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Fritz Brupbacher Marx und Bakunin

Ein Beitrag zur Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation

Vorwort Karl Lang

Karin Kramer Verlag

Berlin

genossenschaft buch und information

Hausen am Albis

Die Herausgeber danken dem Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich und Herrn Kurt Lang für die hilfreiche und freundliche Unterstützung bei der Neuherausgabe des Buches.© Karin Kramer Verlag, Berlinund genossenschaft buch und information, Hausen a.A. Umschlaggestaltung: Christian-Georg Staehelin und Mario Righetto Herstellung: Genossenschaft ARPA-Druck, Langnau a.A. Printed in Switzerland 1976 ISBN 3 87956 006 4Einleitung

Ohne Zweifel gehört Fritz Brupbacher (30.6.1874 - 1.1.1945) zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des schweizerischen Sozialismus zwischen der Jahrhundertwende und dem Zweiten Weltkrieg. Wenn er auch, getreu seiner anarchistischen Grundhaltung, niemals eine leitende Position in irgendeiner Organisation innehatte, so übte er doch während Jahren einen bedeutenden Einfluss aus auf Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Jugendorganisation in der Schweiz. Welcher Art dieser Einfluss war, geht deutlich aus dem folgenden Zeugnis Willi Münzenbergs hervor: "Das Glück wollte es, dass ich schon in den ersten Tagen meines Zürcher Aufenthaltes Fritz Brupbacher und seinen Zirkel kennenlernte. Wenn ich auch später verschiedene politische Ideen, die ich in diesem Kreise kennenlernte, korrigierte, so habe ich doch einen ungeheuren Gewinn aus dem Verkehr mit seinem Kreis gezogen: die Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit und ihr Verhältnis zur Umwelt. Wohl waren mir vor der Züricher Zeit zahlreiche politische und volkswirtschaftliche Formeln aus den Kursen von Rühle, Duncher und anderen geläufig, aber erst in Zürich lernte ich die Vorgänge um mich selbständig betrachten, erklären, kritisieren und werden."(1)

Brupbacher entstammte dem aufsteigenden Bürgertum des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts. Sein Vater war ein Selfmademan im schweizerischen Kleinformat. Seine Weltanschauung bestand aus den drei ehernen Säulen Pflicht, Ordnung und Gehorsam. Beim Sohn entwickelte sich aus dem Hass auf diesen Haustyrannen und dessen Besitzgier die Ablehnung des Bürgertums überhaupt — eine der dauerhaftesten Konstanten in seinem Leben. Erste Bestätigung und Ermunterung

seiner Auflehnung fand er bei Friedrich Nietzsche, dessen "Zarathustra" er als die grosse Befreiung aus den Banden der Bürgermoral mit Inbrunst verschlang. Ebenso wirkten auf ihn die russischen Sozialrevolutionäre, die damals in den 1890er Jahren in Zürich Medizin studierten. Sie bereiteten sich nicht auf Erwerb und Karriere vor, sondern auf entbehrungsreichen und gefährlichen Dienst am russischen Volk, um es von Zarismus und Feudalismus zu befreien. In diesem Kreis fand er Lydia Petrowna, seine erste Frau, zugleich sein Ideal als Sozialistin, sein ständiger Ansporn für die eigene Arbeit in der Schweizer Arbeiterbewegung. 1901 eröffnete Brupbacher seine Arztpraxis im Zürcher Arbeiterquartier Aussersihl.

Die schweizerische Arbeiterbewegung befand sich damals in einem gewaltigen zahlenmässigen Aufschwung und in einer nicht minder wichtigen organisatorischen und ideologischen Umstrukturierung. Mit dem neuen Programm von 1904 stellte sich die Sozialdemokratische Partei der Schweiz erstmals ausdrücklich auf den Boden des Marxismus, bezeichnete die schweizerische Demokratie als Klassenstaat und proklamierte die sozialistische Gesellschaft als Ziel. Allerdings wollte man trotz dieser theoretischen Fanfarenstösse eine Reformpartei bleiben und verzichtete auf alle revolutionären Mittel, war man doch überzeugt, diese zur Erreichung des Endziels gar nicht zu benötigen, da die Entwicklung der Wirtschaft und das allgemeine Stimm- und Wahlrecht das Proletariat von selbst an die Macht bringen würden. Ebensowenig revolutionär war der Lebensstil der Parteielite, welche dieses Programm in Kraft setzte. Für Brupbacher repräsentierte sie die ihm vom eigenen Elternhaus

her verhasste kleinbürgerliche Biederkeit und Strebsamkeit und daher von allem Anfang an Zielscheibe seines Spottes.

Bald einmal war sich Brupbacher im klaren, dass mit diesen Parteiführern und mit den bestehenden theoretischen Grundlagen die Schaffung eines revolutionären Proletariats in der Schweiz nicht möglich war. So machte er sich auf die Suche nach einem andern Verständnis von Sozialismus. 1905 lernte er auf einer Reise in die Bretagne Peter Kropotkin und James Guillaume kennen. Über diese Begegnung berichtete er später: "James Guillaume verdankte ich in der Folge unendlich viel. Er war nicht nur ein grosser Gelehrter und ein konsequenter Revolutionär, sondern auch ein wunderbar reiner Charakter und der treueste Freund, den man sich ausdenken kann. Wir waren damals etwa 8 Tage beisammen, und er erzählte mir den ganzen Tag und noch fast die ganze Nacht hindurch von Bakunin und der Ersten Internationalen."(2) Guillaume, seinerzeit der führende Kopf der "Fédération Jurassienne" und Gegner Marxens in der Ersten Internationalen, hatte infolge des Niedergangs des libertären Sozialismus den Schweizer Jura verlassen und lebte seit 1878 in Paris. Aus Enttäuschung über den Siegeszug des Marxismus hatte er sich von der Arbeiterbewegung zurückgezogen. Als dann um 1900 der revolutionäre Syndikalismus innerhalb der französischen Gewerkschaftsbewegung immer mehr Einfluss gewann, flammte bei ihm die Begeisterung von ehedem wieder auf. Als Journalist stellte er sich in den Dienst der neuen Bewegung, in der er eine Wiedergeburt des Bakuninschen Anarchismus der 1860/70er Jahre erblickte.

James Guillaume brachte Brupbacher zusammen mit den Führern der CGT (Confédération Générale du

Travail) in Paris. Hier lernte er einen Typus des Gewerkschaftsführers kennen, der sich positiv abhob vom schweizerischen — und wohl auch vom deutschen — Durchschnitt: "Sie waren Kriegsführer, die ihren Truppen voraneilen, während die unsern den Massen nachhumpelten, sie möglichst zurückhielten, zu rennen anfingen nur, wenn es nicht mehr anders ging, wenn man sich anders kompromittierte vor den eigenen Leuten. Die französischen revolutionären Syndikalisten sahen ihre Aufgabe im Mitreissen der Massen, in der Erweckung des Teufels im Leibe der Massen, während die unsern ihre Hauptaufgabe sahen im Häufen von Schätzen in den Gewerkschaftskassen und im Behalten dieser Schätze."(3)

Fortan war Brupbacher der zürcherische Vorposten des revolutionären Syndikalismus. In Wort und Schrift propagierte er unermüdlich dessen Grundsätze: Ablehnung der Parteipolitik, föderalistische Organisation, Generalstreik als entscheidender Hebel zur Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft. Dabei stand er in engem ständigem Kontakt mit James Guillaume, den Sekretären der CGT und mit den Genossen in der französischen Schweiz, wo zwischen 1905 und 1910 die syndikalistischen Gewerkschaften eine bedeutende Rolle spielten.

Mit dem Aufschwung des revolutionären Syndikalismus erwachte verständlicherweise auch das Bedürfnis nach Aufarbeitung des Erbes des Anarchismus des 19. Jahrhunderts, vor allem des Lebens und Werkes Bakunins und der Geschichte der Ersten Internationalen. James Guillaume, einer der besten Kenner der Materie, arbeitete an einem vierbändigen umfangreichen Werk mit dem Titel: "L'Internationale. Documents et souvenirs". Nachdem der letzte Band 1910 erschienen

war, entschloss sich Brupbacher, durch Übersetzung und Zusammenfassung das ganze Werk einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Im Laufe der Arbeit änderte sich die Zielsetzung und die Basis verbreiterte sich. Andere Quellen, die dem Laien ebenso schwer zugänglich waren, wurden hinzugezogen: Max Nettlaus grosse Bakunin-Biographie, von der sich nur 50 Exemplare in den grossen Bibliotheken befanden, dazu Franz Mehrings Ausgabe des Marx-Nachlasses und seine Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. So entstand etwas mehr als nur ein Abriss der Geschichte der Ersten Internationalen: eine Gegenüberstellung von Marx und Bakunin und eine Darstellung und Begründung des Auf- und Niederganges der sich auf sie berufenden sozialistischen Bewegungen.

"Marx und Bakunin"erschien 1913 im sozialdemokratischen Birk-Verlag in München und erregte sogleich grosses Aufsehen sowohl bei den Anarchisten wie auch bei den Sozialdemokraten. "Es äusserten sich über das Buch Kropotkin und Domela-Nieuwenhuis, Mehring, Radek, Kurt Eisner, Riasanoff, Stekloff, Martinoff und eine Unzahl lokaler Grössen." (4) Die Anarchisten jubelten über die Rehabilitierung Bakunins. Brupbacher hatte versucht, ihn und Marx individualpsychologisch zu durchdringen, hatte von jedem ein Porträt als Mensch entworfen. Hier kam Marx schlecht weg, nicht weil des Autors Sympathien auf Seiten Bakunins lagen — er gab sich grosse Mühe, diese Gefühle zurückzuhalten und auch Marx gerecht zu werden —, sondern weil sein Umgang mit politischen Freunden und Feinden tatsächlich mit Gehässigkeit und Intrigen gespickt war. (5) Seine theoretische Leistung wurde in keiner Weise verkleinert, aber Marx erschien

nicht nur als Wissenschafter, dessen Bedeutung auch Bakunin stets anerkannt hatte, sondern auch als Politiker. Bei den Sozialdemokraten erntete Brupbacher verständlicherweise wenig Lob für seine Bemühungen. Eine grosse Ausnahme bildete Franz Mehring. Er brachte es fertig, sich als orthodoxer Marxist darüber zu freuen, dass der seinerzeit von Marx und später von den sozialdemokratischen Historikern misshandelte Bakunin endlich zu seinem Recht gekommen war. Dieser ideologische Seitensprung wurde Mehring von den Herausgebern der "Neuen Zeit", dem theoretischen Organ der SPD, übel vermerkt: man sperrte ihm für einige Zeit die Spalten.

Auch die Freude der Anarchisten über Brupbachers Buch war jedoch nicht ungetrübt. Die letzten Kapitel gefielen ihnen gar nicht. Denn dort wurde der Frage nachgegangen, wieso der Marxismus trotz seiner Niederlage in der Ersten Internationalen später die Oberhand gewinnen konnte und aus welchen Gründen der antiautoritäre Föderalismus der Jurassier und damit das Erbe Bakunins habe untergehen müssen. Brupbacher führte diese entscheidende Wende auf die ökonomische Entwicklung zurück: "Der Nährboden für eine Bewegung, die starke und freiheitsdurstige Persönlichkeiten voraussetzte, wie das der Föderalismus tat, wurde immer schlechter, darum suchte sich die Arbeiterbewegung in den meisten Ländern Formen, die der Psychologie der Arbeiter, d.h. der grossen Menge der Fabrikarbeiter, mehr entsprachen." (6) Der jurassische Föderalismus sei untergegangen, als die Fabrik aufkam und das bis dahin in der Uhrmacherei dominierende Kleingewerbe verdrängte. Aus selbständigen Heimarbeitern seien ökonomisch abhängige und vorwiegend ungelernte Fabrikarbeiter geworden: "Eine andere

Welt, andere ökonomische und damit psychologische Verhältnisse kamen heran, Menschen, die mehr den Ruf nach Brot als den nach Freiheit zu hören vermochten, Menschen, die nicht mehr an die Befreiung glaubten durch eigene Kraft." (7) Diesem Fabrikproletariat sei der Marxismus der Zweiten Internationalen entgegengekommen mit seiner Lehre, dass die Entwicklung des Kapitalismus selbst und unfehlbar die Befreiung des Proletariats und den Sozialismus herbeiführen würde. Die damals mehrheitlich extrem voluntaristischen Anarchisten lehnten diese auf dem Boden des historischen Materialismus stehende Erklärung ab. In ihren Augen hatte nicht die ökonomische Entwicklung den Marxisten recht gegeben, sondern diese haften auf das sozialistische Endziel verzichtet und sich dem "politischen Selbstbereicherungsgeschäft" zugewandt. (8) Konsequenterweise konnte dann die ökonomische Entwicklung auch nicht für den Niedergang der "Fédération Jurassienne"verantwortlich gemacht werden. Hier fanden die Anarchisten die Ursache in Gestalt einer allerdings nicht näher begründeten Isolierung, in der sich die Jurassier befunden hätten.

Hinsichtlich der gegenwärtigen revolutionären Möglichkeiten war Brupbachers Buch pessimistisch. Zwar kommt am Schluss James Guillaume zu Wort mit seinem immer noch ungebrochenen Optimismus, der in der französischen CGT nach wie vor die legitime Nachfolgerin des Bakunismus der Ersten Internationalen sah und überzeugt war, dass sie willens und auch fähig sei, diesem Gedankengut endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Dieser hochgemute Zukunftsglaube stand jedoch in offensichtlichem Gegensatz zu den vorangegangenen Abschnitten über den Niedergang des Föderalismus und den Aufstieg des Marxismus. Brupbacher

selbst nahm nicht Stellung zu diesem Gegensatz, sondern stellte es ausdrücklich dem Leser anheim, ob er sich dem Urteil von James Guillaume anschliessen wolle. Er enthielt sich der Stimme, weil er wohl noch den Sieg des libertären Sozialismus erhoffte, aber nicht mehr an einen solchen in absehbarer Zeit zu glauben vermochte.

Brupbachers Interpretation des Siegeszuges des Marxismus fand auch bei den Sozialdemokraten wenig Beifall. Dem damaligen orthodoxen Marxismus war sie ein Dorn im Auge, da sie im Sieg über Bakunin nicht einen Beweis für die Wissenschaftlichkeit des Marxismus sah, sondern lediglich eine Folge davon, dass er den psychischen Bedürfnissen des damaligen Proletariats besser entsprach. Übrigens steckt in Brupbachers ebenso wichtiger wie unpopulärer These ansatzweise die nach dem Ersten Weltkrieg von Karl Korsch systematisch durchgeführte Methode, nämlich die Anwendung des historischen Materialismus auf die Geschichte des Marxismus. (9) Nach Korsch war der orthodoxe Marxismus der Zweiten Internationalen die notwendige Ideologie einer nichtrevolutionären Epoche. Analog war nicht nur die Argumentation, sondern auch das Schicksal des Autors. Brupbacher verdarb es mit den Anarchisten und den Sozialdemokraten, Korsch geschah dasselbe mit den Sozialdemokraten der Weimarer Republik und mit der Komintern. Unmittelbare Auswirkungen auf Brupbachers Stellung in der Sozialdemokratie konnte sein ketzerisches Werk allerdings nicht mehr haben, denn um diese Zeit war sein Parteiausschluss-Verfahren —in dem seine aktive Parteinahme für anarchistische Methoden und Lösungen eine Hauptrolle spielte — bereits in vollem Gange. Die historische Entwicklung nach Erscheinen von "Marx und

Bakunin" 1913 hat —leider —dem Pessimismus Brupbachers weitgehend Recht gegeben. Der revolutionäre Syndikalismus teilte das Los der Zweiten Internationalen, auch der wurde vom Ersten Weltkrieg hinweggefegt. Die Welle des Patriotismus von 1914 machte auch vor den Syndikalisten nicht Halt. Sogar James Guillaume, bisher einer der konsequentesten Internationalisten, erlag ihr und schloss sich dem Burgfrieden mit dem nationalen Bürgertum an. Jene wenigen, die ihren Ideen treu blieben, waren während des Krieges zum ohnmächtigen Zuschauen verurteilt.

Als dann nach der siegreichen Revolution in Russland die Bolschewiki daran gingen, eine neue Internationale aufzurichten, welche alle revolutionären Kräfte umfassen sollte, da stellte sich für die Anhänger des libertären Sozialismus die entscheidende Frage: Sollten sie in Anbetracht der tiefen Gegensätze zwischen ihrer anarchistischen Grundhaltung und den Prinzipien des Leninismus abseits stehen, oder sollten sie trotz allem mitmachen und versuchen, innerhalb der Komintern ihren libertären Einfluss geltend zu machen? Brupbacher hatte sich für das zweite entschieden. Dasselbe taten einige seiner Freunde in Paris, so Pierre Monatte und Alfred Rosmer.

Spätestens nach dem Tode Lenins 1924 und mit dem Beginn des Kampfes Stalins gegen Trotzki wurde jedoch offenbar, dass sich die Komintern unaufhaltsam in die Gegenrichtung des libertären Sozialismus entwickelte. Bereits 1925 erschien in Paris die Zeitschrift "Révolution prolétarienne" mit dem Zweck, die Anhänger des revolutionären Syndikalismus neu zu sammeln. Allein es gelang nicht, die Massenbasis, wie sie vor 1914 bestanden hatte, wiederherzustellen. Die Zahl jener, die sich enttäuscht von der stalinistischen Sowjetunion

abwandten, wurde wohl immer grösser, aber es gelang nicht, alle diese Abtrünnigen unter einen Hut zu bringen. Es war also nicht möglich, den revolutionären Syndikalismus zu einer dritten Kraft neben Sozialdemokratie und Leninismus zu machen. Das steigende Unbehagen innerhalb der KP in den 1920er Jahren liess bei Brupbacher das historische Interesse für den Anarchismus wieder wach werden. So publizierte er 1929 eine kurze, populär geschriebene Biographie Bakunins, versehen mit dem bezeichnenden Untertitel "Der Satan der Revolte". Als Motto erschien am Anfang der Broschüre jener Abschnitt aus der berühmten "Beichte", wo Bakunin sich auslässt über die einzige Triebkraft seines Lebens: "Was die letztere anbelangt, so kann sie in einigen Worten definiert werden: die Liebe zur Freiheit und ein unaussprechlicher Hass gegen jede Unterdrückung —noch stärker wenn sie die andern, als wenn sie mich betraf."(10) Drei Jahre später erschien in Paris erstmals die französische Übersetzung von Bakunins "Beichte". Die Textausgabe besorgte Max Nettlau. Brupbacher schrieb die Einleitung. Er benutzte die Gelegenheit, sein altes Thema "Marx und Bakunin" wieder aufzurollen, darzulegen, wieso in den vergangenen 60 Jahren Marx über Bakunin gesiegt habe. Immer noch sah er den Durchbruch der Grossindustrie als Hauptursache. Verändert hatte sich seine Tonart. Sie war bitter geworden als Folge der Vorgänge in der Sowjetunion, wo ein "Sozialismus" entstanden war, der noch viel krasser als die Sozialdemokratie Feind und Gegenpol Bakunins bildete. Trotzdem fehlte auch jetzt die Hoffnung nicht, wenn sie auch recht vage geworden war: "Jeder, der sich einbildet, dass in diesem Kampf Marx endgültig Bakunin besiegt habe, besitzt den Verstand einer Eintagsfliege. Im Jahre 2000 oder sogar vorher wird der Kampf zwischen Marx und Bakunin von neuem ausbrechen."(11)

Brupbacher selbst hat den Neuausbruch dieses Kampfes nicht mehr erlebt. Solange Faschismus, Stalinismus und Kalter Krieg die ideologische und politische Auseinandersetzung dominierten, schien es, als sei der Anarchismus endgültig erledigt. Erst dank der Studentenrevolte und der antiautoritären Bewegung der 1960er Jahre wurde eine Wiederaufnahme des Erbes Bakunins möglich.

Zürich 1976 Karl Lang

Der Verlag dankt Herrn Karl Lang für die Mitarbeit und dem Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich für die Bereitstellung der Fotos aus dem Brupbachernachlass.

Anmerkungen:

1 Willi Münzenberg, Die Dritte Front. Berlin 1931, S. 53ff.

2 Fritz Brupbacher, Erinnerungen eines Revoluzzers. Zürich 1927, S. 32ff.

3 Fritz Brupbacher, 60 Jahre Ketzer. Zürich 1935, S. 114

4 a.a.O. S. 177

5 Darin musste ihm Franz Mehring recht geben. Über einen Besuch bei ihm in Berlin berichtet Brupbacher: "Er ist auf Marx als Menschen sehr schlecht zu sprechen, nannte ihn zweimal Giftmichel. Aus dem Sorge-Briefwechsel habe man en masse die wüsten Ausdrücke herausgestrichen, ebenso wie aus dem neuen noch nicht publizierten Marx-Engels-Briefwechsel, von dem er findet, man solle ihn der Gegner wegen gar nicht publizieren. Alle Urteile von Marx über Personen müssten gründlich revidiert werden, schändliche Ausdrücke über die besten Freunde seien bei ihm an der Tagesordnung.

6 Fritz Brupbacher, Marx und Bakunin. (S. 196)

7 a.a.O. (S. 207)

8 Pierre Ramus im "Jahrbuch der freien Generation 1914", S. 81

9 Erstmals in "Marxismus und Philosophie", erschienen 1923 in "Grünbergs Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung". Neuausgabe 1966 durch die Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a.M.

10 Fritz Brupbacher, Michael Bakunin der Satan der Revolte. Zürich 1929, S. 5

11 Michel Bakounine, Confession. Paris 1932, S. 42

KARL MARX

Karl Marx ist geboren im Jahre 1818 in Trier als Sohn eines Rechtsanwaltes. In der seelischen Entwicklung von Marx dürfte man der anschaulicheren Darstellung halber bis zur Zeit der Gründung der Internationale vier Stadien unterscheiden: Das Stadium des Chaos, die Jung-Hegelsche Periode, die Zeit des psycho-physischen ParaIlelismus, und die der Ausbildung und Vollendung des historischen Materialismus. Von der ersten Periode, in der seine Seele noch im wilden Chaos sich befand, wo er wohl das Gefühl des Gegensatzes zu der alten Welt lebendig und schmerzlich empfand, aber keinen Ausweg sah, geben uns eine Reihe von Briefen seines Vaters und von ihm selbst, die Mehring publizierte, eine anschauliche Vorstellung und wir geben sie deshalb bruchstückweise wieder. Wir erhalten daraus das Bild einer leidenden und zugleich wild-energischen Natur, von einem Menschen, der sich losgelöst fühlt von allem Zusammenhang mit der Welt, in die er hineingeboren wurde. Die Ideale dieser Welt sind ihm nichts, sind ihm verhaßt, aber die neuen Ideale, die seinem eigenen Wesen entsprechen, vermag er noch nicht herauszuarbeiten. Er weiß wohl, was nicht sein soll, aber weder das Bild seines eigenen Innern, wie er es sehen möchte, noch der Umwelt, die den idealen Gegensatz zu der verhaßten Wirklichkeit bilden würde, erschließt sich dem leidenschaftlich Suchenden. Die poetischen Versuche, die er macht, sein inneres Wesen, seine eigene Persönlichkeit darzustellen, auszudrücken, für sich selbst plastisch herauszuheben und zu definieren, gleichsam sein Heldenideal zu finden, mißlingen, sind aber vom äußersten Interesse deshalb, weil sich hier schon offenbart, daß die Größe seiner Kraft nicht wie bei Bakunin in der Definition des inneren und letzten Strebens des Menschen, sondern in der Definition der äußeren Wirklichkeit liegt, in einer Fähigkeit, die ihn zu dem gemacht, was er wurde, und ihm selbst den Sinn seines ganzen späteren Lebens vermittelte. Das war auch der Grund, weshalb ihn Kant und Fichte weniger fesselten, als der Geschichtsphilosoph Hegel.

In diesen Gedichten offenbart sich, wie auch im ganzen späteren Leben von Marx, wie wenig plastisch seine Phantasie, wie unsinnlich, wie unanschaulich seine ganze Natur war, und wie sie deshalb schon über das Verweilen an inneren Bildern und eigener Persönlichkeit hinausdrängen mußte, zur Verarbeitung der äußeren Wirklichkeit in eine mächtige, wenn auch bildlose Abstraktion. Wenn es eine Figur gibt, die so ganz im Gegensatz steht zu dem anschaulichen, bildlichen Denken Goethes, so war es Karl Marx. Marx drückt diese Tatsache selbst sehr schön aus, wenn er sagt, daß seinen dichterischen Ergüssen die poetischen Gedanken fehlen, daß an ihrer Stelle rhetorische Reflexionen sich finden. Und wenn ihnen der künstlerische Rhythmus in gleicher Weise fehlte, wie die anschauliche Bildnisgestaltung, so ist etwas mehr als nur ein ästhetisches Urteil über Marx ausgesprochen. Diese Beobachtung führt uns auf den Grund seiner psychischen Konstitution: Er hat keine Freude, keine Veranlagung zur Sinnlichkeit, zum Spiel der Sinne, er ist kein Type auditif oder visuel in seinem ganzen Wesen, sondern ein abstrakter Typus. Jeder Eindruck, der von außen kommt, geht gleich in Abstraktion über und umgekehrt verlangt sein ausgeprägt abstrakt denkendes Hirn nach stets neuen Reizen, die es verarbeiten, abstrahieren möchte. Marx ist im Gegensatz zu Bakunin ein sehr wenig soziales Wesen. Bakunin bedurfte der Gesellschaft, dachte in Gesellschaft; das psychologische Wohlbehagen, das ihm die Gesellschaft, das Sprechen, Gestikulieren verursachte, bestimmt seine ganze seelische Reaktionsweise. Er hat kein "Sitzleder", indessen schon der junge Marx Tage und Nächte, Wochen in der einsamen Studierstube verbrachte und in eisernem Fleiß eine Unmenge von Wissen aufnahm, abstrahierte und systematisierte, nach immer neuen Eindrücken lechzend, um die Abstraktion aller Abstraktionen aus den Erscheinungen her auszudestillieren und so durch den Abstraktionsprozeß auf den Sinn der Wirklichkeit, des Lebens zu kommen. Es lag in der Art seines Denkens von früh an eine genial große Fähigkeit, aus dem Individuellen des Lebens das Allgemeine herauszuholen und damit gleichsam dem Leben, das in der Wirklichkeit stets nur individuell ist, das Leben zu nehmen, es zu vergewaltigen, soweit eben jede Verallgemeinerung, jede Abstraktion vergewaltigt. Es ist etwas Finsteres, Gotisches und gleichzeitig Gewaltiges und Gewalttätiges an einer solchen Denkform, etwas, das nicht nur sich äußert

dem Gegenstand des Denkens, der Einzelerscheinung, der äußeren Wirklichkeit, sondern auch dem eigenen physischen und psychischen Sein gegenüber; es entspringt hieraus das gewalttätige Wuchern mit den Kräften des eigenen Leibes, des eigenen Nervensystems, das Marx verschiedene Male in seiner Studienzeit aufs Krankenlager brachte, den Körper bis zur Erschöpfung in den Dienst des Suchens, Grübelns, Forschens zwängte und ihm die Fähigkeit zum naiven Genuß der Sinneswelt, die Freiheit raubte. Wer dächte nicht an den Penseur Rodins, der vor dem Pantheon in Paris steht, dieses Symbol des Denkriesens, in dem jeder Muskel nur noch Instrument des Gedankens und nicht mehr Apparat zur physischen Fortbewegung und Tätigkeit ist, in dem der Denkprozeß, der nach dem Absoluten drängt, selbst einen Athletenkörper zusammenballt und zermalmt und den leiblichen Menschen zum Zwangsarbeiter des geistigabstrakten Menschen macht. Es ist der Kampf des Geistes gegen die Materie, der Gotik gegen das Heidentum. — Es steckt etwas Mönchisches in diesem Marx, wenn man ihn dem sorglosen Heiden Bakunin gegenüberstellt. Mönchisch hart gegen sich — und naturnotwendig gegen Andersdenkende. Wie er selbst durch den Drang nach Abstraktion beherrscht wird, so muß er sich vorstellen, daß auch die andern der Abstraktion zu dienen haben.

In furchtbarer Anstrengung sucht er bis zu den letzten Quellen der Erkenntnis vorzudringen, in eiserner Selbstdisziplin einen dem Intellekt, der Abstraktion zugänglichen Sinn des Lebens zu finden, die Gesetze dieses Lebens, die ihm die einzige eigentliche Wirklichkeit des Lebens sind, denen gegenüber die eigene Persönlichkeit wie ein Stäubchen ist im Universum, aufzuspüren.

Bevor wir in der Analyse der Marxschen Entwicklung weitergehen, schalten wir die oben erwähnten Briefexzerpte von Marxens Vater und Marx, saint ein paar Bemerkungen Mehrings ein. Mehring sagt: "Wir haben die Briefe des Sohnes nicht mehr, bis auf einen und zum Glücke den wahrscheinlich wichtigsten; in den Briefen des Vaters sieht man aber allmählich die Keime der Zwietracht aufwuchern. Es sind aber manche Kleinigkeiten, die ihn verdrießen, umsomehr verdrießen, als ihn nun auch ein böser Husten und bald die Gicht zu plagen beginnen: die unleserliche Handschrift, das saumselige Briefschreiben, auch daß Karl keine Besuche bei angesehenen und einflußreichen Männern macht, die ihm nützen könnten; wenn man nicht mehr

allein stehe, erfordere die Klugheit, sich einige Stützen zu verschaffen, versteht sich auf eine ehrenvolle und würdige Weise. Mit seinen gebleichten Haaren und ein wenig gebeugtem Gemüte will der Vater noch trotzen und alles Niedrige verachten; aber er meint, daß der stolzen Jugend in der Fülle der Lebenskraft wohl manches als Erniedrigung erscheine, was doch nur Pflicht gegen sich und die sei, deren Wohl man zu fördern habe." -

Im Dezember 1836 schreibt der Vater dann aber schon: "Deine Ansichten des Rechtes sind nicht ohne Wahrheit, aber sehr geeignet, in ein System gebracht, Stürme zu erregen, und Du weißt nicht, wie heftig gelehrte Stürme sind. Wenn das Anstößige in der Sache nicht ganz zu beseitigen ist, so müßte wenigstens die Form mildernd und gefällig sein."

Weitere Auskunft über den seelischen Zustand von Marx gibt ein anderer Brief von Marxens Vater:

"Diese Zerrissenheit ist mir ekelhaft, und von Dir erwarte ich sie am allerwenigsten. Welchen Grund kannst Du hierzu haben? Hat Dir nicht seit der Wiege an alles gelächelt? Hat die Natur Dich nicht herrlich begabt? Haben Deine Eltern Dich nicht mit verschwenderischer Liebe umfaßt? Hat es Dir bisher je daran gefehlt, Deine vernünftigen Wünsche zu befriedigen? Und hast Du nicht auf die unbegreiflichste Weise das Herz eines Mädchens davongetragen, das Dir Tausende beneiden? Und die erste Widerwärtigkeit, der erste mißlungene Wunsch bringt dennoch Zerrissenheit hervor, Ist das Stärke? Ist das männlicher Charakter?"An einer anderen Stelle vernehmen wir Marx selber: "In Berlin angekommen, brach ich alle bis dahin bestandenen Verbindungen ab, machte mit Unlust seltene Besuche und suchte in Wissenschaft und Kunst zu versinken."

Nach seiner damaligen Geisteslage, sagt Mehring, mußte "notwendig" lyrische Poesie der erste Vorwurf, wenigstens der angenehmste, "nächstliegende" sein, aber nach seiner Stellung und ganzen bisherigen Entwicklung war sie rein idealistisch.

"Ein ebenso fernliegendes Jenseits, wie meine Liebe, wurde mein Himmel, meine Kunst. Alles Wirkliche verschwimmt und alles Verschwimmende findet keine Grenze. Angriffe auf die Gegenwart, breit und formlos geschlagenes Gefühl, nichts Naturhaftes, alles aus dem Mond konstruiert,

der völlige Gegensatz von dem, was da ist, und dem, was sein soll, rhetorische Reflexionen statt poetischer Gedanken, aber vielleicht auch eine gewisse Wärme der Empfindung und Ringen nach Schwung bezeichnen alle Gedichte der ersten drei Bände, die Jenny (seine Braut) von mir zugesandt erhielt."

Über Marxens Ringen nach Klarheit, seine Versuche, einen Ausweg aus dem Chaos zu finden, erhalten wir ein anschaulich Bild aus folgendem Briefe von Marx und den Bemerkungen, die Mehring dazu macht:

"So mit dem Schwersten beginnend und ringend," schreibt Mehring, "treibt diese unermüdliche Kraft noch manches andere." (Als Beweis dafür folgt ein Brief von Marx:) "Dabei hatte ich die Gewohnheit mir eigen gemacht, aus allen Büchern, die ich las, Exzerpte zu machen, so aus Lessings Laokoon, Solgers Erwin, Winckelmanns Kunstgeschichte, Ludens Deutsche Geschichte, und so nebenbei Reflexionen niederzukritzeln. Zugleich übersetzte ich Tacitus' Germania, Ovids Libri Tristium und fing privatim, d. h. aus Grammatiken, Englisch und Italienisch an, worin ich bis jetzt nichts erreicht, las Kleins Kriminalrecht und seine Annalen und alles Neueste der Literatur, doch nebenbei das letztere. Am Ende des Semesters suchte ich wieder Musentänze und Satirmusik und schon in diesem letzten Hefte, das ich Euch zugeschickt, spielt der Idealismus durch erzwungenen Humor (Skorpion und Felix), durch ein mißlungenes phantastisches Drama (Oulanem) hindurch, bis er endlich gänzlich umschlägt und in reine Formkunst, meistenteils ohne begeisternde Objekte, ohne schwunghaften Ideengang übergeht. Und dennoch sind diese letzten Gedichte die einzigen, in denen mir plötzlich, wie durch einen Zauberschlag, ach! der Schlag war im Beginne zerschmetternd, das Reich der wahren Poesie wie ein ferner Feenpalast entgegenblitzte und alle meine Schöpfungen in Nichts zerfielen.''

"Begreiflich genug,'' fährt Mehring fort, "daß hei diesen mancherlei Beschäftigungen das erste Semester hindurch viele Nächte durchwacht, viele Kämpfe durchstritten, viele innere und äußere Anregung erduldet werden mußte'', und am Schluß doch nicht viel gewonnen, Natur, Kunst, Welt vernachlässigt, Freunde abgestoßen worden waren, Auch der Körper litt tinter der Überanstrengung. Marx wohnte damals in der Alten Leipzigerstraße 1, demselben Hause, das Lessing bei seinen letzten Besuchen in Berlin

bewohnt hatte; nun riet ihm ein Arzt zum Landaufenthalt. Dort erholte sich der angegriffene Körper schnell und das geistige Ringen begann von neuem:

"Ein Vorhang war gefallen, mein Allerheiligstes zerrissen, und es mußten neue Götter hineingesetzt werden. Von dem Idealismus, den ich, beiläufig gesagt, mit Kantischem und Fichteschem verglichen und genährt, geriet ich dazu, im Wirklichen selbst die Idee zu suchen. Hatten die Götter früher über der Erde gewohnt, so waren sie jetzt das Zentrum derselben geworden. Ich hatte Fragmente der Hegelschen Philosophie gelesen, deren groteske Felsenmelodie mir nicht behagte. Noch einmal wollte ich hinabtauchen in das Meer, aber mit der bestimmten Absicht, die geistige Natur ebenso notwendig, konkret und festgerundet zu finden wie die körperliche, nicht mehr Fechterkünste zu üben, sondern die reine Perle ans Sonnenlicht zu halten, Ich schrieb einen Dialog von ungefähr vierundzwanzig Bogen: Kleantus oder vom Ausgangspunkt und notwendigem Fortgang der Philosophie. Hier vereinte sich einigermaßen Kunst und Wissen, die ganz auseinander waren, und, ein rüstiger Wanderer, schritt ich ans Werk selbst, an eine philosophisch-dialektische Entwicklung der Gottheit, wie sie als Begriff an sich, als Religion, als Natur, als Geschichte sich manifestiert. Mein letzter Satz war der Anfang des Hegelschen Systems, und diese Arbeit, wozu ich mit Naturwissenschaft, Schelling, Geschichte mich einigermaßen bekannt gemacht, die mir unendliches Kopfzerbrechen verursacht und so geschrieben ist (da sie eigentlich eine neue Logik sein sollte), daß ich jetzt selbst mich kaum wieder hineindenken kann, dies mein liebstes Kind, beim Mondschein gehegt, trägt mich wie eine falsche Sirene dem Feind in die Arme. Vor Ärger konnte ich einige Tage gar nicht denken, lief wie toll im Garten an der Spree schmutzigem Wasser, das Seelen wäscht und Tee verdünnt, umher, machte sogar eine Jagdpartie mit meinem Wirte mit, rannte nach Berlin und wollte jeden Eckensteher umarmen."

Nach diesem neuen Schiffbruch in den metaphysischen Regionen wirft sich Karl Marx in die positive Wissenschaft. "Kurz darauf trieb ich nur positive Studien, Studium des Besitzes von Savigny, Feuerbachs und Grolmanns Kriminalrecht, De verborum significatione von Kramer, Wening-Ingenheims Pandektensystem und Mühlenbruch Doctrina Pandectarum, woran ich noch immer durcharbeite, endlich einzelne

Titel nach Gauterbach, Zivilprozeß, und vor allem Kirchenrecht, wovon ich den ersten Teil, die Concordia discordantium canonum von Gratian, fast ganz im corpus durchgelesen und exzerpiert habe, wie auch den Anhang, des Lancelotti Institutiones. Dann übersetzte ich Aristoteles' Rhetorik teilweise, las des berühmten Baco y. Verulam De augmentis scientiarum, beschäftigte mich sehr mit Reimarus, dessen Buch von den Kunsttrieben der Tiere ich mit Wollust durchgedacht, verfiel auch auf deutsches Recht, doch hauptsächlich nur, insofern ich die Kapitulare der fränkischen Könige und der Päpste Briefe an sie durchnahm."

Karl berichtet dann weiter, daß er abermals krank geworden sei "aus Verdruß über Jennys (seiner Braut) Krankheit und meine vergeblichen untergegangenen Geistesarbeiten, aus zehrendem Ärger, eine mir verhaßte Ansicht zu meinem Idol machen zu müssen. — Wiederhergestellt, verbrannte ich alle Gedichte und Anlagen zu Novellen usw. in dem Wahne, ich könne ganz davon ablassen, wovon ich bis jetzt allerdings noch keine Gegenbeweise geliefert." Aber während seines Unwohlseins hatte er Hege! von Anfang bis zu Ende, samt den meisten seiner Schüler kennen gelernt. Durch mehrere Zusammenkünfte mit Freunden in Stralau geriet er in einen Doktorklub, dem einige Privatdozenten angehörten und auch Rutenberg, der intimste seiner Berliner Freunde. "Hier im Streite", schreibt er, "offenbarte sich manche widerstrebende Ansicht und immer fester kettete ich mich selbst an die jetzige Weltphilosophie, der ich zu entrinnen gedacht, aber alles Klangreiche war verstummt, eine wahre Ironiewut befiel mich, wie es wohl leicht nach so viel Negiertem geschehen konnte. Hierzu kam Jennys Stillschweigen,. und ich konnte nicht ruhen, bis ich die Modernität und den Standpunkt der heutigen Wissenschaftsansicht durch einige schlechte Produktionen, wie ,Den Besuch', erkauft hatte."

Aus diesen Briefen ersehen wir die allmähliche Annäherung von Marx an Hegel, dessen Tendenz, den Einzelerscheinungen des Lebens die Autonomie zu nehmen und sie in ein System zu zentralisieren, dem Marxschen Geiste durchaus adäquat war, und der zudem durch den Optimismus seiner evolutionistischen Geschichtsauffassung Marx die psychische Erlösung bot, die er in Kant und Fichte nicht gefunden. Mit dem Eintritt von Marx in die Hegelschen Gedankengänge löste sich denn auch das Chaotische in

ihm und er kam theoretisch und weiterhin auch praktisch auf die Bahn, die seiner innersten Individualität entsprach. Hegel gab ihm den Schlüssel zum Zugang der Wirklichkeit, d. h. zu der Form der Wirklichkeit, die dem abstrakt denkenden Menschen allein zugänglich ist; er gab ihm das Werkzeug, mit dem er die Welt entdeckte. Er läßt ihn in der Geschichte der Menschheit den Sinn des Lebens finden, den er in seinem persönlichen Wesen nicht hatte entdecken können. Er legte in ihm dadurch auch den Grund zu der selbstbewußten Sicherheit, deren Förderung in der Bourgeoise und später im Proletariat seine propagandistische Aufgabe wurde und die ihn zu dem Menschen gemacht, der mit dem Hammer philosophiert. Die Begegnung mit der Hegelschen Philosophie war für Marx die Aufhebung seiner Isolierung und damit seiner Zerrissenheit, gab ihm denk-, gefühls- und willensmäßigen Anschluß an ein Ganzes, dem er als dienendes Glied sich anschloß. Die geschichtliche Entwicklung zeigte ihm die Ordnung, die er in sich selbst umsonst gesucht, und in dem sich entwickelnden Selbstbewußtsein der aufstrebenden Bourgeoisie findet er die Kraft, die die alte Welt der Philister, die ihm SO verhaßt war, aufheben wird. Der Entwicklung dieser Kraft weiht er nun seine ganze Persönlichkeit. Das Chaos ordnet sich; denn der Zweck des persönlichen Lebens ist gefunden. Er sieht das Gesetz in der Geschichte, ohne freilich die irdischen Wurzeln der vorläufig noch psychisch immanenten Gesetzmäßigkeit zu sehen. Er sieht erst die Gesetzmäßigkeit in der psychischen Reihe, und sein Eingreifen gilt deshalb dieser.

Das Ewige, Feste ist ihm bewußt geworden, das Allmächtige, das über die Einzelerscheinung im Leben hinwegschreitet und als Abstraktion der Einzelerscheinung sich bemächtigt. Diese Erkenntnis hat fortan von ihm Besitz ergriffen, und daß die Menschheit von ihr ergriffen werde, wurde die vorläufige Aufgabe; die Tafel der Gesetze der historischen Entwicklung studierte und interpretierte er fürderhin und vermittelte der Welt ihren Inhalt. Hegel hatte den Nebel von ihnen genommen Und sie seinem Blick klargelegt. Man kann nicht genug vorm dieser Besitznahme von Marx durch Flegel sprechen. Nicht nur für seine wissenschaftlichen Leistungen, sondern auch für seine geringe Wertung des Freiheitsbegriffes, den Bakunin ins Zentrum seiner Tätigkeit stellte, ist diese Entwicklung zu Hegel von der allergrößten Bedeutung, von mindestens so großer

Bedeutung als die nachträgliche Hinzufügung der materiellen Basis als Ursache der psychischen Reihe. Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber nicht minder auch für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Weltgeistes und erhält das harte, rücksichtslose Selbstbewußtsein der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er weiß nicht mehr, was er will, aber er weiß, was die Weltgeschichte will und wird es künftig jedem verwehren, die Götter der Freiheit zu verehren, wenn die Weltgeschichte dadurch in ihrem Gang gehemmt wird.

Er wird, wie Engels, die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen gegen das Haus Habsburg, Reaktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten. Er hat nicht das Bewußtsein, ein Autoritär zu sein, aber er weiß, die Weltgeschichte ist autoritär und er ist ihr Diener auf Erden; das "Seiende" hat ihn in die Welt geschickt und diese Erkenntnis, das ganze Erlebnis Hegel, gibt ihm Kraft und Zähigkeit, alle Gegner zu überwinden und alle falschen Propheten zu vernichten. Die Menschheit hat in den Wegen der Gesetzlichkeit der Weltgeschichte zu wandeln, ihre Gebote zu erfassen, da sie zu ihrem Wohl ausschlagen werden. Diese Gedankengänge haben etwas Christlich-Asketisches — mit Nietzsche zu sprechen --—, verglichen mit denen des wilden russischen Neiden Michael Bakunin, und aus ihrem Gegensatz heraus läßt sich auch der schon früh ausgesprochene Gegensatz der beiden am besten erklären. Bakunin war auch Hegelianer gewesen, aber, wie wir sehen werden, aus anderen Gründen und in wesentlich anderer Weise. Außerdem ist im Laufe der Zeit das Hegelsche seines Wesens ganz in den Hintergrund getreten; die Gesetze der Geschichte akzeptierte er, solange sie in der Richtung seines Wesens lagen; sobald die Naturgesetzlichkeit seinem Willen nach Freiheit entgegenstand. brach seine Prometheische Natur durch, die keine Götter irgendwelcher Art, und wären es Naturgesetze, über sich duldet!

Er konnte nicht ein Opfer einer wissenschaftlichen Überzeugung werden wie Marx, dem die Wissenschaft ein strenger Herr war, welchem er Leben, Muße, Ruhe opferte, unerbittlich streng gegen sich und alle, die nicht im Einklang mit den Gesetzen handelten, dem unabänderlichen Gang der Entwicklung blind gegenüberstanden.

Wichtig für die Entwicklung von Marx und für das Näherrücken an die Realität war seine Freundschaft mit Bruno Bauer, der zurzeit in heftigem Kampf stand mit der Orthodoxie, für die Freiheit des Gedankens und gegen die Anmaßungen der Kirche. An Bauers und Köppens Seite wurde Marx in die praktischen Kämpfe der Zeit verwickelt, "mit ihnen arbeitete er auch in ihrer theoretischen Waffenschmiede, der Philosophie des Selbstbewußtseins". Damit war er unter die Vorkämpfer des linksstehenden Bürgertums geraten und "aufklärend und aufrüttelnd vertrat er die Forderungen der Preßfreiheit und der Volksvertretung" als Mitarbeiter und später Redakteur der Rheinischen Zeitung (1842). Damals wirbelte die Agitation des Kommunisten Weitling viel Staub auf und auch Marx hatte als Redakteur zu ihm und dem Kommunismus überhaupt Stellung zu nehmen. Da wir später Bakunins Äußerungen aus derselben Zeit wiederzugeben haben, ist es von Interesse, auch Marxens Stellungnahme zu kennen. Mehring sagt hierzu: "Marx tat das Beste und Ehrlichste, was er unter diesen Umständen tun konnte, indem er rund heraus gestand, daß die Rheinische Zeitung noch kein Urteil über die kommunistischen ideen habe, sondern sie erst einer gründlichen Kritik unterwerfen werde". So kam Marx schon sehr früh (d. h. als Jüngling zu Anfang der 20er Jahre) mitten ins praktische Leben hinein und wurde dadurch mehr und mehr von der reinen Ideologie abgedrängt, immer mehr auf das Studium der Umwelt und die Tätigkeit in ihr verwiesen; ihre Beeinflussung und nicht die plastische Heraushebung des allgemeinen menschlichen Wesens wurde denn auch in wachsendem Maße immer mehr der zentrale Angriffspunkt für die Betätigung seiner geistigen Fähigkeiten. In seiner rheinischen Zeit machte Marx auch die Bekanntschaft von Proudhons Schrift gegen das Eigentum; sie ist nach Mehring "für ihn eine Art Offenbarung gewesen".

Schon 1843 trat Marx der Zensurverhältnisse halber aus der Redaktion der Rheinischen Zeitung aus. Durch die bald folgende Unterdrückung der Zeitung war ihm die Möglichkeit öffentlichen Wirkens abgeschnitten und er reiste nach Paris, wo er mit dem deutschen Junghegelianer Ruge zusammen eine Zeitschrift (Deutsch-französische Jahrbücher) herausgab. Es war eine Fortsetzung der früheren Zeitschrift Ruges, der Deutschen Jahrbücher. Noch ist Marx nicht auf dem Standpunkt angelangt, daß das Proletariat

der alleinige Hebel zur Erfüllung der Kultur sei, und er will für die Emanzipation des Menschen kämpfen. Er identifizierte noch die interessen der philosophisch geschulten Intelligenz mit denjenigen des Volkes, einen Standpunkt, den Bakunin zeitlebens eingenommen hat, und gleichzeitig nähert sich Marx zusehends der Auffassung, daß alle seelischen Erscheinungen aus den realen Bedürfnissen der Menschen sich ableiten, und diese Bedürfnisse erhalten für ihn allmählich einen rein ökonomischen Inhalt. Er gelangt zu der Auffassung, daß für alle Geschichte die grob-materielle Produktion die Geburtsstätte darstelle. Auch die Religion ist ihm nichts anderes als der Ausdruck dieser Verhältnisse. Sie ist deshalb nur durch Änderung dieser Verhältnisse und nicht durch Propaganda des Atheismus (Bakunin) aus der Welt zu schaffen. War Marx ursprünglich ausgezogen, um an den religiösen und politischen Fragen anzuknüpfen, so lösten sich diese allmählich in ökonomische auf; die politischen und religiösen Fragen werden Fragen der ökonomischen Sphären, des sozialen Seins. Und da er die "radikalen" Bedürfnisse als die einzigen betrachtet, welche imstande sind, eine radikale Umwälzung der Gesellschaft zu bewirken, beginnt er das Proletariat als Klasse zu betrachten, die die Aufgabe hat, die allgemein menschliche Emanzipation, dieses Schlußergebnis der deutschen Philosophie, ins Leben zu rufen. Und damals, schon bevor er seine ökonomischen Studien begonnen, kommt er zu dem Schlusse, daß die Entwicklung des Proletariats auch die Aufhebung des Proletariats mit sich führen werde, daß also die Bewegung, die Realität, die ihn allein noch interessieren könne, die proletarische sei, denn "die Philosophie kann nicht verwirklicht werden ohne die Aufhebung des Proletariats".

Wir sehen, wie Marx damit in die dritte Phase seiner Entwicklung eintritt; er bringt in diese bereits eine abgeschlossene Denk-Methode, ein eigenartiges formales Denken mit Lind betrachtet den Menschen nicht als Individuum, sondern als Bestandteil der Masse, ist doch sein Denken ein historisches. Was an der dritten Phase neu ist, ist die Entdeckung der grob-materiellen Produktion als Wurzel der psychischen Vorgänge. Das Denken von Marx ist schon vorher ein mechanistisches, aber jetzt beginnt er unter dem Einfluß praktischer Tätigkeit und der theoretischen Wirkung Feuerbachs den Grund alles psychischen Geschehens in dem materiellen Bedürfnis und weiter speziell in der Produktionsweise

der Gesellschaft zu sehen. Er behält weiterhin den Standpunkt bei, daß die psychischen Ereignisse dialektisch ihre Entwicklung nehmen; aber ganz nach und nach sieht er hinter dieser psychischen Reihe eine materielle Reihe. Vorerst bestehen nur Wechselwirkungen zwischen den beiden, die materielle Reihe wird noch nicht als einziges Moment von allen gesehen; erst später wird die psychische Reihe zum bloßen geistigen "Überbau".

Die materielle Basis selbst aber — und darin besteht das Originelle der Marxschen Auffassung —— erhält die gleiche dialektische Evolution zugesprochen, wie sie Marx, durch Hegel, für die psychische Reihe entdeckt, er überträgt a priori die Gesetze der psychischen Entdeckung auf die Produktionsweise, lange bevor er die Entwicklung der letzteren in ihren Einzelheiten studiert hat. Paradox gesagt: Er ist Marxist, bevor er ein Buch der National-Ökonomie aufgeschlagen. Er introjiziert einfach die Gesetze, die er in der psychischen Reihe des Geschehens gesehen, auf die materielle Reihe. Von da aus studiert er dann die Ökonomie und ordnet sie ein in seine einmal erworbene Denkform. Zu dieser Entwicklung hat neben den Erlebnissen in der journalistisch-politischen Tätigkeit Feuerbach viel beigetragen. Es ist auch hier wieder interessant, auf die verschiedene Wirkung Feuerbachs einerseits auf Marx, andererseits auf Bakunin, aufmerksam zu machen. Marx fällt in Feuerbach in erster Linie der Hinweis auf die grob-sinnliche Seite des Menschen auf, Bakunin packt vor allem das Humanistische an Feuerbach, die Idee vom Individuum als Art-Wesen. In dieser Phase der Entwicklung rückt für Marx das Proletariat als revolutionäre Kraft in den Vordergrund, um schließlich die einzige revolutionäre Kraft zu werden, die er in seine Berechnungen einsetzt.

Die überwiegende Bedeutung, die Marx der dialektisch evolvierenden Produktionsweise zuschreibt in der Bestimmung des psychischen Überbau, hat im Gefolge eine von Bakunin verschiedene Auffassung über den Grad der Wirksamkeit und Art der Propaganda, und die Briefe von Marx und Bakunin in den deutsch-französischen Jahrbüchern, die wir an verschiedenen Stellen wiedergeben, sind dafür ein schlagender Beweis. Marx war in der Propaganda ökonomischer Psychoanalytiker, während Bakunin die Methode der Suggestion bevorzugte; Marx wollte eine Reform des Bewußtseins durch Analyse, Bakunin durch Ansteckung mit

dem Satan, den er selbst im Leibe hatte: er wollte hinreißen durch Darstellung des Ideals der Freiheit, durch Aufstachelung. Marx verwirft deshalb (1843) energisch eine jede Propaganda für eine bestimmte Form der künftigen Gesellschaft und betont die Wichtigkeit einer bedächtigen, langsamen, aber gründlichen Aufklärungsarbeit, die die alte Welt kritisiert und durch die Kritik erst die Keime der neuen aus dem Proletariat herauswachsen läßt. Langsamkeit des Tempos und Vorwiegen des intellektuellen Vorgangs dieses Prozesses fallen dabei in die Augen gegenüber dem schnellen Tempo nach der Bakuninschen Auffassung und ihrem Drängen auf Aktion. In den Briefen, die nun folgen, ist die eben beschriebene Phase von Marx noch nicht zu ihrem gänzlichen Abschluß gelangt, die parallelistische Auffassung zwischen Geistigem und Materiellem drängt aber schon stark hin zu einer rein historisch-materialistischen, und damit geht parallel die Betonung sowohl der denkenden als leidenden Schichten der Menschheit als revolutionäre Kräfte. Der einseitige historisch-materialistische und proletarische Standpunkt konkurriert noch mit dem der "wahren Sozialisten". Und aus diesem Schwanken heraus protestiert Marx noch energisch gegen eine jede dogmatische Auffassung. Sein eigenes Dogma ist noch im Stadium der Hypothese, steht in allgemeinen Umrissen vor seinem inneren Auge, hat noch nicht alle Elemente des eigenen Wesens und der Umwelt an sich gezogen und in seinen Plan geschlagen. Dieser Skeptizismus hat wohl auch einen zweiten Grund noch darin, daß er als wirksames Kampfesmittel empfunden wird, um alle Dogmen, die vor der Marxschen Hypothese da waren, aufzulösen, zu vernichten und so dem historischen Materialismus den Weg zu bahnen, ihm die Möglichkeit zu geben, all das, was die Kritik aus dem Alten herausschält, um sich zu sammeln und zu kristallisieren. Aber grosso modo in den wichtigsten allgemeinen Zügen ist der Marx dieser Briefe derselbe wie der, den wir zur Zeit der Gründung. der Internationale vorfinden. Lassen wir nun die Briefstücke folgen. In diesen nun folgenden Briefen von Marx zeigt sich, deutlicher als irgendwo sonst, auch das Positive seines Wesens, sein Ideal von dem Menschen als geistigem Wesen im Gegensatze zum Spießbürger und Philister. Es zeigt sich aber auch noch der Ausgangspunkt seiner Entwicklung und seines Wollens, sein Interesse an der theoretischen Existenz des Menschen, ein Interesse, das späterhin bei ihm keine Sonderexistenz mehr führte, als er einmal mit dem Proletariat und dessen Interessen sich gänzlich identifiziert hatte. Die für uns bedeutsamen Briefstücke lauten:

"Es ist wahr, die alte Welt gehört dem Philister. Aber wir dürfen ihn nicht wie einen Popanz behandeln, von dem man sich ängstlich wegwendet. Wir müssen ihn vielmehr genau ins Auge fassen. Es lohnt sich, diesen Herrn der Welt zu studieren."

"Herr der Welt ist er freilich nur, indem er sie, wie die Würmer einen Leichnam, mit seiner Gesellschaft ausfüllt. Die Gesellschaft dieser Herren braucht darum nichts weiter als eine Anzahl Sklaven, und die Eigentümer der Sklaven brauchen nicht frei zu sein. Wenn sie wegen ihres Eigentums an Land und Leuten Herren im eminenten Sinne genannt werden, sind sie darum nicht weniger Philister, als ihre Leute? Menschen, das wären geistige Wesen, freie Männer, Republikaner. Beides wollen die Spießbürger nicht sein. Was bleibt ihnen übrig, zu sein und zu wollen?"

"Was sie wollen,- leben und sich fortpflanzen (und weiter, sagt Goethe, bringt es doch keiner), das will auch das Tier, höchstens würde ein deutscher Politiker noch hinzuzusetzen haben, der Mensch wisse aber, daß er es wolle, und der Deutsche sei so besonnen, nichts weiter zu wollen. Das Selbstgefühl des Menschen, die Freiheit, wäre in der Brust dieser Menschen erst wieder zu erwecken. Nur dies Gefühl, welches mit den Griechen aus der Welt und mit dem Christentum in den blauen Dunst des Himmels verschwindet, kann aus der Gesellschaft wieder eine Gemeinschaft der Menschen für ihre höchsten Zwecke, einen demokratischen Staat machen."

"Die Menschen dagegen, welche sich nicht als Menschen fühlen, wachsen ihren Herren zu, wie eine Zucht von Sklaven oder Pferden. Die angestammten Herren sind der Zweck dieser ganzen Gesellschaft. Diese Welt gehört ihnen. Sie nehmen sie, wie sie ist und sich fühlt. Sie nehmen sich selbst, wie sie sich vorfinden, und stellen sich hin, wo ihre Füße gewachsen sind, auf die Nacken der politischen Tiere, die keine andere Bestimmung kennen, als ihnen 'untertan, hold und gewärtig' zu sein."

"Die Philisterwelt ist die politische Tierwelt, und wenn wir ihre Existenz anerkennen müssen, so bleibt uns nichts übrig, als dem status quo einfacherweise recht zu geben. Barbarische Jahrhunderte haben ihn erzeugt und ausgebildet, und nun steht er da als ein konsequentes System, dessen Prinzip die entmenschte Welt ist."

"Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß die Feinde des Philistertums, mit einem Wort alle denkenden und alle leidenden Menschen zu einer Verständigung gelangt sind, wozu ihnen früher durchaus die Mittel fehlten, und daß selbst das passive Fortpflanzungssystem der alten Untertanen jeden Tag Rekruten für den Dienst der neuen Menschheit wirbt. Das System des Erwerbs und Handels, des Besitzes und der Ausbeutung der Menschen führt aber noch viel schneller als die Vermehrung der Bevölkerung zu einem Bruch innerhalb der jetzigen Gesellschaft, Lien das alte System nicht zu heilen vermag, weil es überhaupt nicht heilt und schafft, sondern nur existiert und genießt. Die Existenz der leidenden Menschheit, die denkt, und der denkenden Menschheit, die unterdrückt wird, muß aber notwendig für die passive und gedankenlos genießende Tierwelt der Philisterei ungenießbar und unverdaulich werden."

"Von unserer Seite muß die alte Welt vollkommen ans Tageslicht gezogen und die neue positiv ausgebildet werden. Je länger die Ereignisse der denkenden Menschheit Zeit lassen, sich zu besinnen, und der leidenden, sich zu sammeln, um so vollendeter wird das Produkt in die Welt treten, welches die Gegenwart in ihrem Schoße trägt."

"In Deutschland wird alles gewaltsam unterdrückt, eine wahre Anarchie des Geistes, das Regiment der Dummheit selbst ist hereingebrochen, und Zürich gehorcht den Befehlen aus Berlin; es wird daher immer klarer, daß ein neuer Sammelpunkt für die wirklich denkenden und unabhängigen Köpfe gesucht werden muß. Ich bin überzeugt, durch unsern Plan würde einem wirklichen Bedürfnisse entsprochen werden, und die wirklichen Bedürfnisse müssen sich doch auch wirklich erfüllen lassen. Ich zweifle also nicht an dem Unternehmen, sobald Ernst damit gemacht wird."

"Größer noch als die äußeren Hindernisse scheinen beinahe die inneren Schwierigkeiten zu sein. Denn wenn auch kein Zweifel über das ,Woher', so herrscht desto mehr Konfusion über das ,Wohin'. Nicht nur, daß eine allgemeine Anarchie unter den Reformern ausgebrochen ist, so wird jeder sich selbst gestehen müssen, daß er keine exakte Anschauung von dem hat, was werden soll. Indessen ist das gerade der Vorzug der neuen Richtung, daß wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen. Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme exoterische Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen. Die Philosophie hat sich verweltlicht, und der schlagendste Beweis dafür ist, daß das philosophische Bewußtsein selbst in die Qual des Kampfes nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich hineingezogen ist, ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten."

"Ich bin daher nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klar machen. So ist namentlich der Kommunismus eine dogmatische Abstraktion, wobei ich aber nicht irgendeinen eingebildeten und möglichen, sondern den wirklich existierenden Kommunismus, wie ihn Cabet, Dezamy, Weitling usw. lehren, im Sinn habe. Dieser Kommunismus ist selbst nur eine aparte, von seinem Gegensatz, dem Privatwesen, infixierte Erscheinung des humanistischen Prinzips. Aufhebung des Privateigentums und Kommunismus sind daher keineswegs identisch, und der Kommunismus hat andere sozialistische Lehren, wie die von Fourier, Proudhon usw. nicht zufällig, sondern notwendig sich gegenüber entstehen sehen, weil er selbst nur eine besondere, einseitige Verwirklichung des sozialistischen Prinzips ist."

"Und das ganze sozialistische Prinzip ist wieder nur die eine Seite, welche die Realität des wahren menschlichen Wesens betrifft. Wir haben uns ebensowohl um die andere Seite, um die theoretische Existenz des Menschen zu kümmern, also Religion, Wissenschaft usw. zum Gegenstande unserer Kritik zu machen. Außerdem wollen wir

auf unsere Zeitgenossen wirken, und zwar auf unsere deutschen Zeitgenossen. Es fragt sich, wie ist das anzustellen? Zweierlei Fakta lassen sich nicht ableugnen. Einmal die Religion, dann die Politik sind Gegenstände, welche das Hauptinteresse des jetzigen Deutschland bilden. An diese, wie sie auch sind, ist anzuknüpfen, nicht irgendein System, wie etwa der Voyage en Icarie, ihnen fertig entgegenzusetzen."

"Es hindert uns also nichts, unsere Politik an die Parteinahme In der Politik, also an wirkliche Kämpfe, anzuknüpfen und mit ihnen zu Identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen. Hier ist die Wahrheit, hier knie ich nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug: wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will."

"Die Reform des Bewußtseins besteht nur darin, daß man die Welt ihr Bewußtsein inne werden läßt, daß man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, daß man ihre eigenen Aktionen ihr erklärt. Unser ganzer Zweck kann in nichts anderem bestehen, wie dies auch bei Feuerbachs Kritik der Religion der Fall ist, als daß die religiösen und politischen Fragen in die selbstbewußte menschliche Form gebracht werden."

"Unser Wahlspruch muß also sein: Reform des Bewußtseins nicht durch Dogmen, sondern durch Analysierung des mystischen, sich selbst unklaren Bewußtseins, trete es nun religiös oder politisch auf. Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt."

"Wir können also die Tendenz unseres Blattes in ein Wort fassen: Selbstverständigung (kritische Philosophie) der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für die Welt und für uns. Sie kann nur das Werk vereinter Kräfte sein. Es handelt sich um eine Beichte, um weiter nichts. Um sich ihre Sünden vergehen zu lassen, braucht die Menschheit sie nur für das zu erklären, was sie sind." * * *

Als Marx 1844 nach Paris kam, war er schon "Marxist" und sein ganzes Interesse wandte sich dem Proletariat zu. Wir übergehen hier das äußere Leben von Marx und berühren auch nur die Punkte seiner psychischen Entwicklung, die seine spätere Stellung zu Bakunin beeinflußten. Dazu gehört vor allem sein tief gründliches Studium der Ökonomie und seine Erfahrungen in den Revolutionen von 1848-1849.

Das kommunistische Manifest kann als der vorläufige Abschluß der Marxschen Entwicklung betrachtet werden, soweit sie für uns in Betracht fällt, mit einer Einschränkung

freilich, die das Resultat der Bewegungen von 1848-1849 war, daß Marx nach dieser Zeit, in schroffem Gegensatz zu Bakunin, durchaus nicht mehr an die Möglichkeit einer nahen Revolution glaubte. Marx hatte große Hoffnung auf die 48er Revolution gesetzt, er hatte sich begreifliche Illusionen über die Kraft des Proletariats gemacht, mit dem und für das er in der Neuen Rheinischen Zeitung kämpfte, und noch bis zum Sommer 1850 konnte er nicht an die gräßliche Niederlage und das endgültige Ende der Bewegung glauben. Aber um diese Zeit hatten ihn seine Studien über die ökonomischen Ursachen des Rätsels so weit geführt, daß er zur Auffassung kam, daß die Gegenrevolution vorläufig die Revolution abgelöst und daß man den Arbeitern zu sagen habe: "Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern um euch selbst zu ändern und zur politischen Arbeit zu befähigen." Zu seinen Gegnern im Kommunistenbund gewendet, fügte er hinzu: "Ihr sagt das Gegenteil: ,Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen oder wir können uns schlafen legen'. Während wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats hinweisen, schmeichelt ihr aufs plumpste dem Nationalgefühl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings populärer ist. Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von uns das Wort Proletariat Wie die Demokratie schiebt ihr der revolutionären Entwicklung die Phrase der Revolution unter."

Marx hatte sich in langsamer Entwicklung, mit ungeheurer Zähigkeit und Geduld, zu einer Erkenntnis durchgerungen, die er schon 1843 ahnungsvoll in dem Satze formulierte: Je länger die Ereignisse der denkenden Menschheit Zeit lassen, sich zu besinnen, und der leidenden, sich zu sammeln, um so vollendeter wird das Produkt in die Welt treten, welches die Welt in ihrem Schoße trägt. Und mit dieser Erkenntnis und Erfahrung im Blut treffen wir ihn, als er 1864 in das Komitee gewählt wurde, das den Auftrag bekam, Programm und Statuten einer internationalen Arbeitergesellschaft zu entwerfen. Marx arbeitete ein Programm und Statuten aus, die einstimmig von dem Komitee angenommen und dem ersten Kongreß der Internationalen Arbeiterassoziation, wie der neue Bund hieß, im Jahre 1866 in Genf vorgelegt wurden.

1. Kongreß der Internationale

(Genf, 3.-8. Sept. 1866)

Als Marx die Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation ausarbeitete, knüpfte er nicht nur an die realen Bedürfnisse des damaligen Proletariates an, sondern nahm auch aufs sorgfältigste Rücksicht auf seine zurzeitigen Forderungen und seine revolutionäre Leistungsfähigkeit, die er im Gegensatz zu Bakunin niemals hoch einschätzte. Als er die allgemeinen Erwägungen zu den Statuten schrieb, sprach er nicht als einer, der das Proletariat von außen betrachtet, sondern als ein in ihm stehender. Er war eine Art Sammellinse, die alle Strahlen in sich aufnimmt, sie konzentriert und formuliert. Die Forderungen, die er so aufstellen mußte, waren nicht seine letzten Wünsche, sondern der Ausdruck des könnenden Wollens des Proletariats der verschiedensten Länder. Marx sprach in dem Programm als der technische Verstand der Proletariermasse und nicht als Individuum. So sehr deshalb auch das Programm in der Sache, im Kern revolutionär war, so sehr mußte es in den Einzelforderungen reformerisch und durchaus ohne Dogmen belastet sein, galt es doch, einen Boden für die internationale Aktion der Arbeiterklasse zu finden, auf dem deutsche Lassalleaner, französische Proudhonisten und englische Gewerkschaftler einmütig zusammen wirken konnten. Die Fragen des allgemeinen Wahlrechts, der Republik usw. mußten deshalb den nationalen Arbeiterorganisationen überlassen werden, da sie eine ganz verschiedene Bedeutung für die deutschen und englischen, fur die französischen und englischen Arbeiter hatten. Das internationale, brüderliche Zusammengehen wird als die Vorbedingung der Befreiung gefordert. Irgendwelche Forderungen auf Sozialisierung der Produktionsmittel waren in dem Programm nicht enthalten, da zu der Zeit eine Einigung auf einen solchen Punkt kaum zu erzielen gewesen wäre. Die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse wird als das große Ziel dargestellt, dem jede politische Bewegung als Mittel untergeordnet werden müsse.

Der Verlauf des Kongresses und seine Wirkung auf die gesamte internationale Arbeiterschaft bewies, daß die Formulierung von Marx glücklich gewesen, daß er dem Proletariat aus dem Herzen gesprochen, daß er es verstanden, aus widerstrebenden, voneinander abweichenden Ansichten das Gemeinsame herauszuholen Nicht zum mindesten hatte

dazu beigetragen die Formulierung des Paragraphen über die politische Aktion, von der einfach erklärt wurde, daß sie der ökonomischen Aktion als bloßes Mittel untergeordnet werden müsse. Die Organisation der internationalen Arbeiterassoziation gipfelten in einem Generalrat, der zusammengesetzt sein sollte aus Arbeitern der verschiedenen, in der Assoziation vertretenen Ländern. Die Befugnisse des Generalrats bestanden darin, die internationale Vermittlung zwischen den Arbeiterorganisationen der verschiedenen Länder zu übernehmen, die Arbeiter jedes Landes fortdauernd über die Bewegungen ihrer Klasse in anderen Ländern zu unterrichten, statistische Untersuchungen über die Lage der arbeitenden Klassen anzustellen, Fragen von allgemeinem Interesse in allen Arbeitergesellschaften erörtern zu lassen, im Falle internationaler Streitigkeiten eine gleichmäßige und gleichzeitige Aktion der assoziierten Gesellschaften zu veranlassen, periodische Berichte zu veröffentlichen und in ähnlichen Aufgaben. Der Generalrat wurde vom Kongreß gewählt, der jährlich einmal zusammentrat. Der Kongreß bestimmte den Sitz des Generalrats sowie Ort und Zeit des nächsten Kongresses. Doch war der Generalrat befugt, die Zahl seiner Mitglieder zu vervollständigen und im Notfalle den Ort des Kongresses zu verlegen, nicht aber die Zeit seines Zusammentrittes hinauszuschieben. Jede Sektion, wie klein auch immer die Zahl ihrer Mitglieder war, hatte das Recht, einen Delegierten auf den allgemeinen Kongreß zu entsenden. Die Arbeitergesellschaften der einzelnen Länder, die sich der Internationale anschlossen, behielten ihre gesonderte Organisation unangetastet bei. Keiner unabhängigen Lokalgesellschaft war verwehrt, unmittelbar mit dem Generalrat zu verkehren, doch wurde es als eine für die wirksame Tätigkeit des Generalrats notwendige Vorbedingung bezeichnet, daß die gesonderten Arbeitergesellschaften der einzelnen Länder sich soweit möglich zu nationalen, in Zentralorganen vertretenen Körperschaften vereinigten.

2. Kongreß der Internationale

(Lausanne, 2.-7. Sept. 1867)

Auch auf diesem Kongresse finden wir noch keine Anzeichen von dem großen Ideenkampfe in der Internationale. Wie auf dem ersten Kongreß diskutierte man nicht so sehr über weitgehende prinzipielle Fragen, als über Einzelheiten

der praktischen Tagesarbeit. Man sprach über Kredit und Volksbanken, Genossenschaften, integrale Erziehung, Religion, Universalsprache, Gefahr der Entstehung eines fünften Standes. Über den Krieg wurde eine Resolution gefaßt des Inhalts, daß er nur durch Beseitigung der heutigen sozialen Organisation verunmöglicht werden könnte. Von der politischen Befreiung wurde erklärt, daß sie mit der sozialen unzertrennlich verbunden und daß die Einführung politischer Freiheiten ene Vorbedingung der sozialen Emanzipation sei; diese letztere Erklärung war durch die Genfer Delegierten dem Kongreß zur Abstimmung vorgelegt worden: man hatte gewisse Pariser (Tolain, Fribourg usw.) beschuldigt, sie seien Plon-Plon (Prinz Napoleon) verkauft; man wollte sie durch diesen Antrag einfach zwingen, ihre zweideutige Stellung zu klären und sehen, ob sie eine eindeutig antibonapartistische Erklärung annehmen würden, die nichts anderes bedeutete als: Man muß das Kaiserreich umstürzen.

Im weiteren wurde, als etwas prinzipiell Neues, bestimmt, daß die Anstrengung der Völker dahingehen müsse, den Staat zum Besitzer der Transport- und Zirkulationsmittel zu machen, um so das Monopol der großen Gesellschaften zu vernichten.

In der Diskussion entwickelte der Belgier De Paepe auch die Idee der Sozialisierung des Grund und Bodens, worunter nicht etwa Verstaatlichung bei bestehender politischer Konstitution gemeint war; gegen eine solche wehrte er sich energisch. Aber er begegnete auf dem Kongreß heftiger Opposition von seiten eines Teils der Mutuellisten. Da man sich nicht einigen konnte, wurde die Frage dem nächsten Kongreß zur Behandlung überwiesen.

Ein paar Tage nach dem 2. Kongreß der Internationale wurde der Kongreß der Liga für Frieden und Freiheit in Genf eröffnet. Es war der Kongreß der paar Reste von Idealisten, die die Bourgeoisie noch enthielt. Man kann sagen, es war ein Kongreß der Blüte der damaligen bürgerlichen Intellektuellen. Auf diesem Kongresse finden wir auch die meisten Delegierten des Lausanner Kongresses der Internationale wieder und außerdem einen Menschen, der später eine große Rolle in der Internationale spielen sollte:

Vallotton: Porträt Michael BakuninMICHAEL BAKUNIN

Wie Marx, so war auch Bakunin einer jener Intellektuellen, die der Kulturhunger in Gegensatz zu seiner eigenen Klasse gebracht hatte. War Marx der Sohn eines Advokaten, so war Bakunin der Sprößling einer russischen Adelsfamilie. Er war vier Jahre älter als Marx. Der Ideenkreis, in dem er aufwuchs, war gesättigt mit der Kultur der französischen Enzyklopädisten. Man kann nicht sagen, daß er in dieser Atmosphäre erzogen wurde — er wuchs in ihr auf. Er erhielt keine Erziehung, sondern eine "Aufwachsung". Alles, was den Sinn für ökonomische Selbsterhaltung weckt, fiel bei seiner Art der "Aufwachsung" weg. Erwerbstugenden sah er keine, daher hat er auch wohl später weder bei sich solche entwickelt, noch es verstanden, mit ihnen als Bestandteil der Menschen zu rechnen. Sein Vater war den Kreisen der Dekabristen nahe gestanden, jener Gruppe von jungen Russen, die zwar reich und adliger Herkunft, der Gesinnung nach aber sehr demokratisch, ja sogar sozialistisch waren, die auch nicht bloß in Worten ihre Gesinnung betätigten, sondern im Jahre 1825 ihre Ideen mit Leben und Freiheit bezahlten. Die Dekabristen waren die Nachfolger jener westeuropäischen Blüte des Menschengeistes, die in dem französischen Enzyklopädismus sich entfaltete. Zu Mitte des 18. Jahrhunderts begann auch in dem russischen Adel ein gewisser Hirnkraftüberschuß über die Selbsterhaltung hinaus sich zu manifestieren, der sich der Ideen der Enzyklopädisten bemächtigte und auch in Rußland für die Entwicklung der Persönlichkeit und die Schaffung einer sozialen Basis für diese Entwicklung arbeitete. Diese Ideen fielen in der russischen kraftüberschüssigen Intelligenz auf einen um so fruchtbareren Boden, als sie nicht durch jahrhundertelang dauernden Industrialismus und Handel von Erwerbsideen erfüllt war. Zu Beginn hatte sogar die Zarin Katharina II. die Bewegung begünstigt, bis sie anfing, mehr als nur eine bloße literarische Unterhaltungsbereicherung zu werden. Der Krieg von Rußland gegen Napoleon, die Kenntnis von dem europäischen Liberalismus, den die russischen Adligen als Offiziere im Ausland sich erworben, gab dieser Strömung dann einen neuen Anstoß. Sie wurde zu einer eigentlich organisierten Bewegung und fand ihren vorläufigen Abschluß In dem mißglückten Aufstand der Dekabristen (1825). Die Ideen selbst und die Erinnerung an die opfermütigen

Vertreter dieser Ideen waren der eigentliche Ausgangspunkt für die ganze spätere Bewegung der russischen adligen Intelligenz und ihrer Kultur, die das geistige Leben von Rußland während der Periode von ca. 1840-1905 beherrschte. Bei der Betrachtung von Bakunins Entwicklung darf diese Tatsache nie außer acht gelassen werden. Die große Opferfähigkeit der russischen Intelligenz ist etwas, was selbstverständlich die Ideen von Bakunin über die Intellektuellen überhaupt beeinflussen mußte.

Diese Kultur und Mangel jeder Sorge waren die Grundlage der seelischen Entwicklung Bakunins. Im väterlichen Hause wuchs er gänzlich frei auf. Sein Seelenleben wurde gesättigt von der Empfindsamkeit gegen Grausamkeit und Ungerechtigkeit. Das stille Landleben ließ vor allem seine Phantasie reifen und eine reiche Abenteuerlust entwickelte sich in seinem Wesen.

Ein solcher Mensch mußte bald in Widerspruch geraten zu der russischen Gesellschaft, wie sie sich nach der Niederlage der Dekabristen herausgebildet hatte. Mit Nikolaus I. hatte ein ängstlicher und eben dadurch zur Grausamkeit geneigter Despot den Thron bestiegen, der nicht nur deshalb, weil er ein Philister war, sondern auch weil sie ihm Gefahr zu bringen schien, jede freie geistige Regung unterdrückte. So war Rußland in den Jahren der frühen Jugend von Bakunin ein großer geistiger Friedhof. All die, welche zu der Intelligenz gehörten und nicht das Schicksal der Dekabristen geteilt hatten, waren eingeschüchtert und resigniert und eine neue Jugend wär noch nicht herangewachsen. Erst die Generation derer im Alter von Bakunin ergänzte allmählich wieder die Reihen der 1825 Gefallenen.

Bakunins Vater selbst gehörte zu den Enttäuschten und Eingeschüchterten. Er sandte deshalb seinen Sohn, wie es üblich war in diesen Kreisen, auf die Petersburger Artillerieschule. Für Bakunins Geist war es eine traurige Zeit. Auch später dachte er' nur mit bitterem Gefühl an diese langweiligen Tage und Jahre. Auch nach Beendigung der Artillerieschule trat keine Wendung zum Bessern ein; Bakunin hielt es nicht aus in dieser öden Atmosphäre, die seinem Geist auch gar keine Nahrung und Betätigung bieten konnte, und er quittierte mit 20 Jahren seinen Militärdienst.

Es war gerade die 'Zeit, wo wieder eine Anzahl junger Leute sich zu entwickeln begannen und in Petersburg und Moskau sich zusammenfanden. Sie suchten in der Philosophie die Lösung aller Rätsel des Lebens. Das leidende

Rußland schuf sich in ihnen ein Hirn, in dem seine Probleme sich verarbeiteten. Ein heißer, von allen praktischen Fragen losgelöster Wissensdrang beseelte in erster Linie alle diese jungen Menschen, die in dem Leben, wie es sich unter Nikolaus lebte, den Sinn des Lebens nicht finden konnten. Der Überschuß ihrer Kraft, der sich in praktischer Tätigkeit nicht auszuleben vermochte, warf sich mit aller Energie auf die abstraktesten Probleme des Lebens. Die Gesellschaft übergab dieser Jugend kein fertiges Heldenideal. Keine Kollektivität hatte für sie die vorläufigen Wege abgesteckt, die ein jeder gehen könnte, und aus den Dichtern der Zeit wehte ihnen nur Weltschmerz entgegen. Deshalb wurde diese Jugend auf sich selbst zurückgeworfen und fühlte sich der umgebenden Gesellschaft entfremdet.

Begreiflicherweise mußte sie ihr Glück vorerst in sich selbst zu suchen anfangen, und ihre jugendliche Kraft warf sich darauf, ihr eigenes Ich zu analysieren, zu entwickeln und zu kultivieren, und ihr Schlagwort wurde Kultur der Persönlichkeit.

Sozialen und politischen Angelegenheiten gegenüber verhielten sie sich zwar nicht gleichgültig, legten aber diesen Fragen,. wenigstens anfangs, keine besondere Wichtigkeit bei. Sie suchten die Erlösung aus ihrer inneren Zerrissenheit und ihrer seelischen Quälerei in der Philosophie Fichtes. Sie erwarteten von der Kenntnis ihres eigenen Innern und von ihrem eigenen Verstande, daß sie ihnen den Weg zum Glücke zeige, verachteten die äußere Welt, verstiegen sich in Spekulationen und entwickelten sich zu einer immer größeren Lostrennung des Ich von der Wirklichkeit. Dabei fühlten sie, wie das geistige Leben bei dieser geistigen Inzucht in kleinem Kreise verarmte und verdorrte.

Es drängte sie deshalb nach dem Aufgehen in etwas Größerem, Reicherem und der Wirklichkeit Näherem, als es ihre Schattenphantasien waren. Die Sehnsucht nach einer größeren Gemeinschaft, nach Wirksamkeit nach außen, muß sie ergriffen haben. Während Fichte im Stadium ihrer Persönlichkeitskultur, im Brennpunkt ihres Interesses gestanden, so sollte am Schlusse dieses Stadiums Hegel, der Geschichtsphilosoph, der Philosoph nicht der Seele des einzelnen, sondern eben jener Gesellschaft, die die jungen Leute verlassen, von größtem Einfluß sein.

Dieser Einfluß muß aus der beschriebenen Stimmung heraus erfaßt werden. Sie wollte sich losmachen vom eigenen Ich und fanden den Anschluß nicht an die Wirklichkeit.

Und so sonderbar es uns Menschen von heute vielleicht scheinen mag, Hegel bahnte ihnen den Weg zu dieser Wirklichkeit. Er führte ihnen diese Wirklichkeit als etwas naturnotwendig Gewordenes und als ein weiter sich Entwickelndes vor Augen. Er sagte ihnen, daß das, was ist, nicht anders sein kann. Er gab ihnen eine Art begrifflicher Versöhnung mit der russischen Wirklichkeit, und durch ihn sahen sie nun den Begriff der Entwicklung über das Ich hinaus auch auf die russische Gesellschaft ausgedehnt. Vorerst überwog bei ihnen die Entdeckerfreude darüber, daß die gegebene russische Gesellschaft nicht anders sein könne, als sie eben war; sie suchten einzusehen, daß sie vom Standpunkt der Entwicklung aus die einzig mögliche, oder, im Hegelschen Jargon, vernünftige sei. Dieser Gedanke und die Verfolgung dieses Gedankens ließ ihnen die revolutionäre Seite des Entwicklungsgedankens vorläufig noch nicht ins Bewußtsein treten. Sie waren vorerst beruhigt und versöhnt mit der russischen Gesellschaft, weil ihnen ihr Woher klar schien. Sie waren beruhigt, weil ihnen klar schien, daß sie mit einer größeren Gemeinschaft, einer zwar sehr abstrakten Gemeinschaft, eine Einheit bildeten, nicht mehr isolierte Ichs waren, sondern mit dem russischen Gesamtbewußtsein in einem inneren Zusammenhang stünden. Sie gaben sich der Illusion hin, daß ihnen nun der Sinn für die lebendige Wirklichkeit aufgegangen sei. Damit hatten sie eine Art vorläufiger Rettung von ihrer vorgängigen Vereinsamung, einen Halt und Glauben und eine zureichende Erklärung gefunden für ihr Problem. Sie wollten fortan wirkliche russische Männer sein. Aus diesen Gedankengängen heraus wurde Bakunin konservativer Hegelianer, und nicht etwa aus Liebe zu der tatsächlichen russischen Wirklichkeit. Hegel hatte ihn begrifflich mit ihr verbunden, und wäre auch nur eine Spur von revolutionärem Empfinden in irgendeiner Schicht des russischen Volksbewußtseins vorhanden gewesen, so wäre Bakunin wohl schon in Rußland Sozialist oder doch sozialer und politischer Revolutionär geworden.

Es verging geraume Zeit, bis sich das ganze Empfinden, Fühlen, Denken und Wollen Bakunins in das Hegelsche System eingeordnet, bis alles durchdiskutiert und im Bekanntenkreise propagiert war. Daß das letztere geschah, besorgte schon der starke Expansionstrieb Bakunins. Als sich dann der geistige Kristallisationsprozeß vollzogen hatte,

kam Bakunin auf einen toten Punkt, er empfand das Unbefriedigende der Hegelschen Lösung, und kam zu der Überzeugung, daß ohne Milieu-Änderung sein Leben der Verflachung anheimfalle, denn immer noch fehlte ihm ein tatsächliches Verhältnis zu der russischen Wirklichkeit, das mehr war als die nur begriffliche Verknüpfung, welche die Hegelsche Philosophie gegeben hatte. Immer noch fühlte er sich nicht imstande, seinen Drang, nützlich zu sein, zu befriedigen, und andererseits hoffte er, das Studium im Ausland vermöchte ihn zu einem lebenden, wirklichen geistigen Menschen zu machen, der nicht nur für sich allein existierte, sondern von Nutzen wäre für sein Land und alle, die ihn umgaben. Aus diesen Erwägungen heraus reiste er im Sommer 1840 nach Berlin.

Als er nach Berlin kam, war er also über den ersten Eindruck, den ihm Hegel gemacht, bereits hinaus. Er sah in der Wirklichkeit nicht mehr nur das Vernünftige und Historischgewordene, sondern auch das Material des Künftigen. Und auf die Wirklichkeit als Keim des Künftigen wendete sich nun das Blickfeld seines Bewußtseins. Es scheint, daß wie bei Marx, so auch bei Bakunin, dieser Prozeß durch den Einfluß von Feuerbach beschleunigt worden ist. Es wurde ihm klar, daß in der Wirklichkeit nicht nur der Niederschlag der Vergangenheit, sondern auch der Keim der Zukunft liege. Und diesen Keim der Zukunft beleuchtete ihm Feuerbach. Damit schien es ihm, als sei er von einem langen Schlummer erwacht, und wenn er sich auch noch nicht genau ausdrücken konnte, worin der neue Morgen bestehe, so überkam ihn doch jenes Vorgefühl einer neuen Welt, das den Menschen beschleicht, bevor die Ahnungen, die Arbeit des Unterbewußtseins zur klaren verstandesgemäßen Vorstellung gekommen ist. Es schien ihm, die Spaltung in der eigenen Brust sei überwunden und nach all den langen Kämpfen des Jünglingsalters kehre er zu der Mutter Natur zurück. Durch Feuerbach schien ihm alles offenbar geworden; er hatte ein neues Kleid gefunden: Das Heiligtum des Selbstbewußtsein der Menschheit, den Sinn des einzelnen in der Art.

Die Ausdrücke, in denen er damals sich ausdrückte, sind noch sehr dunkel. Erst seine weitere Entwicklung gibt ihnen einen präziseren Sinn. Aber schon die Tatsache, daß er sich damals mit dem deutschen revolutionären Hegelianer Ruge befreundete, läßt uns mehr Sinn in die Worte hineinlegen, als sie auf den ersten Blick zu haben scheinen.

Fortan war er ein Kämpfer für die Freiheit und gegen die gegebene Gesamtwirklichkeit. Freilich betonte er dabei die Notwendigkeit der Kenntnis dieser Wirklichkeit und der eigenen Kräfte. Für ihn besteht die Revolution aber nicht nur in einer politisch-ökonomischen, sondern auch in einer innerlichen "religiösen" Veränderung. Seine Religion ist die der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Liebe, die Kommunion mit der ganzen Menschheit. Allmählich findet er auch die Keime der neuen Zukunft, des neuen Morgens. Es sind die sozialistischen Vereine, besonders in Frankreich und England. Er sieht im Volk, in der armen Klasse, den Faktor, der sich zu der alten Welt in Gegensatz stellt und Menschenrechte verlangt. Er sieht Völkersturm und Völkerschlacht voraus. Er sieht die Zeit der Zerstörung des Alten nahen, sieht aber auch in diesem Geist der Zerstörung die schaffende Kraft. Seine das ganze Leben dauernde Liebe zu den ökonomisch revolutionären Schichten wird geboren einerseits aus dem Bedürfnis der Verschmelzung des Ichs mit der Menschheit, und andererseits aus der Erkenntnis der historischen Rolle des Volkes als Zerstörer der herrschenden Gesellschaft. Das war die Zeit, in der er mitarbeitete an den deutschen Jahrbüchern, die von Arnold Ruge herausgegeben wurden.

Sein Studium in Berlin hatte er unterdessen aufgegeben. Er war zu Ruge nach Dresden übergesiedelt, wo er auch die Bekanntschaft Herweghs machte. Als er dort wegen seiner Ansichten sich nicht mehr sicher fühlte, begab er sich nach der Schweiz. Dort trat er mit den Weitlingschen Kreisen in nähere Beziehung, und sein Zug nach links trat noch deutlicher hervor. Immer mehr beginnt er einzusehen, daß es nötig ist, daß die revolutionäre Philosophie das Volk auf ihrer Seite habe.

Es war gerade in der sogenannten Kommunistenzeit, als er nach Zürich kam. Weitling war in der Schweiz und machte viel von sich reden. Wir wissen schon, wie Marx in der Rheinischen Zeitung sich über den Weitlingschen Kommunismus geäußert; um so interessanter wird es sein, auch von Bakunins Eindrücken zu sprechen.

Er schrieb ein paar Artikel in eine schweizerische Zeitung, aus denen man klar seine Stellung ersieht. Er bekennt, daß er nicht Kommunist sei. Er könne nicht leben in einer Gesellschaft, die nach dem Weitlingschen Plane organisiert sei, das sei keine freie Gesellschaft, sondern eine durch Zwang zusammengehaltene Herde von Tieren, die nur das

Materielle im Auge hätte und vom Geistigen und allen hohen Genüssen des Geistigen nichts wüßten. Dagegen enthalte der Kommunismus höchst bedeutende Elemente. Die höchsten Rechte, die höchsten menschlichen Forderungen liegen ihm zugrunde, und diese seien es, welche auf die Gemüter eine so überraschend wirkende Gewalt ausübten; darin liege die Macht des Kommunismus. Er sei eine Weltfrage und könne nicht durch Gewalt unterdrückt und nicht ignoriert werden.

Zwischen der Philosophie und dem Kommunismus bestehe eine Art Verwandtschaft. Die Philosophie habe die Bestimmung, das Volk zum Selbstbewußtsein zu bringen. Sie tue das aber nur theoretisch, innerhalb der Erkenntnis, der Kommunismus aber praktisch. So seien die beiden im Grunde untrennbare Wesen. Die Philosophie sei an der Grenze ihrer Fähigkeit angelangt. Ihre Verwirklichung könne sich nur vollziehen durch die beseelte Liebe und aus dem göttlichen Wesen der ursprünglichen Gleichheit entsprossenen Gemeinschaft von freien Menschen, und darum sei ihr Erfüller der wahre Kommunismus.

Alle großen Taten der Geschichte seien immer aus dem Volke gekommen; die große Masse der Armen und Gedrückten sei immer der einzig schaffende Boden gewesen, aus dem alle welterschütternden Revolutionen entstanden seien. Der einzelne Mensch, sei er noch so schön und sittlich gesinnt, könne nicht der Wahrheit teilhaftig werden, wenn er nicht in der Gemeinschaft lebe. Alle großen Tugenden mache erst die Gemeinschaft möglich.

Man stehe am Vorabend einer großen welthistorischen Umwandlung. Und der Inhalt der neuen Religion, die zum Siege schreite, sei enthalten in den Worten: "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit". Bakunin erkannte die große treibende und praktische Kraft im Kommunismus. Sorgfältig hält er freilich Philosophie und Kommunismus auseinander, so sehr er wieder ihre innerste Ähnlichkeit betont.

Bei seinem weiteren Aufenthalt in der Schweiz kam Bakunin auch mit Weitling und einer ganzen Reihe von kommunistischen Arbeitern zusammen. Sie machten einen mächtigen Eindruck auf ihn, und ein Weilchen dachte er selbst daran, Handwerker, und zwar Zimmermann, zu werden.

Aus dieser Zeit datiert der Briet, den er für die deutschfranzösischen Jahrbücher schrieb, den wir in extenso wiedergeben:

Peterinsel im Bielersee, Mai 1843. Ihren Brief aus Berlin hat mir unser Freund M. mitgeteilt. Sie scheinen über Deutschland unmutig geworden zu sein. Sie sehen nur die Familie und den Philister, der in seine engen vier Pfähle mit all seinen Gedanken und Wünschen eingepfercht ist, und wollen an den Frühling nicht glauben, der ihn hervorlocken wird. Lieber Freund, verlieren Sie nur den Glauben nicht, nur Sie nicht. Bedenken Sie, ich, der Russe, der Barbar, geb' ihn nicht auf, ich gebe Deutschland nicht auf, und Sie, der Sie mitten in seiner Bewegung stehen, Sie, der Sie die Anfänge derselben erlebt haben und von ihrem Aufschwung überrascht wurden, Sie wollen jetzt dieselben Gedanken zur Ohnmacht verurteilen, denen Sie früher, als ihre Macht noch nicht erprobt war, alles zutrauten? O, ich geb' es zu, es ist noch weit hin, bis das deutsche 1789 tagt! Wann wären die Deutschen nicht um Jahrhunderte zurückgeblieben? Aber es ist darum jetzt nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen und feig zu verzweifeln. Wenn Männer wie Sie nicht mehr an Deutschlands Zukunft glauben, nicht mehr an ihr arbeiten wollen, wer wird dann glauben, wer handeln? Ich schreibe diesen Brief auf der Rousseau-Insel im Bielersee. Sie wissen, ich lebe nicht von Phantasien und Phrasen; aber es zuckt mir durch Mark und Bein bei dem Gedanken, daß ich gerade heute, wo ich Ihnen und über einen solchen Gegenstand schreibe, an diesen Ort geführt bin. O, es ist gewiß, mein Glaube an den Sieg der Menschheit über Pfaffen und und Tyrannen ist derselbe Glaube, den der große Verbannte in so viel Millionen Herzen goß, den er auch hieher mit sich genommen. Rousseau und Voltaire, diese Unsterblichen, werden wieder jung; in den begabtesten Köpfen der deutschen Nation feiern sie eine Auferstehung; eine große Begeisterung für den Humanismus und für den Staat, dessen Prinzip nun endlich wirklich der Mensch ist, ein glühender Haß gegen die Priester und ihre freche Beschmutzung alles menschlich Großen und Wahren durchdringt wieder die Welt. Die Philosophie wird noch einmal die Rolle spielen, die sie in Frankreich so glorreich durchgeführt; und es beweist nichts gegen sie, daß ihre Macht und Furchtbarkeit den Gegnern früher klar geworden, als ihr selber. Sie ist naiv und erwartet zuerst keinen Kampf und keine Verfolgung, denn sie nimmt alle Menschen als vernünftige Wesen und wendet sich an ihre Vernunft, als wäre diese ihr unumschränkter Gebieter. Es

ist ganz in der Ordnung, daß unsere Gegner, welche die Stirn haben, zu erklären: ,Wir sind unvernünftig und wollen es bleiben,' den praktischen Kampf, den Widerstand gegen die Vernunft, durch unvernünftige Maßregeln eröffnen. Dieser Zustand beweist nur die Übermacht der Philosophie, dies Geschrei gegen sie ist schon der Sieg. Voltaire sagt einmal: ,Vous petits hommes, revêtus d'un petit emploi, qui vous donne une petite autorité dans un petit pays, vous criez contre la philosophie!' Wir leben für Deutschland in dem Zeitalter Rousseaus und Voltaires, und ,Diejenigen unter uns, welche jung genug sind, um die Früchte unserer Arbeit zu erleben, werden eine große Revolution und eine Zeit sehen, in der es der Mühe lohnt, geboren zu sein'. Wir dürfen auch diese Worte Voltaires wiederholen, ohne zu befürchten, daß sie das zweitemal weniger als das erstemal durch die Geschichte bestätigt würden.

Jetzt sind die Franzosen noch unsere Lehrer. Sie haben in politischer Hinsicht einen Vorsprung von Jahrhunderten. Und was folgt alles daraus! Diese gewaltige Literatur, diese lebendige Poesie und bildende Kunst, diese Durchbildung und Vergeistigung des ganzen Volkes, lauter Verhältnisse, die wir nur von ferne verstehen! Wir müssen nachholen, wir müssen unserem metaphysischen Hochmute, der die Welt nicht warm macht, die Rute geben, wir müssen lernen, wir müssen Tag und Nacht arbeiten, um es dahin zu bringen, wie Menschen mit Menschen zu leben, frei zu sein und frei zu machen, wir müssen, ich komme immer wieder darauf zurück, unsere Zeit mit unseren Gedanken in Besitz nehmen. Dem Denker und Dichter ist es vergönnt, die Zukunft vorweg zu nehmen und eine neue Welt der Freiheit und Schönheit mitten in den Wust des Untergangs und des Moders, der uns umgibt, hineinzubauen.

Und angesichts alles dessen, eingeweiht in das Geheimnis der ewigen Mächte, welche die Zeit aus ihrem Schoße neu gebären, wollen Sie verzweifeln? Verzweifeln Sie an Deutschland, so verzweifeln Sie nicht nur an sich selbst, Sie geben die Macht der Wahrheit auf, der sie sich gewidmet. Wenig Menschen sind edel genug, sich ganz und ohne Rückhalt dem Weben und Wirken der befreienden Wahrheit hinzugeben, wenige vermögen diese Bewegung des Herzens und des Kopfes ihren Zeitgenossen mitzuteilen; wem es aber einmal gelang, der Mund der Freiheit zu

werden und die Welt mit den Silbertönen ihrer Stimme zu fesseln, der hat eine Bürgschaft für den Sieg seiner Sache, die ein anderer nur durch eine gleiche Arbeit und ein gleiches Gelingen erreichen kann.

Nun gebe ich es zu, wir müssen mit unserer eigenen Vergangenheit brechen. Wir sind geschlagen worden, und wenn es auch nur die rohe Gewalt war, die der Bewegung des Denkens und Dichtens ein' Hindernis in den Weg warf, so wäre diese Roheit selbst unmöglich gewesen, wenn wir nicht ein abgesondertes Leben im Himmel der gelehrten Theorie geführt, wenn wir das Volk auf unserer Seite gehabt hätten. Wir haben seine Sache nicht vor ihm selbst geführt. Anders die Franzosen. Man würde ja auch ihre Befreier unterdrückt haben, wenn man es vermocht hätte.

Ich weiß, Sie lieben die Franzosen. Sie fühlen ihre Überlegenheit. Das ist genug für einen starken Willen in einer so großen Sache, um ihnen nachzueifern und sie zu erreichen. Welch ein Gefühl! Welch eine namenlose Seligkeit, dieses Streben und diese Macht! O, wie beneid' ich Sie um Ihre Arbeit, ja selbst um Ihren Zorn, denn auch dieser ist das Gefühl aller Edlen in Ihrem Volk. Vermöcht' ich es nur, mitzuwirken! Mein Blut und Leben für seine Befreiung! Glauben Sie mir, es wird sich erheben und das Tageslicht der Menschengeschichte erreichen. Es wird nicht immer die Schmach der Germanen, die besten Diener aller Tyrannei zu sein, für seinen Stolz rechnen. Sie werfen ihm vor, es sei nicht frei, es sei nur ein Privatvolk. Sie sagen nur, was es ist; wie wollen Sie damit beweisen, was es sein wird?

War es in Frankreich nicht ganz derselbe Fall, und wie bald ist ganz Frankreich ein öffentliches Wesen und sind seine Söhne politische Menschen geworden. Wir dürfen die Sache des Volkes, auch wenn es selbst sie verließe, nicht aufgeben. Sie fallen von uns ab, diese Philister, sie verfolgen uns; desto treuer werden ihre Kinder unserer Sache sich hingeben. Ihre Väter suchen die Freiheit zu morden, sie werden für die Freiheit in den Tod gehen.

Und welch einen Vorzug haben wir vor den Männern des 18. Jahrhunderts? Sie sprachen aus eitler öden Zeit heraus. Wir haben die ungeheuren Resultate ihrer Ideen lebendig vor Augen, wir können praktisch mit ihnen in Berührung kommen. Gehen wir nach Frankreich, setzen wir den Fuß über den Rhein, und wir stehen mit einem

Schlage mitten in den neuen Elementen, die in Deutschland noch gar nicht geboren sind. Die Ausbreitung des politischen Denkens in alle Kreise der Gesellschaft, die Energie des Denkens und Redens, die in den hervorstechenden Köpfen nur darum zum Ausbruch kommt, weil die Wucht eines ganzen Volkes in jedem schlagenden Worte empfunden wird, — alles das können wir jetzt aus lebendiger Anschauung kennen lernen. Eine Reise nach Frankreich und selbst ein längerer Aufenthalt in Paris würde uns von dem größten Nutzen sein.

Die deutsche Theorie hat diesen Sturz aus allen ihren Himmeln, der ihr jetzt widerfährt, indem rohe Theologen und dumme Landjunker sie wie einen Jagdhund an den Ohren schütteln und ihrem Lauf die Wege weisen, reichlich verdient. Gut für sie, wenn dieser Sturz sie von ihrem Hochmute heilt. Es wird ganz auf sie ankommen, ob sie sich nun aus ihrem Schicksale die Lehre ziehen will, daß sie in einsamer dunkler Höhe verlassen und nur im Herzen des Volkes gesichert ist. Wer gewinnt das Volk, wir oder ihr? das rufen diese obskuren Kastraten den Philosophen zu. O Schande über diese Tatsache! Aber auch Heil und Ehre den Männern, die nun die Sache der Menschheit siegreich hinausführen!

Hier, erst hier beginnt der Kampf, und so stark ist unsere Sache, daß wir wenige zerstreute Männer mit gebundenen Händen durch unsern bloßen Schlachtruf ihre Myriaden in Furcht und Schrecken setzen. Wohlan, es gilt! und eure Bande will ich lösen, ihr Germanen, die ihr Griechen werden wollt, ich, der Scythe. Sendet mir eure Werke! Auf Rousseaus Insel will ich sie drucken und mit feurigen Lettern noch einmal an den Himmel der Geschichte schreiben: Untergang den Persern!"

In seinem 30. Lebensjahre (1844) traf Bakunin in Paris zum ersten Male mit dem 20jährigen Karl Marx zusammen. Bakunin äußert sich folgendermaßen über den Marx dieser Zeit: "Marx war viel weiter vorgeschritten als ich es war, wie er auch heute, 1871, weit gelehrter, wenn auch nicht fortschrittlicher ist als ich. Ich wußte damals nichts von Volkswirtschaft und hatte mich von metaphysischen Spekulationen noch nicht befreit, auch mein Sozialismus war cher nur instinktiv. Marx, obwohl jünger als ich, war schon Atheist, ein gelehrter Materialist und ein bewußter Sozialist. In dieser Zeit war er gerade

daran, die Grundlage zu seinem heutigen System zu legen. Wir sahen uns ziemlich häufig, denn ich achtete ihn hoch für seine Wissenschaftlichkeit und seine ernste und leidenschaftliche Hingabe an die Sache der Arbeiterschaft. Eine Hingabe, die freilich mit persönlicher Eitelkeit gemischt war. Ich suchte gierig seine Unterhaltung, die stets belehrend und geistvoll war, wenn sie nicht bösartigem Haß entsprang, was freilich recht häufig der Fall war. Eine freimütige Intimität gab es indes nie zwischen uns. Unsere Temperamente erlaubten das nicht. Er nannte mich einen sentimentalen Idealisten, und er hatte recht; ich nannte ihn eitel und perfid-tückisch, und ich hatte auch recht."

Daß dies Urteil nicht einer Erinnerungsfälschung späterer Jahre entsprang, ersieht man aus einem Brief Bakunins an Herwegh aus Brüssel (1847): "Die Deutschen aber, Handwerker, Bornstedt, Marx und Engels ..., vor allem Marx, treiben hier ihr gewöhnliches Unheil. Eitelkeit, Gehässigkeit, Klatscherei, theoretischer Hochmut und praktische Kleinmütigkeit, Reflektieren auf Leben, Tun und Einfachheit, und gänzliche Abwesenheit von Leben, Tun und Einfachheit, — literarische und diskutierende Handwerker und ekliges Liebäugeln mit ihnen, — "Feuerbach ist ein Bourgeois" und das Wort "Bourgeois" zu einem bis zum Überdruß wiederholten Stichwort geworden — alle selbst aber vom Kopf bis zu den Füßen durch und durch kleinstädtische Bourgeois — mit einem Wort Lüge und Dummheit und Dummheit und Lüge. In dieser Gesellschaft ist keine Möglichkeit, einen freien vollen Atemzug zu holen. Ich halte mich fern von ihnen und habe ganz entschieden erklärt, ich gehe in ihren kommunistischen Handwerkerverein nicht und will mit ihnen nichts zu tun haben."

Im Jahre 1847 wurde Bakunin aus Paris ausgewiesen wegen einer Rede über die polnischen Freiheitskämpfe. Da mari häufig Bakunin Panslavismus vorgeworfen hat, ist es von Interesse, an Hand dieser Rede seine Stellung zu der Polenfrage, der Slavenfrage überhaupt, darzustellen. Er begrüßt die polnische Revolution als einen Schlag gegen die Macht des zaristischen Despotismus. Er hofft, daß die Polen mit allen unterdrückten Russen gegen den Zaren gehen und für die Freiheit aller durch ihre Revolution beitragen werden. Er hofft ferner, daß alle Slaven durch die Revolution befreit werden und daß der Despotismus in Europa überhaupt damit falle.

Die Rede ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie

zur Ausweisung von Bakunin führte, sondern weil bei diesem Anlaß die russische Pariser Gesandtschaft das perfide Gerücht verbreitete, daß Bakunin ein Agent der russischen Regierung sei, den sie jetzt los werden wolle, weil er auch ihr im Provozieren zu weit gegangen sei.

Von Paris wandte sich Bakunin nach Brüssel. Auch dort verkehrte er zumeist mit den Demokraten, die ihn freilich ebensowenig befriedigten, wie der kommunistische Arbeiterverein von Marx. Nirgends fand er das Hingerissensein von der Idee, das er in sich fühlte, das ihm eine Lebensnotwendigkeit war. Daß auch damals sein Weg mehr durch gefühlsmäßige Momente bestimmt wurde, daß ihm vieles in seinem Wollen selbst nicht intellektuell klar war, ersieht man aus einem Briefe dieser Zeit: "Beinahe mein ganzes Leben wurde bis jetzt durch unfreie Wendungen bestimmt, unabhängig von meinen eigenen Voraussetzungen; wohin es mich führen wird, weiß ich nicht. Ich fühle nur, daß ich nicht umkehren kann und daß ich meine Überzeugungen nie ändern werde. Darin liegt meine ganze Kraft und mein ganzer Wert; darin auch die ganze Wirklichkeit und die ganze Wahrheit meines Lebens; darin mein Glaube und meine Pflicht; das übrige bekümmert mich nicht; es soll werden wie es will. Das ist meine Beichte. In all diesem ist viel . Mystizusmus, aber wer ist nicht Mystiker? Kann es einen Tropfen Leben ohne Mystizismus geben? Leben ist nur dort, wo ein scharfer, grenzenloser und darum auch etwas unbestimmter mystischer Horizont ist; wahrhaftig, wir wissen alle beinahe nichts, wir leben in einer Lebensatmosphäre, umgeben von Wundern, von Lebenskräften, und jeder unserer Schritte kann dieselben ohne unser Wissen und oft auch unabhängig von unserem Willen nach außen hervorrufen."

Bakunin fühlte sich in Brüssel, wie gesagt, sehr vereinsamt: die Polen, die deutschen Marxisten, die lokalen belgischen Demokraten — all das genügte ihm nicht und konnte ihm nicht genügen. Er fühlte sich eingefroren und lebte in Erwartung der Revolution. Die Pariser Februarrevolution führte ihn nach Paris zurück; dort war er als Propagandist tätig. Er predigte Kommunismus, Lohngleichheit, Nivellierung im Namen der Gleichheit, die Befreiung aller Slaven, hoffte auf die Verallgemeinerung der Revolution; deshalb betrachtete er es für seine Aufgabe, das Zusammenwirken der Demokraten aller Länder zu erwirken. Angesichts dieser unmittelbaren Aufgabe,

die demokratischen Elemente miteinander in Kontakt und zur koordinierten Handlung zu bringen, blieb für eine sozialistische Tatigkeit keine Zeit und keine Gelegenheit. Schon vor der Junischlächterei verließ Bakunin Paris. Die Revolutionäre, die vorläufig gesiegt hatten, empfanden ihn als ein gar zu weit treibendes Element, als lästig. Auch schwand bald sein Glaube, daß es sich um eine Fortsetzung der großen Revolution handle. Er war niedergedrückt dadurch, daß die Revolutionsmänner nicht mit weitem Blick und Verständnis mit den deutschen und slavischen Revolutionären sich in Verbindung setzten und ihnen zu einer großen einheitlichen internationalen Bewegung die Hand reichten. Er fühlte das Schwankende der Bewegung und schrieb bald darauf in einem Brief an Ruge, daß nicht nur in Deutschland Philister leben, sondern daß auch Paris ihrer ebensoviel voll wäre, wie von Maikäfern. Er sah im ganzen vielmehr die große allgemeine Idee, während die Menschen als "Realisten" handelten. Es drängte ihn, wenigstens selber so viel als möglich zu arbeiten für die Verallgemeinerung der Revolution, und er begab sich deshalb nach Deutschland mit dem Plane, sich mit den Slaven in Verbindung zu setzen.

Im April 1848 kam er nach Deutschland. Für seine Ansichten ist es bezeichnend, daß er damals schon die "Wählerei" — sein Ausdruck — nicht mit dem gehörigen Ernst würdigte, aber auch, daß er alles von dem Proletariat und der Bauernschaft erwartete und zu der Bourgeoisie gar kein Zutrauen hatte. Im übrigen war er, wie er später schrieb, viel mehr von der negativen Seite der Revolution ergriffen, als daß er sich mit der Neuorganisation der Gesellschaft beschäftigt hätte. Vor allem die Emanzipation der Slaven lag ihm am Herzen. Im Zentrum seines Bewußtseins stand ihm die Zerstörung der russischen, österreichischen, preußischen und türkischen Monarchien und die Emanzipation der slavischen Völker und ihre Reorganisation von unten nach oben nach den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit, auch in ökonomischem Sinne. Bei aller Unbestimmtheit im einzelnen stand für ihn im allgemeinen das Prinzip des Anarchismus in diesem Augenblicke fest: "Ich glaube nicht an Konstitutionen und an Gesetze; die beste Konstitution würde mich nicht befriedigen können. Wir brauchen etwas anderes; Sturm und Leben und eine neue gesetzlose und darum freie Welt."

Trotz des Fiebers, das ihn ergriffen, sprach auch in

dieser Zeit die Philosophie das große Ziel des lebensvollen Idealisten und nicht die Seele des Politikers aus Michael Bakunin. D'as Endlose, der ewige Traum der Größten, die die Erde getragen, es konnte nicht verdunkelt werden durch all die viele propagandistische Kleinarbeit und Taktik dieser bewegten Zeit. Man mag darin eine Schwäche sehen; und doch lag vielleicht gerade darin die Kraft aller bedeutenden Menschen, die für die Ideale der Menschheit gestritten. Gar oft wird man bei Bakunin diesem Zug noch begegnen und man ist bei ihm oft zum Vergleich mit Don Quichotte gereizt. Aber wen liebt im Grunde die Menschheit mehr, den Don Quichotte oder den Politiker Sancho Pansa? Braucht nicht selbst der Politiker die Berührung mit der Seele des Don Quichotte, um auch nur Politiker zu sein? Bakunins Drang nach Befreiung der Slaven machte ihn zum Teilnehmer des Slavenkongresses in Prag, wo er im Sinne seiner Ideen wirkte. Der Kongreß wurde durch einen Militärangriff unterbrochen, der zur Revolution führte, und Bakunin war im Zentrum dieser revolutionären Bewegung.

In dieser Zeit kam es auch zum offenen Bruch mit Marx. Die Ursache war der Zug der demokratischen Legion ins Großherzogtum Baden, um dessenwegen Marx Herwegh aufs heftigste angriff. Bakunin schrieb später selbst, daß Marx in der Sache recht hatte. Er war aber durch den Ton, wie Marx Herwegh, seinen Freund, angriff, so empört, daß er nicht an sich halten konnte und für Herwegh eintrat.

Marx lebte im Jahre 1848 in Köln als Redakteur an der "Neuen Rheinischen Zeitung". In seinem Blatt erschien nach dem Slavenkongreß folgende Notiz aus Paris: "Den Kämpfen der Slavenrasse in Böhmen, Ungarn und Polen folgt man hier, trotz unserer inneren Gärungen, mit sehr aufmerksamen Augen. In bezug auf die Slavenpropaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Russen M. Bakunin stark kompromittierten, indem sie ihn als ein Werkzeug oder in jüngster Zeit gewonnenen Agenten Rußlands darstellten, den der größte Teil der Schuld an den neuerdings verhafteten unglücklichen Polen traf. George Sand hat diese Papiere einigen ihrer Vertrauten gezeigt. Wir haben hier nichts gegen ein Slavenreich, aber durch den Verrat der polnischen Patrioten wird es nimmermehr zustande kommen.''

Auf Bakunins Wunsch veröffentlichte George Sand in der "Neuen Rheinischen Zeitung" einen Brief, in dem sie darlegte, daß die ganze Notiz erlogen sei, nicht einmal den geringsten Schein von Wahrheit habe und daß sie nie den geringsten Zweifel über Bakunins Redlichkeit ausgesprochen oder gehegt habe.

Ende 1848 und Anfang 1849 war die ganze Aufmerksamkeit Bakunins von der Idee einer neuen allgemeinen Bewegung in Anspruch genommen. Während seines Aufenthaltes in Leipzig, d. h. nach der Auseinandersprengung des Slavenkongresses in Prag, hatte sich ein Kreis meist böhmischer Studenten um ihn versammelt. Durch die gedachte er Böhmen aufzurütteln. Sein Plan war, ein möglichst gleichzeitiges Auftreten der Revolution an verschiedenen Orten vorzubereiten. Sein physiologischer Optimismus bestimmte dabei hochgradig seine Tätigkeit. Sein Optimismus wirkte aber auch ansteckend und war wohl in nicht geringem Grade die Ursache davon, daß die tschechischen Revolutionäre ihm hoffnungsreichere Nachrichten geben konnten, als es der Fall gewesen wäre, wenn sie nicht durch seinen physiologischen Optimismus angesteckt gewesen wären. Es gehört ja zu den stark auf andere wirkenden Menschen, daß es ihnen schwer wird, die Wirklichkeit in ihrer ganzen Nüchternheit zu sehen, weil sich die Wirklichkeit unter ihrem Einfluß tatsächlich über sich selbst erhebt und wenigstens für Momente "zur Idee dieser Wirklichkeit wird". Darin liegt die großartige und gleichzeitig tragische Kraft solcher magnetisch wirkenden Persönlichkeiten, wie Bakunin eine war. Nicht nur ist ihnen selbst der Wille mehr als die Wirklichkeit, sondern unwillkürlich erregen sie in ihrer Umgebung eine andere Einstellung, veranlassen sie ihre Umgebung über sich selbst hinaus zu wachsen und in der Wirklichkeit mehr den erfüllten Wunsch als das ihm Widerstrebende zu sehen. Umgekehrt ist die Wirkung von Menschen wie Marx; sie ist die des personifizierten Verstandes. Sie erzeugen eine solche Überwucherung des objektiven Erkenntnismomentes, daß fast jedes Zutrauen in die Wirkung persönlichen Eingreifens schwindet, daß In dem Menschen das Motorische wie gelähmt wird oder sich darauf beschränkt, sprachlich das Geschaute darzustellen, wie das der Marxismus, da wo er pädagogisch auftritt, ja zumeist tut.

Früher als Bakunin gedacht, brach die Revolution aus, und zwar in Dresden. Bakunin war mit ciller der tatkräftigsten

ihrer Teilnehmer. Nach der Niederlage geriet er in die Klauen der Staatsgewalt und es folgte für ihn nun eine lange Zeit der Freiheitsberaubung. Am 10. Mai 1849 wurde er in Chemnitz von sächsischen Bürgern überfallen und den preußischen Soldaten ausgeliefert. Am 14. Januar 1850 wurde das Todesurteil erster Instanz über ihn verkündigt. Am 16. April dasjenige der zweiten Instanz. Im Juni wurde es in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt. Am 13. Juni wurde er an Österreich ausgeliefert, nochmals zum Tode verurteilt, wieder zum lebenslänglichen Kerker begnadigt und dann an Rußland ausgeliefert. Dort verbrachte er sechs Jahre, zuerst (1851-1854) in der Peter-Paul-Festung, dann (1854-1857) in der Schlüsselburg. 1857 wurde er nach Sibirien verschickt, von wo er Mitte 1861 durchbrannte. So war er jahrelang außer dem Bereich aller normalen Wirklichkeit.

Wenn der Mensch abgeschlossen ist von der Tätigkeit, so taucht sein tiefstes Innerstes auf in seinem Bewußtsein. Es ist im allgemeinen schwer, bei so tätigen Menschen, wie Bakunin einer war, den unmotorischen Teil des Wesens zu ergründen. Ein paar Lichtstrahlen fallen auf den tiefsten Grund seiner Psyche aus seinen Äußerungen in dieser Zeit. In ihm lebte eine starke Sehnsucht nach inniger Gemeinschaft mit den Menschen. Diese innige Gemeinschaft war ihm eine Lebensnotwendigkeit, die Grundlage des Lebens, nicht nur des seinigen, sondern aller Menschen. Wenn diese innige Gemeinschaft, diese gegenseitige Liebe vorherrschend sei, sagte er, gäbe es keine Unmöglichkeiten. Sein starkes Bedürfnis, in der menschlichen Gemeinschaft zu leben, seine Auffassung, daß die Gemeinschaft zum Glück und zur Sittlichkeit eines jeden erforderlich ist, treten in der Gefängniszeit besonders deutlich hervor. Einem solchen Menschen muß gewiß die Entbehrung der menschlichen Gesellschaft und der Tätigkeit in ihr schwer fallen. Aber bei all den moralischen Torturen, die ihm auferlegt waren, zeigt er sich als eine wahre, kraftvolle Persönlichkeit. Beschäftigungslos konnte er nicht bleiben, drum studierte er Shakespeare und Mathematik, und sein altes Problem, seine alte Sehnsucht tauchte wieder auf: die Wirklichkeit zu studieren und ein wirklicher Mensch zu werden.

Auch der mystische oder, heute würde man sagen, vitalistische Zug, den mati so oft in seinen Werken findet, wird akzentuierter. "Die Musik allein hat einen Platz in der gegenwärtigen Welt, gerade weil sie nichts Bestimmtes zu sagen

den Anspruch hat und nur die allgemeine Stimmung, die große schmerzliche Sehnsucht ausführt, welche in der Gegenwart herrscht, und deshalb muß sie auch eine große tragische Kunst sein."

Ein anderer Zug, den man auch oft in seinen Werken fühlt, zeigt sich in einem Briefe über eine Bekannte, seine Abneigung gegen die beschauliche Selbsterziehung und Grübelei: "Johanna ist eine schöne Seele wie immer, damit ist alles Gute und Schlechte gesagt. Sie theologisiert noch und beschäftigt sich zu sehr mit ihrem inneren Heile — das beste Mittel, wie du weißt, es nie zu erreichen."

Seine Auffassung von dem Verhältnis von Mensch und Umgebung gibt eine andere Stelle aus seinen Briefen wieder: "Der Mensch ist nicht nur, was die Natur und die Verhältnisse aus ihm gemacht haben, sondern auch das, wozu er sich auf dieser gegebenen Grundlage selbst macht."

Die Gefängnisjahre, in denen Bakunin sich selbst, seiner alleinigen Gesellschaft überlassen war, müssen seine schon bestehende Ansicht über die große Bedeutung des Willens noch verstärkt haben. Acht Jahre keine Wirklichkeit zu sehen, das muß die Bilder dieser Wirklichkeit erblassen machen. Da wächst das eigene Innere in seiner Bedeutung; es muß zur Welt werden, wo es sonst keine andere Welt gibt als die Quälerei .durch die Gefängnisdiener.

Wie stark das voluntaristische Moment in Bakunin vorwaltet, zeigt uns seine Erzählung, daß er im Gefängnis in Rußland sich seine unfreiwillige Muße damit vertrieben, eine Prometheusdichtung auszudenken. Und wirklich, in keiner Figur ist Bakunin so sehr erschöpft, als gerade in Prometheus. Wenn man den Prometheus von Goethe liest, so ist es einem, man habe die Seele von Bakunin vernommen. An diese Figur muß man ständig denken, wenn man die verschiedensten Phasen von Bakunins Leben und Wollen verfolgt.

Nach achtjähriger Gefangenschaft war Bakunin in die Verbannung nach Sibirien gekommen. Sein dortiges Leben war kein unfreies zu nennen. Aber er begegnete einer anderen Wirklichkeit, als die, welche er später in Europa antreffen sollte. Außer acht Gefängnisjahren war er also noch weitere vier Jahre außerhalb dem wirklichen europäischen Leben. Um diese sibirische Wirklichkeit zu charakterisieren, braucht man nur daran zu denken, daß er, der schwere politische Verbrecher, in ein freundliches Verhältnis zu dem Gouverneur von Sibirien, Murawieff-Amursky,

seinem Vetter, kommen konnte. Dem Westeuropäer mag dies ein ewiges Rätsel sein und er mag Bakunin kopfschüttelnd dafür verurteilen. Als Westeuropäer macht man sich eben immer ein westeuropäisches und damit ein falsches Bild vom russischen Menschen. Und nach diesem Bild des russischen Menschen hat Bakunin seinen Menschen sich konstruiert, mit dem er in der Bewegung rechnete. Er verstand den Homo oekonomicus des Westens nie ganz. Darin war Alexander Herzen ihm über und verzweifelte deshalb auch am Westen. Bakunin erzählt, daß Murawieff eigentlich ganz seine Anschauungen geteilt habe, daß er im letzten Grund ein Revolutionär und Föderalist gewesen sei.

Als Bakunin 1861 durchgebrannt war, kam er über Japan und Amerika nach England. Dort begab er sich direkt zu seinen Landsleuten Herzen und Ogareff, mit denen er seit der Moskauer Zeit verbunden war. Seine ganz junge Frau, Antonie Kwiatkowska, die Tochter eines Polen, die er in der Verbannung geheiratet hatte, traf er erst 1863 in Stockholm wieder.

Seine Tätigkeit bis zum Friedenskongreß in Genf lassen wir am besten durch Nettlau schildern:

"Bakunin suchte nun durch aufopfernde Tätigkeit nach allen Seiten hin, d. h. durch Appelle an so viele seit 1849 schlummernde und erloschene und an neu entstandene revolutionäre Elemente, die verlorenen Jahre zu ersetzen. Garibaldis Zug nach Sizilien und Neapel, der bevorstehende polnische Aufstand, die Ausdehnung der radikalen Propaganda in Rußland, dies und anderes kündigten eine neue Zeit der Bewegung an, wie die sechziger Jahre es in der Tat waren, bis durch den Krieg von 1870-71 die großen Staaten vorläufig definitiv konstituiert wurden und die Reaktion eine neue und lange Periode Lebensfrist wiedergewann. M. B.s Bemühungen waren vielfach erfolglos: unter den 48ern war er fast der einzige jung Gebliebene, und es dauerte Jahre, bis er eine Reihe meist jüngerer Leute voll und ganz gewann und bis er unter den revolutionär gesinnten Arbeitern und der studierenden Jugend der Internationale die richtige Gelegenheit zu einer Propaganda und Agitation fand, der die revolutionären Richtungen von heute zum großen Teil entstammen. —

Er lebte zunächst in London, wo ihn eine englische Arbeitergruppe begrüßte, er mit Mazzini, Saffi, Louis Blanc, Talandier, Linton, Holyoake, Garrido und vielen anderen bekannt wurde, aber auch die Verleumdung der Urquhartschen Clique, der Marx nahestand, ihn — wie schon den Gefangenen in den 50er Jahren — wieder zu belästigen versuchte. Ein wirkliches Zusammenarbeiten mit Herzen und Ogareff, den Herausgebern des ,Kolokol, war nicht möglich, und seine russischen Publikationen gehen seine persönliche Auffassung, sein altes Programm wieder: so vor allem der Appell ,An die russischen, polnischen und alle slawischen Freunde' (15. Februar 1862), während die Broschüre ,Die Volkssache, Romanoff, Pugatscheff oder Pestel? (wohl im Juli d. J. geschrieben) dem ihm praktisch erscheinenden

Bedürfnis einer momentanen Situation entspricht. (S. B.s Brief an Herzen vom 19. Juli 1866.)

Er suchte an allen Grenzen Verbindungen zur Einfuhr von Druckschriften nach Rußland herzustellen, wurde mit allen möglichen Slawen, Armeniern u. a. bekannt, kreuzte ein bißchen Herzens diplomatische Bestrebung, die russischen Sektierer zu gewinnen durch zu offenes Benehmen diesen Leuten gegenüber, die nur nach ihrem eigenen Geschmack abergläubisch sein wollten usw. Im ganzen eine etwas zu rasche Tätigkeit, die noch keine Resultate gebracht hatte, als der bevorstehende polnische Aufstand für ein Jahr all seine Energie in Anspruch nahm.

Erst die polnische Frage führte Herzen und Ogareff mit Bakunin zu äußerlicher politischer Verbindung zusammen, indem Herzens Feder und Presse und Bakunins Persönlichkeit vereint erst eine Macht darstellten, mit welcher die polnischen Komitees auf gleichem Fuße zu unterhandeln sich bereit fanden, zumal diese Londoner Emigration als Vertreter der russischen geheimen Organisation ,Zemlja i Wolja' (Land und Freiheit) — die sich in der Folge als ziemlich chimärisch erwies — und des Offizierkomitees in der russischen Armee in Polen galt, welch letzteres einen Mann wie Andrei Potebnja zur Seele hatte, der für seine Sache zu sterben wußte. Von den vielen in diesen Angelegenheiten geschehenen Schritten erwähne ich Bakunins Reise nach Paris (August, September 1862), durch die u. a, eine Verständigung mit Mieroslawski herbeizuführen versucht wurde, welche Beziehungen aber schließlich mit heftigster gegenseitiger Polemik endeten; — die Reise der Delegierten des Warschauer Zentralkomitees, Padlewski, Giller und Milowic nach London (Ende September), welche der von den Russen gestellten Grundbedingung der Aufgabe des historischen Polens und der Autonomie für Littauen, der Ukraine und Weißrußlands zustimmten, der Höhepunkt der freundlichen Beziehungen; Potebnjas Reisen nach London (von Bakunin 1870 in der Broschüre an die russischen Offiziere erzählt) usw. — Bald erkalteten die Beziehungen, indem die aristokratische Richtung in der polnischen Organisation die Oberhand gewann und vom Aufgeben des historischen Polens und der Rückgabe des Bodens an die Bauern nichts wissen wollte und sich durch die Hoffnung französischer Intervention hinhalten ließ. Potebnjas Offiziersorganisation fand keine richtige Unterstützung mehr, ebensowenig Bakunins Plan einer russischen Legion, den er z. B. in einem Brief vom 3. Februar 1863 dringend vertrat; das Komitee teilte ihm schließlich seinen Wunsch mit, seine Reise nach Polen und seine Tätigkeit dort zu verschieben (s. B.s Brief vom' 9. Juli 1863). So konnten die Russen nur für eine Diversion in Rußland tätig sein, und gesprochen wurde von Kosaken- und Sektiereraufständen, von der ganzen Organisation ,Zemlja j Wolja', vom Kaukasus und von Finnland — aber es fehlte all diesem, sei es jede Grundlage, sei es die einfachste Initiative.

Bakunin mußte infolgedessen auf dem relativ günstigsten Operationsterrain bleiben, das er sich ausgesucht hatte, in Schweden. Er war am 21. Februar aus London über Hamburg und Kiel nach Kopenhagen gereist, bereit, im Fall der Verständigung mit den Polen nach Russisch-Polen zu gehen, und kam erst, als er vergebens gewartet hatte, nach Stockholm. Von dort fuhr er, zu dem mit der polnischen Expedition Lapinskis am 22. ,März aus Southend abgefahrenen englischen Schiff ,Ward Jackson' gerufen — er batte mit

der Vorbereitung der mißlungenen Unternehmung nichts zu tun gehabt (Brief vom 31. März 1863) —, nach Helsingborg (26. März), dann auf diesem Schiff nach Kopenhagen und Malmö, von wo er am 31. März nach Stockholm zurückkehrte; eine Aktion auf diesem Wege erwies sich als durchaus unmöglich, aber Bakunin, der tat, was er konnte, die Schwierigkeiten zu überwinden, ist mit diesem Fiasko in keiner Weise zu identifizieren. Seine Tätigkeit in Schweden bestand in Einwirkung auf die öffentliche Meinung, durch Schriften (im ,Aftonbladet') und Reden (besonders am 28. Mai) und — wie er es stets zu tun pflegte — durch Verkehr mit den entschlossensten und sympathischsten schwedischen Kreisen, im Sinn wenn möglich eines schwedischen Krieges gegen Rußland, wobei er Finnland neben Polen ins Spiel brachte. Privat knüpfte er viele Verbindungen an, auch mit Finnland, und suchte stets, obgleich vergebens, mit der angeblich vorhandenen Organisation in Rußland endlich direkt bekannt zu werden. All sein Enthusiasmus und der Optimismus, den er aus seinen öffentlichen Äußerungen sprechen ließ, konnten nicht über das Fehlschlagen des polnischen Aufstandes und demzufolge aller weiteren Hoffnungen und Möglichkeiten täuschen, und er mußte am 29. August 1863 In einem Briefe sagen: ,... Ja, auch der beste Pole ist uns als Russen feind.'

Schon damals war er entschlossen, den Winter in Italien zuzubringen, und im Oktober 1863 reiste er zunächst nach London und nicht lange darauf nach Italien. Hier endet seine Periode slawischer Tätigkeit (1862-63); er mußte das Unzureichende nationaler Bestrebungen, selbst als Mittel zu weiterem, sehen, und von jetzt ab beginnt die vorbereitende Periode seiner internationalen sozialrevolutionären Tätigkeit (1863-67), der von 1867-74 seine offene Tätigkeit in diesem Sinne folgte.

Er reiste über Brüssel, Genf, Turin, Genua, Caprera (wo er Garibaldi besuchte), Livorno nach Florenz (Ende Januar 1864), überall alte Bekannte und die neuen Männer der Bewegung aufsuchend; trotz des polnischen Mißerfolges fühlte er: ,Im Westen ist auch die Flut der Reaktion zu Ende — es beginnt von neuem die Flut der Revolution.' (Brief vorn 24. April 1864.) Er lebte in Florenz im Verkehr mit Italienern, Russen (L. Metschnikoff u. a.), Polen, Ungarn usw., bemühte sich noch um manche polnische Angelegenheiten, und machte, wohl zuerst, den Versuch der Gründung einer geheimen Organisation (hierüber später).

Im Sommer war er im Seebad Antignano hei Livorno und reiste später, aus unbekannten Ursachen, im August nach Schweden, wo sein diesmaliger Aufenthalt wenig Beachtung fand, dann im Oktober über London (wo ihn Marx besuchte und versicherte, ihn nie verleumdet zu haben), Brüssel, Paris (wo er Proudhon zum letztenmal sah), nach Florenz zurück, wo er noch bis zum Sommer 1865 blieb. Den Sommer brachte er in Sorrent zu und kam Anfang Oktober nach NeapeI, wo er statt einiger Monate, wie beabsichtigt, fast zwei Jahre blieb (bis September 1867), mit Sommeraufenthalt in Ischia (1866-67).

In Sorrent und Neapel lernte er eine Reihe jüngerer Männer kennen, die bereits am den italienischen Bewegungen teilgenommen hatten, wie G Fanelli, Carlo Gambuzzi, S. Friscia, A. Tucci, später Carmelo Palladino u. a., dazu kamen der Pole Walervan Mroczkowski, die russische Fürstin Z. S. Obolensky, die die wesentlichste materielle

Hilfe gab, u. a. Für Italien suchte er durch Gewinnung tüchtiger Elemente der Mazzinisten und Garibaldianer zu wirken und stellte dem religiösen Patriotismus auf Bourgeoisgrundlage Mazzinis den atheistischen Internationalismus auf sozial revolutionärer Grundlage gegenüber. Unbekannt sind mir seine ersten italienischen Publikationen im ,Popolo d'Italia' (1865) und in ,Libertà e Giustizia' (1867) und die erste Nummer der Flugschrift ,La Situazione'; das Programm der italienischen Geheimorganisation (ca. 1866) läßt aber das eben Gesagte klar erkennen, ebenso sein Brief an Herzen vom 19. Juli 1866, endlich die ältesten Dokumente, die zu erwähnenden Freimaurermanuskripte und der revolutionäre Katechismus (1866?). Es lag ihm daran, um ungestört zu bleiben, diese Propaganda möglichst privat zu betreiben, war er doch beständigen Verleumdungen durch russische Anstiftungen ausgesetzt, — der Brandstiftungen in• Rußland, wie der Falschmünzerei in Italien, worüber u. a. sein Brief an Fanelli (29. Mai 1867) vorliegt. — Daher erschienen unter seinem Namen wohl nur zwei Erklärungen im ,Kolokol' (15. Mai 1867), und er war ziemlich verschollen, was ganz seiner Absicht entsprach.

Die russische Bewegung war in diesen Jahren weit über Herzen hinausgeschritten, die Jugend, welche der Bewegung ihre ganze Existenz zum Opfer brachte, stand dem merkwürdigen Doppelstandpunkt Herzens, der einerseits den Revolutionären gegenüber immer skeptischer, andererseits den •geringsten sich liberal gebenden Maßregeln der russischen Regierung immer gläubiger entgegentrat, kritisch und bald feindlich gegenüber. Dazu vermochte Herzen an den Auf schwung der westeuropäischen revolutionären Strömungen. besonders der Arbeiterbewegung, keinen Glauben mehr zu gewinnen und stand vereinsamt, verbittert, ohne Hoffnung da. Bakunin hatte den Glauben an die Jugend und an das Proletariat und sah hoffnungsfreudig der Zukunft entgegen. Die häufige gegenseitige Kritik beider im Briefwechsel, in der bisher Herzen manchmal recht hatte, wird zugunsten Bakunins abgeschlossen durch den glänzenden Brief vom 19. Juli 1866, der — wie auch später, 22. Juni 1857 — alles versuchte, um Herzens Vorurteile gegen die junge Generation zu zerstören — aber vergebens.

In Italien sah Bakunin nur einzelne Russen gelegentlich uni sich; zu organisierter Propaganda schien sich erst 1868 in Vevey und Clarens eine Gelegenheit zu bieten, wo M. B. in Nicolas Joukowsky und dessen Frau unbedingte Genossen, aber in N. Utin und dessen Anhang sehr laue Freunde und bald Feinde um sich hatte. Eine Druckerei sollte in Bern gegründet werden. Eine Nummer der Zeitschrift ,Narodnoe Dêlo' (,Die Volkssache') erschien (1. September 1868), ganz von Bakunin und Joukowsky geschrieben; der Bruch mit Utin und andere Verhältnisse, die zu Bakunins Übersiedelung nach Genf führten, machten seiner Teilnahme an dieser Zeitschrift ein Ende. Fine beabsichtigte Schrift in französischer Sprache: ,Die revolutionäre Frage in Rußland und Polen' (1868), in der er sich auch mit den Polen über den letzten Aufstand auseinandergesetzt hätte, wurde nicht vollendet und blieb ungedruckt.

Seine wesentlichste Aufgabe aber sah Bakunin in folgender Tätigkeit: die intelligentesten, ehrlichsten und energischsten Männer, die in den freiheitlichen Bewegungen hervortraten, für sein engeres Programm zu gewinnen, das unbedingt atheistisch-anarchistisch-sozialistisch war, und ein geheimes (privates) Zusammenwirken dieser

Männer zu organisieren, durch welches beginnenden Volksbewegungen eine revolutionäre, vor allem den Staat zerstörende Richtung gegeben werden sollte, die Bewegungen durch gleichzeitige Bewegungen in anderen Ländern unterstützt würden und so, wie er oft sagte, eine unsichtbare, unpersönliche' (daher dem Ehrgeiz keinen Spielraum gebende) revolutionäre Diktatur geschaffen würde, die ein Zersplittern, ein Abirren, eine Vereinzelung der revolutionären Kräfte verhindern würde. Dies der Grundgedanke seiner Bemühungen, die von 1864 bis 1874 nie ruhten. Alles beruhte aber auf privaten persönlichen Beziehungen einer Reihe von Revolutionären unter sich, und was da an komplizierten Statuten und Programmen existiert, hat eine sekundäre Bedeutung, mag als Schwäche, sei es Bakunins, sei es derjenigen, für die sie bestimmt waren, aufgefaßt werden, aber man darf nicht nach denselben den Wert des Grundgedankens beurteilen, der vielmehr an der wirklichen Geschichte der Verbreitung der freiheitlichen Internationale in Italien und Spanien, in Südfrankreich und in der romanischen Schweiz zu messen ist.

Aus der begreiflicherweise nur fragmentarisch erhaltenen Geschichte dieser Bemühungen hebe ich hervor: Bakunins Versuche, die Freimaurer zu gewinnen (Florenz 1864 ...), wovon auch Manuskriptfragmente zeugen, aus denen ersichtlich, daß er damals seine Ideen so klar ausgearbeitet hatte, wie nur je später, etwa in ,Dieu et l'Etat'; die Versuche blieben erfolglos, und er ging selbständig vor (Florenz 1864): zu den Italienern kamen bald Polen und Franzosen; seine Reise von 1864 wurde zur Gewinnung von Mitgliedern benutzt. Festeren Boden fanden diese Bemühungen in Neapel, und im Juli 1866 schrieb M. B. an Herzen von Genossen in Schweden, Norwegen, Dänemark, England, Belgien, Frankreich, Spanien und Italien, von Polen und einigen Russen. Erwähnt wird eine Reise Mroczkowskis für diese Ziele. In Manuskripten liegen vor ein ungemein ausführliches Statut: ,Organisation', und eine lange Darstellung der Grundideen der Gesellschaft (,Catéchisme révolutionnaire'), — beide wohl von 1866; gedruckte italienische Programme und Statuten; ein kürzeres und wohl älteres Manuskriptfragment: ,Programme de la Société de la Révolution internationale'. — Als Name erscheint einfach: ,la société internationale révolutionnaire' und als Bezeichnung der Mitglieder ,frère international', weshalb für das Ganze die gewöhnliche Bezeichnung ,Fraternité internationale' sich bildete.

Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß dies alles stattfand, bevor Bakunin die geringste Berührung mit der Internationale hatte, in den Jahren, in welchen diese Gesellschaft noch ein äußerst schwaches Leben führte, in denen die Hauptpersonen des französischen Zweiges in Paris, die Tolain, Fribourg usw., tinter dem Verdacht des Bonapartismus standen, während Marx und seine deutschen Anhänger den alten autoritären Kommunismus vertraten und anderswo (Schweiz) der Bourgeois-Sozialismus à la Coullery blühte; nur in Belgien war man freiheitlich-sozialistisch.

Daher konnte die Internationale bis zum Jahre 1867 auf Bakunin nur minimale Anziehung ausüben, zumal er Marx, seinen alten Feind, als Hauptperson derselben wußte. Er arbeitete also mit seinen Freunden für sich. Als für den September 1867 der allgemeine Friedenskongreß nach Genf einberufen wurde, der die republikatischen und radikalen Elemente Westeuropas vereinigen sollte, sah Bakunin

in dieser Zusammenkunft eine günstige Gelegenheit, sowohl mit seinem wirklichen Programm zum erstenmal an die Öffentlichkeit zu treten, als auch für die Zwecke seiner geheimen Gesellschaft viele neue Beziehungen anzuknüpfen, und so begaben er und einige seiner Genossen sich im September 1867 nach Genf."

Soweit Nettlau.

Dieser Bakunin war es, den wir zu Beginn der Internationale antreffen. Daß er mit Marx über kurz oder lang zusammenstoßen mußte, war unvermeidlich.

Der Friedens- und Freiheitskongreß in Genf (1867)

Wir sprachen schon von den ersten beiden Kongressen der Internationale, die 1866 und 1867 stattfanden. Auf den beiden Kongressen war Bakunin nicht anwesend. Er befand sich überhaupt zu der Zeit noch nicht in der Internationale. Während Marxens Aufmerksamkeit ganz und gar konzentriert war auf die alleinige Arbeiterbewegung, suchte Bakunin, bei all seinem Glauben an die revolutionäre Kraft der Arbeiterschaft, noch in den Kreisen der bürgerlichen Intelligenz Propaganda für die Ideen der sozialen und politischen Umwälzung zu machen. Bakunin war zwar schon 1864 wieder in Beziehung getreten mit Marx und er schenkte der Internationale von Anfang an seine Aufmerksamkeit. Aber bei seinem Aufenthalt in Italien trat sie für ihn in den Hintergrund und es scheint, daß er ihre spätere Bedeutung nicht vorausahnte. Seine Illusionen in bezug auf die bürgerlichen Demokraten waren noch nicht geschwunden. Deshalb wurde er auch Mitglied der Liga für Frieden und Freiheit, in der er für seine Ideen Propaganda machen wollte.

Daß er mit seinen Illusionen nicht allein stand, sieht man daraus, daß 26 Delegierte der Internationale ebenfalls auf dem Kongreß sich einfanden. Der Lausanner Kongreß der Internationale beschloß, eine Adresse an den Friedenskongreß zu richten. Professor Ludwig Büchner und Professor James Guillaume hatten diese Adresse zu verlesen. Die Internationale betonte in dieser Adresse, daß sie selbst-- verständlich die Beseitigung der Kriege anstrebe, daß aber der Frieden nur garantiert wäre durch eine Neugestaltung der Dinge in dem Sinne, daß es nicht mehr zwei Klassen gäbe, von denen eine durch die andere ausgebeutet werde.

Als interessantes Kuriosum des Kongresses reproduzieren wir die Leitsätze, die Garibaldi dem Kongresse vorlegte und die freilich die Internationalen die Köpfe schütteln

ließen. Sie sind so drollig und naiv, daß es sich schon lohnt; sie wiederzugeben:

1. "Alle Nationen sind Schwestern."

2. "Der Krieg zwischen ihnen ist unmöglich."

3. "Alle Streitigkeiten, die sich zwischen ihnen erheben, werden durch den Kongreß beurteilt."

4. "Die Kongreßmitglieder werden ernannt durch die demokratischen Gesellschaften jedes Volkes."

5. "Jede Nation hat Stimmrecht am Kongreß, wie groß immer die Zahl ihrer Glieder sei."

6. "Das Papsttum als gefährlichste aller Sekten wird als abgeschafft erklärt."

7. "Die Religion Gottes wird durch den Kongreß angenommen und jedes seiner Mitglieder verpflichtet sich, sie auf der Oberfläche der Erde zu verbreiten."

8. "Der Kongreß widmet dem Priesteramt die besten Männer der Wissenschaft und Intelligenz; er widmet dem Nichts jedes Priestertums der Unwissenheit."

9. "Propaganda der Religion Gottes durch Aufklärung, Erziehung und Tugend."

10. "Die Republik ist die einzige eines freien Volkes würdige Regierungsform."

11. "Die Demokratie allein hat das Recht, gegen die Geißel des Krieges zu protestieren."

12. "Der Sklave allein hat das Recht, Krieg gegen die Tyrannen zu machen."

Schon auf diesem Kongreß zeigte es sich deutlich, daß ein Zusammenarbeiten der Friedens- und Freiheitsfreunde und der klassenkämpferischen Internationale nicht mehr möglich war. Die bürgerlichen Demokraten wurden nervös, als man von Klassenkampf und von Abschaffung der Privilegien der Besitzenden sprach, und manifestierten großen Unwillen, als von den Sozialisten die Frage sozialer Reformen in die Diskussion hineingeworfen wurde. Ein Teil der Kongreßmitglieder suchte von Anfang an den Kongreß zu sprengen, da ihnen der sozialistische Einschlag mißfiel. Die anwesenden Mitglieder der Internationale hielten mit ihren Ansichten nicht zurück. Sie machten kein Hehl daraus, daß ihnen mit einer bloßen bürgerlichen Republik durchaus nicht gedient sei, daß sie eine soziale Republik wollten, daß sie nicht nur den politischen, sondern auch den ökonomischen Föderalismus verlangten. Als gar ein Redner meinte, daß man erst die soziale Revolution machen müsse, bevor

der Weltfrieden komme, da war man von der Auflösung des Kongresses nicht mehr weit entfernt.

Während die Internationalen vor allem die kapitalistische Klassenherrschaft für den Krieg verantwortlich machten, griff Bakunin den Staat als Ursache des Krieges an, aber nicht nur als Ursache des Krieges, sondern auch als den Ausbeuter der Arbeiter und Beschützer der privilegierten Klassen. Ob dieser Staat nun monarchisch oder republikanisch sei, das habe keine wesentliche Bedeutung. Bakunin fordert als Voraussetzung des Weltfriedens für jedes Volk, jede Provinz und jede Gemeinde das absolute Recht, frei, autonom zu sein, zu leben und sich zu regieren nach eigenem Willen. Er setzt voraus, daß in der Wahrung dieser Freiheit eine jede Einheit so eifrig sein werde, daß sie diese Freiheit nicht nur für sich selbst schütze, sondern eine jede Einheit auch der anderen zu Hilfe eile, wenn irgendwie ihre Freiheit angetastet werde. Die Zerstörung der heutigen zentralisierten Gewaltstaaten sei die Voraussetzung des Weltfriedens. Erst nach ihrer Beseitigung könne sich die ideale Gesellschaft, die freie Vereinigung aller freien Einheiten, die von unten nach oben organisiert seien, entwickeln. Eine solche freie Vereinigung aller Einheiten von Europa, die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, bilde die wahre Voraussetzung des Weltfriedens.

Bei Bakunin tritt, wie man sieht, die Idee der absoluten Freiheit, bei der Internationalen die Idee der ökonomischen Gleichheit in den Vordergrund.

Die abgrundtiefen Unterschiede von Sozialisten und bürgerlichen Ideologen oder Demokraten erregten zum Schluß des Kongresses einen förmlichen Tumult. Immerhin konnte noch eine Resolution gefaßt werden. Das genaue Programm der Liga sollte erst der nächste Kongreß aufstellen. Eine Kommission sollte bis dahin ihres Amtes walten und dieses Programm vorbereiten. Bakunin in seinem unerschütterlichen Optimismus verblieb für einmal noch in der Liga und wurde Mitglied der Programmkommission. Erst im darauffolgenden Jahre kam es zwischen ihm und den bürgerlichen Demokraten zum endgültigen Bruche.

Bakunin Mitglied der Internationale

Nach dem Friedenskongreß ließ sich Bakunin am Genfersee nieder. Er war Mitglied des Zentralkomitees des Liga geworden und suchte in dem Komitee seine Ideen durchzusetzen.

Im Juli 1868, d. h. vor dem Brüsseler Kongreß der Internationale und vor dem 2. Kongreß der Liga, wurde er dann Mitglied der Zentralen Genfer Sektion der Internationale, suchte die Liga der Internationale zu nähern und die Genfer Internationalen zu bewegen, der Internationale den Antrag zu stellen, sich auch auf dem nächsten Kongreß der Liga vertreten zu lassen. Vorerst beschränkte sich Bakunins Beziehung zur Internationale auf diesen Schritt. Im übrigen war er so sehr absorbiert durch seine Pläne mit der Liga, daß von einer aktiven Teilnahme oder gar einem Einfluß auf die Internationale in der Schweiz nicht die Rede mehr sein konnte. Seine Hoffnungen auf die Liga und deren Bedeutung waren noch nicht ins Wanken geraten.

3. Kongreß der Internationale in Brüssel

(6.-13. Sept. 1868.)

Unterdessen machte die Internationale selbst einen tüchtigen Schritt nach vorwärts. Der große Bauarbeiterstreik in Genf brachte in die bisher ziemlich idyllische Bewegung einen scharfen Zug und erweckte nicht nur Tausende von Arbeitern in Genf, sondern lenkte auch die Blicke weitester Kreise auf sich und trug mächtig bei zur Weckung der Klassengegensätze und zur Aufklärung der Arbeitermassen. Überall begann der erst noch undifferenzierte und kleinbürgerliche Geist einen Konkurenten zu finden in dem frisch aufstrebenden Selbstgefühl der Arbeiterschaft. Und der 3. Kongreß der Internationale, der in Brüssel stattfand, bietet schon einen ganz anderen Anblick als die früheren Kongresse. Ein frischer, selbstbewußter Zug geht durch ihn, fröhliche Kampfeslust lodert auf. Auf dem vorhergehenden Kongreß (Lausanne 1867) war festgelegt worden, daß die Anstrengungen der Völker dahin gehen sollten, den Staat zum Besitzer der Transport- und Zirkulationsmittel zu machen. Der Kongreß von Brüssel ging auf diesem Wege ein Stück weiter. Man rückte der Eigentumsfrage ein bißchen näher auf den Leib. Der Antrag De Paepes auf Sozialisierung von Grund und Boden, der auf dem Lausanner Kongreß heftig bekämpft und dessen eingehende Behandlung auf den Brüsseler Kongreß verschoben worden war, wurde mit großem Mehr angenommen, Immerhin zögerte man noch, diese Ansicht zu dem eisernen Bestand der Internationale zu machen und beschloß, die Frage

nochmals zu studieren und sie dann auf die Tagesordnung des nächsten Kongresses zu setzen. Auch dahin ging man einig, daß die Maschinen nicht mehr den Kapitalisten, sondern den Arbeitern gehören sollten; kategorisch erklärte der Kongreß, daß die Arbeiter nur durch die Produktivgenossenschaften und durch die Organisation des gegenseitigen Kredits in den Besitz der Maschinen gelangen könnten.

Von einer offiziellen Beschickung des Friedenskongresses wollte man nichts mehr wissen. Man war der Ansicht, daß die Liga ein unnütz Ding sei, daß die Internationale allein das Organ sei, Freiheit und Frieden zu schützen. Es blieb jedem unbenommen, zu dem Kongreß der Liga zu gehen, nur durfte er dort nicht im Namen der Internationale, sondern nur in seinem eigenen sprechen. Im übrigen lud man die Ligamitglieder ein, sich als Einzelmitglieder den Sektionen der Internationale anzuschließen. Wir sehen auch darin eine Klärung der Ideen und eine bewußte Lostrennung von den bürgerlichen Demokraten und Ideologen.

Die Internationalen fühlten und wußten, daß es nur eine Klasse von Menschen gäbe, die es wirklich ernst nähme mit dem Kampf gegen den Krieg, nur eine Klasse gäbe, die auch die Macht hätte, den Krieg zu verhindern, und daß dies die Arbeiterklasse sei. Sie trafen aber auch ins Herz der Lösung, als sie die Verweigerung der Arbeitskraft der Gesamtarbeiterschaft, den Generalstreik, als das große Mittel empfahlen, das allein dem Völkermorde ein Ziel zu setzen imstande sei.

2. Kongreß der Friedens-Liga in Bern

(21.-25. September 1868) Unmittelbar auf den 3. Kongreß der Internationale folgte der 2. Kongreß der Liga. Auf ihm finden wir neben den bürgerIichen, Ideologen und der Gruppe der Freunde von Bakunin auch eine Delegation des Kongresses der deutschen Arbeitervereine (Präsident Bebel) und der deutschen Volkspartei.

Wenn Bakunin sich nicht schon in Genf (1867) von der Liga getrennt, so war das in seiner gesamten Anschauung tief begründet. Seine Stellungnahme entsprang der Art und Weise, wie er das Verhältnis von Kulturbewegung auffaßte. Nach seiner Ansicht hatten die Internationale der Arbeiter und die Liga bis zu einem gewissen

Grade verschiedene Betätigungsgebiete. Während die Internationale der Arbeiter sich fast ausschließlich mit dem Kampf um die ökonomische Befreiung zu beschäftigen hatte, hielt er es für die Aufgabe der in der Liga vereinigten Intellektuellen, ins Feld zu ziehen für die außerökonomischen Kulturforderungen. Er war überzeugt, daß in der ökonomischen Frage niemand so kompetent sei, wie die sozial unterdrückte Arbeiterschaft. Was ihm früher stets schon vorgeschwebt, die Allianz der Philosophie mit dem Kommunismus, das trat auch in seiner Stellung zur Liga und Internationale klar zutage.

Während das System von Marx die politischen, religiösen und philosophischen Fragen durch das alleinige Mittel der ökonomischen Umwälzung zu lösen glaubt und sich deshalb beschränkt und konzentriert auf diese Umwälzung, will Bakunin gleichzeitig neben dem sozialen Kampf einen Kampf geführt wissen gegen die politischen, religiösen und philosophischen Autoritäten, und er hofft, daß er die Liga für Frieden und Freiheit für diesen Kampf gewinnen könne.

Ein Brief an Gustav Vogt möge diese Anschauung verdeutlichen. Er schreibt an Vogt:

"Nie habe er beabsichtigt, die Friedens- und Freiheitsliga in der Internationale aufgehen zu lassen. Die sozialen Prinzipien seien• natürlicher durch die Arbeiter repräsentiert als durch die in bürgerlicher Umgebung aufgewachsene "Intelligenz", weil die Arbeiter getrieben werden durch die Notwendigkeiten des Lebens, während die "Intelligenz" durch die logische Konsequenz ihres Gedankens dazu komme. Mit andern sei er der Ansicht, daß die Internationale sich fast ausschließlich mit ökonomischen Fragen, die Liga mit politischen, religiösen und philosophischen zu beschäftigen hätte. Freilich haben beide den gleichen Ausgangspunkt: die Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit in ökonomischer und sozialer Beziehung. Selbstverständlich könne dies Ziel nur erreicht werden, wenn die Liga, wie die Internationale, folgende Prinzipien samt ihren Konsequenzen akzeptiere: Ökonomische Gleichstellung aller Klassen und aller menschlichen Individuen auf Erden; infolgedessen die Abschaffung des erblichen Eigentums, die Inbesitznahme von Grund und Boden und Arbeitsinstrumenten durch die universelle Vereinigung der Arbeiterassoziationen. In dieser Vereinigung sollten alle gegenwärtigen Staaten aufgehen und ebenso alle politischen Einrichtungen,

die auf individuellem und erblichem Eigentum an Kapitalien und Erde beruhen."

Ebenso energisch wie Bakunin sich ins Zeug legte für die Notwendigkeit der Existenz der Liga, tritt er auch in der Liga für die Notwendigkeit einer radikalen ökonomischen Umwälzung der Gesellschaft als Grundbedingung einer höheren menschlichen Kultur ein. Auf dem Kongreß der Liga entwickelte er ein Programm, das auf diesen Anschauungen fußte und das den bürgerlichen Ideologen und Demokraten ebensowenig zusagte als den Vertretern der deutschen Arbeitervereine. In der Programmkommission hatte er mit großer Mühe folgenden prinzipiell wichtigen Absatz durchgesetzt: "Das gegenwärtige ökonomische System muß radikal geändert werden, wenn wir zu einer gerechten Verteilung des Reichtums, der Arbeit, der Muße, der Bildung, d. h. der Grundlage der Befreiung der Arbeiterklassen und der Beseitigung des Proletariats kommen wollen."

Um diesen Absatz stritt man sich auf dem Kongreß. In seiner Rede ging Bakunin aber noch weiter. Vor allem wehrte er sich gegen den Staatssozialismus, den Sozialismus im Sinne des kommunistischen Manifestes, der alle Kräfte der Gesellschaft im Staate konzentrieren wolle und somit die Verneinung aller Freiheit sei. Er verlangte die gänzliche Beseitigung des Prinzips und der Vormundschaft des Staates. Er wolle — was er auch schon auf dem ersten Kongreß der Liga betont —- die Organisation der Gesellschaft von unten nach oben, auf dem Weg der freien Vereinigung und die Abschaffung des individuellen und erblichen Eigentums, das eine Staatsinstitution sei.

Solche Forderungen und Maximen konnten nun freilich weder die bürgerlichen Ideologen noch die übrigen Kongreßler akzeptieren. Alle mit Ausnahme der speziellen Anhänger und Freunde von Bakunin erklärten sich gegen sie.

Internationale Allianz der sozialen Demokratie

Damit war für Bakunin der Austritt aus der Liga gegeben. Er und seine Freunde traten aus und taten sich zusammen als Internationale Allianz der sozialen Demokratie. Sie konstituierten sich als ein Zweig der Internationale und nahmen deren Statuten an. Diese Organisation war übrigens nicht plötzlich aus dem Nichts entstanden.

Sie war nichts anderes als eine öffentliche Erscheinung der von Bakunin längst (1864) gegründeten geheimen "Fraternité internationale".

Diese geheime Organisation . war ursprünglich rein italienisch; erst später traten ihr Polen, Franzosen und andere bei. Bakunin hatte von dieser geheimen Organisation Auftrag erhalten, auf den 1. Kongreß der Liga für Frieden und Freiheit sich zu begeben und ihm ein politisches und soziales Programm vorzulegen, das den Ideen der Fraternité entsprach.

Unter den Mitgliedern der Fraternité sind zu nennen: Fanelli, Friscia, Talandier, Ehe und Elisée Reclus, Rey, Malon, Naquet, Mroczkowski, Joukowsky, Perron. Diese geheime Gesellschaft löste sich auch nach der Entstehung der öffentlichen Organisation, der Internationalen Allianz der sozialen Demokratie, nicht auf. Sie scheint übrigens einfach eine Vereinigung persönlicher Freunde gewesen zu sein, die zueinander Vertrauen hatten und über Dinge sprachen, die ihnen am Herzen lagen. Die Fraternité löste sich jedoch im Januar 1869 auf, da Uneinigkeiten entstanden waren wegen des Verhaltens einer Anzahl Brüder, welche in Spanien für den bürgerlichen Radikalismus gearbeitet hatten. Bakunin insbesondere war darüber ungehalten.

Bakunin selbst hatte die Gründung der öffentlichen Internationalen Allianz der sozialen Demokratie nicht gewünscht. Er war dem Vorschlag zu ihrer Gründung entgegengetreten mit der Begründung, daß eine solche neue Internationale sich gewissermaßen in einer ganz unerwünschten Rivalität zur Internationale finden würde. Marx täuschte sich also sehr, wenn er Bakunin die Absicht zuschrieb, eine Konkurrenzgründung der Internationale gewollt zu haben, die seinen persönlichen Zwecken dienen sollte.

Das Programm der in Bern gegründeten Allianz lautet wie folgt:

1. Die Allianz erklärt sich als atheistisch. Sie will die Abschaffung der Kulte, die Ersetzung des Glaubens durch die Wissenschaft, der göttlichen durch die menschliche Gerechtigkeit.

2. Sie will vor allein die politische, ökonomische und soziale Gleichmachung der Klassen und Individuen beider Geschlechter, indem sie beginnt mit der Abschaffung des Erbrechtes, damit künftig der Genuß eines jeden seiner Arbeit entspreche. Sie will ferner,

entsprechend dem Beschluß des letzten Arbeiterkongresses in Brüssel, daß Grund und Boden, Arbeitsinstrumente, wie jedes andere Kapital, Kollektiveigentum der ganzen Gesellschaft werde und nur noch benützt werden könne durch die Arbeiter, d. h. durch die agrikolen und industriellen Genossenschaften.

3. Sie will für alle Kinder beider Geschlechter, von Geburt an, Gleichheit der Entwickelungsmittel, d. h. Unterhalt, Erziehung und Unterricht in allen Stufen der Wissenschaft, Industrie und Künste. Sie ist überzeugt, daß diese Gleichheit, die zuerst nur ökonomisch und sozial ist, nach und nach eine größere (natürliche) Gleichartigkeit der Individuen herbeiführen werde. Die scheinbaren Ungleichartigkeiten werden schwinden, da sie historische Produkte einer ebenso falschen als ungerechten sozialen Organisation seien.

4. Feind jedes Despotismus, anerkennt sie keine andere politische Form als die republikanische. Sie verwirft absolut jedes reaktionäre Bündnis und weist von sich jede politische Aktion, die nicht als unmittelbares und direktes Ziel hat den Triumph der Sache der Arbeiter gegen das Kapital.

5. Sie anerkennt, daß alle jetzigen politischen und autoritären Staaten, sich vorerst beschränkend auf einfache administrative Funktionen der öffentlichen Dienste, verschwinden sollen in der Union der freien agrikolen und industriellen Vereinigungen.

6. Weil die soziale Frage endgültige und wirkliche Lösung nur auf Grund der internationalen Solidarität der Arbeiter aller Länder finden kann, weist die Allianz jede Politik von sich, die auf sogenanntem Patriotismus und Rivalität der Völker beruht.

7. Sie will die universelle Vereinigung von allen lokalen Vereinigungen durch die Freiheit."

Was Marx an diesem Programm unsympathisch sein mußte, war dessen Verhältnis zu der damals in Europa gegebenen Massenpsyche innerhalb der Arbeiterschaft. Aus dem Programm sprach ein Endziel, und Marx interessierte der Weg. Marx sagte sich, so und so ist die, aus ökonomischen Bedingungen gegebene, Psyche der Arbeiterschaft; den Kräften dieser Arbeiterschaft entsprechende Wege sind zu wählen, um sie in Bedingungen zu versetzen, die ihr' erhöhte Kräfte geben. Die Arbeiterschaft ist in erster Linie zum Bewußtsein ihrer Kraft zu bringen durch Erweckung

des Klassenbewußtseins; von da aus wird sich das weitere schon ergeben. Das Allianzprogramm setzte aber, nach Marxens Ansicht, das Ende an den Anfang; es hatte eine verkehrte Methode der Erziehung; und es störte durch diese Methode die Marxsche Erziehungsmethode. Es führte Momente in die Erziehung ein, die zwar die endgültige Entwicklung nicht verunmöglichen, aber doch verzögern würden. Denn aus dem Programm der Allianz ergab sich für einen jeden Augenblick die Aufgabe, das Mittel zu wählen, das all die seelischen Elemente anregte, deren ende im Programm enthalten war. Marx aber wollte an einem Einzigen anknüpfen und das war der Trieb der Arbeiter zu einer Erhöhung ihrer materiellen Lebenslage. Alles andere würde dann schon von selbst sich ergeben. Die beiden wollten auf verschiedene Weise erziehen. Bakunin schien nach dem Allianzprogramm erziehen zu wollen zum Unglauben an Gott, zur Abschaffung von Staat und Kapitalist, zur Bildung von agrikolen und industriellen Genossenschaften, die Staat und Kapitalisten ersetzen sollten. Gegen diese Endziele hätte Marx wohl nicht viel einzuwenden gehabt; aber daß man von diesen Endzielen sprach statt nur von Mitteln, von denen er glaubte, daß sie reif machen zu diesen Endzielen, darüber geriet er in Unruhe. Er fand, auf Grund von Ideen über das Endziel wäre es nicht möglich, die große Masse der Arbeiter zu organisieren; an den allgemeinsten Forderungen der Arbeiterschaft und weitester Schichten der Arbeiterschaft hätte man anzuknüpfen. Das Programm der Allianz sei aber nur imstande, eine kleine Gruppe, eine Sekte von Menschen um sich zu gruppieren. Marx wollte in erster Linie mit der gegebenen Psyche der Arbeiterschaft das bestehende ökonomische System bekämpfen; Bakunin schien sie nach dem Programm der Allianz der sozialen Demokratie unverhüllt und gradaus zur absoluten Freiheit, zur Vernichtung aller Widerstände und zur Bildung einer neuen Gesellschaft führen zu wollen.

Ablehnung der Allianz

Bis dahin war es zwischen Marx und Bakunin nicht zu einem größeren Zusammenstoß gekommen. Ihr gegensätzliches Wesen war nach außen so wenig sichtbar, daß wir einen der Freunde von Marx, der dessen Anschauungen in allen wesentlichen Punkten teilte und deshalb zum grimmigsten

Gegner Bakunins sich umwandelte, J. Ph. Becker, als Mitglied der öffentlichen Allianz finden. Becker war sogar, neben Bakunin, Mitglied des Zentralbureaus der Allianz und schrieb als solches an Marx um die Aufnahme der Allianz in die Internationale. Es war gewiß die Darstellung der seelischen Gegensätze von Bakunin und Marx notwendig, um dem Leser zum Verständnis zu bringen, daß Marx diese Aufnahme ablehnte, weil sie nach seiner Ansicht eine desorganisatorische Gefahr für die Internationale in sich schloß. Bakunin hatte gegen diese Entscheidung nichts einzuwenden, dagegen erzürnte sie den Becker sehr, der eben das tief Gegensätzliche der Bestrebungen von Marx und Bakunin noch nicht empfand. Der Generalrat, d. h. Marx, war dagegen damit einverstanden, daß die Sektionen der Allianz als solche der Internationale beitraten, da sie dies nach den Statuten der Internationale sein mußte. Die Allianz leistete dem Rat von Marx Folge und löste sich am 9. März 1869 als internationaler Körper auf. Es gab also fürderhin kein Zentralbureau der Allianz mehr, sondern nur noch Sektionen der Internationale mit dem Programm der Allianz. Die geheime Organisation (Fraternité Internationale) war schon im Januar 1869 aufgelöst worden, wie schon gesagt: aber einige der älteren Mitglieder behielten ihre intimen Beziehungen zueinander bei und machten neue Rekruten.

Die Genfer Sektion der Allianz der sozialen Demokratie, deren Präsident Bakunin war, wurde nach Einsendung der Statuten vom Generalrat einstimmig als Sektion der Internationale aufgenommen am 28. Juli 1869.

Jura und Bakunin

Es ist kein Zufall, daß Bakunin gerade in der demokratischen Republik Anklang finden sollte, kein Zufall, daß es gerade in der romanischen Schweiz und ganz speziell im Jura war.

Im Neuenburger Jura lebten im Jahre 1866 über 13000 Menschen, die regelmäßig in der Uhrenindustrie beschäftigt waren, und das bei einer Gesamtbevölkerung von nur 87000 Einwohnern. Dazu kamen noch, als ebenso wichtig für die Bewegung, die Uhrenarbeiter des Berner Jura, deren Zahl im Jahre 1870 auf 14135, darunter 4743 weibliche, angegeben wird. Darin sind nicht einbegriffen etwa annähernd ebensoviele, die zeit- und aushilfsweise mit

der Uhrmacherei sich beschäftigen. Ihre Produktionsweise war kurz folgende: Mitte der 50er Jahre wurde angenommen, daß etwa ein Viertel der Uhrenarbeiter im Werkstätten- und Fabrikbetrieb, die übrigen dagegen in der Hausindustrie beschäftigt seien. Von der letzteren Kategorie benutzte die Mehrzahl lediglich ein Zimmer ihrer Wohnung, worin sie am Fenster einen Werktisch aufgestellt hatten, allein oder unter Mitwirkung einiger Familienglieder als Arbeitslokal. Sogar in denjenigen Fällen, wo eine von der Wohnung abgesonderte Werkstätte existierte, gehörte das darin beschäftigte Arbeitspersonal zumeist zu derselben Familiengemeinschaft. Diese Art der Arbeitsorganisation hat sich bis 1876 und selbst noch einige Zeit darüber hinaus erhalten. In den 50er Jahren verdiente der einzelne Heimarbeiter im Durchschnitt pro Tag 4-5 Franken. Die in den Werkstätten und Fabriken angestellten kamen auf 1000-5000 Franken jährlich zu stehen. Wir bringen diese Angaben, um die ewigen Irrtümer einmal aus der Welt zu schaffen über die ökonomischen Gründe des verschiedenen Verhaltens verschiedener Arbeiterschichten in der welschen Schweiz zu der föderalistischen Bewegung. Diese Arbeiterschicht war es im Jura, auf die die sogenannte Bakunistische Richtung sich stützte. Die erste Bewegung unter diesen Arbeitern hatte ein demokratisch-humanitärer Arzt aus der Pruntrutschen Gegend, Pierre Coullery, eingeleitet. Er setzte sich mit dem Londoner Generalrat in Beziehung und gründete 1865 die erste Sektion der Internationale in La Chaux-de-Fonds mit 4-500 Mitgliedern. An sie schlossen sich bald eine ganze Anzahl anderer Sektionsgründungen an. Im Jahre 1866 wurde auch in Locle von einem alten, zum Tode verurteilten Teilnehmer der Neuenburger Revolution von 1831, Constant Meuron, und dem zurzeit 22 jährigen James Guillaume eine Sektion gegründet. Ursprünglich hatten alle diese Sektionen einen sehr diffusen Sozialismus, wenn man das Ding überhaupt so nennen darf. Der Mahnruf der Internationale: "Arbeiter aller Länder, vereinigt euch", hatte sie zusammengeführt. Ein vages Gefühl, daß man sich zusammentun müsse, wenn man seine Lage verbessern wolle, war die Ursache der Organisation gewesen. Gott, Vaterland, Menschheit, Brüderlichkeit waren die präzisesten Begriffe, in denen sich das Bewußtsein der meisten Sektionen ausdrückte und die in den Versammlungen bejubelt wurden. Coullery war ein außerordentlich tätiger und diesen Stimmungen gewachsener Mensch, der auch eine Zeitung gründete, die Voix de l'Avenir. Es war ein ziemlich farbloses Blatt, das eine Art Neu-Christentum verbreitete. Es fand bald einen großen Leserkreis. Nun mußte sich aber diese Stimmung auch in Aktionen äußern; das Nächstliegende war, daß man in einem Land mit allgemeinem Stimmrecht an die Wahlbeteiligung sich machte. Da war aber Coullery schon in einer schwierigen Lage. Es drängte ihn nach einem unmittelbaren Erfolg, dazu hatte er aber zu wenig Vertrauen in seine neu gegründete Internationale. Die bürgerlichen Radikalen verhielten sich aber sehr ablehnend zur Internationale. Das war ja einmal eine neue Konkurrenzpartei und anderseits waren es Arbeiter, die über kurz oder lang an den Geldbeutel der Radikalen Anforderungen stellen könnten. Coullery wandte sich deshalb an die Konservativen, die alten Royalisten oder sogenannten Liberalen. Damit stieß er aber in den eigenen Reihen auf Widerstand. Der fortschrittliche Geist einer großen Anzahl von Mitgliedern der Internationale konnte es nicht auf sich nehmen, für den Erbfeind, die royalistischen Konservativen, einzutreten. Die Coullerysten erlitten deshalb eine Niederlage. Die Gegner eines Bündnisses mit den Konservativen, unter ihnen Guillaume, waren nun etwa keineswegs Abstentionisten. Sie suchten noch ein paarmal auf dem politischen Gebiet sich zu betätigen, machten auch eine Wahlallianz mit den Radikalen, wurden aber trotz Abmachung von ihnen im Stich gelassen. Aus eigener Kraft waren sie nicht imstande, sich politisch durchzusetzen; und eine demokratische Partei mit sozialen Tendenzen, wie sie anderorts, z. B. in Zürich, bestand, war nicht vorhanden, die mit ihnen wirksame Wahlbündnisse eingegangen wäre. Auf dieses Fehlen einer antikapitalistisch-demokratischen Partei•ist ein großes Gewicht zu legen. Denn gerade in der deutschen Schweiz hat das Bestehen einer solchen eine durchaus andere Entwicklung der Arbeiterbewegung bedingt. So sahen sich die Neuenburger in die Lage versetzt, entweder auf eine grundsätzlich politische Aktion• zu verzichten und sich ins Gefolge einer der herrschenden Parteien zu begeben oder aber ihre Kräfte auf eine Wahlpropaganda zu verwenden, die in absehbarer Zeit keine praktischen Erfolge zeitigen würde. Ihr Glaube an die Möglichkeit einer sozialen Umwälzung, durch andere Mittel und in näherer Zeit, hatte die Jurassier den Weg der Enthaltung von der parlamentarisch-politischen Tätigkeit gehen lassen, schon bevor Bakunin mit ihnen bekannt geworden. Ein solches Milieu mußte freilich für den Antiparlamentarismus von Bakunin ein gutes Terrain bilden.

Ein weiteres Moment kam hinzu. Im Kanton Neuenburg gärte es in dieser Zeit auch in Glaubensfragen. Der religiöse Freisinn und die Orthodoxie lagen miteinander im Streit und weite Schichten der Bevölkerung interessierten sich für die Frage. Wir werden sehen, wie gerade auf diesem Boden Bakunin im Jura debutierte, als er das erstemal hinkam und so den freidenkerischen Stimmungen der jurassischen Bevölkerung entgegenkam.

Daß auch die föderalistischen Tendenzen des Bakunismus, alle andern Gründe abgesehen, den Welschschweizern liegen mußten, da sie innerhalb der schweizerischen Eidgenossenschaft eine Minorität bilden, darf wohl nicht außer acht gelassen werden.

Wir sahen, wie für Enthaltung von Wahlpolitik, für Atheismus und Föderalismus ein natürlich vorbereiteter Boden im Jura vorhanden war. Zu alledem verloren Coullery und seine Richtung allen Kredit durch ihre Stellung zum Kollektiveigentum. Nachdem der Brüsseler Kongreß für dasselbe eine Resolution gefaßt, wetterte Coullery heftig dagegen. Die fortschrittlichen Arbeiter des Jura entschieden sich aber gegen Coullery und für das Kollektiveigentum.

James Guillaume

Bevor wir in unserer Betrachtung weiter gehen, ist es nötig, über einen Mann zu sprechen, der nicht nur für den Jura, sondern für die ganze Internationale von größter Bedeutung war. Es ist derselbe, auf den sich zumeist unsere Darstellung stützt, außer wenn von ihm selbst die Rede ist. Denn wie Bakunin in der ganzen Bewegung zu sehr als Autor, als Held oder Missetäter hervorgehoben wurde von den Geschichtsschreibern, so tritt Guillaume zu sehr in den Hintergrund, ganz besonders in seiner eigenen Darstellung, auf die wir uns in erster Linie stützten. Wie Marx und Bakunin, ist Guillaume ein der besitzenden Klasse entsprossener Intellektuellentypus. Er war der Sohn eines Neuenburgers und einer Französin. Sein Großvater väterlicherseits hatte teilgenommen an einer revolutionären Bewegung im Kanton Neuenburg im Jahre 1831; später wurde er, bis 1848, ein hervorragendes Mitglied der republikanischen Opposition im Neuenburger Corps Législatif.

Sein Vater, der als Mithelfer und dann Direktor der Filiale des großväterlichen Geschäfts (Uhrenbranche) mit zwanzig Jahren nach London kam, hatte mehr Interesse am Studium als am Handel: seine Lieblingsbeschäftigungen waren Philosophie und Naturwissenschaften. James Guillaume wurde 1844 in London geboren. Als er vier Jahre alt war, kam er in die Schweiz. Damals wurde die Republik Neuenburg gegründet und Guillaumes Vater, der ein leidenschaftlicher Republikaner war, hatte Heimweh gekriegt: in der Heimat wurde er Richter, später Bezirkspräfekt, dann Staatsrat; das letztere blieb er während 35 Jahren. Guillaume sah also den republikanischen Staatsmechanismus von früh in nächster Nähe. James Guillaume war ein recht undisziplinierter Junge und kam oft in Konflikt mit den frommen und noch royalistisch gesinnten Schulbehörden. Durch seinen Vater war er republikanisch und freidenkerisch erzogen worden. Er war begabt, aber hatte nie einen rechten Respekt vor den Lehrern. Was er lernte, das lernte er wie alle tüchtigen Leute neben der Schule. Er nährte sich geistig von der Bibliothek seines Vaters, begeisterte sich fürs Altertum, für die französische Revolution, für Philosophie, besonders für Spinoza, für Homer, Goethe, Byron, von den Franzosen für Rabelais, Molière und Voltaire. Marat, Robespierre, Romme, Condorcet waren die Heldenideale seiner Jugend.

Nach Absolvierung des Gymnasiums, im Alter von 18 1/2 Jahren, kam er auf die Universität nach Zürich, wo er von 1862 bis 1864 blieb, bei Vischer und Köchly Vorlesungen besuchte und Hegelianer wurde. Mit 20 1/2 Jahren mußte er aus äußeren Gründen eine Lehrstelle annehmen an der sogenannten Industrieschule (oder Collège) zu Le Locle (Kanton Neuenburg) als Lehrer für Literatur, Französisch, Latein und Geschichte. Er hätte lieber noch seine Studien fortgesetzt. Bis dahin war er in keine engere Beziehung zum Sozialismus gekommen.

In Le Locle lebte er inmitten einer Arbeiterbevölkerung, der es nicht besonders gut ging. Da kam ihm sein klassisches Studium eitel und nichtig vor. Es schien ihm, viel wichtiger als alle großen wissenschaftlichen Pläne sei die Bildung des Volkes. Er organisierte Bildungskurse für Lehrlinge. Es war damals eine Art moralischer Krise in ihm. Das persönliche Leben füllte seine Existenz nicht genügend aus. Die psychische und materielle Misère der Arbeiter bedrückte ihn und seine bisher gewonnene Weltanschauung,

die aus der klassischen Bildung herausgewachsen war, entsprach seinem ganzen Wesen nicht mehr ganz. Er fing an zu grübeln und zu suchen, las Feuerbach, Darwin, Fourier Louis Blanc, Proudhon. Gleichzeitig lenkte die französische Genossenschaftsbewegung und die Gründung der ersten Sektion der Internationale durch Coullery die Aufmerksamkeit James Guillaumes auf die Mittel, durch die das psychische und materielle Elend der Uhrenarbeiter gehoben werden könnte. Der alte Revolutionär Constant Meuron aber wurde ihm zum lebendigen Beispiel eines Menschen, der sein persönliches Leben der Idee geopfert hatte. Aus dieser Krise ging James Guillaume als Sozialist hervor.

War für Marx der Gegensatz zur bürgerlichen Unkultur und der Glaube an seine kulturelle Bedeutung der Ausgangspunkt des Sozialismus, für Bakunin ebenfalls dieser Gegensatz und ein ungeheures Freiheitsbedürfnis, so kam Guillaume von einer anderen Seite her zu den sozialistischen Ideen. Unbefriedigtkeit mit einer auf persönliche Kultur allein gerichteten Existenz und Mitempfinden mit der Lage der Arbeiterschaft brachten ihm zum Bewußtsein, daß etwas geschehen müsse zur Abhilfe und die sozialistische Bewegung schien ihm das Mittel zu sein, das Elend aus der Welt zu schaffen. So gründete er mit Meuron, dem alten Neuenburger Revolutionär, zusammen eine Sektion der Internationale in Locle. Seiner Geistesrichtung entsprechend versuchte Guillaume einerseits die Arbeiter in die allgemeine geistige Kultur einzuführen, durch zumeist geschichtliche Vorträge, anderseits machte er Versuche auf dem Gebiet der Konsum- und Kreditorganisation. Bei den Versuchen der parlamentarisch-politischen Bewegung war er eifrig mit dabei, kam aber mit den meisten Internationalen im Jura zur Überzeugung, daß auf diesem Gebiete für die Arbeiterschaft nichts zu gewinnen sei.

Von großem Einfluß war auf Guillaume der Kongreß der Internationale von Lausanne und der Kongreß der Liga für Frieden und Freiheit in Genf im Jahre 1867. Damals kam er das erstemal in Kontakt mit Revolutionären aus ganz Europa und ihm ging der Glaube auf an die universelle soziale Revolution. Es war in diesem Stadium der Entwicklung im Januar 1869, daß Guillaume die Bekanntschaft von Bakunin anläßlich der Gründung des Bundes der romanischen Bünde der internationalen Sektionen machte. Kurz vor dieser Zusammenkunft mit Bakunin war Guillaume in seiner Entwicklung auf einen, Bakunin ganz ähnlichen

Standpunkt bereits spontan gekommen; der Traum einer staatenlosen Gesellschaft, wo es keine Regierung und keine Konstitutionen mehr gäbe, wo alle Menschen frei und gleich wären, hatte sich aus innerer Entwicklung und äußerer Erfahrung in ihm geformt, bevor er mit Bakunin bekannt wurde.

So ist es nicht verwunderlich, daß Bakunin und Guillaume, trotz des großen Altersunterschiedes in den paar Tagen, die sie in Genf zusammen verbrachten, intime und dauernde Freunde wurden. Als Bakunin Guillaume das Programm der Allianz vorlegte mit seinem föderalistischen und antiautoritären Charakter, fand der etwas nüchterne Schweizer wohl den und jenen Satz ein bißchen theatralisch, fühlte aber, daß die Gesamtheit dieser Ideen durchaus seinem Wesen gleichgerichtet sei. Dagegen lehnte er es ab, in die Allianz einzutreten, da er ihre Existenz unnütz fand und der Internationale die Aufgaben zuteilte, die Bakunin der Allianz überbinden wollte. Nach dem Stand der Massenpsyche im Jura und Guillaumes persönlicher Entwicklung kann man also nicht von einer Bekehrung durch Bakunin sprechen, sondern von der Anfreundung zweier Menschen, deren Geistesrichtung eine durchaus ähnliche war und deren Begabungsverschiedenheiten für die Arbeit eine schöne Ergänzung bildeten.

Wir sehen auch in Guillaume einen Menschen, in dem wie bei Marx und Bakunin von Jugend auf eine starke Neigung, eine leidenschaftliche Hingabe an das, was man Kultur nennt, die Grundlage des ganzen Wesens bildete. Auch er war ein Kind der Ideen der großen französischen Revolution; sein Ideal war, ein Fackelträger ihrer Kultur zu werden. Wie Marx und Bakunin, kam ihm dann der mächtige Gegensatz dieser Kultur zu der bestehenden Gesellschaft zum Bewußtsein, und wie Marx und Bakunin, mußte er zum Sozialismus kommen, der die Basis der bürgerlichen Gesellschaftsordnung angreift und verändert, um auf der neuen sozialistischen Basis den Kulturidealen, die wir geerbt aus den besten Zeiten und von den höchstentwickelten Geistern aller Jahrhunderte, zum weiteren Wachstum zu verhelfen.

Durch alle drei hatte die Kultur an die bürgerliche Gesellschaftsordnung die Erklärung abgegeben: "Du bist kulturfeindlich, du mußt gestürzt werden; wir treten aus der Klasse der Herrschenden und Besitzenden und schließen uns der Klasse der Arbeiter an, die zusammen mit den

übrigen Emigranten aus der Herrscherklasse die Basis der heutigen Gesellschaft umstürzt, um eine gesellschaftliche Organisation zu schaffen, in der wieder Kultur möglich wird."

Beginn der Uneinigkeiten in der Genfer Internationale Genfer Bewegung

Bevor wir auf diese Uneinigkeiten eingehen, müssen wir auf die Zusammensetzung der Genfer Bevölkerung hinweisen. Auch Genf hatte eine numerisch starke Uhrmacherbevölkerung, wie der Jura. Es kehrt bei den Historikern oft die irrtümliche Ansicht wieder, als sei im Unterschied vom Jura diese Uhrmacherarbeiterschaft eine Fabrikarbeiterschaft im volkswirtschaftlichen Sinne gewesen. Das ist aber durchaus falsch. Das, was man in Genf damals "Die Fabrik" nannte, war durchaus keine Fabrik, kein Agregat von eigentlichen Fabriken. "La Fabrique", im Genfer Dialektgebrauch, war der offizielle Name, um die gesamte Nationalindustrie der Uhrmacherei und Juwelenarbeit zu bezeichnen. Die damalige Produktionsweise war das Verlagssystem. Der Unterschied zwischen Jurassiern und Genfern war in der Qualität der Arbeit, die sie herstellten. Genf war das Zentrum der Luxusuhrenfabrikation. Das war ja gerade der Grund, daß die Genfer Uhrenindustrie nicht so sehr litt unter der amerikanischen Konkurrenz; denn das mit Maschinen betriebene Fabrikationsverfahren konnte einstweilen nicht auf ihr Produkt angewandt werden. Entsprechend ihrem Luxusprodukt verdienten die Genfer Uhrmacher viel mehr als die Jurassier, sie waren gutsituierte Luxusarbeiter. Immerhin gab es auch unter den Jurassiern eine Schicht von Arbeitern, die Präzisionsuhren herstellten und nicht weniger verdienten als die Genfer. Das ändert aber nichts an unserer Auffassung, die auf die große Masse der Uhrenarbeiter sich bezieht.

Die Genfer Uhrenarbeiter waren aber auch Schweizer und lebten in einer Stadt, die eine alte radikaldemokratische Tradition hatte. Genf war seit dem 18. Jahrhundert eine politisch sehr unruhige Stadt, die manche Revolte gegen das Patriziat durchgemacht, und in der Opposition so oft das Volk gebraucht hatte, daß sie es verstand, mit seinen sozialen Forderungen zu rechnen. Traditionell gehörte auch der Lohnarbeiter zur demokratischen oder besser gesagt zur

radikalen Partei, da in Genf die Konservativen sich Demokraten nennen. Die Verhältnisse ähnelten in politischer Beziehung mehr den deutschen und deutsch-schweizerischen, als denen im Jura. Nach dem Stande der Psyche der Genfer Uhrenarbeiter und nach der historischen Entwicklung der radikalen Partei war also der Boden für eine politisch-proletarische Bewegung nicht ganz ungünstig.

Freilich war es dazu nötig, daß die Internationale in Genf die Radikalen nicht allzusehr erschreckte. Denn, wenn die Kleinbürger Angst kriegten vor dem roten Gespenst, so war jeder Wahlkompromiß mit ihnen unmöglich. So mußte den Genfer Uhrmachern jede allzu rote Internationale ungelegen kommen.

Neben den Uhrenarbeitern, die fast ausschließlich Genfer Herkunft waren, hatte Genf eine große Anzahl Bauarbeiter. Diese Bauarbeiter waren von vornherein von der Politik ausgeschlossen, da sie fast durchwegs Ausländer waren. Ihr einzig mögliches Kampfmittel war der direkte ökonomische Kampf. In dem hatten sie sich 1868 in einem großen Streik bewährt und die Uhrenarbeiter gingen damals mit ihnen Hand in Hand. Ihrer ganzen Lage nach mußten die Bauarbeiter der direkten revolutionären Aktion, der Idee der sozialen Revolution, näher stehen, da es ihnen ja unmöglich war, an dem indirekten, politischen Kampf teilzunehmen. Aber auch ihre Arbeitsweise auf dem Bau, wo sie zusammen arbeiteten, und ihre ökonomische Lage, die weit weniger glänzend war, als die der Genfer Uhrenarbeiter, machte sie zu einem politischen Zündstoff, wie er in der Schweiz schon oft die Absichten der Politiker gestört hat. Die große Zahl der in der Schweiz beschäftigten ausländischen Arbeiter hat auch seither immer und immer wieder Anlaß zu Konflikten zwischen Partei und Gewerkschaften gegeben. Und Genf leidet bis heute in einem solchen Grad unter diesen Gegensätzen, daß es bisher nie weder eine schlagfertige politische noch gewerkschaftliche Bewegung gezeitigt hat. Bei diesem Stand der Dinge war es durchaus natürlich, daß die Propaganda Bakunins bei einem Teil der in Genf lebenden Arbeiter auf einen günstigen Boden fiel, umsomehr, als er eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete. Umgekehrt mußte auf die Fixierung der Ideen von Bakunin gerade die demokratische Schweiz einen großen Einfluß haben; denn hier sah er in praxi so recht, wie wenig die politische Freiheit ohne die ökonomische Freiheit bedeutete. Er sah, wie es in erster Linie darauf ankam, das

sozialistische Bewußtsein zu entwickeln, daß von ihm alles abhing.

Im Januar 1869 war ein Bund der Sektionen der Internationale in der welschen Schweiz gegründet worden (Fédération romande) und hatte die Herausgabe eines Blattes, der Egalité, in die Hand genommen. Das Blatt hatte seinen Sitz in Genf und einer ihrer Redaktoren wurde Bakunin. Die Artikel, die er da schrieb, erinnern einen lebhaft an den modernen französischen Syndikalismus. Er schrieb im Geist der revolutionären Gewerkschaftsbewegung. Scharf geißelte er den Kapitalismus und stellte den Gedanken der gewerkschaftlichen Organisation, des Streiks, des Generalstreiks und der endgültigen ökonomischen Emanzipation durch die soziale Revolution in den Vordergrund. Bei allem, was er schreibt, leuchtet der Glaube an einen baldigen Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft durch. Auf den Zeitpunkt habe man alle Kräfte zu konzentrieren. Wohl hätten neben der Gewerkschaft auch die Kreditgenossenschaften, die Konsumgenossenschaften Bedeutung, aber nicht als Mittel, die Arbeiter ökonomisch zu emanzipieren, sondern nur, um sie daran zu gewöhnen, ihre Geschäfte nach dem Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft selber zu besorgen. Seine Propaganda gilt dem Kollektiveigentum. Er vertritt das reine Prinzip des Kampfes gegen den Kapitalismus und bekämpft alle, die glauben, mit Versöhnungspolitik irgend etwas zu erreichen. Alles ordnet er dem ökonomischen Kampfe und der Organisation zum Zwecke der baldigen sozialen Revolution unter.

Eine solche Taktik war freilich dem Wesen der Genfer Uhrmacher nicht angepaßt, so sehr sie den Bauarbeitern auch entsprechen mußte. Sie durchkreuzte die politische Tätigkeit all derer, welche die Vereinigung einer möglichst großen Stimmenzahl auf die Kandidaten der Arbeiterpartei als das wichtigste Ziel der Bewegung betrachteten. Deshalb schuf sich Bakunin unter den Politikern in Genf von vornherein Feinde. Er machte zwar keine Propaganda für den Antiparlamentarismus; aber er ordnete seine Prinzipienagitation der Rücksicht auf die Wahlen nicht unter. Der eigentliche Kampf und die offene Zwietracht brach dann erst aus, als die persönliche Wirkung von Bakunin infolge sellier Abreise wegfiel; aber eine wachsende Opposition hatte sich recht bald gebildet. Die 'Genfer Uhrmacher standen damals vor einem Wahlbündnis mit den Genfer Radikalen. Sie versuchten deshalb auch von der Traktandenliste der Versammlungen

der Internationale, die Behandlung so kitzlicher Thematas, wie Abschaffung des Privateigentums und des Erbrechtes zu entfernen. Vorläufig waren sie freilich dazu nicht stark genug.

Bakunin hatte in Genf zu Händen des nächsten Kongresses der Internationale einen Antrag auf Abschaffung des Erbrechtes gestellt und die Genfer Sektionen der Bauarbeiter machten diesen Antrag zu dem ihrigen. Er wurde auf dem Basler Kongreß der Internationale anno 1869 behandelt. — Marx schaute der Bakuninschen Propaganda nicht gleichgültig zu. Sie machte ihn nervös und er hatte die Absicht, mit Bakunin auf dem Basler Kongreß eine kleine Abrechnung zu halten. Er hatte deshalb an dem Antrag Bakunin auf Abschaffung des Erbrechtes eine gewisse Schadenfreude. Er hoffte bei dieser Gelegenheit Bakunin öffentlich und auf dem Kongreß — wie er selbst sagte — direkt auf den Kopf schlagen zu können. Es war die Gesamttätigkeit von Bakunin, die er so zu treffen hoffte; denn der Einfluß von Bakunin nahm eine Größe an, die Marx und seinen Anschauungen direkt gefährlich zu werden schien. Die "Egalité", das Blatt der romanischen Internationalen, verstand es, eine große Anzahl von Mitarbeitern aus Belgien, England, Frankreich usw. um sich zu scharen und sich weit über ein Lokalblatt hinaus zu entwickeln.

Bakunin und die Jurassier

Schon vor seiner Bekanntschaft mit Bakunin hatte James Guillaume angefangen, in Locle den "Progrès" herauszugeben, der in jener Phase der jurassischen Bewegung zu erscheinen beginnt, wo man der parlamentarischen Versuche müde geworden und sich von dem Sozialismus des Coullery getrennt, der die Harmonie zwischen Arbeit und Kapital herstellen wollte. Die jurassische Bewegung wurde eine mehr und mehr gewerkschaftliche, wobei ihre Vorkämpfer aber dahin strebten, die Bewegung der einzelnen Berufe in eine solche der Gesamtarbeiterschaft umzuwandeln, die sich als Ziel setzte, den Kapitalismus zu beseitigen und nicht nur einzelne gewerkschaftliche Forderungen zu stellen und durchzusetzen. Bakunin trat mit der Bewegung auch in persönliche Beziehung durch einen Vortrag, den er im Februar 1869 in Locle hielt. Er sprach dort über die Philosophie des Volkes und die Geschichte der Bourgeosie. Der Eindruck seiner Rede war ein gewaltiger

und er gewann sich die Herzen aller Jurassier. In einem Punkte waren sie freilich mit ihm nicht einverstanden. Er wollte sie veranlassen, Sektionen der Allianz zu bilden, wie er selbst eine solche in Genf (mit Becker, Perron usw.) gebildet hatte. Trotzdem die Leute mit Bakunins Ideen selbst durchaus einig gingen, fanden sie es überflüssig, neben den Sektionen der Internationale noch Allianzsektionen zu gründen. Für uns erhebt sich die Frage, weshalb wollte Bakunin überhaupt solche Sektionen gründen auch da, wo Sektionen der Internationale bestanden? Es ist ihm ja später gerade das, sehr als Sünde angerechnet worden von Marx. Stelle man sich einmal auf den Standpunkt von Bakunin. Er war noch immer der Ansicht, daß die neue Welt, die er anstrebte, das gemeinsame Werk der Träger der revolutionären Idee und des Volkes sein würde. Nun scheint die Allianz für ihn die Bedeutung gehabt zu haben, daß er die fortschrittlichsten Elemente der revolutionären Bewegung zusammenfassen wollte, um so durch ihre Vereinigung und Koordinierung die noch weniger bewußten Elemente, wie sie die Sektionen der Internationale in sich faßten, besser im Sinne der 'Revolution beeinflussen zu können. Guillaume dagegen und seinen Genossen schien, bei dem Stand ihrer Bewegung, eine solche Taktik unnütz. Bakunin aber mußte das Gefühl haben, daß bei dem bestehenden, wenn auch noch erst sachte angedeuteten Meinungsunterschiede in der Internationale eine Zusammenfassung der linksstehenden Elemente nötig sei, wenn anders sie sich wirkungsvoll gegen die rechtsstehenden verteidigen wollten.

Ein zweiter Punkt, in. dem die Jurassier nicht folgten, war sein Vorschlag, den "Progrès", ihre Zeitung, umzutaufen in "La Révolution internationale" oder wenn ein solcher Titel zu offen und noch unzeitig schien, in "L'Avant-Coureur", und ihn zum Organ der internationalen Allianz der sozialen Demokratie zu machen.

Dagegen gelang es ihm, im Februar 1869 und in den folgenden Monaten, für die geheime Organisation, welche die aufgelöste Fraternité internationale ersetzt hatte, eine Reihe von tüchtigen Köpfen zu gewinnen, von zähen, aufopferungsfähigen und klugen Menschen, wie James Guillaume, Constant Meuron, Adhemar Schwitzguébel und andere w'aren.

Übelwollende haben Unwissende oft davon überzeugen wollen, daß die Jurassier blindlings Bakunin folgten. Wir

sahen das Gegenteil. Wir sehen es ebenfalls bei Anlaß der Gründung des Bundes der welschen Sektionen der Internationale, der Romanischen Föderation. Bakunin hatte einen ziemlich zentralistischen Statutenentwurf ausgearbeitet, der aber dann in weitgehendem Sinne, weitgehend im Sinne des Föderalismus, von den Romanen umgeändert wurde. Das Verhältnis von Bakunin und Jurassiern war durchaus nicht etwa das eines Gebenden einerseits und eines Nehmenden anderseits, sondern beide Teile gaben und beide nahmen. Von einer Diktatur von Bakunin war dabei keine Rede, das ist später hineininterpretiert worden. Bakunin war eine anregende und persönlich dem Temperament der Romanen sehr sympathische Figur, die, wie die Romanen selbst, etwas Emotionelles, Hinreißendes und sich Hinreißenlassendes in sich hatte. Zusammen mit der gleichen Richtlinie in den Anschauungen resultierte daraus ein enges, geradezu persönliches Verhältnis zwischen ihm und den Jurassiern.

Guillaume war in der Zeit infolge seiner revolutionären Tätigkeit bereits als Professor an der Industrieschule unmöglich geworden, mußte seine Stelle aufgeben und den Beruf des Professors mit dem eines Typographen vertauschen.

So standen die Dinge vor dem Basler Kongreß der Internationale im Jahre 1869. Aus natürlichen Bedingungen heraus war ein großer Teil der welschschweizerischen Internationalen zu Verbündeten von Bakunins Anschauungen geworden. Vor allem im Jura existierte eine antiautoritären antietatistische und föderalistische Bewegung mit einem Programm, das die gewerkschaftliche Tätigkeit in den Vordergrund rückte, auf dem Boden des ausgesprochenen Klassenkampfes stand und gar kein Zutrauen in die politischparlamentarische Aktion, kein Zutrauen zu der bürgerlichen Republik hatte.

Der Basler Kongreß der Internationale

(5. bis 12. September 1869)

Zwei Welten stehen auf diesem Kongreß sich gegenüber Diejenigen Menschen, welche in erster Linie die innere Wirklichkeit des Menschen, sein Sehnen und Wollen erfassen, die einen großen Glauben an die revolutionären Instinkte des Volkes und an seinen Freiheitsdrang besitzen und jene andern, welche die revolutionäre Kraft der Masse

und ihren Willen zur Freiheit geringer anschlagen, sie nicht für durchdrungen glauben von dem Willen zur direkten Aktion und auch nicht für fähig halten, sich selbst und allein durchzusetzen und sich selbst zu regieren, die die äußere Wirklichkeit in erster Linie im Auge haben. Das sind ja die zwei Welten Bakunin und Marx, und wenn diese beiden Männer für die Geschichte so wichtig geworden sind, so gerade deshalb, weil sie in so ausgeprägtem Maße diese beiden Welten verkörperten und sie in ihrem Sprechen, Schreiben und Handeln formulierten. Bakunin und Marx sind zwei Prinzipien in Menschengestalt, die sich in der Masse um die Seele der Masse streiten.

Es sind aber auch zwei Persönlichkeiten, die in den Menschen zwei verschiedene Prinzipien sehen. Es sind zwei Psychologen, die von der Seele des Menschen eine verschiedene Vorstellung haben. Nicht von den Zielen, von den allerletzten Zielen, den philosophischen Zielen — aber von den lebendigen, wirklichen Menschen, denen sie helfen wollten, sie zu ihrem Ziel zu führen. Bakunin sah den Menschen Rußlands und Marx sah den Menschen Europas. Bakunin sah den Menschen vor dem Zeitalter des modernen Handels und der modernen Industrie und Marx sah den ausgeprägtesten europäischen den ökonomischen Menschen, wenn er an sein Erziehungsobjekt dachte. Bakunin traute seinen Menschen an Tatkraft, an Uneigennützigkeit, an Aufopferungsfähigkeit zu, was ihnen Marx zutraute an Selbsterhaltungssinn, Unbeweglichkeit, Energielosigkeit. Wenn Bakunin den Satan im Leibe fühlte, so übertrug er dies Gefühl auf alle andern, er setzte den Menschen in seine sozialen Berechnungen ein, den er in sich fühlte und in den andern keimweis vermutete. Marx war der große Psychologe der Westeuropäer; vor allem kannte er den deutschen Menschen seiner Zeit, und der hatte gewiß nichts Ermutigendes für einen Revolutionär. Bakunin glaubte, man brauche den Menschen nur anzustecken mit dem Teufel, den man selbst im Leibe trug, und er würde in flammende Begeisterung geraten. In der Vorstellung von Marx sah der Mensch der Masse ein bißchen anders aus. Dem konnte mau nicht viel zumuten; der würde noch lange keine Berge versetzen. Der war noch durchaus ein Elementarschüler der Revolution; er vertrug keine großen Dosen berauschenden Getränkes. Bakunin mutete seinem Menschen zu, daß er in nicht gar ferner Zeit die soziale Revolution machen werde. Wer

den ersten Band des "Kapital" geschrieben, war gewiß weniger erwartungsvoll in seinem Hoffen.

Aus dieser Anschauung vom Menschen heraus verhielt sich Marx ablehnend zu dem Antrag Bakunins auf Abschaffung des Erbrechts. Bakunins Antrag entstammt dem Glauben an die Möglichkeit naher, großer Veränderungen. Nur so erhält er Sinn. Er entspringt der Ansicht, daß bald etwas Großes kommen könne, noch nicht das letzte, aber doch etwas recht Großes. Bakunin glaubte nicht an die wirkungsvolle Bedeutung der Politik; er muß sich also die Abschaffung des Erbrechtes durch direkte Aktion vorgestellt haben. Die aber war nur möglich, wenn er sich dachte, daß die Menge nur auf das Schlagwort wartete, das sie zum Kampfe führte. Er muß an eine Revolution gedacht haben, bei der wohl die Industriearbeiter mit Leib und Seele mit dabei wären, zu der man aber die Bauern nicht gewänne. Die Bauern zu verhindern, reaktionäre Gegner der Revolution zu werden, das war wohl die Absicht seines Antrags und das, was er geschrieben über die Bauern, in den "Briefen an einen Franzosen", spricht deutlich für eine solche Auffassung. Bei Marx mußte ein solcher Glaube, ein solcher Antrag Kopfschütteln erregen. Der mußte ihm als St. Simonistischer Unsinn vorkommen, wie er sich selbst ausdrückte. Als Taktiker aber mußte er einen solchen Antrag für verwerflich finden.. Er mußte finden, daß die Arbeiterschaft durch solche, nach seiner Meinung, Extravaganzen verwirrt und abgestoßen würde. Und bei seiner Auffassung von Theorie ging er ihm außerdem gegen sein theoretisches Reinlichkeitsgefühl: denn er widersprach seiner Theorie. Deshalb hatte er auch ein so großes Gewicht darauf gelegt, daß man "Bakunin auf den Kopf schlage", hatte sich darüber heimlich gefreut, daß Bakunin den Antrag einbrachte. —

Marx, der nicht persönlich anwesend war, stellte Bakunin, im Namen des Generalrates, seinen eigenen Antrag gegenüber, der auf gesetzliche Erweiterung der Erbschaftssteuern und Beschränkung des Erbschaftsrechtes ging und im übrigen feststellte, daß das Verschwinden des Erbschaftsrechtes das natürliche Resultat eines gesellschaftlichen Wechsels sei, aber nicht als Ausgangspunkt dues solchen genommen werden könne. Man kennt den historischen Materialismus. Wir brauchen ihn, der als Basis der Begründung von Marx diente, nicht zu explizieren. Hören wir, wie Bakunin sich zu ihm stellt. Ein paar Sätze aus seiner

Rede übers Erbrecht sind für die Differenz zwischen ihm und Marx bemerkenswert: "Der Rapport des Generalrates sagt, daß der juristische Überbau stets nur Folge eines ökonomischen Zustandes sei. Zweifellos sind juristische und politische Rechte immer nur Ausdruck und Folge ökonomischer Tatsachen gewesen. Ebenso zweifellos ist es, daß das Recht,. nachdem es Folge vorausgegangener Tatsachen gewesen ist, seinerseits Ursache nachfolgender Tatsachen wird. Es wird selber eine sehr reale, mächtige Tatsache, die beseitigt werden muß, wenn man zu einer neuen Ordnung der Dinge kommen will. So wird das Erbschaftsgesetz, das einmal die natürliche Folge war von gewaltsamer Aneignung natürlicher und sozialer Reichtümer, später zur Grundlage des politischen Staates, der juristischen Familie und garantiert und sanktioniert das individuelle Eigentum. Darum sind wir für die Abschaffung des Erbrechtes."

Es war also im letzten Grunde ein Unterschied über die Bedeutung und die Kraft des Wollens, der aus den beiden Anschauungen sprach, und die Zustimmung zu dieser oder jener Anschauung war ein Bekenntnis in dieser Frage. Von den Delegierten entschieden sich 32 für den Antrag von Bakunin und nur 19 stimmten dem Antrag von Marx bei. Gegen den Antrag von Bakunin erklärten sich 23 Stimmen und gegen den Antrag von Marx 37 Stimmen. Zu dem Antrag von Bakunin enthielten sich 13 Stimmen, zu dem von Marx 6 Stimmen. So wurde überhaupt kein Antrag angenommen, da sich zum Antrag Bakunin sowohl als zu dem von Marx kein absolutes Mehr ergab. Marx empfand den Durchfall seines Antrages aber sehr schwer und das insofern eben mit einem gewissen Recht, als er ihm zeigte, daß die Delegierten in ihrem innersten Wesen nicht mit ihm waren, und ein großer Teil zu Bakuninistischen Anschauungen neigte.

Aber das war nicht das einzige Symptom einer Abweichung von der "richtigen Bahn". Bei Anlaß der Diskussion über die direkte Gesetzgebung und bei der Diskussion über die Bedeutung der Gewerkschaften und des Kollektiveigentums offenbarte sich eine starke antietastisch-föderalistische Imprägnierung des Kongresses.

Die Frage der direkten Gesetzgebung durch das Volk stand nicht auf der Tagesordnung des Kongresses; aber ein Antrag der Züricher wünschte, daß sie behandelt würde. Die Züricher Arbeiter waren mitgerissen worden von den antikapitalistischen Bauern und Kleinbürgern zu einem Ansturm

gegen den Finanzkapitalismus und versprachen sich von der direkten Gesetzgebung durch das Volk goldene Berge. Bei ihnen war die direkte Gesetzgebung durch das Volk schon eingeführt; und sie wollten nun auch die Arbeiter der ganzen Welt damit beglückt sehen. Ihrem Antrag gesellten sich der bürgerliche Demokrat Goegg, Liebknecht und Rittinghausen, der schon lange Spezialist auf diesem Gebiete war, bei. Man warf den Franzosen und Belgiern vor, daß sie sich um Gesetzesfragen nicht interessierten. Ein Redner, der Staatsanwalt von Basel, ging so weit, zu erklären, daß die vorliegende Frage überhaupt die wichtigste sei, und daß es durchaus falsch wäre, den Staat als eine bürgerliche Institution zu betrachten. Kurz, diese Richtung stand durchaus auf dem Standpunkt, daß man in einer jeden Form und bei jeder Gelegenheit der Gesetzgebungsmaschine sich zu bedienen und sie im Sinne der Demokratie auszubauen hätte.

Dieser Auffassung opponierten heftig Bakunin und der Belgier Hins. Wir geben hier das Hinssche Votum gedrängt wieder, da es in prägnanter Form die Ansicht der Antietatisten ausdrückt:

Hins sagte: "Man will durch Vertretung (im Parlament) und direkte Gesetzgebung durch das Volk die gegenwärtigen Regierungen, das Werk bürgerliche Feinde, umwandeln. Man will deshalb in die Regierungen eintreten und durch Überredung, durch die Zahl und durch neue Gesetze einen neuen Staat schaffen. Kameraden, gehen wir diesen Weg nicht. Lassen wir lieber diese Regierungen in Fäulnis zerfallen anstatt sie mit unserer Moralität zu unterstützen. Die Internationale soll ein Staat in den Staaten sein. Lasse sie die Staaten marschieren wie sie wollen, bis unser Staat der stärkere ist. Auf den Ruinen der alten Staaten bauen wir. den unsern, wie er schon in jeder unserer Sektionen existiert. ,Geh' von da weg, daß ich an deinen Platz mich setze', das sei dann unser Losungswort."

Bei der Abstimmung unterlagen die, welche wünschten, daß die Frage der direkten Gesetzgebung durch das Volk an den Kopf der Tagesordnung gestellt würde. Und man geht gewiß nicht irre, wenn man darin eine Ablehnung der direkten Gesetzgebung überhaupt sieht.

Die Stellung zum Staat und nicht etwa nur zum bürgerlichen Klassenstaat, die Abneigung gegen denselben, eine direkt anarchistische Auffassung der Gesellschaftsordnung geht aber auch aus der Diskussion über die künftige Bedeutung

der Gewerkschaften hervor. Damit sich der Leser von den Vorstellungen der Antietatisten ein klares Bild machen kann, wie auch von den Einwänden, die ihnen gemacht wurden, lassen wir hier einiges folgen. Um den Zusammenhang leichter verständlich zu machen, ist es am besten, den Kommissionsrapport auch kurz wiederzugeben, samt der Resolution über die Gewerkschaften:

"Der Kongreß erklärt, daß alle Arbeiter die Bildung von Gewerkswiderstandskassen in den verschiedenen Gewerken anstreben sollen.

Sobald eine solche Gewerkschaft gebildet wird, soll sie die Vereine, welche dem nämlichen Gewerke angehören, davon unterrichten, damit die Bildung nationaler Verbände der Gewerkschaftsgenossen in Angriff genommen werden kann.

Diese Verbände sollen beauftragt werden, alles ihren Industriezweig Betreffende zu sammeln, die gemeinschaftlich zu ergreifenden Maßregeln zu beraten und auf die Durchführung und das Gelingen derselben hinzuarbeiten in Erwartung, daß das heutige Lohnsystem durch die Föderation der freien Produzenten ersetzt werden wird.

Der Kongreß beauftragt den Generalrat, die Verbindung der Gewerkschaften aller Länder zu vermitteln."

Der Kommissionsrapport, dem besonders Hins (Belgien) zu Gevatter stand, gab Anlaß zu einer interessanten und prinzipiellen Diskussion. Er unterschied zwei Arten von Gruppierungen der Gewerkschaften. Einmal die lokale Arbeiterunion und die Vereinigung aller lokalen Arbeiterunionen. (Lokale Gewerkschaftskartelle und Vereinigung der Gewerkschaftskartelle der verschiedenen Orte.)

Je mehr aber die Industrie sich ausdehnt, umsomehr hat parallel mit den Bildungen von lokalen Arbeiterunionen die Verbindung der Berufsverbände der verschiedensten Länder sich zu entwickeln. Der Zentralpunkt dieser Verbände wäre jeweils dahin zu verlegen, wo der Schwerpunkt der betreffenden Industrie sich befände. Z. B. würden die Kohlenarbeiter Frankreichs ihr Zentrum um Saint-Etienne haben, die Seidenarbeiter um Lyon, die Luxusindustrie um Paris.

Wäre man mal so weit, so würde die Vereinigung der Gewerkschaften eines Ortes die Kommune bilden, während die andere Organisation, die nationalen (regionalen) Verbände, die Arbeitervertretung der Zukunft sein würde. Die Regierung (des Staats) würde durch Räte aus den Föderationen

der Berufe und durch ein Komitee ihrer Delegierten ersetzt. So würden die Arbeitsbeziehungen die politischen Beziehungen ersetzen.

In der Diskussion erklärte sich Hins weiter folgendermaßen hierüber: Die Gewerkschaften werden auch nach Beseitigung des Lohnsystems weiter existieren; sie werden die Produktion organisieren. Jede Industrie wird so für sich eine Art Staat bilden. So wird die Rückkehr zum alten Zentralisations-Staat für immer unmöglich gemacht sein. Die alten politischen Systeme werden so ersetzt werden durch die Repräsentation der Arbeit. Demgegenüber erklärte Greulich (Zürich): Er glaube nicht, daß die Arbeiterorganisationen sich jemals in eine Regierung umwandeln werden. Der Arbeiter gehöre nicht nur seinem Berufe an, sondern durch tausend Bande auch der politischen Familie, von der er ein Teil ist: Er sei ein Bürger.

Da eine Abstimmung nur über die Resolution und nicht über die Frage der künftigen Organisation der Gesellschaft vorgenommen wurde, kann man keine psychologische Enquete über die Verteilung der antietatistisch-föderalistischen Ansichten machen. Auf alle Fälle dürfen wir aber konstatieren, daß diese nicht aber nur im Kopfe von Bakunin existierten, sondern spontan an verschiedenen Stellen der Internationale aufgetaucht waren.

Bei der Frage des Kollektiveigentums trat diese antietatistische Strömung wieder auf den Plan. Auch bei dieser Frage faßte man wohl einen bindenden Entschluß darüber, daß das Privateigentum durch das Kollektiveigentum zu ersetzen wäre, nicht aber über die künftige Organisation der Arbeit.

Bakunin wandte sich bei Behandlung der vorliegenden Frage gegen die Mutuellisten und sagte: "Das Individuum ist ein Produkt der Gesellschaft und ohne sie ist der Mensch nichts. Jede produktive Arbeit ist vor allem eine soziale Arbeit. Weil die Produktion nur möglich ist durch die Arbeit vergangener und der gegenwärtigen Generation, gibt es überhaupt keine Arbeit, die man individuelle Arbeit nennen könnte." Er ist deshalb Anhänger des sozialisierten Eigentums, nicht nur des Bodens, sondern des ganzen gesellschaftlichen Reichtums. Was die Organisation der agrikolen Produktion anbetrifft, so stimmt er dem Antrag auf Besitz und Bebauung durch solidarisierte Gemeinden bei, umsomehr, als sie die Organisation der Gesellschaft von unten nach oben einschließt, während die Resolution der Minorität

der Kommission einen Staat voraussetzt. Er verlangt die Zerstörung der nationalen und territorialen Staaten. Auf ihren Ruinen soll der internationale "Staat" der Arbeit erstehen, den die Internationale schaffen soll.

Man sieht, wie auf dem Basler Kongreß schon ganz deutlich ausgesprochen die zwei Tendenzen Staatssozialismus und anarchisch er Föderalismus sich abheben; aber von einem starken Aufeinanderplatzen ist noch nicht die Rede. Wir deuteten an, daß Marx schon vor dem Kongreß zu einem Schlag gegen Bakunin ausholen wollte. Bakunin hatte davon keine Ahnung, sonst wäre es ihm wahrscheinlich kaum passiert, daß er auf dem Kongreß für eine Vermehrung der Kompetenzen des Generalrates, d. h. von Marx, eingetreten wäre. Er, der Föderalist, sprach für den Zentralismus innerhalb der Internationale. Er hielt den Generalrat für revolutionär und wollte ihm deshalb Macht einräumen, vorzugehen gegen Sektionen, die wider den Geist der Internationale verstoßen würden.. Dieser Verstoß gegen sein eigenes Prinzip sollte sich später an Bakunin selbst schwer rächen. Übrigens waren kurz vor dem Kongreß wieder Gerüchte verbreitet worden, daß Bakunin ein Polizeispitzel sei.

Man scheint eben in dieser Zeit in gewissen Kreisen mit Bakunin nicht recht zufrieden gewesen zu sein. Es war Bakunin zu Ohren gekommen, daß man ihn als Polizeispitzel verdächtigte. Liebknecht hatte unter Freunden in einer halböffentlichen Versammlung gesagt, daß Bakunin augenscheinlich ein sehr gefährlicher Agent der russischen Regierung sei und daß er alle Beweise dafür in den Händen habe; Bakunin habe die Internationale durch die Gründung der Allianz zerstören wollen; er sei verschlagen und diplomatisch wie alle Russen (!!) und so sei es ihm sogar gelungen, den alten Philipp Becker zu täuschen. Liebknecht behauptete außerdem, die Flucht Bakunins aus Sibirien sei durch die russische Regierung begünstigt worden. Ebenso hatte Bebel einen Brief an Becker geschrieben, daß wahrscheinlich Bakunin ein Polizeispitzel sei und wahrscheinlich mit Schweitzer, dem Agenten Bismarcks, im Einvernehmen stehe.

Da Bakunin Liebknecht für den Urheber der Verleumdung betrachtete, ließ er Liebknecht auffordern, die Beweise auf den Kongreß nach Basel mitzubringen. Es wurde in Basel ein Ehrengericht über den Fall konstituiert, das erkärte: Liebknecht habe mit verdammenswertem Leichtsinn

gehandelt, daß er auf den Artikel einer bürgerlichen Zeitung hin solche Verleumdungen ausgestreut habe.

Diese Erklärung wurde Bakunin schriftlich gegeben. Liebknecht reichte Bakunin die Hand. Bakunin verbrannte die Erklärung in der Gegenwart des ganzen Gerichts. Kurz nach dieser Geschichte publizierte Liebknecht in seinem Blatte die gleichen Verleumdungen aufs neue. Sie erschienen auch in einem amerikanischen Blatte. Als Freunde Bakunins dagegen protestierten, erklärte der Redakteur: "Ich habe diese Information von meinem Freunde Karl Marx, der sie mir von London geschrieben hat"; er versprach eine Richtigstellung, sie erschien aber nie. —

Wir haben die Verhandlungen des Basler Kongresses so detailliert wiedergegeben, damit man sich eine Vorstellung darüber mache, ob der antiautoritäre Geist in der Internationale ein spontanes Produkt oder ob er eine Folge Bakuninschen Einflusses war. Und wieder einmal wird sich der Leser mit uns dafür entscheiden, daß Bakunin die hervorragende Bedeutung in der Internationale nur hat, weil er eben der Wortführer eines Prinzips ist, das nicht seinem Kopf entsprungen, sondern bei vielen Mitgliedern der Internationale vorhanden war und in ihnen leibhaftig lebte.

Wir möchten es deshalb dem Leser überlassen, folgenden wunderbaren Satz zu würdigen, den Jaeckh in seiner "Internationale" verbrochen hat!

"Der romanische Schweizer Jura wurde das Zentrum der Desorganisation. Freilich allein hätten diese abgelegenen Schweizer Bergstädtchen niemals solche ehrgeizige Pläne gehabt; hätte man sie unter sich gelassen, so hätten sie wohl ihre Streitigkeiten unter sich ausgetragen, wie andere Sektionen auch, allein sie hätten niemals die Organisation der Internationale zerstören können noch wollen. Daß sie diesen herostratischen Gedanken überhaupt faßten und ihn mit erbitterter Hartnäckigkeit verfolgten und durchführten, das war das Werk eines überlegenen Willens, der sie wie eine geheime Macht faszinierte und elektrisierte, einer monströsen politischen Verbrechernatur, eines Genies der Zerstörung, es war das Werk Bakunins."

Das schreibt ein historischer Materialist.

Beginn des Kampfes in der Genfer "Internationale"

Bald nach dem Basler Kongreß, d. h. im Oktober 1869, siedelte Bakunin von Genf nach Locarno über. Gründe

familiärer Natur waren dafür maßgebend. Mit der Bewegung hat die Übersiedelung nichts zu tun. Der Tessin blieb fortan sein fester Wohnsitz.

Wir haben oben von den Gegensätzen in der Genfer Bewegung gesprochen. Sie sollten sich bald verschärfen, und im kleinen sollte sich in Genf abspielen, was später im großen in der Internationale sich begab. Gerade darum wird es dem Leser interessant sein, die Entwicklung der Genfer Internationale zu verfolgen. Er kann hier mikroskopisch beschauen, was wir nicht für jeden Ort besonders beschreiben können. Wir betrachten nun einmal eine Einzelzelle in ihrer ganzen Funktion und können später leichter eine Vorstellung vom gesamten Organismus erhalten. Aber nicht nur die natürliche, endogene Entwicklung ist typisch in der Genfer Internationale; wir können an ihr auch die äußeren Einflüsse, die von Marx selbst und von Bakunins Seite hineinspielen, verfolgen.

Auf Seite derer, die die Eroberung der politischen Macht, welche die Wahlpolitik in den Vordergrund stellten, waren die eingesessenen Genfer hochqualifizierten Uhrenarbeiter. Ihnen war jede aufs Endziel gehende Propaganda einmal ihres Inhalts wegen anstößig, dann aber direkt unsympathisch, weil sie ihre Wahlaktion beeinträchtigte.

Zu dieser Gruppe gesellte sich aber noch ein zweites Element oder besser ein einzelner Mann. Dieser Mann hieß Utin. Er war ein reicher Rentier aus Rußland. der Sohn eines Schnapshändlers, ungefähr 35 Jahre alt, ein betriebsamer Mann, der nicht an Überfluß von Bescheidenheit litt und trotz seiner fremdländischen Abstammung mit den Genfer Seldwylern sich intim anbiederte und ihr geistiger Wortführer und Theoretiker wurde seit Ende 1869. Zu dieser Mischehe mit den Genfer Spießern notzüchtigte ihn sein persönlicher Haß gegen Bakunin. Eine größere Bedeutung hat er übrigens in der Weltgeschichte nicht gehabt, und hat auch später seinen vollen Frieden mit dem russischen Zaren geschlossen. In diesem Augenblick war er aber fast eine politische Person, weil er seine ganze Energie darauf verwandte, Verleumdungen gegen Bakunin zu sammeln. Er ist es, der Marx die Materialien beschaffte zu der "berühmten" Allianzbroschüre. Da er Geld und Zeit hatte, viel umher zu rennen und zu schwatzen und zudem auch wegen seiner reichen Geldmittel imponierte, konnte auch ein so unbedeutender Mensch wie Utin dazu kommen, Lorbeeren zu sammeln. Freilich trug er nicht etwa

dazu bei, seine Parteirichtung, die Genfer Politiker, zu heben, aber doch dazu, die Gegensätze zu verschärfen und sie aufs Persönliche hinüber zu entwickeln. An und für sich war es ja nicht leicht, tief begründete Verschiedenheiten zu versöhnen, aber wenn dazu noch eitle Schwätzer, wie Utin, den Knoten mehr verwickelten als er schon war, wurde eine gesunde und sachliche Austragung des Streites fast zur Unmöglichkeit. Utin kam ja auch direkt mit der Absicht nach Genf, gegen Bakunin aufzutreten und für Marx Material zu sammeln, das dieser gegen Bakunin verwenden könnte. — Marx war nach dem Basler Kongreß auf Bakunin recht schlecht zu sprechen. Und vielleicht ist es kein Zufall, daß aus der Feder von Freunden von Marx verleumderische Artikel gegen Bakunin erschienen. Man darf eine Art Zusammenhang mit diesen Artikeln schon deshalb vermuten, weil ja Marx Utin direkt beauftragte, ihm bei der Materialbeschaffung zur Abmurksung von Bakunin behilflich zu sein.

Von den Artikeln, die wir erwähnten, erschien der eine aus der Feder von Borksen in einer französischen Zeitung, der andere im "Volksstaat". Der Zusammenhang des Artikels im "Volksstaat" mit einer "konfidentiellen Mitteilung", die Marx an eine Anzahl seiner deutschen Freunde erließ, ist zudem festgestellt. Wir tun deshalb Marx keineswegs unrecht, wenn wir sagen, daß er bald nach dem Basler Kongreß auszuholen begann gegen Bakunin. Wir können es aber nur bedauern, daß das nicht offen und nicht auf dem Kampffeld der Ideen geschah.

Kurz, wir konstatieren, daß in die Genfer Bewegung, wie in die anderorts, nun außer den bodenständig bedingten Konfliktsgründen außerhalb gelegene anfingen hineinzuspielen. Auf die "konfidentielle Mitteilung" von Marx werden wir später zurückkommen und werden sie auch in extenso wiedergeben.

Zu Beginn der Zeit, die wir beschreiben, befand sich das Blatt der romanischen Internationale, die "Egalité", in den Händen der Elemente, welche die Erweckung des sozialistischen Bewußtseins bei den Arbeitern höher anschlugen als die Tageserfolge der Politik. Es waren das zu der Zeit nicht nur die Anhänger von Bakunin, sondern auch Leute vom Schlag des marxistischen Philipp Becker. Korrespondenten waren Eccarius, De Paepe, Varlin, Malon usw. Die Redaktion wurde jetzt besorgt von Perron und Robin, zwei Anhängern Bakunins. Sie fühlten sich, in Genf, der Bauarbeiter

sehr sicher und versuchten sich speziell an die Uhrenarbeiter zu wenden und bei diesen prinzipiell sozialistische Propaganda zu machen. Dabei vernachlässigten sie die Organisation der Bauarbeiter, ohne deshalb die Uhrenarbeiter für sich zu gewinnen. Zudem machte sich die Abwesenheit der großen propagandistischen Kraft Bakunins bald bemerkbar. Die Rücksichtnahme von Perron und Robin auf die Wahlaktion der Genfer war zu Beginn eine vollkommene und solange dem so war, fühlten sich die Genfer auch nicht schokiert durch die Prinzipienpropaganda der beiden. Als dann freilich Robin direkt den Parlamentarismus angriff und Abstentionismus predigte, da hatte die Gemütlichkeit ein Ende. Außerdem machte Robin dem Londoner Generalrat ganz ungerechtfertigte Vorwürfe, die er wirklich nicht verdient. Dadurch mußte sich die Zeitung Feinde schaffen, auch bei den anderen Leuten als den Genfer Politikern. Robin brachte Bakunin durch den Angriff auf den Generalrat in den Verdacht, daß er sich der Feder Robins bediene, um gegen den Generalrat zu intrigieren.

Marx faßte auch die durchaus persönlichen Artikel Robins so auf. In diesem Moment kam es dann zu einem persönlichen Streit zwischen Robin und einem Mitgliede der Redaktionskommission der Zeitung, dem alten Schneidergesellen Waehry. Robin forderte den Rücktritt Waehrys und drohte widrigenfalls selbst von der Redaktion zurückzutreten. Da der Betreffende Robin nicht entsprach, trat Robin und mit ihm die ganze Redaktionskommission zurück bis auf zwei Mitglieder, Waehry und Paillard. Unter den Zurücktretenden befand sich auch Philipp Becker. An ihre Stelle kamen nun ein paar Genfer Politiker und der oben abkonterfeite Utin. Nachträglich schloß sich auch Philipp Becker diesen Leuten wieder an. So war nun die "Egalité" das Blatt der Genfer Politiker geworden und die Anhänger der Bakuninschen Ideen fanden sich eines wertvollen Propagandamittels beraubt.

Während all dieser Vorgänge befand sich Bakunin in Locarno und war mit ganz anderen Dingen beschäftigt.

Bakunin über Marx

Bakunin empfand für den Charakter von Marx nie eine große Sympathie; vor seiner Gelehrsamkeit und seinem Scharfblick hatte er Respekt; aber um Sympathie für einen Charakter zu haben, muß man in ihm eine höhere Stufe

seines eigenen Wesens sehen oder doch mit ihm eine gleichgerichtete Tendenz haben. Die Gefühlsantipathie Marx gegenüber ging bei Bakunin zurück bis in den Anfang ihrer Bekanntschaft und ist wohl schwer auf ihre allerletzten Elemente zu reduzieren. Wir sagten, Bakunin habe Respekt vor der Gelehrsamkeit von Marx gehabt. Diese Gelehrsamkeit von Marx und die Resultate seines Denkens hatten die Eigenschaft, daß. sie durch den gewaltsamen Charakter von Marx seiner Umgebung aufgedrängt wurden, als wären sie ewige Wahrheiten. Seinen eigenen Denkinhalten stand Marx nicht mehr skeptisch gegenüber. Er betrachtete sie nicht mehr von außen her, sondern er verlieh ihnen Wirklichkeitswert; er sah sie als seine lebendigen Kinder an und wurde, wenn jemand sie angriff, nervös, wie eine liebende Katzenmutter nervös wird, wenn man ihren Kindern etwas zuleide tut. Marx sah in seinen eigenen Ideen nicht individuell und gesellschaftlich bedingte Erscheinungen, sondern absolute Wahrheiten. Alles hatte für ihn den Wert des Absoluten, und diesem Absoluten gegenüber forderte er Unterwürfigkeit. Seine Ideen wurden Tyrannen nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die andern. Und diese Tyrannen erhielten von ihm das Recht verliehen, all die Mittel zum Herrschen anzuwenden, die ihnen zum Sieg über Menschen nötig waren. S.o konnte Marx nicht anders als autoritär sein. Und in dieser Seite seines Wesens liegt vielleicht ein Teil seiner großen Kraft und auch seines Einflusses speziell auf die deutschen Arbeiter. Man kann sagen, sowohl für Marx als für die, denen dies Absolute seines Wesens zusagte, bedeutete dies Absolute eine Art Religionssurrogat. Aber es liegt noch ein anderes Element hier verborgen. Marxens größte Fähigkeit lag darin, aus dem Spezialfall des Lebens das Allgemeine zu abstrahieren. Alles Individuelle wird bei diesem Prozeß des Individuellen entkleidet, nur das Allgemeine wird ihm belassen. Es wird dadurch seines individuellen Lebens beraubt und nicht nur während des Erkenntnisprozesses. Wenn nach demselben auf das Individuum gewirkt werden soll, so wird es behandelt, als ob es ein Generelles und nur ein Generelles wäre und seine wirklichen, individuellen Seiten werden ihm als Sünde angerechnet. Die Abstraktion fängt an, die Wirklichkeit zu vergewaltigen. Da, wo die Menschen eine geringe Menge von Individuellem enthalten, erscheint das nicht als Tyrannei, und die Proletarier der Zeit waren ja mehr Masse als Persönlichkeiten. Deshalb tat ihrer Indivdualität eine Person wie Marx auch gar nicht viel an, er erleichterte ihnen vielmehr den notwendigen Prozeß, ihr Generelles, ihr Gemeinsames, zum Bewußtsein zu bringen. Und es war schon viel für jemanden, der wenig Individuelles hatte, wenigstens den Wert seines Generellen zum Bewußtsein zu bekommen.

Anders mußten wirkliche Persönlichkeiten empfinden. Sie mußten Tyrannei fühlen aus einem Menschen heraus, der das Individuelle in ihnen vergewaltigen wollte, zugunsten des Generellen, das der Betreffende, wenn auch mit Geschick, als Generelles der' Zeit herausgefunden, besonders, weil er dies Generelle nicht nur wissenschaftlich konstatierte, sondern als Leitmotiv des Handelns in einer großen Organisation forderte. Mochte für Marx das Individuelle und der Wille zur Freiheit des Individuellen der Ausgangspunkt gewesen sein, wie bei Bakunin, so hatte er's für einmal in den Winkel gestellt und beschäftigte sich damit, das Generelle, das Klassen- und nicht das Individualitätsbewußtsein zu wecken. Das Individualitätsbewußtsein sollte direkt dem Klassenbewußtsein geopfert werden. Nicht für ewige Zeiten — aber doch für die Zeit, die dem gerade lebenden Individuum der damaligen Gegenwart das wichtigste war.

Darum mußte Bakunin Marx als einen Tyrannen empfinden, und er hat diese Idee bei allem Respekt vor Marxens Abstraktionsfähigkeit und seiner Gelehrsamkeit in bezug auf das Generelle, speziell in der Ökonomie, ständig hervorgehoben. Er ist in diesem Punkt ein Vorläufer des modernen Revisionismus, der ja auch damit einsetzt, daß er auf ökonomischem wie auf psychologischem Gebiet sich' wehrt gegen die bloße Betonung des generellen Moments. Darin und nicht in irgendeiner Detailfrage, in etwas durchaus Prinzipiellem, sehen wir ja das Hinauswachsen des Revisionismus über den alten Marxismus. Es ist ein Symptom davon, daß das Proletariat bereits imstande ist, mehr als nur ganz allgemeine Wahrheiten zu sehen, die ja bis zu einem gewissem Grade immer allgemeine Unwahrheiten sind, daß es die Wirklichkeit nicht nur in der Abstraktion, sondern als Individualfall zu sehen imstande ist.

Bakunin bewunderte in Marx die hochentwickelte Wissenschaftlichkeit. Und doch war ein Teil des Bakuninschen Wesens jeder Wissenschaftlichkeit, jeder Wissenschaft überhaupt entgegengesetzt. Für Bakunin ist auch die allerreinste Wissenschaft keine Autorität. Er kennt überhaupt keine

andere Autorität als den°Kollektivgeist einer Gesellschaft, die begründet ist auf Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit und auf gegenseitiger Achtung ihrer Glieder. Für ihn war die Wissenschaft: das Denken nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes, das stets das Individuelle vergewaltigen muß, um zum Allgemeinen zu kommen; ihm bedeutete jede allgemeine Idee, jede Abstraktion eine Verneinung des wirklichen Lebens. Bakunin hat diesem Gedankengang oft Ausdruck verliehen. An vielen Stellen seiner Schriften taucht er auf, und es wird gewiß den Leser interessieren, Bakunin über diese wichtige Frage selbst anzuhören, umsomehr, als seine diesbezüglichen Ansichten zum eigentlichen Kern seines Wesens in innigster Beziehung stehen. Wir lassen deshalb hier eine Anzahl Sätze aus verschiedenen Stellen seiner Werke folgen, die seine Ansicht über die Bedeutung der. wissenschaftlichen Abstraktion wiedergeben:

"Die Wissenschaft ist der Kompaß des Lebens. Aber sie ist nicht selbst das Leben. Nur das Leben ,schafft Dinge und wirkliche Wesen. Die Wissenschaft schafft nichts, sie konstatiert, erkennt die Schöpfungen des Lebens.".

"Und jedesmal, wenn die Männer der Wissenschaft, heraustretend aus ihrer abstrakten Welt, sich abgeben wollen mit lebendiger Tätigkeit in der wirklichen Welt, sind alle ihre Vorschläge ärmlich, lächerlich, abstrakt, fleisch- und blutlos, totgeboren, mit den Eigenschaften des Wagnerschen Homunkulus. Die Aufgabe der Wissenschaft beruht deshalb einzig darin, das Leben zu erhellen, aber nicht es zu regieren."

"Die Wissenschaftler als Wissenschaftler haben weder Sinn noch Herz für individuelle, lebende Wesen. Sie verstehen sich nur auf das Allgemeine."

"Die Wissenschaftler bilden eine besondere Kaste, die viel Ähnlichkeit hat mit der Priesterkaste. Die wissenschaftliche Abstraktion ist ihr Gott, die lebendigen und wirklichen Individuen sind die Opfer."

"Die Kunst ist die Umkehr der Abstraktion zum Leben. Wissenschaft dagegen bedeutet ständige Opferung des Lebens auf dem Altar der Abstraktion."

"Da es in der Natur der Wissenschaft liegt, die Existenz und das Los von Peter und Jakob zu übersehen, darf man ihr nie erlauben, Peter und Jakob zu regieren."

"Ich predige bis zu einem gewissen Grad die Revolte

des Lebens gegen die Wissenschaft, oder besser, gegen die Herrschaft der Wissenschaft."

"Die Individuen sind unfaßbar für den Gedanken, selbst für das menschliche Wort, das nur Abstraktionen wiedergeben kann. Selbst die Sozialwissenschaft, die Wissenschaft der Zukunft, wird sie naturnotwendigerweise vernachlässigen müssen. Alles, was wir von ihr fordern können, ist, daß sie exakt und getreu die allgemeinen Ursachen der individuellen Leiden angebe. Und noch eines: die allgemeinen Vorbedingungen zur Befreiung der Individuen, die in der Gesellschaft leben."

"Die Wissenschaftler in ihrer größenwahnsinnigen Anmaßung, die nicht kleiner ist, als ihre Unfähigkeit, wollten gern immer in alles sich hineinmischen. Alle Lebensquellen würden austrocknen unter ihrem abstrakten Gelehrtenhauch."

"Das Leben ist ein unaufhörliches Übergehen vom Individuellen zum Abstrakten und vom Abstrakten zum Individuellen. Dies zweite Moment fehlt der Wissenschaft. Ist sie einmal im Abstrakten, so kann sie von ihm sich nicht mehr losmachen."

Man fühlt aus all diesen Sätzen heraus, daß ein abgrundtiefer Unterschied des Denkens zwischen Marx und Bakunin existiert. Man fühlt den Gegensatz zwischen Wissenschaftler und Künstler. Wenn man unter den modernen Philosophen nach einem suchen wollte, der die Grundtendenz des Bakuninschen Wesens wiedergeben würde, so müßte man am ehesten Bergson nennen. Und wo Bergson vom Elan de vie spricht, müßte man Bakunins Ausdruck Satan einsetzen. Marx dachte mit dem Verstand und Bakunin dachte mit seinem ganzen Organismus. Wenn Marx etwas betrachtete, so geschah dies mit dem Verstand, der sich losgelöst hatte von seinem ganzen übrigen Wesen. Er isolierte die abstrahierten Bestandteile des Lebens und sagte: ceteris paribus. Bakunin dachte mit seinem ganzen Organismus; wenn er etwas ansah, so, wie der Künstler die Dinge sieht, Verstand, Gefühl, Willen, Phantasie, alle waren mit bei diesem Sehen. Man hat dies das künstlerische oder instinktive Schauen genannt. Er sah die Welt mit Augen, Händen und Gedanken auf einmal. Er fühlte, daß man die organische Welt nur mit ihresgleichen, mit dem ganzen menschlichen Organismus fassen könne. Er konnte das Unmeßbare nicht mit dem Meßbaren anschauen. Er sah die Welt anders als Marx, weil er sie mit anderen Teilen des

psychischen Apparates anschaute. Es lag ein fundamentaler Unterschied im Wesen der beiden, der nicht hätte zu häßlichen Kämpfen und Streitereien führen müssen, der aber wirklich fundamental ist und nicht, wie manche Eklektiker denken, irgendwie etwas Gemeinsames und Versöhnbares in sich hatte. Wenn man in Bergson die Kapitel liest über die Unterschiede von Intelligenz und Instinkt, so empfindet man die Schilderung der beiden Typen Marx und Bakunin.

Es wäre nun ganz falsch, anzunehmen, daß daraus folge, daß Bakunin ein Verächter der Wissenschaft oder speziell der Marxschen Form der Wissenschaft gewesen wäre. Als Teil seines denkenden, fühlenden und wollenden Wesens war ihm die Wissenschaft etwas Großes, etwas, das man in seiner ganzen Nüchternheit in sich haben sollte — neben allem andern, was sonst noch im Menschen ist und das gleichberechtigt ist mit der Wissenschaft. Von da aus beurteilte er Marx.

Wenn Bakunin Marx von der Verstandsseite aus allein betrachtete, so kam er über ihn zu einem viel günstigeren Urteil. Er bewunderte diese Seite von ihm förmlich und man könnte fast sagen, daß er als Ökonom Marxist war, wenn das nicht zu paradox klänge. Lassen wir ihn selber sprechen:

"Marx, als Denker, ist auf dem rechten Wege. Er hat als Prinzip festgelegt, daß alle politischen, religiösen und juridischen Entwicklungen in der Geschichte nicht die Ursachen, sondern die Folgen ökonomischer Entwicklung seien. Das ist ein großer und furchtbarer Gedanke, den er durchaus nicht 'erfunden hat: er wurde geahnt, teilweise ausgedrückt durch viele vor ihm; aber ihm kommt die Ehre zu, ihn dargelegt und als Basis seines ganzen ökonomischen Systems genommen zu haben. Andererseits hat Proudhon den Gedanken der Freiheit viel besser verstanden und gefühlt als Marx. Proudhon, wenn er nicht in Doktrin und Metaphysik machte, hatte den wahren Instinkt der Revolutionäre; er verehrte Satan und proklamierte die Anarchie. Es ist möglich, daß ein Marx theoretisch sich zu einem viel vernünftigeren System der Freiheit erhebe, aber der Instinkt der Freiheit fehlt ihm: er ist von der Zehe bis zum Scheitel ein Autoritär."

Oder: "Sein (Marxens) großes Werk ,Das Kapital' ist keine Phantasie, keine aprioristische Schöpfung, die ausgekrochen wäre in einem einzigen Tag aus dem Kopf eines jungen Mannes, der keine Kenntnis hat von den ökonomischen

Verhältnissen der Gesellschaft und des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Es ist begründet auf eine sehr ausgedehnte, sehr detaillierte Kenntnis und auf eine tiefe Analyse dieses Systems und seiner Bedingungen. Herr Karl Marx ist ein Abgrund von statistischer und ökonomischer Kenntnis. Sein Werk über das Kapital ist ein im höchsten Maße positives und realistisches Werk in dem Sinn, daß es keine andere Logik als die der Tatsachen zuläßt. Unglücklicherweise ist es mit Formeln und metaphysischen Feinheiten gespickt, die es unzugänglich machen für das große Publikum."

An einer anderen Stelle sagt er über "Das Kapital": "Dies Werk hätte schon längst ins Französische übersetzt werden sollen, denn kein Werk enthält, soviel ich wüßte, eine so tiefe, lichtvolle, wissenschaftliche, entscheidende Analyse. Es enthüllt unbarmherzig die Bildung des bürgerlichen Kapitals."

Aus dem Jahre 1868 besitzt man einen Brief Bakunins an Marx, in dem Bakunins Achtung vor Marx so recht bakunistisch sich hören läßt:

"Mein alter Freundl Serno hat mir den Teil Deines Briefes mitgeteilt, der mich angeht; Du frägst, ob ich fortfahre, Dein Freund zu sein. Gewiß, mehr als je, lieber Marx, weil ich mehr als je verstehe, wie recht Du hattest, als Du den Weg der ökonomischen Revolution einschlugst und uns einludest, dasselbe zu tun, als Du die von uns heruntermachtest, die sich verloren in nationalen oder ausschließlich politischen Unternehmungen. Ich tue jetzt, was Du zu tun begonnen bereits vor 20 Jahren. Seit dem feierlichen, öffentlichen Abschied, den ich von den Bourgeois auf dem Kongreß in Bern nahm, kenne ich keine andere Gesellschaft, keine andere Umgebung mehr als die Welt der Arbeiter. Mein Vaterland ist jetzt die Internationale, von der Du einer der wichtigsten Begründer bist. Du siehst also, mein lieber Freund, daß ich Dein Schüler bin und stolz bin, es zu sein."

Die Achtung vor dem wissenschaftlichen Wert von Marxens "Kapital" drückt sich aber bei Bakunin nicht bloß platonisch aus, In seiner Muße im Tessin machte er sich daran, den ersten Band des Werkes ins Russische zu übersetzen. Zu der Zeit, wo Marx durch Utin Material gegen Bakunin sammeln ließ, sitzt Bakunin in Locarno und übersetzt Marxens Kapital. Ein Schauspiel für Götter.

Freilich wurde diese Übersetzung nicht vollendet. Es

ging Bakunin, wie es ihm in seinem Leben oft gegangen. Plötzlich trat eine neue Sache, eine neue Idee, ein neuer Mensch, ein neues Ereignis in sein Leben ein. Diesmal war es die russische Bewegung und Netschajef. Bakunin ließ sich von dem energischen und temperamentvollen Netschajef eine Zeitlang gänzlich beeinflussen und gab sich ihm mit Leib und Seele in die Hände. Bakunin war schon im Frühjahr 1869 in Beziehung getreten zu Netschajef. Er glaubte an die Möglichkeit, in Rußland eine große Erhebung der Bauern zu organisieren. Damals schrieb Bakunin zwei für diesen Zweck bearbeitete Broschüren und bewog seine Freunde Herzen und Ogaref, einen Teil des sogenannten Bachmetjefschen Fonds Netschajef zur Verfügung zu stellen, zugunsten eines revolutionären Komitees, als dessen Mandanten dieser sich ausgab. Netschajef war dann nach Rußland zurückgekehrt, mußte aber von dort bald wieder fliehen und kam aufs neue (Januar 1870) in die Schweiz. Er erhielt dort den Rest des Bachmitjefschen Fonds und bewog Bakunin, seine ganze Tatkraft ausschließlich der russischen Bewegung zu widmen. Wir betonen das hier besonders, weil wir feststellen wollen, wie Bakunin damals aktiv durchaus nicht tätig war in der westlichen Bewegung und sich kaum kümmerte um die beginnenden Differenzen, auf alle Fälle keineswegs aktiv in sie eingriff, wie man oft behauptet hat. Netschajef und Bakunin trennten sich jedoch bald (Juli 1870), da Bakunin sah, daß Netschajef ihn nur als Instrument benützen wollte und ein Mensch war zwar von ehrlicher Überzeugung und großem Mut und großer Kraft, aber in recht schlimmer Weise dem Grundsatz huldigte, daß der Zweck alle Mittel heilige.

Marx über Bakunin

Die Größe der Harmlosigkeit von Bakunin wird am besten beleuchtet, wenn wir an dieser Stelle ein Schreiben von Marx abdrucken, das Marx an seinen Freund Kugelmann schrieb und von dem er wünschte, daß es den führenden Leuten der deutschen Arbeiterbewegung zugehe. Das Schreiben ist datiert vom 28. März 1870 und lautet folgendermaßen:

Lieber Kugelmann!

Da ein Geschwür an der rechten Lende mir langes Sitzen unmöglicht macht, schicke ich Dir einliegenden, für das Braunschweiger Komitee, Bracke & Konsorten,

bestimmten Brief, statt zweimal zu schreiben. Am besten lieferst Du nach Durchlesung persönlich die Sache aus und bringst nochmals in Erinnerung, daß diese Mitteilung condifentiell, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Die Beilage lautet:Confidentielle Mitteilung. International Workingmens Association. Central Council, London.

Der Russe Bakunin (obgleich ich ihn seit 1843 kenne, übergehe ich hier alles, nicht absolut zum Verständnis des Folgenden Nötige) hatte kurz nach Stiftung der "Internationale" eine Zusammenkunft mit Marx zu London. Letzterer nahm ihn dort in die Gesellschaft auf, für welche Bakunin nach besten Kräften zu wirken versprach. Bakunin reiste nach Italien, erhielt dort von Marx die provisorischen Statuten und Adresse an die arbeitenden Klassen zugeschickt, antwortete "sehr enthusiastisch", tat nichts. 1) Nach Jahren, worin man nichts von ihm hörte, taucht er wieder in der Schweiz auf. Dort schließt er sich nicht an die "Internationale", sondern an die "Ligue de la paix et de la Liberté". Nach dem Kongreß dieser Friedensliga (Genf 1867) bringt Bakunin sich in den Vollziehungsausschuß derselben, findet hier jedoch Gegner, die ihm nicht nur keinen "diktatorischen" Einfluß erlauben, sondern ihn als "russisch verdächtig" überwachen. Kurz nach dem Brüsseler Kongreß (September 1868) der "Internationale" hält die Friedensliga ihren Kongreß zu Lausanne 2). Diesmal tritt Bakunin als Firebrand auf und — was en passant zu bemerken — hält seine Denunziation der okzidentalen Bourgeoisie in dem Tone, worin die moskowitischen Optimisten (sic) die westliche Zivilisation — zur Beschönigung ihrer eigenen Barbarei — anzugreifen pflegen. Er schlägt eine1) Bakunin wohnte 1862 in London. Da ihm aber Alexander Herzen mitgeteilt hatte, daß Marx aktiv an der Verleumdung Bakunins teilnahm, hatte er keine Lust, Marx zu besuchen. Bei einer späteren Durchreise durch London (1864) kam dann Marx zu Bakunin und erklärte, er habe nie irgendwie an den Verleumdungen teilgenommen. Bakunin war 1854-1867 in Italien. Das Land schien aber noch nicht vorbereitet für eine eigentliche Arbeiterorganisation. Bakunin schuf damals in Italien eine Geheimorganisation, um den Mazzinismus zu bekämpfen. Überhaupt sah Bakunin zu der Zeit den Bankrott der radikalen Demokraten noch nicht recht ein. Erst ihre Stellung auf dem Berner Friedenskongreß klärte ihn ganz auf. Er begann, wie er selbst an Marx schrieb, zu verstehen, wie sehr Marx recht gehabt habe in seiner Auffassung vom Weg, der zu betreten sei (Dezember 1868).2) Irrtum. Der Kongreß fand in Bern statt.

Reihe von Beschlüssen vor, die, an sich abgeschmackt, darauf berechnet sind, den bürgerlichen Kretins Schrecken einzujagen und Herrn Bakunin erlauben, mit Eklat aus der Friedensliga aus- und in die "Internationale" einzutreten 1). Es genügt zu sagen, daß sein dem Lausanner Kongreß 2) vorgeschlagenes Programm solche Absurditäten enthält wie die "Gleichheit der Klassen 3), Abschaffung des Erbrechts als Anfang der sozialen Revolution etc." Gedankenlose Schwätzereien, ein Rosenkranz von hohlen Einfällen, die schauerlich zu sein prätendieren, kurz eine insipide Improvisation, die bloß auf einen gewissen Tageseffekt berechnet war. Die Freunde Bakunins in Paris (wovon ein Russe Mitherausgeber der "Revue positiviste") und London zeigen der Welt den Austritt aus der Friedensliga als ein événement an und künden sein groteskes Programm — diese olla podrida abgeschliffenen Gemeinplätze — als etwas wunderlich Krauses und Originelles an. Bakunin war unterdes 4) in die "Branche Romande" der Internationalen (zu Genf) eingetreten. Es hatte Jahre gekostet, bis er sich zu diesem Schritt entschloß, aber es kostete noch keine Tage, bevor Herr Bakunin beschloß, die Internationale umzuwälzen und sie in sein Instrument zu verwandeln. Hinter dem Rücken des Generalrats 5) — dieser wurde erst unterrichtet, nachdem alles anscheinlich fertig war — bildete er die sogenannte "Alliance des démocrates sozialistes"6). Das Programm dieser Gesellschaft war kein anderes als das dem Lausanner 7) Friedenskongreß vorgelegte. Die Gesellschaft kündigte sich damit also von vorneherein als Propagandagesellschaft spezifisch Bakuninscher Geheimweisheit und Bakunin selbst, einer der unwissendsten Menschen auf dem Feld der sozialen Theorie, figuriert hier plötzlich als Sektenstifter. Das theoretische Programm dieser "Alliance" war jedoch bloße Farce. Die ernste Seite lag in ihrer praktischen Organisation. Diese Gesellschaft sollte nämlich international sein mit ihrem Zentralkomitee in Genf, d. h. unter Bakunins persönlicher1) Der Kongreß fand am 21.-25. September 1868 statt. Marx vergaß zu erwähnen, daß Bakunin schon seit Juli, also sogar vor demBrüsseler Kongreß, Mitglied der Internationale war.2) Soll heißen: Berner.3) Irrtum: Statt Gleichheit steht bei Bakunin: Gleichmachung.4) Vgl. Anmerkung 3.5) Man denke sich!!!6) Soll heißen: "Alliance de la démocratie socialiste".7) Soll heißen: Berner. Leitung. Zugleich aber sollte sie ein "integraler" Bestandteil der Internationalen Arbeiter-Assoziation sein. Ihre branches sollten einerseits vertreten sein auf dem nächsten Kongreße der Internationalen (zu Basel) und zugleich ihren eigenen Kongreß neben dem andern in Separatsitzungen abhalten usw. usw.

Das Menschenmaterial, worüber Bakunin zunächst verfügte, war die damalige Majorität des Comité Fédéral Romand der "Internationale" zu Genf. J. Ph. Becker, dessen Propagandaeifer zuweilen mit seinem Kopf durchbrennt, wurde vorgeschoben. In Italien und Spanien hatte Bakunin einige Alliierte.

Der Generalrat zu London war vollständig unterrichtet. Er ließ jedoch Bakunin ruhig vorangehen bis zu dem Augenblick, wo letzterer genötigt war, durch J. Ph. Becker die Statuten (nebst Programm) der "Alliance des démocrates socialistes" dem Generalrat zur Genehmigung zukommen zu lassen. Darauf erfolgt ein weitläufig motivierter Bescheid — ganz "richterlich" und "objektiv" gehalten, aber in seinen "Erwägungsgründen" voller Ironie — der damit schloß:

1. Der Generalrat läßt die "Alliance" nicht als Branche der Internationale zu.

2. Alle Paragraphen des Statuts der "Alliance", die sich auf ihr Verhältnis zur "Internationale" beziehen, sind für null und nichtig erklärt.

In den Erwägungsgründen war klar und schlagend bewiesen, daß die "Alliance" nichts als eine Maschine zur Desorganisation der "Internationale" sei 1).

Dieser Schlag kam unerwartet. Bakunin hatte bereits die 2Egalité", das Zentralorgan der französisch sprechenden Mitglieder der Internationale in der Schweiz, in sein Organ verwandelt 2), außerdem zu Locle sich einen kleinen Privatmoniteur gestiftet, den Progrès" 3) unter der Redaktion1) Bei diesem Satze fällt einem unwillkürlich eine Stelle ein, die Lassalle Marx selber mal geschrieben: "Marx ist der Marat unserer Revolution. Es wird niemals irgendein Verrat zwischen Himmel und Erde gesponnen werden, den er nicht zum voraus gewittert haben wird. Dafür wird er gar manchen auswittern, den zu spinnen niemandem eingefallen sein wird." (Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring, IV. Band, pg. 225.)2) Während der sechs ersten Monate der Existenz der "Egalité" hatte Bakunin kaum zwei- bis dreimal drein geschrieben. Und nur auf die Zeit können sich Marxens Angaben beziehen.3) Die Gründer des "Progrès" kannten Bakunin noch gar nicht.

eines fanatischen Anhängers Bakunins, eines gewissen Guillaume.

Nach mehrwöchigem Bedenken schickt endlich das Zentralkomitee der "Alliance" — unter der Signatur Perrons, eines Genfers — Antwortschreiben an den Generalrat. Die "Alliance" will aus Eifer für die gute Sache ihre selbständige Organisation aufopfern, aber nur auf eine Bedingung hin, nämlich auf die Erklärung des Generalrats, daß er ihre "radikalen" Prinzipien anerkennt.

Der Generalrat antwortete: Es sei nicht seine Funktion, theoretisch über die Programme der verschiedenen Sektionen zu Gericht zu sitzen. Er habe nur zu sagen, daß in denselben nichts direkt den Statuten und ihrem Geiste Widersprechendes enthalten sei. Er müsse daher darauf bestehen, daß aus dem Programm der "Alliance" die abgeschmackte Phrase über die "égalité des classes" 1) weggestrichen und statt dessen "abolition des classes" gesetzt werde (was auch geschah). Im übrigen können sie eintreten nach Auflösung ihrer selbständigen internationalen Organisation und nachdem sie (was notabene nie geschah) dem Generalrat eine Liste über ihre sämtlichen branches zugestellt.

Damit war dieser incident erledigt. Die "Alliance" löste sich auf und blieb faktisch unter Bakunins Leitung fortbestehen, der zugleich das "Genfer Comité Romand Fédéral" der Internationale beherrschte 2). Zu ihren bisherigen Organen kam noch die "Confederation"3) zu Barcelona hinzu, nach dem Basler Kongreß noch die "Equalità"4) zu Neapel.

Bakunin suchte nun seinen Zweck — die Internationale in sein Privatwerkzeug zu verwandeln — auf andere Weise zu erreichen. Er ließ durch unser Genfer romanisches Komitee dem Generalrat vorschlagen, die "Erbschaftsfrage" auf das Programm des Basler Kongresses zu setzen. Der Generalrat ging darauf ein, um Bakunin direkt auf den Kopf schlagen zu können 5). Bakunins Plan1) Irrtum; hieß: égalisation des classes.2) Guillaume frägt mit Recht: "Wie kam es, daß dies durch Bakunin ,beherrschte Komitee' der Allianzsektion die Aufnahme In die Fédération romande verweigerte?"3) Soll heißen: "la Federacion".4) Soll heißen: "Eguaglianza".5) Guillaume sagt hiezu: Man begreift, weshalb der Durchfall der Generalratresolution in Basel ihrem Urheber so schwer auf die Nerven fiel und weshalb Eccarius nach dem Durchfall sagte: "Marx wird sehr unzufrieden sein".

war der: Indem der Basler Kongreß die von Bakunin in Lausanne 1) aufgestellten "Prinzipien" (!) annimmt, wird der Welt gezeigt, daß Bakunin nicht zur "Internationale", sondern die "Internationale" zu Bakunin übergetreten ist. Einfache Konsequenz, der Londoner Generalrat (dessen Gegnerschaft gegen die Aufwärmung der vieillerie St. Simoniste dem Bakunin bekannt war) muß abtreten und der Basler Kongreß wird den Generalrat nach Genf verlegen, das heißt, die Internationale wird der Diktatur Bakunins anheimfallen.

Bakunin setzte eine förmliche Konspiration ins Werks um sich die Majorität auf dem Basler Kongreß zu sichern. Sogar an falschen Vollmachten fehlte es nicht, wie die des Herrn Guillaume für Locle 2). Bakunin selbst bettelte sich Vollmachten von Neapel und Léon. Verleumdungen aller Art gegen den Generalrat wurden ausgestreut. Den einen sagte man, das élément bourgeois wiege in ihm vor, den anderne er sei der Sitz des communisme autoritaire.

Das Resultat des Basler Kongresses ist bekannt. Bakunins Vorschläge drangen nicht durch und der Generalrat blieb in London 3).

Der Ärger über diesen Fehlschlag — mit dessen Gelingen Bakunin vielleicht allerlei Privatspekulation verknüpft hatte — "in seines Herzens Geist und Empfindung" — machte sich in gereizten Äußerungen der "Egalité" und des "Progrès" Luft 4).

Diese Blätter nehmen unterdes mehr und mehr die Form offizieller Orakel an. Bald wurde diese, bald jene Schweizer Sektion der "Internationale" mit Bann belegt, weil sie gegen Bakunins ausdrückliche Vorschrift sich an der politischen Bewegung beteiligt hatten usw. Endlich brach die lang verhaltene Wut gegen den Generalrat offen aus. "Progrès" und "Egalité" mokierten sich, griffen an, erklärten, der Generalrat erfülle seine Pflichten nicht, z. B. in Betreff des dreimonatlichen Bulletins; der Generalrat müsse sich der direkten Kontrolle über England entledigen und neben sich1) Lies: Bern.2) Guillaume schreibt hierzu: "Das ist wirklich der Gipfel. Und die Graveure von Locle verjagten mich nicht als Fälscher, als ich ihnen referierte über meine Delegation in der Versammlung der drei Sektionen."3) Die Delegierten des Generalrates selbst hatten die Transferierung des Generalrates nach Brüssel vorgeschlagen, und die Delegierten der romanischen Schweiz drangen darauf, daß er in London bliebe.4) Guillaume: "Man sieht, wir sind mitten in einer Art Roman."

ein englisches Zentralkomitee, das sich nur mit englischen Angelegenheiten befasse, gründen lassen; die Beschlüsse des Generalrats über die gefangenen Fenier seien eine. Überschreitung seiner Funktionen, da er sich nicht mit lokalpolitischen Fragen zu beschäftigen habe 1). Es wurde ferner in "Progrès" und "Egalité" Partei für Schweitzer genommen und der Generalrat kategorisch aufgefordert, sich offiziell und publiquement über die Frage Liebknecht-Schweitzer zu erklären. Das Journal "Le Travail" (in Paris), worin Pariser Freunde Schweitzers ihm günstige Artikel eingeschmuggelt, wurde darüber belobt vom "Progrès" und "Egalité", und in letzterer aufgefordert, gemeinsame Sache gegen den Generalrat zu machen 2).

Die Zeit war jetzt daher gekommen, wo eingeschritten werden mußte. Folgendes ist wörtliche Kopie des Sendschreibens des Generalrats an das Genfer romanische Komitee. (Wir lassen es weg. Es ist nachzulesen in "Die Neue Zeit", XX. Jahrg., 2. Band, S. 475. — Nach Anführung des Sendschreibens an das Genfer romanische Zentralkomitee fährt Marx sodann fort:)

"Die französischen Komitees (obgleich Bakunin stark in Lyon und Marseille intrigiert und einige junge Brauseköpfe gewonnen hatte) ebenso wie der Conseil général belge (Bruxelles) haben sich ganz einverstanden mit diesem Reskript des Generalrats erklärt.

Die Abschrift für 'Genf (weil der Sekretär der Schweiz, Jung, sehr beschäftigt war) wurde etwas verzögert. Sie kreuzte sich daher unterwegs mit einem offiziellen Schreiben von Perret, Sekretär des Genfer romanischen Zentralkomitees, an den Generalrat.

Die Krise war nämlich in Genf vor Ankunft unseres Briefes ausgebrochen. Einige Redakteure der ,Egalité' hatten sich der von Bakunin diktierten Richtung widersetzt. Bakunin 3) und seine Anhänger (wovon sechs Redakteure der ,Egalité') wollten das Genfer Zentralkomitee zur Entlassung1) Die "Egalité" sagte nichts dergleichen über die Fenier, und der "Progrès" lobte sogar die Resolutionen des Generalrats.2) Unexakt. Der "Progrès" sprach nie von dem "Travail". Die "Egalité" sprach von einer Korrespondenz, die der "Travail" publiziert hatte zugunsten von Schweitzer; gelobt hat die den "Travail" nicht, sondern forderte nur die unparteiische Ansicht des Generalrats darüber.3) Bakunin wußte nichts von dem, was in Genf vorging. Er beschäftigte sich in Locarno "Das Kapital" zu übersetzen, ohne zu ahnen, daß der Verfasser dieses Buches ihm so schwarze Intrigen zuschrieb (Guillaume).

der Widerspenstigen zwingen. Das Genfer Komitee dagegen war längst die Despotie Bakunins müde und sah sich mit Unwillen durch ihn in Gegensatz zu den übrigen deutschen Schweizer Komitees, zu dem Generalrat etc. hineingezogen. Es bestätigte also umgekehrt die Bakunin mißfälligen Redakteure der ,Egalité'. Darauf gaben seine sechs Mann ihre Entlassung von der Redaktion 1), indem sie dadurch das Blatt still zu stellen glaubten.

In Antwort auf unsere Missive erklärte das Genfer Zentralkomitee, daß die Angriffe der ,Egalité' wider seinen Willen stattgefunden, daß es die in derselben gepredigte Politik nie gebilligt, daß das Blatt jetzt unter strenger Aufsicht des Komitees redigiert wird etc.

Bakunin zog sich darauf von Genf nach Tessin zurück 2) Er hat nur noch — was die Schweiz betrifft — im ,Progrès' (Locle) seine Hand.

Bald darauf starb Herzen. Bakunin, der seit der Zeit, wo er als Lenker der europäischen Arbeiterbewegung sich aufwerfen wollte, seinen alten Freund und Patron verleugnet hatte, stieß sofort nach dessen Tod in die alte Lobesposaune. Warum? Herzen, trotz seines, persönlichen Reichtums, ließ sich jährlich 25000 Francs für Propaganda von der ihm befreundeten pseudo-sozialistischen panslavistischen Partei in Rußland zahlen. Durch sein Lobgeschrei hat Bakunin diese Gelder auf sich gelenkt und damit die "Erbschaft Herzens' — malgré sa haine de l'héritage — pekuniär und moralisch, sine beneficio inventarii, angetreten 3).

Gleichzeitig hat sich in Genf eine junge russische Refugee Colony angesiedelt, flüchtige Studenten, die es wirklich ehrlich meinen, und ihre Ehrlichkeit dadurch beweisen,1) Es waren 7 (von 9) von der Redaktionskommission und nicht 6, die ihre Demission eingaben, darunter Becker. Da aber Becker seither zu Kreuz gekrochen war, will Marx wahrscheinlich die Fehler des reuigen Sünders übersehen.2) Bakunin hatte Genf verlassen zwei Monate vor dem Wechsel in der Redaktion der "Egalité" (Guillaume).8) "Man sieht, daß diese unwürdige Verleumdung, deren Vaterschaft seinerzeit Borkheim zugeschrieben wurde, der sie unter seiner Signatur im ,Volksstaat' am 30. April 1870 veröffentlichte, in erster Linie ,konfidentiell' durch Marx verbreitet worden war. Wahrscheinlich bildet den äußeren Anlaß zur Erfindung dieser Geschichte der Fonds Bachmetief. Die Sache wurde nur etwas verdreht. Die 25000 Franken, die deponiert wurden, wurden in eine jährliche Rente umgewandelt, und aus dem Sozialisten Bachmetief wurde ein panslavistisches Komitee." (Nach Guillaume.)

daß sie die Bekämpfung des Panslavismus als Hauptpunkt in ihr Programm aufgenommen 1). Sie publizieren zu Genf ein Journal: "La voix du peuple" 2).

Sie haben vor about zwei Wochen sich nach London gewandt, ihre Statuten und Programme eingesandt, Bestätigung zur Bildung einer russischen Branche verlangt. Ist gegeben worden.

In einem besonderen Brief an Marx haben sie ihn ersucht, sie im Generalrat provisorisch zu repräsentieren. Dies dito akzeptiert. Sie haben zugleich angezeigt — und scheinen sich deshalb bei Marx entschuldigen zu wollen —, daß sie nächstens dem Bakunin öffentlich die Maske abreißen müßten, da dieser Mensch zweierlei ganz verschiedene Sprachen führe, eine andere in Rußland, eine andere in Europa.

So wird das Spiel dieses höchst gefährlichen Intriganten — wenigstens auf dem Terrain der Internationale — bald ausgespielt sein." ***** *

Das Schreiben ist nicht erbaulich zu lesen, da es durch seine "Irrtümer" sowohl als durch seinen Ton auf Marx ein recht unangenehmes Licht wirft. Es ist um so unangenehmer zu lesen, als der, gegen den es gerichtet war, sich natürlich deshalb nicht verteidigen konnte, weil ja das Schreiben in aller Heimlichkeit gehalten wurde und nur von den Leitern der deutschen Bewegung gekannt war. James Guillaume schreibt, daß ihm dieses Schreiben erst bekannt wurde durch seine Publikation in der "Neuen Zeit" im Jahre 1902. Es wird wohl außer ein paar Fanatikern auf der ganzen Erde niemanden geben, dem dies Schreiben von Marx nicht als ein dunkler Fleck im Charakter von Marx erscheinen wird, der sich nie wird auswischen, höchstens psychologisch erklären lassen. Wie es einem denn auch sonst manchmal recht schwer wird, wenn man nicht gerade Politiker ist, d. h. von einem menschlichen Standpunkt aus, Marxens Handlungsweise als sympathisch zu empfinden.

Die Spaltung in der romanischen Föderation

Auf dem zweiten jährlichen Kongreß der romanischen Föderation, der in La Chaux-de-Fonds am 3. April 1870,1) "Nicht zu vergessen, daß Utin und Trussof, diese ,wirklich ehrlichen' Verbannten, später um die Verzeihung der russischen Regierung einkamen, sie erhielten und ihre Tage in Rußland als treue Untertanen des Zaren schlossen." (Guillaume.)2) Lies: "La Cause du Peuple".

d. h. ein paar Tage nach dem Marxschen Sendschreiben, eröffnet wurde, erfolgte nun der erste Vorstoß Utins, des Freundes von Marx, gegen Bakunin. Für eine Person wie Utin war eine Skandalaffäre ein gefundenes Fressen. Durch eine solche konnte auch er einmal wichtig erscheinen. Wie alle Menschen, die in sich selbst nichts Positives finden und deshalb alle positiven Menschen hassen, empfand Utin die größte Freude an der Herabsetzung eines bedeutenden Menschen wie Bakunin denn doch einer war. Sachlichkeit konnte man natürlich von Utin nicht erwarten, die ging über seinen geistigen Horizont. Es wäre ja gewiß wichtig und gut gewesen, wenn die Differenzen klipp und klar zum Austrag gekommen wären; man hätte sich wahrscheinlich auch dann getrennt; denn es waren faktisch durch tiefliegende Ursachen bedingte Verschiedenheiten der Ansichten vorhanden; ohne das Dazwischentreten von Utin wäre es aber nicht so unerbaulich zu- und hergegangen auf dem Kongreß.

Die Differenzen zeigten sich bei dem Traktandum "Aufnahmegesuch der Genfer Sektion der Allianz in die romanische Föderation".

Die Genfer Sektion der Allianz war durch Beschluß des Londoner Generalrates vom 28. Juli 1869 als Sektion der Internationale anerkannt worden und sie hatte demgemäß beim Comité fédéral romand (dessen Sitz für das Jahr 1869-1870 in Genf war) um Aufnahme in den romanischen Verband nachgesucht. Das Komitee hatte den Entscheid auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch jetzt wieder stellte Utin den Antrag, es sei zurzeit auf das Aufnahmegesuch nicht einzugehen; er erreichte aber nur eine Verschiebung der Diskussion auf die Nachmittagssitzung. Die Diskussion verlief äußerst stürmisch und ihr Resultat bot den Anlaß zur Spaltung innerhalb des Verbandes. Als Hauptgegner gegen die Aufnahme der Allianz trat Utin auf. Utin identifizierte die Sektion der Allianz vollständig mit der Person Bakunins, dem er jede moralische Qualifikation für eine führende Stellung in der Internationale absprach. In seinen russischen Agitationsschriften erkläre Bakunin unumwunden, daß für ihn weder Treu noch Glaube existiere. Bakunin sei ein Anhänger des jesuitischen Grundsatzes: Der Zweck heiligt die Mittel, und er wende diesen Grundsatz skrupellos an zur Begründung seiner Diktatur in der Internationale; sein Treiben habe der revolutionären Sache Rußlands unabsehbare Schädigung gebracht usw.

Utin erklärte sich als unversöhnlicher Gegner Bakunins Lind sagte, wenn er die Macht hätte, würde er ihn unbedenklich guillotinieren lassen! — Zwei Genfer Delegierte, deren einer, Henri Perret, später Sekretär eines Polizeikommissärs wurde, schlossen sich Utin an und nahmen hauptsächlich Anstoß an dem von Bakunin gehuldigten Atheismus. Guillaume trat Utin entgegen; seinen Angriffen auf Bakunin hielt er die von Liebknecht ausgestellte Ehrenerklärung entgegen und betonte, daß es sich hier überhaupt nicht um die Person Bakunins, sondern um die Aufnahme der Sektion der Allianz in den romanischen Verband handle. Diese Aufnahme dürfe ihr, als vom Londoner Generalrate anerkannten Sektion der Internationale, gar nicht verweigert werden.

Nach langer und heftiger Debatte wird über die Aufnahme abgestimmt: 21 Delegierte geben ihre Stimme für, 18 gegen die Aufnahme ab. Durch Majoritätsbeschluß war also die Allianz in den romanischen Verband aufgenommen!

Die Minderheit erklärt, sich diesem Beschluß unter keinen Umständen zu fügen. Unter allgemeinem Tumult ersuchte der Präsident des "Cercle International" die Majorität, den Saal zu verlassen, ansonst man gegen sie Gewaltmaßregeln anwenden müßte. — Die sogenannten Kollektivisten, welche für die Aufnahme der Allianz votiert hatten, folgten dieser mit Nachdruck gesprochenen Einladung; sie verließen den Cercle und setzten in einem anderen Lokal die Verhandlungen fort. Die Minderheit verblieb im Cercle. Es tagten also jetzt in La Chaux-de-Fonds zwei Kongresse des romanischen Verbandes; der kollektivistische und der antikollektivistische; der Verband hatte sich jetzt gespalten. Die von seiten der Kollektivisten unternommenen Wiederannäherungsversuche blieben resultatlos.

In Erledigung der dem allgemein einheitlichen Kongreß unterbreiteten Traktandenliste faßten nun die beiden getrennt tagenden Kongresse folgende Beschlüsse:

In bezug auf Statuten, Komitee und Parteiorgan nahm der kollektivistische Kongreß folgende Beschlüsse an:

1. Das Verbandsstatut wird dahin abgeändert, daß das Verbandskomitee aus Mitgliedern verschiedener Verbandssektionen bestellt werden kann. Als Sitz des Komitees für das Jahr 1870-1871 wird La Chaux-de-Fonds gewählt und das Komitee aus Mitgliedern der Sektionen von La Chaux-de-Fonds und Le Locle bestellt.

2. Die Leitung des Parteiorgans wird, unter Aufsicht der Redaktionskommission, einem Einzelredakteur übertragen, dem sechs Mitarbeiter aus den Sektionen zugeteilt werden.

3. Der Name des Parteiorgans wird umgeändert in "La Solidarité" mit Erscheinungsort Neuenburg ,und mit James Guillaume als Redakteur.

Der antikollektivistische Kongreß, ausschließlich aus Delegierten von Genf und Anhängern von Coullery in La Chaux-de-Fonds zusammengesetzt, nahm eine ziemlich weitgehende Abänderung des Verbandsstatuts vor, derzufolge künftig reine Propagandasektionen (wie die Allianz) keine Aufnahme in den Verband finden konnten. Er entzog die Wahl der Redaktionskommission für das Parteiorgan "L'Egalité" dem Kongreß und übertrug sie einer vom Kongreß bezeichneten Sektion, diesmal natürlich Genf. —

Die Diskussion der Programmpunkte brachte hinsichtlich des Zusammenschlusses der Streikkassen auf beiden Kongressen ziemlich das gleiche Resultat. In bezug auf die Würdigung des Genossenschaftswesens ergaben sich schon erhebliche Differenzen: die Antikollektivisten scheinen dasselbe als ein wirksames Mittel im Emanzipationskampfe vorbehaltlos anerkannt zu haben; die Kollektivisten anerkannten das Genossenschaftswesen wohl als die Form, in der die emanzipierte Arbeit sich organisieren wird, gaben aber der Überzeugung Ausdruck, daß eine Emanzipation der Arbeit nicht durch genossenschaftliche Aktion, sondern einzig und allein durch eine internationale soziale Revolution erreicht werden kann.

Am weitesten gingen auseinander die Resolutionen, welche die beiden Kongresse im Anschluß an die Beratung des Programmpunktes, Haltung der Internationale gegenüber dei Regierungsgewalt, faßten. Die Kollektivisten-Resolution lautet:

In Erwägung:

Daß eine endgültige Emanzipation der Arbeit nur bewirkt werden kann durch eine Umwandlung der auf Privilegien und Autorität begründeten politisch organisierten Gesellschaft in eine ökonomisch organisierte Gesellschaft, deren Basis Gleichheit und Freiheit bilden;

daß jede Regierung und jeder politisch organisierte Staat nichts weiter ist als ein Mittel zur kapitalistischen Ausbeutung auf Grund des bürgerlichen Rechtes;

daß die Anteilnahme des Proletariats an der bürgerlichen Regierungspolitik zur Befestigung des heutigen

Systems dient und die revolutionäre proletarische Aktion paralysiert,

beschließt der Kongreß:

Allen Sektionen der internationalen Arbeiterorganisation wird empfohlen: auf jede Aktion zu verzichten, welche lediglich auf die soziale Umgestaltung mittelst nationaler Reformpolitik hinausläuft. Das Proletariat muß sein ganzes Augenmerk auf eine kräftige, international verbundene Gewerkschaftsorganisation richten, dem einzigen Mittel, den Erfolg der sozialen Revolution zu sichern. Diese Organisation wird die wirkliche Arbeitervertretung sein, welche unbedingt außerhalb jeder politischen Regierung stehen soll.

Wesentlich verschieden lautet die Resolution des antikollektivistischen Kongresses:

1. Wir bekämpfen die Nichtanteilnahme an der Politik als Schädigung der Arbeiterbewegung.

2. Wenn wir für die politische Aktion eintreten und bei den Wahlen für Legislative und Exekutive Kandidaten aufstellen, so tun wir dies keineswegs in der Annahme, daß wir auf diesem Wege zur Emanzipation der Arbeiterklasse gelangen. Wir wissen wohl, daß in erster Linie das heute geltende Wirtschaftssystem gründlich abgeschafft werden muß. Wir bedienen uns der parlamentarischen Arbeitervertretung lediglich als agitatorischen Propagandamittels, welches in taktischer Hinsicht nicht vernachlässigt werden darf.

3. Da die Anteilnahme an der Politik für uns ein Agitationsmittel ist, so bleibt selbstverständlich die gründliche Umgestaltung aller sozialen Verhältnisse unser großes Ziel. Demnach ist alle politische Agitation als bloßes Mittel der sozialistischen Bewegung untergeordnet.

Fortan bestand nun die romanische Föderation aus zwei Teilen. Die Kollektivisten hatten auf dem Kongreß die Mehrheit für sich gehabt, waren also statutengemäß die rechtmäßige romanische Föderation. Es ist interessant zu sehen, wie sich der Generalrat zu den beiden Parteien verhielt. Der Form nach war es durchaus natürlich, daß er sich auf die Seite der Kollektivisten schlug; dem Geiste nach mußte er freilich mit den Antikollektivisten sein. Da er es dem Geiste nach war, versuchte er es auch für die Form zu sein. Er bestritt deshalb, daß die Mehrheit der Kollektivisten eine rechtmäßige gewesen sei, anerkannte das Komitee der Minderheit in Genf als das wahre Komitee

des romanischen Verbandes und erklärte, daß das Föderalkomitee La Chaux-de-Fonds irgendeinen lokalen Titel für sich zu nehmen habe. Die Kollektivisten konnten natürlich mit dieser Entscheidung sich nicht zufrieden geben, und über kurz oder lang mußte die Streitfrage in anderer Weise geregelt werden. Da aber große, wichtige Ereignisse allgemeiner Natur die Aufmerksamkeit auf sich lenkten blieb das Problem zunächst ungelöst und amteten vorderhand die beiden Komitees unabhängig voneinander.

Krieg und Kommune

Der deutsch-französische Krieg unterbrach vorläufig die normale Entwicklung der Internationale. Nicht, daß er. etwa den Fortgang der Polemik von der Seite von Marx unterbrochen hätte. Sein Feldzug gegen Bakunin nahm weiter seinen Fortgang. Aber der Krieg änderte die bisherige Richtung der psychischen Entwicklung der europäischen Arbeiterschaft, hinderte die Organisationsarbeit, erweckte die patriotischen Gefühle und verdrängte die Ansätze des Internationalismus bei allen, in denen er bisher nur schwache Wurzeln geschlagen. Der Ausgang des Krieges und die Niederlage der Pariser Kommune, die Niedermetzelung von Tausenden von Arbeitern mähten die revolutionäre Avantgarde von Europa hinweg, zerstörten auf Jahrzehnte hinaus die französische Bewegung, die bis dahin die vorangeschrittenste gewesen war, und benahm allen Revolutionären Mut und Glauben an eine baldige Umwälzung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Nach dem Kriege waren die Menschen andere, als sie vorher gewesen waren, sie waren nicht mehr frohe Jünglinge, die Sterne vom Himmel herunter zu holen hofften, sondern reife Männer mit einem Stück Enttäuschung in der Seele, einer Narbe, die schmerzte und der Unbegrenztheit der Hoffnungen Eintrag tat. Hatte 'man vor und sogar während des Krieges an eine vor den Toren stehende soziale Revolution geglaubt, so wagte der Mensch in der Zeit nach Krieg und Kommune an so wunderbare Dinge und die nächste Nähe solch wunderbarer Dinge nicht mehr zu glauben. —

Bei Ausbruch des Krieges erwachte die Idee der nahenden sozialen Revolution bei recht vielen der französischen Internationalen. Seit Beginn des Krieges warteten die französischen Internationalen auf eine günstige Gelegenheit, um das Kaiserreich zu stürzen. Sie wollten die soziale Republik

proklamieren und Deutschland den Frieden anbieten. Für den Fall, daß die deutsche Regierung den Frieden von sich wiese, würden sie dieser Regierung den "revolutionären" Krieg erklären und hofften dabei auf die tatkräftige Mithilfe der deutschen Sozialisten. Ja, sie gingen sehr weit. In ihren Gedanken schloß sich die internationale Revolution an den Krieg an. —

Bakunin befand sich zur Zeit des Kriegsbeginns in Locarno. Seine Ideen lagen durchaus in der gleichen Sphäre wie der französischen Internationalen. Nach den ersten deutschen Siegen gab es für ihn nur die eine Frage: Wie es möglich wäre, in Frankreich die soziale Revolution zu entfesseln und sie der Bismärckischen, drohenden Diktatur entgegenzusetzen.

"Briefe an einen Franzosen"

Über den näheren Inhalt seiner Ideen gibt eine Broschüre Auskunft, die er in der Zeit schrieb und deren Hauptinhalt wir hier wiedergeben.

Frankreich sei jetzt in eine solche Lage versetzt, daß es vor der Sklaverei nur noch gerettet werden könne durch das Volk in Waffen. Die französische Bourgeoisie gebe aber lieber Frankreich hin, als daß sie das Volk in Waffen sähe; denn damit würde sie selber fallen; das würde die soziale Revolution bedeuten; und nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa. Dem Volk seinen Willen zu lassen, den föderierten revolutionären Gemeinden Frankreichs die Initiative zum Handeln zu geben und die Administration des Staates außer Funktion zu setzen, das hieße das Heil und die Rettung Frankreichs. Aber das könne die Bourgeoisie selbst nicht; das wäre ihr Tod. Deshalb könne Frankreich nur durch die Arbeiter und die Bauern gerettet werden. Arbeiter und Bauern im Verein miteinander seien die einzig möglichen Retter Frankreichs. Ob die Bauern dazu bereit seien, ob zwischen Arbeitern und Bauern ein genügend enges Band existiere? Es sei wahr, daß die französischen Bauern bonapartistisch seien und daß sie reaktionär scheinen. Es sei aber nur scheinbar so. Ihrem ganzen innersten Wesen nach seien sie revolutionär. Sie seien egoistisch, hängen am Eigentum, aber sie hassen die großen Herren, die die Früchte der Arbeit genießen, ohne selbst zu arbeiten. Es sei wahr, daß der Kaiser von den Bauern geliebt werde. Ein historisch

bedingtes Vorurteil, da sie den Kaiser als den Gegner der großen Herren betrachten. Deshalb solle man nicht gegen den Kaiser sprechen. Man solle sie denken lassen, wie sie denken wollen, wenn sie nur handeln und faktisch den Staat und die Macht des Kaisers untergraben. Man solle an ihren Patriotismus anknüpfen, daß sie die Preußen verjagen sollen. Bevor sie aber marschieren, sollen sie sich der großen Herren entledigen, die den Boden ausrauben durch die Arbeitskraft anderer. Man solle sie auffordern, weder Privatschulden, noch Steuern, noch Hypothekarzinsen zu bezahlen. Nochmals: der ganze Bonapartismus der Bauern sei etwas ganz Oberflächliches, eine Hautkrankheit. Im Grunde sei der Bauer revolutionär, und die Reaktion habe diesen Revolutionarismus der Bauern schon oft für ihre Zwecke benutzt.

Der Bauer verabscheue den Arbeiter? Weil er ihn für den Kammerdiener und Soldaten der städtischen Zinsennehmer halte. Man sagt, der Bauer sei unwissend, das sei das wenigste. Die Superiorität des Arbeiters über die Bourgeoisie bestehe auch nicht im Wissen, sondern in seinem starken Gefühl für Gerechtigkeit. Und gerade das mache auch die Kraft des Bauern aus. Trotz Unwissenheit habe er viel gesunden Menschenverstand, eine bewundernswerte Feinheit, eine große Arbeitsenergie. "Die Bauern seien biggott." Ihre Bigotterie habe sie 1789 nicht gehindert, die vom Staat konfiszierten Kirchengüter zu kaufen trotz aller Bannflüche der Kirche. Die Jakobiner sagen, man müsse die Priester durch Dekrete verjagen, damit die bäuerliche Bigotterie schwinde. Bakunin möchte von solchen Dekreten nichts wissen. Durch Staatsdekrete schaffe man keine Freiheit, man untergrabe sie. Wie dann den Einfluß der Priester neutralisieren? Durch Propaganda. Und zwar durch eine der Psychologie der Bauern angepaßte. Nicht dadurch, daß man revolutionäre Phrasen macht. Nein, in möglichst sachlicher, gemäßigter Sprache, so faßlich als nur möglich. So mache man Revolutionen. Ganz und gar nicht, wie es die revolutionären Autoritäre täten, die immer sehr energisch und revolutionär in Worten seien. Man könne sagen, daß die Energie in der Sprache meistens eine Maske war, um das Volk zu täuschen, um die Schwächlichkeit der Handlungen zu verschleiern. Das Gegenteil sei zu machen. Spreche man wenig von Revolution, so mache man sie. Man möge es anderen überlassen,

Theorie zu machen über die Prinzipien der sozialen Revolution. "Begnügen wir uns damit, Prinzipien in Tatsachen sehen zu lassen. Nicht in Worten wollen wir künftig Propaganda machen, sondern in Handlungen, das ist die populärste, kräftigste, unwiderstehlichste Propaganda. Nur immer konsequent in den Taten. Also keine Dekrete, auch keine revolutionären Dekrete." Was sollen aber dann die Revolutionäre tun? Aus der Masse, aus der Seele der Masse die Revolution herauslocken. Ihr auch nicht irgendeine Organisationsform aufoktroyieren, sondern sie zu der virtuell in ihr gelegenen Organisationsform anregen. Der Organisation von unten, nicht von oben. Und wie? Durch den individuellen Einfluß auf die intelligentesten und einflußreicheren Individuen. Es sei wahr, die Bauern seien nicht für das Gemeineigentum. Sie hassen die "Teiler", da sie, in der Phantasie wenigstens, etwas besäßen. Und die Phantasie sei eine große und viel zu wenig gewürdigte Triebkraft der Geschichte. Der Individualismus der Bauern sei eben eine Notwendigkeit. Und damit habe man zu rechnen. Ihn anzugreifen, hieße sie in die Arme der Reaktion treiben. Wenn man mit ihnen zusammen die soziale Revolution machen wolle, habe man sich an die Eigenheiten ihrer Entwicklung zu halten. Von dem richtigen Ver- halten gegenüber den Bauern hängen Sieg oder Niederlage der Revolution ab. Darum nur keine Dekrete, die den Bauern Kommunismus und Kollektivismus aufoktroyieren wollen. Das gäbe höchstens den Aufstand der Bauern gegen die Städte. Das fühlen die Arbeiter und deshalb seien sie so apathisch, so mutlos. Sie haben eben zu viel aus Büchern geschöpft, aus der Theorie, anstatt im Leben sich umzusehen und daraus ihre Anschauungen zu bilden. So seien sie auch zur Verachtung der Bauern gekommen. Eine Verachtung, die den Bauern beleidige, feindselig mache. Die Bauern haben sowieso den Haß gegen die Städte, die sie von alters her beherrschten, ausbeuteten, ihnen Gesetze diktierten.

Die Bauern marschieren ohne weiteres mit den Arbeitern gegen die Preußen, und gerade das werde den Grund legen zur Überbrückung der gegenseitigen Mißverständnisse. Freilich müßten die Bauern versichert sein, daß die Arbeiter von ihrer jakobinischen Prätention lassen, die ebenso lächerlich wie arrogant

sei, ebenso ungerecht als verderblich, ihr politisches und soziales Ideal zehn Millionen Bauern aufzuoktroyieren. Ein solcher Einfall wäre ein Erbstück aus dem Nachlaß der revolutionären Bourgeoisie.

Wenn übrigens die Bauern sich am Privateigentum der großen Herren vergreifen, würde der Eigentumsinstinkt bei ihnen von selbst erschüttert werden. Denn dem gestohlenen Eigentum fehle die juristische und politische Heiligung durch den Staat. Erbrecht und alles Juristische am Eigentum würde in einem solchen Trubel schwinden; nur revolutionäre Tatsachen werden bleiben. Nicht auf einmal und plötzlich wird eine ideale Organisation aus der Revolution heraus entstehen: aber doch eine lebenskräftige, entwicklungsfähige Organisation, nicht versteinerungsfähig, da kein alle Initiative und das natürliche Wachstum hemmender Staat sie dominiert.

Ein Korrespondent des "Volksstaat" (Organ der deutschen Sozialdemokratie) habe aus Paris geschrieben, daß der Krieg die Pariser Arbeiter gleichgültig lasse. Daß sie sich nichts daraus machen, daß deutsche Armeen in Paris einziehen. Die Arbeiter hätten nicht das Gefühl, daß die Niederlage des Kaisers sie etwas angehe. Bakunin protestierte dagegen. Gewiß begrüße er es, daß eine absolute Klassen- und Interessenscheidung zwischen Bourgeoisie und Proletariat bestehe. Aber zu der Invasion der Soldaten des Königs von Preußen dürfe der Arbeiter nicht indifferent sich verhalten. Nicht nur Wohlstand und Freiheit der Bourgeoisie seien bedroht, nein, die des ganzen französischen Volkes. Und aus Haß gegen die Bourgeoisie diese zu opfern wäre Blindheit, Verrat an der eigenen Würde, an der Sache des Proletariats der ganzen Welt, des revolutionären Sozialismus. Der definitive Sieg Preußens würde Elend und Sklaverei bedeuten, Milliarden, die das Arbeitervolk zu bezahlen hätte.

"Frankreich als Staat ist verloren. Es kann sich nicht mehr retten durch die gewöhnlichen Mittel. Am natürlichen Frankreich, am gesamten französischen Volk ist es jetzt, die Bühne der Weltgeschichte zu betreten, seine Freiheit, die von ganz Europa zu retten durch eine ungeheure Erhebung außerhalb jeder administrativen Organisation, jeder zentralen Regierung. Und Frankreich, wegfegend von seinem Territorium das Heer des Königs von Preußen, wird gleichzeitig alle Völker Europas befreit, die soziale Emanzipation des Proletariats vollbracht haben."

Bakunin nach Lyon

Bakunin war ein Mensch, bei dem nichts bloßer Gedanke sein konnte. Sobald nur eine Spur von Möglichkeit vorlag, mußte er auch gleich zur muskulären Aktion übergehen. Er setzte sich zuerst brieflich mit seinen französischen Freunden in Verbindung, und Anfang September machte er sich trotz seiner 56 Jahre auf nach Frankreich, um im Sinne seiner Ideen zu wirken. Auf Einladung seiner Freunde begab er sich am 15. September 1870 nach Lyon. Es ist hier nicht der Ort, die Ereignisse vom 26. bis 28. September in Lyon ausführlich zu beschreiben. Sie verliefen trotz günstigen Anfangs entsprechend der Unentwickeltheit der psychischen und materiellen Voraussetzungen, nur zu Beginn günstig, nahmen aber nach kürzester Zeit ein schlimmes Ende.

Bakunin, der im Stadthaus gefangen genommen worden war durch die Nationalgarden, und den seine Freunde befreiten, begab sich nach Marseille, wo er sich vom 30. September bis zum 24. Oktober aufhielt. Er suchte auch dort eine Erhebung zu organisieren; aber die Umstände waren ungünstig geworden und er mußte sich entschließen, sich nach Genua einzuschiffen, von wo er nach Locarno zurückkehrte. Einige Tage nach seiner Abfahrt brach der Aufstand aus: die revolutionäre Kommune wurde am 1. November in Marseille proklamiert, konnte aber nur vier Tage das Stadthaus halten.

Damit man sich auch von dem aktiven Eingreifen von Bakunin bei solcher Gelegenheit eine Vorstellung mache, geben wir den Aufruf des revolutionären Komitees von Lyon (26. September) wieder, der ganz den Geist von Bakunin atmet und den er mitunterschrieben hatte:

Französische Republik,

Revolutionäre Föderation der Gemeinden.

Die unheilvolle Lage, in der sich das Land befindet, die Ohnmacht der offiziellen Mächte und die Gleichgültigkeit der privilegierten Klassen haben die französische Nation an den Rand des Verderbens gebracht.

Wenn das revolutionär organisierte Volk nicht schleunigst handelt, ist seine Zukunft verloren, ist die Revolution verloren, ist alles verloren. Unter dem Eindruck der ungeheuren Gefahr und in der Überzeugung, daß die verzweifelte Aktion des Volkes um keinen Augenblick verzögert werden darf, schlagen die Delegierten der vereinigten Komitees zur Rettung von Frankreich vor, sofort folgende Resolution anzunehmen:

1. Die Verwaltungs- und Regierungsmaschine des Staates, die machtlos geworden ist, ist abgeschafft. Das französische Volk nimmt von sich selbst Besitz.

2.. Alle Straf- und Zivilgerichte werden aufgehoben und durch die Volksgerichtsbarkeit ersetzt.

3. Die Bezahlung von Steuern und Hypotheken ist unterbrochen. Die Steuer wird ersetzt durch die Abgaben der föderierten Gemeinden, die erhoben werden von den Reichen, nach Bedarf der Summen, die nötig sind zur Rettung von Frankreich.

4. Da der Staat nicht mehr existiert, kann er sich nicht hineinmischen bei der Bezahlung von Privatschulden.

5. Alle bestehenden Gemeindeverwaltungen sind kassiert und in allen föderierten Gemeinden ersetzt durch die Komitees zur Rettung von Frankreich, die alle Macht ausüben unter der unmittelbaren Kontrolle des Volkes.

6. Jedes Komitee einer Departementshauptstadt ordnet zwei Delegierte ab zur Bildung des revolutionären Konvents zur Rettung von Frankreich.

7. Dieser Konvent vereinigt sich sofort im Stadthaus von Lyon.

Man weiß, daß Marx und Engels versucht haben, die Lyoner Bewegung und Bakunins Anteil an ihr lächerlich zu machen. Der "Volksstaat" ging noch weiter. Unmittelbar nach diesen Ereignissen würdigte er die erwähnte Proklamation durch folgenden Satz: "Jedenfalls hätte die obige Proklamation im Berliner Preßbureau nicht passender für Graf Bismarck gemacht werden können."

Nach dem Lyoner Aufstand begann bei Bakunin etwas Neues aufzutauchen. Sein großer Glaube an eine nahe Revolution war von da an ins Wanken geraten. Als er aus Frankreich zurückkehrte, kam er ohne Glauben an Frankreich zurück. Der war in Frankreich abgestorben. Er glaubte nicht mehr an das revolutionäre Frankreich. Sogar das Volk schien ihm doktrinär und kleinbürgerlich. Mit einer tiefen Enttäuschungsstimmung im Herzen begab er sich nach Locarno zurück. Er ahnte und glaubte widerwillig, daß der Bismärckische Geist stärker wäre in Europa oder doch in Deutschland und in Frankreich, als der Geist der Revolution. Es schien ihm nicht nur Frankreich, sondern die Idee der Revolution besiegt oder doch auf lange Jahre niedergeschlagen durch Frankreichs Niederlage. Denn die Niederlage von Frankreich, das war ihm nicht die Nieder-Jage des französischen Staates, sondern des französischen

Volkes. Er hatte erwartet, das Volk werde aufstehen und sich gegen die eigene neue Regierung nicht minder wehren als gegen die preußischen Regierungssoldaten. Als dies nicht geschehen, sagte er dem Gedanken an eine nahe Revolution Lebewohl und sah vor sich, vor Europa, eine Zeit schwerster militärischer und bureaukratischer Reaktion, die vielleicht Jahrzehnte dauern würde. Mit seinem Glauben schwand auch das Gefühl der Sicherheit und der Kraft. Das äußerte sich in seiner Stellungnahme zu den Angriffen seiner Feinde. In der Taktik von Marx sah er einen der Faktoren, die die revolutionäre Entwicklung des Volkes hintanhielten. In dem Augenblick, wo er an die Fähigkeit des Volkes zur Revolution weniger glaubte, in diesem Augenblick wurde ihm die Erweckung zu der Revolutionsidee wichtiger als je. Wie Marx in Bakunin einen Störer seiner Propaganda-Arbeit gesehen, so sah nun Bakunin in Marx und in den Marxschen Auffassungen die Einschläfer des revolutionären Bewußtseins der Massen. Er sah, daß es nicht nur die äußeren Widerstände gewesen, die in Frankreich die Revolution verhindert, daß die Unreife des Volkes der viel wichtigere Faktor war. Und nach seiner Auffassung ertötete die Marxsche Propaganda das Volksbewußtsein, anstatt es zu erwecken. In dem Augenblick, wo Bakunin das sah, mußte er auch allé seine Kraft darauf konzentrieren, die Marxsche Auffassung zu bekämpfen. — Nach seiner Rückkehr machte er sich daran, in einem theoretischen Werke diesen Standpunkt darzulegen. So entstand der erste Teil seines Werkes "Das Knutogermanische Kaiserreich und die soziale Revolution" (das eigentlich eine Fortsetzung seiner "Briefe an einen Franzosen" ist).

Lyon war ein entscheidendes, großes Erlebnis in Bakunins Entwicklung. Von da an sah er die Welt anders. Nicht daß er etwa erlahmt wäre in der Revolutionsarbeit, nicht daß Wollen und Ziele sich irgendwie geändert hätten. Davon konnte keine Rede sein. Er war immer voll von dem Ideal der grenzenlosen Freiheit und schrankenlosen Entwicklung. Aber es begann ihm zu scheinen, daß es die Menschen nicht so gar fürchterlich eilig hätten mit der sozialen Revolution. Es schien ihm, sie möchten gern noch manches Mittags- und auch Nachmittagsschläfchen machen, bis sie der Sklaverei müde würden und sich erinnerten an ihre Menschenwürde. Je mehr er in den Menschen bedächtige, allzugemütliche Wesen sah, um so mehr mußte es ihm freilich

wichtig scheinen, daß man sie am Zipfelchen der Schlafmütze zog und ihnen half, die Augen auszureiben, wenn sie es denn schon nicht selber machen wollten. Nun, dies Geschäft schien ihm Marx weniger als alle anderen zu besorgen. Der nahm ja Rücksicht auf die Schläfrigkeit der Menschen, wollte mit ihnen wirtschaften, so wie sie nun mal waren. Und dieses Wirtschaften mit dem Menschen, wie er war, das war gar nicht die Sache von dem stürmischen Michael Bakunin. Er sah ein, daß er die moralischen Vermögensverhältnisse des Volkes zu hoch eingeschätzt. Aber bei seinem Wesen hatte das eine ganz andere Bedeutung, als wenn Marx zu einer solchen Einsicht kam. Für Bakunin hieß das, daß es nun keine wichtigere Arbeit gäbe als zu wecken, zu wecken und nochmals zu wecken und alle Einschläfer zum Teufel zu jagen. So sehen wir Bakunin grad dann, als er anfing, enttäuscht zu werden, in ein eigentliches Arbeitsfieber hineingeraten. Es schien, als ob er der Arbeit nicht genug tun könnte. Er schrieb für den Druck, er schrieb ermunternde und erklärende Briefe an alle, die er als seine Freunde ansah, und im April 1871, zur Zeit der Pariser Kommune, begab er sich zu seinen jurassischen Freunden.

Jurassier und Krieg

Als der Krieg kam, änderte sich im Jura die ganze Situation. Viele Mitglieder der Internationale hatten in den Militärdienst gehen müssen, andere waren durch die industrielle Krise, die der Krieg im Gefolge hatte, aufs Pflaster geworfen worden und dadurch außerhalb der Bewegung geraten. Die Zeitung der Jurassier mußte gerade in diesem wichtigen Zeitpunkt eingehen wegen Konfiskation und wegen Abnahme der Abonnenten.

Zudem war man bedrückt durch das Gefühl, daß gerade im wichtigsten Momente keine Einigkeit herrschte in der romanischen Schweiz, und die Jurassier gaben sich alle Mühe, zu versöhnen und zu vermitteln. Ihre Vorschläge waren klug und gerecht, auch vom Standpunkte der Gegner. Sie wollten die Gegner leben lassen, begriffen, daß man verschiedene Anschauungen in guten Treuen haben könne; aber die Gegner waren nun einmal auf Kriegspfaden und wollten schon prinzipiell von Versöhnung nichts wissen. Sie wollten die Unterwerfung der Jurassier und die Vertilgung dessen, was sie Bakuninschen Geist, was sie

allianzistisches Gesindel nannten. Es ist rührend zu sehen, wieviel Mühe die Jurassier sich gaben und wie Utin und Konsorten dafür einfach keinen Sinn hatten. Die Jurassier sprachen zu den Utin und Konsorten wie das Lamm in der Fabel zum Wolf.

Absicht war es, die Jurassier zu vernichten und nicht, mit ihnen sich gegen den gemeinsamen Feind auf der anderen Seite der Barrikade zu vereinigen. Das war dem Wichtigtuer Utin nie im Traum eingefallen. Er hatte, wie alle bornierten Leute, ein kleines fixes Ideechen, und für das wollte er wirken, das sollte ihm Bedeutung verschaffen, ob dabei die Bewegung in die Brüche ging, darauf war ei nicht bedacht.

Für Utin und Konsorten war jede Aktion der Jurassier ein Anlaß, ihnen einen Strick zu drehen; den Utins kommt j.a nie etwas Positives in den Sinn. Sie konnten nur das kritisieren, was andere machten. So standen Utin und Konsorten nur wie Zeitungsschreiber hinter dem Haag, um eine jede Handlung der Jurassier zu verunglimpfen, sie in den Augen der Arbeiterschaft herabzusetzen.

Der Aufstand vom 4. September in Paris, der das Kaisertum stürzte, ließ einen Augenblick glauben, daß das Volk die Oberhand gewonnen habe und daß eine soziale Revolution ganz Frankreich galvanisieren werde. Berichte von Paris hatten die Jurassier glauben 'lassen, daß es sich wirklich um eine Volksrevolution handle und aus dieser Überzeugung heraus und getreu den Verpflichtungen, die sie auf sich genommen, publizierte ihr Organ, die "Solidarité" in Neuenburg, ein Manifest des Inhaltes, daß man sich sofort bewaffnen und marschieren müsse, daß der Augenblick gekommen sei, sein Leben hinzugeben für die Befreiung der Arbeiterschaft. Einige Stunden später, als das Manifest schon gedruckt und der Post übergeben war, erfuhren die Jurassier durch neue Telegramme und die Zeitungen, daß es nicht die Internationale sei, welche die Pariser Bewegung leite, und daß die Regierungsgewalt auf die Parlamentarier der Linken und den Orleanisten Trochu übergegangen sei.

Utin nun beutete den Irrtum der Jurassier, der einem der Situation nicht entsprechenden Bericht seine Entstehung verdankt, sofort polemisch aus. Er und andere Gegner der Jurassier stellten die Sache so dar, als ob die Jurassier, als sie ihr Manifest abfaßten, wirklich hätten wissen können oder gewußt hätten, daß. die Republik vom 4. September

eine bürgerlich-antisozialistische Republik sei und als ob sie die Internationale hätten auffordern wollen, eine Regierung mit dem Schwerte in der Hand zu verteidigen, die an ihrer Spitze Männer hatte, die teils Orleanisten waren, teils geholfen hatten, die 1848er zu proskribieren.

Utin und Konsorten füllten nicht nur ihre Zeitungen, sondern auch die der Bürgerlichen mit Protesten, worin sie die Jurassier mit Schimpfworten bewarfen, die man in einem anständigen Buche nicht wiedergeben kann. Gleichzeitig erklärten sie ihre Neutralität zu Krieg, zu sozialer Revolution. —

Zum zweitenmal wurden die Jurassier vom Fieber ergriffen, als der Kommune-Aufstand in Paris ausbrach, der das letzte Glied in der Kette der Aufstandsbewegungen war, die mit der Erhebung in Lyon und. Marseille begonnen und die nicht weniger bedeuteten als einen Versuch, das föderalistisch-antiétatistische Programm in Wirklichkeit umzusetzen. Sie sandten gleich zu ihren Freunden nach Paris, um zu wissen, welcher Natur die Pariser Bewegung wäre, machten alles mögliche, helfend einzugreifen, und verlangten zu diesem Zwecke 30000 Frcs. von den Kommunarden (es handelt sich, zwei- oder dreitausend Mann, meist Garibaldianer, in der Umgebung von Genf zu versammeln und zu bewaffnen, um von dort aus auf Lyon zu marschieren), die ihnen aber nicht bewilligt wurden. Obwohl sie sahen, daß es sich nicht um den Beginn der sozialen Revolution handle, fühlten sie doch die ganze Gewalt des Ereignisses, und mit Zittern und Beben, schwankend zwischen Hoffnung und Furcht, verfolgten sie die Entwicklung der Pariser Kommune.

Sie wagten zwar nicht, auf den Sieg derselben zu hoffen, aber doch darauf, daß die drohenden Aufstände anderer Gemeinden Frankreichs den Pariser Kommunarden einen ehrenvollen Friedensabschluß mit den Versaillern erwirken würden.

Fall der Pariser Kommune

Am 21. Mai 1871 drangen die Versailler in Paris ein, durch Verrat, und es begannen die heldenmütigen, aber hoffnungslosen Straßenkämpfe der Pariser Kommunarden, nachdem man sich schon sieben Wochen außerhalb der Stadt mit dem Feind geschlagen. Die Blüte des europäischen Sozialismus und der Revolution wurde vernichtet; wieder einmal hatte die Vergangenheit über die Zukunft

gesiegt. Es war für alle Revolutionäre von Europa der schlimmste Tag ihres Lebens, den sie beim Eintreffen dieser Nachricht durchmachen mußten. Nicht nur die Idee erlitt eine Niederlage; die nächsten, die liebsten Freunde verloren sie, ihre besten Brüder und Schwestern. Die revolutionäre Familie wurde Tausender, Zehntausender ihrer besten Mitglieder beraubt. Es waren Tage, die nicht enden wollten, als Stunde für Stunde die Schreckensnachrichten einliefen. Die nächsten Menschen starben und der Glaube an die Revolution starb mit ihnen. Das Beste, was man gehabt, war dahin. Das Leben schien seinen Inhalt zu verlieren, nichts mehr als Kummer, Trauer und unendliche Leere in sich zu schließen. Wer die Zeiten nicht erlebt, kann sich vielleicht eine Vorstellung von der Wirkung des Falles der Kommune machen, wenn er einmal einen jener Überlebenden geschaut, wenn in seiner Nähe das Wort "Kommune" fiel. Wenn er jenen Augenblick erlebt, nach dem er es nie mehr wagen würde, vor diesen Menschen das Wort auszusprechen. Denn es schien, daß die bis dahin Revolutionsgläubigen im ersten Moment nach der Kommune erstarrten, daß alles Leben, alles menschliche Fühlen aus ihnen floh, daß es kein Licht mehr gab, das sie erleuchtete und erwärmte, daß sie das Haupt der Meduse geschaut und ihnen jede Lust 'zur Bejahung des Lebens schwand, daß sie gleichmütiger gegen alles Lebendige wurden, daß das Leben selbst ihnen einfror und erstarrte. Manch einer ist für Jahrzehnte hinaus erstarrt, mancher ist leiblich gestorben, bevor er seelisch wieder erwachte. Und wie es einzelnen erging, ging es dem ganzen Proletariate Frankreichs. Es mußte erst lange Zeit vergehen, bis es wieder ganz langsam erwachte. Dem ganzen europäischen Proletariat aber entschwand der Glaube an die Nähe der Erlösung.

Als die Nachrichten von der Niederlage aus Paris kamen, die Telegramme über die fürchterlichen Metzeleien, welche die Versailler anrichteten, konnte James Guillaume nicht mehr an sich halten und brach in ein verzweifeltes Schluchzen aus; Bakunin sah weniger die entsetzliche Trauer in dem Ganzen, als 'die heldenmütige Tapferkeit, schlug mit seinem Stocke auf den Tisch und rief triumphierend: "Nun ja, das sind Männer." Marx setzte sich hin und schrieb eine kurze, gute, aber etwas abstrakt gehaltene Broschüre über den Bürgerkrieg in Frankreich, von der Bakunin sagt: "Der Eindruck des kommunistischen Aufstandes war so

gewaltig, daß selbst die Marxisten, deren Ideen alle durch diesen Aufstand über den Haufen geworfen worden waren, sich gezwungen sahen, vor ihm den Hut abzuziehen. Sie taten noch mehr: im Widerspruch mit aller Logik und mit all ihren eigensten Gefühlen machten sie das Programm der Kommune und ihr Ziel zu dem ihrigen. Es war eine komische, aber erzwungene Travestie. Sie mußten sie machen, sonst wären sie abgestoßen und von allen verlassen worden, so mächtig war die Leidenschaft gewesen, die diese Revolution in der ganzen Welt hervorgerufen hatte."

Ch. Perron, James Guillaume, Schwitzguébel, Gustave Jeanneret und andere organisierten vorerst die Hilfe für die Flüchtlinge der Kommune. Bakunin kehrte nach Locarno zurück und arbeitete an seinem Buch und seiner Propaganda weiter, und Marx holte durch die Vorbereitung der Londoner Konferenz aus zu einem großen Schlage gegen die "Bakunisten". Es schien ihm, die Zeit für seinen endgültigen Sieg über Bakunin und den Bakuninschen Geist sei herangereift, weil "das Schwergewicht der Arbeiterbewegung nunmehr aus Frankreich nach Deutschland verlegt war", das sicherlich keine Bakuninsche Ader in sich hatte.

Auflösung der Genfer "Allianz-Sektion"

Auch während des Deutsch-Französischen Krieges wurde die Intrige gegen Bakunin weitergesponnen. Die zentrale Genfer Sektion der Internationale schloß Bakunin und drei seiner Freunde auf Antrag von Utin aus (13. August 1870), und den Kongreß der Internationale für das Jahr 1870 verschob Marx aus Furcht, daß die Bakuninsche Richtung die Oberhand gewinnen könnte, um so mehr, als Marx wußte, daß die Belgier, Spanier, Italiener für seinen Feind, den Föderalismus, sich ins Zeug legen würden. Aus einem Briefe von Marx geht hervor, daß er darauf drängte, daß seine russischen Freunde mit einer geharnischten Broschüre gegen Bakunin ins Feld ziehen sollten.

Man weiß, daß die Genfer Allianz-Sektion vom Generalrat in die Internationale aufgenommen (18. Juli 1869) und sogar durch einen Delegierten auf dem Basler Kongreß vertreten worden war, Ihr Aufnahmegesuch in die romanische Föderation war bekanntlich die Ursache oder doch Veranlassung zur Trennung in der romanischen Föderation geworden, und nun hätten die Genfer mit Utin gern auch noch die Mitgliedschaft der Allianz-Sektion in der

Internationale annulliert. Sie behaupteten deshalb kühn, daß die Allianz-Sektion überhaupt nie vom Generalrat aufgenommen worden sei, und als die Sektion die schriftliche Bestätigung vorzeigte, so standen Utin und Konsorten gar nicht an, zu behaupten, daß der Brief des Sekretärs des Generalrats vom 28. Juli 1869 und der Brief des korrespondierenden Sekretärs für die Schweiz vom 25. August 1869 einfach Falsa seien. Das war ein bißchen stark; aber auch der Generalrat benahm sich recht sonderbar in der Affäre. Als ihn die Allianz-Sektion bat, durch Paul Robin, er möge erklären, daß die Briefe, welche ihre Aufnahme bestätigten, echt seien, zögerte er endlos lang mit der Antwort, gab sie überhaupt erst nach starkem Sträuben.

Da die Mitglieder der Allianz-Sektion glaubten, sie würden einen unnötigen Zankapfel beseitigen dadurch, daß sie ihre Sektion auflösten, so taten sie dies ohne weiteres und aus freien Stücken, nachdem sie vom Generalrat die Erklärung erhalten hatten, daß sie wirklich seinerzeit und regelrecht in die Internationale aufgenommen worden seien. Es zeigt das nur, wie gutmütig die Leute waren. Am 6. August 1871 ging deshalb die Allianz-Sektion ein.

Bakunin, der in Tessin war, hatte von dem Projekt der Auflösung der Allianz-Sektion durch einen Brief erfahren; er war darüber sehr ungehalten und begründete seine Auffassung in folgenden Worten:

"Glaubt Ihr wirklich, daß die Internationale auf einem solchen Punkt angekommen sei, daß man in ihr nur noch leben, atmen, handeln kann, wenn man sich erniedrigt, diplomatisch tut, feig ist, intrigiert? Wenn es so wäre, müßte man sie schnell auflösend als eine bürgerliche, durch bürgerlichen Geist verkommene Organisation. Aber wir wollen sie nicht in der Weise beleidigen. Nicht die Internationale, sondern wir sind schlecht geworden, feig und schwach, In Überzeugung unseres Rechts haben wir geschwiegen wie kluge Märtyrer, während wir die Verleumdet hätten an den Pranger stellen und ihnen alles zurückgeben sollen.

... Das ist die Politik des Herrn Jesus Christus, die Politik der Geduld, der willkürlichen Erniedrigung, der Verzeihung der Beleidigungen. Erweicht das unsere Feinde? Keine Rede. Sie profitieren daraus, uns noch gründlicher zu beleidigen und zu beschmutzen. ... Was soll man tun? Ein einziges bleibt: Unsern Kampf in der Helle des Tages ausfechten."

Als Bakunins Brief nach Genf kam, war die Allianz-Sektion schon aufgelöst. An ihrer Stelle entstand ein Monat später eine neue Sektion der Internationale unter dem Namen: "Sektion der revolutionären Propaganda und Aktion", gegründet durch einige ehemalige Mitglieder der Allianz-Sektion und durch Kommune-Flüchtlinge.

Die Londoner Konferenz (17.-23. Sept. 1871)

Anstatt den Generalkongreß der Internationale im September 1871 nach London oder irgendeiner anderen Stadt zu berufen (nachdem schon 1870 kein Kongreß stattgefunden hatte), hatte der Generalrat eine geschlossene Konferenz von sorgfältig erlesenen Delegierten einiger Gruppen der Internationale auf den 17. September 1871 nach London berufen, um endgültig Stellung zu nehmen zu den schwebenden Konflikten. Zu dieser Konferenz erhielten die Jurassier keine Einladung. Sie erfuhren überhaupt erst durch dritte Personen, daß eine solche stattfinden sollte. Eine Umfrage bei den Sektionen der Jurassier, ob man trotzdem einen Delegierten senden wolle, ergab ein negatives Resultat. Besonders ökonomische Gründe waren dafür maße gebend. Dagegen richtete das Komitee einen Brief an die Konferenz, dessen wichtigste Stellen wir wiedergeben:

"1. Es widerspräche den elementarsten Regeln der Gerechtigkeit, sich gegen eine Föderation auszusprechen, der man nicht die Möglichkeit gegeben, sich zu verteidigen.

2. Ein Beschluß, dahin gehend, daß unsere Föderation aufgehoben werden solle, hätte die schlimmsten Folgen für das Bestehen der Internationale in unserer Gegend.

3. Nur ein statutengemäß einberufener Kongreß der Internationale kann über eine so weitgehende Sache, wie es die Trennung der romanischen Föderation ist, kompetent entscheiden.

Wir verlangen deshalb, daß die Konferenz einfach beschließe, der Generalrat habe eine ernste Untersuchung zu machen über den Konflikt in der romanischen Föderation und diese dem nächsten Kongreß der Internationale vorzulegen."

Die Londoner Konferenz war ein Versuch, die Ansichten von Marx und seiner Gesinnungsgenossen auf mehr oder weniger sanfte Weise zum gemeinschaftlichen Eigentum der ganzen Internationale zu machen und ihr die Aufgabe zuzuweisen, Bakunin, und überhaupt alle, welche anders dachten als die allein Rechtgläubigen, unschädlich zu

machen. Auf diesen Zweck hin erfolgte die Zusammensetzung der Konferenz, und wenn etwa doch noch ein räudiges Schäfchen sich ihr beigesellt hatte, so war das mehr ein Zufall, als im Plane des Werkes gelegen. Für Abstimmung und Beschlußfassung im Sinne des Generalrates war übrigens im vornherein dadurch gesorgt, daß der Generalrat in der Konferenz die Mehrheit hatte.

Er lieferte 13 Mitglieder zu derselben, wogegen der übrigen Delegierten nur 10 waren. Die Konferenz konnte deshalb, wie Jäckh sagt, mit komprimierter Energie arbeiten, zu Beginn muckste zwar noch ein französisches Mitglied des Generalrats auf, um sich der Jurassier anzunehmen, aber sein Aufmucksen wurde mit einem so lebhaften und energischen Staunen aufgenommen, daß er nicht mehr lange in dem Ding blieb und später auch formell aus dem hohen Rate ausgeschlossen wurde, wegen Beleidigung der Konferenz. Nach diesem Zwischenfall konnte die Konferenz denn auch ungestört arbeiten und den juridischen Überbau zu Marxens Anschauungen festlegen; d. h. die genaue Redaktion der Beschlüsse ließ sich der Generalrat von der Konferenz als seine Aufgabe zuweisen. Die Konferenz hatte somit nur dem Sinn nach zu beschließen.

Wichtig war es für die Marxisten, daß die Kompetenz des Generalrates ein für allemal ordentlich gekräftigt werde. "Um allen desorganisierenden Tendenzen entgegenzuarbeiten, hielt es Karl Marx für geraten, die Organisation straff zentralistisch zusammenfassen, die Befugnisse des Generalrates, der Föderalräte und der Sektionen genau zu präzisieren und dabei dem Generalrat noch ausgedehntere Vollmachten gegen widerstrebende Organisationen zu geben, als dies schon der Basler Kongreß — damals auf Verlangen von Bakunin und seiner Gesellen hin — getan hatte." (Jäckh.) Man wird nur von seinen Freunden gründlich verraten, Was hier Jäckh, der offizielle Geschichtsschreiber der Marxistischen Internationale, sagt, können wir Wort für Wort auch bei James Guillaume bestätigt finden. D'as war eben das, was man im gewöhnlichen Leben Autoritatismus nennt. Daß Bakunin in Basel denselben zugunsten von Marx begünstigt, widerspricht der Tatsache nicht. Marx fand, es sei nötig, die Mitglieder der Internationale durch einen starken Generalrat regieren zu lassen, natürlich im Interesse der guten Sache. Niemand wird das in Abrede stellen. Alle aufgeklärten Despoten haben immer so gehandelt und ihr Handeln motiviert.

Marx war ein überzeugter Anhänger der politischparlamentarischen Aktion und betrachtete es als einen schweren Fehler, als einen der größten Irrtümer von Bakunin und der Jurassier, daß sie der Wahlaktion sich enthielten. Übrigens hatten die früheren Kongresse die politische Aktion befürwortet. In den Statuten der Internationale war festgelegt worden, "daß die ökonomische Emanzipation des Proletariats das große Ziel sei, dem jede politische Aktion als Mittel untergeordnet werden müsse".

In dem Kampfe der beiden feindlichen Richtungen spielten Fassung und Interpretation des Paragraphen, der sich mit diesem Punkt beschäftigt, eine große Rolle; wir müssen deshalb, selbst auf die Gefahr hin, den Leser zu langweilen, detailliert die Geschichte des Paragraphen erzählen.

Die Statuten der Internationale, die in London im Oktober 1864 durch das Subkomitee (wo Marx die Feder geführt hatte) englisch redigiert worden waren, enthielten eine folgendermaßen gefaßte Erwägung: "Daß die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse deshalb (d. h. weil die ökonomische Unterwerfung des Arbeiters unter den Monopolisten der Arbeitsmittel die Ursache aller Knechtschaft sei, alles sozialen Elends, aller geistigen Verkümmerung, aller politischen Abhängigkeit) das große Ziel sei, dem jede politische Bewegung als Mittel (as a means) untergeordnet sein müsse." Als das Pariser Komitee, im Dezember 1864, eine französische Übersetzung dieser provisorischen Statuten druckte, ließ es die englischen Worte as a means aus und die Erwägung erhielt folgende Form: "Daß aus diesem Grunde die ökonomische Emanzipation der Arbeiter das große Ziel ist, dem jede politische Bewegung untergeordnet werden müsse." (Que, pour cette raison, l'émancipation économique des travailleurs est le grand but auquel doit être subordonné tout mouvement politique.) Als der Generalrat das Pariser Komitee um den Grund dieser Auslassung gefragt hatte, antwortete dieses, es habe vermeiden wollen, der Internationale den Anschein einer politischen Gesellschaft zu geben, da dieser Anschein als Vorwand gedient hätte für die kaiserliche Polizei, die Assoziation zu verbieten; diese Erklärung wurde für genügend' erachtet durch den Generalrat. Auf dem ersten allgemeinen Kongresse (Genf 1866) wurden die provisorischen Statuten definitiv in drei Sprachen angenommen durch die 46 Delegierten der Internationale: die 5 Delegierten des Generalrats

(3 Engländer, 1 Schweizer, 1 Deutscher) stimmten ab nach dem englischen Text; die 18 Delegierten der französischen Sektionen und die 14 Delegierten der welschschweizerischen Sektionen stimmten ab nach dem französischen Text von Paris; die 9 Delegierten deutscher Zunge (deutsche Schweiz und Deutschland) stimmten ab nach einer deutschen Übersetzung, die Marx besorgt hatte. In diesem Zeitpunkt ahnte niemand (außer drei bis vier Eingeweihten im Generalrat), daß es irgendeinen Unterschied gebe zwischen dem französischen Text (der offiziell angenommen wurde durch den Kongreß in gleicher Linie, wie die beiden anderen) und dem englischen Originaltext.

Übrigens existierte der Unterschied nur bis zum März 1870. Da zu dieser Zeit die Pariser Sektionen eine Neuausgabe der Generalstatuten zu publizieren hatten (die erste war erschöpft), bemerkte Lafargue zu Robin (der die Korrekturen zu besorgen hatte), daß die englischen Worte as a means ausgelassen wären in der französischen Version und verlangte, daß sie in folgender Form wieder hereinkäme: Comme un simple moyen (als ein einfaches Mittel). Robin beeilte sich, dem Verlangen von Lafargue Genüge zu leisten, da er demselben keinerlei Bedeutung zuschrieb. In der Pariser Neuausgabe der Statuten erhielt der Passus also folgende Form: "Que pour cette raison, l'émancipation économique des classes ouvrières est le grand but auquel tout mouvement politique doit être subordonné comme un simple moyen." In dieser Form wurde von 1870 an die Erwägung immer abgedruckt, in Frankreich und der welschen Schweiz; Bakunin selbst zitierte sie in dieser Form im Juli 1871 in seiner berühmten "Antwort eines Internationalen an Mazzini". Die Jurassier sahen in diesem Text nur eine Erklärung über die Unterordnung der politischen Bewegung unter die ökonomische; ihre Zeitung, die "Solidarität", hatte bei der Kommentierung dieses Textes (Nummer vom 23. Juli 1870) geschrieben: "Wir haben so gut die politische Bewegung der ökonomischen untergeordnet, daß wir uns entschlossen haben, uns ganz und gar nicht mehr abzugeben mit nationaler Politik. Das gleiche taten die Belgier, Franzosen, Spanier, Italiener, Österreicher und Russen. Die Genfer dagegen scheinen uns die ökonomische Bewegung der politischen unterzuordnen, und das ist eine offensichtliche Verletzung der Statuten."

"Wir waren himmelweit davon entfernt, zu denken" —

schreibt James Guillaume in seiner "Internationale" —, "daß eines schönen Tages jemand die Worte as a means in anderer Weise interpretierte und behauptete, in ihnen zu entdecken, daß sie den Sozialisten die Pflicht auferlegen, Wahlpolitik zu betreiben, bei Androhung des Ausschlusses. ... Außerdem hatten wir dadurch, daß wir ohne Einrede 1870/71 die Version des Generalrates für das dritte Alinea der Erwägungen annahmen, genügend gezeigt, daß wir der Anwesenheit oder Abwesenheit der Worte "als Mittel" oder "als einfaches Mittel" keinerlei Bedeutung zuschrieben, da wir kehle Ahnung hatten von der speziellen Bedeutung, die Marx und seine Getreuen diesen Worten zuschrieben."

Aber Marx und Engels waren entschlossen, die Londoner Konferenz dazu zu benutzen, diesem Text eine Interpretation zu geben, die die Sanktion ihrer Taktik bedeutete, und die Gegner zu Ketzern und Schändern der Grundstatuten stempelte. Sie ließen deshalb an der Konferenz eine Resolution genehmigen, die folgendermaßen schließt: "In Erwägung, daß gegen die kollektive Gewalt der besitzenden Klassen das Proletariat als Klasse nur dann auftreten kann, wenn es sich als besondere politische Partei konstituiert, im Gegensatz zu allen alten Parteibildungen der besitzenden Klassen; daß diese Konstitution des Proletariats als politische Partei unerläßlich ist, um den Triumph der sozialen Revolution und ihres Endzieles — Abschaffung der Klassen — zu sichern; daß die Vereinigung der Kräfte der Arbeiterschaft, die schon erreicht worden ist durch die ökonomischen Kämpfe, auch als Hebel dienen muß für die Masse dieser Klasse in ihrem Kampf gegen die politische Macht ihrer Ausbeuter: ruft die Konferenz den Mitgliedern der Internationale in Erinnerung, daß in dem Kampfzustand der Arbeiterklasse ihre ökonomische und ihre politische Betätigung untrennbar verbunden sind."

Nach Ansicht von Guillaume und seiner Gesinnungsgenossen war die Auffassung von Marx und den französischen Blanquisten, die sich ihm angeschlossen hatten, im Widerspruch mit der Grundlage, auf der die Internationale gegründet worden war. Die Grundlage war weitherzig und realistisch gewesen, und nun wollte Marx sie einengen und der Internationale eine bestimmte Doktrin aufdrängen, eine einheitliche Taktik, nämlich die des Wahlkampfes mit dem Ziel der Eroberung der politischen Macht. Gleichzeitig sollte der Generalrat umgewandelt werden in eine

autoritäre Leitung, die die Aufgabe hätte, darüber zu wachen, daß die Doktrin aufrecht erhalten würde in ihrer ganzen Reinheit und daß alle Mitglieder der Internationale ihre Handlungen nach ihr einrichteten.

Zu den Beschlüssen der Konferenz, die die Macht des Generalrates verstärkten, gehörte auch der, daß der Generalrat Sitz und Zeit des nächsten Kongresses der Internationale oder der Konferenz, die ihn ersetzte, bestimmen könne. Dieser Beschluß erlaubte dem Generalrat, die Kongresse zu unterdrücken und sie durch Konferenzen zu ersetzen; er brachte begreiflicherweise die Gegner von Marx in Harnisch.

Bakunin wollte man endlich gründlich auf den Leib rücken. Utin hatte als "Staatsanwalt" schon längere Zeit Material gegen ihn gesammelt und kam -sich dabei ordentlich wichtig vor. Jetzt erhielt er den offiziellen Auftrag, ein Resumee des Netschajef-Prozesses zu Händen des Generalrates abzufassen, d. h. er sollte aus dem Netschajef-Prozeß alles herausholen, was man gegen Bakunin verwenden könnte.

Der Entstehung weiterer unbequemer Organisationen trat man in ein paar geschickten Paragraphen entgegen.

Mit den Jurassiern ging man gnädig um. Die "Braven" unter ihnen forderte man auf, sich der romanischen (Genfer) Föderation anzuschließen. Falls diese Einigung nicht möglich sei — fügte die Resolution hinzu —, "dekretiert (!) die Konferenz, daß die Föderation der Sektionen im Jura sich Fédération jurassienne nenne".

Eine solche Föderation und mit demselben Namen hatte das Organ der Jurassier schon 1870 vorgeschlagen, die Verwirklichung des Vorschlags war aber als verfrüht verschoben worden. Als die Konferenz von London die Bildung der Föderation "dekretierte", ging sie ein auf die Gedanken der Jurassier; was diese aber verletzen mußte, war, daß man sich anmaßte, ihnen durch ein Dekret einen Beschluß aufzuzwingen, der ein Akt ihres eigenen Willens sein sollte. Außerdem faßte die Konferenz eine Resolution, die gegen die Preßorgane der Jurassier sich wandte.

Marx dachte, daß diese Reformen der Gesetzgebung der Internationale genügen dürften, um den Geist der "Desorganisation" zu vernichten und seinen Anschauungen zum Durchbruch zu verhelfen. Aber bei all seiner Gelehrsamkeit und dem hohen Wert seiner Anschauungen war er doch in diesem Fall zu sehr Taktiker und trug durch

die Methode, wie er kämpfte, eher dazu bei, noch weitere Schichten der Internationale den "Unruhestiftern" in die Arme zu treiben. Er hatte gedacht, durch eine Konferenz, deren Zusammensetzung zudem noch eine "arrangierte" war, und durch das Ausarbeiten einer Anzahl von Verordnungen, organisch Gewordenes einfach aus der Welt zu schaffen. Er hatte etwas machen wollen, was eigentlich dem innersten Wesen seiner eigenen Theorie widersprach, die doch den juridischen Überbau nur, oder doch in erster Linie, als Folge einer organischen Basis betrachtete. Er war in dem Irrwahn befangen, Bakunin sei die Ursache jenes Geistes, wie er vor allem bei den Jurassiern sich manifestierte. Marx war wohl der große Analysator der bürgerlichen Gesellschaft, aber er kannte den Geist der Internationale nicht. Oder besser, er kannte nur einen Teil dieses Geistes und dachte den andern, den entgegengesetzten, könne man durch Dekrete aus der Welt schaffen. Es war gewiß etwas Auseinandertreibendes in der Internationale, aber das war viel zu tief begründet, als daß es Dekrete hätten ändern können. Marx faßte eben die Krise in der Internationale zu wenig marxistisch auf. Es steckte in ihm außer dem wissenschaftlichen Marxisten noch der politische Putschist und Jakobiner, und diese Seite von Marx war das eigentlich Desorganisatorische, oder das die Desorganisation beschleunigende Element in der Internationale, viel mehr als die Anschauungen von Bakunin, die vielleicht bei einigem Geschick von seiten von Marx hätten existieren können innerhalb der Internationale.

Drei Kämpfertypen

Wenn wir die drei Typen der Polemik, Marx, Bakunin und Guillaume, miteinander vergleichen, so kommen wir dazu, ein paar wesentliche Unterschiede zu sehen.

Marx hat durch einen immensen Aufwand an Scharfsinn, Fleiß und Gelehrsamkeit eine bestimmte Wahrheit gefunden. Die ist für ihn der Angelpunkt, von dem aus er alle und alles beurteilt. An ihr zweifelt er nicht. Es würde ihm nicht einfallen, zu denken, daß seine Wahrheit durch individuelle Faktoren bestimmt sei. Um diese Wahrheit herum wurden von ihm in jahrelanger Arbeit die Erscheinungen der Außenwelt angeordnet. Sein System wählt sie aus der Welt aus, es bildet die Einstellung, die Absichtsvorstellung, welche die Anschauung leitet — wie der Terminus technicus der Psychologen heißt. Sein Denken geht vom Begriff

zur Anschauung. In scharfer Analyse hat er selbst diesen Prozeß an anderen, an der Gesellschaft nachgewiesen, gezeigt, wie jeder psychische Prozeß Ausfluß. des Klassenwillens ist. Aber sein starker Wille gestattet ihm die gleiche erkenntnistheoretische, wissenschaftliche Analyse bei sich selbst nicht. Seine eigene Denkform, sein Denkinhalt gelten ihm selbst als der Wissenschaft letzter Schluß. Marx als Denker wird das Opfer von Marx dem Repräsentanten des proletarischen Klassenwillens einer bestimmten Zeit und bestimmter Produktionsverhältnisse.

Jedermann, der an seinen ihm absolut gewordenen Wahrheiten zweifelt, ist ein Dummkopf, beschränkt, ungebildet oder noch am ehesten ein ganz durchtrieben schlechter Kerl, der diese Wahrheit nicht einsehen will, weil er irgendein abscheuliches Motiv hat. Entweder hält er ihn für machtlustig oder für jemanden, der ein Geschäft ökonomischer Natur machen will. Auf alle Fälle gilt er Marx nicht für überzeugbar durch Verstandesgründe. Marx sucht sich nicht unvoreingenommen in den Seelenzustand seines Gegners hineinzuversetzen, in der Weise, daß er probierte, sich seinen Gegnern vorzustellen, sich in seine gesamte Lage hineinzuversetzen, aus dessen Gesamtverhältnissen seinen "geistigen Überbau" zu verstehen. Er spricht deshalb auch nicht mit ihm über seine Ansichten, sucht sie nicht zu erläutern. Sie sind ein für allemal durch sein System begründet und bedürfen nicht einer besonderen Analyse. Wenn man so stark und jang an einem System gearbeitet, wäre ein anderes Vorgehen auch geradezu unmenschlich.

Wir werden deshalb in den Äußerungen von Marx über Bakunin und die Bakunisten wohl allerlei Schimpfwörter und Insinuationen, aber keine Auseinandersetzung sachlicher Art über den Föderalismus hören. Marx hatte eine zu große Geringschätzung nicht nur für den gehaßten Bakunin, sondern auch für das Publikum im allgemeinen, als daß er "seine Perlen vor die Säue geworfen hätte". Er läßt von Utin Material sammeln, das er selber nicht nachprüfen kann, stellt es zusammen oder läßt es zusammenstellen, und publiziert es in der Art geschickter Journalisten die ihr Publikum zwar kennen, aber nicht gerade hoch einschätzen.

Er kennt auch die Bedeutung von Dekreten und Resolutionen anerkannter Körperschaften. Er weiß, daß sie einem wenig selbständigen Publikum imponieren; darum hält er

sehr viel darauf, daß seine Ansichten von solchen Körperschaften bestätigt und paraphiert werden. Er weiß, daß sie dann leichter akzeptiert werden. Das "Arrangieren", das Vorbereiten von Kongressen und von Konferenzen war ihm eine wichtige technische Angelegenheit, auf die er viel Scharfsinn verwandte. Er achtete darauf, daß auch die rechten Leute kommen, daß die Mandatträger nicht etwa widerhaarige Menschen seien, die Anträge, welche doch die "einzig richtigen" sind, verwerfen. Er ist ein tüchtiger Kabinettchef seiner Ideen auf Erden. Und wenn etwas nicht gelingt, so hat es jeweils nur an der Hauptsache gefehlt, nämlich daran, daß er die Menschen außerhalb nicht ganz richtig einschätzte und nicht daran dachte, daß sie nicht das Maß Respekt vor Konferenz- und Kongreßbeschlüssen hatten, wie er dachte.

Auch Bakunin hatte eine fixe Idee, von der aus er alles beurteilte. Die war aber bedeutend einfacher als bei Marx. Es war die Idee der absoluten Freiheit. Bakunin war nur insofern dogmatisch, als ihm diese Idee ein unfehlbares Dogma war, etwas, das in jedem Einzelfall des Lebens durchgesetzt werden sollte, oder doch bis zum jeweiligen Optimum durchgesetzt werden sollte. Marx dachte die Entwicklungsgesetze zu kennen. Er meinte mit Bestimmtheit zu wissen, wie man jeweils zu handeln habe. Das Zutrauen von Bakunin zu allen solchen Gesetzen war äußerst minim. Er glaubte an den Satan im Leibe des Menschen, an eine wilde Kraft, die er selbst fühlte und in die ganze Natur hineinlegte. Wie sich im Einzelfall diese Kraft durchsetze, das schien Bakunin nur im Einzelfall entscheidbar zu sein. Jede Reglementierung der Zukunft durch die Wissenschaft widersprach seinem Wesen. Marx hatte seine Theorie als den Leitfaden seines Handelns. Bakunins Leitfaden war der Wille zur Freiheit, den er in sich und in aller lebendigen Substanz sah. Wer diesem Drang zur Freiheit entgegenstand, der war sein Feind und der Feind der Menschheit.

Wenn Bakunin einen Menschen beurteilte, so war sein Verhältnis zu ihm ein warmes, wenn er diesen Drang in ihm in hohem Grade verwirklicht fand; ein laues, wenn er ihn nicht fand, und ein feindliches, wenn dieser Mensch dieses Prinzip verwarf und durch weltliche oder geistige Macht es einzuschränken versuchte.

Wenn Bakunin gegen Marx persönlich wurde, so war es in diesem einzigen Punkt.

Immerfort hat er Marx als einen großen Gelehrten, als einen unermüdlichen Arbeiter ums Wohl des Proletariats betrachtet, als einen, dem es durchaus und tief ernst ist. Das betonte Bakunin sein ganzes Leben lang. Er hat das Kommunistische Manifest als erster ins Russische übersetzt, wollte das "Kapital" übersetzen, wegen seiner großartigen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft. Aber für die Idee der Unterordnung des Menschengeistes unter eine bestimmte wissenschaftliche Theorie hatte er nicht den geringsten Sinn. Und wenn die Marxsche Theorie die einzige und letzte Wahrheit ist und Marxens Politik die einzige Wahrheit war, so mußte man denen freilich recht geben, die Bakunin des Hochverrats beschuldigen, ihn eine politische Verbrechernatur und einen ganzen wüsten Desorganisator nennen. Alle diese Titel hat er reichlich, mehr als reichlich, verdient, wenn Marxens Wahrheit die einzige Wahrheit war und ist. Dann hätte es aber auch nur einen Menschen gegeben, der nicht desorganisatorisch gewirkt hätte, und das wäre der gewesen, der sich zu der Marxschen Politik verhalten hätte wie "die Leiche in den Händen des Leichenwäschers".

Bakunin bekämpfte in Marx den geistigen Despoten und Allesbesserwisser und suchte gegen diesen Marx alle mobil zu machen, was ihm bei dem starken Zauber, den seine Persönlichkeit auf andere ausübte, nicht gar schwer wurde. In seiner Polemik war er offen, ritterlich und sprach von der Sache, im Gegensatz zu Marx. Hie und da ließ er auch einen Witz, eine Satire oder einen Fluch los, aber er war ein Mensch ohne Hintergedanken.

James Guillaume, der in der Folge immer mehr in dem Kampf ins Vordertreffen geriet, war wieder an eine durchaus andere Polemik gewöhnt. Er war eigentlich ein Anarchist par excellence, in viel höherem Grade als Bakunin. Er sah in allen Menschen in erster Linie die diesen Menschen eigentümliche Persönlichkeit, und es ist gewiß kein Zufall, daß er später eine Biographie von Pestalozzi, dem Künder der freien Entfaltung der Persönlichkeit, geschrieben. Guillaume hatte immer seine festen, bestimmten Ideen, die durch viele Erfahrung im Detailleben der Bewegung entstanden waren, und er war zäh in der Verteidigung seiner Ideen. Wenn er einmal sorgfältig wägend zu einem Urteil gekommen war, so sprach er's aus und verteidigte es mit der Gründlichkeit des hochgebildeten und klaren Logikers. Und wenn er handelt, so mit einer

Ausdauer und Zähigkeit, wie sie Marx eher als Bakunin eigen war. Aber diese Zähigkeit wurde gemildert durch sein intensives Bedürfnis, den Menschen gerecht zu werden, und durch seine hohe Meinung von der Menschennatur und der Eigenart der einzelnen Menschen und Gruppen von Menschen. Es war bei ihm nicht Taktik, sondern innerstes Bedürfnis, wenn er, der doch antiparlamentarisch war, andere zu verstehen und entschuldigen suchte, wenn sie den Parlamentarismus als etwas Wichtiges und Nützliches ansahen. Er ging auf ihre Gründe ein und setzte ihnen die Gründe auseinander, weshalb er anders dächte. Ein ungeheurer Respekt vor der Persönlichkeit anderer beseelte ihn. Darum suchte er auch nie zu überreden, sondern zu überzeugen, und zwar an Hand von Materialien, sogar von vielen Details. Das macht es uns schwer, an Hand von Beispielen seine Polemik zu zeigen. Er bewies, wie der Gelehrte beweist. Da gab es keine Schlager und geistreichen Witze. Einzelheiten setzte er Einzelheiten gegenüber. Er korrigierte mit einer für den Politiker fast verhängnisvollen Gründlichkeit die falschen Angaben der Gegner. Er setzte bei allen, zu denen er sprach, auch nicht eine Spur von niederen Instinkten oder Mangel an Logik voraus. Wo nicht Gutgläubigkeit der Gegner einfach unmöglich war anzunehmen, nahm er sie an. Ein Politiker mußte Guillaume der Naivität taxieren. Man denke sich: Nicht einen Kniff wandte er an und behandelte seine Leser und Hörer, als ob Logik und Gerechtigkeit die einzigen Eigenschaften dieser Leser und Hörer gewesen wären. Ein sonderbar reiner Mensch hatte sich in ihm in die Politik hineinverirrt. Unglücklicherweise kommen diese Verirrungen nicht häufig vor. Wegen seiner Reinheit kam er diesem und jenem als Pedant vor. Für die Internationale war er dieser Eigenschaft wegen eine außerordentlich schätzbare Persönlichkeit, die es verstand, all die Gegensätze zu überbrücken, die überhaupt zu versöhnen waren.

Wirkung der Londoner Konferenz

Die Beschlüsse der Londoner Konferenz wurden die Veranlassung eines näheren Zusammenschlusses all der Elemente, die mit Marxens Taktik nicht einverstanden waren. Die Erlasse der Londoner Konferenz erregten Unwillen und bewogen die von ihnen Betroffenen, sich zusammenzutun.

Die Jurassier beschlossen auf dem Kongreß, den sie am 12. November 1871 in Sonvillier abhielten und auf dem sie sich neu organisierten und offiziell den Namen "Fédération Jurassienne" annahmen, ein Zirkular an alle Sektionen der Internationale zu versenden, des Inhalts, daß in kürzester Zeit ein internationaler Kongreß abgehalten werden sollte, um gegen die Allmacht des Generalrates und seine Kompetenzüberschreitungen vorzugehen und die Autonomie der Sektionen wieder festzustellen. In dem Zirkular wurden die Sektionen gebeten, ihre Stellung zu der Forderung der Jurassienne auseinanderzusetzen.

An dem Kongreß von Sonvillier war eine neue Genfer Sektion vertreten, die zumeist aus Kommuneflüchtigen bestand und die sich auf die Seite der protestierenden Jurassier schlug.

Sehen wir nun zu, wie sich die verschiedenen Länder zu dem Vorstoß der Jurassier verhielten.

Die Belgier faßten auf ihrem Kongreß im Dezember eine Resolution, die Generalrat wie Jurassier als in ihrer Richtung liegend auffaßten. Der weitere Verlauf und die spätere Stellung der Belgier gab aber der Interpretation der Jurassier recht. Die Belgier stellten sich in der Folge durchaus auf den Standpunkt derer, welche die Autonomie von Föderationen und Sektionen anstrebten, und machten sogar den Vorschlag, den Generalrat abzuschaffen.

In Spanien und Italien hatte Bakunin eine Reihe mit ihm sympathisierender Menschen. Italien erklärte sich rückhaltlos für die Jurassier. Und in Spanien kam es nach längeren Auseinandersetzungen zwischen einer kleinen, aber aktiven Gruppe von Marxisten, die Lafargue, der Schwiegersohn von Marx, führte, und ihren Gegnern, welche Anhänger des Prinzips der Autonomie waren und welche die überwiegende Mehrheit der spanischen Föderation bildeten, ebenfalls, wenn auch etwas später, zum Anschluß an die Proteste der Jurassier. Eine Reihe von komplizierten Verhältnissen, die in eine Geschichte der Internationale gehören, aber über den Rahmen unserer Aufgabe hinausgehen, verwirrten die Zustände innerhalb der spanischen Föderation. Hier sei nur bemerkt, daß in Spanien, im Schoße der Internationale selbst, eine spanische Geheimorganisation existierte, deren Zweck war, "in der Mitte der lokalen Arbeiterunionen dahin zu wirken, daß die Bewegung nicht eine reaktionäre oder antirevolutionäre Richtung annehme". Diese spanische Geheimorganisation, genannt die Alianza,

war 1870 in Barcelona von Sentiñon und Farga, zwei Freunden Bakunins, gegründet worden und besaß bald Gruppen in Madrid, Valencia, Sevilla, Cordoba, Cadix usw. Es war eine ganz selbständige Organisation, und keiner außerhalb Spaniens hatte die geringste Ahnung von ihrer Existenz bis 1872.

Es wäre von diesen Dingen gar nicht zu sprechen, wenn sie nicht von marxistischer Seite in ihrer Bedeutung überschätzt worden wären. Wir möchten diese Alianza etwa vergleichen einem Klub politischer Freunde, die jeweils gewisse Dinge miteinander besprechen und verabreden, bevor sie in den Kongressen und Versammlungen verhandelt werden. Der einzige Unterschied war, daß die Leute ein bestimmtes, schriftlich dargelegtes Programm hatten und eine Art geschlossener Organisation bildeten. Daß eine solche durch Statuten miteinander verbundene Gemeinschaft von Menschen wirkungsvoller ist als eine loser verbundene, ist nicht immer der Fall. Es war ganz naturgemäß, daß auch die Marxisten unter sich in enger Fühlung waren und daß sie alle wichtigen Aktionen unter sich besprachen, bevor sie in weiterem Kreise handelten. Im übrigen weiß ein jeder, der einmal sich auf parteipolitischem Gebiete betätigt, daß dem so ist, und wird deshalb auch die Vorwürfe der Marxisten gegen die Alianzisten nicht zu tragisch nehmen. Aus der ganzen aktenmäßig belegten Darstellung bei Guillaume geht auch hervor, daß es wirklich komisch ist, von einer Diktatur von Bakunin über die spanischen Alianzisten zu sprechen.

Frankreich hatte nach Krieg und Kommune eine solche Deroute der Organisation, daß ein Überblick über die dortige Stimmung nicht zu gewinnen ist. Doch ließen sich auch von dort Stimmen vernehmen zugunsten der Jurassier.

Bakunins Anteilnahme am Protest gegen die Beschlüsse der Londoner Konferenz beschränkte sich darauf, daß er sich Mühe gab, brieflich die ihm nahestehenden Genossen über die Aktion der Jurassier aufzuklären. Den eigentlichen Feldzug eröffneten aber die Jurassier von sich aus. Bakunin war stark in Anspruch genommen durch seine Polemik gegen Mazzini und durch die Arbeit an seinem theoretischen Werke.

"Angebliche Spaltungen in der Internationale"

Das war der Stand der Dinge, als die bekannte Broschüre "Angebliche Spaltungen in der Internationale" erschien

(Mai 1872). Marx, ihr Verfasser, ging von der Ansicht aus, daß die Uneinigkeiten in der Internationale nicht ökonomisch-politisch bedingt wären, sondern durch ein paar Intriganten, Bakunin an der Spitze, hervorgerufen worden seien. Da sich die Führer des Generalrats auf diesen Standpunkt stellten, kämpften sie auch nicht gegen die Ideen der Gegner, sondern gegen ihre angebliche Lebensführung. Den Ausgangspunkt der Broschüre bildete die Idee, daß Bakunin sich der Diktatur in der Internationale habe bemächtigen wollen und daß er zu diesem Zweck die Allianz der sozialen Demokratie 1868 gegründet hätte usw. usw. Es wäre ermüdend für den Leser, wenn er das ganze Sündenregister, das Bakunin aufgezählt wird, von uns nochmals aufgetischt erhielte, besonders deshalb, weil wir dann dem Leser auch alle Errata dieses Sündenregisters aufzählen müßten, und solcher Irrtümer über Tatsachen gibt es nicht wenige, ja man darf füglich behaupten, daß so ziemlich die ganze Broschüre ein Sammelsurium von Irrtümern ist, es nimmt einen nur wunder, wie man so viele Irrtümer erfinden konnte. Die Broschüre ist in ihrer Art eine Glanzleistung. Den exakten Historiker möchten wir auf sie selber verweisen; dazu möge er dann in den Erinnerungen von James Guillaume die Richtigstellungen nachlesen. Der Generalrat erklärte schon eingangs, daß der Zweck seines Werkes sei, Stellung zu nehmen zu einigen Intriganten, welche Konfusion stifteten in der Internationale. Er spricht dann weiter von Intrigen, die nicht gegen den Generalrat, sondern gegen die Internationale überhaupt sich richteten, und an deren Spitze Bakunin und die Allianz stünden. Im weiteren wird auseinandergesetzt, daß der Zweck der Londoner Konferenz darin bestanden habe, einmal Front zu machen gegen die, welche gegen die Teilnahme an politischen Wahlen seien und gegen sektiererische Sektionen, die Verwirrung stiften. Gegen die Umwandlung des Generalrates in ein bloßes Korrespondenzbureau, gegen die Wegnahme seiner Autorität wird heftig protestiert. Der Verrat zweier ehemaliger Freunde von Bakunin (Richard und Blanc in Lyon) an der Internationale wird gegen Bakunin und seine Freunde ausgenützt.

Um sich eine rechte Vorstellung von Ton, Sprache Inhalt zu machen, lese man die "Konfidentielle Mitteilung", die wir oben abgedruckt, nochmals nach, und erhebe sie in die zehnte Potenz, dann wird man eine Art blasser Vorstellung erhalten von den "angeblichen Spaltungen in der

Internationale". Es ist diese Broschüre auch für den, der ihre Errata nicht korrigieren kann, instruktiv zu lesen, denn sie zeigt einem anschaulich, bei welchem Grad von Unbrüderlichkeit man bereits angekommen war. Man wird vergebens suchen nach dem Ton des Menschen, der ruhig Tatsachen aneinanderreiht und Schlüsse aus ihnen zieht. Ein sehr bewegtes Gemüt steht hinter der Broschüre, ein Verstand, der von allem, aber nur nicht vom Geiste der Güte und Versöhnung, von aufbauendem Geist beseelt ist. Es spricht aus der Broschüre nicht jemand, der über allem steht, abwägt und fragt: "Wie könnten wir den Streit unter den uneinigen Brüdern schlichten?" Der Schreiber der Broschüre hat auch nicht verstanden, was die Äußerungen der Spanier, Italiener, Belgier auf das Zirkular der Jurassier bedeuten, er ist farbenblind geworden für Massenerscheinungen. Als ob er ein schlechter bürgerlicher Historiker wäre, leitet er die Äußerungen großer Schichten aus der Wirkung eines Komplotts von ein paar Intriganten ab. Es ist gerade aus dieser Broschüre zu ersehen, bis zu welchem Grad Marxens Haß gegen Bakunin gediehen war. Der Haß ist so groß, daß man sich ihn gar nicht mehr genügend erklären kann. Wie Marx von Bakunin annahm, daß er aus Ehrgeiz und Machtlust handelte, so haben die Jurassier kein anderes Motiv in Marx für seine Art der Polemik finden können. Nun, wir sind weiter weg von der Zeit selbst, und es wird uns leichter, nach materiellen Gründen zu suchen, aber auch wir müssen gestehen, daß wir vielleicht nur einen fänden, der zu einem solchen Haß führen kann, und der ist der "Wille der Idee" in Marx, sich alles untertan zu machen. Wenn dieser Idee etwas im Wege stand, so wurde der Besitzer der Idee, Marx, so wütend, daß ihn alle guten Geister des Verstandes und des Gemütes verließen.

Es waren aber viel tiefer liegende Ursachen am Werke, als Marx dachte, die die Internationale ihrer anfänglichen Einheit beraubten. Ihnen werden wir nun nachgehen.

Stellung der verschiedenen Länder

Die Gründe, weshalb der Jura zum Föderalismus kam, haben wir schon auseinandergesetzt. Aber auch in Frankreich, Spanien, Italien und Belgien waren Bedingungen vorhanden, die einen ganz anderen Geisteszustand erzeugten, als er in der deutschen

Arbeiterbewegung vorherrschte, die Anhängerin des von Marx vertretenen Zentralismus war, überhaupt seine ganze Auffassung vom Sozialismus teilte. Bakunin hat geglaubt, daß man die 'Differenzen im hohen Grade auf Rassenunterschiede zurückführen könne, aber wir meinen, man müsse tiefer graben. Auch Belgien ist später gut sozialdemokratisch geworden, und in Spanien ebenso wie in Italien hat die Sozialdemokratie festen Boden gefaßt und sogar in Frankreich, das heute in dem revolutionären Syndikalismus eine Bewegung hat, die als Nachfolger und Erbe des Föderalismus der Internationale betrachtet werden kann, gibt es eine starke sozialdemokratische Bewegung. Zu Anfang der 70er Jahre wirkten in den besagten Ländern stark zeitlich bedingte Ursachen.

In Frankreich konnte sich nach dem Kriege 1870/71 niemand Revolutionär nennen, der nicht Kommunard, d. h. Föderalist, Antiétatist und Antiparlamentarier war. Eine Ausnahme machte die kleine Sekte der Blanquisten, die aus kommunistischen Jakobinern gebildet war. Die Internationale war geächtet, aber trotz der Gewalttätigkeit der Reaktion hatte sie ihre Organisation in den meisten Städten aufrechterhalten; nur war diese Organisation eine geheime geworden. Zahlreiche französische Sektionen der Internationale waren in Korrespondenz mit den Jurassiern, und einige waren sogar um Aufnahme in die jurassische Föderation eingekommen und in dieselbe aufgenommen worden. In einigen Teilen Frankreichs waren die Sektionen gruppiert als regionale Föderationen. Außer diesen geheimen Sektionen gab es ungefähr 150 Gewerkschaftskammern, die öffentlich funktionierten und alle von föderalistischem Geist beseelt waren. Ein Mann, der später Sozialdemokrat werden sollte und der in die Schweiz geflohen war wegen eines Preßvergehens, Jules Guesde, war damals einer der glühendsten Propagandisten der Bakuninschen und jurassischen Ideen; er griff speziell die parlamentarische Politik und das, was er die Komödie des allgemeinen Wahlrechts nannte, an, und er erklärte für die größte Gefahr, welche die Internationale laufe, die Umtriebe, deren sich Karl Marx bediente, um seine Diktatur in der Internationale zu begründen.

Spanien hatte 1868 einen großen Aufstand erlebt, durch den man die Königin Isabella verjagte. Die Cortes hatten zwar eine neue monarchische Verfassung angenommen, aber eine starke bürgerlich-republikanische Partei war vorhanden,

die von revolutionärem Geist beseelt war. Die Vertreibung der Isabella hatte die direkte Aktion, die revolutionäre Aktion, fast legalisiert. Die Idee , der Gewalt war, deshalb nicht perhorresziert, wie in Deutschland. Die Unbefriedigtheit großer Intellektuellenschichten mit der Regierung führte der Internationale Elemente zu, die in höherem Grade als die Arbeiter den Willen zur Freiheit betonen mußten. In der spanischen Bewegung mußte deshalb eine nicht nur das ökonomische Moment betonende Bewegung, wie der revolutionäre Föderalismus, guten Boden fassen. Ein starker, konservativer Klerus begünstigte als Gegensatz die antitheologischen, atheistischen Ideen des Bakunismus, und das nicht zu einem spanischen Nationalbewußtsein verschmolzene Provinzialbewußtsein gab ihm eine weitere Grundlage. Zudem war in Spanien die Propaganda für die Internationale teilweise von Freunden Bakunins, von früheren Mitgliedern der Allianz der sozialen Demokratie, die in Bern nach dem Austritt aus der Friedensliga gegründet worden war, geführt worden. Bis Lafargue hinkam, wußten die Spanier überhaupt nichts von marxistischen Ideen. Es bedurfte deshalb nicht besonderer Intrigen, um die Spanier zu bewegen, den Jurassiern sich anzuschließen. Zwar hatte am 16. Januar 1872 Sagasta die Auflösung aller Sektionen der Internationale verfügt, aber der Föderalrat der Spanier kümmerten sich nicht um den Beschluß, und die Internationale existierte weiter.

In Italien wirkten ähnliche Ursachen. Es war noch nicht allzulange her, daß man sich im Norden von der österreichischen Fremdherrschaft befreit, und da, wo solche Kämpfe stattgefunden, ist noch auf lange hinaus ein lebendiger Drang nach Autonomie und Sinn für Freiheit vorhanden. Die Regierung selbst hatte die Garibaldischen Freischarenzüge, diese direktesten aller direkten Aktionen, legalisiert und begünstigt. Man hatte auf politischem Gebiet durch revolutionäre Aktionen vieles erreicht; was lag da naher, als die gleiche Form der Aktion auch aufs ökonomische Gebiet zu übertragen? Es war so oft an Menschenwürde und Freiheitssinn appelliert worden, daß auch die ökonomische Bewegung mit diesen Tendenzen imbibiert wurde. Und wie lange hatte man unter Rom, unter dem Klerus gelitten! Gerade in einem solchen Lande mußten die flammenden Worte Bakunins gegen die Religion und seine Verherrlichung des selbstbewußten Menschen einschlagen. Das waren grad die Worte, deren man bedurfte

um seinen Gefühlen Ausdruck zu geben. Bakunin fand um so eher Anklang, als die unitarisch-republikanischen Mazzinianer eine religiöse Partei waren und die sozialistischen Elemente durch ihre Verleumdungen der Pariser Kommune von sich stießen. Dazu bestand in Italien eine zahlreiche Schicht von Intellektuellen, die nicht nur politisch losgelöst war von der besitzenden Klasse, sondern auch ökonomisch gleiche Habenichtse waren wie die Proletarier. Und da, wo der ökonomisch Bedrängte gleichzeitig einer ist, der seelisch starken Hunger leidet, da hat noch immer die Idee der Freiheit ihre glühendsten Verehrer gefunden, da hat auch stets die größte Ungeduld und das größte Bedürfnis nach schneller, plötzlicher Befreiung von geistigem und ökonomischem Joch bestanden. Diese Jugend hatte, wie Nettlau bemerkt, "seit 1815 unaufhörlich konspiriert oder gekämpft; die Früchte des Sieges fielen der Monarchie und den Politikern in den Schoß. Kein Wunder, daß viele zu weiterem Kampf bereit waren und daß die Geschichte der italienischen Internationale bis Anfang der 80er Jahre eigentlich den letzten Abschnitt des Risorgimento bildet'. Stieß die Tradition der außergesetzlichen Aktion mit solchen Gefühlen zusammen, fand sich dazu in Bakunin der Propagandist, welcher all das formulierte, was man fühlte, dachte und ersehnte, so bedurfte es gewiß keiner Intrigen mehr, um die italienischen Sozialisten zu antiautoritären, föderalistischen Sozialisten zu machen. Rückhaltlos mußten sie der Initiative der Jurassienne folgen. Und erst das Abflauen der revolutionären Tradition, das Aussterben des revolutionären, freiheitlichen Geistes bei den Bourgeoisintellektuellen und das Auftauchen eines großen und moralisch unentwickelten Proletariats ließ die ursprünglich aufs letzte gehenden Wünsche absterben und eine Bewegung entstehen, die den Ruf nach Freiheit dem Schrei nach Brot unterordnete und dazu führte, an Stelle der direkten Aktion der Revolution die indirekte des parlamentarischen Kampfes und des Zentralismus zu setzen.

Wie in Italien, wirkten auch in Belgien die Befreiungskämpfe des Landes von Fremdherrschaft nah. Wie manche Generation war nicht aufgewachsen in den Ideen von Freiheit und Selbständigkeit von fremder Herrschaft! Solche Erziehung schwindet in ihrer Wirkung nicht in dem Augenblick, wo das Ziel erreicht wird, auf das hin die Erziehung stattfand; als man sich neue Ziele setzte unter dem Drang der ökonomischen Not, da erwachte all das wieder zu lebendigem

Leben, was dem Volk von den Besitzenden zu ganz anderen Zwecken gelehrt worden war. Zudem war in dem kleinen Land Belgien nicht nur ein einziger Stamm vorhanden. Germanisches und romanisches Volk wohnte beisammen im selben Staat, war gewohnt, auf sich gegenseitig Rücksicht zu nehmen, um in gegenseitiger Hilfe sich erhalten zu können. Die Notwendigkeit und Wirksamkeit dieser Rücksichtnahme erzeugte praktische Autonomie und theoretisches Verständnis für Autonomie, das sich auch in der Antwort auf das Zirkular der Jurassier ausdrückte. Und wenn die Belgier bisher mit dem Generalrat nicht in Konflikt gekommen waren, so deshalb, weil der Generalrat die Belgier hatte machen lassen wie sie wollten. Die antiétatistische Stimmung aber war ganz durch ökonomische Ursachen bedingt. Die Massacres der belgischen Regierung in den Zeiten der Lohnbewegungen der Grubenarbeiter hatten einen Haß und Unglauben an den Staat und staatliche Verbesserungen erzeugt, die ein und dasselbe bedeuteten wie der Antiétatismus von Bakunin. Zudem waren die Massen eben frisch erwacht und voller Hoffnungen; sie glaubten an eine, baldige Revolution, glaubten an ihre Kraft und hielten den Weg des Parlamentarismus für einen unnützen und unnötigen Umweg, um so mehr, als ein ganz verkrüppeltes Zensurwahlrecht die Arbeiter hinderte, im politisch-parlamentarischen Kampfe ihrer Kraft Ausdruck zu geben. Wie sehr die Führer der Belgier föderalistisch dachten, haben wir bei der Beschreibung des Baseler Kongresses gesehen, auf dem gerade sie es waren, die in klarster Weise die föderalistische Gestaltung der künftigen Gesellschaft formulierten.

Wirkung der Broschüre

Daß durch die Broschüre "Angebliche Spaltungen in der Internationale" nur Öl ins Feuer gegossen wurde, daß die prinzipiellen Gegensätze durch Hinzufügen persönlicher noch verschärft wurden, ist selbstverständlich. Es sollte deshalb an Angriffen auf den Generalrat nicht mangeln. Daß die direkt Angegriffenen durch die Broschüre nicht umgänglicher und versöhnlicher wurden, ist nicht verwunderlich. Aber auch die nicht Betroffenen wurden von Mißtrauen und Entrüstung gegen den Generalrat erfüllt, der in so häßlicher Weise gegen Andersdenkende vorging. Die dem Haager Kongreß vorangehenden Kongresse der nationalen

Verbände der Internationale bekunden denn auch kein zu großes Liebes- und Zutrauensgefühl zum Generalrat. Der Generalrat berief auf den 2. September 1872, im Haag, den nunmehr 5. Kongreß der Internationale.

Der belgische Föderativrat zeigte seine Abneigung gegen die Herrschaft des Generalrates in einem Antrag auf Abschaffung desselben. Der Kongreß der Belgier milderte den Antrag dahingehend, daß der Generalrat im Sinne der Beschneidung seiner Kompetenz reformiert werden sollte.

In Spanien war es in der Internationale zu Mißhelligkeiten gekommen. Lafargue, Gesinnungsgenosse und seit 1868 Schwiegersohn von Marx, kam im Dezember 1871 nach Spanien und trat in nähere Beziehungen zu den damaligen Mitgliedern des Föderativrats der spanischen Internationale. Diese waren gleichzeitig Mitglieder der Alianza und wollten auch Lafargue zur Aufnahme in dieselbe bewegen. Lafargue 'trat ihr aber nicht bei, sondern gründete mit den Mitgliedern des Föderalrats eine neue geheime Organisation, die Defensores de la International, die den Zweck hatte, die Alianza in sich aufzusaugen und sie so zum Verschwinden zu bringen. Aber die Pläne von Lafargue gelangen nicht, und der Jahreskongreß der spanischen Föderation, der im April 1872 in Saragoza abgehalten wurde, wählte ein neues Föderativkomitee, das nach Valencia verlegt wurde und auf welches Lafargue ohne Einfluß blieb. Seiner Umtriebe und Verleumdungen wegen wurde Lafargue samt seinen Freunden aus der Sektion Madrid ausgeschlossen.

Er gründete eine neue Sektion von neun Mitgliedern, die nicht in die Landesföderation, wohl aber vom Generalrat in die Internationale aufgenommen wurde. Mit der spanischen Landesföderation stand Engels (ihr Sekretär im Generalrat) sehr schlecht. Bekanntlich waren die Sekretäre für jedes Land nicht von der betreffenden Landesföderation selbst gewählt, sondern durch 'den Generalrat ernannt; so ist es zu erklären, daß Engels Sekretär für Spanien und Italien wurde. Als er durch Lafargue von der Existenz der Alianza erfuhr, befahl er der spanischen Internationale, eine Enquete über die Alianza zu machen, und drohte gleichzeitig, "wenn er keine kategorische und zufriedenstellende Antwort erhalte mit umgehender Post, den Förderalrat öffentlich in Spanien zu denunzieren". Als die Antwort nicht kam, schlug Engels im Generalrat Suspension des spanischen

Föderalrates vor. Dieser gab jedoch Engels' Antrag keine Folge. Dagegen publizierte die dem Generalrat nahestehende Gruppe (Lafargue) die Namen der Mitglieder der Alianza in ihrer Zeitung, was nicht gerade rücksichtsvoll gegenüber diesen Leuten war, denn nun hatte die spanische Polizei ihre Namen. Daß dieses Vorgehen die Spanier, die Delegierte an den Haager Kongreß sandten, für Marx und den Generalrat nicht günstig stimmte, ist nicht verwunderlich.

In Italien hatten bis dahin nur zerstreute Sektionen der Internationale existiert. Es fand nun eine energische Propaganda statt für ihren Zusammenschluß. Ihr Resultat war der Kongreß in Rimini, auf dem 20 verschiedene Sozietäten vertreten waren. Hier wurde als Antwort auf die Londoner Konferenz und die Verleumdungskampagne des Generalrates beschlossen, daß man keine Beziehungen mit denselben haben wolle, und daß alle Sektionen, die diese Ansicht teilen, zu einem antiautoritären Kongreß nach Neuenburg auf den 2. September 1872 einzuladen seien. An Bakunin sandte dieser Kongreß eine Sympathieadresse, die von Cafiero und Costa unterzeichnet war.

In Amerika finden wir zwei Föderalräte, einen für, den anderen gegen den Generalrat.

In England begann eben der Kampf des neuen Föderalrates mit dem Generalrat, der früher die Funktionen des Föderalrates für England besorgt hatte. Marx hatte erklärt, das englische Föderationskomitee sei an Gladstone verkauft.

Im Generalrat selbst war der Krieg ausgebrochen. Eccarius war suspendiert worden als Sekretär für Amerika, unter dem Verdacht, mit den. föderalistischen Amerikanern konspiriert zu haben, und andere englische Mitglieder des Generalrates (Roach, Sexton, Mottershead, Hales) standen in offenem Krieg mit ihren Kollegen von der Majorität des Generalrates.

Die niederländischen Delegierten erhielten den Auftrag, im Sinne der Autonomie auf dem Haager Kongreß zu stimmen.

Daß die Jurassienne ihren Delegierten Guillaume und Schwitzguébel den Auftrag gab, für die Abschaffung des Generalrates und die Beseitigung jeder Autorität in der Internationale zu stimmen, fügen wir der Vollständigkeit halber bei.

So war nun der kritische Moment gekommen, in dem es des großen politischen Geistes bedurft hätte, der in voller Einsicht der Ursachen der Differenzen, mit großem

historischem Blick begabt, den Ausgleich gefunden hätte. Es war der Augenblick gekommen, wo es klar war, daß nicht ein paar Intriganten, sondern tiefliegende Gründe Verschiedenheiten zeugten, die nur dadurch neutralisiert werden konnten, daß man sich gegenseitig vertrug und das sich entwickeln ließ, was auf politischem Gebiete später sich entwickelte, die Autonomie im Handeln der Landesföderationen. Aber in der Geschichte herrscht Logos nicht. Und sogar Philosophen und Entdecker der Gesetze des geschichtlichen Geschehens glauben manchmal willkürlich Geschichte machen zu können. Zweifellos hätte Marx es nicht vermocht, die divergenten Richtungen in der Internationale auf eine Formel zu bringen und wäre er von der größten Nachgiebigkeit gewesen, es wäre denn die Formel gewesen, die James Guillaume als Maxime seiner Taktik gewählt hat: die Idee vollster Autonomie der Landesföderationen. Aber weil Marx auch die Einheit der Taktik wollte, weil ihm eine Internationale nichts galt, in der das Prinzip der politisch-parlamentarischen Betätigung nicht obligatorisch war, und weil er die Zentralisation im Sinne der Leitung der Internationale durch den Generalrat, als conditio sine qua non ansah, so konnte er Va-banque spielen. Er arbeitete deshalb mit allen Mitten, die seinem Zweck dienten. Gerade dies Va-banque-Spiel ist charakteristisch für das Zutrauen, das Marx zu seiner Anschauung hatte. Er glaubte so felsenfest daran, daß seine Anschauung von den Dingen die richtige sei, daß es keine Wahrheit gäbe außer der Wahrheit, die sein Hirn ihm offenbart, daß er jeder Einigung, bei der nicht voll und ganz seine Bedingungen angenommen wurden, die Zerstörung der alten Internationale vorzog. Denn, daß er sich des Sieges vor dem Kongreß nicht sicher glaubte, das zeigen die Anstrengungen technischer Natur, die er machte, um sich die Mehrheit auf dem Kongreß zu sichern.

Der Kongreß war einberufen auf den 2. September 1872. Mit ihm schloß der zweite Akt des Dramas der Internationale, der angehoben hatte mit dem Baseler Kongreß und dem Fall der Pariser Kommune. Im ersten Akt sehen wir das langsame Sichherauskristallisieren der verschiedenen Ideen in der Internationale. In ihm zeigen sich bereits die ersten Reibungen und Konflikte; aber zu einem großen Zusammenstoß kam es nicht. Jede Partei arbeitete ruhig an der Ausarbeitung und Ausbreitung der Ideen, die ihr lieb und

angepaßt waren. Nach dem Fall der Kommune aber, als in ganz Europa das Selbstgefühl der Arbeiter und der Revolutionäre gesunken war, begann "der Schwerpunkt der Arbeiterbewegung sich nach Deutschland zu verlegen"; d je Franzosen, die revolutionär und autonomistisch gefühlt und gedacht, waren durch die Kommune fast hinweggefegt worden, und damit hat eigentlich von Anfang an der Geist den Sieg errungen, der sich in Marx verkörperte. Es war der Geist, die Weltanschauung desjenigen Teils des Proletariates, das nicht von wildrevolutionärem Drängen beseelt, nicht durch den Willen zur grenzenlosen Freiheit in eigener Organisation und im Leben des Volkes getrieben war.

Wohl lebte der andere Geist in einigen Ländern noch weiter, aber nicht kraft des Wesens eines selbständigen, von der Bourgeoisie unabhängigen Proletariates, sondern weil in jenen Ländern die bürgerliche Revolution noch nicht ganz abgestorben war und weil der äußerste Flügel der bürgerlichen Revolutionäre eben die Arbeiterbewegungen influenzierte und sie mit ihrem Geist durchsetzte, ihr etwas von dem revolutionären, philosophischen Geiste gab, den Marx ursprünglich selbst besessen und den er erst dann verloren, als er den stürmenden wilden Glauben an eine nahe soziale Revolution abgelegt. Diesen philosophischen Geist konnte aber das unentwickeltste Proletariat jener Zeit, das deutsche, nicht haben, und auf dies Proletariat war die Marxsche Taktik eingestellt.

Eines aber ist sicher. Marx hat den Riß durch die alte Internationale im Haag provoziert. Er hat das, was vielleicht sterben mußte, nicht schön sterben lassen. Er hat für alle Zeiten durch die ganze Art, wie er seine Gegner bekämpfte, auch bei denen, die ihm materiell recht geben, menschlich sich bloßgestellt, hat mit Mitteln gearbeitet, die ihm Menschen verzeihen werden, für die der Zweck die Mittel heiligt. aber nie die Menschen, die eigentlich das Ideal seiner eigenen Jugend waren.

Der Haager Kongreß (2.-7. September 1872.)

"Lieber Kugelmann.!

Auf dem internationalen Kongreß handelt es sich um Leben und Tod der Internationale, und bevor ich austrete, will ich sie wenigstens vor den auflösenden Elementen schützen. Deutschland muß also so viel Repräsentanten haben als möglich. Da Du doch noch kommst, schreib an Hepner, daß ich ihn bitte, Dir ein Mandat als Delegierter zu besorgen.

Dein Karl Marx»

Einen ähnlich lautenden Brief schrieb Marx auch an Sorge und bat ihn um 11 Mandate für seine Anhänger (Brief vom 21. VI. 1872). Es geht daraus hervor, daß er dachte, die Wahlen für den Kongreß müßten "gemacht" werden und es würden aus der Masse der Sektionen heraus nicht ohne weiteres Anhänger seiner Auffassungen an den Kongreß kommen. Auf alle Fälle huldigte Marx dem Grundsatz, daß das persönliche Eingreifen des Menschen in das Rad des Schicksals recht bedeutungsvoll sein könne. Einerseits kam es ihm als selbstverständlich vor, daß der Wille zur Macht Bakunins dazu genüge, die ganze organisierte Internationale auseinanderzutreiben, anderseits glaubte er, daß er und seine Anhänger durch Gegenminen imstande wären, das angenommene Komplott Bakunins unschädlich zu machen. Im ferneren huldigte er der Ansicht, daß die Mittel, die wirksam seien, ausgewählt werden müssen, und wandte ohne Bedenken Mittel an, deren Verwendung er beim Gegner aufs schärfste gebrandmarkt oder lächerlich gemacht hätte.

Ferner geht aus den Zeilen an Kugelmann hervor, daß Marx wie Bakunin in den Deutschen die eigentliche Stütze des Marxismus sah. Mochten die beiden Gegner sonst recht uneinig sein, in dem einen Punkt trafen sie brüderlich zusammen, daß sie den Deutschen den Sinn für direkte Aktion, Drang zur Autonomie und revolutionäre Aktion absprachen und sie für Anhänger der Vertreteridee und des Zentralismus hielten. Darum hatte Bakunin doch nicht so unrecht, als er sein "Empire knouto-germanique" schrieb, wo er eben diese Anschauung vertrat.

Im weiteren geht aus dem Briefe an Kugelmann hervor,, daß Marx selbst generalratsmüde war und aus der Leitung der Internationale zurücktreten wollte. Es ist im ganzen eine resignierte Stimmung, die aus dem Briefe spricht. Er gab sich noch einmalig und gründlich mit einer Sache ab, der er überdrüssig geworden war.

Bakunin beteiligte sich nicht an den Vorbereitungen zum Kongreß. Die eigentliche Führung der Opposition war bei den Jurassiern, speziell bei James Guillaume, der in taktischer Beziehung der eigentliche Organisator der föderalistischen Richtung war.

Die Aufgabe, die Marx dem Haager Kongreß, den er mehr oder weniger zusammengesetzt, stellte, war, die gefährlichen Elemente aus der Internationale auszuschließen, die autoritäre Macht des 'Generalrates zu bestätigen und zu

vermehren und die politisch-parlamentarische Aktion für obligatorisch zu erklären. Es handelte sich um eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen. Da die Internationale Autorität genoß, so sollten solche Maßnahmen nach Marxens Ansicht auch wirksam sein und die brav gebliebene Masse wieder auf die rechte Bahn führen. Da die Zusammensetzung des Kongresses wirklich günstig und der aufgewendeten Mühe entsprechend war, so kamen ohne große Reibung die Beschlüsse heraus, die man für erwünscht hielt. Die "gute" Vorbereitung des Kongresses bewirkte, daß er nicht dramatisch wurde, wie man ihn sich eigentlich vorstellt. Es war nicht eine Versammlung von Menschen, die in Ernst und Würde über große Ideen sprachen, die sich gegenseitig ernst nahmen und daran glaubten, daß sie sich gegenseitig überzeugen könnten, sondern es standen einander Feinde gegenüber, die eigentlich einander nichts mehr zu sagen hatten. Marx war ruhig, weil er wußte, die Majorität falle ihm zu, die Hauptarbeit sei geleistet; und die Föderalisten waren ruhig, weil sie nicht daran zweifelten, daß ihre Chancen auf dem Kongreß selbst keine guten waren; anderseits hatten sie aber die Überzeugung, daß das lebendige Leben draußen, außerhalb dieser Machinationen, für sie sei. Sie hatten sich auch schon vor Fassung der "vernichtenden" Beschlüsse geeinigt und zusammengeschlossen zu einer den Kongreß überdauernden gemeinsamen Aktion.

67 Delegierte waren auf dem Kongreß anwesend. Davon kamen zwei in Wegfall, da ihre Mandate nicht anerkannt wurden. Von den 65 übrigen bildeten 40 die marxistische Mehrheit, 25 die Minderheit. Die Tagesordnung des Kongresses war folgende:

1. Diskussion über die Macht des Generalrates.

2. Diskussion über den Vorschlag der Londoner Konferenz, "die Notwendigkeit der politischen Aktion" den Statuten einzuverleiben.

3. Diverse administrative Angelegenheiten.

Wir übergehen alle nicht grad nötigen Details und beschränken uns in der Darstellung auf die Hauptpunkte.

Die eine der Parteien wollte 'die Macht des Generalrates erhöhen, die andere sie vermindern. Die einen wollten ihm die Kompetenz geben, fast alles von sich zu bestimmen, die anderen wollten, daß überhaupt ein jedes Land für sich und nach seinem Gutfinden seine Taktik bestimmen sollte. Lange genug, schien es den letzteren, wären sie in ihrer

Freiheit durch den Generalrat eingeschränkt worden. Die einen vertraten die Ansicht, daß alles wirkliche Leben von unten nach oben komme, während Marx und seine Freunde von oben her diesem Leben Impuls und Richtung mitteilen wollten.

James Guillaume setzte die Auffassung der Jurassier auseinander. Er sagte, es gebe gegenwärtig in der Internationale zwei große Ideenrichtungen; die eine betrachte die Internationale als die Schöpfung einer Gruppe von Menschen, die eine bestimmte soziale Doktrin hätten, durch die sie die Arbeiter befreien wollten; diese Leute verbreiten überall ihre Idee und suchen die Verbreitung anderer Ideen zu verhindern. Sie denken, daß dank ihrer Gruppe, die eine Art Orthodoxie aufrecht erhalte, und für diese Gruppe die Internationale existiere. Die andern, und dazu gehörten die Jurassier, glauben aber, daß die Internationale nicht das Werk von ein paar Leuten sei, sondern herausgewachsen sei aus den ökonomischen Verhältnissen der verschiedenen Gegenden. Die Lage der Arbeiter in den verschiedenen Ländern erzeuge eine Einheitlichkeit der Gefühle, Strebungen, Gedanken und Interessen, die ohne weitere Zutat die Internationale zeugten. Nicht aus einem Hirne und seinem Plan, sondern aus den ökonomischen Bedingungen heraus sei die Internationale entstanden.

Er fährt dann weiter fort: Es seien Mitglieder der Jurassienne gewesen, die auf dem Kongreß von Basel geholfen, dem Generalrat die Macht zu geben, die er jetzt habe und deren Wegnahme sie fordern. Heute seien sie für deren Abschaffung deshalb, weil sie gelitten unter dem Mißbrauch, den der Generalrat mit dieser Macht getrieben. Jetzt vertreten sie die Ansicht, der Generalrat müsse seiner Machtstellung entäußert werden. Mehrere Föderationen teilen mit ihnen diese Auffassung. Nach Rücksprache mit diesen Föderationen sei man zu der Ansicht gekommen, daß die Institution des Generalrates beibehalten werden könne, aber nicht als zentrale Autorität, sondern als Zentrum für Korrespondenz und Statistik. Ursprünglich seien die Jurassier der Ansicht gewesen, daß diese Funktionen durch direkte Beziehungen der Föderationen miteinander erfüllt werden können. Man hat sich aber der Ansicht derer angeschlossen, die einen seiner Autorität entkleideten Generalrat beibehalten wollen. Weder zur Führung von ökonomischen noch von politischen Kämpfen bedürfe es der Leitung durch den Generalrat. Guillaume schließt mit der

Bemerkung, daß man mit dem Weiterbestehen des Generalrates sich einverstanden erklären könne, wenn er nichts weiter als ein Bureau für Korrespondenz und Statistik sein würde.

Sorge (Marxist, Amerika) wünscht, daß die Kompetenzen des Generalrates eher noch vermehrt werden, da die Internationale einen Kopf brauche.

Morago, einer der vier Delegierten der spanischen Föderation, votiert für die Machteinschränkung des Generalrates.

Trotzdem wurde die Aufrechterhaltung der Kompetenz des Generalrates beschlossen und noch erweitert: er erhielt nämlich die Macht, eine ganze Föderation zu suspendieren.

Nach dem schritt man zum 2. Traktandum, dem über die politische Aktion. Die Majorität schlug folgende Resolution vor, die mit 29 gegen 5 Stimmen und 8 Stimmenenthaltungen angenommen wurde:

"In ihren Befreiungskämpfen kann die arbeitende Klasse nur dadurch als Klasse handeln, daß sie sich zu einer politischen Partei konstituiert, die von allen alten Parteien, die die besitzenden Klassen gebildet haben, abgegrenzt ist und ihnen feindselig gegenübersteht. Diese Konstituierung der arbeitenden Klasse zu einer politischen Partei ist unerläßlich, um den Triumph der sozialen Revolution und deren letztes Ende, die Abschaffung aller Klassen, herbeizuführen. Die Zusammenfassung der Kräfte, die die arbeitende Klasse bei ihren wirtschaftlichen Kämpfen schon durchgeführt hat, muß zugleich als Hebel in ihren Kämpfen gegen die politische Macht der Grundbesitzer und Kapitalisten dienen. Da die Herren des Grundbesitzes und des Kapitals sich ihrer politischen Privilegien immer bedienen werden, um ihre ökonomischen Monopole zu verteidigen und sie zu verewigen, wird die Eroberung der politischen Gewalt die große Pflicht des Proletariats."

Vaillant (Blanquist) verteidigte die Resolution und erklärte, daß, wenn sie einmal angenommen und in die "Bibel der Internationale" eingefügt sei, jedes Mitglied der Internationale sie zu befolgen hätte, bei Strafe des Ausschlusses.

Hepner vom "Volksstaat" erklärte, daß diejenigen Internationalen, welche in der Schweiz nicht an den politischen Wahlen teilnahmen, Verbündete des Spitzels Schweitzer in Preußen seien und daß die Stimmenthaltung direkt ins Polizeibureau führe.

Guillaume war der einzige Delegierte der Minorität, den man zu Wort kommen ließ. Es waren 15 Delegierte vor ihm eingeschrieben, die der Präsident, trotz Reklamation von Guillaume, alle überging. Guillaume wehrte sich dagegen, daß er und seine Genossen Abstentionisten genannt würden. Sie wollen nicht die politische Gleichgültigkeit. Der Unterschied zwischen den Marxisten und den Föderalisten bestehe darin, daß die ersteren die Eroberung, die letzteren die Zerstörung der Staatsgewalt anstrebten.

Vor dem 3. Traktandum, der Wahl des Generalrates usw., verließen Vaillant und seine Freunde (Blanquisten) den Kongreß, wütend darüber, daß der Generalrat, dessen sie sich hatten bemächtigen wollen, durch die von Marx und Engels gewünschte Verlegung nach Newyork ihnen entgangen war. Die Wahl der Mitglieder des Generalrates vollzog sich unter Abstention der Föderalisten.

Nun kam man noch auf die Frage der Allianz. Sie war in den Augen von Marx und Engels die wichtigste. Es war übrigens eine Formalität, daß man in die Allianzfrage sich festbiß. Man wollte gegnerische Ideen bekämpfen, da aber die Anhänger der Ideen, die man bekämpfen wollte, hartnäckig, überzeugt und zahlreich waren, griff man die hervorragendsten Vertreter und die angebliche Organisation der Vertreter dieser Ideen an. Anstatt Ideen anzugreifen, machte man den Versuch, deren Vertreter bloßzustellen. Die Methode, wie man die Gegner angriff, war nicht ungeschickt. Die Internationale hatte sich eine Verfassung gegeben. Diese Verfassung genoß Respekt. Wenn man vorgab, daß die Gegner gegen diese von der Gesamtheit gegebene Verfassung verstoßen hätten, so war man sicher, Leute gegen diese Gegner scharf zu machen, welche nicht gerührt oder entrüstet worden wären bloß durch den anders gearteten Ideeninhalt des gegnerischen Systems. Marx mußte beweisen, daß seine Gegner gegen die Verfassung, die Grundsätze, das Heiligste der Internationale verstoßen und daß die Gegner außerdem Lumpenkerle seien. Darauf war augenscheinlich sein Kriegsplan aufgebaut. Die Ideen von Bakunin, seine Person waren ihm feindlich. Aus irgendeinem Grunde wollte Marx aber nicht in erster Linie mit den Ideen Bakunins kämpfen. Wenn er das nicht wollte, so brauchte er Material, um Bakunin vor seinen Freunden als Menschen und Mitglied der Internationale zu mißkreditieren. Und Utin war es, der diese Beweise zu liefern sich anheischig gemacht

hatte. Die Londoner Konferenz hatte ihm dazu den formellen Auftrag gegeben. Vor dem Gerichtshof der Internationale, d. h. einer Kommission der Internationale auf dem Kongreß in Haag (Utin war nicht anwesend, Marx wollte nicht ihn öffentlich auftreten lassen), fand die Verurteilung der Sünder nun statt.

Die Kommission tagte bei geschlossenen Türen. Sie hatte zu untersuchen, ob eine geheime Gesellschaft namens "Allianz der sozialistischen Demokratie" noch existiere, die einmal existiert habe neben der öffentlichen Gesellschaft gleichen Namens, die im September 1868 in Bern gegründet worden. Von dieser geheimen Allianz wurde sodann behauptet, sie habe Statuten, die denen der Internationale widersprechen, ferner sollte sie ihr Rivale und Feind gewesen sein. — Ob diese fürchterliche Verbrecherin tatsächlich existiere oder existiert habe, und was sie für böse Absichten gegen die Internationale in ihrem Busen getragen, wer von den Mitgliedern der Internationale an den Missetaten und Verschwörungen dieses Ungeheuers teilgenommen, darüber mußte die Kommission sich schlüssig machen. Eine schwere Aufgabe für die fünf Männer, die ihr angehörten. Sie hießen: Cuno (Deutscher), der als Präsident amtete, Lucain, Vichard und Walter (Franzosen) und Roch Splingard (Belgier). Die vier ersten gehörten zur Majorität, der letztere zur Minorität. Vor der Kommission hatten die Zeugen zu erscheinen, die von ihr verhört wurden. Marx und Engels rückten sodann mit ihrem Material heraus. Und auf Grund des Materials kam die hohe Kommission zu folgenden Schlüssen:

1. Die geheime Allianz, die gegründet wurde mit Statuten, die denen der Internationale schnurstracks zuwiderlaufen, hat existiert. Ob sie noch existiert, ist nicht genügend genau festgestellt.

2. Er ist bewiesen durch einen Statutenentwurf und Briefe, welche die Unterschrift Bakunins tragen, daß dieser Bürger versucht hat, daß es ihm vielleicht sogar gelungen ist (sub I war die Kommission sicher, daß es ihm gelungen ist, vier Zeilen später ist sie nicht mehr sicher), eine Gesellschaft zu gründen namens Allianz, die Statuten hat, die durchaus verschieden sind in sozialer und politischer Beziehung von den Statuten der Internationale.

3. Der Bürger Bakunins hat sich betrügerischer Manöver bedient, um sich des ganzen oder eines Teiles der Vermögens von einem andern zu bemächtigen, welche Handlung

eine Tat der Gaunerei (escroquerie) ist. Um seine Verpflichtungen nicht erfüllen zu müssen, haben er oder seine Agenten Zuflucht genommen zur Einschüchterung. (Es handelt sich um die Geschichte der Übersetzung des "Kapital" durch Bakunin. Siehe Anhang.) Aus diesen Gründen verlangt die Kommission vom Kongreß:

1. Den Ausschluß von Bakunin aus der Internationale.

2. Ebenso den Ausschluß der Bürger Guillaume und Schwitzguébel, in der Überzeugung, daß sie noch Mitglieder der Allianz seien (von der man nach Absatz 1 der Kommissionsbeschlüsse nicht weiß, ob sie noch existiert und nach Absatz 2 nicht weiß, ob sie überhaupt einmal existiert habe).

In einem weiteren Absatz wird noch der Ausschluß von ein paar anderen Leuten verlangt:

Nach Verlesen dieser Kommissionsanträge (man war schon am Samstag abend, den 7. September, eine Stunde vor dem Schlusse des Kongresses), fügte der treuherzige Präsident Cuno noch hinzu, daß man keine materiellen Beweise hätte für die Tatsachen, deren die Angeklagten bezichtigt wurden, aber daß man zu einer gewissen moralischen Gewißheit gekommen sei. Übrigens bitte die Kommission um ein Vertrauensvotum.

Der Vertreter der Minderheit der Kommission ließ hierauf durch den Präsidenten des Kongresses, Sorge, folgenden Brief verlesen:

"Ich protestiere gegen den Rapport der Untersuchungskommission in Sachen der Allianz und behalte mir vor, meine Gründe darzulegen vor dem Kongreß. Eine einzige Sache scheint mir als sicher aus den Verhandlungen hervorzugehen: daß Bakunin versucht hat, eine geheime Gesellschaft in der Internationale zu bilden."

Guillaume (der sich geweigert hatte, als "Angeklagter" vor der Untersuchungskommission zu erscheinen) wurde auf dem Kongreß vom Präsidenten eingeladen, sich zu verteidigen. Er weigerte sich, es zu tun, indem er sagte, täte er das, so würde es den Anschein erregen, daß er die ganze Komödie ernst nehme, welche die Mehrheit aufgeführt habe. Übrigens habe man durch diese Maßnahmen gegen einige Leute im Grunde gegen die föderalistischen Ideen vorgehen wollen. Ihre Vertreter hätten sich aber darauf bereits eingerichtet, sie hätten ihren Solidaritäts-Vertrag

schon geschlossen und würden ihn sogleich vorlesen.

Dave, der Delegierte der Sektion von Haag, verlas ihn:

"Wir Unterzeichnete, Mitglieder der Minderheit des Kongresses von Haag, Anhänger der Selbständigkeit und der freien Vereinigung aller Gruppen der Arbeiter, machen gegenüber den Beschlüssen, die den Prinzipien der Länder, die wir vertreten, zu widersprechen scheinen, von dem Wunsche beseelt, jede Spaltung der Internationale zu verhindern, folgende Erklärung, die wir den Sektionen, die wir vertreten, zur Genehmigung vorlegen werden:

1. Wir werden mit unseren administrativen Beziehungen zum Generalrat fortfahren insoweit, als sie die Bezahlung von Beiträgen, die Korrespondenzen und Arbeitsstatistik betreffen;

2. Die Verbände, die wir vertreten, werden regelmäßige und fortlaufenden Beziehungen untereinander und mit allen Zweigen der Internationale herstellen;

3. Sollte der Generalrat sich in die inneren Angelegenheiten der Verbände mischen, so verpflichten sich die von den Unterzeichneten vertretenen Verbände, gegenseitig ihre Selbständigkeit zu verteidigen, solange diese Verbände nicht den Statuten der Internationale zuwiderhandeln, wie sie der Genfer Kongreß festgelegt hat;

4. Wir fordern alle Verbände und Sektionen auf, sich vorzubereiten, am nächsten Kongreß der Internationale dem Prinzip der freien Vereinigung (Autonomie fédérative) als Grundlage der Organisation der Arbeit in der Internationale zum Siege zu verhelfen.

(Der 5. Punkt ist nicht von Bedeutung.)

Unterschrieben war dieser Solidaritäts-Vertrag von:

"Alerini, Farga-Pellicer, Morago, Marselau, Delegierte der spanischen Landesföderation;

Brismée, Coenen, Fluse, Van den Abeele, Eberhardt, belgische Delegierte;

Schwitzguébel, Guillaume, Delegierte der Jurassier;

Dave, Gerhard, Delegierte von Holland;

Sauva, Delegierter von Amerika."

Die anderen Delegierten der Minderheit hatten Haag vor Ende des Kongresses verlassen müssen. Splingard hatte nicht unterschrieben, aus Unparteilichkeitsmotiven, da er Mitglied der Allianzkommission war.

Die Vorlesung des Dokuments wurde vom Kongreß ohne

weitere Bemerkung angehört. Sofort nachher begann man über die Ausschlußanträge unter Namensaufruf abzustimmen.

Bakunin wurde mit 27 gegen 7 Stimmen ausgeschlossen (dazu 8 Enthaltungen);

Guillaume mit 25 gegen 9 Stimmen ausgeschlossen (dazu 9 Enthaltungen); für Schwitzguébels Ausschluß stimmten 15, dagegen 17 (dazu 9 Enthaltungen). Er wurde also nicht ausgeschlossen.

Nach der Abstimmung über den Ausschluß Schwitzguébels, der also nicht zustande kam, fand es die Majorität für klug, die weiteren Ausschließungsanträge der Kommission fallen zu lassen.

Damit waren die Traktanden erledigt. Die gleiche Kommission, welche die Untersuchung über die Allianz zu führen hatte, war noch beauftragt gewesen, die Klagen der verschiedenen Sektionen gegen den Generalrat über die Befugnisüberschreitung, Statutenverletzung, Verleumdung usw. zu prüfen. Aber die Kommission erklärte, daß ihr die Zeit gefehlt hätte für die Erledigung dieser Aufgabe, so daß die Prüfung der Akten der Generalrates, eine gewiß prinzipiell wichtigere Sache als die Allianzkomödie, nicht stattfand.

Nach diesen Beschlüssen erklärte Sorge den Kongreß für geschlossen.

Ideen und Sympathien von Menschen zueinander lassen sich durch Kongreßbeschlüsse nicht aus der Welt schaffen. Was solche Kongreßbeschlüsse tun können, ist nur das eine, daß sie bei all den Leuten, die den Respekt vor der Autorität von Konzilien haben, Ideen herabzusetzen vermögen. Marx mochte recht haben mit seiner Ansicht, daß die politische Entwicklung nicht im Sinne der Jurassier sich vollziehen würde, er mochte recht haben in der Auffassung, daß das Proletariat zur direkten Aktion und zum Föderalismus nicht herangereift sei, aber durch sein gewaltsames eingreifen auf dem Haager Kongreß, durch das Arrangieren einer Mehrheit für seine Ideen, konnte er Stimmungen, Überzeugungen und Organisationen nicht einfach aus der Welt schaffen, die seinen Anschauungen widersprachen. Durch sein gewaltsames Eingreifen schweißte er die ganze Opposition nur stärker zusammen und schuf seinen eigenen Auffassungen ein, man möchte sagen, künstlich verstärktes Hindernis. Die Ideen von Bakunin und von seinen Freunden mochten in den Augen von Marx falsch sein; aber gerade der Begründer einer historischen Betrachtungsweise der

Dinge hätte konsequenter gehandelt, wenn er diese Ideen als Ausdruck historischer Bedingungen aufgefaßt hätte und Gewordenes nicht einfach durch papierene Beschlüsse hätte beseitigen wollen. Nicht die allernächste, aber doch die spätere Entwicklung hat gezeigt, daß Marx in der Einschätzung der Massen und ihrer Fähigkeit zur direkten Aktion und zur Freiheit eher im Recht war als die Jurassier und Bakunin. Aber gerade das Verhalten von Marx hat auch das vorläufige Absterben der internationalen Idee beschleunigt, und daß die Autonomisten vor dem Tribunal der Geschichte recht hatten, das zeigt die Gründung von selbständigen nationalen Arbeiterparteien, die sich nicht etwa einen allmächtigen Generalrat als Verbindungsorgan schufen. Und wenn in vielem die Geschichte den Föderalisten nicht recht gab, so war es wohl nur deshalb, weil ihre Idee mehr dem menschlichen Willen und seinem idealen Streben, als dem Willen und Streben breitester Massen entsprachen.

Darin lag ja überhaupt der große und tiefgehende Unterschied zwischen den beiden, daß Marx sich auf die Seite der harten und hindernden Wirklichkeit schlug, während Bakunin und seine Freunde einen tiefen, inneren Drang der menschlichen Natur verkörperten, der für einmal noch nicht in Erfüllung gehen sollte, der aber immer wieder im Einzelnen und in der Masse auftaucht: den Willen, keinen Herrn zu haben und auch nicht Herr zu sein. Marx war ein Taktiker; Bakunin aber war eine prometheische Natur, die etwas vertritt und soll sie dabei auch unterliegen. Marx mußte den Erfolg auf seiner Seite haben; anders konnte er weder für sich noch für die Masse das Leben sich vorstellen. Bakunin, Guillaume und ihre Freunde kämpften für eine Idee viel mehr, als sie selber vielleicht ahnten. Darin lag beider Stärke und Schwäche.

Der Zusammenschluß der Föderalisten

Schon vor der Sitzung, in der die Allianzfrage behandelt wurde, hatten die Minoritätsdelegierten sich enger zusammengeschlossen und verschiedene Zusammenkünfte abgehalten; ein Resultat derselben war die obenerwähnte Minoritätserklärung gewesen. Nach dem Kongreß war es nun Wille und Aufgabe der Minorität, ihr weiteres Verhalten zu besprechen. Sie kam überein, die Gelegenheit, die ein Kongreß bot, der am 15. September 1872 in Saint-Imier stattfinden sollte, und an den sowieso französische, spanische und italienische

Delegierte sich begeben sollten, zu benützen zu einem näheren Zusammenschluß aller oppositionellen Elemente.

So hatte Marx durch den Ausschluß von Bakunin und Guillaume etwas erreicht, was gewiß nicht seine Absicht gewesen war. Er hatte die Internationale reinigen wolle; statt dessen hatte er sie desorganisiert, auseinandergesprengt in zwei Teile. Er hatte nicht nur Bakunin und Guillaume ausgeschlossen, sondern die Absprengung ganzer Landesföderationen bewirkt, die nun unter sich wieder sich zusammenschlossen und ihre eigenen Wege gingen. Die Marxisten haben die Sache immer so dargestellt, als ob Bakunin der Desorganisator gewesen wäre. Wenn man aber überhaupt eine Person oder Personen für die Spaltung der Internationale verantwortlich machen kann, so waren es Marx und seine Freunde. Wir haben des öfteren betont, daß wir in der Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse den tieferen Grund der ganzen Tragödie sehen. Aber nie sind diese die einzig wirksamen, und Schnelligkeit und Art der Lösung historischer Probleme sind in hohem Grade durch die Beteiligten beeinflußt, deren Wesen noch durch andere Kräfte als die in der gegebenen Zeit herrschenden Produktionsverhältnisse bestimmt ist.

Die Aufgabe der Haager Minorität war eine gegebene und James Guillaume wurde n'un ihr eigentlicher Erfüller. Er sah das wichtige Problem nicht darin, seine Ansichten den verschiedenen Landesföderationen aufzudrängen, sondern ein möglichst reibungsloses Zusammen- und Nebeneinanderarbeiten der verschiedenen Tendenzen zu ermöglichen. Und bei der Heterogenität der Opposition gegen den Generalrat war es keine kleine Aufgabe, diese Opposition zusammenhalten. Nur ein Mann 'von der Art Guillaumes, mit einem übermenschlich starken Gerechtigkeitsgefühl und einer außerordentlich großen Fähigkeit, sich in das Wesen anderer, andersgearteter Menschen einzufühlen, konnte diese Aufgabe lösen, soweit sie überhaupt lösbar war. Man könnte sagen, daß Guillaumes Arbeit in der Internationale geradezu ein Schulbeispiel ist dafür, was eine einzelne Persönlichkeit in euler Gruppe zu leisten imstande ist, wogegen man an Marx sehen konnte, wie ein Mensch imstande ist, Gegensätze, welche Verhältnisse schufen, möglichst scharf und unschön aufeinanderplatzen zu lassen, sehen konnte, was der einzelne vermag in der Desorganisationsarbeit.

Durch die Abtrennung von der offiziellen Internationale

gelangten gewisse Ideenrichtungen zu einer so großen Reinheit, daß sie dadurch an Anziehungskraft auf die breiten Massen einbüßten, wurde die antiautoritäre Internationale ein wichtiges Experiment der Geschichte. Vielleicht mehr ein Laboratorium für Ideen, vielleicht interessanter für den Psychologen als für den Politiker, oder doch nur in den negativen Resultaten interessant für den Politiker. Auf alle Fälle darf man über sie nicht nur mit ein paar Worten hinweggehen. Sie bietet eine Fülle von interessanten Ideen und Wirkungen, wurde das Chaos, aus dem der moderne Syndikalismus und der moderne Anarchismus ihren Ausgangspunkt nahmen. Es war der Versuch, den Begriff der Freiheit in dem politischen Leben höher zu werten, als die Psyche der Masse es verlangte, ein Versuch, auch in der Arbeiterbewegung sich auf die Fiktion des Selbstbewußtseins und des klugen, selbsttätigen Menschen zu stützen, auf Basis dieser Fiktion Kapitalismus und Staat zu bekämpfen und womöglich erfolgreich zu bekämpfen.

Es war ein Versuch, und viele werden sagen ein verfehlter oder verfrühter Versuch, an Stelle der Disziplin mit dem Begriff der freien Solidarität zu arbeiten und in keiner Weise der Initiative des Individuums durch etwas anderes als den Appell an die Solidarität entgegenzutreten, und das war ja eigentlich die Grundidee der Bakuninschen Auffassung. In der antiautoritären Internationale war der erfolgreichste und hervorragendste Anwender des Prinzips, in viel höherem Maße als Bakunin selbst, sein junger Freund James Guillaume.

Nach diesen kurzen, orientierenden Bemerkungen folgen wir wieder den Ereignissen der Zeit.

Der Kongreß der Jurassier in St.-Imier (15. September)

Nach dem Kongreß im Haag reisten die spanischen Delegierten zusammen mit den beiden Jurassiern nach Saint-Imier. Auf dem Wege dorthin machten sie einen Abstecher nach Zürich, wo sie mit den Delegierten der italienischen Föderation und mit Bakunin zusammentrafen, um mit ihnen das Weitere zu besprechen. Nachdem dies geschehen und man sich leicht geeinigt, begaben alle zusammen sich nach Saint-Imier, wo die Minorität des Haager Kongresses einen internationalen Kongreß halten wollte.

Auf einem vorgängigen Kongreß der Fédération Jurassienne wurden folgende Resolutionen gefaßt:

1. Die Jurassier anerkennen die Beschlüsse des Haager

Kongresses nicht. Ebensowenig die Autorität des Generalrates. Dagegen werden sie daran arbeiten, daß ein freier Vertrag zwischen allen Föderationen zustande kommt.

2. Die Ausschließungen von Bakunin und Guillaume sind Resultat einer miserablen, infamen Intrige von haßerfüllten Leuten.

3. Sodann ordnete man Guillaume und Schwitzguébel ab zum Internationalen Kongreß, der unmittelbar im Anschluß an den Kongreß der Jurassier stattfand.

Der antiautoritäre internationale Kongreß in St.-Imier

(15. September 1872.)

Anwesend waren:

1. Die vier Delegierten der spanischen Föderation;

2. die sechs Delegierten der italienischen Föderation (die italienische Föderation hatte den Haager Kongreß nicht beschicken wollen);

3. zwei Delegierte von mehreren französischen Sektionen;

4. ein Delegierter von zwei amerikanischen Sektionen;

5. die Delegierter der Jurassier.

Folgende Resolutionen wurden gefaßt:

1. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Verbände und Sektionen ist die Grundvorbedingung zur Befreiung der Arbeiterschaft. Der Kongreß spricht allen General- oder Regional-Kongressen das Recht ab Gesetzgeber zu sein. Ihre einzige Aufgabe ist, die Bestrebungen und Ideen des Proletariats verschiedener Länder zu offenbaren, damit seine innere und äußere Einigung sich leichter vollziehe. In keinem Fall kann eine Majorität ihre Resolutionen einer Minorität aufdrängen. Ferner anerkennt der Kongreß die Resolutionen von Haag nicht, ebensowenig als den neuen Generalrat. Die auf dem gegenwärtigen Kongreß in Saint-Imier Versammelten haben deswegen den Grund gelegt zu einem Vertrag der gegenseitigen Verteidigung ihrer Föderationen.

2. Die auf dem Kongreß vertretenen Föderationen und Sektionen schließen unter sich, und allen denjenigen, die ihre Zustimmung geben werden, einen Vertrag der Freundschaft, Solidarität und gegenseitigen Verteidigung. Sie werden unter sich direkte und regelmäßige Beziehungen und Korrespondenzen einrichten. Zweck dieses Vertrages ist

die Rettung der großen Einheit der Internationale, welche die autoritäre Partei gefährdet hat.

3. Die Zerstörung der politischen Gewalt ist die erste Aufgabe des Proletariats.

Jede sogenannte "Diktatur des Proletariats" zum Zweck dieser Zerstörung ist ebenso gefährlich wie irgendeine andere Regierungsform.

Indem es alle Kompromisse meidet, soll das Proletariat aller Länder, um zur Erfüllung der sozialen Revolution zu kommen, außerhalb aller bürgerlichen Politik die Solidarität der revolutionären Aktion herstellen.

4. Die Freiheit und die Arbeit sind die Grundlage der Moral, der Kraft, des Lebens und des Reichtums der Zukunft. Jede Arbeit aber, die nicht freiwillig organisiert ist, wird zur Unterdrückung. Nur der Besitz der Produktionsmittel gestattet die freie Arbeit. Die Arbeit ist nicht frei, solange sich der Arbeiter nicht von politischer und ökonomischer Tyrannei befreit hat und dadurch das Recht sich errungen, seine Fähigkeiten voll und ganz zu entwickeln.

Jeder Staat, d. h. jede Regierung und Administration der Volksmasse, von oben nach unten, ist basiert auf Bureaukratie, Armee, Spionage, Geistlichkeit, und wird immerfort ein Hindernis freier Arbeit sein. Nur durch Bildung der freien Föderation aller Produzenten-Gruppen, die auf gegenseitige Hilfe und Gleichheit basiert ist, ist die Emanzipation der Arbeit möglich.

Folgt dann die Stellungnahme zu den Streiks. Man muß den Widerstand organisieren. Der Streik ist ein wirksames Kampfmittel, aber man soll sich keine Illusionen machen über seine ökonomischen Resultate. Er entwickelt das Klassenbewußtsein, kräftigt die Arbeiterorganisation und bereitet so das Proletariat auf die soziale Revolution vor.

Deshalb ist die universelle Organisation des Widerstandes der Gewerkschaften wichtig und ernennt der Kongreß eine Kommission, die ein entsprechendes Organisationsprojekt vorzulegen hat.

Ferner beschloß man, diese Resolutionen allen Föderationen zukommen zu lassen und sie zu bitten, sich recht bald über sie auszusprechen, ebenso darüber, wie und wo der nächste Kongreß stattfinden sollte.

In allen diesen Beschlüssen kam in voller Reinheit die Bakuninsche Auffassung zum Ausdruck. Die volle Autonomie der Sektionen bei intimstem Kontakt derselben, die Tendenz, nicht der politischen Gewalt sich zu bemächtigen,

sondern sie zu zerstören, der Unglaube an wirkliche Reformen innerhalb der gegebenen Gesellschaft, die Anerkennung der gewerkschaftlichen Organisation als einer Schule der Revolution und die Betonung der Notwendigkeit einer sozialen Revolution, auf die alle Kräfte sich hinzuwenden hätten. Alle Gegenwart, aller Gegenwartskampf sollte nur insofern Bedeutung haben, als dadurch für die Zukunft und die soziale Revolution vorgearbeitet würde. Das Leben beginnt erst mit der sozialen Revolution. Alles, was vorher ist, ist nur Vorbereitung auf die soziale Revolution. In die Zukunft wird das Schwergewicht verlegt. Klarer, stärker tritt dies in diesen Beschlüssen hervor, als bei den früheren Tagungen der Internationale. Nach der praktischen Seite hin bestand freilich gerade die Schwäche der neuen Internationale in diesem Verzicht, Rücksicht zu nehmen auf die große Masse des Proletariats, dem jederzeit die momentane Verbesserung der Lage, ein bißchen mehr Muße, näher liegt als die integrale und endgültige Befreiung. Diese größere Reinheit in den Prinzipien und die Verschiebung aller Lösung in eine ferne Zeit, nach der sozialen Revolution, sie waren gleichzeitig der tote und der lebendige Punkt der antiautoritären Internationale. Sie verurteilte sich dadurch zur Entfernung von der Masse jener Zeit und eroberte sich einen Platz in einer Zukunft, die damals, 1872, noch eine recht ferne Zukunft war. Mit der Loslösung von dem marxistischen Flügel, der die Welt des Geistes der Zeit darstelle, entzog sich die antiautoritäre Internationale dem breiten Boden der noch unentwickelten Masse. Und während der autoritäre Flügel wohl als Internationale abstirbt, aber die einzelnen Gruppen derselben sich wieder zusammenfinden in den bald zu gründenden nationalen Parteien und dort allzu sehr dem Geist der Masse folgen, sich also selbst untreu werden, wird es auch die antiautoritäre Internationale, indem sie ihrem Traum und Wollen zuliebe, dem Prinzip zuliebe, die realistischen Forderungen der Masse und ihre realen Kräfte außer acht läßt. Solange Menschen vom Schlage Bakunins, und vor allem von Guillaume, die geistige Führung hatten, geschah dies noch nicht, wie auch die volle Konsequenz des Überrealismus nicht in Marx, sondern erst in der deutschen Bewegung zu ihrer vollen Reife sich entwickelte. Die beiden eigentlichen Endprodukte der Spaltung sollten dann einerseits der kommunistische Anarchismus, anderseits die deutschen Arbeiterbewegungen werden.Nachklänge des Haager Kongresses und des Kongresses zu St.-Imier

Daß die Zusammenkunft in Saint-Imier nicht bloß der Ausdruck persönlicher Wünsche der Delegierten verschiedener Länder, sondern wirklich der weiteren Schichten der Internationale war, geht aus dem darauf Folgenden hervor.

Die belgische Föderation hielt nach dem Kongreß von Saint-Imier ihren Kongreß zu Weihnachten in Brüssel ab und kam zu folgenden Schlüssen:

1. Der Kongreß sanktioniert den Protest der Minorität des Haager Kongresses und erklärt die Resolutionen der Majorität des Haager Kongresses für null und nichtig. Dem spanischen Kongreß in Cordua schickt er einen telegraphischen Gruß.

2. Über das Bestehen eines Generalrates kam man soweit ins reine, daß man forderte, seine Funktionen sollten jeder Autorität entkleidet und er eine rein administrative Behörde werden, vorausgesetzt, daß er überhaupt bestehen solle.

Der belgische Kongreß stellte sich also auf Seite der Jurassier.

Ebenso der spanische Föderationskongreß in Cordua (auch zu Weihnachten). Der in Saint-Imier beantragte Vertrag wurde einstimmig sanktioniert. Die spanische Internationale zählte jetzt 104 Lokalföderationen, aus 66 gemischten Sektionen und 332 Gewerkschaften zusammengesetzt: in 8 Monaten hatte sie die Zahl ihrer Mitglieder um das Doppelte vermehrt. Das Föderalkomitee wurde fürs nächste Jahr nach Alcoy, ein bedeutendes Industriezentrum der Provinz Alicante, versetzt.

In England fanden starke Reibungen statt zwischen der marxistischen Minorität und der Majorität der Landesföderation. Es wurde mit den üblichen Mitteln gekämpft. Bemerkenswert ist, daß eine ganze Reihe früherer Freunde von Marx und gewesener Mitglieder des Generalrates mit größter Energie auf seite der Gegner des Generalrates kämpfte.

Daß Marx auf dem Haager Kongreß erklärt hatte, alle, die sich Führer der Arbeiterbewegung in England nennen, seien an Gladstone verkauft, erwarb ihm selbstverständlich keine Freunde. Die Engländer begrüßten die Beschlüsse des Kongresses von Saint-Imier mit Sympathie, schlossen sich vollkommen ihnen an in bezug auf die Idee der Selbständigkeit

von Föderationen und Sektionen, bemerkten dagegen, daß ihre Ansicht über die Politik (für England) eine andere sei. Über Marx., Engels usw. konnten sie sich nicht scharf genug ausdrücken und fügten in einem offiziellen Brief an die Jurassier eine ganze Anzahl Tatsachen an über Intrigen, die von Marx und Engels inszeniert worden waren, und betonten, wie schwer die englische Föderation unter der Machtlust des Generalrates zu leiden gehabt habe. Auf dem Kongreß der englischen Landesföderation (26. Januar 1873) wurde beschlossen:

1. Der Haager Kongreß war unrechtmäßig konstituiert. Seine Majorität war eine künstliche. Deshalb erklärt die englische Landesföderation die Beschlüsse von Haag für ungültig, ebenso den sogenannten Generalrat in Neuyork.

2. die englische Föderation tritt in direkten Verkehr mit allen Landesföderationen der Internationale.

Diese Haltung der Engländer ist um so bemerkenswerter, als langjährige, intime Freunde von Marx durchaus gegen ihn Stellung nahmen.

Unmittelbar nach dem Kongreß der Jurassier ließ der neue (Neuyorker) Generalrat diesen einen Hirtenbrief zugehen und forderte sie auf, Buße zu tun innert 40 Tagen (später auf 60 Tage verlängert), mit der Drohung, ansonst werden "disziplinarische Maßregeln" angewandt. Die Jurassier antworteten nicht, sondern druckten die Zuschrift einfach in ihrer Zeitung ab. Nach Ablauf der Betreibungsfrist erfolgte dann die offizielle Aufhebung bis zum nächsten Kongreß der Internationale. Marx und Engels fanden die Suspension als eine zu milde Bestrafung und schrieben auch in diesem Sinne an den Neuyorker Generalrat, der sodann erklärte, jede Sektion oder Person, die die Haager Kongreßresolution nicht anerkenne, höre von selbst auf, Mitglied der Internationale zu sein. Guillaume schreibt hiezu: "Man sieht, Marx hatte keine sanfte Hand: lieber keine Internationale, als eine Internationale, in der die Sektionen Selbständigkeit begehrten." —

Nach der Erklärung des Neuyorker Generalrates, die Suspension der Jura-Föderation betreffend, beschloß im Februar 1873 die holländische Föderation, die bis dahin nichts von sich hatte hören lassen, daß' sie diese Maßregelung nicht anerkenne und gegen die Haltung des Generalrats protestiere.

Zu den Protesten der belgischen, spanischen, holländischen und englischen Landesföderationen gesellte

sich auch derjenige der italienischen. Auf ihrem Kongreß zu Bologna, auf dem 150 Sektionen vertreten waren,, beschloß sie, ebenfalls die Haager Beschlüsse und den Neuyorker Generalrat als nicht existierend zu betrachten.

Aus Frankreich konnte eine kollektive Äußerung nicht kommen infolge der durch die Regierung geschaffenen Desorganisation; dagegen schrieb Jules Guesde bei Anlaß der eben stattgefundenen Prozesse, die man gegen die Internationale erhoben, einen Brief an die Jurassier, aus dem auch seine Verurteilung des Marxschen Zentralismus hervorgeht. Zwei Individuen, Van Heddighem und Dentraygues (diese Individuen hatten im Haager Kongreß als marxistische Delegierte aus Frankreich fungiert, unter den Pseudonymen Walter und Swarm), denen Marx und Engels im Namen des neuen Generalrats Vollmachten gegeben für die Propaganda und Reorganisation der französischen Sektionen, waren als Spitzel entlarvt worden, nachdem ihre Denunziationen zahlreiche Verhaftungen und Verurteilungen zur Folge gehabt. Das veranlaßte Guesde zu folgenden Äußerungen: "Was aus diesen Prozessen (in Toulouse und Paris) hervorgeht, ist nicht nur die infame Rolle, welche die Bevollmächtigten Marxens und des Generalrats spielten, sondern die Verurteilung des Systems der autoritären Organisationsmethode, deren Stützen Marx und der Generalrat sind. ... Lasse man die Arbeiterklasse in jedem Land sich anarchistisch organisieren, zum Besten ihrer Interessen, so werden die Dentraygues unmöglich. Die Autonomie der Sektionen geht nicht nur aus dem innersten Geist der Internationale hervor, sondern ist zudem noch die beste Garantie ihrer Sicherheit."

Bakunin, Ende 1872

Nach dem Kongreß in St.-Imier kehrte Bakunin nach Locarno zurück. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit der russischen Bewegung. Ein versuchtes Zusammenarbeiten mit Lawroff scheiterte. Von Netschajef hatte er sich schon seit Juli 1870 getrennt. Netschajefs seltene Energie, seine leidenschaftliche Liebe zu dem unterdrückten russischen Volke hatten Bakunin angezogen. Er bemerkte erstlich nicht die Rückseite des Charakters von Netschajef, der wohl energisch, aber auch autoritär und in der Auswahl seiner Mittel machiavellistisch und jesuitisch war und dadurch jedes weitere Mitarbeiten Bakunins verunmöglichte. Wie man

weiß, wurde Netschajef 1872 in Zürich verhaftet und dann von der schweizerischen Regierung an Rußland ausgeliefert (26. Oktober).

Außer den russischen Bewegungen gingen Bakunins Beziehungen vor allem zu den Italienern. Cafiero kaufte im Tessin ein Landgut, das den Zweck haben sollte, ein Rendez-vous-Ort der' italienischen 'Sozialisten zu sein. Bakunin hatte sich 'hier niedergelassen. Er war in dieser Zeit körperlich, infolge einer Herzkrankheit, schon ziemlich' abgebraucht. Besucher schildern ihn als mit Asthma behaftet und schwer atmend. Zeitweise drücken ihn eine tiefe Abneigung gegen das öffentliche Leben; das Alter, ständige ökonomische Schwierigkeiten, und die vielen gegen ihn erhobenen Verleumdungen hatten ihm Kraft und Glauben an die Bewegung genommen. Er fühlte das Bedürfnis, sich auszuruhen von seinem strapaziösen, arbeitsvollen Leben, und er wartete mit seinem Rückzuge nur bis zum entscheidenden Siege der Antiautoritären und seiner persönlichen Rehabilitierung. Unmittelbar nach dem Haager Kongreß bestand seine wichtigste Tätigkeit darin, seinen spanischen und italienischen Freunden die Beschlüsse der Antiautoritären nahe zu bringen.

Spezielle Bedeutung der Jurassier

Wenn es gerade Guillaume gewesen ist, der so erfolgreich die Bakunistische Opposition, die Antiautoritären überhaupt zusammengeführt und auch nach dem Kongreß von Haag im Zusammenhang gehalten und organisiert hat, so lag das zum Teil wohl an den persönlichen. Fähigkeiten Guillaumes. Es hatte aber seinen Hauptgrund darin, daß sein Wollen herausgewachsen war aus gemeinschaftlicher Denkarbeit mit den jurassischen Uhrenarbeitern, und mit ihr in vollem Einklang stand, daß er der typische Vertreter des Kollektivgeistes der Jurassier, also der Lohnarbeiter, war, denen alle Revolutionsspielerei fernlag, die auf realem Boden standen und praktisch zu handeln wußten. Sie waren vor allem Gewerkschaftler. Ihre Bewegung ging einerseits darauf hinaus, innerhalb der gegebenen bürgerlichen Gesellschaft Verbesserungen ihrer Lage zu erzielen, andererseits Staat und Kapitalismus überhaupt zu beseitigen, weil sie einsahen, daß innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft die Ideale der Freiheit und ökonomischen Gleichheit nie werden könnten. Und wenn sie zur Enthaltung von der

politisch-parlamentarischen Tätigkeit gekommen waren, so nicht aus theoretischen Gründen, sondern auf Grund ihrer persönlichen Erfahrung. Sie hatten ja vorerst an der Wahlpolitik teilgenommen. Jetzt waren sie praktische Gewerkschaftler. Sie interessierten sich für alle Details der gewerkschaftlichen Taktik, berieten über die Vorbedingungen von erfolgreichen Streiks, sie strebten Unterstützungskassen an für Streiks, Krankheiten und Arbeitslosigkeit. Was sie an Theorie hatten, das war aus ihrem Arbeitsleben herausgewachsen, und wenn sie sich für die Idee der Autonomie wehrten, so deshalb, weil sie in ihren eigenen Bewegungen frei sein wollten. Sie waren aber durchaus keine beschränkten Lokalisten. Sie erfuhren am eigenen Leib, daß die Arbeiterbewegung international sein müsse, auch dann, wenn man nur kleine Erfolge erzielen wollte, gar nicht zu sprechen von der sozialen Revolution. Sie waren Uhrenarbeiter und arbeiteten für den Weltmarkt. Ihre eigenen Arbeitsbedingungen wurden durch die Änderung der Uhrenproduktion in Amerika mächtig beeinflußt, und gerade in der Zeit nach dem Haager Kongreß begann die amerikanische fabrikmäßige Herstellung der Uhren auf die jurassischen Arbeiter zu drücken; Krisis, Arbeitslosigkeit, Lohnreduktion setzten ein, und die Jurassier mußten einsehen, daß ein bloßer lokaler Widerstand all dem nicht gewachsen war, aber auch einsehen, daß da die politische Tätigkeit keine Abhilfe schaffen konnte.

Wir haben es im Jura mit einer wirklichen Nurarbeiterbewegung zu tun, während, wie wir noch zeigen werden, die antiautoritären Bewegungen in den andern Ländern viele andere Beimengungen in sich schlossen. Andererseits waren die Jurassier auch nicht einfach pauperisierte und verzweifelte Arbeiter, die aus Verzweiflung Revolten und Putsche gemacht hätten, sondern es handelt sich um eine kluge, selbständig denkende Arbeiterschaft, die jeden Schritt, den sie machte, erst überlegte. Es handelte sich um Arbeiter, die Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen besaßen und über jeden gelächelt hätten, der sie hätte führen wollen. Die Auffassungen, die in ihren Köpfen entstanden, mochten nicht übereinstimmen mit denen, die in den Köpfen von Großindustriearbeitern entstehen mußten; sie mochten sich auf jene nicht übertragen lassen. Das ist eine andere Frage, und mochten die Jurassier nach außen hin weniger revolutionär erscheinen als die Antiautoritären anderer Länder, so waren sie wohl überlegende proletarische Revolutionäre.

Sie waren Bakunin gegenüber ebenso kritisch wie jedem anderen gegenüber. Wenn er ihnen sympathischer war als andere, so deshalb, weil seine Anschauungen mit den ihrigen recht viel Gemeinsames hatten und weil sie selbst auch einen Schuß von dem starken Freiheitsdrang von Bakunin besaßen. Sie waren ja keine ausgemergelten Fabrikarbeiter, sondern Leute, denen die Verhältnisse den Luxus erlaubten, ein Stück Freiheitsdrang zu besitzen.

Peter Krapotkin, der die Arbeiter vom Val de Saint-Imier im April 1872 (also fünf Monate vor dem Haager Kongreß) besuchte, macht folgendes Bild von ihnen: "Auch der Umstand, daß es im Jurabund keine Scheidung zwischen Führern und Massen gab, trug ebenfalls mit dazu bei, daß sich jedes Mitglied des Bundes über jede Frage eine eigene Meinung zu bilden suchte. Hier hatte ich also das Schauspiel, daß die Arbeiter nicht eine von wenigen geleitete und den politischen Zwecken dieser wenigen dienstbar gemachten Masse darstellten; ihre Führer waren nichts anderes als besonders rührige Genossen, mehr Anreger als eigentliche Leiter. Die klare Einsicht, das gesunde Urteil, die Fähigkeit zur Lösung verwickelter Fragen, wie ich sie unter diesen Arbeitern, besonders dem mittleren Lebensalter angehörenden, antraf, machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich bin test überzeugt, daß die hervorragende Rolle, die dem Jurabunde in der Entwicklung des Sozialismus zukommt, nicht nur in der Bedeutung der antigouvernementalen und föderalistischen Ideen, deren Hauptvertreter er war, ihren Grund hat, sondern auch darin, daß diese Ideen infolge des gesunden Menschenverstandes der Uhrmacher des Jura in so vernünftiger Form zum Ausdruck gelangten. Ohne ihren Beistand wären diese Prinzipien vielleicht noch lange Zeit bloße Abstraktionen geblieben."

Dazu hatten sie in ihrer Mitte einen Mann wie James Guillaume, der gleichzeitig eine hohe allgemeine Kultur, Kenntnis der Ökonomie und ein durchaus volkstümliches Empfinden besaß. Er kannte das "Kapital" von Marx besser als viele Marxisten; er würdigte es, ließ sich aber durch diese Würdigung den Blick für die speziellen Verhältnisse der Gegend, in der er lebte, nicht trüben. Er war nach seiner Studienzeit Professor an der Industrieschule in Locle geworden. Seine Tätigkeit für die Arbeiterbewegung hatte sein Verbleiben in jener Stellung verunmöglicht. Er verließ deshalb seine Lehrerstelle und wurde Typograph. Er lebte vom Jahre 1869 an vier Jahre als Handarbeiter, lebte

wie das Volk und mit dem Volk. Und seine Anschauungen entwickelten sich mit den und durch die Jurassier. Er hatte mit den Jurassiern den ganzen Entwicklungsgang durchgemacht; von der schwärmerisch-reformistischen Bewegung, wie sie zur Mitte der 60er Jahre existierte, bis zu der klaren revolutionären Gewerkschaftsbewegung, wie sie sich im 'Laufe der Zeit durch die gemachten Experimente herausgebildet. Er hatte aber auch die ganze Entwicklung der Internationale durcherlebt, und als er Bakunin angetroffen, hatte er in allen wichtigen Fragen schon auf dem Standpunkt Bakunins gestanden. Er 'mußte nicht erst von ihm bekehrt werden, sondern hatte alle Grundelemente dessen, was man mit dem Titel Bakunismus benennt, in sich. Dazu noch ein Plus, und das war der Halt in einer bodenständigen, unromantischen Arbeiterbewegung. D'as Russische, Maßlose, der Drang nach dem Absoluten, das Uferlose, aber auch Sprunghafte Bakunins fand in dem geometrisch klaren Verstand Guillaumes eine wunderbare 'Korrektur. Wenn Bakunins Wesen die Guillaumesche Psyche passiert hatte, so war es europäisiert und gleichzeitig gereinigt durch das rationellere, kollektive Denken der jurassischen Uhrenarbeiter, das in Guillaume lebte. Der wilde Baum der Ideen Bakunins wird durch den ordnenden Verstand und das unmenschlich stark entwickelte Gerechtigkeitsgefühl von Guillaume beschnitten. Was Bakunin an Überschäumendem hat, hat Guillaume an Ebenmaß, an innerer Ordnung. Als Taktiker ist er ein Unikum. Sein Kampfesmittel ist nicht die Demagogie, sondern die Wahrheit und die Logik. Seine Polemiken sind logische Abhandlungen. Und wenn er heftig wird in der Polemik, so nur dann, wenn er Lüge, Verleumdung, Hintertreppenpolitik, Streberei, Ungerechtigkeit begegnet. Krumme Wege geht er nicht. Sie fallen ihm überhaupt nicht ein; 'sie sind unmöglich für ihn. Er ist dem innersten Wesen nach eine edle Gelehrtennatur, die sich auch in der Politik nicht verleugnet. So tolerant er aber auch anders Denkenden gegenüber ist, so heftig und hart wird er gegen alle die, welche gegen die Ideen der Freiheit und der Wahrheit und der Brüderlichkeit sündigen.

Ein solcher Charakter 'war die Voraussetzung dazu, daß die doch recht verschiedenartige Haager Minorität sich zu einem Ganzen zusammenschweißen ließ. Die Jurassier hatten noch den Vorteil, daß sie nicht wie die Italiener, Spanier und Franzosen starken Regierungsverfolgungen ausgesetzt waren. Das machte ihre Bewegung ruhiger und

stetiger und machte sie zu einem Stützpunkt, von dem aus das Allgemeine der neuen Internationale propagiert werden konnte. Deshalb übergab man auch den Jurassiern die Vorbereitung des Kongresses der Antiautoritären auf das Jahr 1873, der in Genf stattfinden sollte, und ihre Zeitung, das "Bulletin", das halbmonatlich erschien (vom Juli 1873 ab wöchentlich), wurde faktisch das Korrespondenzblatt der Antiautoritären und Guillaume sein unermüdlicher Redakteur.

Der 2. Kongreß der Antiautoritären in Genf

(1.-6. September 1873)

Verfolgen wir nun an Hand des Guillaumeschen Buches die weitere Entwicklung der antiautoritären Internationale. Ihre Gesamtäußerung nach dem Kongreß in St.-Imier war der Kongreß in Genf. Damit man sich eine klare Vorstellung mache von der gegen Marx gerichteten Opposition, über ihren Prinzipiengehalt, über die Verschiedenheit dieser Prinzipien von denen der Marxschen Richtung, ist es notwendig, den Inhalt der Verhandlungen des Kongresses zu referieren. Nebenbei sei bemerkt, daß die Lassalleaner dem Kongreß ein brüderliches Telegramm übersandten.

Die Tagesordnung desselben war folgende:

1. Endgültige Konstitution des Vertrages der gegenseitigen Verteidigung zwischen den freien Föderationen der Internationale und Revision der Generalstatuten.

2. Generalstreik.

3. Allgemeine Organisation der Gewerkschaften.

Anwesend waren auf dem Kongreß:

2 Delegierte vom englischen Föderativrat.

Die 5 Delegierten der belgischen Landesföderation.

Die 5 Delegierten der spanischen Landesföderation.

5 Delegierte von verschiedenen französischen Sektionen.

Der Delegierte der holländischen Föderation.

Die 4 Delegierten der italienischen Föderation.

Die 6 Delegierten der jurassischen Föderation.

Aus den Berichten der Föderation geht hervor, daß die Bewegung in den einzelnen Ländern an Umfang gewinnt. In Spanien war im Sommer 1873 ein Bürgerkrieg zwischen zentralistischen und föderalistischen Republikanern ausgebrochen, und in einigen Provinzen hatte die Internationale

daran teilgenommen (siehe S. 166). Der Delegierte der holländischen Föderation erklärt, er habe den Auftrage, auch dem vom Generalrat von Neuyork veranstalteten Kongreß beizuwohnen, um dort die Prinzipien der Autonomie zu verteidigen. Costa (der spätere sozialdemokratische Vizepräsident der italienischen Kammer) erklärt, daß es in Italien keine Marxisten gäbe.

Eingangs wurde beschlossen, daß jede der am Kongreß vertretenen sieben Föderationen eine Stimme haben solle. Eine lange prinzipielle Diskussion' erhob sich über die Frage, ob der Generalrat gänzlich abgeschafft werden solle. Die Kommission schlug die Abschaffung vor und sie wurde ohne weiteres angenommen, d. h. der Generalrat in seiner bisherigen Form abgeschafft. Es erhob sich' nun die Frage, ob er ersetzt werden solle durch irgendeinen administrativen Apparat. In der Diskussion hierüber platzten die Geister aufeinander über den Begriff der Anarchie.

Brousse (der spätere sozialdemokratische Präsident des Pariser Gemeinderates) spricht sich dafür aus, daß man nichts setzen soll an Stelle des bisherigen Generalrats. Man brauche keinen Zentralpunkt. Ihm schlossen sich der Vertreter der .Holländer und der Italiener Costa an.

Hales (England) opponiert dieser Anarchie. Anarchie bedeute Auflösung, Individualismus, d. h. gerade das, was die Internationale bekämpfen wolle. Man dürfe die Abschaffung der Autorität nicht mit der Abschaffung der Organisation verwechseln. Deshalb ist er für einen Zentralpunkt der Organisation, der aber keine autoritären Funktionen haben soll. Dem gegenüber bemerkt ein anderer Delegierter (Ostyn, Mitglied der Pariser Kommune): Die Schaffung eines solchen Zentralpunktes trage wieder den Keim einer autoritären Institution in sich. Gebe man jemandem die Macht, einen zu vertreten, so verkaufe man seine Freiheit und seine Initiative. Jede Föderation solle alle ihre Geschäfte selbst auf sich nehmen. Die Kongresse geben eine genügende, natürliche Verbindung der Föderationen ab.

Guillaume möchte, daß man weniger in Theorie mache und sich auf einen unmittelbar praktischen Standpunkt stelle. Im nächsten Jahr habe ein Kongreß stattzufinden. Nun möge man zur Vorbereitung dieses Kongresses, also auf eine bestimmte, beschränkte Zeit, einer Kommission gewisse Funktionen anvertrauen. Wie man die Kongreßvorbereitung an eine Kommission weise, könnte man es

auch tun mit der Frage der Statistik und der Streiks, und um die autoritäre Zentralisation zu vermeiden, könnte man eine jede dieser Kommissionen in eine andere Föderation verlegen. Man möge einmal einen Versuch machen und aus ihm die weiteren Schlüsse ziehen.

Im Lauf der Diskussion kam man nochmals zurück auf die Definition der Anarchie. Hales hatte die Anarchie Individualismus, Auflösung der Bande zwischen den Organisationen genannt. Dagegen wehrte sich der Spanier Vinas. Anarchismus bedeute nur Negation der politischen Autorität, aber Organisation der ökonomischen Ordnung der Dinge. Auch Brousse wendet sich gegen die Halessche Definition. Anarchie bedeute nicht Unordnung; es heiße Beseitigung jeder Regierung und Ersatz derselben durch gegenseitige Verträge unter den Menschen.

Es wurde sodann beschlossen, die Frage über eine "Zentralkommission" durch folgende Resolution zu erledigen:

"Der Kongreß beauftragt jedes Jahr einen Landesverband mit der Organisation des nächsten Kongresses. Der betreffende Landesverband client gleichzeitig als Föderativbureau der Internationale.

Dies Bureau kann auch als Vermittler für Streikfragen, Statistik und Korrespondenz im allgemeinen dienen." Nach Erledigung dieses Punktes wurden auch die übrigen Paragraphen dei Statuten diskutiert. Zu einer längeren Auseinandersetzung gab die Frage Anlaß, ob auch Kopfarbeiter der Internationale angehören dürften. Gegen ihre Aufnahme erhoben sich folgende Bedenken seitens Dumartheray und Perrare (Franzosen), Cornet und Manguette (Belgier):

1. D'as Vorhandensein von Kopfarbeitern habe die Streitigkeiten in der Internationale hervorgerufen;

2. Die Kopfarbeiter wirken schlecht auf die Handarbeiter. Ihre größere Bildung gebe ihnen einen unseligen Einfluß und sie wachsen doch aus so ganz anderen Bedingungen heraus als die Handarbeiter, daß sie deren innerstes Wesen verkennen müssen. Dem gegenüber wurde eingewandt:

1. Die Internationale solle alle revolutionären Elemente in sich schließen;

2. Die Kopfarbeiter haben sich als mindestens so revolutionär erwiesen wie die Handarbeiter und haben der Internationale große Dienste geleistet;

3. Das Zusammensein der Kopfarbeiter mit den Handarbeitern wirke moralisierend auf die Kopfarbeiter. Nur so befreien sie. sich von den Vorurteilen ihrer Klasse;

4. Der Ausschluß der Kopfarbeiter unter dem Vorwand, sie seien zu gebildet und genießen deshalb zu viel moralischen Einfluß, treffe ja auch die gebildeten Handarbeiter, treffe die Intelligenz überhaupt. So müßte man auch die Arbeiter ausschließen, wenn sie einen gewissen Grad von Bildung erlangt hätten;

5. Viele Arbeiter seien in viel höherem Grade Bourgeois, auch der Höhe ihres Einkommens nach, als z. B. irgendein Lohnschreiber oder Lehrer, der Stunden gibt, und welcher das Elend in ganz gleichem Grade kenne wie der Proletarier;

6. Man könne mit der Bourgeoise als Klasse nicht zusammengehen, wenn aber einzelne Mitglieder derselben, überzeugt von der Richtigkeit des Sozialismus, ihm sich anschließen wollen, dürfe man sie nicht zurückweisen.

In der Abstimmung beschloß man, die Kopfarbeiter nicht auszuschließen; nur in die Gewerkschaften sollten sie nicht zugelassen werden.

Eine weitere wichtige Diskussion fand darüber statt, ob man auch über prinzipielle Fragen auf dem Kongreß abstimmen wolle. Die Freunde der prinzipiellen Abstimmung sagten: Das Abstimmungsresultat gebe eine Art Statistik über die Ansichten. Mehr soll es ja nicht bedeuten.

Die Gegner wendeten ein, 'daß der moralische Einfluß einer solchen Statistik für den Außenstehenden wäre, daß es eine offizielle Kongreßmeinung gebe, und die solle es ja nicht geben. Es wurde dann nach gewalteter Diskussion von der Abstimmung in Prinzipienfragen Abstand genommen.

Über Kongreßbeschlüsse wurde des weitern bestimmt, daß sie nur obligatorisch wären für die, welche sie annehmen wollten. Damit ist die Diskussion über die Statuten erschöpft und wir lassen nun noch die Statuten folgen, die der Kongreß beschlossen.

Vorerst sei bemerkt, daß die Prinzipienerklärung durchaus dieselbe war, wie die auf dem Genfer Kongreß von 1866, und daß man dabei den französischen Text von 1864 bis 1866 zugrunde legte; deshalb brauchen wir sie nicht wiedergeben. Die 11 Artikel der Statuten lauten:

Art. 1. Die internationale Arbeiterassoziation hat als Zweck, die Vereinigung der Arbeiter aller Länder zu verwirklichen, auf dem Boden der Solidarität in dem Kampf

gegen das Kapital, einem Kampf, der hinauslaufen soll auf die vollständige Emanzipation der Arbeit.

Art. 2. Wer immer die Prinzipien der Assoziation annimmt und verteidigt, kamin als Mitglied aufgenommen werden, unter Verantwortlichkeit der Sektion, die ihn zuläßt.

Art. 3. Die Föderationen und Sektionen, welche die Assoziation zusammensetzen, bewahren ihre vollständige Autonomie, d. Im. das Recht, sich zu organisieren nach ihrem Willen, ihre eigenen Geschäfte ohne irgendeine äußere Einmischung zu besorgen und den Weg selbst zu bestimmen, den sie zu verfolgen beabsichtigen, um zur Emanzipation der Arbeit zu gelangen.

Art. 4 Ein allgemeiner Kongreß der Assoziation wird jedes Jahr am ersten Montag im September stattfinden.

Art. 5. Jede Sektion, wie groß immer die Zahl ihrer Mitglieder sei, hat das Recht, einen Delegierten an den allgemeinen Kongreß zu entsenden.

Art. 6. Die Aufgabe des Kongresses ist, die Bestrebungen der Arbeiter der verschiedenen Länder darzustellen und durch die Diskussion in Harmonie zu bringen. Bei der Eröffnung des Kongresses wird eine jede regionale Föderation ihren Rapport über den Gang der Assoziation während des abgelaufenen Jahres vorbringen. Man wird von der Abstimmung nur Gebrauch machen für administrative Fragen, da Prinzipienfragen nicht Gegenstand einer Abstimmung sein können.

Die Entscheidungen des Kongresses werden nur vollstreckt von denjenigen Föderationen, die sie angenommen haben.

Art. 7. Auf dem allgemeinen Kongreß wird in der Weise abgestimmt, daß jede regionale Föderation eine Stimme hat.

Art. 8. Der Kongreß wird jedes Jahr eine regionale Föderation mit der Organisation des folgenden Kongresses beauftragen. Die Föderation, die diesen Auftrag erhält, wird als Föderativbureau (Bureau fédéral) der Assoziatien dienen. An dieses Bureau sollen mindestens drei Monate vor dem Kongreß, damit alle regionalen Föderationen in Kenntnis gesetzt werden können, die Anträge, welche die verschiedenen Föderationen oder Sektionen auf die Tagesordnung des Kongresses gesetzt haben möchten, überwiesen werden.

Das Föderativkomitee kann außerdem als Vermittler

dienen in Sachen von Streiks, Statistik und allgemeiner Korrespondenz zwischen den Föderationen, die sich zu diesem Zweck an dasselbe wenden.

Art. 9. Der Kongreß wird selbst die Stadt bestimmen, in der der nächste Kongreß abgehalten werden soll.

Art. 10. Auf Initiative einer Sektion oder Föderation kann eine Abstimmung in den regionalen Föderationen, auch im Laufe des Jahres, je nach den Ereignissen, Ort und Zeit des allgemeinen Kongresses ändern oder einen außerordentlichen Kongreß einberufen.

Art. 11. Will eine neue regionale Föderation in die Assoziation eintreten, so soll sie ihre Absicht mindestens drei Monate vor dem allgemeinen Kongreß der Föderation mitteilen, die als Föderativ-Bureau dient. Diese wird davon allen regionalen Föderationen Kenntnis geben, die zu entscheiden haben, ob sie die neue Föderation aufnehmen wollen oder nicht, und zu diesem Behufe ihren Delegierten zum allgemeinen Kongreß, der in letzter Linie entscheidet, Anweisungen geben. Die zweite große Frage war die des Generalstreiks.

Das erstemal war über denselben 1868 auf dem Kongreß in Brüssel beraten worden, aber nur als Mittel gegen den Krieg. Auf dem Genfer Kongreß wurden von den verschiedenen Delegierten über den Generalstreik folgende, mehrfach auseinandergehende Ideen ausgesprochen:

1. Die Voraussetzung des Generalstreikes sei eine mehr oder weniger vollkommene Ausgestaltung der regionalen und internationalen Berufsverbände und es seien deshalb statistische Arbeiten zu machen in Hinsicht auf den eventuellen Generalstreik.

2. Der Generalstreik sei nichts anderes als die soziale Revolution; denn es genüge, die Arbeit nur 10 Tage auszusetzen, um die heutige Gesellschaftsordnung zum Auseinanderfallen zu bringen.

3. Der Generalstreik sei ein Mittel, um eine revolutionäre Bewegung herbeizuführen. Da diese das Ziel sei, müsse ein Generalstreik international sein.

4. Wenn ein Partialstreik bestehe, der zu mißlingen drohe, so könne ein lokaler Generalstreik, wie er in Alcoy (Spanien) stattfand, durch die allgemein gesellschaftlichen Folgen, die er habe, dazu führen, daß den Forderungen der Arbeiter, die im Partialstreik nicht siegen könnten, Gerechtigkeit widerfähre.

5. Da die Resultate der partiellen Streiks vielfach ungenügend

seien, müsse man zum Mittel des generalisierten Streiks greifen.

6. Ein Berufsgeneralstreik an einem Ort sollte einem Berufsgeneralstreik eines Ortes nach dem andern folgen, und die nicht Streikenden sollten jeweils die andern unterstützen durch die Mittel, die ihnen durch ihren Berufsgeneralstreik eingebracht werden. (Bert.)

7. Die partiellen Streiks geben ungenügende Resultate, deshalb solle an der Vollendung der internationalen Organisation der Gewerkschaften gearbeitet werden; dann wird es möglich sein, den internationalen Generalstreik auszuführen, welcher allein die vollkommene Emanzipation der Arbeiter herbeiführen kann. (Guillaume.)

8. Es brauche eine lange Propaganda bis zum Ausbruch des Generalstreiks.

9. Der Generalstreik sei Unsinn. Seine Voraussetzung sei, daß man überall organisiert sei. Dann wäre aber auch die soziale Revolution gemacht. (Hales.)

Der. Kongreß einigte sich auf folgende Resolution: • "Bei dem gegenwärtigen Stand der Organisationen der

Internationale gibt es keine vollkommene Lösung der Generalstreiksfrage. Deshalb empfiehlt der Kongreß die internationale Organisation der Berufsverbände zu beschleunigen."

Über die Gewerkschafts-Organisation lag eine Resolution vor von seiten der Spanier, die adoptiert wurde und die die Organisation von Industrieverbänden empfahl.

Brüssel wurde als Kongreßort für das Jahr 1874 bestimmt und dem belgischen Landesverband das "Bureau" der Internationale bis dahin übertragen.

Das sind die wichtigsten Resultate des Kongresses der Antiautoritären in Genf.

Wir sehen also, daß Jaeckh durchaus nicht recht hat, wenn er behauptet, daß auf diesem Kongreß allgemeine Trostlosigkeit herrschte. Ob durch den Kongreß der Marxisten ein hoffnungsvoller Zug ging, wie Jaeckh des weiteren behauptet, das wollen wir nun im folgenden untersuchen.

Der Kongreß der Marxisten in Genf

(8.-13. September 1873)

Der Genfer Kongreß der Marxisten war nach den eigenen Worten von Marx ein Fiasko. Es wollte einfach niemand auf den Kongreß kommen. Es war durch den Haager Kongreß

und seine Beschlüsse wirklich den Marxisten gelungen, die Internationale zu sprengen. Aber wir wollen hier darauf verzichten, eine besondere Darstellung des Kongresses zu geben, es sei denn durch Anführung einer Anzahl von Urteilen der Marxisten selber. Lassen wir deshalb ein paar Briefstellen folgen, die dem bekannten Sorgeschen Briefwechsel entnommen sind. Engels schrieb vier Monate vor dem Kongreß an Sorge (3. Mai):

"In der Schweiz ist nur ein möglicher Ort (für den Kongreß), und das ist Genf. Dort haben wir die Masse der Arbeiter hinter uns und dann ein den Internationalen gehöriges Lokal, den Temple Unique, wo wir die Herren von der Allianz einfach hinauswerfen, wenn sie sich präsentieren. Außer Genf wäre nur Zürich möglich, aber dort haben wir nur die paar deutschen Arbeiter, und auch diese nicht alle (vide Felleisen), und Euere Anfrage könnte sogar den Erfolg haben, daß von einigen Seiten das zentral gelegene Olten vorgeschlagen würde, wo wir erst recht auf dem Hintern säßen. Die Allianzisten bieten alles auf, um massenhaft auf dem Kongreß zu erscheinen, während bei uns alles einschläft. Französische Delegierte können nach der Sprengung keine kommen. Die Deutschen, obwohl sie ihren eigenen Krakeel mit den Lassalleanern haben, sind durch den Haager Kongreß, wo sie im Gegensatz zu ihrem eigenen Gezänk lauter Brüderlichkeit und Harmonie erwarteten, sehr enttäuscht und schlaff geworden; dazu kommt, usw."

"Aus England können nur wenige Delegierte kommen; ob die Spanier einen schicken, ist sehr fraglich; also steht zu erwarten, daß der Kongreß sehr schwach besucht sein wird und daß die Bakunisten mehr Leute dort haben werden als wir. Die Genfer selbst tun nichts, die ,Egalité' scheint eingegangen, also auch dort selbst keine große Teilnahme zu erwarten — bloß daß wir dort in unserem eigenen Hause sitzen und unter Leuten, die Bakunin und seine Bande kennen und sie im Notfall hinausprügeln. Also Genf ist der einzige Ort, und um uns den Sieg zu sichern, nur noch nötig, aber auch absolut, daß der Generalrat jetzt laut Beschluß vom 26. Januar als ausgetreten erklärt:

1. Die belgische Föderation, die erklärt hat, mit dem Generalrat nichts zu schaffen zu haben und die Haager Beschlüsse verworfen hat;

2. Der in Cordova vertretene Teil der spanischen Föderation, der gegen die Statuten die Zahlung der Beiträge

für optional erklärt und die Beschlüsse von Haag ebenfalls verworfen hat;

3. Die im angeblichen Londoner Kongreß vom 26. Januar vertreten gewesenen englischen Sektionen und Individuen, die ebenfalls die Haager Beschlüsse verwarfen;

4. Die Juraföderation, die auf ihrem jetzt abzuhaltenden Kongreß schon Grund genug dazu geben wird, den Suspensionsbeschluß zu erweitern."

"Zum Schluß könnte erklärt werden, daß die sogenannte italienische Föderation, die auf dem sogenannten Kongreß von Bologna (statt Mirandola) vertreten war, gar nicht zur Internationale gehört, indem sie nie auch nur, eine der statutengemäß vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt hat."

Der Leser wird aus diesem Brief ohne weiteres seine Schlüsse ziehen über die Stärke des Anhanges der Autoritären. Wir haben auch aus der Zeit nach dem Kongreß, sowohl von Becker als von Marx, in besagtem Briefwechsel allerlei interessante Angaben, wie von den Veranstaltern selbst der Kongreß beurteilt wurde. Lassen wir vorerst Becker sprechen: "Da kam nun am 7. (Sept.) unter den miserabelsten Bedingungen der Kongreß angehinkt, sich gleichsam mir an den Hals hängend, um sich von mir retten zu lassen! Was wollte ich aber machen? Ich nahm die Verantwortlichkeit für das Gelingen des Kongresses, die die Schicksalstücke so hämisch mir zu einer sonst schon verzweifelten Lage aufgeladen, frischen Mutes auf mich. Noch ehe die Hiobsposten von Serrailler und dem englischen Föderalrat hier ankamen, hatte ich, um dem Kongreß durch Mitgliederzahl mehr Ansehen zu geben und der richtigen Richtung die Mehrheit zu sichern, 13 Delegierte gleichsam aus der Erde gestampft, und es ging schließlich über mein Erwarten gut. Ja, es kann der 6. Kongreß in Beziehung auf nüchterne Haltung und praktische Leistung allen übrigen zum Vorbild dienen."

Becker hatte Schlimmeres gefürchtet, als eingetreten war. Deshalb schrieb er diesen relativ optimistischen Brief. Marx, der die Sache objektiv ansah, war anderer Ansicht. Er schrieb an Sorge: "Das Fiasko des (marxistischen) Genfer Kongresses war unvermeidlich. Von dem Augenblick, wo es hier bekannt war, daß von Amerika keine Delegierten kommen würden, stand die Sache schon schief. Man hatte Euch in Europa als meine Figuranten darzustellen gesucht. Erscheint Ihr also nicht und erscheinen wir, so hätte das als Bestätigung des von unseren Gegnern ängstlich

ausgestreuten Gerüchts gegolten. Außerdem galt es als Beweis, daß Eure amerikanische Föderation nur auf dem Papier bestehe. Ferner, die englische Föderation brachte nicht Geld für einen einzigen Delegierten auf. Die Portugiesen, Spanier, Italiener zeigten an, daß sie unter den Umständen keinen direkten Delegierten schicken könnten; von Deutschland, Österreich und Ungarn waren die Nachrichten gleich schlecht. Teilnahme von französischer Seite war außer Frage. Es war also sicher, daß der Kongreß unter diesen Verhältnissen der großen Majorität nach aus Schweizern und sogar aus Lokal-Genfern bestehen würde. Von Genf selbst hatten wir keine Nachrichten; Utin war nicht mehr da, der alte Becker beobachtete ein hartnäckiges Stillschweigen, und Herr Perret schrieb ein- oder zweimal, um uns irrezuführen.

"Endlich vor Torschluß kommt ein Brief vom Genfer romanischen Komitee an den englischen Föderalrat an, worin die Genfer sich erstens weigern, selbst englische Mandate anzunehmen, versöhnungslustig schrieben und eine Flugschrift (gez. Perret, Duval usw.) beilegen, die direkt gegen den Haager Kongreß und den alten Generalrat in London gerichtet ist. Die Kerls gehen darin in mancher Hinsicht weiter als die Jurassier, zum Beispiel verlangen sie Ausschluß der sogenannten Kopfarbeiter. (Das schönste dabei ist, daß dies Machwerk von dem elenden military adventurer Cluseret ["Stifter der Internationalen" in Amerika, nennt er sich in Genf]geschrieben ist. Der Herr wollte den Generalrat in Genf, um von dort aus im geheimen Diktatur auszuüben.)

"Dieses Schreiben nebst Beilage kam rechtzeitig an, um Serraillier abzuhalten, nach Genf zu gehen und (wie das auch der englische Föderalrat tat) gegen das Treiben der dortigen Gesellen zu protestieren und ihnen im voraus zu sagen, daß man ihren Kongreß als bloße Genfer Lokalgeschichte behandeln würde. Es war sehr gut, daß niemand hinging, der diesen Charakter des Kongresses durch seine Anwesenheit zweifelhaft machen konnte.

"Trotzdem haben die Genfer es nicht fertiggebracht, sich des Generalrats zu bemächtigen, haben aber, wie Du schon wissen wirst, alle Arbeiten seit dem ersten Genfer Kongreß vereitelt und vieles sogar den dort gefaßten Beschlüssen Entgegengesetzte durchgeführt.

"Nach meiner Ansicht von den europäischen Verhältnissen ist es durchaus nützlich, die formelle Organisation der Internationalen einstweilen in den Hintergrund treten zu lassen und nur, wenn möglich, den Zentralpunkt in Newyork deswegen nicht aus den Händen zu geben, damit keine Idioten wie Perret oder adventurers wie Cluseret sich der Leitung bemächtigen und die Sache kompromittieren. Die Ereignisse und die unvermeidliche Entwicklung und Verwicklung der Dinge werden von selbst für Auferstehung der Internationalen in verbesserter Form sorgen. Einstweilen genügt es, die Verbindung mit den Tüchtigsten in den verschiedenen Ländern nicht ganz aus den Händen schlüpfen zu lassen, im übrigen aber sich keinen Deut um die Genfer Lokalbeschlüsse zu kümmern, sie einfach zu ignorieren. Der einzige gute Beschluß, der dort gefaßt worden, den Kongreß auf zwei Jahre zu vertagen, erleichtert diese Aktionsweise. Es ist außerdem ein Strich durch die Rechnung der Kontinentalregierungen, daß das Gespenst der Internationalen bei dem bevorstehenden Reaktionskreuzzug augenblicklich seine Dienste versagt, die Bourgeois vielmehr überall das Gespenst für glücklich begraben halten."

Da Marx und Engels sich vom Kongreß fernhalten und Becker in der Tinte hatten sitzen lassen, wurde Becker wütend und schrieb an Sorge einen Brief, den es sich schon lohnt, hier stückweise abzudrucken:

"Du warst ja in Deinem Letzten ganz aus dem Häuschen gekommen; so gefährlich steht doch die Sache nicht und kann es Dir gewiß nicht ernst gewesen sein, das Benehmen Serrailliers und des Föderalrats in London zu rechtfertigen, während es nicht einmal zu entschuldigen ist. Wo bleibt denn da die von den so gern mit Grundsätzen prunkenden Wortführern so warm empfohlene und hochgepriesene Solidarität, wenn man zu Hause bleibt, wenn man den Gesellschaftskarren in den Dreck gefahren vermutet, und es ins Blaue und Graue hinein wenigen Mitgenossen überläßt, denselben herauszuziehen, um dann, wenn es mißlingt, ja nicht dabei gewesen und aller Verantwortlichkeit (freilich nur scheinbar) enthoben zu sein, während unter gegebenen Umständen alle Schuld einer Mißlungenschaft ganz verdientermaßen auf solche Abstentionen fallen müßte? Der Teufel soll die großmannsrufverlustbangen Klugscheißer holen. Zweimal hätten sie kommen müssen, wenn sie Gefahr im Anzuge vermuteten.

"Es war uns aber deshalb doch nicht bange, weil wir mehr Delegierte aus Deutschland und Österreich, wohin ich vorher dringlich schrieb, sowie auch aus England und Amerika erwarteten. Als wir dann hierin getäuscht waren, hatten wir doppelten Grund, eine möglichst große Anzahl Delegierte zu pressen, sowohl uns eine entschiedene Mehrheit, als die Abhaltung des Kongresses zu sichern. Wäre die Delegiertenmacherei nicht gelungen, so hätten wir natürlich die Abhaltung des Kongresses durch einen leicht zu motivierenden Rücktritt unmöglich gemacht, was aber angesichts des vorausgegangenen, so viel Aufsehen in aller Welt erregenden Kongresses als eine schauderhafte moralische Niederlage zum Triumph der Sonderbündler für uns erschienen wäre, so daß man mit mehr Berechtigung, als es geschah, das Absterben der Internationalen aller Welt hätte verkünden können. Hiernach kannst Du ermessen, in welcher Klemme wir waren, und wirst Du begreifen, wie ich unter solchen Umständen mit dem Gange und Resultat des Kongresses (freilich nur relativ) zufrieden war. Ja, wenn ich Dir erst die unzähligen Vexationen, die dabei von Anfang bis zu Ende mit unterliefen, in den Details vor Augen führen könnte!"

Dieser Kongreß ist der letzte der Marxisten gewesen. Was nach ihm der Generalrat und der Rest der marxistischen Internationalen noch machte, ist nicht mehr der Erwähnung wert. Immerhin mag es interessant sein, die Ansicht von Engels über das Ende der Internationale, nach einem Briefe an Sorge (12. September 1874), hier wiederzugeben. Gewiß stimmen wir in wichtigen Punkten nicht nut Engels überein, aber es ist von Wert, ein einflußreiches Mitglied der marxistischen 'Gruppe anzuhören.

"Inliegend die gewünschte Abrechnung. ... Mit Deinem Austritt ist die alte Internationale vollständig abgeschlossen und zu Ende. Und das ist 'gut. Sie gehörte der Periode des zweiten Kaiserreichs an, wo der in 'ganz Europa herrschende Druck der eben wiedererwachenden Arbeiterbewegung Einigkeit und Enthaltung von aller inneren Polemik vorschrieb. Es war der Moment, wo die gemeinsamen kosmopolitischen Interessen des Proletariats in den Vordergrund treten konnten; Deutschland, Spanien, Italien, Dänemark waren eben erst in die Bewegung eingetreten oder traten ein in sie. Der theoretische Charakter der Bewegung war in ganz Europa, das heißt bei den Massen, in der Wirklichkeit

1864 noch sehr unklar. Der deutsche Kommunismus existierte noch nicht als Arbeiterpartei, der Proudhonismus war zu schwach, um seine Spezialmarotten vorreiten zu können, Bakunins neues Krämchen bestand noch nicht einmal in seinem eigenen Kopfe, selbst die Chefs der englischen Trade Unions glaubten auf Grundlage des in den Considérants der Statuten ausgesprochenen Programms in die Bewegung eintreten zu können. Der erste große Erfolg mußte dies naive Zusammengehen aller Fraktionen sprengen. Dieser Erfolg war die Kommune, die intellektuell unbedingt das Kind der Internationalen war, obwohl die Internationale keinen Finger rührte, um sie zu machen, und für die die Internationale soweit auch mit vollem Recht verantwortlich gemacht wurde. Als durch die Kommune die Internationale eine moralische Macht in Europa wurde, fing der Krakeel sofort an. Jede Richtung wollte den Erfolg für sich ausbeuten. Der Zerfall, der nicht ausbleiben konnte, kam. Die Eifersucht auf die steigende Macht derjenigen Leute, die wirklich bereit waren, auf dem alten umfassenden Programm fortzuarbeiten — der deutschen Kommunisten — trieb die belgischen Proudhonisten in die Arme der bakunistischen Abenteurer. Mit dem Haager Kongreß war es in der Tat am Ende — und zwar für beide Parteien. Das einzige Land, wo noch etwas auf den Namen der Internationalen zu machen, war Amerika, und ein glücklicher Instinkt legte die Oberleitung dahin. Jetzt ist auch dort das Prestige erschöpft, und jede weitere Anstrengung, neues Leben hineinzugalvanisieren, wäre Torheit und Kraftverschwendung. Die Internationale hat zehn Jahre europäischer Geschichte nach einer Seite hin — nach der Seite, worin die Zukunft liegt — beherrscht und kann stolz auf ihre Arbeit zurückschauen.

"Aber in ihrer alten Form hat sie sich überlebt. Um eine neue Internationale in der Weise der alten, eine Allianz aller proletarischen Parteien aller Länder hervorzubringen, dazu gehörte ein allgemeines Niederschlagen der Arbeiterbewegung, wie es 1849 bis 1864 vorherrschte. Dazu ist die proletarische Welt zu groß, zu weitläufig geworden. Ich glaube, die nächste Internationale wird — nachdem Marx' Schriften einige Jahre gewirkt — direkt kommunistisch sein und geradezu unsere Prinzipien aufpflanzen."

Allianzbroschüre

Trotzdem Engels von der historischen Notwendigkeit des Zerfalls der Internationale so sicher überzeugt war, konnte er nicht umhin, mit Lafargue zusammen noch ein Büchlein gegen Bakunin zu schleudern, das unter dem Titel "Allianzbroschüre" bekannt ist und das ein Kenner der ganzen Verhältnisse, Nettlau, also charakterisiert:

"Der letzte Streich der alles um sich schwinden sehenden Marx und Engels war die von ihnen (und Utin) zusammengestellte Allianzbroschüre (L'Alliance de la démocratie socialiste et l'Association int. des travailleurs, 1873, vom 21. Juli datiert; erst im Sept. erschienen); dem spanischen Kapitel derselben liegt eine Broschüre von Lafargue zugrunde. — Diese Schrift ist in ihrer ganzen Anlage total verlogen und wimmelt von Unrichtigkeiten und Fälschungen im Detail; kein Zitat darin darf man ungeprüft akzeptieren. Die Grundlagen bilden einzig die von der Allianzenquetekommission im Haag selbst als Projekt bezeichneten Dokumente, für deren Gültigkeit zu irgendeiner Zeit nicht der geringste Beweis erbracht wird; dann die Existenz der "Alianza" in Spanien, deren Verbindung mit einer Organisation außerhalb Spaniens nicht erwiesen wird; endlich ein Brief Bakunins an F. Mora (5. April 1872), der die "Alliance" in Italien, Spanien und der Schweiz erwähnt, aber ohne Angabe darüber, in welcher Form usw. sie bestehe. Neben diesem der Kritik gegenüber minimalen Material steht ein umfangreiches Scheinmaterial, das dadurch beliebig geschaffen wird, daß jede Handlung, jeder Schritt einer der freiheitlichen Richtung angehörenden Person oder Sektion als Handlung der "Alliance" bezeichnet wird, worauf die schlechtesten Motive untergelegt werden. Ein historisch wertloseres, verfälschteres Material kann man sich nicht leicht vorstellen."

Daß Eduard Bernsteins Urteil über die Broschüre nicht milder ist, werden wir an anderer Stelle zeigen.

Demission Bakunins

Engels hatte die Ansicht, daß die Broschüre sehr wirksam sein würde und daß die bald darauf folgende Demission von Bakunin als Mitglied der Internationale auf sie zurückzuführen sei. Dem war freilich nicht so. Seine Demission hatte viel ernstere Gründe. Durch ein Werk, das mit der Wirklichkeit so sehr in Widerspruch stand und das von

Bakunins Freunden und der ganzen antiautoritären Internationale entweder nicht gekannt oder nicht ernst genommen wurde, konnte er nicht in seinem Handeln und innersten Denken beeinflußt werden.

Es war kein Zufall, daß Bakunin seine Demission in diesem Augenblick, d. h. nach dem Kongreß der Antiautoritären von 1873, gab; aber mit der Lafargue-Engelsschen Publikation hatte die Demission nichts zu tun. Bakunin hatte nach dem Kongreß die sichere Zuversicht, daß. Organisation und Direktion der antiautoritären Internationale zum besten stünden und daß man seiner nicht bedürfe. Zudem fühlte er sich müde und gealtert. Es wird aber am besten sein, daß wir den Demissionsbrief, den er an die Jurassier richtete, in Übersetzung wiedergeben:

"Liebe Genossen. Ich kann das öffentliche Leben nicht verlassen, ohne an Euch ein letztes Wort der Dankbarkeit und der Sympathie zu richten.

Wir kennen uns seit bald viereinhalb Jahren. Trotz aller Ränke unserer gemeinschaftlichen Feinde und den infamen Verleumdungen, die sie über mich gegossen haben, habt Ihr immer zu mir Achtung, Freundschaft und Zutrauen gehabt. Ihr ließt Euch nicht einschüchtern durch den Übernamen der Bakuninisten, den man Euch anhängte; lieber wolltet Ihr abhängig als ungerecht erscheinen.

Ihr hattet übrigens immer in einem so hohen Grad das Gefühl der Unabhängigkeit und der vollkommenen Selbständigkeit Eurer Ansichten, Tendenzen, Handlungen, und die perfide Absicht unsrer Feinde war so durchsichtig, daß Ihr deren verleumderischen und verletzenden Unterstellungen mit der tiefsten Verachtung behandeln konntet.

Und weil Ihr das getan, und mit Mut und Ausdauer getan, trugt Ihr einen so vollkommenen Sieg über die ehrgeizigen Intrigen der Marxisten davon, zugunsten der Freiheit des Proletariats und der ganzen Zukunft der Internationale.

Kräftig unterstützt durch Eure Brüder in Italien, Frankreich, Belgien, Holland, England und Amerika habt Ihr die Internationale auf den Weg zurückgeführt, von dem die diktatorischen Versuche von Marx sie beinahe abgebracht hätten. Die beiden Kongresse, die eben in Genf stattfanden, waren ein triumphierender und entschiedener Beweis von der Richtigkeit und der Macht Eurer Sache.

Euer Kongreß, der Kongreß der Freiheit, umfaßte die Delegierten aller wichtigen Föderationen von Europa, Deutschland ausgenommen, und er hat laut proklamiert und weitherzig festgelegt, oder besser gesagt wiederholt, daß die Arbeiter aller Länder sowohl autonom als auch brüderlich miteinander verbunden sein sollen. Der autoritäre oder marxistische Kongreß, der nur aus Deutschen bestand und aus Schweizern, denen scheint's die Freiheit verleidet ist, hat sich vergeblich Mühe gegeben, die gebrochene und künftig verlachte Diktatur von Marx wieder zu flicken.

Sie schleuderten nach links und rechts einen Haufen von Beschimpfungen. Um ihre genferische und deutsche Majorität ins rechte Licht zu setzen, haben sie ein Bastärdchen produziert, das nicht mehr

die von Marx erträumte Autorität, aber noch weniger Freiheit ist. Sie sind tief entmutigt und unzufrieden mit sich und den andern auseinandergegangen. Der Kongreß war ein Begräbnis.

So ist Euer Sieg, der Sieg der Freiheit und der Internationale gegen die autoritäre Intrige, vollständig. Gestern, wo der Sieg noch unsicher scheinen konnte — ich meinerseits habe zwar an ihm nie gezweifelt —, gestern, sag ich, hätte noch niemand Eure Reihen verlassen dürfen. Heute ist der Sieg aber eine Tatsache geworden, und jeder hat die Freiheit nach seinem persönlichen Geschmack sich einzurichten.

Von diesem Rechte mache ich Gebrauch und bitte Euch, meine Demission als Mitglied der Jura-Föderation und der Internationale anzunehmen. So zu handeln habe ich viele Gründe. Denkt nicht, es sei hauptsächlich wegen des persönlichen Ekels, der mir die letzten Jahre des Lebens verbittert hat. Ich sage nicht, daß ich dagegen ganz unempfindlich sei; aber ich hätte noch genug Kraft, dem zu widerstehen, wenn ich dächte, daß meine künftige Teilnahme an Eurer Arbeit, an Euern Kämpfen irgendwelchen Nutzen hätte für den Triumph der Sache des Proletariats. Aber ich glaube das nicht. Durch Geburt und persönliche Stellung, keineswegs freilich nach meinen Sympathien und Tendenzen, bin ich nur ein Bourgeois, und als solcher kann ich nur als Propagandist nützlich sein. Nun habe ich aber die Überzeugung, daß die Zeit der großen theoretischen Diskussionen in Schrift und Wort vorüber sei. In den letzten neun Jahren hat man in der Internationale mehr Ideen entwickelt, als es brauchen würde, die ganze Welt zu retten, und ich wette, daß keiner mehr neue erfinden kann. Die Zeit gehört nicht mehr Ideen, sondern Tatsachen und Handlungen. Die Hauptsache ist heute die Organisation der Kräfte des Proletariats. Aber diese Organisation muß das Werk des Proletariats selbst sein. Wenn ich jung wäre, hätte ich mich in einem Arbeitermilieu angesiedelt, wo ich, das werktätige Leben meiner Arbeitsbrüder teilend, zugleich mit ihnen an dem großen Werk der Organisation teilgenommen hätte.

Aber weder Alter noch Gesundheit erlauben mir das. Ich brauche Einsamkeit und Ruhe. Jede Anstrengung, jede Reise sind für mich eine ernste Sache. Seelisch fühle ich mich noch ordentlich stark, aber mein Leib will nicht mehr recht mittun; er wird gar zu leicht müde; es fehlt ihm die rechte Kraft zum Kampf. Ich wäre so im Kampf eher ein Hindernis als eine Hilfe.

Ihr seht, liebe Genossen, alles zwingt mich zur Demission. Abseits lebend von Euch und der ganzen Welt, was bin ich da noch vonnutze für die Internationale und die Jura-Föderation? Eure große, schöne Vereinigung, künftig eingestellt auf Kampf und Praxis, braucht weder Invaliden noch Ehrenmitglieder.

Ich ziehe mich darum zurück, liebe Genossen, voll Dankbarkeit für Euch und voll Sympathie für Eure große und heilige Sache, — die Sache der Menschheit. Ich werde weiterhin, mit der besorgten Liebe eines Bruders, alle Eure Schritte verfolgen und werde mit Freude jeden neuen Triumph Eurer Sache begrüßen. Bis zum Tod werde ich der Eurige sein.

Aber bevor wir uns trennen, gestattet mir noch einen letzten brüderlichen Rat. Meine Freunde, die internationale Reaktion hat ihr Zentrum heute nicht mehr in diesem armen Frankreich — so possierlich von der Versailler Versammlung dem Sacré-Coeur geweiht —, sondern in Deutschland, in Berlin; und ihre beiden Vertreter sind

ebensogut der Sozialismus von Marx als die Diplomatie von Bismarck. Diese Reaktion setzt sich als Endziel die Veralldeutschung Europas und droht zu dieser Stunde alles zu verschlingen und umzukehren. Sie hat der Internationale, die heute nur noch gebildet wird durch die autonomen und freien Föderationen, den Krieg aufs Messer erklärt. Wie die Proletarier aller anderen Länder, sollt auch Ihr, obgleich Ihr zu einer heute noch freien Republik gehört, die Reaktion bekämpfen, denn sie steht zwischen Euch und dem Endziel, der Emanzipation des Proletariats der ganzen Welt. Euer Kampf wird schrecklich sein. Aber laßt Euch nicht entmutigen und wißt, daß trotz der ungeheuren materiellen Macht Eurer Gegner Euch der endgültige Sieg gehört, wenn Ihr nur treu zwei Bedingungen erfüllt:

1. Haltet fest an dem Prinzip der großen und weiten Volksfreiheit, in der Gleichheit und Solidarität keine Lüge sind;

2. Organisiert immer mehr die internationale und praktische Solidarität der Arbeiter aller Berufe und aller Länder. Und erinnert Euch daran, daß Ihr zwar schwach seid als einzelne Individuen, als bloß örtliche und Landesorganisationen, daß Ihr aber eine ungeheure Kraft, eine unwiderstehliche Macht in der universellen Kollektivität finden werdet.

Adieu. Euer Bruder Michel Bakunin."

Bakunin war müde geworden. Körperliche Gründe spielten gewiß am meisten mit. Man stelle sich doch die ganze Laufbahn, all die physiologischen Strapazen vor, die dieser nunmehr 60jährige Leib durchgemacht. Er mußte faktisch abgearbeitet sein. In diesem körperlichen Zustand mußte er auch die Lage mehr mit dem trockenen Intellekt, als aus jenem unverwüstlichen, dem Kraftüberschuß entstammenden Optimismus betrachten, ohne den man gerade Bakunin sich nicht vorstellen kann. Guillaume erzählt von einem Brief, den er von Bakunin im Frühjahr 1874 erhalten und in dem dieser sagt:

"Die Zeit der revolutionären Kämpfe sei jetzt vorbei. Es sei eine reaktionäre Periode angebrochen, deren Ende voraussichtlich die gegenwärtige Generation nicht erleben werde. Er riet Guillaume, wieder als Lehrer in eine öffentliche Schule einzutreten. Es sei unnütz, das Unmögliche zu wollen. Man müsse mit offenen Augen die Wirklichkeit betrachten und einsehen lernen, daß die Volksmassen gegenwärtig den Sozialismus nicht wollen."

Bakunin selbst war müde. Aber es war ja nicht nur Bakunin da. Es gab noch viele ungebrochene Kräfte unter seinen Gesinnungsgenossen.

Bakunin war ausgetreten. Aber mit ihm nicht auch der bakunistische Geist, und weder die Jurassier, noch Guillaume im speziellen hatten Lust, so leichter Dinge den Kampfplatz zu räumen. Auch sie sahen wohl ein, wie nach dem Fall der

Pariser Kommune und nach der Niederlage der spanischen Revolution (1873) alles, aber auch alles sich geändert hätte. Aber ihre jugendliche Kraft und Gesundheit, ihre Zähigkeit und ihr hohes Ideal trieb die Freunde von Bakunin, die Fahne. der Revolte mit ungebrochener Kraft und allen Feinden und Widerwärtigkeiten zum Trotz aufrecht zu halten, solange auch nur ein Mann ihr folgte.

Zudem wuchs im Jura die Bewegung. Die Zahl der Abonnenten der Zeitung nahm zu, die Sektionen der Internationale vergrößerten und vermehrten sich, und ebenso ihr Einfluß auf die Arbeiterbewegung im Jura. Ihre praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des gewerkschaftlichen Kampfes, auf dem Gebiet des Genossenschafts- und Unterstützungswesens, die Anpassung an die Psychologie der Uhrenarbeiter ließ die Jurassier stetige Fortschritte machen. Und diese Tätigkeit in der täglichen Kleinarbeit mochte die Jurassier auch eher trösten über den verlorenen Glauben an eine nahe soziale Revolution.

Der 3. Kongreß der Antiautoritären in Brüssel

(7.-13. September 1874.)

Bakunin wirkte also nicht mehr öffentlich und persönlich, aber die Internationale der Antiautoritären bestand weiter. Am 7. September trat sie zu ihrem 3. Kongreß in Brüssel zusammen. Durch die Berichte der Delegierten werden wir über den Stand der Bewegung in den verschiedenen Ländern orientiert und können uns daraus ein Bild machen über die Ausdehnung der einzelnen Landesorganisationen. Die Ausführungen der Referenten zu den verschiedenen Thematas, die auf der Traktandenliste standen, belehren uns über die Entwicklung, welche die föderalistische Internationale durchmachte. Wir sehen, daß. in Spanien und Italien die Bewegung sich ändert und in Belgien die ersten Keime zur Änderung sich andeuten. In ruhiger Weise besprachen die Staatssozialisten und Föderalisten auch die Fragen miteinander, in denen sie diametral entgegengesetzte Ansichten vertraten. Aus den Verhandlungen. geht hervor, daß die Bedingungen der einzelnen Länder in einem solchen Maße differierten, daß dem Verschiedenen gegenüber das Gemeinsame wirklich in den Hintergrund trat und daß infolgedessen für die nächste Zeit das Bedürfnis nach internationalen Beziehungen sich abschwächen mußte. —

Auf dem Kongreß waren Deutsche (Allgemeiner Deutscher

Arbeiterverein), Engländer (Bethnal Green Branch), die belgisch, spanische und jurassische Landesföderation, eine Pariser und eine italienische Sektion vertreten. Im ganzen fanden sich 15 Delegierte ein. Eine Vertretung der italienischen Landesföderation fehlte, da dieselbe als legale Organisation infolge der insurrektionellen Bewegungen des vorangegangenen Monats (7.-8. August) bei Bologna eingegangen war. Das italienische "Komitee für die soziale Revolution", hervorgegangen aus dem Komitee der früheren Landesföderation Italien, sandte eine Adresse an den Kongreß, in der gesagt wurde, Italien sei nicht vertreten, weil die öffentliche Internationale dort nicht mehr existiere und allfällige Vertreter doch bei der Rückkehr zugrunde gerichtet würden; dagegen bestände eine umfassende Geheimorganisation; die öffentliche Organisation habe der Regierungsmacht weichen müssen. Diese geheime Organisation habe das Prinzip der Anarchie und des Kollektivismus; für Italien sei vorderhand die Zeit der Kongresse vorüber.

Aus den übrigen Delegiertenberichten ergab sich, daß in Belgien und im Jura die Bewegung vorwärts gehe. Daß sie in England infolge innerer Streitigkeiten zusammengeschrumpft sei, ihre Mitglieder aber in den Gewerkschaften nicht ohne Einfluß wären. Durch die deutschen Delegierten erfuhr man, daß die politische Bewegung großartig sich entwickle. In Spanien hatte die Regierung die Auflösung der Internationale verfügt, ihre Anhänger in Massen verhaftet; 66 Mitglieder wurden in Säcke gepackt und ins Meer geworfen. Trotz alledem bestanden noch 349 konstituierte Sektionen (241 Gewerkschaften und 108 gemischte Sektionen) an 143 Orten. Dazu kommen noch 183 Sektionen, die in Konstitution sich befinden (127 Gewerkschaften und 56 gemischte Sektionen), welche sich auf 129 Orte verteilen. Außerdem gehören der Landesföderation 8 Industrieverbände an mit 188 Widerstandsvereinen und 8 Berufsverbände mit 223 Widerstandsvereinen.

Die Haupttraktanden des Kongresses waren:

1. Durch wen und wie werden die öffentlichen

Dienste in der neuen sozialen Organisation besorgt?

2. Über die politische Aktion der arbeitenden Klassen.

Bei der Frage der öffentlichen Dienste wurden zwei verschiedene Standpunkte vertreten. Der Belgier De Paepe führte etwa folgendes aus:

Nicht die Berufs- oder Industrieverbände werden die Besorger der öffentlichen Dienste sein. Diese Verbände werden überhaupt verschwinden. Integrale Erziehung, Arbeitsteilung, Maschinismus bewirken, daß der Arbeiter nicht an einen bestimmten Beruf gebunden sein werde.

Aber auch nicht der allmächtige Staat werde der Besorger der öffentlichen Dienste sein. Ihm sei die befreite Gemeinde entgegenzusetzen, die selbst sich Gesetze schaffe, Gericht und Polizei übe. Die Gemeinde werde das hauptsächlichste Organ der politischen Funktionen (Gesetz, Gericht, Sicherheit, Vertragsgarantie, Schutz der Unfähigen); gleichzeitig besorge sie die lokalen öffentlichen Dienste. Der Staat werde die großen, gemeinschaftlichen Arbeiten der Gesellschaft auf sich nehmen. Der Staat werde aus der Föderation der Gemeinden bestehen. Es existiere also politische Dezentralisation und ökonomische Zentralisation.

Übrigens konstatiert De Paepe, daß man in Spanien, Italien und im Jura Gegner der Staatsidee, in Deutschland und England Anhänger der Volksstaatsidee sei. Belgien schwanke zwischen diesen beiden Tendenzen. De Paepe denkt, es sei praktischer, daß man sich der bestehenden Staaten bemächtige und sie in sozialistische Staaten umwandle. Das sei leichter als Altes zu demolieren und dann neu zu reorganisieren. In Spanien vielleicht, wo der Staat innerlich zerrissen sei, da möge man es für natürlich halten, alles neu zu konstruieren. Übrigens halte er die anarchistische Revolution für verhängnisvoll für die Befreiung der Arbeiter. Es fehle an Reife für die Herrschaftslosigkeit, und Ehrgeizige können einer solchen anarchistischen Bewegung sich bemächtigen und sie in falsche Bahnen bringen.

Die deutschen Vertreter erklärten, die Arbeiter müssen sich der politischen Gewalt bemächtigen und den Gegenwartsstaat in einen sozialistischen Staat umwandeln. So verstehen im allgemeinen die deutschen Arbeiter die soziale Revolution.

Die Spanier, Jurassier und einige Belgier vertreten einen anderen Standpunkt.

In erster Linie sei der Gegenwartsstaat zu zertrümmern. Die menschliche Gesellschaft werde sich dann neu organisieren durch die freie Organisation der Arbeiter eines gleichen Berufs, durch die Berufsverbände in der Gemeinde und die Vereinigungen der Gemeinden in einer Gegend. Wie sich das in den Einzelheiten machen werde, sei schwer

zu sagen. Vorläufig sei die Aneignung der Produktionsmittel und die Erziehung zur Selbstherrlichkeit der Individuen und Gruppen gegenüber dem Staat die Hauptsache.

Die gegnerische Auffassung schaffe die Freiheit des Individuums nicht; die wolle wieder das Vertretersystem, die Gesetzgebung durch eine Körperschaft von Vertretern. Sie dagegen wollten Abwesenheit jeder Gesetzgebung und Bestehen von freien Verträgen, die niemanden verpflichten, als die, welche sie freiwillig eingehen. Das Übel, das daraus resultiere, sei geringer als das, welches der Staat erzeuge.

Der Vertreter der Engländer, Eccarius, wurde unwillig über diese theoretischen Diskussionen und meinte, man solle den Bären nicht verteilen, bevor er erlegt sei. Vorläufig sei die Reduktion der Arbeitszeit das Wichtigste.

Die zweite Frage von Wichtigkeit, die man behandelte, war die der politischen Aktion.

Sowohl die Anhänger als die Gegner des Parlamentarismus stimmten darin überein, daß man aus der Stellung zum Parlamentarismus kein Dogma in der Internationale machen wolle. Jeder möge sich da verhalten, wie er es für gut fände. Die Deutschen verteidigten den Parlamentarismus und erklärten, daß es dem Selbstmord gleich käme für die sozialistische Arbeiterpartei, wenn sie die Bourgeoisie den Staat dominieren lasse. Die parlamentarische Tätigkeit diene als Agitationsmittel. Jeder Versuch, die deutschen Arbeiter der Politik zu entfremden, wäre kindisch. Auch Eccarius (England) trat ein für die Beteiligung an der parlamentarischen Politik.

Die Belgier Bastin und Verrycken erklärten, für die belgischen Arbeiter existiere die vorliegende Frage überhaupt nicht; denn sie besäßen kein Wahlrecht und tun nichts, dasselbe zu erobern, weil sie nichts von ihm erwarten. Alle ihre Kraft wenden sie der Organisation der Gewerkschaften zu. Die letzteren werden späterhin die soziale Revolution bewerkstelligen.

Der jurassische Delegierte (Schwitzguébel) erzählte, daß man im Jura anfänglich das Wahlrecht benützt und die politischen Parteien unterstützt habe, auch habe man Arbeiterkandidaten aufgestellt, Kompromisse mit bürgerlichen Parteien eingegangen, und sei durch dieselben am Narrenseil herumgeführt worden. Ihre Experimente haben die Jurassier dazu geführt, sich außerhalb der Politik zu stellen und sich einfach zu organisieren. Auf diese Weise würde

durch die Arbeiter eher eine revolutionäre Situation geschaffen, als wenn sie mit der Bourgeoisie in gesetzgebenden Behörden verhandelten.

Sehr interessant über die Ursache der Wahlenthaltung äußerte sich der Spanier Farga. Die Lage sei so revolutionär geworden in Spanien, daß man von politisch-parlamentarischer Aktion überhaupt nicht mehr sprechen könne. Er sei der Meinung, auch in Frankreich, Italien und Deutschland werden die Staaten in eine so kritische Lage kommen, daß die Arbeiter eben direkt vor die Frage der revolutionären Aktion gestellt werden. Der Kongreß kam zum Schluß, jede Landesföderation für sich könne über die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit der parlamentarisch-politischen Aktion entscheiden.

Nachdem noch bestimmt worden war, daß den Jurassiern das Föderativkomitee für 1874/75 zufallen solle, wurde vorläufig Barcelona als nächster Kongreßort bestimmt (wohl ein Zeichen von dem großen Optimismus über die Entwicklung der Dinge in Spanien). Dann verfaßte man noch ein Manifest an die Arbeiterschaft über die Bedeutung der Internationale.

Entsprechend der heterogenen Zusammensetzung des Kongresses und der verschiedenartigen Entwicklungsstufen der Bewegung in den einzelnen Ländern waren auch die Ansichten der Delegierten recht verschiedenartig. Es war klar ersichtlich, daß nur das Prinzip der Autonomie, der gegenseitigen Anerkennung und Toleranz, diese verschiedenartigen Anschauungen in den Rahmen einer Organisation fassen konnte. Eine solche Organisation mußte, da ihre Anschauungen nicht einheitlich waren, sich darauf beschränken, die vorliegenden Fragen einfach zu besprechen, wurde eine Art Diskussionsversammlung über Theorie. Das lag aber an der Zeit als solcher. Noch heute kann einem internationalen Kongreß erst in beschränktem Maße die Aufgabe zukommen, allgemeine Aktionen vorzubereiten. In noch höherem Grade mußte das damals der Fall sein, wo einerseits die Hoffnung auf eine internationale Revolution in weite Ferne gerückt war, anderseits kaum die Möglichkeit großer internationaler, gewerkschaftlicher Aktionen, bestand. Mit dem Brüsseler Kongreß war die Internationale auf einem toten Punkt angelangt; man diskutierte Ideen, hatte aber nicht Stellung zu nehmen zu konkret vorliegenden Aktionen. Auch die antiautoritäre Internationale krankte

daran, daß sie für die unmittelbare Aktion in den einzelnen Ländern nicht eine absolute Notwendigkeit war, daß sie nur ein Bedürfnis war für kleinere fortgeschrittenere Gruppen von Menschen, die über die Arbeit des Alltags hinaus, die in jedem Land zu tun war, noch ideenhafte, höhere Bedürfnisse empfanden; darum konnte auch ihre Organisation nicht im Blickfeld des Bewußtseins der Massen stehen. Zudem mußte der Kreis ihrer Diskussionsthemata im Lauf der Zeit sich verengern, weil das Leben und Denken des Proletariats selbst noch zu wenig international war, um fortwährend neue Probleme zu stellen. Mit anderen Worten: Marx hat zwar den Zerfall der Internationale beschleunigt, aber auch die Antiautoritären vermochten sie nicht auf lange Zeit hin am Leben zu erhalten.

Wandlungen zwischen 1874-1876

War die antiautoritäre Internationale nach Haag noch eine kräftige Gruppe, so sollte die weitere Entwicklung der ökonomisch-politischen Verhältnisse zwischen 1874 bis 1876 ihr allmählich den Nährboden entziehen. Bakunin war schon seit den Ereignissen von Lyon und Marseille im Jahre 1870 der Auffassung, daß die Masse den Glauben und die revolutionäre Leidenschaft verloren hätte. Immerhin verblieben Spanien und Italien noch in der revolutionären Periode. Spanien war seit der Vertreibung der Königin Isabella im Jahre 1868 in ständiger Unruhe. Es kam wohl wieder zur provisorischen Herstellung des Throns, mit dem italienischen Prinzen Amadeo als König, aber er stand auf einem Vulkane, und im Jahre 1873 kam es zur Revolution und zur Proklamation der Republik. An der Proklamation der Republik hatte die spanische Internationale keinen unmittelbaren Anteil. Aber die Ereignisse waren mit der Proklamation der Republik nicht abgeschlossen. Kaum war die Republik proklamiert, als unter dem influenzierenden Einfluß der revolutionären Gefühle der bürgerlichen Republikaner ein Streik der Arbeiter nach dem anderen ausbrach, die sich vielerorts zu Aufständen und Proklamationen der Kommune auswuchsen. Die Lohnarbeiter dachten, daß es sich nun nicht mehr um eine halbe, bürgerliche Revolution handle, sondern daß die Zeit gekommen sei, die proletarische, die soziale Revolution zum Siege zu bringen. Teilweise gingen die spanischen Internationalen dabei selbständig vor, teilweise wurden sie oder die Volksmasse von den sich bekämpfenden Parteien der Besitzenden

mitgerissen und stellten sich dann auf die Seite der föderalistischen republikanischen Elemente gegenüber den zentralistischen Republikanern. Dagegen waren Aufstände der spanischen föderalistischen Republikaner durchaus nicht etwa direkt ein Werk der Internationale, wenn auch die Internationalen, die daran teilnahmen, sich durch große Tapferkeit ausgezeichnet haben und wenn sie auch zum Teil die föderalistischen Republikaner unterstützten. Als dann zuerst die zentralistischen Republikaner und später, mit dem Staatsstreich, das Königtum wieder siegte, da waren freilich die spanischen Internationalen in erster Linie die Opter der Verfolgungen. Die Internationale wurde aufgelöst, ihre Mitglieder zu Tausenden eingekerkert, verbannt und getötet, so daß schon Mitte 1874 auch in Spanien kein Boden für den Glauben an eine nahe soziale Revolution mehr vorhanden war. Diese Verhältnisse veranlaßten auch die Spanier zu beantragen, den Kongreß, der 1875 in Barcelona hätte stattfinden sollen, ausfallen zu lassen. Was auch geschah. Die Vorkämpfer der spanischen Bewegung hielten wohl noch nicht alles für verloren. Aber, wenn sie auf ihrem nationalen Kongreß den Partisankrieg gegen die Besitzenden proklamierten, so war damit mehr der Verzweiflung als der Siegeszuversicht Ausdruck gegeben. Und wenn auch die Internationale antiautoritärer Richtung in Spanien nicht gestorben ist und auch heute noch in dem freien Gewerkschaftsbund weiter existiert, so war doch jene Atmosphäre des Glaubens an nahe und große Ereignisse mit der Niederlage der Revolution geschwunden, und es war nur noch eine Frage der Zeit, daß diese Tatsache allen Führenden ebenso klar ins Bewußtsein trat, wie es bei der Masse der Fall war. Wie es oft geschieht, wurde vorerst der Ton der Revolutionäre eher gehobener und lauter, um dann erst allmählich die Übereinstimmung mit dem Bewußtsein weiter Massen wieder zu finden. Wer die Psychologie, der russischen Revolutionäre nach 1905 verfolgt, dem wird dieser Vorgang ohne weiteres klar sein.

In England hatte die Internationale nie einen großen Anhang in der Masse gefunden. Die Differenzen der englischen Internationalen mit Marx und später die zwischen dem Rest seiner Anhänger und seiner Gegner, gaben dann der Internationale vollends den Todesstoß, und nach 1874 waren sowohl die marxistischen als die antiautoritären Internationalen in England bedeutungslos geworden.

In Italien, Belgien und im Jura vollzog sich der Niedergang

erst etwas später. Aber zwischen 1874-1876 wurde auch hier der Nährboden für revolutionäre Ideen allmählich erschöpft. Seit 1874-1876 bestand in Italien keine offene Organisation der Internationale mehr. Die Krise, das wachsende Elend der Bevölkerung, die spontanen Aufstände schienen vorerst eine günstige Atmosphäre für die direkte Aktion zu sein. Wir sehen denn auch die italienischen Internationalen an all diesen Volksbewegungen, die oft zu Aufständen sich auswuchsen, Anteil nehmen, teils als Mitläufer, teils als Organisatoren. Die italienische Internationale befolgte in der Zeit und bis zum Jahre 1877 die Taktik des Aufstandes, was nicht anders sein konnte, wenn man daran denkt, daß in Italien innerhalb zwei Jahren 60 spontane Hungerrevolten ausbrachen. Sobald aber 'diese mehr instinktiven Bewegungen nachließen, mußte mit ihnen auch die Internationale mitgerissen werden und aus den Verfolgungen nicht mehr herauskommen. Sie wurde immer mehr dezimiert, ihre Mitglieder wurden in Massen verhaftet, und ihre revolutionäre Taktik stieß die nüchtern denkenden Elemente der Arbeiterbevölkerung ab; all das, ohne daß etwa eine namhafte marxistische Bewegung in den nächsten Jahren hätte Fuß fassen können.

Auch in Belgien vollzog sich eine Wandlung, die aber erst später stärker einsetzte, deren erster Vorläufer aber die Haltung De Paepes auf dem Brüsseler Kongreß von 1874 war.

Bakunins letzte Tage

Nach seinem Austritt aus der Internationale lebte Bakunin im Tessin,. zumeist mit ökonomischen Schwierigkeiten kämpfend und in der körperlichen Gesundheit arg erschüttert. Aber wenn auch sein Glaube an eine nahe Revolution geschwunden war, ist er doch nie, bis zum letzten Augenblick des Lebens nicht, seinem ureigensten Wesen untreu geworden. Sein Wille und der Glaube an die Verwirklichung seiner Ideen — wenn auch in ferner Zeit — die starben erst mit seinem leiblichen Tode.

Noch im August 1874 nahm er an dem mißlungenen Aufstandsversuch der italienischen Internationale bei Bologna teil und hoffte damals, auf den Barrikaden seinen Tod finden zu können. Da aber der Versuch mißlang und es überhaupt nicht bis zum Barrikadenbau kam, kehrte Bakunin in den Tessin zurück.

Ein Brief an Elisée Reclus vom 15. Februar 1875 orientiert uns über die damaligen Stimmungen und Ansichten Bakunins.

Die Stunde der Revolution sei vorbei. In der Masse fehlen revolutionäre Gedanken, Hoffnungen, Leidenschaften. Er bewundere die Jurassier, die letzten Mohikaner der seligen Internationale, die hartnäckig gegen die Entwicklung der Dinge sich stemmen. Sie werden zwar keine Früchte ernten; aber ihre Arbeit werde doch nicht umsonst sein. Man sei aus der Phase der Revolution in die der Evolution gekommen. Er sei zu müde, um am Kampf teilzunehmen. Dagegen sei eine wissenschaftliche Neugierde sehr lebendig und er analysiere mit Leidenschaft den Stand der Dinge. Gewiß werde eine soziale Revolution kommen. Aber gegen die heutige Reaktion könne man nicht mit der jetzigen desorganisierten Masse ankämpfen. Es bleibe nichts als die Propaganda, wie Jurassier und Belgier sie machen. Und doch seien das Tropfen in den Ozean. Gäbe es nicht andere Mittel der Rettung, so könnte die Menschheit tausendmal verfaulen, bis sie gerettet würde. Nach eine Hoffnung:

Der Weltkrieg.... Man sieht aus diesem Brief, daß sich nicht Bakunin geändert, wohl aber die Verhältnisse, und daß Bakunin volle Einsicht hatte in diese veränderten Verhältnisse und gleichzeitig fühlte, daß seine körperliche Kraft nicht mehr ausreichte, um unter diesen veränderten Bedingungen den Kampf für seine Ideale nochmals mit der ganzen, ihm eigentümlichen Hingabe aufzunehmen. Dagegen empfand er eine ungeheure Neugierde, die Ursachen des Triumphes der Reaktion mit einer quasi wissenschaftlichen, ganz objektiven Leidenschaft zu studieren. Von 1875 ab lebte Bakunin ganz abseits von der Welt, in Lugano (nicht mehr in Locarno), machte sich an die Bebauung eines Stückes Land und versuchte nach neuesten wissenschaftlichen Methoden Gemüse, Früchte und Blumen zu pflanzen. Mit Eifer und Gründlichkeit studierte er zu diesem Zweck Agrikulturchemie.

Rührend ist es, wie in dieser Zeit ein paar italienische Arbeiter, die ihn leidenschaftlich liebten und verehrten, seine fast einzige Gesellschaft bildeten. Es zeigte sich hier, wie in seinem ganzen Leben, daß seine Kraft darin bestand, ungewollt von der Seele der Menschen, die ihn umgaben, Besitz zu nehmen. Seine Krankheit, eine Blasenkrankheit, machte ihn schwer leidend, und er ging deshalb noch zu seinem Freunde, Professor Adolf Vogt, nach Bern. Dort starb er am 1. Juli 1876 an Blasen-, Nieren- und Herzleiden. Er starb gern. Als sein Freund Reichel in den letzten Tagen

vor dem Tode zu Bakunin sagte, daß es schade sei, daß er nie Zeit gefunden, seine Memoiren zu schreiben, antwortete ihm Bakunin: "Für wen hätte ich sie schreiben sollen? Es lohnt sich nicht, den Mund aufzutun. Heutzutage hat das Volk aller Nationen seinen revolutionären Instinkt verloren. Es ist zu sehr zufrieden mit seiner Lage, und die Furcht, das zu verlieren, was es hat, macht es harmlos und träge. Nein, wenn ich mich nochmals erhole, wollte ich eine Ethik schreiben auf der Basis des Kollektivismus, ohne 'philosophische oder religiöse Phrasen. ..."

Am 3. Juli 1876 wurde Michael Bakunin in Bern begraben. Eine russische Studentin berichtet im Londoner Vpered (dem Organ von Lawroff, einem Gegner Bakunins) über das Begräbnis: "Nur eine kleine Gruppe hatte Zeit, sich zu versammeln. Es waren da alte Freunde von Bakunin, niedergeschlagen vor Kummer; es waren da Männer, die mit Bakunin die Gefahren geteilt in den verschiedensten Momenten und an den verschiedensten Orten; die Jugend war da, für die er ein Lehrer gewesen; Männer, die seine Ansichten nie geteilt hatten, die gegen seine Anhänger im Kampf gestanden; aber in dieser Minute waren Feinde und Freunde, Veteranen und die Jungen, die in neue Kämpfe sich zu stürzen planten, Verbündete und Gegner in Eintracht beieinander; eine Gruppe von Menschen begrub eine historische Kraft, 'den Vertreter eines halben Jahrhunderts revolutionärer Bewegung. Und diese kleine Gruppe fühlte hinter sich, unsichtbar aber zahllos, die Masse der Menschen aller Länder, die im Geiste dem Begräbnis dessen beiwohnten, dessen Leben verschmolzen gewesen war mit dem Leben der Allgemeinheit." Nach dem Begräbnis fanden sich die Teilnehmer zusammen in dem Lokal des sozialdemokratischen Vereins; und durch die Reden, die gehalten wurden, ging nur eine Note, ein Wunsch, daß man über dem Grabe von Michael Bakunin alle rein persönlichen Uneinigkeiten vergessen wolle, daß alle Fraktionen der Sozialisten in Freiheit sich einigen möchten. Die Teilnehmer brachten ihre Wünsche und Ansichten in folgender Resolution zum Ausdruck:

"Aus Anlaß des Todes von Michael Bakunin sind in Bern Arbeiter fünf verschiedener Nationen miteinander vereinigt. Davon sind ein Teil Anhänger des Volksstaates, die übrigen der Freien Vereinigung der Produzentengruppen. Beide Gruppen sind sich völlig darüber einig, daß eine beiderseitige Versöhnung nicht nur sehr nützlich, sondern auch

sehr leicht möglich sei. Auf dem Boden der Prinzipien der Internationale, formuliert im Artikel 3 der auf dem Kongreß in Genf im Jahre 1873 revidierten Generalstatuten (Anerkennung des Prinzips der Autonomie), ist die Basis dieser beiderseitigen Vereinigung gegeben."

Es schien auch in der nächstfolgenden Zeit, daß zwischen den beiden Richtungen eine Annäherung stattfinden werde. Bei Anlaß des zweiten Gothaer Kongresses der nunmehr vereinigten deutschen Sozialdemokratie sandten die Jurassier an den Kongreß eine Glückwunschadresse (von James Guillaume redigiert), in der auch die Hoffnung ausgedrückt wurde, daß der Prozeß der Einigung zwischen den Sozialisten der verschiedenen Länder weiter gehen möchte. Man gab dem Glauben Ausdruck, daß die verschiedenen Fraktionen miteinander in Freundschaft leben könnten, da ja das einigende Moment stärker sei als das trennende.

Auch die Antwort des Gothaer Kongresses, von Liebknecht abgefaßt, kam dem Einigungswunsche entgegen. Sie lautet: "Liebe Genossen! Der Kongreß der deutschen Sozialisten hat mich beauftragt, Ihnen seine Freude auszudrücken darüber, daß der Kongreß der Juraföderation sich zugunsten der Vereinigung aller Sozialisten ausgesprochen hat. Ohne Zweifel ist die Uneinigkeit in den eignen Reihen des Proletariats der einzige Feind, •den wir zu fürchten haben; und alles, was in unsern Kräften steht, wird getan werden, um den alten Uneinigkeiten ein Ende zu setzen."

Kurz darauf luden die Antiautoritären die deutsche Partei ein, sich auf dem nächsten Kongreß in Bern vertreten zu lassen und antwortete die Partei in positivem Sinne. Auf Wunsch der 'deutschen Sozialdemokraten wurde sogar der Kongreß verschoben. Als Einladung zum Berner Kongreß versandten die Antiautoritären ein Zirkular nicht nur an ihre Sektionen, sondern auch an andere sozialistische und Arbeitervereine, in dem sie erklärten: "Wir sind glücklich zu vernehmen, Genossen, daß die Idee der Einigung zwischen den bisher getrennten Fraktionen der revolutionären sozialistischen Partei seit einiger Zeit ungeheure Fortschritte gemacht hat und daß die deutschen Sozialisten unserm Kongreß beiwohnen werden."

4. Kongreß der antiautoritären Internationale

(Bern, 26.-29. Oktober 1876.)

Dieser Kongreß orientiert uns über den numerischen Bestand der Organisationen der verschiedenen Länder, aber

auch über die psychische Entwicklung, welche die Internationale in den einzelnen Ländern durchmacht. Wir sehen, wie in Spanien und Italien die Internationale eine schwere Krisis durchlebt und wie in Belgien die föderalistische Bewegung einen Konkurrenten erhält in der vorerst nur flämischen Bewegung der Sozialdemokratie, die aber später zu einer allgemein belgischen werden sollte. Einzig im Jura ist von einem Verfall nichts zu bemerken. Diese Wandlung mußte dazu beitragen, daß noch mehr als früher die Beratung über nahe gemeinschaftliche Aktionen zurücktrat gegenüber mehr theoretischen Besprechungen, die nicht auf eine unmittelbar praktische Aktion Bezug hatten. Immerhin ist es von Interesse, zu verfolgen, was im einzelnen über die Länder referiert wurde und welcher Natur die Gegenstände waren, über die man diskutierte. Auch ist es nicht uninteressant, zu sehen, wie die föderalistische Idee sich weiter entwickelt, wie aus ihr heraus der eigentliche Anarchismus und anderseits der revolutionäre Syndikalismus wurde. Wie immer man über diese auch heute bedeutsamen Strömungen denken mag, als mit Wissensdrang begabter Kulturmensch wird man nicht ohne Interesse an ihren Vorläufern und Keimen vorübergehen. Denn heute dürfte wohl die Zeit vorüber sein, in der man ohne Sachkenntnis sich nicht nur ein Urteil bildet, sondern auch seine Sachunkenntnis aktiv dadurch bezeugt, daß man über Dinge Broschüren und Bücher schreibt, von denen man keine Ahnung hat.

Auf dem Berner Kongreß waren vertreten: die Landesföderationen von Belgien, Spanien, Frankreich, Holland, Italien und dem Jura. Außerdem war als Gast anwesend ein Mitglied der deutschen sozialdemokratischen Partei, der Reichstagsabgeordnete Vahlteich, der einer Einladung des Föderativkomitees, die an die deutsche Partei ergangen war und der diese entsprochen hatte, im Auftrag der Partei Folge geleistet hatte. Aber es waren auch anwesend, als Gäste (außer Vahlteich), Greulich und Franz aus Zürich und Gutsmann (der von Genf kam).

Die Traktandenliste umfaßte folgende Gegenstände:

L Antrag der Spanier betreffs eines neuen den Generalstatuten einzuverleibenden Artikels (Zahlung eines Föderalbeitrags).

2. Solidarität in der revolutionären Aktion (spanischer Antrag).

3. Solidaritätsvertrag zwischen den verschiedenen sozialistischen Organisationen (Antrag der Jura-Föderation).

4. Berufung eines allgemeinen sozialistischen Kongresses auf das Jahr 1877 (belgischer Antrag).

5. Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen in der neuen Gesellschaft (Antrag der Jura-Föderation).

6. Stellung der Internationale zum Orientkrieg (Antrag der Sektion Vevey).

In erster Linie wurden die Berichte referiert. Der Kongreß 1875 wurde nicht abgehalten im Einverständnis mit allen Föderationen auf Antrag der Spanier und wegen der schlimmen Verfolgungen, denen italienische und spanische Genossen damals ausgesetzt waren. Frankreich ist noch jetzt in dieser Lage und kann nur indirekt vertreten werden.

In Italien machten Mazzianer und Garibaldianer den Internationalen viel zu schaffen. Anfang 1874 begann in Italien eine lebhafte Bewegung infolge Lohnfall und Steigen der Lebensmittelpreise. An manchen Orten wurden die Verkaufsläden gestürmt und geplündert. Die Internationale sah sich vor die Alternative gestellt, diese Aktion von sich zu weisen oder sich mit ihr solidarisch zu erklären. Sie tat das letztere. Einerseits, weil sie sonst die Sympathie aller eigentlichen Revolutionären verloren hätte, anderseits weil sie glaubte, die Revolution bestehe nicht so sehr in Worten als in Taten. Die Folge dieser Haltung war eine starke Verfolgung durch die Regierung und deshalb Umwandlung der Internationale in eine Geheimorganisation. Seit dem Ende des Prozesses von Bologna (Juni 1876) hat die Internationale ihre öffentliche Tätigkeit wieder beginnen können. Nicht nur der Bologneser Prozeß, sondern auch einige andere gegen die italienischen Internationalen angestrengten Prozesse, hatten mit der gänzlichen Freisprechung der Internationalen durch die Geschworenengerichte geendigt und hatten, anstatt die Internationale zu vernichten, umgekehrt einen mächtigen Aufschwung der Internationale zur Folge. Durch ihr Auftreten vor dem Gericht hatten die Internationalen nicht nur die Augen weitester Kreise der italienischen Bevölkerung auf sich gezogen, sondern auch in hohem Grade deren Sympathie gewonnen, so daß man ganz allgemein nicht nur an ein vorübergehendes, sondern an ein dauerndes Wiedererwachen der Bewegung zu glauben begann.

Über Spanien wird folgendes berichtet: Es bestehen

112 lokale Föderationen. Große Streiks haben stattgefunden, die sehr viel kosteten. Die Steinhauer in Barcelona haben den Siebenstundentag erobert. Ober die Streiks sagt der Rapport: Hätte man, anstatt für Streiks so große Mittel zu verwenden, diese auf die revolutionäre Organisation verwandt, so wäre man weiter gekommen. Mit den Produktivgenossenschaften habe man schlechte Erfahrungen gemacht. Sie haben viel Geld gekostet und neue Bourgeois erzogen. Der spanische Kongreß habe ihre Auflösung beschlossen. Es bleibt zu erwähnen, daß die Internationale in der Zeit in Spanien nur als geheime Organisation existierte.

In Belgien habe sich die Situation geändert. Die älteren Mitglieder der Internationale seien zum größten Teil verschwunden. Das treffe besonders zu für den wallonischen Landesteil, während im flämischen das Umgekehrte der Fall sei. Aber nicht nur numerisch, auch in bezug auf Taktik hat sich manches gewandelt. Eine Reihe von Arbeiterorganisationen haben sich an den Staat gewandt um einen gesetzlichen Kinderarbeitschutz. Es scheine, daß die Bewegung in diesem politischen Sinne sich weiter entwickle. Ursprünglich haben Proudhonsche Ideen viele belgische Sozialisten beherrscht, sie seien Anarchisten und gegen die Einmischung des Staates gewesen. Damals habe man Wahlenthaltung propagiert. Die jungen belgischen, vor allem die flämischen Elemente haben diese Richtlinie aufgehoben und gehen den Weg der deutschen Sozialisten.

In gleicher Weise entwickelt sich die holländische Bewegung zu einer politischen und sei noch weniger revolutionär als die belgische.

Über die Stimmung in der jurassischen Föderation referierte Guillaume: Das allgemeine Wahlrecht, die Abschaffung des stehenden Heeres usw., die die Belgier beschäftigten, seien in der Schweiz erledigte Traktanden. Die Fragen der Volksgesetzgebung, Trennung von Kirche und Staat, Fabrikgesetz geben den Arbeitern keine Gelegenheit zur sozialistischen Propaganda; außerdem werden sie von der radikalen Partei vertreten. Die Taktik der Jurassier bestehe darin, den Arbeitern zu sagen: "Laßt euch politisch nicht mehr mißbrauchen von den Bourgeois. Organisiert euch gewerkschaftlich. Dann merkt ihr, daß auch der bürgerliche Radikalismus euer Feind ist." Mit reinen Arbeiterkandidaturen hätten sie Versuche gemacht, aber um sie durchzusetzen, wären sie gezwungen gewesen, mit den Bürgerlichen zu paktieren. Übrigens haben die

Diskussionen der Kantonsräte so geringes Interesse, daß damit keine Propaganda zu machen sei.

Über Frankreich wird berichtet, es habe letzhin ein Arbeiterkongreß in Paris stattgefunden. Seine Teilnehmer haben durchaus auf legalem Boden gestanden. Die Sektionen der Internationale stehen diesen Leuten und diesem Prinzip fern. Sie seien geheime, außergesetzliche Organisationen und machen geheim und offen sozialistisch-revolutionäre Propaganda.

Auch Vahlteich, der anwesende deutsche Gast, ergriff das Wort: Es handle sich nicht nur darum, den gegenwärtigen Staat zu zerstören, man müsse auch die Menschen heranbilden, die dem neuen sozialistischen Staat als Basis dienen. Übrigens könne trotz Meinungsverschiedenheiten ein friedliches Nebeneinandergehen der verschiedenen sozialistischen Richtungen bestehen.

Das Thema: "Beziehungen von Individuen und Gruppen in der neuen Gesellschaft", rief eine lebhafte Diskussion hervor.

Wieder standen sich Autoritäre und Antiautoritäre gegenüber. Die Autoritären (Greulich und Franz) gaben ihrer Ansicht Ausdruck, daß es auch in der künftigen Gesellschaft Regierungen und Gesetze gäbe, nur würden die ersteren durch das Volk gewählt, über letztere walte die direkte Gesetzgebung durch das Volk.

Die Ausführungen der Antiautoritären (Casiero, Malatesta, Vinas, Brousse, Guillaume) gipfelten in folgendem: Abschaffung des Staates bedeute Abschaffung der Klassenherrschaft. An Stelle des Staates treten die Vereinigungen der freien industriellen und agrikolen Genossenschaften. Ganz falsch sei die Ansicht, daß die Anarchisten alle sozialen Bande ausmerzen wollen. Man dürfe die Begriffe Staat und Gesellschaft nicht miteinander verwechseln. Die sogenannten öffentlichen Dienste (Post, Telegraph, Eisenbahn usw.) benötigen eine einheitliche und zentralisierte Organsation, und die wollen auch die Anarchisten. Die Produktion müsse eine kollektive werden. Aber diese gemeinsame Produktion dürfe nicht gewaltsam von oben eingerichtet und regiert sein, sondern müsse organisch herauswachsen aus der Gesellschaft, die sich der Produktionsmittel bemächtige. Wie sich in den Details dann die neue Gesellschaft einrichte, das könne man nicht prophezeien, und es sei gegenwärtig auch keine wichtige Frage. Jetzt handle es sich in

erster Linie darum, alle Hindernisse zu beseitigen, die der Entwicklung der sozialen Kräfte entgegenstehen. Das freie find fruchtbare Walten der Gesetze des sozialen Organismus lenke die Schicksale der Menschheit.

Eine Mittelstellung nahm der Belgier De Paepe ein. Er stellte sich vor, daß der künftige Staat bestände einerseits aus den Repräsentationen der Berufsgruppen und anderseits der Vereinigung der lokalen Gruppen oder Gemeinden. Die erstere würde in erster Linie besorgt sein um die Produktion, die letztere würde sich mit all dem abgeben, was nicht so sehr den Produzenten als den Konsumenten beträfe. Das ganze wäre der Organismus, der den heutigen Staat ablöse. — Über diese Frage wurde keine Resolution gefaßt, da sie rein theoretischer Natur war.

Der Beitrag an die Kasse der Internationale wurde auf 3 Rappen pro Monat und Mitglied festgesetzt. Das Föderativbureau der Internationale hatte kein Verfügungsrecht über diese Kasse, die zur Propaganda verwendet werden sollte. Die Landesverbände entschieden über die Verwendung der Gelder.

Eine längere Diskussion entspann sich über das Traktandum: Berufung eines allgemeinen sozialistischen Kongresses aufs Jahr 1877 (der dann auch in Gent stattfand). Der Antrag ging von Belgien aus. Zu diesem Kongreß würden alle sozialistischen Organisationen eingeladen, ob sie der Internationale angehörten oder nicht. Er sollte dazu dienen, alle diese Organisationen einander zu nähern, die allgemeinen Interessen des Proletariats zu diskutieren. Die Einberufung sollte nicht durch die Internationale, sondern durch all die stattfinden, welche dieser Idee zustimmten.

Es handelte sich darum, die Organisationen, die der Internationale fern standen und die aus diesen oder jenen Gründen der Internationale der Antiautoritären nicht beitreten wollen, zu vereinigen. Becker hatte gegen diese Annäherungs-Vorschläge in der Zürcher "Tagwacht" leidenschaftliche Artikel geschrieben. Dementsprechend war auch die Haltung der verschiedenen Diskussionsredner. Guillaume stellte folgenden Antrag, an den die Diskussion anknüpfte:

"Die Landesföderationen lassen sich auf dem Kongreß vertreten. Sie schlagen demselben folgende Traktandenliste

1. Solidaritätsvertrag zwischen den verschiedenen sozialistischen Arbeiterorganisationen.

2. Berufsverbände.

3. Stellung zu den politischen Parteien.

4. Produktion und Eigentum."

Ein Teil der Diskussionsredner fand, die bestehende Internationale genüge, man brauche nicht eine neue Organisation und einen neuen Kongreß. Alle sozialistischen Organisationen hätten Raum und Freiheit der Meinung in ihr. Gegen eine neue internationale Organisation, in die auch einfache Unterstützungsorganisationen, politische Vereine und reformistische Gewerkschaften (Trade Unions) aufgenommen würden, wendeten sich Vertreter der sozialdemokratischen wie auch der antiautoritären Richtung mit der Begründung, daß die Organisation dadurch in ihrer vorwärtsstürmenden Aktion und Initiative gehemmt würde. Ihre Aufgabe sei es, eine Gruppe bewußter Sozialisten und Propagandisten zu sein.

Demgegenüber betonten wieder Vertreter beider Richtungen, daß nicht eine bestimmte Doktrin als Eintrittsbedingung in eine lebenskräftige, internationale Organisation verlangt werden dürfe. Die Internationale müsse die Arbeiter, nicht nur die Vorläufer, nicht nur die Initiative ergreifendem Minorität darstellen. Jede Bewegung, die von den Arbeitern ausgehe, sei gut, möge sie zu Beginn noch so unvollkommen scheinen.

Zum Schluß nahm man die Guillaumesche Resolution an. Die Spanier und Italiener enthielten sich der Abstimmung.

Das Bureau der Internationale wurde wieder den Jurassiern übergeben.

Briefe und Adressen waren dem Kongreß zugekommen von sozialistischen Gruppen und Sektionen der Internationale Griechenland, Montevideo, Paris, Portugal, Dänemark, London, Lausanne.

Seit 1876

Nach 1876 schrumpfte die föderalistische Bewegung immer mehr zusammen.

In Spanien begann mehr und mehr die Hoffnung zu schwinden auf eine neue revolutionäre Periode.

In Italien hatte der Zug auf Benevent (April 1877), der ein Paradigma direkter Aktion sein sollte, von dem

die Teilnehmer erwarteten, daß ihn weitere Schichten der Besitzlosen nachmachen werden, mit einer Menge Verhaftungen und repressiven Maßregeln der Regierung geendigt. Es hatte sich gezeigt, daß die revolutionäre Energie der Massen nicht in dem Grad vorhanden war, wie man gedacht. Anderseits aber waren die Bedingungen nicht vorhanden, die im Jura wirkten und eine syndikalistische Form des Anarchismus zeitigten, der eine verhältnismäßig breite Schicht von Proletariern anziehen konnte.

Der Nährboden für eine Bewegung, die starke und freiheitsdurstige Persönlichkeiten voraussetzte, wie das der Föderalismus tat, wurde immer schlechter, darum suchte sich die Arbeiterbewegung in den meisten Ländern Formen, die der Psychologie der Arbeiter, d. h. der großen Menge der Fabrikarbeiter, mehr entsprachen. Und eine Bewegung, die diese Eigenschaften hatte, war eben die sozialdemokratische Bewegung. Sie hatte nicht das Himmelstürmende, Prometheische der antiautoritären Internationale, dafür war sie dem wenig entwickelten Willensvermögen des modernen Industriearbeiters adäquat. Sie forderte keine Opfer, es sei denn solche, für die man handgreifliche Gegenwerte erhielt. Der damalige Proletarier war eben nichts weniger als ein Prometheus. Die Arbeitsbedingungen des modernen Industrialismus ließen ihm nicht gar viel Kraft über die tägliche Selbsterhaltung hinaus. Und was er an Kraft hatte, das wollte er dazu .verwenden, bei bestehender bürgerlicher Gesellschaft sich diese und jene kleine Verbesserung der Lebenslage zu erkämpfen. Auch sah er eine so gewaltige Macht sich als Feind gegenüber, daß ihm der Glaube fehlen mußte, daß er es vermöchte, die Herrschaft des mit dem Kapitalismus verbündeten Staates durch eine revolutionäre Aktion zu beseitigen. Solange das Proletariat einerseits noch Hilfe von anderen revolutionären Schichten erhoffte, anderseits unter der Influenz der revolutionären Traditionen derselben stand, war dem anders gewesen. Aber nun wurde es immer mehr isoliert und hatte kein starkes Vertrauen mehr zur eigenen Kraft. Dagegen gab der Marxismus einen starken Glauben an äußere Kräfte, die dem Proletariat zu Hilfe kämen, und die der voluntaristische Anarchismus nicht bot. Die Lehre, daß die Entwicklung des Kapitalismus selbst auf die Seite der geknechteten Proletarier sich stelle, mußte die Anziehungskraft des Marxismus steigern. Die Möglichkeit, durch das ungefährliche Mittel des Stimmzettels die soziale Revolution zu bewerkstelligen,

mußte der Psychologie des Proletariats sehr entgegenkommen. Und die wachsende Stimmenzahl der deutschen Sozialdemokraten mußte viele den Schluß ziehen lassen, daß dieselbe schließlich 'zur Stimmenmehrheit kommen werde und damit zur Eroberung der politischen und ökonomischen Macht. Gewiß stellte man sich diesen Weg als einen nicht sehr schnellen vor. Aber in einer Zeit, in der der Glaube an die revolutionäre Kraft geschwunden war, schien es doch leichter so, als durch eine in unendlicher Ferne liegende Revolution zum Ziele zu gelangen.

Aber der moralische Einfluß 'der deutschen Bewegung hatte seine Ursache nicht nur im Wachsen der deutschen Arbeiterbewegung, sondern in sehr hohem Grade war das hohe Prestige Deutschlands nach seinem Siege über Frankreich mitbeteiligt an dem Prestige, das die deutsche Bewegung genoß. Die Bevölkerung aller Schichten Europas hatte, durch die deutschen Siege gegen Frankreich, durch die imponierende Kraftäußerung des militärischen Deutschlands suggeriert, den üblichen Schluß gemacht, daß die Deutschen in allen Beziehungen ganze Kerle seien und man auf allen Gebieten bei ihnen in die Schule gehen müsse.

Gerade in Belgien sah man den Einfluß des deutschen Beispiels am besten. Es fing an zu wirken, als man an sich selbst und seine eigene revolutionäre Kraft nicht mehr glaubte; in einem solchen Augenblick muß man dazu kommen, sich nach anderen Mitteln umzusehen, wenn man nicht überhaupt untätig bleiben und dadurch den Massen sich entfremden wollte. Schon 1875 hatten die Genter Arbeiter ein politisches Programm vorgeschlagen; im gleichen Jahr war dann außerhalb der Internationale in Brüssel eine neutrale Arbeitskammer entstanden. Und ebenfalls im selben Jahre hatte der Kongreß der belgischen Landesföderation eine Petition an die Kammer beschlossen mit einem Antrag auf Abschaffung der 'Kinderarbeit. Es ist interessant, einen Brief des oftgenannten De Paepe an Guillaume zu lesen, der die Stellungnahme der Belgier rechtfertigt. Er erzählt, wie die Petition gegen die Kinderarbeit spontan von den G entern ausginge; er begründet in dem Brief nicht nur die Stellungnahme der Belgier zu dieser Petition, sondern überhaupt ihre Stellung zur Politik. Er sagt, einerseits würden die Arbeiter klüger, wenn sie nicht schon als Kinder so ausgemergelt würden. Aber außerdem zöge eine solche Aktion andere Bewegungen nach sich und erlaube auch eine weitgehende, d. h. sozialistische Propaganda. Übrigens

sei er der Ansicht, daß 'der bisherige Abstentionismus der belgischen Arbeiter nichts anderes als allgemeiner Indifferentismus gewesen sei. Auf einem Kongreß der belgischen Landesföderation im Jahre 1877 kam es dann zu Auseinandersetzungen zwischen den sozialdemokratischen Flämen und den föderalistisch-antiautoritären Wallonen. Die ersteren stützten sich bei ihrer Stellungnahme auf die Erfolge der Taktik der deutschen Sozialdemokraten. Kurz nachher wurde die flämische sozialdemokratische Partei gegründet, und der Vorstand der belgischen Föderation, der in den Händen der Genter war, unterschlug die Einladung des internationalen Föderativbureaus zum Kongreß der Internationale von 1877. Ein Zirkular des Föderativbureaus hatte den Landesföderationen vorgeschlagen, den jährlichen Kongreß der Internationale für 1877 in Verviers (Belgien) zu versammeln, in der ersten Woche des September, unmittelbar vor dem allgemeinen Sozialistenkongreß, der am 9. September in Gent eröffnet werden sollte. Alle Föderationen antworteten in zusagendem Sinne, mit Ausnahme der belgischen (deren Föderativkomitee, wie gesagt, die Einladung unterschlug); aber in Ermanglung einer Antwort des belgischen Komitees der belgischen Föderation beschlossen die Delegierten der Sektionen des Tales der Vesdre auf einem Kongreß vom 12. August, daß sie einverstanden seien, die Delegierten der Internationale in Verviers zu empfangen.

Dieser Kongreß von Verviers war die letzte allgemeine Äußerung der alten Internationale und verdient deshalb eine kurze Darstellung. Auf ihm finden wir, außer den Delegierten aus Italien, Spanien, Belgien, Deutschland, Rußland und der romanischen und deutschen Schweiz, auch eine Anzahl französischer Delegierter. Freilich hatte man sich in Frankreich noch nicht von den Schlägen der Kommune erholt und war diese Vertretung nicht eine Vertretung großer Massen. Nach der Kommune war jede öffentliche Arbeit für die Internationale unmöglich. Nur ganz allmählich bildeten sich wieder Keime einer sozialistischen Arbeiterbewegung. 1877 gründete die kleine antiautoritäre Landesföderation eine Zeitung, die von Brousse und Krapotkin herausgegeben wurde. Im selben Jahre fand auch ein Kongreß der französischen antiautoritären Landesföderation statt (in der schweizerischen Stadt la Chaux-de-Fonds). Ende 1877 begann aber auch die marxistische Richtung aufzuleben. Jules Guesde, der bisher Anhänger

der Antiautoritären gewesen war, publizierte (November) eine Zeitung, l'Egalité, an der als Korrespondenten für Deutschland Bebel und Liebknecht angegeben waren. Später schloß sich auch der ehemalige Antiautoritäre Malon Guesde an, ebenso Lafargue, der Schwiegersohn von Marx. Diese Gruppe wurde der Ausgangspunkt für die französische sozialdemokratische Partei. Marx selbst war bei der Gründung mitbeteiligt und arbeitete mit Engels, Lafargue und Guesde zusammen (1880) das französische Wahlprogramm aus.

Der 5. Kongreß der Antiautoritären

(Verviers 6. bis 8. September 1877.)

Vertreten waren auf diesem Kongreß:

1. Die spanische Landesföderation.

2. Die italienische Landesföderation (37 Sektionen).

3. Die französische Landesföderation (12 Sektionen).

4. Die jurassische Landesföderation (22 Sektionen).

5. Die belgische war nicht in ihrer Gesamtheit, sondern nur durch die Föderation vom Tal der Vesdre vertreten.

6. Vertretungen von Sektionen von Deutschland und der Schweiz.

7. Costa vertrat griechische und Alexandrische (Ägypten) Sozialisten.

Traktandenliste:

1. Stimmrecht einzelner Sektionen auf den allgemeinen Kongressen.

2. Studium der Mittel, die geeignet sind, so schnell als möglich die revolutionär-sozialistische Aktion zu verwirklichen.

3. Wenn das Proletariat triumphiert in irgendeinem Land, ist es nötig, diesen Triumph auf alle Länder auszudehnen?

4. Könnte das Bureau der Internationale Propagandamittel finden für die Kameraden in Ägypten?

5. Diskussion über die Traktanden des Genfer Kongresses.

6. Administrative Fragen.

Über die ersten Fragen ging man nach kurzer Diskussion zur Tagesordnung über. Bei der dritten Frage kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Brousse und Costa einerseits und Guillaume anderseits. Die ersten beiden, welche damals die Wortführer der extremsten Richtung

waren, vertraten einen "insurrektionellen", der letztere einen gemäßigteren Standpunkt.

Zu Handen des erwähnten allgemeinen sozialistischen Genter Kongresses wurden folgende Resolutionen gefaßt, die wir nicht dem Wortlaut, sondern nur ihrem Sinne nach wiedergeben:

1. Notwendigkeit des Kollektiveigentums nicht nur als fernem Ideal, sondern als Leitmotiv in den Aktionen des Alltags.

2. Es ist kein Unterschied zu machen zwischen den politischen Parteien, ob sie sich sozialistisch nennen oder nicht. Sie sind eine reaktionäre Masse und alle müssen bekämpft werden.

3. Die Gewerkschaften sind zu empfehlen;. ihr Hauptziel soll die Abschaffung des Lohnsystems und die Expropriation der Besitzer der Produktionswerkzeuge sein.

4. Die Internationale kann keinen Solidaritätsvertrag schließen mit Organisationen, deren Prinzipien und Kampfesmittel in den Hauptpunkten sich 'unterscheiden von den ihrigen.

Diese Resolutionen sollten nicht bindend sein für die Delegierten der Internationale auf dem Genter Kongreß, sondern nur die Richtlinien abgeben für die Diskussion.

Der allgemeine sozialistische Kongreß in Gent

(9.-14. September 1877.)

Unmittelbar an den Kongreß der Antiautoritären in Verviers schloß sich der allgemeine sozialistische Kongreß in Gent an, der von verschiedenen belgischen Organisationen einberufen worden war, in der Absicht, eine neue Internationale auf sozialdemokratischer Grundlage zu gründen.

Auf dem Kongreß waren vertreten:

1. Die flämischen und Brüsseler Belgier (27 Delegierte).

2. Die Delegierten des Kongresses der Internationale in Verviers (11 Delegierte).

3. Die deutsche Gruppe: Schweizerische Arbeiterbund (Greulich), deutsche sozialdemokratische Partei (Liebknecht), ungarische sozialistische Partei (Fränkel).

4. Engländer: Commonwealth-Club London (Hales), Kommunistischer Arbeiterverein London (Barry, den Marx veranlaßt hatte, an den Kongreß zu gehen).

5. Je ein paar sozialdemokratische Gruppen aus Frankreich und Italien (5 Delegierte).

Noch einmal, bevor die antiautoritäre Internationale starb und bevor die sozialdemokratische Internationale geboren wurde, fanden sich hier die feindlichen Brüder zusammen und versuchten, zu einer Einigung zu kommen. Aber es war nicht möglich. Man ging von zu verschiedenen Ausgangspunkten aus. Aber immer wieder ist es interessant, und gerade, weil zwei Welten sich hier gegenüberstehen, zu hören, was die eine und die andere wollte und wie sie ihre Auffassung begründete. Wie früher sehen wir auch hier wieder die Prinzipien von Marx und Bakunin sich bekämpfen, der revolutionäre Wille und das bedächtige Rechnen mit angenommenen historischen Notwendigkeiten. Die Worte Parlamentarismus oder direkte Aktion geben nicht die eigentliche Essenz des Streites wieder; sie sind nur Emanationen von Prinzipien in Punkten, die gerade dem Auge des Alltags wichtig sind. Da streiten zwei Philosophien, wenn auch an Hand ganz alltäglicher Probleme. Zwei verschiedene Grade, Intensitätsgrade des Selbstbewußtseins, die in diesem Moment der Geschichte in allem mehr auseinander als zueinander streben müssen, suchen sich auszusöhnen. Und in diesem Zeitpunkt war weniger als je eine Aussöhnung möglich, hatte doch die Entwicklung der Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern einen Gang genommen, der zeigte, daß für einmal das Prinzip der absoluten Freiheit und der freien Einordnung der Individuen in die Gesamtheit nicht der siegreiche Faktor würde. Es ist nochmals eine Abschiedsvorstellung, eine gemeinschaftliche Abschiedsvorstellung, die uns der Genter Kongreß darbietet. Beide Parteien stellen uns nochmals dar, welches ihre Prinzipien, welches ihre Taktik sei. Lassen wir sie noch einmal sprechen.

Über die Notwendigkeit der Sozialisierung der Produktionsmittel war man sich einig. Darüber, wer der zukünftige Besitzer der Produktionsmittel sein sollte, entspann sich aber eine lange Diskussion. Aus derselben hoben sich drei Richtungen ab.

Die eine, deren Hauptvertreter Greulich (Schweiz) war, entwickelte folgenden Standpunkt: Das 'Kapital soll dem Staat angehören. Er reguliert die Produktion. Wären die Produktionsmittel in den Händen von Produzentengruppen, so hätten dieselben ein Monopol auf dieselben. Über allen Gruppen soll ein Vertreter der Allgemeinheit stehen, der die Konflikte der Gruppen schlichtet durch seine Machtmittel. Dieser Staat ist der Volkswille, der durch den Stimmzettel

ausgedrückt wird, und die Regierung hat das Recht, Widerstrebenden diesen Willen aufzuerlegen.

Die zweite Richtung wandte sich dagegen, daß der Arbeiter anstatt Lohnarbeiter der Kapitalisten, Lohnarbeiter des Staates würde. Damit sei der Freiheit nicht gedient. Die Produzentengruppen sollen auch Besitzer der Produktionswerkzeuge sein. Ein Antagonismus zwischen denselben sei undenkbar, da ja eine Gruppe auf die andere angewiesen sei. Aus diesem gegenseitigen Aufeinanderangewiesensein werde es sich ergeben, daß die Gruppen Verträge miteinander abschließen. Auf dieser Tatsache werde das Gleichgewicht der Gesamtheit beruhen.

Die dritte Richtung vertrat De Paepe. Er nimmt an, der Staat übernehme vorderhand die Produktionsmittel; dadurch werden die antagonistischen Interessen der Einzelgruppen aufgehoben. Er hält den Besitz des Staates an Produktionsmitteln für die Stufe, welche dem Besitz derselben durch die Kapitalisten folge. Dagegen denkt er, daß späterhin nicht mehr der einzelne Lohnarbeiter beim Staate angestellt sei, sondern daß der Staat den Genossenschaften die Produktionsmittel übergebe unter Bedingungen, die in einem Vertrag zwischen Staat und Produzenten festgelegt würden.

Bei der Frage nach der Stellung des Proletariats zu den politischen Parteien kamen die gewohnten gegensätzlichen Auffassungen von Sozialdemokraten und Antiautoritären zum Ausdruck. Einerseits die von der Eroberung der Staatsgewalt durch die sozialdemokratische Partei, anderseits die vom Kampf gegen alle politischen Parteien (die sozialdemokratische Partei eingeschlossen), welche die Eroberung und Behauptung des Staates anerkennen. Es wurden zwei diesen Auffassungen entsprechende Resolutionen eingebracht. Zu einer Einigung der beiden Richtungen kam es nicht.

Ein Antrag Guillaumes, welcher die Unmöglichkeit eines Solidaritätsvertrags zwischen den verschiedenen Organisationen konstatierte, wurde mit 11 Stimmen gegen 9 bei mehreren Enthaltungen angenommen. Er lautet:

"Der Kongreß hat die Auffassung, daß ein Solidaritätsvertrag, der notwendigerweise Übereinstimmung in den allgemeinen Prinzipien und in der Anwendung der Kampfesmittel voraussetzt, nicht abgeschlossen werden kann zwischen

Richtungen, die in Prinzipien und Kampfesmitteln nicht einig gehen."

Im übrigen empfahl der Antrag, die persönlichen Streitigkeiten zu meiden und bei aller prinzipiellen Kritik gegenseitig sich respektvoll zu benehmen. Dieser Satz wurde einstimmig angenommen.

Der Antrag war eigentlich eine Art Scheidungsakt.

Am Abend nach Annahme dieses Antrages versammelten sich die Delegierten sozialdemokratischer Richtung in einer Sondersitzung und beschlossen, daß man sich bestreben solle, gegenseitig sich moralisch und materiell zu unterstützen und ein Bureau in Gent zu errichten, das die Aufgabe hätte, diese Richtung in den verschiedenen Ländern zu einander in Beziehung zu setzen. Statuten wurden keine stipuliert. Doch entsprachen die allgemeinen Prinzipien dieser Gruppen dem Programm der deutschen Sozialdemokratie.

Auf dem Kongreß wurde auch die Organisation der Berufsverbände behandelt. Die internationale Organisation derselben wurde empfohlen. Die Gewerkschaften wurden als einer der mächtigsten Hebel zur Hebung der Arbeitklasse erklärt. Nur Costa (Italien) erklärte, daß. bei der geringen ökonomischen Entwicklung Italiens die Gewerkschaften nicht die gleiche Bedeutung hätten wie anderswo, daß die in Italien existierenden Gewerkschaften eher ein Hindernis für den Sozialismus bedeuteten.

Im weiteren wurde eine Resolution angenommen des Inhalts, daß möglichst bald ein internationaler Gewerkschaftskongreß einberufen werden sollte.

Im fernern wurde Schaffung eines zentralen Bureaus für Korrespondenz und Statistik (Löhne, Lebensmittelpreise, Arbeitszeit, Fabrikreglemente usw.) beschlossen, das in Verviers seinen Sitz haben sollte.

De Paepe empfahl die Errichtung eines solchen Bureaus. "Ich würde es bedauern," sagte er, "wenn Männer, die so lange zusammen marschiert sind in den Reihen der Internationale und die sich schätzen lernten, jetzt sich für immer und gänzlich geschieden betrachten sollten; es ist wünschbar, daß sie einige Beziehungen untereinander bewahren, und die Statistik ist gerade ein neutrales Terrain, auf dem sie sich begegnen können."

James Guillaume äußerte sich dahingehend, daß jetzt, wo beide Organisationen einander gegenüber stehen, jede

mit ihrem speziellen Bureau, keine den Anspruch erheben kann, ihr Bureau gerade als allgemeines Zentrum der Korrespondenz zu betrachten. Es sei deshalb nötig, wenn irgendwelche Beziehungen existieren sollen zwischen den zwei Organisationen, ein gemeinsames Bureau zu schaffen, wie De Paepe es vorschlage. "Ich meinerseits," sagte er, "nehme diesen Vorschlag an. Ich werde niemals Sektierer sein, und ich sehe in den Reihen der Organisationen, die nicht der Internationale angehören, außer den Menschen, die wir gezwungen sind, aus prinzipiellen Gründen zu bekämpfen, Arbeiter, denen wir die Bruderhand reichen müssen. Es ist schon traurig genug, daß der Kampf zwischen Vertretern entgegengesetzter Prinzipien sich uns als eine Notwendigkeit aufdrängt, der wir nicht entrinnen können. Packen wir wenigstens die Gelegenheit, die sich bietet, ein Band aufrecht zu erhalten, wie schwach immer auch es sei, zwischen diesen Gruppen, die nicht dazu gekommen sind, sich zu verständigen. Das vorgeschlagene Bureau, das man Bureau für Korrespondenz und Statistik der sozialistischen Arbeiter nennen könnte, wird keine große praktische Bedeutung haben; seine Tätigkeit wird wahrscheinlich gleich Null sein; aber es wird in den Augen -der feindlichen Bourgeoisie ein äußeres Zeichen der Einheit des Sozialismus sein, ein Zeichen, vergleichbar der roten Fahne, die trotz all unserer Trennungen unser gemeinsames Sinnbild bleibt."

Alle anwesenden Delegierten stimmten dem Antrag zu mit Ausnahme von Costa, Brousse, Montels und Slebach.

Ende

Wir haben den allmählichen Verfall der antiautoritären Organisationen in Frankreich nach der Kommune, in Spanien nach der Revolution, in Italien unter dem Drucke der Regierung und der Entwicklung -der Verhältnisse, in Belgien unter dem doppelten Einfluß der Abnahme des revolutionären Glaubens und des Beispiels der deutschen Sozialdemokratie gesehen. Wir zeigten, wie allmählich nationale sozialdemokratische Parteien Fuß faßten auf dem psychisch veränderten Boden. Als letztes bleibt min noch, das Ende des widerstandsfähigsten Teils der Internationale, der Jurassienne, zu erzählen.

Nach dem Haager Kongreß war die Bewegung erst recht aufgeblüht. Seit 1872 war der jurassische Uhrenabsatz in rapidem Zurückgehen begriffen infolge der amerikanischen Fabrikkonkurrenz. Die Löhne sanken ständig, und die Unternehmer

suchten für die Gewinne, die ihnen auf dem Markt entgingen, sich an den Arbeitern dadurch schadlos zu halten, daß sie durch Einschieben von Visitören, Werkführern, Zwischenpersonen überhaupt und Trucksystem die Stücklöhne herabzusetzen versuchten. Das weckte Schichten, die früher •der Bewegung noch gleichgültig gegenübergestanden hatten, und führte zu verschiedenen, teilweise erfolgreichen Bewegungen. In dieser erregten Arbeiterschaft fanden die Jurassier einen günstigen Boden für ihre Propaganda. Ihre Zeitung fand eine zunehmende Abonnentenzahl, ihre Organisation wuchs, die Diskussionen wurden lebhaft, die Versammlungen und Vorträge wurden von einer zahlreichen Arbeiterschaft besucht. In dieser Zeit entstanden auch ein paar Kampfesproduktivgenossenschaften. Ohne die Propaganda für die Notwendigkeit einer sozialen Umgestaltung und Revolution in den Hintergrund zu stellen, propagierten die Jurassier die Notwendigkeit von Streik-, Kranken- und Arbeitslosenkassen, von Produktivgenossenschaften und sozialistischen Studienzirkeln. So war etwa bis 1876 die Bewegung im Jura im Aufschwung begriffen. Unterdessen wirkte aber die amerikanische Konkurrenz weiter. Die vorher große Ausfuhr nach Amerika nahm reißend ab, auch der französische Markt ging zum großen Teil verloren, und die Weltausstellung von Philadelphia zeigte der ganzen Welt, daß dieser Rückgang in dem enormen Aufschwung des Maschinenwesens, auch in der Uhrenindustrie gelegen hatte. Die schweizerische Uhrenkrise wurde immer mehr zu einer eigentlichen Landeskalamität, und sogar die Regierung fühlte sich veranlaßt, der Sache sich anzunehmen.

Bisher hatte es in der jurassischen Uhren-Industrie nur ganz vereinzelt für die Herstellung von Rohwerken Fabriken gegeben. Die Hausindustrie überwog noch sogar das Atelier, und das Atelier war vorwiegend Familienatelier. Zwischen 1876 und 1878 begann nun die Fabrik auch in der Schweiz aufzukommen im Uhrengewerbe und gab damit zu einer totalen Veränderung der Psyche der Arbeiter Anlaß. Früher waren sie selbstbewußt gewesen, weil sie in hohem Grade über sich selbst hatten verfügen können. Jetzt wurden sie aber entweder Fabrikarbeiter oder litten doch so sehr unter der Konkurrenz der Fabrik und der ungelernten Arbeiter, daß aus den früher einigermaßen freien Menschen sklavenähnliche Wesen wurden. Der Prozeß vollzog sich natürlich langsam. Aber im Grund kann man

sagen: Die Einführung der Fabrik ist der Tod der Jurassienne geworden. Die Fabrik erzeugte an Stelle des selbstbewußten Atelierarbeiters mit verhältnismäßig ordentlichem Einkommen den schlecht entlohnten ungelernten Fabrikler. Die jurassischen Arbeiter suchten zu Beginn dem unentrinnbaren Joch zu entgehen und verhängten die Sperre über die Fabriken. Aber dadurch schadeten sie nur sich selbst. Denn an Stelle gelernter Uhrmacher nahmen die Unternehmer unqualifizierte Arbeiter. Teilweise wurde auch der Schwerpunkt der Uhrenindustrie verschoben. Die Fabriken wurden in Gegenden verlegt in denen es bisher keine Uhrenarbeiter, wohl aber erbärmliche Kleinbauern gab, denen die Fabrik einen angenehmen Verdienst bot und die gefügiger waren als die Jurassier.

Als Ende 1876 Vorträge über die Notwendigkeit und das Kommen der Fabriken gehalten wurden, entstand eine eigentliche Panik und der Drang nach Widerstand bei den Uhrenarbeitern. Immerhin bildeten sich immer noch neue Sektionen der Internationale. Im Januar 1877 war etwa die Hälfte der Uhrenarbeiter im Jura arbeitslos, und nach und nach wuchs der Unglaube an die Möglichkeit, sich gegen den fatumähnlichen Gang der Entwicklung zu wehren. Die Internationalen, verstärkt durch ein paar neue propagandistische Elemente wie Peter Krapotkin, Brousse, Costa, arbeiteten unermüdlich; aber der Boden für ihre Arbeit wurde durch den Gang der ökonomischen Entwicklung von Tag zu Tag ungünstiger. Nicht auf einmal änderte sich die ganze Psyche der jurassischen Arbeiter. Aber der Druck des Schicksalsmäßigen lastete auf ihrer Seele, und da war es nicht wunderlich, daß der größte Teil der Arbeiterbevölkerung im Laufe der Jahre einer anderen Weltauffassung zugänglich wurde, die weniger hohe Anforderungen an sie stellte.

Wenn Bewegungen anfangen, den Boden unter sich zu verlieren, so verfallen sie häufig in einen der Verzweiflung entspringenden Radikalismus und in eine große Intoleranz Andersdenkenden gegenüber. Nun gab es wohl auch in der zerfallenen Internationale solche Elemente. Aber die Jurassier selbst und Guillaume hielten sich von diesem Wege immer fern. Es waren die beiden späteren Sozialdemokraten Brousse und Costa, —von denen der erstere nachmals Stadtpräsident von Paris wurde und in dieser Eigenschaft den König von Spanien feierlich empfing, und der zweite ein Vizepräsident der italienischen Kammer, — die davon eine

Ausnahme machten und oft in einen Ton verfielen, der eher dazu beitrug, die Bewegung zu kompromittieren, als sie zu fördern. Die ruhige Gelassenheit der Jurassier drückt sich am besten aus in ihrem Verhältnis zu der deutschschweizerischen und auch der deutschen Bewegung. Da sieht man, wie die Idee der Autonomie nicht nur eine theoretische Fiktion war, sondern ein wirkliches in der Seele der Jurassier lebendes Wesen. Immerfort suchte sie die gemeinsame ökonomische Aktion. Und auch aus ihrer Stellung zum Parlamentarismus machten sie kein Dogma und betonten des öfteren, daß sie die propagandistische Bedeutung der Teilnahme an den Reichstagswahlen keineswegs unterschätzten. Immer betonten sie, daß 'die Deutschen selber zu entscheiden hätten, welches für sie der praktischste Weg wäre, den Sozialismus zu verwirklichen, und standen nicht an, zuzugeben, daß für die germanischen Länder der Weg zum Sozialismus über den Volksstaat führe. Dagegen wehrte sie sich gegen die autoritäre Zentralisation sowohl auf politischem als auf gewerkschaftlichem Gebiete, freilich immer betonend, daß die weitgehendste internationale Zusammenarbeit aller Proletarier vonnöten sei. Weder ihre Prinzipien noch die sachliche Weise ihrer Polemik haben sie jemals verlassen.

Aber da, wo geschichtlich gegebene Widerstände einem Kraftstrom entgegenstehen, wo das "Schicksal" etwas anderes will als die Menschen, da sind alle Tugenden nutzlos, außer denen der Anpassung. Und in solcher Lage waren die jurassischen Föderalisten. Sie vertraten den Geist einer selbstbewußten Generation von nicht versklavten Uhrenarbeitern. Und diese Generation hatte keinen Nachwuchs. Eine andere Welt, andere ökonomische und damit psychologische Verhältnisse kamen heran, Menschen, die mehr den Ruf nach Brot als den nach Freiheit zu hören vermochten, Menschen, die nicht mehr an die Befreiung glaubten durch eigene Kraft. Und die Propheten dieser neuen Menschen konnten die Jurassier nicht sein.

Am 25. März 1878 erschien die letzte Nummer des "Bulletin", der Zeitung der Jurassier. James Guillaume, der in den letzten Jahren seiner Tätigkeit im Jura von Stundengeben und Übersetzungen gelebt hatte, 'and nach Abbüßung einer Gefängnisstrafe, die ihm, wie vielen anderen, eine Demonstration in Bern eingetragen, in seiner Heimat keine Arbeit mehr und mußte nach Frankreich auswandern. Anderen Propagandisten ging es ähnlich. Die große Masse der Arbeiter

aber entwickelte sich zu einer Indifferenz, die sie noch jahrelang weder zu einer gewerkschaftlichen noch politischen Aktion befähigte. Es war die Zeit der Fabrik und daneben einer Art von Heimarbeit gekommen, die aus den Jurassiern andere Menschen machte.

Gewiß erhebt sich dem Leser die Frage: "Ist die föderalistische Internationale, die 1878 von der Szene abtrat, nur noch eine historische Erinnerung?" James Guillaume gibt das nicht zu. Für ihn 'ist die Internationale, deren bemerkenswerteste Manifestation er in der Juraföderation sieht, wieder erstanden aus der Asche, wie der Phönix. Er schreibt darüber folgendes in der Vorrede zum 4. und letzten Band seines Buches "L'Internationale, Documents et Souvenirs" (1910): "Nichts hört auf, nichts geht zugrunde; alles hat seine Fortsetzung, beginnt wieder in veränderter Form. Die Entwicklung ist ununterbrochen im Gange, das Leben ist unsterblich. ... Die Lohnarbeiter Frankreichs, in ihrer großen Masse, hatten die Wahrheiten nicht vergessen, die von der vorangegangenen Generation gefunden und proklamiert worden waren: Die Befreiung der Arbeiter soll das Werk der Arbeiter selbst sein; die Emanzipation der Arbeiter ist nicht ein nationales, sondern ein internationales Problem. Das Leben ihrer Klasse lebend, setzten sie den ökonomischen Kampf fort; und während die Parlamentarier ihre ganze Tätigkeit darauf konzentrierten, eine Armee von Wählern zu rekrutieren, organisierten sie sich in lokalen Gewerkschaftskartellen einerseits, in Berufsverbänden anderseits. Aus der Vereinigung der beiden Organisationen ging, 1895, die Confédération générale du travail hervor, die seit 1904 sich in ihrer Mehrheit auf den Standpunkt des revolutionären Syndikalismus gestellt hat. Und was ist die Confédération générale du travail anderes als die Fortsetzung der Internationale?"

Es liegt dem Leser ob, zu entscheiden, ob dieses Urteil eines Mannes, dessen Anteil an der großen Freiheitsbewegung von 1864 bis 1878 wir geschildert, und der noch heute in Frankreich aktiv teilnimmt an dem Kampfe, den die französischen Gewerkschaften gegen Staat und Kapitalismus führen, ob sein Urteil mit den Tatsachen übereinstimme.

Anhang

Marxens Beweis über die angebliche "Gaunerei und Erpressung Bakunins"

Unter den Begründungen, die auf dem Haager Kongreß aufgezählt wurden, um Bakunin aus der Internationale auszuschließen, wurden angeführt, daß er sich der Gaunerei und Erpressung schuldig gemacht hätte. Zur Aufklärung über diese Beschuldigung ist es nötig, etwas weiter auszuholen.

James Guillaume schreibt hierüber auf Seite 13 des dritten Bandes seines Buches: "Eine kürzlich (Januar 1908) in einer Petersburger Revue ("Minuwschie Gody") erschienene Publikation hat mehr Licht geworfen auf das, was in Haag im Schoße der Untersuchungskommission gelaufen hat, und über den ,Beweis', den Marx geliefert hat zur Stütze der Anklage auf Gaunerei und Erpressung, die er gegen Bakunin erhob. Es handelt sich um eine Anzahl Briefe, die Marx geschrieben hat, vor und nach dem Kongreß von Haag, in Herrn Nikolas ... on, einen in Rußland sehr bekannten Publizisten.

Marx vernahm, wahrscheinlich im Laufe des August 1872 (wohl durch Utin), die Geschichte des Briefes, der im Frühjahr 1870 von Netschajef geschrieben wurde in bezug auf die russische Übersetzung des ,Kapital'. Dieser Brief war gerichtet gewesen nicht an den Verleger Poljakof selbst, sondern an die Person, die gedient hatte als Vermittler zwischen Bakunin und Poljakof, einem gewissen Ljubawin. Marx schrieb sofort an Herrn Nikolas ... on, der sein gewöhnlicher Korrespondent in. Petersburg war, um ihn zu fragen, ob er ihm nicht den Brief von Netschajef besorgen könnte, da er sich desselben bedienen wollte als Waffe gegen Bakunin auf dem Kongreß von Haag. Herr Nikolas ... on machte von dieser Frage Ljubawin Mitteilung, und dieser beeilte sich, Marx das gewünschte Dokument zu senden. Marx ließ in Haag die Untersuchungskommission von ihm Einsicht nehmen, als von einem geheimen Dokument, dessen Existenz zu erwähnen verboten war."

Guillaume hatte sich Mühe gegeben, von Herrn Nikolas ... on den Text des Netschajefschen Briefes zu erfahren, nachdem er den Artikel im "Minuwschie Gody" gelesen hatte. Herr Nikolas ... on ließ antworten, daß er das Dokument nicht besäße, weder im Original noch als Kopie, aber er gab Guillaume über den Inhalt des Schriftstückes) das er ehedem gesehen hatte, folgende Auskunft:

"Das Dokument ist nicht ein von Netschajef persönlich an Ljubawin gerichteter Brief, sondern ein offizieller Beschluß des revolutionären Komitees, geschrieben auf Papier mit dem Briefkopf des Komitees und Ljubawin mitgeteilt als Drohung für sein (eventuelles) Verhalten. Obgleich der Name von Netschajef auf diesem Dokument sich nicht vorfindet, war doch niemand der Interessenten darüber im Zweifel, daß es von ihm kam, und man stellte sich außerdem vor, daß Bakunin über seinen Inhalt und seine Absendung auf dem laufenden gewesen sei und die Art und Weise von Netschajef gebilligt habe."

Guillaume fährt dann fort: "Jedermann weiß heute, daß das "Revolutionäre Komitee", voll 1870 wenigstens, aus Netschajef allein bestand, der diktatorisch handelte. All die, welche die von Dragomanof publizierte Korrespondenz Bakunins gelesen haben, wissen außerdem, daß Bakunin, nachdem er die jesuitischen Praktiken von Netschajef entdeckt hatte, über sie entrüstet wurde und alle Beziehungen mit ihm abbrach. Wenn jemand im Jahre 1870 glauben konnte, daß Netschajef in Übereinstimmung mit Bakunin handelte, als er Ljubawin den "Beschluß des Komitees" übersandte, so besteht heute ohne Zweifel niemand auf diesem Irrtum, und ich bin überzeugt, daß Herr Nikolas ... on selbst unbedenklich die Überzeugung aussprechen würde, daß Bakunin der Redaktion und Sendung dieses Dokumentes durchaus fernstand."

Mit dem Netschajefschen Dokument sandte Ljubawin an Marx noch einen sehr interessanten Brief in deutscher Sprache, den Eduard Bernstein in russischer Übersetzung in der Novembernummer 1908 der Petersburger Revue "Minuwschie Gody" publiziert hat. Von dem ersten Teile des Briefes gibt Bernstein nur ein Resumé; er druckt aber dann wörtlich den Hauptteil ab. Wir bringen den Brief nach der französischen Übersetzung James Guillaumes.

Brief von Ljubawin an Marx.

(8./20. August 1872.)

[1) Ljubawin schreibt, er habe durch den Petersburger Korrespondenten von Marx erfahren, daß Marx das Original des von Bakunin in der Angelegenheit der Übersetzung des "Kapital" an ihn (Ljubawin) geschriebenen Briefes zu erhalten wünsche, des Briefes, der in Verbindung gebracht wurde mit dem von Netschajef im Namen des revolutionären Bureaus abgesandten angeblichen Erpressungsbrief. Ljubawin hat mit Bakunin schon seit langem abgerechnet, und zwar in grobschlächtigen Briefen, welche er im Sommer 1870 schrieb; wenn er trotzdem bereit ist, dem Wunsche von Marx zu entsprechen, so geschieht das, weil er Bakunin für eine schädigende Persönlichkeit hält, und weil er hofft, daß die Verumständigungen bei dieser Übersetzungsangelegenheit Bakunin diskreditieren werden. Im übrigen täuscht er sich nicht hinsichtlich des geringen Wertes dieser Briefe. Er macht zum voraus darauf aufmerksam, daß die in seinen Händen befindlichen Beweise keineswegs die überzeugende Wirkung haben, welche Marx ihnen beizumessen scheint. "Wenn sie auch einen gewissen Schatten auf diese Persönlichkeit werfen, so reichen sie dennoch nicht aus zu einer Verurteilung." Bakunin hat schon viel geschadet, aber "nichtsdestoweniger bewahrt er immer noch einen gewissen Glorienschein in den Augen Westeuropas und in den Augen unserer unerfahrenen Jugend; ihn diskreditieren, heißt das öffentliche Wohl fördern". In zwei Anmerkungen bemerkt Ljubawin, er habe erst kürzlich noch Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, daß Bakunins Glorienschein für die russische Jugend tatsächlich noch vorhanden sei; er teilt auch mit, daß in Petersburg das Gerücht verlautet, Utin sei von den russischen Studenten in Zürich auf Anstiften Bakunins geprügelt worden.]

Dann fährt der Briefschreiber fort:

"Ihrem Wunsche gemäß lege ich diesem Schreiben den Brief des ,Bureau' bei, aber nur unter der Bedingung der sofortigen Rücksendung nach gemachten Gebrauch, denn der Brief kann auch hier nützlich sein. Was den Gebrauch des Briefes anbetrifft, so täuschen Sie sich sehr in der1) Die zwischen Klammern gesetzten Zeilen sind das von Bernstein redigierte Resumé des ersten Teiles des Briefes von Ljubawin.

Annahme, daß meine Beziehungen zu diesem Herrn 1) nur geschäftlicher Natur gewesen seien. Mit der Veröffentlichung meiner an ihn gerichteten Briefe könnte er mir sehr unbequem werden, und er hat mir in unzweideutiger Weise gedroht, wenn ich mir beikommen lassen würde, in der Kapitalübersetzungsangelegenheit aus der Schule zu schwatzen.

Um Licht in die Angelegenheit zu bringen, muß ich Ihnen folgendes mitteilen:

Anläßlich meines Aufenthaltes in Berlin im Jahre 1869 vernahm ich durch meinen verstorbenen Freund Negrescul, daß Bakunin sich auf dem Trockenen befinde und daß baldige Hilfe not tue. Dazumal war ich mit Bakunin sehr wenig bekannt, aber ich hielt ihn für einen der besten Helden im Freiheitskampfe, wie es so viele russische Studenten taten und noch tun. Ich übersandte ihm sofort 25 Taler und wandte mich gleichzeitig durch Vermittlung eines Freundes in Petersburg an einen dortigen Verleger mit einem Gesuche um Arbeitszuwendung an Bakunin. Man wurde einig, ihm die Übersetzung Ihres Werkes anzuvertrauen. Man versprach ihm 1200 Rubel für die Übersetzungsarbeit. Auf sein Verlangen wurde ihm durch mich ein ganzer Pack Literatur zugestellt, die er bei der Übersetzung benötigte, gleichzeitig wurde ihm auf gestelltes Verlangen hin eine Abschlagszahlung von 300 Rubeln gewährt. Am 28. September 1869 ließ ich diese von Heidelberg, meinem damaligen Wohnsitze, aus an einen gewissen Charles Perron in Genf abgehen, und am 2. Oktober habe ich von Bakunin selbst einen diesbezüglichen Empfangschein erhalten.

Untern 2. November schrieb mir Bakunin von Locarno aus, er sei nun endlich von der übermäßigen Agitationstätigkeit los und er werde sich ,morgen' an die Übersetzung machen. Der ganze Monat verstrich, ohne daß ich eine einzige Seite Manuskript erhalten hätte. Ende November oder genauer anfangs Dezember fragte ich ihn, veranlaßt durch einen aus Petersburg empfangenen Brief, an, ob er mit der Übersetzung fortfahren wolle oder nicht. Unglücklicherweise habe ich von diesem Briefe keine Kopie genommen; ich kann deshalb den Wortlaut des Briefes nicht wiedergeben. Soviel ich mich erinnere, schrieb mir mein Freund aus Petersburg (der Vermittler mit dem Verleger), daß, wenn Bakunin die Übersetzung nicht machen wolle,

1) Ljubawin spricht hier offenbar von Netschajef (Anmerkung der Redaktion von "Minuwschie Gody").

er dies frei und offen sagen und nicht die Angelegenheit auf die lange Bank ziehen solle; mit Bezug auf die 300 Rubel werde man sich wohl verständigen. In diesem Sinne schrieb ich an Bakunin und bekam am 16. Dezember Antwort von ihm. Er entschuldigte sein langes Stillschweigen (seit dem 2. November) unter anderem mit dem Umstande, daß mein Brief in einem groben Ton gehalten gewesen sei (nicht wegen der Übersetzung, sondern aus einem anderen Grunde). Dann fährt er weiter: ,Wie können Sie sich nur einbilden, daß ich nach Übernahme der Übersetzung und Entgegennahme der Abschlagszahlung von 300 Rubel nun auf einmal von der Arbeit zurücktreten werde.' Er erklärt, daß er auf den Ertrag dieser Arbeit sein ganzes Jahresbudget aufgebaut hat; nur ganz außer seinem Machtbereich liegenden Verhältnisse hätten ihn verhindert, mit der Übersetzung vor Anfang Dezember zu beginnen. Er fügt auch bei, die übernommene Arbeit erweise sich als viel schwieriger, als er sich vorgestellt. Er spricht dann von den verschiedenen Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Ich führe davon nur eine an, denn ich glaube, Bakunin hat einfach gelogen. Er zitiert folgenden Satz Ihres Buches: ,Der Wert ist Arbeitsgallerte', und sagt: ,Hier hat Marx einfach einen Scherz gemacht; er hat mir das selbst eingestanden'. Er spricht dann die Hoffnung aus, gegen Ende April 1870 würde die Übersetzung fertig sein, und er bittet mich inständigst, ich möchte mich beim Verleger verwenden, daß ihm die Arbeit nicht abgenommen werde. Sollte der Verleger aber darauf bestehen, daß er die Arbeit abgäbe, so möchte man ihn, Bakunin, möglichst rasch verständigen, damit er sich mit der Rückzahlung des Vorschusses beschäftigen könne 1).

Am 19. Dezember sendet er mir die ersten Bogen des Manuskripts: ,Von jetzt ab werde ich Ihnen alle zwei oder drei Tage Manuskript zugehen lassen'. Am 31. Dezember erhielt ich zum letztenmal einen Teil der Übersetzung. Im ganzen erhielt ich von ihm Manuskript für einen, höchstens zwei Druckbogen.

Am 3. März 1870 erhielt ich den Brief des ,Bureau', für welchen Sie im gegenwärtigen Zeitpunkt ein warmes Interesse1) Das sind also die "betrügerischen Manöver", deren sich Bakunin bediente, "um sich des ganzen oder doch eines Teils des Vermögens von einem anderen zu bemächtigen" (Rapport der Haager Untersuchungskommission).

zeigen 1). Wenn auch dieser Brief nicht von Bakunin geschrieben worden war (er ist wahrscheinlich von Netschajef selbständig geschrieben), so hielt ich Bakunin für denselben doch verantwortlich, denn sei Anteil an diesem Briefe schien mir unter den obwaltenden Umständen durchaus festzustehen. Aus diesem Grunde schrieb ich ihm einen Schmähbrief.

Das Wintersemester war abgelaufen und ich mußte abreisen; aber ich wartete noch nach Absendung meines Briefes ungefähr zweieinhalb Wochen zu. Keine Antwort. Bakunin hat später an unseren gemeinsamen Bekannten Lopatin geschrieben, er habe mir eine kurz gehaltene Antwort zugehen lassen, worin er mir wegen meines groben Benehmens den Verzicht auf die Übersetzungsarbeit mitgeteilt habe. Meiner Überzeugung nach ist eine solche Antwort nie erfolgt; ich hätte sie erhalten. Lopatin übergab er auch eine Empfangsbescheinigung über den Vorschuß von 300 Rubeln, welchen er vom Verleger durch meine Vermittlung erhalten hatte, mit dem Aussprechen, das Geld innert möglichst kurzer Frist zurückzahlen zu wollen. Aber dieser Empfangsschein war ganz überflüssig, denn ich besaß bereits einen von ihm selbst ausgestellten Empfangsschein für diese Summe; sein Versprechen auf baldige Rückzahlung hat er nie gehalten 2). Bis heute habe ich von ihm auch nicht einen einzigen Rubel empfangen; er hat sich durch Vermittlung einer Dame an :den gleichen Verleger gewandt und um Zuweisung einer anderen Übersetzungsarbeit ersucht, dabei das Versprechen abgebend, es werde dann nicht gehen wie bei der Übersetzung des ,Kapital'. Welche Unverschämtheit! Zum Schlusse will ich aussprechen, was ich heute über1) Netschajef hatte sich nach Locarno zu Bakunin begeben, Mitte Januar 1870; er forderte ihn auf, die Übersetzung des "Kapital" aufzugeben, um sich ganz der revolutionären Propaganda zu widmen, und versprach ihm, die Sache mit dem Verleger zu regeln. Man weiß, wie er das ohne Wissen von Bakunin tat. Netschajef hatte Locarno Ende Januar verlassen, um in die französische Schweiz zurückzukommen, wo er sich verbarg, da die schweizerische Polizei auf seinen Fersen war. Ende Februar verschaffte man ihm eine Zufluchtsstätte in Loche. Von Locle aus wurde also der Brief des "Bureau" geschrieben.2) Das Papier, das Ljubawin durch Vermittlung von Lopatin übergeben wurde, war nicht ein einfaches Duplikat des Empfangsscheins vom 2. Oktober 1869, da es außerdem eine Verpflichtung enthielt, so bald als möglich die 300 Rubel zurückzugeben, die er zum voraus empfangen hatte. Dieses Papier, dessen Existenz erst durch diesen Brief bekannt wurde, ist ein neuer Beweis für Bakunins Ehrlichkeit.

den Brief denke, den ich 1870 vom ,Bureau' erhielt. Damals schien mir der Anteil Bakunins an diesem Briefe unleugbar, aber heute, bei kühler Betrachtung der ganzen Angelegenheit, sehe ich, daß dieser Anteil keineswegs bewiesen ist, denn der Brief konnte von Netschajef ganz ohne alles Hinzutun von Bakunin geschickt worden sein. Nur eines kann als feststehend betrachtet werden, nämlich: Bakunin hat nie die geringste Lust bezeigt, die begonnene Übersetzung zu vollenden, trotz des empfangenen Honorarvorschusses 1)."

Zu diesem Briefe Ljubawins bemerkt James Guillaume: "Man hat einen Augenblick glauben können, daß Marx, durch falsche Berichte irregeführt, 1872 wirklich überzeugt gewesen war von der Richtigkeit der Anklagen, die er gegen Bakunin erhob. Dieser Brief von Ljubawin beweist aber, daß Marx nicht irregeführt worden ist, daß ihn sein Korrespondent, als er ihm das verlangte Dokument sandte, gleichzeitig aufklärte über dessen wirkliche Bedeutung und daß infolgedessen Marx wissentlich die Untersuchungskommission getäuscht hat. Die Art, wie er in dieser Angelegenheit vorging, hat seinem Charakter einen Flecken aufgedrückt, den man niemals wird auswischen können.

"Im folgenden Jahre hat er durch die Publikation des Pamphletes L'Alliance de la démocratie socialiste usw. seine häßliche Handlung noch schlimmer gemacht. In dem gleichen Artikel von Minuwschie Gody (erster Teil, Oktober 1908) hat Bernstein dieses traurige Erzeugnis und den Eindruck, den es in Rußland machte, folgendermaßen gewürdigt:1) Nein, Bakunin hat wirklich nicht gewünscht, die begonnene Arbeit fortzusetzen. Doch war es seine Absicht, das empfangene Geld zurückzugeben. Aber man muß eben in Betracht ziehen, was passiert ist in der Zeit zwischen dem Frühling 1870 und dem Kongreß im Haag: im Sommier 1870 der Bruch mit Netschajef; dann der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich; im September und Oktober ist Bakunin in Lyon und Marseille; dann im Winter 1870/71 schwarzes Elend und die Arbeit am "Knuto-Germanischen Reich"; dann die Pariser Kommune, Bakunin im Jura; vom Juni 1871 an, die Polemik gegen Mazzini, gegen die marxistische Clique, die die ganze Kraft des Schriftstellers absorbiert; von neuem pekuniäre Misère während des Winters 1871/72; im Frühjahr wird die Polemik heftiger und heftiger; vom Juli 1872 an ist Bakunin in Zürich inmitten der Kolonie der russischen Studenten; damals suchte er, durch Vermittlung einer Dame, die Beziehungen wieder anzuknüpfen mit dem Verleger Poljakof; damals zwang ihn auch die Verhaftung von Netschajef durch die zürcherische Polizei, Schweigen zu bewahren, und hinderte ihn, nach dem Kongreß von Haag öffentlich über die durch skrupellose Feinde gegen ihn erhobene verleumderische Beschuldigung Aufklärung zu geben.

Bernsteins Urteil über Marx

"Im Augenblick, in dem die Anklage-Broschüre von Marx erschien, wußte man in den sozialistischen russischen Gruppen ziemlich genau, welcher Art in Wirklichkeit die Beziehungen zwischen Bakunin und Netschajef gewesen waren; deshalb sollte die Broschüre selbst auf die ohne Einfluß sein, die Bakunins Verhalten als tadelnswert verurteilten. Man erinnere sich nur daran, daß selbst Peter Lawrof, in seinem Vpered, sie sehr schlecht aufnahm. Sie hat unendlich dazu beigetragen, Marx die ganze damalige sozialistische russische Welt zu entfremden. Und doch umfaßte die sozialistische Propaganda die weitesten Kreise der studierenden Jugend, die ebensoviel Wissensdrang offenbarte als Bedürfnis nach praktischer Tätigkeit und Opfer. Aber wenig zahlreich waren die, welche durch Marx angezogen wurden; sie schätzten seine Wissenschaftlichkeit, aber sie hatten nur wenig Sympathie für ihn als Menschen. Er schien ihnen der typische Vertreter aller schlechten Seiten eines deutschen Gelehrten. .. Nur eine kleine Gruppe von Russen fand sich um Marx im Jahre 1870 und den folgenden Jahren. Unter ihnen befand sich Utin, der nicht zu ihrem guten Ruf beigetragen hat. Man sah in Utin allgemein nur einen verschrobenen und klatschhaften Intriganten, und viele Leute waren nicht weit davon entfernt, den Meister nach dem Schüler zu beurteilen.

"Vom rein menschlichen Standpunkt aus erscheint in diesem Kampf zwischen Marx und Bakunin der letztere unbestreitbar in einem günstigeren Licht als sein Gegner; selbst der, welcher glaubt, daß Marx in diesem Streite die Interessen der Arbeiterbewegung verteidigte, der keine sentimentale Konzession zuließ, kann nicht umhin, zu bedauern, daß Marx diesen Kampf nicht mit anderen Mitteln und in anderen Formen geführt hat!"

So Bernstein.

Literatur

Die ideale historische Darstellung ist die, welche dem Leser Dokument auf Dokument vorlegt und es ihm selbst überläßt, Abstraktionen und Urteile zu bilden. Sie erfordert aber so viel Raum, daß wir stets nur einen ganz kleinen Zeitausschnitt der Geschichte kennen könnten, wenn wir daneben nicht auch kursorische Darstellungen hätten, die gleichsam abstrakte Überbaue all der Dokumente sind, die uns eine Zeit hinterläßt. Ein Buch letzterer Art ist das unsrige. Es soll eine Einführung in das Marx-Bakunin-Problem darstellen, den Versuch einer Lösung. Bei einer solchen Art der Darstellung schuldet der Autor dem Leser den Hinweis auf die Werke, auf denen er fußt und nach denen ihn der Leser nachprüfen kann. Die wichtigsten Werke, welche diesem Zwecke dienen, sollen hier genannt werden. Für die Darstellung von Marx fußten wir, außer auf seinen Schriften, vor allem auf: Franz Mehring: Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Band 1: 1841-1844. Band 2: 1844-1847. Band 3: 1848-1850. Band 4: Briefe von Lassalle an Karl Marx. Verlag Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1912. Franz Mehring. Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. 1. Band: Bis zur Märzrevolution. 2. Band: Bis zum preußischen Verfassungsstreite. 3. Band: Bis zum deutsch-französischen Kriege. 4. Band: Bis zum Erfurter Programm. 4. Auflage, 1909. Verlag Dietz Nachf., Stuttgart. Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. a. an F. A. Sorge und andere. Stuttgart 1906. Dietz Nachf. David Koigen. Zur Vorgeschichte des modernen philosophischen Sozialismus in Deutschland. Zur Geschichte der Philosophie und Sozialphilosophie des Junghegelianismus. Bern. Druck von C. Sturzenegger. W. Liebknecht. Karl Marx zum Gedächtnis. Ein Lebensabriß und Erinnerungen. Wörlein u. Comp., Nürnberg. 1896. Marx (Karl), Briefe an Dr. Kugelmann. (1864-1874.) Neue Zeit. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 1932. 20. Jahrgang. 2. Band. S. 60, 91, 125, 188, 221, 381, 412, 472, 541, 604, 797.

Für die Darstellung von Bakunin hielten wir uns an James Guillaume und Nettlau. Da die Schriften von Bakunin im deutschen Sprachgebiet wenig oder gar nicht bekannt sind, mögen sie hier erwähnt werden:

Michel Bakounine. Oeuvres. Fédéralisme, Socialisme et Antithéologisme. Lettres sur le Patriotisme. Dieu et l'Etat (note complémentaire du manuscrit de l'Empire Knouto-Germanique). Stock, Paris. 1895. Introduction par N. Nettlau.)

— — Tome Il. Les Ours de Berne et L'Ours de Saint-Pétersbourg (1870). Lettres à un Français sur la Crise actuelle (Septembre 1870). L'Empire Knouto-Germanique et la Révolution Sociale (1870-1871). Avec une Notice biographique, des Avant-propos et des notes par James Guillaume. Paris, Stock. 1907.

— — Tome III, L'Empire-Knouto-Germanique et la Révolution Sociale, Seconde livraison (1871). Appendice: Considérations philosophiques sur le Fantôme Divin, sur le Monde réel et sur l'homme; précédé du contenu des feuillets qui rattachent cet Appendice à L'Empire Knouto-Germanique (1870). Avec un Avant-Propos, des Avertissements et des notes par James Guillaume.

Paris, Stock. 1908.

— — Tome IV. Lettres à un Français, Suite (1870). Manuscrit de 114 pages, écrit à Marseille (1870). Lettre à Esquiros (1870). Préambule pour la seconde livraison de l'Empire Knouto-Germanique (1871). Avertissement pour l'Empire Knouto-Germanique (1871). Lettre à la Liberté de Bruxelles. Paris, Stock. 1910.

— — Tome V. Articles écrits pour le journal I'Egalité (1868-1869), Lettre adressée aux citoyens rédacteurs du Réveil (Octobre 1869). Trois conférences faites aux ouvriers de Val de Saint-Imier (Mai 1871.) Paris, Stock. 1911.

— — Tome VI. Protestation de l'Alliance (Juillet 1871). Réponse d'un International à Mazzini (juillet 1871). Appendice: L'Internationale et Mazzini, par Saverio Friscia. Lettre à la section de l'Alliance de Genève (Août 1871). Rapport sur l'Alliance (Juillet-Août 1871). Réponse à l'Unità Italiana (Septembre-Octobre 1871). Circulaire à mes amis d'Italie à l'occasion du Congrès de Rome (Octobre 1871). Appendice: Un feuillet retrouvé, etc. (1869). Paris, Stock. 1913.

Für die Darstellung des Lebens von Bakunin vor der Zeit der Internationale kam vor allein in Betracht das große Werk von: Nettlau (Dr. Max). Michael Bakunin. Eine Biographie.

Sodann:

Nettlau (Max). Bakunin und die internationale in Italien bis zum Herbst 1872. (Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Herausgeber Cari Grünberg. Zweiter Jahrgang. 2. und 3. Heft. Leipzig. C. L. Hirschfeld. 1912.)

Max Nettlau. Michael Bakunin. Eine biographische Skizze. Berlin 1901. Verlag von Paul Pawlowitsch.

Für die Darstellung der Internationale selbst kommen in erster Linie in Betracht:

Mehring, oben zitierte Werke.

Briefe und Auszüge von Briefen etc. an F. Sorge etc., oben zitiert.

Der Vorbote, Organ der Internationalen Arbeiter-Association, redigiert von Joh. Ph. Becker. Genf Pré-l'Evêque, 33. 1866 bis 1871. 1. bis 6. Jahrgang.

Gustav Jaeckh. Die Internationale. Leipzig 1904. Verlag der Leipziger Buchdruckerei-Aktiengesellschaft.

Domanico (Giovanni). L'internazionale. Volume 1. (1864 bis 1870.) (Firenze, Casa Editrice Italina. 1911.

Mémoire présenté par la Fédération jurassienne de l'Association Internationale des Travailleurs à toutes les Fédérations de l'internationale. In 8°. Sonvillier, au siège du Comité fédéral jurassien, 1873.

In ausgiebigem Maße benützten wir das außerordentlich reich dokumentierte Buch von:

James Guillaume. L'internationale. Documents et Souvenirs. (1864-1878.) 7 Tome 1. geht von 1864 bis April 1870. Tome 2. geht von April 1870 bis September 1872. Tome 3. geht von September 1872 bis März 1876. Tome 4. geht von März 1876 bis Juni 1878. Der erste Band erschien 1905, der zweite 1907 bei der Société Nouvelle de librairie et d'édition, Und der dritte 1909 und vierte 1910 bei Stock, Paris.

Daß wir die einzelnen Kongreßprotokolle, soweit sie gedruckt sind, die Publikationen des Generalrats usw. alle benützten, ist wohl nicht nötig zu erwähnen.

Wer über die ökonomischen Ursachen der Differenzen in der Schweiz sich ein klares Bild machen will, für den wird es unumgänglich notwendig sein, folgende Werke zu Rate zu ziehen:

P. Seippel. Die Schweiz im 19. Jahrhundert. Abschnitt Industrie und Handel von H. Wartmann. Verlag Schmidt und Francke in Bern. 1900.

A. Pfleghart. Die schweizerische Uhrenindustrie. Leipzig. Duncker u. Humblot. 1908.

M. Fallet-Scheurer. Le Travail à domicile dans l'Horlogerie Suisse et ses industries annexes. Rapport final publié au nom du Comité d'Organisation des Expositions de Zurich et de Bâle de l'Industrie à domicile (1909) Berne, Imprimerie de l'Union. 1912.

Zum Schluß verbleibt mir noch, Herrn Hans Schatzmann in Zürich zu danken, der mir vor allein bei der Verarbeitung des Materials über die Westschweiz behilflich war und bei der Bildung des Standpunktes des ganzen Buches reichlich das Seinige beitrug, mich in meinen Auffassungen unterstützte und bestärkte.

Inhalt SeiteKarl Marx . 5 1. Kongreß der Internationale in Gent 22 2. Kongreß der Internationale in Lausanne 23 Michael Bakunin 27 1. Kongreß der Friedensliga in Genf 50 Bakunin Mitglied der Internationale 52 3. Kongreß der Internationale in Brüssel 53 2. Kongreß der Friedensliga in Bern 54 Internationale Allianz der sozialen Demokratie Ablehnung der Allianz 59 Jura und Bakunin 60 James Guillaume 63 Beginn der Uneinigkeiten in der Genfer Internationale . . 67 Bakunin und die Jurassier 70 4. Kongreß der Internationale in Basel 72 Bakunin über Marx 83 Marx über Bakunin 90 Die Spaltung in der romanischen Föderation 98 Krieg und Kommune 103 Briefe an einen Franzosen 104 Bakunin nach Lyon 108 Jurassier und Krieg 111 Fall der Pariser Kommune 113 Auflösung der Genfer "Allianz-Sektion" 115 Die Londoner Konferenz 117 Drei Kämpfertypen 123 Wirkungen der Londoner Konferenz 127 "Angebliche Spaltungen in der Internationale" 129 Stellung der verschiedenen Länder 131 Wirkung der Broschüre "Angebliche Spaltungen in der Internationale" 135 5. Kongreß der Internationale im Haag 139 Der Zusammenschluß der Föderalisten 149 Der Kongreß der Jurassier in St.-Imier 151 1. Kongreß der Antiautoritären in St.-Imier 152 Nachklänge des Haager Kongresses in St.-Imier 155 Bakunin, Ende 1872 157 Spezielle Bedeutung der Jurassier 158 2. Kongreß der Antiautoritären in Genf 162 Der Kongreß der Marxisten in Genf 168 Allianzbroschüre 175 Demission Bakunins 175 3. Kongreß der Antiautoritären in Brüssel 179 Wandlungen zwischen 1874-1876 184 Bakunins letzte Tage . 186 4. Kongreß der Antiautoritären in Bern 189 5. Kongreß der Antiautoritären in Verviers 199 Der allgemeine sozialistische Kongreß in Gent 200 Ende . 204 Anhang. Marxens Beweis über die angebliche "Gaunerei und Erpressung Bakunins" 209 Brief von Ljubawin an Marx 211 Bernsteins Urteil über Marx 216 Literatur 217

Chronologische Bibliographie der Bücher und Broschüren von Fritz Brupbacher:

Geburtshelfer Runge und die Frauenemanzipation. Eine Erwiderung. Commissionsverlag von E. Speidel. Zürich 1899, 16 S.

Die junge Schweiz. Zwanglos erscheinende Zeitschrift. No. 1-4, 254 S., Zürich 1899/1900.

Kindersegen — und kein Ende? Verlag Blumer und Sigg, Zürich 1903, 16 S. Spätere Auflagen im Birk-Verlag München.

Die Psychologie des Dekadenten. Zürich-Rüschlikon 1904, 93 S. Polis. Sozialpsychologische Rundschau. Zürich 1907/08.

Die Grundlagen des idealistischen Sozialismus. Zürich (1907) o.V., 158.

F.B. und Max Tobler. Der tolle Hund. Ein Weihnachtsbuch. mit Abb. Verlag Arbeiterunion, Zürich 1909, 113 S.

Der Zweck des Lebens. Zentralverband schweiz. Jungburschenvereine, Zürich (1911), 15 S.

Die helvetische Revolution und die Arbeiterbewegung in der Schweiz. Verbandsvorstand des schweiz. Holzarbeiterverbandes, Zürich 1912, 31 S.

Der Sonderbundskrieg und die Arbeiterschaft. Schweiz. Holzarbeiterverband, Zürich 1913, 32 S.

Marx und Bakunin. Ein Beitrag zur Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation. Birk, München (1913), 199 S.

F.B. und Franz Reichmann. Auszugsweise Geschichte der ökonomischen und psychischen Entwicklung der Holzarbeiter Zürichs (Bibliographie)1798-1880. Zürich (1915), 58 S.

Der Pariser Kommuneaufstand. Sozialistische Jugendbibliothek Heft 6. Sozialdemokratische Jugendorganisation der Schweiz, Zürich 1917, 20 S.

Um die Moral herum. Verlag Carl Hoym Nachf., Hamburg 1922, 182 S.

Der Mensch. Unionsbuchhandlung Zürich (1922), 20 S.

Wilhelm Tell ans Schweizervolk. Zürich (1922) o.V., 8 S.

Arnold Winkelried ist auferstanden. Zürich (1922) o.V., 12 S.

Vom Kleinbürger zum Bolschewik. Der Firn Verlag, Berlin (1923), 198 S.

Wann ist eine ärztliche Abtreibung rechtswidrig? Zürich 1924, o.V., 96 S.

Schaggi Blickensdorfer. (Zürich 1924) o.V., 12 S.

Wo ist der Sitz der Seele? Neuer Deutscher Verlag Berlin 1925, 46 S.

Kindersegen — Fruchtverhütung — Fruchtabtreibung. Neuer Deutscher Verlag Berlin 1925, 43 S.

Erinnerungen eines Revoluzzers. Unionsdruckerei Zürich, 1927, 71 S.

Zürich während Krieg und Landesstreik. Unionsdruckerei Zürich, 1928, 148 S.

Vorwort zur "Dritten Front" von Willi Münzenberg. Neuer Deutscher Verlag Berlin 1929.

Michael Bakunin, der Satan der Revolte. Neuer Deutscher Verlag Zürich 1929, 111 S.

Liebe, Geschlechtsbeziehungen und Geschlechtspolitik. Neuer Deutscher Verlag Berlin 1930.

Vorwort zur französischen Ausgabe von Bakunins Beichte: Michel Bakounine, Confession. Les Editions Rieder Paris 1932.

60 Jahre Ketzer. Selbstbiographie von Fritz Brupbacher. Verlag B. Ruppli Zürich-Leimbach 1935, 381 S.

Seelenhygiene für gesunde Heiden. Verlag Oprecht Zürich/New York 1943, 215 S.

Der Sinn des Lebens. Verlag Oprecht Zürich 1946, 218 S.

Zur Erinnerung an Fritz Brupbacher 1874-1945. (Winterthur) o.V. 47 S.

Socialisme et Liberté. Choix de textes trad. et prés. par Jean Paul Samson. Avec une préface de Pierre Monatte et une étude de François Bondy. Edition de la Baconnière Neuchâtel 1955, 374 S. 60 Jahre Ketzer. "Ich log so wenig als möglich". Textlich unveränderter Neudruck. Anm. und Nachwort von Karl Lang. Verlagsgenossenschaft Zürich 1973, 375 S.

Nicht in dieser Bibliographie enthalten sind Brupbachers zahlreiche Artikel in Zeitungen und Zeitschriften.

IndexDragomanf Michael 210 Dumartheray 164 Duncher, I Duval 171 Eberhard 147 Eccarius, Joh. Josef 82, 137, 182 Eisner, Kurt V Engels, Friedrich 13, 38, 93, 109, 121, 136f., 144f., 156f., 169, 172f., 175f., 199, 217 Fallet-Scheurer 219 Fanelli, Giuseppe 47f., 57 Farga 129, 183 Farga-Pellicer 147 Felleisen 169 Feuerbach, Ludwig 10, 15f., 20, 31, 38, 65 Fichte, Joh. Gottlieb 5, 10f., 29 Fluse 147 Fourier, F.M.Ch. 19, 65 Fränkel 200 Franz 190, 193 Friebourg 24, 49 Friscia, Saverio 47, 57, 218 Gambuzzi, Carlo 47 Garibaldi, Giuseppe 45, 47, 50 Garrido 45 Gauterbach 11 Gerhard 147 Giller 46 Gladstone 137, 155 Goegg 76 Goethe, J.W. y. 6, 18, 44, 64 Gratian 11 Greulich 78, 190, 193, 200f. Grollmann 10 Guesde, Jules 132, 157, 198 Guesde, Malon 199 Guillaume, James 111f., VII-IX, 50, 61-66, 70-72, 94-98, 100f., 114f., 118, 121, 123, 126f., 129f., 137f., 140, 142, 144, 146-152, 156, 158, 160-163, 168, 178, 189, 192-195, 197, 199, 202f., 206-209, 215, 218f. Gutsmann 190 Hales, John 137, 163f., 168, 200 Handwerker 38 Heddinghem, van 157 Hegel, G.W.F. 5, 10-13, 16, 29-31 Hepner, Benoit 139, 143 Herwegh, Georg 32, 38, 41 Herzen, Alexander 45f., 48f., 90f., 97 Hins 76-78 Holyoake 45 Homer 64 Isabella, Königin von Spanien 132f., 184 Jaeckh, Gustav 80, 118, 168, 219 Jeanneret, Gustave 115 Joukowsky, Nicolas 48, 57 Jung, Hermann 96 Kant, Immanuel 5, 10f. Katharina II., Zarin 27 Klein 9 Köchly 64 Köppen 14 Koigen, David 217 Korsch, Karl VIII Kramer 10 Kropotkin, Peter III, V, 160, 198, 206 Kugelmann, Ludwig 90, 139f., 217 Kwiatkowska, Antonie (Bakunins Frau) 45 Lafargue, Paul 120, 128, 133, 136f., 175f., 199 Lapinski 46 Lassalle, Ferdinand 93, 217 Lawrof, P.L. 157, 216 Lessing, G.E. 9 Lenin, W.I. IX Liebknecht, Wilhelm 76, 79f., 96, 100, 189, 199f., 217 Linton 45 Ljubawin 209. 212, 214f. Lopatin 214 Lucain 145 Luden 9 Malatesta, Errico 193 Malon, Benoit 57, 82 Manguette 164 Marat, J.P. 64, 93 Marselan 147 Martinoff V Marx, Jenny 9, 11 Marx, Karl III, Vf., X-XII, 5-17, 20-22, 27, 31f., 37-39, 41f., 47, 49f., 55, 57-60, 65f., 70f., 73-76, 79-85, 87.94, 96. 99, 103, 109.111, 114f., 118. 128, 130. 132, 136-142, 144f., 148. 150, 154-157, 160, 162, 168, 170, 172, 174-178, 184f., 199. 201, 209-211, 213, 215-217 Mazzini, Giuseppe 45, 48, 129, 215, 218 Mehring, Franz V-VII, 5, 7-9, 14, 93, 217f. Metschnikoff, L. 47 Meuron, Constant 61, 65, 71 Mierowslawski 46 Milowic 46 Molière 64 Monatte, Pierre IX Montels 204 Morago 143, 147 Mora, F. 175 Mottershead 137 Mroczkowski, Walerian 47, 49, 57 Mühlenbruch 10 Münzenberg, Willi I, XII Murawieff-Amursky, N. 44f. Naquet 57 Negrescul 212 Netschajef, Sergej G. 90, 122, 157f., 209-212, 214-216 Nettlau, Max V, X, 45, 50, 134, 175, 218 Nietzsche Friedrich II, 13 Nikolaus I., Zar 28f. Obolensky, Fürstin Z.S. 47 Ogareff, Nikolai P. 45f., 90 Ostyn 163 Ovid 9 Paepe, Caesar de 24, 53, 82, 180f., 186, 194, 197, 202-204 Paillard 83 Padlewski 46 Palladino, Carmelo 47 Perrare 164 Perret, Henri 96, 100, 171f. Perron, Charles 57, 71, 82f., 94, 115, 212 Pestalozzi, Joh, Heinrich 126 Petrowna, Lydia II Pfleghart 219 Poljakof 209, 215 Potebnja, Andrej 46 Prometheus 44 Proudhon, P.J. 14, 19, 47, 65, 88 Rabelais, François 64 Radek, Karl V Ramus, Pierre XII Reclus, Ehe 57 Reclus Elisée 57, 186 Reichel 187 Reimarus 11 Rey, Aristide 57 Riasanoff V Ricard 130 Rittinghausen 76 Roach 137 Robespierre, Max. 64 Robin, Paul 82f., 116, 120 Rodin, Auguste 7 Romme 64 Rosner, Alfred IX Rousseau, J.J. 34f., 37 Rühle I Ruge, Arnold 14, 31f., 40 Rutenberg 11 Saffi 45 Sagasta 133 Sand, George 41f. Sauva 147 Savigny, F.K. y. 10 Schelling, F.W. y. 10 Schweitzer 79, 96f., 143 Schwitzguébel, Adhemar 71, 115, 137, 146-148, 152, 184 Seippel, p. 219 Sentinon 129 Sexton 137 Serrailler 170-172 Shakespeare, William 43 Slebach 240 Solger, Reinhold 9 Sorge, F.A. XII, 140, 143, 146, 148, 169f., 172f., 217, 219 Spinoza, Benediktus 64 Splingard, Roch 145, 147 Stalin, Josef IX Stekloff V St. Simon, C.H. 95 Swarm (Dentrayguez) 157 Tacitus 9 Talandier, P.TILA. 45, 57 Toulain 24, 49 Trochu 112 Trotzki, Leo IX Trussof 98 Tucci, Alberto 47 Urin, Nikolai Isaakowitsch 48, 81-83, 89f., 99f., 112f., 115f., 122, 124, 144f., 171, 175, 209, 211, 216 Vahlteich 190, 193 Vaillant, Auguste 143f. Varlin, Eugène 82 Verulam, Baco van 11 Verrycken 182 Vichard 145 Vinas 164, 193 Vischer 64 Vogt, Adolf 187 Vogt, Gustav 55 Voltaire F.M.A. 34f., 64 Waehry 83 Walter (Heddinghem, van) 145, 157 Wartmann, H. 219 Weitling, Wilhelm 14, 19, 32f. Wening-Ingenheim 10 Winckelmann 9