen gegen die Schmerzensbisse in den Eingeweiden und um den Tod zu meistern, so wie er manches widerspenstige Weib zu Willen gezwungen hat.

Aber einmal entfleucht der letzte Hauch. Das springende Fischlein kehrt in die Tiefe zurück. Die Wolken ziehn und vergehn. Jede Fahrt hat ihr End.

Von den lässigen Ruderschlägen der Schiffer gelenkt, wandte sich der Weidling dem Ufer zu und knirschend über den Kies. Caspar Schamler fuhr aus seinen Gedanken auf, sah das Wiesental vor sich aufblühen und darauf krummbeinig Freund Bartle. Der Waldbruder trat herzu, hob mit den Ruderknechten den Kranken aus dem Kahn und trug ihn dorthin, wo sie oft gebechert hatten. Als er ihm aber in das vom Steinmetzen Tod gemeißelte Antliz schaute, siehe, da ging ihm ein Gleichnis durch den Sinn: Wie im Jahr der großen Tröcknis das strömende Wasser des Rheinfalls versickert und der Felsgrund mit seinen Buckeln und Flutenlöchern hervorgekommen war, also hatte sich alles Leben in diesem Menschengesicht in die dunklen Augenhöhlen zurückgezogen, wo es nun scheidend irrlichterte. Da meinte der Einsiedel, es sei an der Zeit, vom Paradies zu reden. Indes der Säckelmeister schwur, er wolle von dieser Welt nicht lassen, solang das ganze süße Leben im "Höllenblut" rotfunkle, und



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er werde mit dem Würger um den letzten Tropfen ringen.

Bartle ward bei solchen Worten das Herz schwer; denn er wußte, daß dem Caspar ein langer Todeskampf bevorstünde, bis der Herr der stillen Gärten dennoch obsiegen würde. Er sann, wie er dem Freund die Sterbensnot verkürzen könnte; doch dieser begehrte nur vom Wein zu trinken, deswegen er die weite Fahrt unternommen hätte. Bartle mochte ihm den Wunsch nicht versagen. Als er aber vor dem Fäßchen stand, um den Becher zu füllen, überkam ihn ein schmerzlicher Zorn, und er betete inbrünstig, daß der Wein sauer werde, damit der Caspar Schamler den Heimweg finde.

Und siehe: der Kranke kostete, verzog den dürren Mund, spie aus und murmelte: "Potz plitzg und donder, dein wein ist sauer worden, jetzo will ich wol zum himmel farn." Da nutzte der Tod die Stunde, kam über ihn und löschte den "edel vesten, fürnemen, hochgelehrten, fürsichtigen und weyßen Seckelmaister" aus, so sänftiglich, daß er verschied wie ein kleines Kind.

Die Ruderknechte lüpften die Kappen, sprachen ein Vaterunser, trugen den Toten in den Weidling, nahmen von Bartle Abschied und stocherten stromwärts, der Sonne entgegen. Sintemal der Herr nicht mehr gestört wurde und die Wümmet begonnen hatte, so fingen sie nun zu singen an, erst eine getragene Weise vom Schnitter Tod, dann ein trutziges Landsknechtslied und schließlich ein Liedlein vom Lieben und Trinken,



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wie es Caspar Schamler in guten Zeiten wohl selber gemögget hatte. Die Stimmen der Burschen gingen glockenlauter über das glatte Wasser; von den Wingerten fielen die Winzerinnen ein, also daß es eine gar fröhliche Fahrt war, derweil niemand wußte, welch wunderliche Fracht die lustigen Schiffer im Kahne führten.

Bartle horchte dem verklingenden Sang nach, gedachte der Hinfälligkeit des Menschenlebens, stieg alsdann zum Kirchlein hinauf, dem Freund zum letzten Geleit das Glöcklein zu läuten.

Hierauf wandte er sich der Klause zu, um zu beten, daß der Wein wieder süß werde wie zuvor. Aber das verwandelte"Höllenblut"blieb ein schauerlicher Rachenputzer. Man nannte das Gesüff von nun an "Himmelfahrtswein".



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Etzliche so im Paradeiß wohnen erzeigen sich nit als Aengelin

In einem andern Kapitel ist gesagt worden, daß die Babette Kellerin in das Klarissenkloster Paradies eingetreten sei. Dieses liegt beim Dörfchen Schlatt, am linken Ufer des Rheins, welcher hier andächtig und in zärtlichen Windungen dahinläuft, als könnt er nicht scheiden von dem schönen Flecken Erde.

Die Nonnen im Paradies verstanden sich vortrefflich auf die Landwirtschaft. In den Stallungen käuten die schönsten Kühe, glänzend im Fell, großäugig und satt schnaufend. Im kühlen Keller reihte sich in gleicher Weise Faß an Faß, rundbäuchig und sanft rülpsend, wenn man daran rührte. Draußen unterm Sonnenhimmel marschierten die Kornfelder wie schimmernde Heerhaufen gegen die Klostermauern an, und dazwischen wehten die roten Banner des Mohns. Ganz am Rheinufer aber, wo das Wasser tändelnd über Stein und Sand wusch und bis in die Wiesen hineinwellte, schwaderten die weißen Gänse.

Die Oberin Adelheid, eine Dame aus vornehmer Schaffhauser Familie, hochgewachsen, doch häßlich von Angesicht, hatte in ihrer Jugend manche Lieblosigkeit



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erfahren müssen; darob war ihr Wesen bitter geworden wie eine ungereifte Frucht. Von den heiratslustigen Junkern wollte keiner in den sauren Apfel beißen, obschon er güldene Kernen barg. So wählte die verschmähte Jumpfer den geistlichen Stand und brachte es darin zufolge ihrer Abkunft, Verwandtschaft und herrschsüchtigen Klugheit bald zur Äbtissin. Sie führte ein gestrenges Regiment, hielt auf Zucht und Ordnung wie im Klostergarten, wo auch kein Blümchen sprießen durfte, als etwan samtene Malven und leuchtende Königskerzen, daraus sich heilsame Tränklein für mannigfache Bresten bereiten lassen. Gegen das näschige Mannsvolk nährte die stolze Person einen dauerhaften Groll. Davon zeugten viele bissige Beschwerdeschreiben, mit welchen sie den gnädigen Herren in der Stadt die Laune verdarb.

Kaum war die Kellerin als Nonne eingekleidet, so begann sie der Oberin wacker um den Bart zu streichen. Dieser umflorte ein beträchtliches Kinn und kam in manchem Spöttelreim vor, den die Nachtbuben an die kalkweißen Klostermauern schmierten. Der gröblichste hatte geheißen:

"mir deucht die stolze Adelheid von gantz bisunder art

bräucht nienen mann zum Zeytvertreib het selber einen bart."

Das schlaue Babettlein ließ nun aber verlauten, wie wunderbar die Äbtissin doch der St. Kümmernis



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ähnele, jenem heiligen Frauenzimmer, das sich willentlich einen Bart wachsen ließ, um vor den Nachstellungen der liebestollen Männer sicher zu sein. Adelheid schlürfte den kecken Vergleich wie Honigseim, denn also ward aus einer Not, die zahllose brennende Zähren gekostet hatte, eine ganz unverhoffte Tugend. Sie lud die Schmeichlerin huldreich zu einem Täßchen Pfefferminz und ermunterte sie, ihr Leben zu erzählen. Das kam dem Babettchen sehr gelegen. Es berichtete brühwarm seinen Handel mit dem Waldbruder, malte ihn aber mit den roten Farben des Hasses und den schwarzen der Verleumdung und ließ durchblicken, daß zwischen dem ruchlosen Rat des Einsiedels, Dionysius solle sein Kreuz halt tragen, und jenem unseligen Sterben, das Schwertkreuz im Rücken, wohl ein heimlich, unheimlicher Zusammenhang bestehe. Die Äbtissin pflichtete eifrig bei. Sie hatte selber in der schwarzen Magie herumgepfuscht und etliche Kenntnisse erworben, allerdings vornehmlich in praxi Liebeszauber. Jetzo war sie freudig bereit, einem männlichen Kollegen wegen des gleichen sündhaften Tuns einen Strick zu drehen, an welchem man ihn aufhängen könnte. Also setzten die beiden Weibsbilder eine Klageschrift gegen Bruder Bartle auf, worin er der Verführung zum Saufen, bösartiger Verhetzung, arger Zauberei und ähnlicher höllischer Künste geziehen wurde, daß es unterm knirschenden Federkiel rauchte und nach Schwefel stank. Die Epistel wurde durch einen Eilboten nach der Stadt


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gebracht, dem hohen Rat überreicht, mit gebührender Achtung entgegengenommen, schmunzelnd gelesen und an einem verlorenen Ort der Kanzlei niedergelegt, wo sie sachte verstaubte.

Als sich die Oberin später nach dem Stand des Handels erkundigte, erhielt sie Bescheid, daß die Beweise nicht ausreichten, um Bruder Bartle den Prozeß zu machen. Da lachte die streitbare Frau grimmig in den Bart, murmelte ein Sprüchlein von Krähen, welche sich nie die Augen aushacken, und beschloß, die Sache gelegentlich selber in die Hand zu nehmen.

In der Nacht hatte die Äbtissin einen merkwürdigen Traum: Sie wanderte bis ans End der Welt, wo rauchumwölkt der Höllenschlund gähnte, in dessen Tiefe die unseligen Geister tosten. Die Träumerin gelüstete es, hinabzuschaun; sie glitt aber aus, geriet in des Teufels Gewalt und mußte die heißen Pechkessel putzen, neunundneunzig Jahre lang. Dann wuchs ihr ein Federgewand,, und als die Zeit der Prüfung um war, löste sie sich leicht vom dunklen Grund und stieg, von lichten Flügelwesen geleitet, unaufhaltsam wieder in paradiesische Gefilde empor...

Beim Erwachen suchte die Äbtissin dieses Traumgesicht zu deuten. Es mußte in geheimnisvoller Beziehung zum verteufelten Bartle stehen; aber Adelheid ward nicht klug, ob es davor warnen wollte, sich mit dem Waldbruder einzulassen, oder ob es eher besagen mochte, daß nur demjenigen ein herrlicher Sieg verheißen



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sei, welcher die Wahrheit ergründe und keine Mühsal scheue. Die beherzte Person entschied sich schließlich für Kampf und Ruhm, beschloß aber, mit weiblicher Schläue vorzugehen, sich dem unholden Einsiedel in einer Verkleidung nahen, ihn erproben und der Teufelei zu überführen.

Also begab sich Adelheid an einem blaugoldigen Sommertag auf den Weg nach der Waldklause. Die Nönnchen wünschten der Oberin laut gute Fahrt und leise, daß sie sobald nicht wiederkehren möge. Als ihr wehendes Gewand hinter Pappeln und Weiden den Blicken entschwunden war, verfügten sich die Ältern zu einem saftigen Schwatz, während die Novizinnen sich neckten und jagten wie mutwillige Kinder, wann der gestrenge Magister aus der Schulstuben ist.

Indes machte Adelheid bei Verwandten und Bekannten in Schaffhausen den Kehrum, vesperte und pröstelte, entledigte sich alsdann des geistlichen Gewandes und kleidete sich in die Tracht einer Landfrau. Erst in später Nachmittagstunde pilgerte die verwandelte Äbtissin weiter durch zirpende Wiesen und schläfrig summenden Wald. In einem duftenden Erdbeerenschlag hielt sie Rast, erquickte sich an den dunkelreifen Früchten und nickte schließlich ein, von der Sonnenwärme und etlichen Schöppchen Wein übermannt.

Adelheid erwachte in der Dämmerung. Der Himmel hatte sich ganz verschleiert. Ein feiner Regen fing zu



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fallen an und stäubte verdrießlich durch die Bäume, derweil der Nebel geisterlich über den Boden trieb. Bald hatte die nieselnde Nässe alles benetzt: Moos, Gras, Erde, Borke, Blatt und Haut. Dazu kroch die Düsternis aus der Waldtiefe und hockte an den Wegrand. Die falsche Bäuerin fror erbärmlich, sonderlich an die rotbestrumpften Waden, denn sie war der kurzen Gewandung ungewohnt. Sie verwünschte den vertrackten Bartle und atmete auf, als sich das Buschwerk endlich zu einem sanften, regengrauen Wiesental lichtete, in dessen Grund ein Feuer glomm.

Bartle kochte die Abendsuppe, den willwanken Rauch verfluchend, welcher sich qualvoll unter tiefen Wolken dahinwand. Adelheid trat herzu und fragte sauersüß, ob sie wohl dem Waldbruder gegenüberstehe, was nach den vernommenen unheiligen Redensarten allerdings kaum glaublich sei. Sie erhielt eine brummige Antwort, die einen Willkommgruß, aber auch etwas anderes bedeuten mochte.

Der Einsiedel fuhr fort, in der Suppe zu rühren, so daß die Oberin Muße hatte, ihren Widersacher genau zu betrachten. Das Feuer warf einen roten Flackerschein über seine knorrige Gestalt, das von Falten und Furchen genarbte Haupt, den wirren Stachelbart, die kantige Nase und die buschig verschatteten Augen. Er glich einem ungeschlachten Menschenschreck und Waldschratt, wohl erfahren in manchen schwarzen Künsten.



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Aber auch Bartle schielte verstohlen nach der fremden Frau und wunderte sich, denn ihr Antlitz, obzwar häßlich behaart, schien eine herrische Hoheit auszuatmen und nicht einer Bäuerin anzugehören. Er sann hin und her, wer es wohl wär'. Auf einmal blendete ihn die Erkenntnis, daß es der Art des Leibhaftigen entspricht, den Gläubigen in immer neuer Gestalt und Wandlung zu versuchen. Er beschloß, auf der Hut zu sein.

Als die Suppe fertig war und würzig roch, lud Bartle die Fremde zum Mithalten ein. Die Äbtissin machte sich hungrig über die Brühe her, verbrannte sich aber erbärmlich den Mund und schimpfte, es werde in der Höll' nicht heißer angerichtet. Nun wußte Bartle, daß er den Gottseibeiuns selber zu Gaste hatte.

Inzwischen war die verkleidete Oberin müde geworden und begehrte zu schlafen. Der Waldbruder wollte die Unheimliche in die Dorfschenke weisen. Doch draußen rauschte der Regen ohne Unterlaß, weshalb sich die falsche Bäuerin weigerte, durch Nacht und Nässe weiterzuwandern. Sie hatte zudem eine Hütte in der Nähe erspäht, die für diesmal als Unterschlupf genügen mochte. Der Waldbruder war es zufrieden, denn das Gelaß diente als Vorratsschopf. Er geleitete also den vermeintlichen Höllenfürsten nach dem Gaden, ließ ihn eintreten, schloß hastig die Tür, schob den Riegel vor und siegelte mit dem Kreuzeszeichen.

Adelheid sah sich argwöhnisch im Raume um. Im ungewissen Licht, das durch Dachlucken fiel, erkannte sie



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zunächst eine Zaine mit geisterbleichen Gänsefedern, wie sie der Einsiedel für seine Lagerstatt gebrauchen mochte, alsdann einen duftenden Heuhaufen, weiter eine Hürde mit Äpfeln und raschligen Haselnüssen und schließlich oben im Gebälk einen irdenen Topf, aus dem es herrlich nach Honig roch. Bei diesem Anblick verspürte die Äbtissin ein heftiges Verlangen und tunkte flugs den Finger in des Gefäßes Tiefe. Dort unten aber kämpfte ein Fähnlein Waldwespen verzweifelt gegen den süßen Tod, gelbschwarz gewamset wie Schaffhauser Landsknechte, halbersoffen und maßlos zornig. So vermeinte die näschige Nonne, in einen feurigen Pechkessel gegriffen zu haben. Sie erschrak, warf den Honighafen um, beschmierte sich, sah sich gefangen, stampfte, brachte die Federn in Aufruhr und tobte wie der entfesselte Satan selbst. Nach unruhvoller Nacht schloß Bartle vorsichtig die Hütte auf. Er glaubte nämlich, daß der Böse gleich einem grausam feuerrot comet aus dem stall schneuzen" würde.

Aber schau da, die seltsame Bäuerin wandelte feierlich wie ein Kerzenengel herfür, "war auch sonsten gleich einem himmlischen wäsen anzusehen, weil gantz mit fädern besatzet". Sie schritt hoheitsvoll am verdutzten Bartle vorüber, in den verrieselnden Wald hinein und verging im Nebelgebräu. Der Einsiedel hätte an ein Blendwerk der Hölle gedacht, wären nicht einige Federn im Gras hängengeblieben und ein balsamischer Honigduft im frischen Morgenwind.



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Adelheid gewahrte erst bei Tageshelle, daß sie über und über mit Honig und Federn bekleistert war. Sie versuchte, sich zu säubern und das Gefieder loszuwerden; umsonst, die zähe Masse war von anhänglicher Art. Da gedachte die abermals verwandelte Äbtissin, auf abseitigen Pfaden nach dem Kloster zurückzukehren. Von Schmach gejagt, eilte sie durch Wald und Flur. Ein Bäuerlein, das den wunderlichen Vogel vorüberpfurren sah, riss verstört die Augen auf und bekreuzigte sich.

Die Oberin hoffte, durch ein verstecktes Seitenpförtchen vom Rhein her in ihre Gemächer schlüpfen zu können. Aber sie ward von den Gänsen bemerkt, welche mit gestreckten Hälsen herzuschossen, sie zischend und zeternd in die Mitte nahmen und mit großem Geschrei nach dem Kloster geleiteten. Dort mußte die unglückliche Frau wie eine Martinigans regelrecht gerupft werden, was die Nonnen mit unterdrückter Heiterkeit besorgten. Die lächerige Laune ward ihnen aber bald verleidet, denn die Äbtissin ließ ihre Stimme schallen wie nie zuvor, und ihr galliges Schelten und Schimpfen gellte mißtönig durch die paradiesische Sommerstille. Es gab in jenen Tagen manches verheulte Gesichtlein unterm Haubenrand, bis eines Morgens an gekälchter Klostermauer, von frecher Hand gemalt, das Sprüchlein stand:

"die Ängel und die Adelheid, die hend wohl beyde fädern

doch Ängel singen lob und freud, derweil die gense schnädern".



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Bartle bekömt ein ebenbildnuß, einen newen namen und glantz, bleibet aber der nemliche

Als die Wälder im Herbstfeuer lohten, fand sich bei Bartle ein Wandersmann ein. Es war ein Maler, den es nirgends lange litt, obschon etliche berühmte Meister den vortrefflichen Gesellen gern in der Werkstatt behalten hätten. Es trauerte ihm auch manches sittsame Mägdlein nach, welches mit dem stattlichen Mann freudig ins Ehebett geschloffen wäre. Er konnte aber keiner treu sein, denn er hatte sich mit Haut und Haar einer Liebsten ergeben, die hieß Frau Landstraße. Wenn beim Abendtrunk die andern von einem zärtlichen Abenteuer prahlten und die heimlichen Reize ihrer Schönen priesen, dann mochte es wohl geschehen, daß der Maler auch seinen Becher hob und von der Landstraße zu schwärmen begann als einer allerliebsten Frau, welche sich überraschend in anmutigster Wandlung offenbare, einmal jungfräulich, dann wieder erfahren und reif, anschmiegsam und spröde, schlank wie ein braunes Schlänglein oder stattlich und weißgepudert wie eine Müllerin, nie eifersüchtig und immer bereit, die Wirtshäuser zu weisen, wo der beste Wein zu haben sei. Hierauf pflegte der Maler schweigsam zu werden und in



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Trübsal zu versinken. Indes ein paar Tage später packte er gewöhnlich sein Bündel und schritt im Morgengraun durch die stille Stadt zum Tor hinaus, ein Wanderliedchen auf den Lippen und die Kappe keck am Ohr.

So geschah es auch dieses Mal. Der unstäte Geselle hatte wieder einem Meister die Arbeit aufgesagt, aber von diesem Batzenklemmer kein Zehrgeld auf den Weg erhalten. Daher war der Wandersüchtige am Abend schon aufgebrochen, die ganze Nacht durch gelaufen, aus langentbehrter Lust und um vor Tag über allen Bergen zu sein, denn er hatte aus der Werkstatt eine Holztafel mitgehen heißen. Im Wiesental gedachte er zu rasten. Er ward von Bartle brüderlich aufgenommen; bald saßen die einsamen Mannsbilder nach Junggesellenart beim Gluckerfaß und erzählten sich Schwänke und Schnurren.

Als die Köpfe ins Rauchen kamen, lüstete es den Fremden nach einem rechten Malerstück. Er griff zum Pinsel, rieb Farben an, umbrische Erde, Bleiweiß, Zinnober und Ultramarin, umfaßte den Einsiedel mit hellem Lauerblick und begann ihn auf die Holztafel zu bannen.

Das Bildnis wuchs ihm herrlich unter den Händen: ein sonnverbranntes Winzergesicht, übersponnen von Fältchen und Jahreszeichen, eisblanke und bauernschlaue Äuglein, Haar und Bart von der Farbe eines versengten Stoppelfeldes und dann der Hals, kropfig



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wie ein alter Weidenstrunk. In die wurzelbraune Faust malte er ein köstliches Becherglas, wie es die Venezianer blasen und wie der Waldbruder noch keines besessen hatte, gefüllt bis zum Rand mit blaßrotem Wein und von Sonnenblicken durchschossen.

Bartle bewunderte das Bildnis gebührend, bedauerte aber, daß sein braves Kätterlin nicht auch darauf zu sehen sei. Nun machte sich der Maler nochmals an die Arbeit und zauberte den gehörnten Ziegenkopf auf dunklen Hintergrund. Als er nun sein Werk überschaute, den biderben Bartle und die glotzäugige Geiß, da stieß ihn glucksendes Gelächter, denn die gestohlene Tafel hätte den heiligen Hieronymus und dessen zahmen Löwen widergeben sollen. In trunkener Laune gedachte er die Ähnlichkeit zu vollenden und dem Waldbruder ebenfalls einen Heiligenschein um den Kopf zu legen. Also löste er feinstes Gold und pinselte einen schimmernden Reifen um das trutzige Haupt. Aber siehe: Die Farbe wurde vom Untergrund abgestoßen wie Wassertropfen vom Kapuzinerblatt. Sie rieselte in güldenen Rinnsalen über Haar und Stirn, lief auf der Nase zusammen und versickerte darin, worauf das glühende Gebilde zu glänzen begann, wie ein Felsenzinken im Abendsonnenschein.

Ob dieser ergötzlichen Erscheinung gerieten die Saufgurgeln in lärmende Heiterkeit. Der Maler schwor, daß jenes Bild "bey siner ehr und säligkeit" in kunstreichen Lettern die Aufschrift tragen müsse: "Bruoder Bartle



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der Unscheynheilige." Aber ihre saufenden Köpfe konnten nimmer fassen, ob damit wirklich ein Heiliger ohne Schein gemeinet sei oder einer, der nicht zu den Scheinheiligen zähle. So schwatzten sie sinnlos in den abendlichen Säuselwind, gleichzeitig und ohne aufeinander zu hören, leise schwankend, manchmal feierlich den Finger hebend, als gölte es, die Apokalypse auszudeuten.

Am nächsten Morgen wurde der Maler vom Jubilieren der Waldvögel aufgeweckt. Die Frühe versprach einen wunderbaren Wandertag, nicht heiß und nicht kühl. Da hielt es den Landstraßennarren nicht mehr länger im Wiesental. Er nahm von Bartle Abschied. Das Bildnis wollte er ihm belassen, zum Gedächtnis und weil es beim Marschieren beschwerlich war. Doch der Waldbruder, jetzo kotznüchtern, sah bedenklich nach dem Ebenbild mit der Glanznase und brummte, der Helgen tauge besser für eine Weinschenke als für eine fromme Klause. Als der andere eine saure Fratze schnitt, fügte er in kratziger Katerlaune bei, so solle er halt das Bildnis der viellieben Frau Äbtissin im Kloster Paradies als Gabe überreichen, sie werde ihm dafür Dank wissen. Das schien dem Maler wohlgetan; er schulterte seine Habseligkeiten und verwarf jauchzend die wandertollen Beine.

Der Maler schritt um die Mittagszeit durchs Klostertor . In den Gängen roch es nach gebackenem Rheinhecht, denn es war Fastentag. Dem Fremdling wurden



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Speis und Tranksame vorgesetzt, wie es die Gastfreundschaft gebeut. Als er den magern Fischschwanz verzehrt und den würgenden Birrenmost geschlückelt hatte, führte ihn eine Nonne zur Äbtissin Adelheid. Sie empfing ihn mit huldvoller Herablassung und frug nach dem Begehr. Nun glaubte der Maler die Stunde gekommen, um die Gunst der bärtigen Dame zu gewinnen. Er rückte das Bildnis Bartles ins rechte Licht, daß die Feuernase des Waldbruders im dämmernden Gemach verwegen flammte. Die Wirkung war wunderbar. Adelheid lief dunkelrot an, hustete heftig, als hätt' sich ein Grat im Hals verfangen, und verfärbte sich dann über ein lichtes Zinnober ins schönste Zeisiggelb, wie es das entzückte Malerauge des Gesellen noch nie gesehen. Hierauf fragte sie abermals, doch in drohendem Ton, was der Fremde eigentlich wolle. Dieser erkannte nun, daß die Nonne ungnädig gestimmt war, und stammelte, er habe der Hohen Frau das Bildnis ihres befreundeten collega als Gabe zugedacht. Jetzo sehe er selbsten den Unwert des Geschenkes ein, sintemal die conterfeyung nicht sonderlich geraten. Der Heiligenschein vor allem sei mißlungen und in die Nase übergeloffen, was aber auch dem besten Meister widerfahren möge. Da lachte die Äbtissin schneidend auf und zischte, niemand auf der weiten Welt könne diesem Waldgräuel zu einem Heiligenschein verhelfen, denn ihm gezieme ein Hörnerpaar nach Satansart. Sie hielt inne, murmelte wieder das Gsätzlein von den Hörnern in den Bart, das sich scheinbar


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festgebissen hatte, und säuselte dann mit honigsüßer Stimme: wenn der Gevatter sich getraue, dem gemalten Bartle einen Kopfschmuck aufzusetzen, wie ihn jener Geißbock trage, dann sei sie gern bereit, das Bildnis gegen harte Batzen zu erwerben.

Der Maler zeigte sich geneigt, dem Wunsche zu willfahren. Er gedachte aber, die Äbtissin nur hinzuhalten, sich bei den Nonnen einen guten Tag zu machen und in der Nacht, wenn alles schlafe, heimlich zu verschwinden, ohne das verruchte Werk vollendet zu haben. Adelheid anderseits brannte darauf, den verhaßten Bartle in Teufelsgestalt verewigt sehn, und drängte, der Maler solle mit dem Hörnen gleich beginnen. Dieser schüttelte den schwarzen Schopf und erklärte, daß man ein solches Unterfangen nur in besonderer Stimmung zu einem guten Ende führen könne. Es sei heillos schwierig, inmitten frommer Frauen das Böse fühlend zu gestalten; er müsse deshalb bitten, ihn allein zu lassen und ihm einen Ort anzuweisen, wo weder Sonne noch Mond scheine, auch keine geistlichen Gesänge erschollen und wo es nicht nach Weihrauch dufte.

Das Begehren deuchte die Nonnen billig, und sie berieten, wie man es erfüllen könne. Es fand sich aber im ganzen Gebäude kein solcher Raum als drunten im Klosterkeller. So wurde der Fremde treppab geführt, immer tiefer, über ausgetretene Steinstufen und langhinhallende Gänge bis in das unterste, schauerkühle Gelaß, wo es nach Mauerwerk und altem Weine roch.



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Hier stellte der Maler das Bildnis des Bartle gegen ein spinnwebverhangenes Eichenfaß, klebte düster brennende Kerzen links und rechts auf nachbarliche Gebinde, entließ die ängstlich kichernden Begleiterinnen und schloß die schwere Bohlentüre hinter sich.

Die Äbtissin litt indes unter dem Gedanken, daß ihre wehrlosen Weinfässer gänzlich der brutalen Gewalt eines Mannsvolkes ausgeliefert seien; sie schickte deshalb am späten Nachmittag ein Nönnchen aus, um an der Kellertüre zu horchen, was der Fremde treibe. Das einfältige Ding kam fassungslos zurück und behauptete, daß der Maler mit dem Gottseibeiuns Gelage halte. Jetzo beschloß Adelheid, der Sache selber auf den Grund zu gehen. Sie schlich auf leisen Sohlen durch des Klosters Unterwelt. Bald tönten helles Becherläuten und wilde Lieder ihr ins Ohr. Als sie dann durch eine Türritze spähte, gewahrte sie, von tanzenden Lichtern ans Gewölb geworfen, die schwanken Riesenschatten zweier Zecher. Der eine trug das Lockenhaupt des Malers, der andere den gewaltigen Glatzkopf des Unscheinheiligen.

Die Äbtissin überkochte in gerechtem Zorn und begehrte stürmisch Einlaß. Der Lärm im Kellerraum erstarb. Man vernahm das Geräusch fliehender Füße. Dann, nach langer Zeit, tat sich die Türe knarrend auf. In der Wölbung stund der Maler; man sah ihm an, daß er jetzt in Stimmung war. Adelheid stieß ihn beiseite und begann sich im Gelasse umzusehn. Es schien



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menschenleer. Nun leuchtete die hohe Frau hinter jedes Faß, suchte alle Winkel ab, kroch ins Eckendüster, beklopfte die Gebinde und forschte sogar in Höhlungen, wo die Leiblichkeit des Waldbruders sich niemals hätte bergen können.

Als sie den Verhaßten nirgends fand, dessen Schattenriß sie doch gesehen hatte, geriet sie in weißglühende Wut und herrschte den Maler an, wo der andere sei. Jener meinte, die Nonne frage nach dem fehlenden Wein, und klatschte sich läppisch lachend auf den Bauch.

Schließlich wandte sich Adelheid enttäuscht dem Bildnis zu, um zu erfahren, wie weit es jetzt vollendet sei. Der liederliche Fremde hatte noch keinen Pinselstrich getan, und dennoch schien es irgendwie verwandelt. Die Kleidfalten lagen anders denn zuvor, als hätt' der Klausner sich in vollem Schwunge hingesetzt und nicht mehr Zeit gefunden, das Büsserhemd gebührend glatt zu streichen. Und dann gewahrte die entsetzte Nonne, daß jenes fremd geformte Glas, welches Bartle vorher mit Wein gefüllt in Händen hielt, nunmehr leer und ausgetrunken war. Ein einziger Tropfen hing rotfunkelnd am Rand, löste sich und rann langsam über das bemalte Holz.

"Daruz ersahe die Äbtissin daz der waldbruoder sich durch zauberey vom gmeld gelöst het und am klosterwein gewäsen." Sie gebot dem Maler, er solle sich mitsamt dem verhexen Bildnis unverweilt von hinnen heben.



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Also wurde der Pinselschlecker vor die Klosterpforte geführt und aus dem Paradies gestoßen, wie weiland der erste Mensch. Er blinzelte grämlich in den leuchtenden Herbsttag. Dann aber spürte er die Landstraße unter den Füßen, sah sie weißbestäubt dahinwandern, zwischen kahlen Stoppelfeldern sich verlieren, in der Weite wieder aufscheinen, zurückwinken und endlich ohne Besinnen einem Traumglück entgegenstürmen, das irgendwo in sehnsüchtig überblauter Ferne schweben mochte. Jetzo warf der Maler sein Gerät über den Rücken, das Bildnis des Bartle obendrauf und stoffelte hastig wie ein gekitzelter Käfer die geliebte Straße entlang, seinem unbekannten Ziele zu.

Adelheid schaute vom Refektorium aus dem sonderbaren Wallfahrer nach. Der närrische Kerl war bis zu den Kniekehlen vom Bild des Bartle zugedeckt, so daß man meinen konnte, der Unscheinheilige selber marschiere hinterwärts übers Land, goldnäsigglänzend, bei jedem Schritt vom Lachen geschüttelt und der zornigen Frau am Fenster mit leerem Glas einen höhnischen Zutrunk bietend.



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Der waldbrueder heilt eine seltsame creatur und bekömt bsunderbarlich süeßen lohn

Unterhalb der Waldklause weitete sich der Rhein einer verwunschenen Bucht. Das Wasser stand hier gänzlich still und strömte nur dem Ufer entlang beinahe unwirklich aufwärts, zwischen den verworrenen Wurzeln riesiger Bäume durch, ölglatt und warm. In der Mitte des Kessels schien dann und wann ein Quell sprudeln, barst auseinander und verrieselte in schwarzen Wellenkreisen. Der Wald war so dicht und dunkel wie nirgends sonst und wehrte jedem Wesen den Zugang; einzig die schlanken Nattern konnten sich hindurchschlängeln und schwammen etwan wie geheimnisvolle Zauberzeichen auf dem reglosen Wasserspiegel, während die Libellen blaublitzend darüberhinflirrten.

Die Fischer mieden diesen unheimlichen Ort, denn sie meinten, daß auf dem Grund eine grausam schöne Nixe wohne. Bartle aber spottete über diesen Aberglauben, derweil ein hübsches Frauenzimmer sich in den vielen Jahren wohl längst gezeigt hätte.

Es geschah jedoch, daß der Waldbruder an einem schwülen Sommertag unversehens im Uferschilf auf einen großen Fischschwanz trat und ausglitt. Bevor er



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sich wieder erhoben hatte, platschte es im Fluß, als wenn ein ungeheurer Frosch ins Wasser springt, und dann kamen die Wellen zornig angerauscht, daß sich der verdutzte Einsiedel völlig durchnäßt auf festen Boden flüchten mußte. Eine ganze Weile ging ihm kein Fischlein mehr ins Netz; doch einmal hing ein ersäufter Kater drin. Jetzo begann Bartle selber an die Wasserfrau zu glauben, welche ihm auf diese Weise bedeuten mochte, wessen er sich zu versehen hätte. Er ging deshalb dem Heidenwesen sachte aus dem Wege.

Zu ausgang dieses jahrs war eine strenge, grimmige Kälte mit sehr vilem und tiefem schnee. Der Rhein hatte zu Schaffhausen wenig bevor, daß er nicht gar überfroren. Der Obersee, welches zuvor niemals erhört worden, war ganz und gar mit eis beschlossen, also daß es roß und man trug."Bartle hatte sich tief in seine Klause verkrochen und verließ sie bloß, um das Glöcklein der Kapelle zu läuten; die Töne stürzten dann wie gestorben durch den frostklaren Raum. Er hielt gleichzeitig Ausschau, ob irgendwo eine Kreatur in Not sei; aber zumeist zogen nur die Krähen in schwarzen Schwärmen über das unwirtliche Land.

Eines Tages gewahrte der Waldbruder, daß sich tief unten im Nixenkessel etwas regte. Er dachte, es könnte wohl ein Wasservogel im Eise eingefroren sein, und machte sich auf, ihm zu helfen. Die Bucht war gedeckelt wie ein Schneckenhaus, nur in der Mitte gähnte ein Loch, aus welchem das Wasser in steten Atemstößen



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dunkel überwallte. Aber es fand sich nirgends ein lebendiges Herz.

In der Nacht erwachte Bartle durch einen seltsamen Laut. Er horchte in die Finsternis hinaus und vernahm vom Nixenkessel her dumpfes, jammervolles Husten. Da erfaßte ihn ein heftiges Erbarmen mit dem einsamen Wesen im kalten Wasserloch. Er entfachte ein Feuer und kochte aus Kräutern, welche die Sonnenglut eines ganzen Sommers in sich hatten, einen heilsamen Trunk. Alsdann wandelte der brave Samariter mit der dampfenden Brühe nach der Nixenbucht und stellte die Kachel sorglich an den Quellrand.

Am andern Morgen lag die Tasse umgestürzt im Schnee. Bartle glaubte, es sei aus Unachtsamkeit geschehen, und mühte sich ein zweites Mal. Das Gebräu fand wiederum keine Gnade.

Schon wollte den Waldbruder der Verleider überkommen, als er bedachte, das näschige Wasserweib möcht' vielleicht dem Wein geneigter sein. Erwärmte einen vollen Becher "Himmelfahrtswein", setzte Gewürze zu und trug das Duftgetränk zum Nixenloch. Und siehe, anderntags war das Gefäß zwar leer, aber kein roter Tropfen auf das Winterleilach ausgegossen.

Von jetzt an stand jede Nacht eine Kachel voll Glühwein bereit, bis der Husten der Wasserfrau immer zahmer ward und endlich verstummte, als des Föhnwindes Fieberzungen das Eis in der Bucht aufgeleckt hatten. Darüber ist es wieder Frühling geworden.



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An einem weichen Maienabend lauschte Bartle einer Amsel, welche auf dem letztbesonnten Wipfel singend Andacht hielt. Als sie schwieg, hallte durch die Stille neuerdings das Husten der Nixe; aber es tönte wie das sehnsüchtige Blöken einer Hirschkuh. Der Waldbruder schmunzelte, denn ihm schwante, daß die Wasserjumpfer nach einem guten Schluck Verlangen trug. So fuhr er denn fort, sie mit "Himmelfahrtswein" zu versorgen, obwohl sie längst gesundet war.

Einmal, als Bartle das Krüglein am Ufer niedersetzte, rauschte die Tiefe auf, und aus dem Wirbel stieg die Nix empor, vom verströmenden Wasser überglänzt. Sie griff begehrlich nach dem Topf und trank in einem Zug. Im Schein des aufgehenden roten Mondes konnte Bartle sie geruhsam betrachten. Sie gehörte zur einschwänzigen Art. Der Fischleib verlor sich moosgrünleuchtend im Uferschatten. Das Haar wellte wie die langen Gräser der Wassewiesen um ein ebenmäßiges Gesicht von jener Schönheit, welche nur zeitlosen Geschöpfen eigen ist. Die Haut war perlmutterfarbig, die Lippen hatten das zarte Rot atmender Fischkiemen, und die Augen wechselten zwischen Libellenblau und dem Grün des schäumenden Flusses in der Schneeschmelze. .

Die Fischfrau stellte das geleerte Gefäß artig ins Gras, sah Bartle unverwandt an, schnellte dann jäh aus dem Element, umhalste den Einsiedel mit nassem Arm und küßte ihn auf die borstige Wange.



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Bartle erschrak bis in das Innerste hinein und wischte sich dann entrüstet mit dem Kuttenärmel die Liebkosung aus dem Gesicht. Darob ließ die Nix ein silberhelles Lachen klingeln und glitt in die Tiefe zurück . Dort, wo sie versunken war, kicherten noch lang die Wasserbläschen hervor, und aus dem Mondscheinschilf quarrte das Gelächter der Frösche.



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Von geweintem wasser und gegewässertem wein, was kurtzweylig zu hören ist

Von einsamer Felsenzacke des Urgebirges blies der Berggeist ein sehnsüchtiges Alphornlied in die steinerne Stille hinaus. Da horchten die grauen Wolkentiere aller Himmel auf und wanderten in endlosem Zug nach dem heimatlichen Bergland, wo sie sich in Schlüften und Schrunden bargen und ungestaltig und nebelicht auf- und niedewallten. Jetzo fiel kein Tropfen Regen mehr.

"Der Häwmonat war so häiß, daß die Iser und Escher im Rhein ans Land schwammen, kalt wasser zu suchen, und ehe sie wider recht ins wasser kommen mochten, fielen sie für großer hitz an den ruggen, daß die fischer sie in großer menge mit den händen fiengen, waren faißt und gut. Der boden war von der großen hitz dermaßen verbrennt, daß gar kein embd war, sahe, als wann er mit feur besängt were. Großer schad geschahe an Bäumen, die verdorreten von großer hitz. Es versiegen alle bäch und brunnen, daß man nienen mahlen konnte. Der Gerwerbach war gar vertrocknet. Der Rhein war so klein und dünn, daß die schiff nicht halb geladen mochten herabkommen. In summa: ein



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trockener Sommer mit so großer und strenger hitz, daß dieser orten niemand dergleichen verdenken mochte."

In dieser Notzeit wandten sich die gnädigen Herren von Schaffhausen an die Adelheid mit dem Begehren, sie möchte beim himmlischen Wettermacher um einen erlösenden Regen bitten.

Die hochwürdige Frau ließ den Boten eine gute Weile im heißen Klosterhof schmoren, ehe sie ihn empfing, denn sie hatte das schnöde Gebaren der Stadtbehörden im Handel mit Bartle unverrückt im Gedächtnus behalten. Schließlich erbarmte sie sich doch des völlig durchweichten Männleins und versprach, dem Wunsch zu willfahren, sofern dem Kloster ein Fass Wein gestiftet würde, vom besten, überletzten Jahrgang. Der Ratsherr mußte grochsend den verlangten Preis gewähren, und nun schloß sich die Äbtissin in ihre Zelle ein, um die ersehnte Labsal herbeizuflehen.

Siehe, ihr Gebet ward erhört. Die Winde, die Winde, des Himmels jauchzende Hirtenbuben, trieben die Wolkentiere aus den Felsenställen und schickten sie auf Fahrt.

Adelheid gedachte aber die Gelegenheit zu nutzen, um den Stadtbürgern einen Denkzettel zu geben. Sie lockte daher eine ganze Wolkenherde nach der Stadt, wo die luftigen Wesen, von der Gewalt des Gebetes bezwungen, mit grauen Bäuchen so tief über Häuser und Giebel dahinstrichen, daß sie an den Kirchturmspitzen und der Feste Unot hangen blieben und sich das zarte Fell zerschlissen. Alsogleich begannen die wehleidigen Geschöpfe



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jämmerlich zu plärren; die Regentränen rannen in Strömen.

"Davon gingen die wasser an, thaten merklichen großen schaden, verderbten die Straßen, verflötzten die weinberg und die gearten felder, verschwemmten die wisen, allermeist im Merishauser thal. Der Gewerbach erfüllte den Gerwern ihre häuser, füehrte denselben die Lawtrög sampt den häuten weg, daß man genug zu wehren hatte."

Nun schickten die Stadtväter ein zweites Mal zur Adelheid mit dem Ersuchen, sie möchte den Wasserfluten Einhalt gebieten. Aber die Nonne ließ sagen, das sei nicht mehr ihre Sache, und fügte boshaft bei, die wohlmögenden Herren würden sich besser an den alten Hexer Bartle wenden, welcher das wässerige Element gewiß zu bannen wüßte, wie seine Nase zur Genüge beweise.

Daraufhin sandten die Räte den Boten zum Unscheinheiligen. Dieser zauderte nicht lang, schürzte die Kutte, griff zum Haselstock und machte sich auf zur Stadt, durch tropfende Wälder, reißende Bäche und sumpfige Wiesen, daß der hintennachhumpelnde Abgesandte, zum andern Mal bis zur Haut durchnäßt, sämtliche weiblichen und männlichen Heiligen zur Hölle wünschte.

Die gnädigen Herren zogen Bartle bis vor die Stadtmauern entgegen und geleiteten ihn zum überschäumenden Rhein, zweifelnd, ob ihm wohl der Bann gelinge.



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Der Waldbruder trat unverzagt an den Fluß, schlug dreimal feierlich mit flacher Hand in das wirbelwilde Wasser und schau, es wich so rasch ins alte Bett zurück, daß die Fische unversehens auf dem Trockenen lagen und zwischen Uferkieseln kläglich um ihr Leben sprangen. Darob erstaunten die Wolkentiere sehr und vergaßen ihren Kummer. Ein letzter Tränenschauer ging leise rauschend über das Land hinweg, dann kam wunderblau die Himmelsweid herfür.

Die frohen Stadtväter, selten zum Fasten, doch immer zum Festen geneigt, luden Bartle zu einem Ehrentrunk in den Ratsaal. Indes der Waldbruder meinte, ein ganzes Fäßchen von der Art, wie es der Adelheid gewährt worden, sei ihm noch lieber. Da lachten die edlen Herren säuerlich und versprachen, er könne beides haben. Also hoben sie zusammen die Humpen, bis das Frührot durch die Butzenscheiben glomm.

Den Stadtkellermeister wurmte es aber, daß ein zweites Fäßchen vom Allerbesten für Larifarizeug geopfert werden sollte. Er stellte deshalb ein halbleeres Gebinde bereit, welches er mit lauterhellem, unverfälschtem Rheinwasser auffüllte, im Glauben, daß der Einsiedel der Täuschung nicht inne würde, zumal er an den sauren "Himmelfahrtswein" gewohnet sei.

Mit sturmen Köpfen wanderte endlich die ganze Gesellschaft nach dem Schiffländeplatz unterhalb des Rheinfalles, um den Waldbruder und das Faß in einen Nachen zu verstauen, welcher schon ungeduldig an den



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Ketten zerrte, Der Pfad führte einen gächen Stotz zum Fluß hinunter. Bartle wollte daher beim Verlad des wohlverdienten Weines behülflich sein. Aber sobald er Hand ans Fäßchen legte, gebärdete sich dieses wie ein lebendiges Wesen, das Schläge scheut: es hockte und kollerte, riss sich schließlich los, rollte holterdiepolter den Hang hinab und zerschellte unten am felsigen Ufer.

Bei diesem betrüblichen Anblick sank der Kellermeister reuig in die Knie und gestand den Trug. Also ward offenbar: das in den Wein gegossene Rheinwasser hatte die "wunderterige hand des eremiten merklich gespüret und war gehorsam an den ort geloffen, wo es hingehörete". Die Ratsherren staunten ob der Gewalt des Bannzaubers und geboten dem Kellermeister, unverzüglich ein ander Faß herbeizuschaffen und es mit den bunten Blumen des frühen Herbstes zu kränzen.

Inzwischen lagerten sie sich im Ufergras, vom Hauch des Falles übersprüht, dessen ungeheure Wasserstürze aus dem morgengrauen Himmel zu kommen schienen. Bald war mäniglich still: Der Waldbruder beugte sich vor dem herrlichen Werk des Schöpfers, die andern aber gedachten kummervoll des unhimmlischen Wortschwalles ihrer Eheliebsten, welcher einer durchzechten Nacht folgen pflegte.



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Bartle wird gewogen und eines fäderlins wegen nit zu leicht erfunden

Als die Adelheid erkannt hatte, daß ihr die weltliche Gewalt im Streithandel mit Bartle niemals Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, gelangte sie an den Bischof von Konstanz mit dem Begehren, er möchte dem Waldbruder jede geistliche Handlung untersagen, denn der Einsiedel sei ein garstiger, unwissender Gesell, welcher mit dem Gottseibeiuns im Bunde stehe und somit einen wahren Dorn im Fleisch der Kirche bilde.

Der Bischof wollte der Äbtissin, die er sehr schätzte und auch ein wenig fürchtete, gern zu Gefallen sein; er fühlte sich aber unpäßlich und übertrug die Aufgabe einem jungen Prälaten. Dieser, ein großer Eiferer vor dem Herrn, beschloß, dem Übel selber nachzuspüren und machte sich im Christmonat nach dem Wiesental auf den Weg. Das Wetter war wunderschön, aber bitterkalt. An Baum und Busch funkelte der Rauhreif, und darüber hing der Himmel wie ein gefrorener blauer See.

Der Priester kehrte erst im Kloster Paradies ein, um den bischöflichen Segen abzuliefern, den Handel mit Bartle nochmals bereden und die klammen Finger



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aufzuwärmen. Er ward herzlich empfangen, als willkommener Racheengel, und festlich bewirtet, denn die schlaue Äbtissin wußte wohl, daß ein zufriedener Bauch der beste Fürsprech ist. Als die gebratene Gans auf dem Tisch erschien, braungelb glänzend und wohlgeformt, begannen die Adelheid und die Babette ihre Anklagen wider den Waldbruder vorzubringen. Sie lösten sich dabei getreulich ab wie Botenläufer. Also erfuhr der Pater, daß der Unscheinheilige ein unflätiger Waldgräuel sei, welcher ehrbare Männer verhexe und durch Verwünschungen in den Tod treibe, mit unseligen Wassergeistern vertrauten Umgang pflege und dergleichen Schandtaten mehr. Der bischöfliche Abgesandte ließ hin und wieder ein Grochsen hören, sei es, weil ihn das fette Gänsefleisch bedrückte oder aber die feißen Sünden des Einsiedels. Endlich wischte er sich abschließend den Mund und verkündete, daß er das häßliche Hühnerauge im Wiesental gründlich austilgen wolle. Darüber frohlockten die Nonnen sehr. Sie gaben dem scheidenden Prälaten einen scharfgeschnittenen Gänsekiel und ein Fläschchen Gallentinte mit, dieweil er solches beim unwissenden Bartle doch nicht finde. Das Geschenk mochte aber auch gemahnen, daß der gute Gänsebraten nicht umsonst genossen sei, sondern zu einem gallenbittern Gericht über den Waldbruder verpflichte.

Der Pilgrim betrat das Wiesental beim Einnachten, von Kälteschauern geschüttelt, denn der wölfische



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Frost war dicht vorbeigestrichen, das Grauhaar gesträubt, die grinsenden Lefzen mit Eiszapfen behangen und die Augen so kalt wie die knisternden Sterne. Darob war die gute Laune des Priesters gänzlich eingefroren, und was er sah und erfuhr, mußte den Verdruß nur mehren: die unwohnliche Höhle, der bäurische Bartle, das karge Mahl, der saure Wein und das rauchende Flackerfeuer im Herd. Er beschloß, sogleich den Auftrag zu erfüllen und dann eilig zu menschlicheren Bezirken heimzukehren.

Also begann der junge Pater den Alten in Liturgie, Apostelgeschichte und Latein zu examinieren. Aber Bartle wußte nirgends Bescheid und wurde so verzagt, daß es ihn selber dünkte, er sei unwürdig, länger ein Diener des Herrn zu heißen.

Hierauf erhob sich der Priester und stelzte stürmisch durch die Höhle hin und her, mit schwarzen Kuttenärmeln wehend gleich einer Fledermaus, weil ihn fror, und auch des beißenden Rauches wegen, der grämlich im Felsgewölbe hing. Während der Wanderung rückte er Bartle mit verzwickten Fragen zu Leib: Warum der Bruder die hochwürdige Frau Oberin wie gemeines Viehzeug eingesperret habe, dem heidnischen Fischweib dagegen gefällig gewesen sei, et cetera, et cetera. Wenn aber Bartle sich stotternd verwahren wollte, dann fuhr der hitzige Inquisitor mit einem bösen "Hm, hm" dazwischen, wie ein stößiger Bock, bis der Alte verzweifelt das wirre Haupt schüttelte, daß die Schweißtropfen



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weitumher sprühten und auf den heißen Herdsteinen zischend verdampften zu Opferräuchlein einer armen Seele.

Endlich brach der gestrenge Prälat die Prüfung ab, um den Bericht an den Bischof gar zu kochen. Der leere Magen, die steifen Glieder und der scharfe Gänsekiel der Adelheid befeuerten dabei seinen Geist, daß er die schwungvollsten Worte fand, die gröbliche Unwissenheit des Waldbruders geziemend zu geißeln.

Inzwischen war Mitternacht heraufgekommen. Das Herdfeuer warf so geringen Schein, daß der eifrige Schreiber nicht einmal seinen Namen unter die letzte Seite setzen konnte. Auf einmal fuhr ein kühler Lufthauch durch die Blätter, und der Priester sah, daß Bartle die Türe leise geöffnet hatte, um die Höhle verstohlen zu verlassen. Er ging ihm neugierig nach.

Der Alte wandelte mit gesenktem Haupt in den Wald hinein zu einer stillen Lichtung. Hier standen die Riesentannen feierlich wie Pilaster eines Domes in der Runde. Darüber wölbte sich die funkelnde Himmelskuppel. Bartle hielt an. Jetzo traten allenthalben die Waldtiere aus dem Schatten. Der Einsiedel grüßte sie wie gute Freunde, liebkoste die Hasen, Rehe und Füchse und holte aus den Falten seiner Kutte Leckereien hervor oder Balsam, um die Wunden zu arznen. Und die scheuen Wesen hielten gelassen still. Derweil schwebten um die schwarzen Säulenstämme lichte kleine Engel auf und ab. Die Silberseelchen vereinten sich manchmal



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zum Ringeltanz in den Lüften oder sie flatterten lausbübisch um die Glatze des Waldbruders, gleich Faltern über einer Wasserglungge.

Schließlich klatschte der Unscheinheilige in die Hände. Die Waldtiere huschten ins Dunkel zurück, und das Engelvolk fuhr erschrocken auf, daß die weißen Federn stoben. Also war ein traumhaftes Schneien im sternhellen Wald...

Der Pater erwachte aus schwerem Schlaf und spürte die alterskühle Hand des Waldbruders auf der Stirn. Als er verwundert schaute, erzählte Bartle, daß er lange zwischen Leben und Tod geschaukelt, jetzt aber ganz gesundet sei. Es währte aber geraume Zeit, bis der Kranke wieder zu Kräften kam. Er hörte noch die Schmelzwässer im Felsen tröpfeln und den wilden Tauber im Wald gurren, und er erkannte auch, daß der Einsiedel zu jenen gehörte, welche das Evangelium nicht zu wissen bräuchen, weil sie es im Herzen tragen.

An einem Frühlingstag nahm der Genesene Abschied von dem borstigen Bartle, dem sauren Wein und der stillen Friedensklause im Wiesental. Er wandte sich zunächst gen Schaffhausen, wo er wie ein Auferstandener empfangen ward. Im Trubel der geschäftigen Stadt und unter gelahrten Freunden vergaß er alsbald die Zeit der Besinnung; er fühlte neue Säfte durch die Adern rieseln, und der alte Eifer kam wieder über ihn. Es geschah nun, daß ihm jener Bericht an den Bischof in die Hände fiel, worin er Bartle der grenzenlosen Unwissenheit



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geziehen hatte. Der Priester las, und sein eitler Sinn bedachte, daß es eigentlich schade wäre, diese wohlgeformten Sätze und messerscharfen Schlüsse einer verständnisvollen Mitwelt vorzuenthalten. Er suchte deshalb nach dem Gänsekiel der Äbtissin, das Werklein mit sausender Unterschrift zu krönen, fand ihn aber nicht. Dafür geriet ihm ein Federlein zwischen die Finger, seidig, von der feinsten Art, doch ganz ungewandt, auch nur das geringste Wörtlein aufzuschreiben . Und mit ihm kamen die Erinnerungen gezogen wie ferne, fromme Musik: der treue, hilfbereite Alte und das Engleinwunder im heimlichen Wald. Der Prälat wog das leichte Ding nachdenklich in der Hand, blies es dann leise an, es hob sich, schwebte durchs Kammerfenster davon, schaukelte sachte in der sonnenheitern Luft, über dem dunkelströmenden Fluß, wie zwischen Leben und Tod, begann steigen, silberig, höher und höher, bis es als zärtliches Flaumwölkchen am föhnigblauen Frühlingshimmel hing. Hierauf zerriß der Pater den Bericht und warf die Fetzen zum Fenster hinaus. Sie taumelten erdenschwer in das vorüberhastende Wasser, das sie mit gierigen Wirbeln faßte und von dannen trug.

Als der Pater nach Konstanz kam, fand er eine große Verwirrung vor. Kurz nach seiner Abreise im Winter hatte nämlich eine sonderbare Krankheit umzugehen begonnen, "das Hüehnerwehe genannt. Die stieße den menschen mit großem frost an; darauf folgete



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ein wüetendes und rasendes hauptwehe und wüester Pfnüsel. Die rupfte darnach hie und da bis auf Wienachten, da hörete sie auf, waren ungefehr bey 50 menschen verzucket". Diese Seuche hatte auch den Bischof hinweggerafft und andere geistliche Würdenträger mehr. Nun war das Bistum verwaist und mäniglich froh, daß der verschollene Abgesandte als kundiger Mann die Geschäfte in seine festen Hände nahm. Er bewies dabei solches Geschick, daß er später zum Nachfolger des verblichenen Bischofs bestellet ward.

So geschah es, daß die Äbtissin Adelheid nach etzlichen Monden ein gnädiges bischöfliches Handschreiben empfing, besagend, daß seine Hochwürden den Waldbruder selber examinieret und dabei erfunden habe: Der Bartle solle unserm barmherzigen Vater weiterhin dienen nach seiner großen Einfalt, sintemal ein einziges, nichtsnutziges Engelsfläuderlein im Himmel schwerer wiege als tausend Gänsekiele, mit denen man alles Wissen der Welt aufschreiben könne.



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Gott verlich ihm und uns allen eine froliche Auferstentnus

Es war im späten Sommer. Aus jedem Tenn klopften die Dreschflegel in dumpfem Takt. Bartle konnte nicht mehr mithelfen wie früher; er fühlte sich müde und zerschlagen, "nit anders dann eine reife ären, so gedroschen wird biß die gülden körner fallen". Es mochte wohl das Alter sein, das ihn immer mehr mit zähen grauen Fäden überspann.

An diesem Tag war Bartle im Gras eingeschlafen und, von fremder Kühle angehaucht, spät erwacht. Gegen den durchsichtigen Abendhimmel stand der Schattenriß eines Mannes, umströmt vom Schmelz der Sommerwende. Der Fremde bekannte sich als fahrenden Gesellen, welcher den Bauern beim Erntefest zum Tanze spiele. Auf der Wanderschaft hatte er viel erfahren und wußte daher manches zu berichten, von großer Wassernot, dem Erdbeben, das eine ganze Stadt erschüttert, von grausamem Schlachtengewühl, dem Chasma oder Heerfeuer und von der Pestilenz, welche das Land entvölkerte; es war eine Zeit des großen Sterbens. Er erzählte auch, daß in Basel abkonterfeiet ist, wie der Tod zum Tanz antritt: mit dem stolzen König, dem



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frommen Bischof, dem reichen Kaufmann, dem geplagten Landmann, dem zerlumpten Bettler und dem holdseligen Jungfräulein, Und der Fremdling tat es dar, mit abgemessnem Schritt, blies dazu die Pfeife, lind und leid, und fragte, ob es den Bartle nicht auch zum Tanz gelüste. Der aber meinte, die Knochen seien wohl alt, er halte es lieber mit dem süßen Wein. Da sagte der andere auf eigene Art: "Bruder, dein wein ist sauer", stieß den Becher um ins Gras, warf den Mantel über und schritt pfeifend in die Nacht hinein.

Der Einsiedel blieb lange wach, denn immer ging die geisterhafte Weise der Querpfeife um, einmal in weiter Ferne, hinter allen Wäldern, dann wieder ganz nahe, gleichsam über die Schultern weg; sie schien im Land herumzuwandern wie der leise Tod. Aber, als Bartle genau hinhorchte, war nichts anderes zu hören als das dunkle Rauschen des Flusses und das silberne Zirpen der Zikaden.

Am nächsten Morgen zitterte die Schwüle überm Land. Es war ungewiß, ob sie aus dem heißen Boden stieg oder vom glühenden Himmel fiel. "Die Sonne scheinete blut- und feuerrot, mit einem dunkeln und traurigen glanz. Sie stunde am himmel nicht anders als wie ein kleines scheiblein, und alles was sie bescheinen thate, sahe rotfarb aus." Als Bartle das Kätterlin auf die Weide treiben wollte, blieb die Geiß störrisch stehn und ließ den Kopf hangen.



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Gegen Mittag begann sich das Firmament zu bewölken, doch die Hitze nahm noch zu.

Um die Vesperzeit machte sich der Waldbruder auf, das Glöcklein zu läuten. Der Felsenpfad wand sich gleich einem feueratmenden Lindwurm durch das Gestein. Auf der Höhe wehte ein heißer Wüstenwind. In der Kapelle waberte die warme Luft wie in einem Backofen. Durch die Fensterwölbung aber flutete das Stromland als ein schwermütiges Lied: der düstergrüne Fluß, Schilf im Wind, flatternde Pappeln und silbrige Weiden, falbe Fruchtfelder, dunkeldräuende Waldkuppen, gekrönt mit schimmernden Wolkenburgen und über allem der weite Gewitterhimmel, in dessen unruhvoller Tiefe ein Weih einsamstolze Kreise zog.

Bartle spürte, wie ihn alle Kraft verließ. Er vermochte nicht einmal das Glockenseil fassen und brach taumelnd in die Knie. Als er hilflos, von Schwäche übermannt, im Staube lag, blendete ihn eine seltsame Erkenntnis: Der Strick zu Häupten, das verdämmernde Sommerland - mein Gott -, das alles war schon einmal gewesen, vor langer, langer Zeit. Oder hatte er das Leben als Knecht des Herrn etwan nur geträumt und war diese Sterbestunde die einzigwahre, bittere Wirklichkeit? Also quälten ihn Zweifel; er fing herzinnig zu beten an und um ein Zeichen zu flehen.

Siehe: Durchs Fenster flog ein Schwälblein herein, zwitscherte durch den Raum, rührte mit flüchtigen Schwingen die Glocke an und schoß oben zum Turmloch



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hinaus. Dann erschienen andere und ständig mehr. Sie streiften in schwirrendem Flug an der Glocke vorbei, welche nun zu klingen begann, wundersam tröstlich, von Gottes gefiederten Kindern bewegt. Jetzo kam Frieden über den Alten. Er lauschte versunken dem Läuten und Flügelsausen, das immer mächtiger tönte, wie das nahe Orgeln des Stromes. Oder war es des Blutes letzte müde Welle, die rauschend in die Ewigkeit verlief?

Der Schwalbenschwarm füllte das Fenster ganz und gar und deckte mit schwarzen Fittichen das liebe Erdenbild zu. Doch die weißen Vogelbrüstchen wiesen einen schimmernden Weg zum Himmel hinauf.

Der unsterbliche Bartle hob sich aus der toten Hülle und schwebte leicht wie Flaum den Felshang hinab. Er trat zum Kätterlin, schwang sich auf dessen Rücken und ritt himmelwärts. über dem Kloster Paradies stupfte er die Geiß in das Hintergestell, sie schwenkte das Schwänzlein und ließ etwas fallen, "da kame ein schneller hagel daher der wärete nicht lang, thate aber ziemlichen schaden und zerschluge zu Paradeiß die felder, obstgerten und aufgehangene wäsch, fielen stain so groß als gaißenbonen, waren auch thails graw, thails schwarz. Jedermann war sehr erschrocken; es gab ein geläuf".

Als Bartle die seligen Räume erreicht hatte, wo die Erde fern, wie ein Funke, im Dunste hängt, glitt ihm aus blauer Unendlichkeit ein Wolkenschiff mit Engelmusik entgegen. Die Himmlischen spielten eine kunstvolle



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Hallelujakantate zum Willkomm und waren derart in ihre Noten vertieft, daß sie lange nicht gewahrten, wie finster der Unscheinheilige blickte. Schließlich aber ließ der Meisterengel erschrocken den Taktstock sinken, und die Musik verstummte. Einzig ein kleiner Pfeifenengel war so eifrig bei der Sache, daß er ganz allein noch ein paar liebliche Triller blies, die wie silberne Bälle auf- und niedertanzten. Und dann wurde es stille, so stille, daß man in unermeßlicher Ferne die Ewigkeit aufrauschen hörte.

In dieser tiefsten Stille fing ein Heupferdchen zu zirpen an, ein ganz gewöhnlicher Grashüpfer, nicht einmal von der hübschen grünen, sondern einer von der gemeinen braunen Art. Das Tierchen saß in den Gewandfalten des Waldbruders und hatte geschwiegen, solang die Engel musizierten; jetzt aber wetzte es die Flügel, sich selbst zum Trost. Und siehe: Bartle horchte auf, nickte, und ein Leuchten ging durch ihn hin.

Da neigte der Gambenengel, der noch nicht lange im Himmel war, das schwere Lockenhaupt und zupfte sachte die Saiten, derweil die heimwehschweren Tränen darauf niedertropften und sich aufreihten zum schönsten Regenbogen. Die andern aber lächelten sich himmlisch zu, fielen mit ihren Instrumenten ein, und es hob ein wunderliches Geigen und Musizieren an, wie das Singen einer Grillenwiese an seligblauem Sommertag...