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Der nationale Charakter und die internationale Bedeutung unserer Hochschule

Rektoratsrede gehalten bei der 70. Gründungsfeier der Universität Bern

am 26. November 1904
Professor Dr. Woker
Bern
Verlag der Haller'schen Buchdruckerei 1905

Hochgeehrte Versammlung!

Unsere Universität hat in den beiden letzten Jahrzehnten ein so rasches und starkes Wachstum erfahren, dass uns dabei bange werden konnte.

Das alte Stilleben im alten Kloster, die alte Abgeschlossenheit, Vertrautheit und Gleichartigkeit hörten mehr und mehr auf, und in die immer enger werdenden Räume flutete ein stetig anschwellender Strom einheimischer und fremder, männlicher und weiblicher Elemente, ein buntes, wirres, disparates Leben.

Wir mussten uns immer wieder fragen, ob ein solcher Zudrang natürlich und von Dauer sein könne und doch inzwischen den wachsenden Aufgaben und Schwierigkeiten nach Möglichkeit Rechnung tragen.

Die Schwierigkeiten sind zum Teil überwunden: äussere Schwierigkeiten durch diesen Hochschulneubau und den Ausbau der Subsidiäranstalten, innere Schwierigkeiten z. B. durch die Arbeit an einer Reform des Zulassungswesens.

Geblieben ist die Schwierigkeit, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem einheimischen und dem fremden Element, zwischen dem Anrecht der Landeskinder und dem Gastrecht der Ausländer an unserer Hochschule; die Schwierigkeit, dem nationalen Charakter unserer Universität und zugleich ihrer internationalen Aufgabe als Universität gerecht zu werden.

Heute, am 70. Geburtsfeste unserer Universität, möchte ich zur Lösung dieser Frage, die eine ihrer Lebensfragen geworden ist, einen Beitrag liefern durch eine von den geschichtlichen Grundlagen ausgehende Orientierung.

In der geschichtlichen Entwicklung des Universitätswesens tritt seine nationale Eigenschaft und Bedeutung scharf hervor.

Gleich die ersten mittelalterlichen Universitäten hatten, von einer Seite betrachtet, nationalen Charakter; insbesondere die Pariser Universität hatte die Bedeutung eines geistigen Zentrums der Nation, überherrschte das ganze wissenschaftliche und oft genug das kirchlich-politische Leben der Nation und trug ihrer Nation den Ruhm ein, dass ihr als grosse nationale Gnadengabe das Studium eigen sei.

Ihr nachgebildet war die erste Universität des Deutschen Reiches, die Prager Universität, und ihr Gründer, Kaiser Karl IV., der aus eigener Anschauung die Wichtigkeit der Pariser Hochschule im nationalen Leben Frankreichs schätzen gelernt hatte, verfolgte bei der Einrichtung dieser

ersten deutschen Hochschule vor allem die Absicht, auch für das Deutsche Reich ein Kulturzentrum zu schaffen, die unheilbare politische Zerrissenheit der Nation gewissermassen zu übertrumpfen durch eine geistige Einigung und dabei der Hauptstadt seines böhmischen Stammlandes eine führende Rolle im Reich zu sichern. Die Gründung der ersten deutschen Universität hing also ganz zusammen mit Karls nationalpolitischen Bestrebungen, hatte nationalen Charakter.

Die Hoffnungen Karls IV. zerrannen nun allerdings, Prag erwies sich als unfähig, eine so dominierende Stellung im Reich einzunehmen, ein geistiges Zentrum war im Reich ebenso unmöglich wie ein politisches.

Aber der Gedanke, dem nationalen Leben geistigen Halt zu verleihen durch staatliche Hochschulen, ging nicht verloren; er vervielfältigte sich vielmehr, setzte sich fest in den einzelnen Landschaften des Reiches und ergriff die Nation mit solcher Stärke, dass noch im Laufe des 14. Jahrhunderts sogar einzelne Städte, Köln und Erfurt, es sich nicht nehmen liessen, aus eigenen Mitteln in ihren Mauern Universitäten zu gründen.

Den Interessen der Nation war durch diese ersten deutschen Universitätsgründungen doppelt gedient, weil mit ihnen das kirchliche Schulmonopol zum erstenmal angetastet, trotz der kirchlichen Beteiligung bei der Gründung der Universitäten der Anfang einer Verstaatlichung des Schulwesens gemacht war.

Im 16. Jahrhundert dienten alte und eine Anzahl neugegründeter deutscher Universitäten den Interessen der nationalkirchlichen Bewegung der Reformation, verfielen aber mit der Nation der Verknöcherung, Ausschliesslichkeit und geistigen Verödung, die das starr konfessionelle landesherrliche Kirchentum mit sich brachte, und es begann die lange währende traurige Zeit, in der die Universitäten für die geistige Bildung beinahe nichts bedeuteten.

Die geistige Verödung wich zwar allmählich, seit mit der Gründung von Halle (1694) und Göttingen (1735) im Laufe des 18. Jahrhunderts ein neuer Geist der Wissenschaft und Aufklärung in die Universitäten einzog, dessen Prinzip die libertas philosophandi und dessen Aufgabe war, die Wahrheit nicht fix und fertig zu lehren, sondern zu suchen.

Aber ihre grosse Stellung im Gesamtleben der Nation gewannen die deutschen Universitäten erst im 19. Jahrhundert, als sie in den Jahren der Napoleonischen Fremdherrschaft so hervorragenden Anteil nahmen an der nationalen Erweckung und staatlichen Erneuerung, und noch mehr, da sie in der Nacht der Reaktion, die jener Erhebung folgte, auf dem Herde der Nation das heilige Feuer ihrer patriotischen Ideale nicht erlöschen liessen, dem Volk die besten Hüter seiner höchsten Güter, der Einheit und Freiheit, wurden und für die Regierenden das mahnende und strafende Gewissen des Volkes darstellten .

Es ist nun nicht eine Einwirkung dieser Verhältnisse gewesen, was bei uns den Gedanken erzeugt hätte, das Hochschulwesen zu einem Glied unserer nationalen Institutionen zu machen; dafür kam der Aufschwung der deutschen Universitäten zu spät.

Eher hätte man einen Einfluss von den Niederlanden her erwarten dürfen. In dem wunderbaren Aufblühen, das dort auf allen Gebieten des nationalen Lebens mit dem siegreichen Kampf um die nationale Selbständigkeit gekommen war, hatten auch die Gefilde der geistigen Kultur Frühlingsschmuck angelegt, und mit patriotischem Stolz hatte der junge Freistaat als glänzende Blütensterne in seinen nationalen Ruhmeskranz seine Universitäten eingefügt, Leiden und Utrecht, Groningen und Amsterdam; was sie der Nation galten, bewies insbesondere Leiden, da es sich als nationalen Lohn für seine Verdienste im Befreiungskriege eben seine Universität wünschte.

Bei den engen politischen und religiösen Beziehungen, die zwischen den Niederlanden und den reformierten Ständen der Eidgenossenschaft bestanden, bei dem regen Verkehr beider Länder und dem häufigen Besuch niederländischer Universitäten durch schweizerische Studenten hätte die nationale Gestaltung des niederländischen Hochschulwesens wohl als Beispiel bei uns wirken können. Aber auch an diesen niederländischen Universitäten nistete sich wieder die religiöse Engherzigkeit und theologische Verfolgungssucht ein;

und was nun von den Niederlanden geistig herüberwirkte, waren nicht grosse Ideen nationaler Erhebung, sondern diese harte theologische Richtung, die den widerwärtigen Kampf gegen Milder- und Freiergesinnte, gegen Arminianer und Cartesianer, auch in unsere Kreise versetzte, wo ihm kürzlich noch Kollege Haag in seiner Geschichte unserer hohen Schulen nicht zu seiner Freude nachgehen musste. So ging das Beispiel der niederländischen Universitäten nach seiner besseren Seite hin für uns verloren.

Das Unglück war nicht allzu gross; denn dafür hat sich der Gedanke einer nationalen Gestaltung des hohen Schulwesens in der Schweiz ganz selbstständig aus den eigenen Verhältnissen und den eigensten Bedürfnissen entwickelt, und zwar zunächst und lange Zeit in der Form einer einzigen eidgenössischen Hochschule — ein Vorgang, den unser Kollege Geiser in seiner Schrift: "Die Bestrebungen zur Gründung einer eidgenössischen Hochschule" mit gedanklicher Klarheit und aktenmässiger Treue dargelegt hat.

Merkwürdig, in der Zeit des tiefsten Standes des öffentlichen Wesens der Schweiz, gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts, da eidgenössischer Gemeinsinn beinahe erstorben, die Achtung des Auslandes verschwunden, die Eidgenossenschaft ein Nichts geworden war, Sonderrechte und -interessen der Orte, Sonderrechte und -vorteile der Regierenden alles bedeuteten — welchen Weg wies da der weisesten einer unter den schweizerischen

Staatsmännern zur Rettung der Nation, zur Wiedergeburt des Vaterlandes?

Sein Rat war, das patriotische Rettungswerk zu beginnen beim hohen Schulwesen.

Im Jahre 1744 schrieb Franz Urs Balthasar seine "Patriotischen Träume eines Eidgenossen von einem Mittel, die veraltete Eidgenossenschaft wieder zu verjüngen"; erst 14 Jahre später wurden sie ohne Nennung des Autors und des Herausgebers zu "Freistadt bei Wilhelm Tells Erben" durch Isaak Jselin veröffentlicht.

Balthasar sah das Mittel der nationalen Verjüngung in einer "gemeinschaftlichen Erziehung der Jugend, welche später dazu berufen ist, das Staatsschiff zu lenken", in der Gründung eines Seminars für je 10 Jünglinge aus den 13 Orten, mit einem Lehrplan, worin vor allem dasjenige aufgenommen werden soll, "was der Wohlfahrt des 'vaterlandes erspriesslich ist": Kenntnis der eidg. Bünde, damit man lerne, dass "ein Ort vor das andere ein Mann vor den andern stehen, leben und sterben soll", Belehrung über die ausländischen Bündnisse und deren Gefahren, Kenntnis einiger Abschied, "durch welche insonders dapfermütige Entschlüsse zur Rettung und Ehre des Vaterlandes gefasst wurden", Einführung in die staatsmännische Praxis, Pflege der Geschichte als Haupterziehungsmittel, der vaterländischen und der allgemeinen, und militärischer Unterricht, "weil einerlei exercitium militare in dei Eidgenossenschaft sein muss, und damit die

Jugend im Staatsseminario lerne, sowohl gehorsamen als befehlen".

Und der Gesamtnutzen von dieser Schule?

Balthasar sagt:

"Wenn unter Gottes Segen ein so holder Glücksstern uns beleuchten sollte, dass ein so nützliches Werk . . . . zu einer Wirklichkeit gelangte, so setze ich ausser Zweifel, dass aus diesem Seminario . . . . solche Männer hervorsteigen, die das ganze Schweizerland mit der Fackel ihres Verstandes und Einsicht würden erleuchten und zwar nicht nur innert seiner Grenzen, sondern auch auswärts."

"Alle in dieser Staatsschul Erzogenen würden einander von Jugend an kennen lernen; der Ratsglieder gutes Gewinnen unter sich würde sich erstrecken auf die Orte selbsten, und also die erste und edelste eydgenössische Absicht der Bünden, für einander zu leben und zu sterben, eines des andern Nutzen zu fördern und Schaden zu wenden, würde wiederum zum Leben erwecket."

Aus diesem Gedanken eines eidg. Staatseminariums entwickelte sich derjenige einer eidg. Hochschule.

Schon in Wielands Plan emer Akademie, der durch Balthasars Traum angeregt war, wird die eidg. Pflanzschule angereiht an die alte Universität Basel. Dann fand der Gedanke Balthasars seine weitere Pflege in der 1762 gegründet Helvetischen Gesellschaft durch Bodmer, Hirzel, Zellweger, welch lezterer in seinem Abschied von

der Helvetischen Gesellschaft 1764 von Balthasars Plan sagte, "ein patriotischer Vorschlag, welchen man mit beiden Händen ergreifen sollte . . . Denn was könnte unserem geliebten Vaterland Vorteilhafteres und Nützlicheres ausgedacht werden, als wenn zur Einpflanzung gleich gestimmter patriotischer Gesinnung Jünglinge von angesehenen Geschlechtern oder sonst guter Hoffnung aus allen Löbl. Orten sich an ein bequemes Ort in ein Corpus versammelten und zur Erlernung der vaterländischen (auch anderer Republiken) Geschichten, Bund und Verträge, Recht und Gebräuche, gemeinnütziger Interessen," usw. "angerühret, durch die Exempel ihrer Voreltern zu gleicher Tapferkeit, Redlichkeit und Einmütigkeit angefrischet würden." — —

Im Jahre 1786 wurde durch Fellenberg in seiner Präsidialrede in der Helvetischen Gesellschaft der Gedanke wieder wie bei Wieland in den Kreis der eigentlichen Universitätsbildung gerückt. Fellenberg gab seinen Bedenken gegen den Besuch fremder Universitäten Ausdruck und bemerkte: Lebensmittel aus dem Ausland einführen zu müssen, gelte für nachteilig, ein viel grösserer Schaden sei es aber, mit den Hilfsmitteln zur notwendigen Bildung auf das Ausland angewiesen zu sein. Deshalb soll man auf die Errichtung einer allgemeinen eidg. Akademie bedacht sein.

Die eidg. Akademie kam nicht zustande. Wohl aber schickte man sich gerade jetzt in Bern an, für eine solche sich teilweisen Ersatz zu schaffen

durch die Gründung des politischen Instituts, dem Prof. Haag einen überaus interessanten Abschnitt seiner Festschrift zur Eröffnung dieses unseres Hochschulgebäudes gewidmet hat.

Im Jahr 1778 hatte der bernische Schulrat sich in einem Gutachten geäussert, "der grösste Fehler in der oberen Schule des bernischen Staates sei bis jetzt der gewesen, dass in derselben nur diejenigen Burger, die sich dem geistlichen Stande widmen, die ihnen notwendige Erziehung gefunden hätten, während für alle übrigen höhern und niedrigern Begangenschaften des Lebens wenig oder gar nichts, das ihnen wahrhaftig nützlich sein könnte, geleistet worden wäre".

Einige Jahre später (1780) befürwortete Bonstetten, wieder ein Mann der Helvetischen Gesellschaft, die Gründung eines besonderen staatlichen Institutes für die künftigen Regenten; eine ähnliche Anregung aus dem Kreise der Professoren der bisherigen Akademie folgte, und zu Anfang 1787 beschloss der Grosse Rat, dass für die politische Jugend eine besondere, von der theologischen Akademie getrennte Bildungsanstalt zu errichten sei. Im Sommer 1787 erfolgte die Einrichtung des neuen Institutes unter der Mitwirkung Bonstettens; es war ein eminent nationales Institut, bestimmt für künftige Regenten, Beamte, Militärs des Staates, ausgestattet mit einem Lehrprogramm, das vaterländische Geschichte, vaterländisches Recht, Politik und Nationalökonomie in erste Stelle rückte.

Der erste praktische Niederschlag des Gedankens einer eidg. hohen Schule war also die Gründung des bernischen politischen Instituts; es stellte die, wenn auch noch lokal und sachlich beschränkte, Verwirklichung der Ideen Balthasars und der anderen patriotischen Männer der Helvetischen Gesellschaft dar.

Darum konnte denn auch aus dem Schosse dieses Instituts, aus seinem Lehrkörper, der Mann hervorgehen, der alle früheren Anregungen in sich trug, sie verwertete, weiterbildete und, in einem grossartigen Plan der Verjüngung und Erneuerung der Nation durch die nationale Schule überhaupt, auch der nationalen Hochschule ihre hervorragende Stelle anwies: Philipp Albert Stapfer. Mit dem Untergang der alten Eidgenossenschaft kam für ihn und seine Freunde von der Helvetischen Gesellschaft der grosse Tag der praktischen Arbeit an der Verwirklichung ihrer patriotischen Ideale: ein helvetisches Ministerium der Künste und Wissenschaften wurde geschaffen und Stapfer anvertraut.

Mit der geradezu rätselhaft sichtbaren, alles ergreifenden, ins Grösste und Kleinste eindringenden, die Arbeit ganzer Generationen vorwegnehmenden Tätigkeit des Ministers der Künste und Wissenschaften haben wir es nicht zu tun — von Interesse ist für uns sein Plan einer nationalen Gestaltung des Hochschulwesens, und dieser Plan tritt uns in völlig deutlichen Umrissen aus einer einzelnen Arbeit Stapfers entgegen, aus der von

ihm verfassten "Botschaft des Direktoriums an die Räte betreffend einen Plan der Neugestaltung des Erziehungswesens" vom 18. November 1798.

Neben dem "allgemeinen bürgerlichen Unterricht der Volksschule ist", so führt Stapfer aus, "eine gelehrte Bildung zur Erhaltung und Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig; der Staat kann es nicht aufs Geratewohl und auf die Privatindustrie ankommen lassen, ob sich geschickte Baumeister und Ingenieurs, einsichtsvolle und sorgfältige Aerzte, gewissenhafte und aufgeklärte Sittenlehrer, helldenkende Gesetzgeber, fähige Regenten, sachkundige Richter finden."

Es sind also Anstalten zum gelehrten Unterricht notwendig. Die einen von ihnen erteilen den vorbereitenden Unterricht, es sind die Gymnasien. Die Schüler erhalten in denselben "den Vorrat von Ideen und den Grad von Vernunftbildung", welche sie mitbringen müssen zum fruchtbaren Erlernen einer Berufswissenschaft. Die Berufswissenschaften selber sollen in einer Zentralschule für den höheren Unterricht gelehrt werden.

Das ist Stapfers "Nationaluniversität". Von ihr sagt er: "Diese Schule wäre ein allumfassendes Institut, worin alle nützlichen Wissenschaften und Künste in möglichster Ausdehnung und Vollständigkeit gelehrt und durch die vereinten Nationalkräfte mit den reichsten Hilfsmittel umringt würden."

"Diese Schule müsste eine einzige für ganz Helvetien sein."

Ihre Notwendigkeit begründet er also:

"Die Grundlagen unserer Verfassung, besonders das Bedürfnis der Einheit in Grundsätzen und Gesinnungen, deuten alle auf eine solche einzige Universität oder Zentralanstalt hin. — Die unglückliche Trennung der Kantone und der Geist der Ausschliessung und des Eigennutzens haben zu tiefe Wurzeln geschlagen, als dass ihre gänzliche Ausrottung durch irgend ein anderes als das langsam, aber sicher wirkende Mittel einer öffentlichen, allgemeinen und gleichförmigen vaterländischen Erziehung bewerkstelligt werden könnte. — Die jungen Helvetier, welche sich irgend einem Zweige öffentlicher Arbeit zu widmen gedenken, müssen aus allen Gegenden der Republik in einer Zentralschule zusammenströmen. Hier werden sie unter den Augen der Nation zu ihrer Bestimmung heranreifen. Hier werden sie in den Jahren, wo der Kopf für Belehrung, das Herz für freundschaftliche Gefühle offen ist, mit Jünglingen der verschiedensten Kantone und Kulturgrade Verbindungen eingehen und aus dem gemeinschaftlichen, begeisternden Unterrichte aufgeklärter und patriotisch gesinnter Lehrer Grundsäze und Entschlüsse wieder nach Hause bringen, welche bald in die entlegensten Täler unseres Vaterlandes Einheit der Absichten und Gesinnungen verbreiten müssen. Die Nation wird bei Wahlen öffentlicher Beamten nicht mehr verlegen sein, auf welche Männer

sie ihre Wahl fallen lassen wolle. In den Jünglingen, die ihre Bildung auf der vaterländischen Zentralschule erhalten haben, wird sie die Fähigkeit und die Einsicht antreffen, welche sie von ihren höheren Beamten fordern muss, und deren Garantie sie nur in dem Umstand finden kann, dass derjenige, dein das Wohl der Nation anvertraut wird, auf der National-Lehranstalt schon Proben seiner Geschicklichkeit und Denkart öffentlich gegeben hat.

Dieses Institut wird der Brennpunkt der intellektuellen Kräfte unserer Nation, das Verschmelzungsmittel ihrer noch immerfort (getrennt) bestehenden Völkerschaften und der Stapelort der Kultur der drei gebildeten Nationen sein, deren Mittelpunkt Helvetien ausmacht. Es ist vielleicht bestimmt, deutschen Tiefsinn mit fränkischer Gewandtheit und italienischem Geschmack zu vermählen und den Grundlagen der Revolution durch ihre Vereinigung mit den Lehren einer ehrfurchtgebietenden Rechtschaffenheit unwiderstehlichen Eingang in die Herzen der Menschen zu verschaffen."

Man sollte die ganze Staplersche Botschaft heute noch an allen schweizerischen Hochschulen bei besonders feierlichem Anlass alljährlich einmal verlesen, um den Geist wieder zu erwecken oder lebendig zu erhalten, aus dem sie erflossen ist.

Sie hatte, wie all das Grosse, das im Zeichen der Helvetik geboren ward, zunächst ein trauriges Geschick. Sie fand vorläufig Unterkunft in einer Kommission des helvetischen Grossen Rats, sie

wurde im Frühling 1799 in ihren Hauptgedanken und Hauptabsichten erneuert durch eine neue Botschaft des Direktoriums, aber innere Wirren, Elend und Kriegsnöte verschlangen die Idee der nationalen Gesamtuniversität in den Jahren der Helvetik und der Mediation, und in drei Lustren der Reaktion nach 1815 gab es für sie kein Auferstehen.

Aber sie lebte fort in demselben Kreise der Patrioten, in dem sie geboren war, in der Helvetischen Gesellschaft, und sie ward wieder lebendig für die Nation, als dieser ein neuer Frühling anbrach mit der Bewegung des Jahres 1830. Da konnte im Jahre 1831 Kasimir Pfyffer, der Urs Balthasar dieser Tage, seine Präsidialrede in der Helvetischen Gesellschaft wieder in den Wunsch und die Forderung ausklingen lassen, eine schweizerische Gesamtschule möge ins Leben treten, auf dass "sie für unser geistiges Leben werde, was die Bundesverfassung für unser politisches Leben —eine Pflanzschule für eine höhere Nationalkultur, aus welcher die Grundsätze für eine immer schönere Gestaltung unseres politischen Nationallebens hervorgehen werden". Bereits sah er "den schönen Traum, den einst einer unserer edelsten Mitbürger in einer Seherstunde träumte, nicht mehr so fern von der Zeit seiner Erfüllung".

In der Tat erfolgten binnen kurzem praktische Bemühungen, die auf dieses Ziel gerichtet waren. Der Grosse Rat des Kantons Waadt beschloss im Sommer 1832, den übrigen Ständen die Errichtung

einer eidgenössischen Universität auf dem Wege des Konkordates vorzuschlagen; der Vorschlag erging in Form eines Kreisschreibens des waadtländischen Staatsrates an alle Kantonsregierungen; den Anlass der nächsten Tagsatzung benutzte im Auftrage seiner Regierung der waadtländische Tagsatzungsgesandte, einer Konferenz der Gesandten aller Stände, mit Ausnahme der Urkantone, im August 1832 den Gegenstand zu unterbreiten, und diese Konferenz bestellte eine Kommission, deren Arbeit zusammengefasst wurde in einem "Bericht und Entwurf zur Errichtung eines Konkordats betreffend die Gründung einer schweizerischen Hochschule".

Der Entwurf ist nicht zur Durchführung gelangt, aber er bezeichnet einen denkwürdigen Fortschritt; denn in ihm erscheint ein Gedanke, der demnächst das schweizerische hohe Schulwesen befruchten und ihm eine neue Richtung geben sollte, der Gedanke der Lehr- und Lernfreiheit, den das Beispiel der neuen deutschen Universitäten nahegelegt hatte.

Nachdrücklich spricht die Kommission es aus: "Ohne Lehrfreiheit gibt es kein redliches Forschen nach Wahrheit, folglich kein wissenschaftliches Leben, keine dieses Namens würdige Wissenschaft. Eine auf blossen Schein berechnete Wissenschaft wäre des Kostenaufwandes einer Universität nicht wert."

Wenn die Konkordatskantone zur Einrichtung ihrer gemeinsamen Universität schreiten, sollen sie

ausdrücklich erklären: "Der Universität wird die vollständigste Lehrfreiheit zugesichert", und wenn etwa später durch die Eidgenossenschaft diese Universität übernommen wird, soll ihr das Statut förmlich und ausdrücklich überbunden werden, "die unbedingte Lehrfreiheit zu achten".

Es hatte gute Weile mit der Konkordatsuniversität wie mit einer Universität der Eidgenossenschaft.

Dafür aber hatte sich der Gedanke der nationalen Hochschulorganisation ein neues Bett gegraben, in dem er gerade jetzt mächtig dahinflutete und dem Ziele zustrebte.

Aehnlich wie einst Balthasars Traum die teilweise Verwirklichung fand in dem Berner politischen Institut setzte sich Stapfers und der andern Patrioten Sinnen nach der "eidgenössischen Universität" " ins Leben um mit dem Erstehen der Berner Hochschule und noch zuvor der Zürcher Hochschule.

Waren denn wirklich die Aufgaben einer nationalen Hochschule nur zu lösen in einer einzigen, allgemeinen eidgenössischen Universität?

Kein Zweifel, für die eigenartigen schweizerischen Verhältnisse hätte die eidgenössische Universität ganz ungewöhnliche Vorteile geboten bei dem sonstigen Mangel an spezifisch eidgenössischen Einrichtungen, bei dem Bedürfnis, auf engem Raum einen unverhältnismässig häufigen, scharfen und tiefgründigen lokalen und kantonalen Sondergeist zu überwinden und zugleich ein nach Abstammung

und Sprache und Konfession zerteiltes Volk mit festen nationalen Banden zu umschliessen.

Aber im allgemeinen hatte man beim Universitätswesen nicht die Erfahrung gemacht, dass seine Zentralisation für die nationalen Zwecke nützlich oder gar notwendig sei. In dem neueren Frankreich hatte die Zentralisation des hohen Schulwesens nur Schaden angerichtet, in England war sie nie erfolgt, in den Niederlanden hatte gerade die grosse Zahl der Universitäten den Stolz der Nation gebildet, und aus ihrem nationalen Wetteifer konnten nur Vorteile für das Gesamtvaterland erwachsen, und in Deutschland waren eben die vielen über das Land zerstreuten Universitäten ein wichtiges nationales Bindeglied und sie insgesamt und jede einzelne von ihnen der Hort des patriotischen Ideals der nationalen Einheit.

Und auch bei uns waren und sind kantonaler und eidgenössischer Patriotismus nicht unvereinbare Dinge, so dass auch eine kantonale Hochschule nationalen Charakter schlechthin tragen konnte.

Auf diese Bildung trieb nun die Entwicklung der Verhältnisse nach dem neuen Fehlschlag des Planes einer eidgenössischen Universität hin. Die freiheitliche und fortschrittliche Bewegung, die mit dem Jahre 1830 hervorbrach, kam viel mehr den Kantonen als der Eidgenossenschaft zustatten. Der Versuch einer verfassungsmässigen Neugestaltung des eidgenössischen Wesens schlug

fehl. Dagegen bildeten sich alle bedeutenderen kantonalen Gemeinwesen unter Sprengung der Bande dei Bevorrechtung und Bevormundung zu wirklichen Volksstaaten aus, und in diesen Gemeinwesen wurde auch sofort Hand angelegt, das Volksschulwesen von unten bis oben, nach den Bedürfnissen und nach der Geltung eines Volkes, das seiner selbst Herr geworden, neu auszubauen.

So geschah, dass in Zürich und Bern der Gedanke Leben gewann, eine rechte Hochschule an der Stelle verkümmerter kleiner Berufsschulen, ihrer Akademien, sei für ihr Volk gerade gut genug, und damit verband sich wohl hüben und drüben die Hoffnung, die kantonale Hochschule werde einmal zur schweizerischen Universität werden.

Zürich und Bern nahmen der zu schwachen Eidgenossenschaft ihren Hochschulplan aus der Hand und verwirklichten ihn auf ihrem kantonalen Boden: am 26. April 1833 wurde die Zürcher, am 15. November 1834 die Berner Hochschule eröffnet. Und an beide ging aus der bisherigen eidgenössischen und interkantonalen Abwandlung der Universitätsangelegenheit ein doppeltes über: ihnen ward die Lehr- und Lernfreiheit der zuletzt geplanten eidgenössischen Universität zuteil, und sie wurden die Träger der nationalen Aufgaben der Universität.

Die Bestimmung für nationale Zwecke, der nationale Charakter ward also unserer Hochschule mitgegeben von Anfang an; ihre Gründung war

ein Teil der Regeneration unseres bernischen Staatswesens, und zugleich übernahm sie das Erbe eidgenössisch nationaler Aufgaben, die von den Patrioten der Helvetischen Gesellschaft, von Franz Urs Balthasar bis Stapfer, von Stapfer bis Kasimir Pfyffer einer eidgenössischen hohen Schule zugewiesen waren.

Von der Stunde ihrer Gründung an verschärft und vertieft sich das Bild des nationalen Wesens unserer Hochschule.

Durch den Willensakt des bernischen Volkes ist sie ins Leben gerufen, durch wahrhaft grossen patriotischen Opfersinn ausgestattet, mit allen Subsidiäranstalten ausgebaut und aufrecht erhalten mit den Mitteln des Volkes, täglich und stündlich hat sie sich zu erfreuen der verständnis- und liebevollen Fürsorge der Behörden des Volkes, vor allem ihres nächsten Fürsorgers, unseres Erziehungsdirektors; jedes Doktordiplom, das sie ausstellt, erinnert sie daran, dass sie handelt unter den Auspizien des Rates und Volkes von Bern.

In den siebenzig Jahren ihres Bestehens hat sie zum Entgeld dem Volke herangebildet ganze Generationen seiner Staatsmänner und Seelsorger, seiner Aerzte, Juristen und Lehrer. Dass der geistige Haushalt unseres Volkes wohlbestellt war, das war in hervorragender Weise ihre Arbeit. Aber was unser Volk an ständigem Nachwuchs von seiner Universität haben wollte, das waren nicht bloss ihres Berufes Kundige, das

waren wägste und beste Bürger — junge Männer, reif an politischem Verständnis, stark an patriotischem Opferwillen, erfüllt von patriotischen Idealen, offenen Herzens für die Bedürfnisse und die Sorgen des Volkes, fern von dem kalten, egoistischen politischen Indifferentismus und von blöder Blasiertheit.

In der Stunde der Eröffnung der Hochschule sagte es der Erziehungsdirektor Neuhaus ihren Lehrern "Möge nach dem Beispiel des Altertums die grosse Idee des Vaterlandes allgegenwärtig sein, möge sie überall ihre Gewalt und ihren segensreichen Einfluss kundtun, möge sie stets in Ihren Vorträgen der Grundton sein. Die Republik Bern, die ihre Söhne Ihnen anvertraut zur Heranbildung in den nützlichen Wissenschaften, verlangt von Ihnen, ihr auch Bürger heranzubilden."

Und aus dem Munde ihres ersten Rektors kam die Antwort: "Unablässig umschwebe uns der Geist des Volkes, aus dem die Hochschule, deren Bürger und Mitarbeiter wir heute geworden sind, hervorging."

So möge es sein und bleiben. Allerdings, unsere Hochschule betreibt, wie Paulsen von den Universitäten überhaupt einmal gesagt hat, kein Geschäft der Erziehung zum Patriotismus, das könnte sie auch gar nicht, denn sie hat es nicht mit Unmündigen zu tun, und dessen bedarf es gottlob nicht dei unserer akademischen Jungmannschaft. Aber immerdar soll durch diese

Hallen der starke Hauch vaterländischen Wesens ziehen, immerdar soll diese Hochschule die Stätte sein, wo politische Einsicht, das Verständnis für das geschichtliche Leben und für die Aufgaben des Volkes und damit auch Anhänglichkeit und Liebe zu ihm verstärkt und vertieft wird, wo der Sinn für nationale Ehre nicht erlischt und die patriotische Willenskraft sich stählt.

Auf unserer Seite soll dieser nationale Geist nie ausarten zu jenem bösen Nationalismus, der das Gefühl für menschliche Werte vernichtet; wir werden das Wort Lessings nicht vergessen, dass es eine Grenze gibt, jenseits derer auch der Patriotismus aufhört, eine Tugend zu sein, und wir wollen der Mahnung Paulsens nicht bedürfen, die er an das deutsche Volk richtet: "Auf die Spitze getrieben, vernichtet der Nationalismus so gut als der Konfessionalismus das sittliche und selbst das logische Gewissen; gerecht und ungerecht, gut und böse, wahr und unwahr verliert seine Bedeutung; was man, wenn andere es tun, schimpflich und unmenschlich nennt, empfiehlt man in demselben Atemzuge dem eigenen Volk, einer fremden Nation anzutun." (Paulsen, die deutschen Universitäten, S. 331.)

Von seiten derer aber, die zu uns kommen, verlangen wir Achtung vor unserer Eigenart, Achtung vor unseren vaterländischen Sitten und Bräuchen, Achtung vor allem, was einer Nation lieb und teuer ist, und wir meinen, dass sie bei unserem Volk und in seinen Instiutionen mancherlei

finden können, wodurch das Herz erhoben, der Kopf geklärt und nützliches Wissen gemehrt wird, kurz mancherlei, das des ernsten, sympathischen Studiums würdig ist.

Ich rede von denen, die zu uns kommen; denn so scharf auch der nationale Charakter unserer Hochschule sich ausprägt, eine Absperrung gegen das Ausland lag und liegt nicht im Geiste unseres Schulwesens. Schon das alte Bern beförderte einerseits mit ausgiebiger finanzieller Unterstützung den Besuch fremder Universitäten durch bernische Studenten und gewährte anderseits ausländischen Studierenden, Waldensern, Ungarn, Siebenbürgern, nicht bloss Aufnahme an seiner höheren Schule, sondern unterstützte sie, wie Kollege Haag in seiner Festschrift über unsere hohen Schulen dargelegt hat, aus staatlichen Mitteln; "es bildete sich eine feststehende Sitte aus, nach welcher regelrecht vier hungarische Stipendien ausgerichtet wurden. Man verabreichte den Ankommenden eine Kleidung, dann wurden sie gewöhnlich zwei Jahre lang vertischgeldet, und bei ihrer Abreise erhielten sie pro pallio et viatico noch 30 Thaler". Der Staat hat für diese ungarischen Studenten bis zum Jahre 1786 87,138 Pfund ausgegeben und zugleich zu den, von den evangelischen Orten gemeinsam ausgelebten waldensischen und ungarischen Stipendien bis 1798 30,000 Gulden beigetragen.

Das geschah allerdings aus Rücksichten einer grossen internationalen kirchlichen Politik; aber

es geschah doch gegenüber Ausländern und zwar zu einer Zeit, wo man die Engherzigkeit besass, die eigenen Landeskinder, wenn sie nicht Vollburger, nur Bauernsöhne, Ausburger und Habitanten waren, aus der höheren Vorschule und Schule auszuschliessen und auszustossen.

Als dann Stapfer seinen grossen Plan einer eidgenössischen Universität entwarf, stellte er auch das fremde Element mit in Rechnung; er verwies das Direktorium darauf, dass die helvetische Nationalanstalt allmählich talentvolle Leute aus allen Ländern bei sich aufnehmen und ausländische Studierende in Masse an sich heranziehen könne. Er erwartete nur Nutzen davon, und das Direktorium selber verkündigte (am 19. Februar 1799) dem helvetischen Grossen Rat in einem Atemzuge: "Die vaterländische Jugend wird sich in diesen Tempel drängen, die der umliegenden Staaten wird herbeieilen, um Anteil an diesen Vorzügen zu erlangen."

Wie endlich unsere Hochschule mit die Stellvertretung übernahm für die Stapfersche Nationaluniversität, tat auch ihr erster Rektor, Snell, bei der Eröffnungsfeier den Wahrspruch: "Die hiesige Hochschule wird freudig die heute eröffnete Laufbahn betreten, um mit ähnlichen Anstalten der Schweiz, besonders mit der Schwesteranstalt in Zürich, Hand in Hand den Segen der Bildung und geistigen Freiheit im ganzen Vaterland zu verbreiten und zugleich einer der grössten Ideen der Geschichte, der Idee nämlich,

welche in Deutschland alle Universitäten zu einem Gesamtfreistaat der Geister und der Wissenschaften vereinigt hat, in der Schweiz eine Pflege- und Pflanzstätte und vielleicht eine Zufluchtsstätte für eine bessere Zukunft Deutschlands zu bereiten." "Denn die jetzige unnatürliche Ideensperre widerspricht den Grundsätzen des alle Völker verbindenden geistigen Lebens, aus welchem das Bedürfnis der Hochschule selbst hervorgeht."

Von Anfang an und bis zum heutigen Tag musste und muss man in der Tat weit entfernt sein von jeder Absperrung unserer Hochschule, vielmehr durchdrungen von ihrer internationalen Bedeutung, sei es, dass man an die Vergangenheit des Universitätswesens überhaupt, sei es, dass man an Wesen und Aufgabe der modernen Universität, sei es, dass man an gewisse diese Frage Frage der Internationalität berührende Besonderheiten unserer Verhältnisse denkt.

An die Geschichte des Universitätswesens: Die Universität des Mittelalters hiess studium generale im Gegensatz zum studium particulare, der Schule für den einzelnen Ort oder engeren Bezirk. Eine jede von ihnen war Lehranstalt für die ganze Christenheit, ohne Rücksicht auf nationale und territoriale Grenzen; sie wurde ins Leben gerufen durch die zentrale und internationale geistliche Autorität, durch eine Errichtungsbulle des Papstes und später wohl auch durch

einen Akt der zentralen und internationalen weltlichen Autorität, durch kaiserliches Privileg. Die von diesen alten Universitäten erteilten Grade wurden anerkannt in der ganzen Christenheit, und so stellt sich die neuerdings beliebte nationale Beschränkung der Geltung der Doktorwürde als die Verlegung eines der ursprünglichsten Universitätsrechte dar. Von überall her strömten die Studierenden zu diesen grossen internationalen geistigen Zentralstätten, und insbesondere ergoss sich ein nach Tausenden zählender Strom von deutschen Studierenden in nicht abreissender Folge nach Bologna und Paris. Und in der Verfassung selbst dieser Universitäten kam ihr internationales Wesen zur Geltung durch ihre Gliederung nicht bloss nach Fakultäten, sondern auch nach Nationen, nach Nationen zum Zweck der Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit.

So war insbesondere auch die erste Universität des deutschen Reiches, Prag, gestaltet. Sie war als studium generale vom Papst privilegiert und hatte sich verfassungsmässig in vier Nationen gegliedert: die böhmische mit Ungarn und den Südslaven, die bayrische für Süddeutschland, die Schweiz und die Niederlande, die sächsische für Norddeutschland und Skandinavien, die polnische für Ostdeutsche, Polen und Russen.

Mit Freuden schildert ein Zeitgenosse, der böhmische Chronist Beness, dies Völkergewimmel in Prag:

"Es kamen dorthin Studenten von fernher, von England, von Frankreich, aus der Lombardei, aus Ungarn, aus Polen und aus den umliegenden Gebieten — von allen Enden der Welt. Und die Stadt Prag wurde infolge ihrer hohen Schule gar sehr gefeiert und berühmt, und wegen der Menge von Scholaren wurde das Leben daselbst etwas teurer, weil eine ungeheure Masse von ihnen dort zusammenströmte," und, so dürfen wir hinzufügen, auch deshalb eine recht bunte Masse, weil ausser sehr reifen Leuten auch solche in grosser Anzahl kamen, die in besonderen Vorkursen erst im Latein vorgebildet werden mussten.

Das fröhliche gelehrte Treiben währte ein halbes Jahrhundert lang. Da führte der Konflikt zwischen der nationalen Partei und den Fremden, zwischen der böhmischen Nation und den drei anderen Nationen zu dem grossen Exodus der Fremden im Jahr 1409.

Den Fremden wurde ihr Stimmrecht an der Hochschule verkürzt, der böhmischen Nation wurden drei Stimmen, den übrigen zusammen nur eine Stimme zugesprochen; auch verloren die Fremden das Einwohnerrecht, waren also nur noch geduldet.

Professoren und Studenten verliessen Prag. Für die Ausgewanderten erstand noch im Jahre 1409 eine neue Hochschule in Leipzig.

Für Prag aber war es die Katastrophe; seine wissenschaftliche Bedeutung war fortan vernichtet, in seiner Jsoliertheit verkümmerte es.

Das waren die schlimmen Folgen nationaler Ausschliesslichkeit.

Seit dem 16. Jahrhundert stellten sie sich für die deutschen Universitäten durchweg ein.

Diese Zeiten der territorialen Abschliessung der Universitäten waren zugleich die Zeiten ihrer tiefsten materiellen und geistigen Dekadenz.

Und indem sich die moderne Universität aus diesem Verfall wieder erhob, kehrte sie auch zurück zur alten Internationalität. Nur baute sich dieselbe auf einer neuen Grundlage auf: auf der Grundlage des freien Wissenschaftsbetriebs.

Wahrheit und Wissenschaft sind kein nationales Sondergut, sie sind Gut der Menschheit, für alle bestimmt, Tag für Tag gemehrt durch die wetteifernde Tätigkeit aller Völker, die an dem geistigen Leben der Menschheit teil haben.

Sonach haben die Universitäten, insofern sie Stätten des freien Wissenschaftsbetriebs und der Wahrheitserforschung sein sollen, ein Land zu bestellen, auf dem es keine staatlichen Schlagbäume und keine nationalen Grenzpfähle gibt; sie haben eine internationale Aufgabe und Bedeutung.

Das war auch die bestimmt ausgesprochene Meinung unseres Volkes, da es in dein Gründungsgesetz unserer Hochschule dieser neben der besonderen Aufgabe, die reifere Jugend zur Ausübung jedes wissenschaftlichen Berufes zu befähigen, den allgemeinen Zweck setzte, "die Wissenschaft zu fördern", und da es seinerseits erklärte, seiner Pflicht und Ehre, sowie dem Interesse des

Staates sei es angemessen, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, um die Wissenschaft zu fördern.

So war und ist denn tatsächlich unsere Hochschule der nationale Tribut, den unser Volk beiträgt zu dem internationalen Werk der Wissenschaftspflege; sie ist wie die einzelstücke Beitragsquote zu einem geistig bestehenden Weltwissenschaftsverein.

Diesem Gedanken gab schon bei der Hochschulfeier des Jahres 1843 der Rektor, Prof, Bernhard Studer, Ausdruck mit den Worten: "Ob es anständig sei, dass ein Land die Früchte der Anstrengungen anderer Staaten geniesse und sich nicht nach Kräften bestrebe, einen Teil der allgemeinen Schuld auch zu tragen, ob es klug wäre, den haushälterischen Egoismus des Privatlebens zur Staatsmaxime zu wählen, mögen andere entscheiden. Uns will es weder anständig noch klug erscheinen. Von der Grösse des Beitrags, den das einzelne Volk im Interesse der Humanität dem gemeinen Besten bringt, ist die Achtung abhängig, die dasselbe in der Gegenwart wie in der Geschichte geniesst."

In diesem Sinne ist die Internationalität der Universitäten zurückgekehrt, anderswo wie bei uns im besonderen. Die Pforten der Hochschulen sind weit geöffnet allen, die Wahrheit und Wissenschaft suchen, die nur Wahrheit und wissenschaft suchen. In Deutschland freuen sich dessen die

Einsichtigsten des Volkes; ein Paulsen jubelt gerade heraus:

"Und wirklich ist die alte Internationalität zurückgekehrt; wie im Mittelalter die Studenten aus allen Ländern auf die italienischen und französischen Generalstudien zogen, so kommen gegenwärtig die Fremden vom fernen Westen . . . vom fernsten Osten nach Deutschland, um auf unseren Universitäten in die wissenschaftliche Arbeit sich einführen zu lassen."

Haben wir nicht auch Grund, diese Bewegung zu begrüssen, und können wir nicht vielleicht ein Beispiel geben, sie verständig zu lenken?

Wir haben unseren besonderen Grund, uns der Beseitigung der nationalen Schlagbäume auf dem Boden des Universitätswesens zu freuen; denn unsere Hochschule hat die Massregeln der Absperrung am eigenen Leibe erduldet, noch ehe sie das Licht der Welt erblickte. Als die Kunde nach Frankfurt gelangte, dies Kind des republikanischen Nachbars werde erwartet, da erging im September 1834 vom Bundestag das Interdikt über die noch nicht geborene Berner Hochschule; alle Untertanen deutscher Bundesstaaten erhielten die Weisung, sorgsam jede Berührung mit dem kommenden gefährlichen Säugling zu meiden.

Die Herangewachsene hat die schöne Genugtuung, dass der Verkehr zwischen ihr und gerade diesen Nachbarn sich besonders rege und freundlich gestaltet hat; ihre Kindheitserinnerung aber wird ihr auf immer eine Warnung sein: sie ward

geboren unter fremdem Interdikt, sie wird nicht damit endigen, dass sie sich selbst interdiziert.

Wir sind uns zudem bewusst, dass die Besonderheit unserer Verhältnisse uns die Bestimmung zuweist, bei der Frage der Internationalität des Hochschulwesens eine hervorragende Rolle zu spielen.

Das eidgenössische Gemeinwesen hat für sich schon ein internationales Aussehen in seiner Zusammensetzung aus drei Nationalitäten; es hat von vorneherein die Aufgabe, seine nach nationaler Abstammung verschiedenen Glieder in sich zu vereinigen, also eine Art internationaler Aufgabe an der eigenen Nation, und es bietet hinwieder durch diese internationale Zusammensetzung den aus dem Ausland zu uns Kommenden das Mittel verhältnismässig leichter Verständigung und bequemer Aneignung fremder Sprache und Wissenschaft.

Die Schweiz erfreut sich im Verein der Staaten der völkerrechtlichen Anerkennung als neutraler Staat, und diese politische Neutralität macht sie vor anderen geeignet, auch an dem Werk der neutralen und internationalen Wissenschaftspflege teilzunehmen. Sie ist dazu die ehrwürdige Stätte der politischen Freiheit, zu der freier Wissenschaftsbetrieb sich am besten schickt.

Unser kleiner Staat ist nicht grossem fremdem Argwohn und verhältnismässig geringen Eifersüchteleien, Rivalitäten und Abneigungen ausgesetzt

und auch aus diesem Grunde zu einer internationalen Sammelstelle besonders gut geartet.

Unser Volk hat durch die lange Uebung seiner politischen Selbsterziehung und Selbstregierung und durch die reichen Erfahrungen seiner Geschichte eine politische Selbständigkeit, Reife und Selbstsicherheit erlangt, die es instand setzen, andere zu verstehen, Fremdes gerecht zu würdigen, duldsam zu sein und nationalistische Unarten zu meiden.

Unser Land besizt den alten Ruhm einer Stätte der Zuflucht vor politischem Unverstand, Ungerechtigkeit, Engherzigkeit — wie könnte es sich dem Beruf entziehen, ein Asyl auch den geistig Bedrängten und Verkürzten fremder Lande zu sein, denen, die in der Wüste nach Wahrheit und Wissenschaft dürsten?

Unser Land ist der Sitz so vieler Veranstaltungen, die dem Gemeingefühl der Kulturmenschheit, den gemeinsamen Aufgaben und Interessen der zivilisierten Völker, dem Zusammenwirken aller Staaten entspringen — wie könnte es da zurückbleiben bei der grossen Veranstaltung für internationale Pflege der Wissenschaft?

Unser Land ist zufolge seiner zentralen Lage und der Vorzüge seiner wundervollen Natur der Anziehungspunkt und die Sammelstätte für ganze Völkerscharen, ein regelmässiges Stelldichein der Nationen; es ist die natürliche Hochburg des kontinentalen Europa mit weiter, freier Ausschau und Niederschau auf die Lande ringsum, kein Standort

für Kurzsichtige und Engsichtige, und die Zinnen seiner Berge, heranragend zu den Regionen des Lichts und der Klarheit, reissen der Menschen Gedanken empor über Engigkeit und Kleinheit und Niedrigkeit in das Reich der unermesslichen Weite und des unendlichen Friedens mit dem einen Licht, das herabscheint auf die eine Menschheit, dem Licht, von dem Wahrheit und Wissenschaft ein Strahl ist.

Ich schliesse: Unsere Hochschule ist ein nationales Institut; Hausherr ist hier unser Volk, Kinder des Hauses seine Söhne und Töchter, die an dieser Stätte zu den höheren Berufsarten, deren ein Gemeinwesen bedarf, sich heranbilden.

Aber dieser Hausherr übt in liberalster Weise Gastfreundschaft, so weit die Räume seines Heims es zulassen.

Und die Wissenschaft, um die man sich hier mühet, ist kein Sondergut, sondern menschliches Gemeingut. Wen also das ernste Streben nach Wahrheit und Wissenschaft hierher führt, und wer dabei mit sich bringt die geistige und sittliche Ausrüstung, die zum höheren Berufsstudium befähigt, der mag unser akademischer Mitbürger und Gast unseres Volkes sein; er wird sich auch betragen, wie es einem Gaste geziemt .