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Ueber das Verhältniss der Anatomie zu der medicinischen Wissenschafl und über die Leistungen der Anatomen Baseler Hofschule; . Rectoratsrede

gehalten
den 26. September
A. G. Jung
Dr. der Med. und Prof. der Anatomie.
Basel,
gedruckt in der Schweighauserschen Buchdruckerei.

Wohlweiser Herr Bürgermeister, Hochgeachtete Herren Erziehungsräthe, Hochgeehrte, Hochgelehrte Herren.

Wenn in Freistaaten wissenschaftliche Anstalten errichtet werden, so ist wohl darauf zu achten, dass diesen, so oft als nur immer möglich, Gelegenheit verschafft werde, öffentlich Beweise ihres Wirkens und Strebens abzulegen. Wo diese Grundbedingung für das Bestehen von wissenschaftlichen Anstalten mangelt, da zerfallen diese entweder, nach kurzer Dauer, vergebens durch wenige gehalten, wieder in Nichts, oder sie verlieren doch das Meiste von ihrer ursprünglichen Bedeutung. — Weder Leben noch Lebenskräfte dürfen solche Anstalten Einzelnen allein zu danken haben; sie können nur durch den Gesammtwillen eines Bürgerthums geschaffen werden, und finden in der öffentlichen Meinung allein nur die unerschütterliche Grundlage für ihr Fortbestehen. — Wohl haben daher diejenigen, die wissenschaftlichen Anstalten vorstehen, nicht allein sich zu bemühen, dass auf

das pünktliches den Forderungen gewisser Gesetze, die zu Gunsten dieses eben ausgesprochenen Grundsatzes aufgestellt sind, entsprochen werde; sondern es ist ihnen auch eine Pflicht, keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen, wo sie versuchen können, eine Bürgerschaft noch genauer mit dem Wesen ihrer Anomalien bekannt zu machen. Aus diesem zuletzt genannten Grunde ward es mir zur Gewissenssache, dem Zutrauen meiner Collegen, die mir die ehrenvolle Stellung angewiesen hatten, in diesem Jahre einer in den Jahrbüchern der Geschichte bereits schon so berühmten Universität vorzugehen, gewissermaassen dadurch zu entsprechen, dass ich mich der bisherigen Uebung unterwerfe und es wage öffentlich vor Ihnen hiermit aufzutreten.

So lebhaft auch in mir die Ueberzeugung von der mir obliegenden Pflicht war, so kann ich es indessen gegenwärtig nur schüchtern unternehmen, Sie um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten. Nichts allgemein, nichts unmittelbar ansprechendes, nichts allgemein erhebendes, bin ich im Stande Ihnen zu geben; ich bleibe in den Gränzen meines Wirkungskreises. — Nur der Gedanke, dass jeder Punkt auf dem glänzenden Felde der Wissenschaften für den Gebildeten zuletzt nicht ohne Interesse sein kann, weil seinem Auge überall der nach Wahrheit forschende Menschengeist in den mannichfaltigsten Erscheinungen entgegentritt, nur dieser

Gedanke überwand meine Furcht vor dem Vorwurfe zu grosser Einseitigkeit.

Ich werde es nun versuchen, die Wichtigkeit des anatomischen Studiums zu schildern, vorzüglich aber Sie im allgemeinen mit den Leistungen der hiesigen Anatomen seit Errichtung der Universität bekannt zu machen.

Je mehr sich das Gebiet der Naturwissenschaft im allgemeinen erweiterte, je mehr sich die einzelnen Thatsachen häuften, je mehr Erfahrungen gesammelt werden konnten, um so schwieriger wurde die Aufgabe für den Beobachter, um so schneller das geträumte Ziel aller Arbeit verwischt, um so gewaltiger einzelne Systeme wieder niedergestürzt. Lange und harte Prüfungen musste hier der Geist des Menschen erfahren, ehe er die für Manche sehr niederschlagende Erfahrung gewinnen konnte, dass auf dem unermesslichen Felde voll Leben und Bewegung, das sich vor ihm ausbreite, nichts so fest geordnetes, nichts so übereinstimmend geformtes vorkomme, dass er es gerade systematisch umfassen könne. Jahrhunderte kamen und giengen vorüber, ehe man endlich zu der Einsicht gelangte, dass alle systematisirenden Versuche, zuletzt doch nur einen sehr geringen objectiven Werth in sich trügen, und eigentlich ihre grösste Bedeutung allein in der Erleichterung unserer subjectiven Vorstellungen von den Naturerscheinungen fänden.

Nur bei einer einzelnen Abtheilung der grossen Reihe von Erscheinungen, mit denen sich die Naturwissenschaften beschäftigen, war es dem menschlichen Verstande gelungen, feste Punkte zu gewinnen. Es sind dies die sogenannten todten Körper, deren Kräfte und die von ihnen abhängenden Veränderungen sich nach mathematischen Gesetzen bestimmen und abwägen lassen. Von diesen an durch die ganze fast zahllose Kette organischer Wesen bis zur Schlussstelle animalischer Bildungen, zum Menschenorganismus, suchen wir vergebens nach durchgreifenden Principien und festen Haltpunkten. Hier offenbart sich ein Leben in den mannichfaltigsten Aenderungen, und nichts Stätiges, als ein ununterbrochener, unerfasslicher Wechsel. — In dieser Reihe zeigt sich dem Naturforscher als die bei weitem schwierigste Aufgabe seiner Forschung das wunderbare Gebäude des menschlichen Körpers. In allen seinen Theilen die Organismen, die unter ihm stehen, an Feinheit in der Bildung der Einzeltheile übertretend, sich durch höhere Zweckmässigkeit in ihren Verbindungen auszeichnend, wiederholt er vielfältig in seinen verschiedenen Zuständen Formbildungen niederer Organismen und wird, auf diese Weise, nicht allein das Ideal der organischen Formen, sondern zeigt sie, wenigstens in vielen Stücken, wieder in sich vereinigt und veredelt. Während schon diese verfeinerte, diese höhere Bildung dem menschlichen Körper eine so

aufgezeichnete Stellung in der Körperwelt anweist, offenbart sich uns nun noch auf der anderen Seite jener Hauch der Gottheit, die vernünftige Seele nehmlich, wodurch der menschliche Organismus nun vollends zu dem ehrwürdigsten und heiligsten, aber auch zugleich zu dem räthselhaftesten Gegenstande für die Naturforschung erscheint.

Die wissenschaftliche Erforschung der Natur des Menschen ist die erste, die wichtigste Aufgabe der Arzneiwissenschaft. -Wenn gleich diese Wissenschaft in ihrer Anwendung eine sehr schöne und erhabene Bedeutung gewinnt, so entfernt sie sich doch in dem Grade von jedweder wissenschaftlichen Würde, je weniger sie es sich angelegen sein lässt, mit allein Ernste sich der Lösung der eben genannten Aufgabe zu nähern. Erhält sie vorzüglich eine praktische Richtung, indem sie blos damit sich beschäftigt, die Mittel zu prüfen und abzuwägen, von denen man erfahren hat, dass sie etwas zur Erhaltung des Lebens, zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit beizutragen vermögen, so stösst sie sich selbst aus der Reihe der Wissenschaften, indem sie das, was sie erheben sollte, zum Hülfsmittel erniedrigt. So aber kann sie unmöglich die Natur des Menschen nach allen Seiten hin umfassen; sie nähert sich dem erkrankten Körper mit einem dunklen und verworrenen Bilde von seinen regelmässigen Zuständen. Dass aber die Arzneiwissenschaft von jeher diesen leider falschen

Gang der Entwicklung genommen habe, beweisen schon die Namen, die diese Wissenschaft bezeichnen, am meisten aber ihre Geschichte.

Unsere Wissenschaft sucht den Menschen in allen seinen gesunden sowohl, als krankhaften Verrichtungen kennen zu lernen, d. h. sie sucht nicht sowohl eine wohlgeordnete und zusammenhängende Lehre von diesen Erscheinungen und Veränderungen sich zu bilden, sondern sie bemüht sich auch, entweder die Ursache derselben zu enträthseln, oder sich doch zum wenigsten einen solchen Grundgedanken zu bilden, der in keinerlei Beziehung den Lebensäusserungen widerspricht. Sie wägt und untersucht mit ihren Hülfsmitteln die Materie, und forscht nach der Natur der sie bewegenden und beherrschenden Kräfte , und versucht es, die entdeckten in systematischer Ordnung zu vereinigen.

Die Arzneikunst hingegen, hervorgegangen aus der einem jeden Menschen inwohnenden Neigung dem Leidenden zu helfen, oder ihn zu erleichtern, sammelt, auf die wissenschaftliche Vorbildung gestützt, ihre Heil- und Linderungsmittel, und abstrahirt aus der Beobachtung der Wirkung derselben sich ihre Kunstregeln. Freilich hat die Arzneikunst ohne die wissenschaftliche Grundlage kaum irgend einen festen Punkt, von dem aus sich für sie ein Lehrgebäude aufführen liesse; aber da sie leicht eine Art Selbstständigkeit gewinnt, wenn

sie nur einigermaassen, und gleichsam im Auszuge, die Lehrsätze der Wissenschaft vom Menschen benutzt, so wird sie, die Geschichte der Krankheiten voranstellend, die übrigen Lehren als Hülfslehren betrachtend, sich leicht die Hauptzüge ihres therapeutischen Geschäfts entwerfen, und sich somit als Hauptlehre bei allen leicht zu befriedigenden Köpfen geltend machen.

Auf diese Weite wird leider die Arzneiwissenschaft noch von den meisten Studierenden gelernt und auf den meisten Hochschulen gelehrt. Alle Lehrfächer, in die das Ganze unserer Wissenschaft zerfällt, gelten da nur nach dem Grade ihrer praktischen Anwendbarkeit, je nachdem sie praktischen Nutzen gewähren. — Aerzte die auf diese Art sich gebildet haben, sind meist dazu bestimmt, ihr Leben hindurch zwischen den streitenden Systemen und Ansichten der Andern hin und her zu schwanken. Da sie keinen eigenen Grund und Boden haben, werden sie Lehenleute, denen es zuletzt nirgends recht gefällt; da ihnen die wissenschaftliche Gesinnung fehlt, verlieren sie zuletzt auch das, was dem Praktiker so nöthig ist, Festigkeit und Stärke des Karakters. Das letzte Mittel, nach dem solche Schwankende endlich haschen, ist der Scepticismus, indem sie dann das jämmerliche Bild eigener Schwäche, Trägheit oder Beschränktheit vor den Augen der Welt mit einem goldenen Rahmen umgeben. —

Wer ein guter Arzt werden will, von dem sollte, so lange als nur immer möglich, während seiner Vorbereitungsstudien, der Gedanke an die künftig ihn erwartende praktische Bestimmung entfernt gehalten werden. Wer den Muth nicht hat, sich mit der ihn erwartenden wissenschaftlichen Aufgabe nach allen seinen Kräften zu messen, dem wird auch später der Muth am Krankenbette fehlen. Wer die Geisteskraft besitzt, unermüdlich die wissenschaftliche Lehre von dem Organismus des Menschen zu studieren und sie sich eigen zu machen, der wird, wenn sich ihm später eine praktische Laufbahn eröffnet, mit Leichtigkeit handlen können, da gerade zu diesem Handlen im Grunde doch nur niederere geistige Fähigkeiten nöthig sind. Die glücklicheren Aerzte waren von jeher die, welche ihren Geist an höheren Gegenständen der Forschung gestählt, ihre Urtheilskraft an den feineren Verhältnissen eines wissenschaftlichen Systems geschärft hatten. — Aus diesem Grunde haben auch gerade die sogenannten rein theoretischen Anstalten eine so hohe und wichtige Bedeutung, indem sie jedem Studierenden die wissenschaftliche Reinheit bewahren und ein Schutzmittel gegen jede zu frühzeitige und unreife Anwendung der theoretischen Lehren gerade in ihrer Abgeschlossenheit enthalten. —

Unsere Wissenschaft zerfällt nun in die Anatomie, die Physiologie, Psychologie und Pathologie. Die Pathologie, im weitesten Sinne des

Wortes genommen, betrachtet alle Abweichungen von der Norm, sie mögen nun sogenannte äusserliche oder innere körperliche Uebel, oder auch Umstimmungen der geistigen Thätigkeiten des Menschen sein. Die drei ersteren hingegen, die Anatomie, Physiologie und Psychologie, haben sich allein mit den regelmässigen, den normalen Zuständen und Verhältnissen des menschlichen Organismus zu beschäftigen, nur auf verschiedenen Wegen. Die Physiologie als die Lehre von allen denjenigen Verrichtungen des menschlichen Körpers, die seine Erhaltung und Fortpflanzung bezwecken, liefert, auf die Erfahrung sich stützend, nicht allein eine genaue Geschichte der Thätigkeiten der einzelnen Organe, sondern sie versucht es auch, indem sie den Lebensfaden verfolgt, der die einzelnen Theile so mit einander vereint, dass sie sich in ihren Verrichtungen bald gegenseitig unterstüzen, bald gegenseitig aufheben, uns eine Totalansicht von der Summe aller Thätigkeiten oder dem körperlichen Leben zu verschaffen. — Ueberflüssig ist es hier zu bemerken, wie die Psychologie sich mit der Untersuchung der geistigen Kräfte des Menschen befasst, aber wohl dürfen wir nicht unberührt lassen, dass das Resultat, welches wir ihr zu verdanken haben, der Lichtpunkt ist, in dem wir viele physiologische Lehrsätze in der ächten Klarheit erst erfassen können, und dass ohne sie eine Vorstellung von dem, dem menschlichen Organismus eigenthümlichen

Leben, eben so wenig möglich ist, als eine Trennungslinie zwischen unserem geistigen und körperlichen Leben aufzufinden — Ausserdem erhebt diese Wissenschaft unser Streben in edlere Kreise, verleiht ihm einen höheren Adel und leitet uns, im Suchen ermüdend, über die beengenden Schranken unzähliger Räthsel hinweg, zu jenem Lichtpunkte, wo die reinen Geister gläubig vor der unendlichen Gottheit anbethend niedersinken.

Den menschlichen Körper in seinen materiellen Verhältnissen kennen zu lernen, ist Sache der Anatomie. Sie ist der feste und sichere Grund der Physiologie. Kräfte können nur in ihren Aeusserungen erkannt werden; und diese nehmen wir allein wahr durch gleichzeitige materielle Veränderungen. Daraus ergiebt sich die Wichtigkeit des anatomischen Studiums für unseren Zweck. Die Anatomie ist die Lehre von der Bildung des menschlichen Körpers. Sie betrachtet diese nach ihren verschiedenen Seiten, nach ihrer äusseren und inneren Gestalt, nach der Grösse, der Farbe, nach ihren Ortsverhältnissen und ihrer Mischung. Indem sie die näheren und entfernteren Formbestandtheile des Körpers, als allgemeine Anatomie, beschreibt, schildert sie in ihrem besondern Theile die einzelnen Systeme, so wie sie sich durch ihre Verrichtungen als grosse, eine und dieselbe vitale Eigenschaft theilende Massen zu erkennen geben.

Sie verfolgt die wunderbaren Veränderungen des in einer zitternden Gallerie eingesenkten Menschenkeims durch alle Stufen seiner Entwickelung, betrachtet den menschlichen Körper in dem Zustande seines vollendeten Wachsthums und zieht endlich noch alle jene Erscheinungen mit in den grossen Kreis ihrer Beobachtung, die eine Folge des abnehmenden Lebens im Greisenalter, wie auch die Folgen von krankhaften Veränderungen sind. —

Kaum irgend ein Lehrtheil des gesammten medicinischen Wissens hat eine so allgemeine, für alle übrigen Zweige so gleiche Wichtigkeit, als die Anatomie. Sie allein liefert der Physiologie das sichere Fundament auf dem sie das Lehrgebäude ihrer Theorien aufrichten kann; sie allein verschafft uns Licht und Klarheit über so viele krankhafte Erscheinungen; sie allein ist die grosse Zurechtweiserin bei so vielen Zweifeln in der praktischen Wirksamkeit. —

Die Wichtigkeit der Anatomie gründet sich aber nicht allein auf diese so ausgezeichneten Verhältnisse zu den anderen Lehrfächern. Mag sie gleich für manche nur in ihrer Anwendung als ein treffliches Mittel gelten, sich gewissen Wahrheiten immer mehr und mehr zu nähern; sie hat in sich selbst einen unendlichen Werth, indem sie uns mit der Form menschlicher Bildung bekannt macht,

und, während sie unseren Organismus der grossen Reihe von Thierbildungen gegenüberstellt, die Züge eines grossen durchgehenden Bildungsgesetzes enthüllt. — Der Anatomie haben wir die grossartige Ansicht von einer in der ganzen organischen Weltbildung sich wiederhohlenden Urform zu verdanken.

Wer die Anatomie so studirt, um sich durch sie allein nur für seinen praktischen Wirkungskreis zu vervollkommen, der begiebt sich, schon bei dem Eingange in den Tempel der Wissenschaften, jedweder priesterlichen Zierde und Würde und bezeichnet sich als Kunstschüler, der seine Kunst jede erlernen, später sie versuchen und kunstfertig sich in ihr zeigen will. Es liegt da noch eine so übergrosse Menge von Gegenständen für die Untersuchung, es sind noch so viele Punkte schärfer zu betrachten, besser zu ordnen, dass man wahrlich nicht, wie gar viere wollen, eine besondere Anatomie für den Arzt und Physiologen abtheilen kann. Es müssen noch Alle Alles gesehen haben, wenn Etwas tüchtiges geleistet werden soll. Wer das ganze Gebiet der Anatomie mit rüstigem Geiste umfasst, nicht abwägt, wie weit sie ihn trägt und fördert, der wird, allen anderen Nutzen abgerechnet, durch dieses Studium sich am festesten aus der wissenschaftlichen Bahn erhalten, sich am gewissesten vor jeder nachtheiligen Einwirkung unreifer Theorieen schützen.

Wenn wir einen Blick auf die Geschichte des medicinischen Wissens werfen, so zeigt sich uns ein wunderbares Bild von der Grösse des menschlichen Geistes und zugleich von seinen Irrthümern. Grosse Wahrheiten, grosse geistreiche Gedanken, lächerliche Phantastereien, grobe Erdichtungen — Alles auf eine Erstaunen erregende Weise zusammengedrängt. Da wird es klar, wie die Kraft des menschlichen Geistes bricht, wenn er es wagen will, die Erscheinungen des grossen Weltlebens in irgend ein systematisches Gebäude zu bannen; da sieht man die hunderte von Arbeitern, von dem Genius der Wissenschaft, welcher immer der der Wahrheit ist, verlassen, wie sie an dem Schleier, der das Geheimniss deckt, vergebens zerren und ziehen, und, anstatt ihn zu entfalten und zu heben, ihm nur neue Fallen eindrücken.

Unter allen Theilen unseres Wissens hat wohl unstreitig die Anatomie den regelmässigsten und ungestörtesten Gang der Entwicklung genommen. —Sie trug in sich selbst das Schutzmittel gegen jeden sie störenden Einfluss, indem sie nur dadurch ihr Gebiet erinnern konnte, dass sie sich strenge an die Grundgesetze hielt, auf welche sich jede historische Wissenschaft stützen muss, Ihre Mittel und ihre Zwecke stehen in einer zu nahen Beziehung zu diesen Grundgesetzen, als dass hier

grosse, die Summe der gemachten Erfahrungen trübende Irrthümer hätten können irgend eine Gewalt erlangen. Hier musste durchaus das Besondere vorerst aufgefunden, bearbeitet und einzeln aufgestellt werden, um es zuletzt dem, aus dem Einzelnen gewonnenen, Gesetze der Allgemeinheit unterordnen zu können. Wenn der Entwicklungsgang der Anatomie nicht mit der gleichen Schnelligkeit vorrückte, wie wir es bei anderen Lehrtheilen des medicinischen Wissens bemerken können, so haben wir dies der Einwirkung einer Reihe von den fremdartigsten und in der Geschichte der Wissenschaften fast beispiellosen Ursachen zuzuschreiben.

Ohne uns mit der Beantwortung der schwierigen Frage; ob Hippokrates und die durch ihn gegründeten oder schon vor ihm bestandenen Schulen, eine aus der Untersuchung menschlicher Leichen geschöpfte Kenntniss von der anatomischen Beschaffenheit unseres Körpers gehabt haben, bemerken wir, dass es uns allein nur vergönnt ist, mit Bestimmtheit von den Leistungen jener Männer zu reden, welche der Alexandrinischen Schule angehörten. Ich meine hier die Werke eines Eudemus, Herophilus, eines Erasistratus u. a. die zwar nicht bis zu uns gekommen sind, die aber von Galenus benutzt und wenigstens im Aufzuge uns durch ihn erhalten worden sind. Erst

in der Mitte des zweiten Jahrhunderts, unserer Zeitrechnung, finden wir mehrere anatomische Werke die eben den Galenus zum Verfasser haben. Galenus, zu deutsch der Ruhige, war zu Pergamus in Kleinasien, im Jahre 13l geboren. Was die Natur an Schärfe und Feinheit des Verstandes geben kann, das war diesem Manne verliehen; was nur immer durch eisernen Fleiss verbunden mit glücklicher Beobachtungsgabe, sich ein Mensch erwerben kann, das hatte er sich erworben. Das meiste, was er uns gegeben, trägt das Gepräge eines scharfsinnigen und talentvollen Geistes. Leider aber verliert dieser aufgezeichnete Mann sehr viel, wenn wir bemerken müssen, dass ihn der reine Forschungsgeist keineswegs beherrscht, und dass ihm die Wahrheitsliebe und Offenheit, die Eigenschaften eines jeden grossen und edlen Karakters, gemangelt haben. Unser Urtheil muss um so strenger werden, wenn wir die Bedeutung erwägen, die er zum Theil sich durch seine Talente erworben, zum Theil auch durch die nach ihm für die Wissenschaft ungünstigen Verhältnisse erlangt hatte. Die meisten von ihm mitgetheilten eigenen Beobachtungen sind insofern aus unreiner Ouelle geschöpft, als er die Anatomie von Thieren, besonders die von Affen, für die menschliche ausgiebt.

Jahrhunderte lang, durch die ganze Periode des allgemeinen Stillstehens und Welkens der

Wissenschaften, galten die Werke des Galens immer mehr und mehr für die Aerzte, je weiter sie von der Naturbeobachtung selbst abgeleitet wurden, bis sie endlich eine Bestimmung darin fanden, ihren Witz und Scharfsinn in der Verherrlichung der Lehrsätze des Pergameners zu zeigen. Des Galenus Anatomie wurde allmählig eben so die Ouelle, aus welcher die Anatomen ihr Wissen schöpften; sie gieng aus den Händen der einen Generation in die der anderen, um so höher geschätzt, je weniger man selbst, auch nur an Thierleichen, Versuche anstellte.

Einer freien Ausbildung der Anatomie haben vorzüglich die religiösen Vorurtheile jener Zeit geschadet. Die missverstandene Lehre von der Auferstehung, der, sich nach Galenus Zeiten allmählig mehr ausbreitenden christlichen Kirche und der später mit den Waffen sich Anhänger schaffende Koran haben der Entwicklung der Anatomie ausserordentlich geschadet. Die christliche Kirche, hiess es, will nicht, dass Blut vergossen, will nicht, dass irgend eine Leiche berührt werde.

Die Brandfackeln, welche 640 Jahre nach Christus die wüthenden Anhänger des Korans in die Büchersäle von Alexandrien schleuderten, raubten uns die Schätze vergangener Jahrhunderte, und neue, wenigstens in der Anatomie des Menschen, zu erlangen, machte die muhamedanische Lehre

ihren Anhängern unmöglich, da sie ein Gesetz aufstellte, welches die Berührung der Leichen auf das strengste verbietet.

Zu diesen Hindernissen kam noch die Trägheit und Scheu des damaligen Geschlechtes vor anatomischen Untersuchungen; Mönche und Juden betrieben fast ausschliesslich das medicinische Studium und von beiden war gleich wenig zu erwarten.

Der Zustand der Anatomie blieb auf diese Weise unveränderlich bis fast in die Hälfte des 16ten Jahrhunderts. Vergebens hatte Kaiser Friedrich II wieder die Erlaubnis ertheilt, menschliche Leichen untersuchen zu dürfen; vergebens hatte Mundinus, der Mailänder, im Jahr 1315 zuerst wieder menschliche Leichen öffentlich zergliedert. Galenus blieb der herrschende.

Auf den ausgezeichnetsten Anstalten Deutschlands und Frankreichs bestand der anatomische Unterricht nur darin, dass man seine Werke ablas, und allenfalls nur eine unbedeutende Bemerkung dem Abgelesenen beizufügen wagte. Man trieb die gleichsam religiöse Verehrung für diesen Schriftsteller so weit, dass man eher glaubte, falsch gesehen zu haben, wenn man an einer menschlichen Leiche andere Verhältnisse gefunden hatte, als wie sie im Galenus beschrieben waren. —

Wer einen solchen Zustand unseres Wissens ändern und bessern wollte, der musste demnach nicht allein die Thorheiten und Irrthümer so vieler Jahrhunderte, und die durch die lange Dauer geheiligte Gewohnheit bestreiten, sondern den erwartete der härteste Kampf gegen seine Zeitgenossen, deren Eitelkeit es nicht zugeben konnte, dass ein Einzelner das abzutasten wagte, was das Eigenthum so vieler geistvoller Menschen war.

Diesen Kampf bestand aber endlich, zur Ehre deutscher Nation, Andreas Vesal. Mit kräftigem Geiste zertrümmerte er das alte Lehrgebäude, und führte ein neues auf, jeden Irrthum strenge tilgend, die Gewissheit dem breiten Gerede der Vermuthungen entgegenhaltend, und gab so mit der Schärfe der auf die Wahrheit und Aechtheit seiner Beobachtungen gestützten Kritik galenischer Schulweisheit den letzten Stoss. Kühn in der Rede, scharf im Tadel, frei in dem Urtheil, unermüdet in der Untersuchung, nur das glaubend, was er selbst gesehen hatte, brach ee sich als ein Jüngling Bahn und entdeckte, wie Senac sagt, noch nicht 28 Jahre alt, uns eine neue Welt.

Gleich nachdem im Jahre 1543 Vesal sein unsterbliches anatomisches Werk zuerst in Basel hatte durch den Druck bekannt machen lassen, erklärten sich fast alle in jener Zeit lebenden Anatomen als seine Gegner. Die einen indem sie, als die heftigsten

und leidenschaftlichsten, ihn unmittelbar angriffen, die andern indem sie sich ihm als die Vertheidiger eines, in ihren Augen unfehlbaren, Schriftstellers entgegenstellten. Bei beiden verlor sich bald durch die aus dem Gefühle der eigenen Schwäche entspringende Leidenschaftlichkeit jedes würdevolle Benehmen. Durch Schmähschriften und grobe Ausfälle, durch Verläumdungen sollte Galenus gegen Vesal geschützt werden. Sylvius, einst der Lehrer Vesals, jetzt aber sein heftigster Gegner, nannte ihn: ein Ungeheuer von Unwissenheit, anmassend, einen boshaften Verläumder, einen Gottlosen. Die Mönche verklagten Vesal in Rom bei dem Papste, bei der Inquisition. — Wahrlich jedem, der die Geschichte der damaligen Zeiten nicht ganz genau kennt, der sich nicht erinnert, wie weit die Menschen durch beleidigte Eitelkeit, durch Störung in ihrer Bequemlichkeit und Blossstellung von Fehlern und Irrthümern gereizt werden können, muss es unbegreiflich sein, wie eine Neuerung in einem so wenig unmittelbar in das geistige Leben des Menschen einwirkenden Lehrfache die heftigsten Bewegungen unter den Gelehrten habe hervorbringen können — Manche suchen die Ursache der Heftigkeit des Streites, theilweise wenigstens, in dem oft zu harten und rücksichtslosen Urtheile Vesals über den Galenus und man kann ihnen nicht ganz unrecht geben, da man doch wohl unmöglich

den traurigen Zustand der damaligen Anatomie diesem Manne allein zurechnen konnte.

Den Grund jener heftigen Streitigkeiten ausschliesslich wieder in der Vesalischen Kritik suchen zu wollen, wie andere gethan haben, wäre eben so ungerecht. — Die Vorurtheile waren zu tief eingewurzelt, als dass durch linde Mittel hätte können geholfen werden. Hier war keine Rede mehr von ausgleichen, versöhnen; es musste mit kräftiger Hand das Uebel mit seiner Wurzel ausgerissen werden. — Genug! durch Vesals umfassende Arbeiten, durch die trefflichen Beiträge mit denen einige seiner Zeitgenossen die Anatomie bereicherten und vervollkommneten, wurde für diese endlich das Feld geebnet auf dem sie, ohne fernere Störungen zu erleiden, sich um so schneller entwickeln konnte, je mehr man sich nach dem heftigsten Streite der Wahrheit genähert sah. Vesal hatte sich nicht allein glänzend als Schriftsteller gezeigt, sondern was noch mehr galt, er war mit Recht allgemein als ein ausgezeichneter öffentlicher Lehrer verehrt. Seine Vorträge über die Anatomie des Menschen, wurden von hunderten von Zöglingen aus allen Gegenden Europa's besucht. Nicht allein in Padua, wo er als Professor der Anatomie angestellt war, lehrte Vesal, sondern er gieng in freien Zeiten nach Pisa, nach Bologna, nach Basel. Ueberall lehrend, überall durch die Kraft seiner Rede, durch

die Geschicklichkeit in der Darstellung von anatomischen Präparaten die Aerzte von den alten Irrthümern zurückführend. In Italien erheben sich nun schnell hinter einander die trefflichsten Schulen und wie durch ein Wunder hervorgerufen, tritt ein ausgezeichneter Mann nach dem andern auf. —

An die glückliche Zeit in welcher Vesal unserer Wissenschafl ein neues Leben gegeben hatte, reiht sich die Geschichte der Leistungen der hiesigen Anatomen. — Grosses erwarten Sie in dieser Geschichte nicht! Was blieb denn auch den besten Köpfen in jenen Zeiten anderes übrig, als die bessere Ansicht zu erfassen, der neuen Lehre zu huldigen und mit Kraft und Besonnenheit den neugebahnten Weg zu betreten? Die Natur ist geizig mit den grossen Männern, die gleich Sonnen, uns die Nächte der Wissenschaften erhellen. Es bleiben zwischen ihrem jedesmaligen Erscheinen und Hinweggehen dunkle und düstere Stellen genug übrig, ja, wir hätten nach dem glänzenden Tage eine um so trübere .Nacht, leuchteten dann keine Monde und Sterne. Wessen Auge nicht erblindet, wenn es in den Lichtstrahl blickt, der die Jahrhunderte lange Nacht auf einmal durchleuchtet, wer die gesunde Kraft besitzt, das Vorurtheil in sich zu bekämpfen und die Richtigkeit einer neuen Lehre zu verstehen, sie in sich selbst zu verarbeiten

und nach Aussen hin zu verbreiten, der steht schon sehr hoch in der Geschichte.

So haben wir die Leistungen der hiesigen Anatomen zu betrachten. Genug zu ihren Ehren, dass sie die neue Richtung der medicinischen Wissenschaft begriffen und dann ohne Zeitverlust mit Eifer und Geist Arbeiten unternahmen, die heutigen Tages noch zu den ausgezeichneteren gerechnet werden dürfen. So wie damals die hiesige anatomische Schule beschaffen war, darf sie sich wohl unmittelbar an die grossen Anstalten von Italien anschliessen; zu ihr war ohne Streit und Lärm das Bessere gekommen und sie übertraf in ihrer damaligen Stellung, die meisten Anstalten in Deutschland und Frankreich,

Als Ursachen diesem glücklichen Verhältnisses haben wir vorzüglich die Bemühungen unseres unsterblichen Platers und den Aufenthalt Vesals in Basel zu rechnen. Dieser grosse Mann besorgte im Jahre 1543 in Basel den Druck seines Werkes über den Bau des menschlichen Körpers. Während seines Aufenthaltes lehrte er öffentlich die Anatomie und legte auf die Art selbst den Grundstein auf dem bald die berühmte Schule sich emporheben sollte. *)— Was hätte aber die vorübergehende Erscheinung eines ausgezeichneten

Mannes genutzt, hätten sich hier nicht Männer gefunden, die im Stande gewesen, in ihrem Kreise nach der einmal erhaltenen Anregung fortzuwirken. Dankbar müssen wir uns hierbei eines Guilielmus Gratarolus, eines Sinkeler's, eines Joh. Hubers erinnern, die zu der Zeit lehrten und lebten, in welcher Vesal sich in Basel aufhielt, und die, ohne gerade Anatomen zu sein, doch sich durch ihre Schriften, wie durch ihre Lehren. als wahre wissenschaftliche Naturforscher zu erkennen gaben, so dass sie ungenannt kaum dürfen übergangen werden.

Vor allen aber beförderte das anatomische Studium an hiesiger Universität Felix Plater, *) ein Mann gleich gross durch seinen moralischen Charakter, wir durch seine Gelehrsamkeit, durch unermüdlichen Eifer, wie durch Schärfe und Tiefe des Geistes. Ohne selbst Lehrer der Anatomie zu sein, beschäftigte er sich ohne Unterlass, von der Zeit seiner ersten Studien bis in sein hohes Alter, mit der Betrachtung und Untersuchung des Baues unseres Körpers. Durch seine Kenntnisse in der Physik, in der Botanik, durch seine naturgeschichtlichen Studien überhaupt, war es ihm möglich während einer 50jährigen Lehrthätigkeit eine solche Regung unter den Studierenden hervorzubringen

und zu unterhalten, dass die Nachwelt ihm mit vollem Rechte eine der ersten Stellen unter den grössten Männern seiner Zeit anweist Haller nennt ihn einen Mann, der allen lieb gewesen sei, das grosse Licht seiner vaterländischen Universität. Hochgefeiert war er als Arzt, ausgezeichnet als Botaniker und Anatom, berühmt als Sammler naturhistorischer Gegenstände.

Er gab zuerst im Jahre 1583, während er die Lehrstelle der praktischen Medicin bekleidete, sein anatomisches Werk heraus. Er sagt in der Vorrede: "Vor allen Studien, welche der Mensch in seinem unersättlichen Verlangen nach Wissen, betreibt, reizte mich vorzüglich die Kenntniss der Dinge, welche entweder in den Eingeweiden unseres Erdkörpers verborgen liegen, oder auf ihm selbst vorkommen, oder in Luft und Wasser sich frei bewegen. Nie genug konnte ich die unaussprechliche Macht, die unerforschliche Weisheit jenes grössten und besten Schöpfers in so vieler Steine, Metalle und lebender Thiere Bildung, besonders aber in der Betrachtung des Baues des menschlichen Körpers bewundern. Von meiner frühesten Jugend an ergötzte ich mich durch die Betrachtung der Pflanzen und Thiere. Bald aber fand ich, als ich mich einmal dem medicinischen Studium hingegeben hatte, dass die Kenntniss von dem Baue des menschlichen Körpers nicht sowohl die Grundlage des gesammten medicinischen

Wissens, sondern auch die Ouelle vieler anderen Lehren sei. Um nun eine vollständigere, womöglich eine sichere Kenntniss hierinn zu erlangen, habe ich schon länger alo 30 Jahre zuerst in Frankreich, dann in Deutschland, vorzüglich aber auf unserer Baseler Universität, auf der ich das anatomische Studium und die anatomischen Untersuchungen eingeführt habe, mehr als 50 menschliche Leichen zergliedert." "Mit solcher Wissbegierde betrieb ich dass anatomische Studium, dass mich weder die sonst schreckliche und widerliche Beschäftigung, noch die Gefahren, denen ich mich häufig aussetzte, indem ich mir Leichen zu verschaffen suchte, noch auch meine übrigen sehr mühevollen Geschäfte von dieser Art der Untersuchung abzuhalten im Stande waren.

Bei solcher Liebe für die Anatomie musste Plater natürlicher Weise nicht allein in seinem engeren Wirkungskreise als Lehrer Nutzen bringend sein; er musste es auch der Wissenschaft selbst werden. Freilich tadelt man an seinem Werke dass viele dasselbe zierende Figuren aus dein Vesal entlehnt und nur verkleinert wiedergegeben seien; aber wie dürfen, bei strenger Kritik dann auch nicht vergessen, dass er mehrere Theile genauer beschreibt und abbildet, wie es bisher geschehen war; dass er der erste gewesen, welcher eine genauere Beschreibung der Krystalllinse in dem

menschlichen Auge bekannt machte und zuerst die eigentliche Bestimmung derselben aussprach. *)—Es könnten vielleicht Manche es unserm Plater als eine Eitelkeit oder eine Unbescheidenheit anrechnen, wenn sie hören, dass er von sich sagt, er habe zuerst Liebe für das anatomische Studium an unserer Hochschule geweckt, er habe zuerst diese Art der Untersuchung eingeführt. Diese dürfen aber nicht vergessen, dass es eine gewöhnliche Sitte der Schriftsteller jener Zeit gewesen, eine Menge von Subjectivitäten in ihre Werke einzustreuen, und dass man damals die Leistungen eines Mannes meistens in seinen nächsten Umgebungen so richtig und gerecht zu würdigen verstand, dass es Keinem auffallend war, wenn er irgend Etwas lobendes über seine Leistungen für die Wissenschaft anführte. Wir sind jetzt so fein und krankhaft bescheiden

geworden, und haben uns leider mit so vielen Widerwärtigkeiten in unsern nächsten Umgebungen zu quälen, dass wie keine Vorstellung von jener Naivität der grossen Geister der Vorzeit haben können, die eben, wie sie so ganz und gar enthüllt ihr Wesen und ihre Denkungsart öffentlich zeigten, auch so durch und durch, in ihrem ganzen Denken und Streben, ihrer Wissenschaft angehörten.

Hauptsächlich den Bemühungen Platers haben wir es zu danken, dass endlich durch die Vorsteher unserer Universität eine feste Lehrstelle für die Anatomie geschaffen worden ist.

Der erste Lehrer derselben war der, als Botaniker so sehr berühmt gewordene, Kaspar Bauhin, *) Er erhielt diese Lehrstelle im Jahr 1589 und bekleidete sie 35 Jahre lang. Mit wenigen Lehrern mag es wohl den Vorgesetzten unserer Universität in solchem Maasse geglückt sein, wie mit diesem Manne, der eine so grosse Reihe von Jahren, mit allen Gaben eines tüchtigen Lehrers ausgestattet, und so trefflich als Schriftsteller für seine Wissenschaft wirkte. Er war der würdige College Platers. Bauhins Hauptwerk ist seine

Anatomie, die er in zwei Büchern zuerst in Basel 1588 und 1591 drucken liess und die unter verschiedenen Titeln mehrmal neu aufgelegt worden ist. Nach dieser Anatomie gab er ein neues Werk unter dem Titel: anatomisches Theater heraus. Dasselbe ist in vier Bücher getheilt. In dem zweiten Werke behandelt er mehrere Gegenstände weitläufiger als in dem ersten und fügt mehrere sehr gelehrte Betrachtungen und Beschreibungen seltener Fälle bei.

Die Urtheile der Schriftsteller über die Verdienste dieses Mannes sind so sehr verschieden, dass wir ihn bei Paaw den grossen Fürsten der Anatomen seines Jahrhunderts genannt sehen, während Riolanus ihn einen Compilator schilt aus dessen Kopfe nie etwas bedeutendes gekommen sei. — Das bedeutende was Bauhin für die Wissenschaft geleistet, besteht unstreitig darin, dass er alle anatomischen Synonyme gesammelt und passendere Benennungen für die einzelnen Theile des menschlichen Körpers erfunden hat. Besonders gewann durch ihn die Lehre von den Muskeln, denen er theils nach ihren Ansatzpunkten und ihrer Lage, theils nach ihrer Gestalt und ihrem Umfange eigene meist sehr gut gewählte, Namen ertheilte. Ausserdem gebührt ihm die Ehre eine wichtige Klappe in dem Darmkanale des Menschen zuerst genau beschrieben und abgebildet zu haben. Man hat erst in der neuesten Zeit aufgehört, diesen Theil mit Bauhins Namen

zu bezeichnend obgleich mit Unrecht, da kein Anatom vor ihm denselben mit gleicher Genauigkeit beschrieben, geschweige denn hätte abbilden lassen. Bauhin war ein Mann von einem fruchtbaren Geiste. Nicht ohne Befriedigung wird selbst der Laie, die von ihm öffentlich im Jahre 1614 gehaltene Rede über die Natur des Menschen durchlesen, in welcher der, für jeden andern Redner so undankbare Stoff der anatomischen Beschreibung des Menschen, in einer anziehenden und blühenden Sprache behandelt ist. — Bauhin war ein Mann von einem klaren und richtigen Verstande. In seinem Werke über die sogenannten Hermaphroditen und Monstra sammelt er die Ansichten der früheren Zeit und stellt sie auf die Art zusammen dass sich ihr Werth oder Unwerth zum Theil von selbst ergiebt. Ausführlich behandelt er die verschiedenen Ursachen monströser Bildung und spricht sich sehr bestimmt darüber aus, wie diese selbst anzusehen sei. *) Sein Verstand war zu gebildet, als

dass er den damals so herrschenden Glauben an die Besitzung des Teufels, an Teufelssöhne, an Dämone u. s. w. theilte, ein Glaube, den sogar Plater hegte, indem er die Melancholie als Folge der Besitzung des Teufels aufführt. —Wenn wir Bauhin blos darnach beurtheilen, was er unserer Universität und namentlich der medicinischen Fakultät gewesen ist, so können wir ihn leicht höher stellen, als es die Geschichte unserer Wissenschaft thut, indem sie ihn mit so vielen ausgezeichneten Männern vergleicht. Immer aber dürfen wir einen gerechten Stolz hegen, dass wir einst diesen Mann besessen haben, und ohne in das übermässige Lob, des ihm von Paaw ertheilt wird, einzustimmen, dürfen wir ihn, bei der strengsten Unpartheilichkeit, einen Mann von glänzenden Gaben und einer ausgezeichneten Gelehrsamkeit nennen. — Kaspar Bauhin versah die Lehrstelle der Anatomie und der mit ihr verbundenen Botanik bis zum Jahre 1614. Von da an trat er in die Professur der praktischen Medicin, als Nachfolger des in diesem Jahre verstorbenen Platers, ein.

Es bestand nemlich in jener Zeit bei unserer Universität die Einrichtung, die sich auch bis zu ihrer neuern Organisation erhalten hatte, dass die

Lehrer der medicinischen Fakultät von der Lehrstelle der Anatomie und Botanik zu der praktischen und endlich der theoretischen Medicin übergiengen. Jeder Lehrer, der in die Fakultät eintrat, musste gewöhnlich zuerst die Professur der Anatomie und Botanik übernehmen. So vortheilhaft diese Einrichtung, von einer Seite betrachtet, war, indem diejenigen, die sich zu öffentlichen Lehrern bestimmt wähnten, genöthigt waren, das anatomische Studium mit Ernst und Gründlichkeit zu betreiben, und dann, auch zu anderen Lehrfächern berufen, nie die Wichtigkeit genauer anatomischer Kenntnisse für den Arzt vergessen konnten, so hatte diese Einrichtung doch darin einen grossen Nachtheil, dass viele Lehrer zu schnell für das Beste der Anstalt diese Lehrstelle wieder verliessen. Auf alle Fälle konnte auf diese Art nicht bei allen Lehrern jene besondere Vorliebe und Neigung unterhalten werden, durch die allein Ausgezeichnetes geleistet wird. Dieser Einrichtung haben wir es wohl vorzüglich zuzuschreiben, dass trotz des ächt wissenschaftlichen Geistes, der sich bei den hiesigen Anatomen wahrnehmen lässt, trotz des grossen Fleisses der meisten, von keinem einzigen der Versuch gemacht worden ist, den Grund zu einer für das anatomische Studium so unentbehrlichen Präparaten-Sammlung zu legen.

An Kaspar Bauhins Stelle trat im Jahre 1614 Thomas Plarer. Von seinem Bruder Felix in dem Studium der medicinischen Wissenschaft geleitet, lehrte er in einem gleichen Geiste, wie sein grosser Bruder und Lehrer, 11 Jahre hindurch die Anatomie. Seine ganze Thätigkeit für die Wissenschaft beschränkt sich auf das, was er als Lehrer geleistet.

Nach ihm folgte Joh. Jakob von Brunn, der nur 4 Jahre hindurch die Lehrstelle der Anatome und Botanik bekleidete. Was wir von anatomischen Arbeiten von ihm anführen können, bezieht sich auf eine einzige Dissertation über die Feuchtigkeiten des menschlichen Körpers. Uebrigens war er ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen und vorzüglich als Patholog ausgezeichnet, wie dies seine Werke über verschiedene Zweige der praktischen Medicin ausweisen.

Im Jahre 1629 erhielt Joh. Kaspar Bauhin die Lehrstelle der Anatomie und Botanik. Er war der würdige Sohn seines berühmten Vaters, Kaspars Bauhin. Auf seinen grossen Reisen hatte er sich aufgezeichnete Kenntnisse in der Anatomie und Botanik gesammelt. Doch neigte sich sein Geist mit mehr Vorliebe zur Bearbeitung der letztern, in welcher er sich auch als Schriftsteller bekannt machte. Nachdem er 31 Jahre lang die beiden genannten Lehrstellen versehen hatte, erhielt

er im Jahr 1660 die Professur der praktischen Medicin.

Ihm folgten in raschem Wechsel bis zu dem Jahre 1687 Hieronymus Bauhin, sein Sohn, Joh. Rud. Burkhard, Joh. Heinr. Glaser, Jakob Roth und Nikolaus Eglinger. Unter diesen Männern verdient allein Heinrich Glaser hervorgehoben zu werden. Er war in dem Jahre 1629 in Basel geboren. Von seiner frühesten Jugend an fühlte er eine entschiedene Neigung zum Studium der Arzneiwissenschaft, und vorzugsweise zu dem der Anatomie. Aufgerüstet mit trefflichen Vorkenntnissen in der Philosophie, Mathematik und den alten Sprachen, diesen mächtigen Triebfedern der Bildung des menschlichen Geistes, begann er seine medicinischen Studien. Neun Jahre folgte er dem Rufe der grössten Lehrer in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Nachdem er in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, wurde er im Jahre 1661 zum Doctor promovirt und erhielt im Jahre 1665 zuerst die Lehrstelle der griechischen Sprache. Diese bekleidete er bis zum Jahre 1667, wo ihm das erledigte Lehramt der Anatomie übertragen wurde. — Ein frühzeitiger Tod entriss ihn aber leider schon im Jahre 1675, nachdem er kaum sein 46 Jahr vollendet hatte, seinem Wirkungskreise. — Alle seine Werke, die er über anatomische Gegenstände

sowohl, als über physiologische und pathologische geschrieben hat, zeigen das Gepräge eines strenge forschenden und besonnenen Geistes. Sein Hauptwerk wurde nach seinem Tode von Joh. Jakob Stähelin herausgegeben. *) Es enthält dasselbe eine anatomische Beschreibung des Gehirns in Verbindung mit psychologischen und physiologischen Betrachtungen. Ihm zu Ehren benennen wir eine wichtige Stelle in dem knöchernen Theile des Gehörorgans mit seinem Namen. **)

Eine beiweitem ausgezeichnetere Stellung in der Geschichte unserer Wissenschaft nimmt der Nachfolger Glasers, Joh. Jakob Harder ein; wir können ihn einen der besten praktischen und

vergleichenden Anatomen seiner Zeit nennen. Die ersten medicinischen Studien machte er an seiner vaterländischen Universität und später erst bildete er sich im Auslande, vorzüglich in Frankreich, unter dem berühmten Düverney aus.

Nachdem er im Jahre 1675 wieder von seinen Reisen in die Heimat zurückgekehrt war, erlangte er bald die Doctorwürde und wurde schon im Jahre 1678 mit der Professur der Rhetorik, später mit der der Physik und endlich im Jahre 1687 mit der Lehrstelle der Anatomie bekleidet. — Diese Stelle versah er mit einem fast beispiellosen Fleisse 26 Jahre hindurch. — Eine hohe Achtung muss uns für diesen trefflichen Mann erfüllen, wenn wir die grosse Anzahl von geistreichen Werken und Abhandlungen, die er besonders über Gegenstände aus der vergleichenden, wie auch über die menschliche Anatomie geschrieben hat, betrachten, und dann erfahren, wie ausgebreitet sein praktischer Wirkungskreis gewesen sei. Kaum irgend ein Lehrer der Arzneiwissenschaft an unserer Universität hatte einen so grossen und wohlerworbenen Ruhm als praktischer Arzt; kaum irgend ein Arzt unserer Stadt einen solchen Namen als Gelehrter. Im Jahre 1681 machte ihn die kaiserliche naturforschende Gesellschaft zu ihrem Mitgliede, und 1689 wurde er zum Adjunct für den Präsidenten dieser Gesellschaft ernannt. Eben so würde er in die Academia recuperatorum aufgenommen. Sechs

Fürsten hatten ihn mit Ehrenämtern und Titeln belehnt und im Jahre 1694 wurde er sogar von Leopold l. in den Stand eines kaiserlichen Pfalzgrafen erhoben. *)

Von dem Jahre 1703 bis 1733 erhielten Theodor Zwinger, der Jüngere, Joh. Heinr. Stähelin, Joh. Rud. Zwinger, des erstgenannten Sohn, Joh. Rud. Mieg und Emanuel König die Lehrstelle der Anatomie.

Unter diesen haben wir besonders Emanuel König und Joh, Rud. Zwinger zu bezeichnen.

Der erstere, ein Freund Hallers, lieferte mehrere sehr schätzbare Werke anatomisch-botanischen Inhalts, trat aber leidet schon nach Verlauf eines Jahres in eine andere Lehrstelle der medicinischen Fakultät über. **) Joh. Rudolf

Zwinger, welcher 3 Jahre lang die Lehrstelle der Anatomie versehen, und eine durch Klarheit und Deutlichkeit in der Darstellung sich vortheilhaft auszeichnende Abhandlung über den Nutzen und die Verrichtungen des Gehirns geschrieben hatte, verdiente schon deswegen allein genannt zu werden, weil er Hallers Lehrer gewesen und von diesem öffentliche Beweise seiner Dankbarkeit empfängt. —Wir dürfen wahrlich nicht jeden Lehrer nach dem Maasse seiner literarischen Leistungen abwägen; grösseres und wichtigeres kann er in seinem Unterrichte durch Bildung tüchtiger Schüler der Wissenschaft nützen, als wenn er, durch Ruhmsucht verleitet, nach einem Namen in der Literaturgeschichte strebt, und dann den heiligen Zweck, für den er alle seine Kräfte aufbieten soll, zum Nebenzwecke herabsetzt. Wie manche von den Männern, die ich mit Stillschweigen übergieng, haben vielleicht musterhaft als Lehrer gewirkt, wie manche haben vielleicht Schüler gebildet, die wieder im stillen und bescheidenen Wirkungskreise unendlich grossen Nutzen ihren Mitbürgern gebracht haben und deren Namen, zwar nicht bis zu dem Strahlentempel des Ruhmes drangen, dafür aber in hundert dankenden Herzen unauslöschlich eingeprägt waren!

Auf Emanuel König folgte Daniel Bernoulli, im Jahre 1700 in Gröningen geboren. Einer der grössten und gelehrtesten Physicomathematiker.

Er studirte von 1715 bis 1718 an unserer Universität die Philosophie und Medicin und wurde nach 3jährigem Aufenthalte in Strassburg und Heidelberg in der Vaterstadt zum Doctor ernannt. Nach einem Aufenthalt im Auslande der von 1723 bis 1733 dauerte, erhielt er bei seiner Rückkehr die Professur der Anatomie und Botanik, welche er bis zum Jahre 1750 bekleidete. — Die Leistungen dieses Mannes, auf den Basel mit Recht so stolz ist, umfassend zu beurtheilen, bin ich nicht im Stande. Seine grossen und berühmten Werke müssen in dem Bereich der Mathematik gesucht werden. — Wir haben eine Abhandlung vom ihm, über das Athemholen, in welcher er die Luftmasse, welche die Lungen bei jedem Athemzuge füllt und zugleich die Gewalt mit der die Luft eindringt und wieder ausgestossen wird, zu bestimmen versucht. Bei einer andern Gelegenheit (in den Commentarien der Petersburger Akademie) handelt er über das mariottische Experiment und über den blinden Punkt im Auge, und giebt die Grösse und Lage desselben an. Seines berühmten Vaters, des Johannes Bernoulli, Theorie der Muskelbewegung erläuterte er durch analytische Rechnungen und in seiner Hydrodynamik werden die Gesetze, nach welchen sich Flüssigkeiten durch hohle .Röhren bewegen, auf eine unübertreffliche Art, wie Sprengel sagt, durch die Analysis erklärt. Und so kommen hin und wieder wohl in

seinen zahlreichen Werken mehrere für die Anatomie interessante Bemerkungen vor, aber die eigentliche Anatomie hatte Bernoulli nie betrieben. —Im Jahre 1750 übernahm er die Professur der Physik und nun erhielt nach ihm Friedrich Zwinger die erledigte Lehrstelle. Dieser Mann, der würdige Schüler Boerhaaves und Albins, war leider nur zwei Jahre lang an dieser Stelle. — Vieles hat er in der Botanik geleistet und was er für die Beförderung des anatomischen Studiums gethan, darf ungenannt nicht übergangen werden. Seine anatomisch-botanischen Lehrsätze enthalten die Resultate feinerer anatomischer Untersuchungen über die Entstehung des sympathischen Nervens aus den Hirvnerven, über den Milchbrustgang u .s. w. *)

Auf Zwinger folgte im Jahre 1753 Joh. Rud. Stähelin, ein Mann nicht allein wegen seiner tiefen Gelehrsamkeit von allen geachtet, sondern auch wegen seines trefflichen und biedern Charakters von allen geliebt. Diejenigen Gelehrten unserer Stadt, die entweder als Studierende noch seinen Unterricht genossen, oder als Collegen mit ihm in näheren Verhältnissen gestanden haben, äussern sich einstimmig zu seinem grössten Lobe. Er

lehrte die Anatomie 24 Jahre hindurch und gab verschiedene botanische wie auch anatomische Abhandlungen heraus. In seinem Werke über den Puls sucht er das wichtige Verhältniss zwischen der Zahl der Athemzüge und der Zahl der Pulsschläge zu bestimmen; in den Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft theilt er eine interessante Beobachtung mit, aus der ergiebt, dass die harte Hirnhaut gleich den Sehnen unempfindlich sei.

Der letzte Gelehrte, den ich anzuführen habe, ist Werner de Lachenal. Er wurde im Jahre 1777 zum Professor der Anatomie und Botanik ernannt. Lachenal trat in einer Zeit auf den Lehrstuhl der Anatomie und Botanik, wo diese beiden Lehrfächer schon längst ihre Wiege verlassen und bereits einen solchen Umfang erlangt hatten, dass es für einen einzigen Mann völlig unmöglich ward, beide mit gleichem Fleisse, mir gleichem Erfolge, zu bearbeiten, wenn er nicht gerade das Alles umfassende Genie eines Hallers besass. Lachenals Neigung entschied sich vorzugsweise für die Botanik; in dieser finden wir ihn ausgezeichnet als trefflichen Lehrer und als Schriftsteller. Der Anatomie war er weniger. Wir haben von ihm kein einziges anatomisches Werk anzuführen, wenn wir nicht etwa seine botanisch-medicinischen Beobachtungen nennen wollen, die er vor der Uebernahme seiner Lehrstelle bekannt gemacht hat, und die einige anatomische Bemerkungen

enthalten. *) Selbst von seinen Leistungen als Lehrer der Anatomie lässt sich insofern nicht viel sagen, als er sich in der Regel eines Prosectors bediente, der für ihn die Vorlesungen zu halten hatte. Weit entfernt bin ich indessen hiermit einen Vorwurf gegen diesen durch seine Verdienste für das botanische Studium an unserer Universität unsterblich gewordenen Mann auszusprechen. Indem er gewissenhaft durch die Wahl kenntnissreicher und geübter Stellvertreter für den anatomischen Unterricht sorgte, trieb ihn seine Neigung für die Botanik zu jenen grossen, uns allen so wohl bekannten Opfern an, die auch die späteren Nachkommen noch mit dankbarem Herzen anerkennen werden. Ich schliesse hier diese geschichtliche Betrachtung.

Von der durch Vesal bewirkten grossen Umwandlung der Anatomie bis auf unsere Tage hat dieser wichtige Theil der medicinischen Wissenschafl

reissend schnelle Fortschritte gemacht. Indem man sich über die meisten einzelnen, noch im Dunkel schwebenden Verhältnisse der Organe des menschlichen Körpers Licht verschafft hatte, so dass wenigstens der Physiologie eine feste und sichere Basis, gegeben war, ward mit gleichem Glücke das Studium dee vergleichenden und pathologischen Anatomie ausgebildet, und endlich, zu Anfang unseres Jahrhunderts durch den Franzosen Xaver Bichat die für die Einheit unserer Wissenschaft so ausnehmend wichtige allgemeine Anatomie geschaffen.

So wie jetzt die Anatomie mit stärkender und belebender Hand in alle Lehrtheile unserer Wissenschaft eingreift, so weist sie uns bei der Bearbeitung eines jeden einzelnen auf den rechten Pfad, den die Forschung zu betreten hat, so sichert sie einen jeden einzelnen Theil vor der Verunstaltung durch falsche Theorien, indem sie den zu hoch strebenden und zu kühn drängenden Geist des Menschen zur Bescheidenheit zurückweist. Die Zeiten der Sucht Systeme zu schaffen und das Räthsel des Lebens durch kühne Hypothesen lösen zu wollen sind vorüber, und ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, dass sie nie wieder kommen und dauern können. Die Anatomie sichert uns die uns eigenthümliche historische Stellung, zeigt uns, dass wir uns um so mehr unserer grossen Aufgabe nähern, je mehr wir uns überzeugen, dass noch eine lange Zeit der Arbeit vorüber gehen

müsse, ehe wir nur eine etwas bestimmtere Ahnung von dein Geheimnisse des menschlichen Daseins, und dem wahren systematischen Zusammenhange der Naturerscheinungen überhaupt gewinnen können. — Werfen wir nur einen Blick auf die neuesten sogenannten naturphilosophischen Versuche, so wird sich die Richtigkeit des eben gesagten von selbst ergeben. Diese Systeme trugen in ihrem Entstehen den Todeskeim in sich, weil ihnen die Wahrheit mangelte, weil die Resultate einer strengen und besonnenen Untersuchung sie nicht begründeten. Wenige nur wurden von dem rechten Wege abgeleitet, und durch den Glanz des Irrthums verführt. Die Mehrzahl stand um so fester, und sie gewann nur, indem die Wagesätze der anderen sie zu Untersuchungen nöthigten, wodurch manche neue Ansichten gewonnen und ältere erweitert wurden. —

Obgleich durch die Arbeiten so vieler ausgezeichneten Männer sich das Gebiet der Anatomie in der neuern Zeit so sehr erweitert hat, so bleiben dennoch grosse Aufgaben zur Lösung für die kommende übrig. Wenn wir diese Aufgaben näher bezeichnen wollen, so haben wir anzuführen, dass noch bei weitem nicht die Kenntniss der Theile unseres Körpers und ihres Zusammenhanges als geschlossen angesehen werden kann. Noch ist uns in vielen Stücken die feinere Kenntniss von den Organen dunkel, noch sind wir vorzüglich nicht

im Stande eine bestimmte und zusammenhängende Geschichte der Veränderungen der Organe von ihrer ersten Entwicklung an bis zu ihrem vollendeten Wachsthum zu geben. Vor allem aber möchte wohl die grösste Aufgabe für die neuere Anatomie die sein: durch umfassende und genaue Vergleichungen aller Formen, in welchen sich die organische Kraft äussert, die Urform selbst festzustellen, und somit der Physiologie das grosse durch alle Organisationen durchgehende Bildungsgesetz nachzuweisen.

Diese Aufgaben, die sich die grössten Anatomen unserer Zeit gestellt haben, werden noch die Köpfe mancher Zeiten beschäftigen. Genug, dass sie gekannt sind! Glücklich ist die Wissenschafl zu preisen, die mit so sicherm Blicke der Zukunft entgegen treten darf. Die Zeiten der Finsternis sind vorübergegangen und die hellen Tage eines seiner Bestimmung sich bewussten Strebens leuchten zur Arbeit. Bei allen gebildeten Völkern blüht das anatomische Studium und reicht seine segensvollen Früchte der Arzneiwissenschaft; überall wird seine grosse Wichtigkeit für die Fortbildung derselben anerkannt: überall dasselbe unterstützt und befördert! Und wir können voll guten Muthes hoffen, dass auch die hiesige Anstalt sich dem grossen fortschreitenden Gange der Wissenschaft anschliessen werde; sind doch die Mittel in der neuesten Zeit so sehr vervollkommnet worden, dass es auch einem

weniger talentvollen Geiste möglich wird den Nachkommen nicht gerade ein Stückwerk zu überliefern.

Ich beende hiermit die schon zu gedehnte Rede. Entschuldigen sie mich, Hochgeachtete Herren, wenn ich Sie mit der Betrachtung über einen Gegenstand, der vielleicht für mich allein nur Interesse hat, zu lange aufgehalten habe! —

Ehe ich indessen diese Stelle verlasse, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen Wohlweiser Herr Bürgermeister, Hochgeachtete Herren Erziehungsräthe für die in diesem Jahre erneuere Fürsorge für unsere Universität zu danken. Wenn so weise und umsichtig durch eine Behörde für das Beste einer Anstalt Sorge getragen wird, da dürfen die Lehrer, durch freudige Hoffnungen bewegt, der Zukunft entgegen sehen, da wird ihnen am sichersten jener Muth und Eifer genährt, durch die es möglich wird, wissenschaftlichen Anstalten einen dauernden Ruhm zu verschaffen. Wir dürfen mit frohem Herzen der kommenden Zeit entgegensehen, wenn wir einen Blick auf die vergangene werfen; wenn wir erwägen, was unsere Universität trotz ihres unvollendeten Zustandes bisher geleistet hat, wenn wir erwägen was sie vollendet einst leisten wird! Wir dürfen mit frohem Herzen das Beste und Schönste erwarten, wenn es wahr ist, dass der Sterbliche nach dem Erfolge eines edlen Bestrebens auf die Mithülfe und den Segen einer höhern Lenkung der

Dinge rechnen darf! Noch wenige Schritte gethan und die Verjüngung des grossen Werkes der Vorfahren ist vollbracht!

Vollenden Sie, Wohlweiser Herr Bürgermeister, Hochgeachtete Herren, das Gebäude unserer Universität und dann mag sich die Frage beantworten: ob so vieler ausgezeichneter Männer uneigennütziges Bemühen einen würdigeren Gegenstand hätte finden können.