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Krankheitsursachen und Krankheitsverhütung.

Von
Prof. Dr. O. HAAB,
Direktor der kantonalen Augenklinik in Zürich.
ZÜRICH.
Verlag: Art. Institut Orell Füssli. 1905.

Krankheitsursachen und Krankheitsverhütung.

Rede, gehalten an der 72. Stiftungsfeier der Hochschule zu Zürich

von Prof. Dr. O. Haab, z. Z. Rektor.

P. P.

Es hat einen ganz besonderen Reiz, im Lichte der neueren Forschung die oft so verschlungenen Pfade zu wandern, welche durch die Menge von Erfahrungstatsachen und Experimenten hindurch zu der Erkenntnis der Krankheitsursachen hinführen. Es eröffnet dies dem Arzte und Forscher eine Fülle neuer Gesichtspunkte für weitere fruchtbare Arbeit zum Heile kranker Menschen und Tiere.

Auch der Nicht-Mediziner folgt nicht ohne Nutzen den Erörterungen dieser Fragen, so weit sie für ihn verständlich gemacht werden können. Allerdings ist diese Verständlichmachung eine nicht ganz leichte Sache. Denn es fällt sogar dem Arzte, der den Forschungen z. B. allein schon der Immunitätslehre in den letzten 10 Jahren nicht folgte, schwer, sich ein klares Bild zu verschaffen von den äusserst komplizirten Vorgängen, welche zum Verständnisse dieser Lehre erforderlich sind, also der Lehre von der Bekämpfung oder Heilung der bakteriellen Erkrankungen durch tierische Schutz- oder Impfstoffe. Es hat in wenigen Jahren diese Richtung der Forschung und die Summe deren Ergebnisse einen so gewaltigen Umfang erreicht, dass schon durch die Fülle des Stoffes allein ein fortwährender Überblick in diesem Wissenszweig erschwert wird. Dazu kommt, dass diese Richtung der Forschung, die sich mit der Lehre von den Schutzstoffen und mit der Immunisirung befasst, sich aus der ebenfalls sehr komplizirten Wissenschaft von den Bakterien herausentwickelte und in ein Gebiet des menschlichen Denkens führt, das mit zum Teil ganz eigenartigen Gedankengängen operirt, wie sie z. B. namentlich in der Ehrlichschen Seitenkettentheorie zum Ausdruck

gelangen. Wer nicht nach den Gesetzen der organischen Chemie zu überlegen und zu kombiniren versteht, kann da schwer folgen.

Angesichts der grossen Bedeutung, welche die Chemie für das Studium der Bakteriologie und namentlich für die Immunitätsforschung hat, kann man mit Bestimmtheit annehmen, dass die Zukunft der medizinischen Forschung bezüglich der Ursachen und Heilung der Erkrankungen wesentlich auf dem Gebiet der organischen Chemie liegen werde, und dass auch die Physiologie, speziell diejenige des Protoplasmas, d. h. der belebten Substanz mehr und mehr in chemischer Richtung ihre Fortschritte suchen und finden werde.

Treten wir nun der Verdeutlichung dieser Materie, speziell zunächst den Ursachen der Erkrankungen näher.

Wenn der Arzt einen Kranken untersucht hat und ihm nach reiflicher Überlegung und mit Berücksichtigung aller bei der Untersuchung gefundenen Tatsachen kundgibt, woran er leidet, also ihm die Diagnose mitteilt, so vernimmt er mit grosser Regelmässigkeit zunächst die Frage "aber woher kann so etwas kommen?" Ganz besonders dann erfolgt diese Frage, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, welche einen Menschen befiel, der bis dahin gesund war oder wenigstens sich gesund fühlte, der vielleicht glaubte, eine Erkrankung könne gar nicht an ihn gelangen. Die Frage wird in der Regel um so energischer formulirt, je unangenehmer der Charakter des vom Arzte konstatirten Leidens ist. Hie und da klingt aus ihr auch der leise Vorwurf heraus: wie können Sie glauben, dass ich, der ich bis jetzt stets gesund war, regelmässig und solid lebte, einer solchen Krankheit anheimfallen könnte.

Dabei vergisst mancher Patient, dass schon mehrere Angehörige seiner Familie an gleicher oder verwandter Krankheit gelitten haben, er vergisst vielleicht diese und jene Erkrankung, die er vor Jahren durchgemacht und die er wegen ihrer kurzen Dauer oder scheinbaren Geringfügigkeit vergessen hat. Vielleicht hat er sie auch gern vergessen, da sie ihn an Dinge erinnert, die er lieber ungeschehen machen würde, wenn dies möglich wäre.

Diese familiären oder intimeren Momente haben zur Folge, dass der Arzt an die Beantwortung der Frage, woher die betreffende Erkrankung rühre, in vielen Fällen nur mit Vorsicht und oft mit etwas Missbehagen herantritt. Er weiss, dass dem Patienten die Eröffnung, sein Leiden beruhe auf Vererbung oder familiärer Disposition, unangenehm ist. Er kann dies sehr oft schon dem Umstande entnehmen, dass bei seinen Nachforschungen nach Erkrankungen in der Familie der Patient meist zunächst versichert: "In meiner Familie war immer

alles gesund", auch wenn es vielleicht bei genauer Nachfrage nicht ganz zutrifft. Dieses Reinwaschen der Familie und das Bestreben auch des Einzelnen, möglichst gesund zu erscheinen, führt ja oft zu der in Zeitungen und Todesanzeigen zu lesenden derben Ungerechtigkeit gegen die Ärzte, welche lautet: "Er starb an den Folgen einer Operation", während es in der Regel heissen sollte: "Er starb trotz vorgenommener Operation".

Der sorgfältige Diagnostiker orientirt sich über die Gesundheitsverhältnisse der Familie schon deshalb, weil erstens eine allfällige familiäre Disposition eine Hauptstütze für die Diagnose abgeben kann, z. B. in der Richtung der Tuberkulose, des Krebses usw., weil zweitens er sich nicht begnügt, zu konstatiren, dass ein Kranker z. B. eine Gelenkentzündung, eine Gehirngeschwulst oder eine Regenbogenhautentzündung hat, sondern weil er dieser Diagnose, wenn immer möglich, die weitere Präzisirung zu geben trachtet, welche ihrer Ursache näher geht. Er wird also auch gleich zu erforschen suchen, ob es sich um eine tuberkulöse Gelenkentzündung, um eine tuberkulöse Gehirngeschwulst oder um eine tuberkulöse Regenbogenhautentzündung handelt. In den meisten Fällen wird also die Diagnose durch eine Doppelbezeichnung ausgedrückt, deren Hauptwort die Erkrankung im allgemeinen bezeichnet, also z. B. Gelenkentzündung. Dieses Hauptwort wird dann ergänzt durch das Beiwort tuberkulös, rheumatisch, syphilitisch usw. Das Beiwort ist oft wichtiger als das Hauptwort, denn es gibt Auskunft über die ursächlichen Verhältnisse und damit einen wichtigen Fingerzeig für die Behandlung. Denn wenn die genannte Gelenkerkrankung oder die Regenbogenhautentzündung rheumatischer Natur sind, werden ganz andere Medikamente für die Behandlung notwendig sein, als wenn es sich um einen tuberkulösen Prozess handelt. Es werden Salicylpräparate zu geben sein, während bei einem tuberkulösen Leiden die Behandlung andere Bahnen einzuschlagen hat.

Die ursächlichen Momente geben also wertvolle Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Behandlung. Freilich ist mit der Bezeichnung tuberkulös, rheumatisch usw. noch nicht die eigentliche Grundursache der Erkrankung bezeichnet. Denn nun erhebt sich die weitere Frage, warum ist der Kranke tuberkulös, warum ist er rheumatisch durchseucht?

Mit dieser Fragestellung gelangen wir zu den schwierigeren Problemen der Krankheitserforschung. Wir wissen, dass die tuberkulöse Erkrankung, welche in fast allen Organen und Teilen des menschlichen Körpers sich festsetzen und zu akuten oder chronischen Entzündungen,

Wucherungen, Ergüssen usw. führen kann und in den Lungen die leider so häufige Schwindsucht veranlasst, auf der Ansiedlung von Tuberkelbazillen in den betreffenden Geweben beruht, dass es sich also um eine Infektionskrankheit, um eine von aussen durch einen Krankheitserreger in den Körper hineingetragenen Prozess handelt. Aber wir wissen auch schon lange, dass die tuberkulöse Infektion nicht bei jedem Menschen zu schwerer resp. tötlicher Erkrankung führt, sondern dass dafür eine gewisse Disposition nötig ist. Die Bazillen allein genügen demnach nicht zur Entwicklung der Erkrankung, sondern sie müssen in dem betreffenden menschlichen oder tierischen Körper ihnen zusagende Bedingungen finden, damit sie gedeihen, sich durch Wucherung ausbreiten und damit die befallenen Gewebe schliesslich zerstören können. Bei den meisten Menschen jedoch gelingt es glücklicherweise den Körpergeweben, über die eingedrungenen Tuberkelbazillen mit oder ohne ärztliche Hilfe Herr zu werden, sich ihrer allmälig wieder zu entledigen, womit der Krankheitsprozess zur Heilung gelangt. Es ergaben die Forschungen der letzten 20 Jahre, dass die meisten Menschen zu irgend einer Zeit ihres Daseins einmal eine tuberkulöse Erkrankung, sei es in den Lungenspitzen, sei es anderswo, in Knochen, Gelenken usw. durchmachen, dass aber der Prozess ausheilt, manchmal ohne dass der Betroffene viel davon merkt, so dass dieser ein beträchtliches Alter erreichen kann und schliesslich an etwas ganz anderem als an Tuberkulose stirbt.

Nicht nur vermittelst minutiöser Durchsuchung der Leichen nach Spuren von Tuberkulose kann die Häufigkeit dieses Krankheitsprozesses nachgewiesen werden, sondern es lassen sich auch am Lebenden Anhaltspunkte hiefür gewinnen und zwar durch Anwendung der Tuberkulininjektion. Das Tuberkulin ist jene aus Tuberkelbazillen gewonnene Flüssigkeit, durch deren Einspritzung unter die Haut Rob. Koch gemäss seinen Mitteilungen vom Jahre 1890 Tiere gegen Tuberkulose schützen und sie davon heilen konnte. Das Tuberkulin hat dann aber, als es beim Menschen angewendet wurde, zunächst nicht jene heilenden Eigenschaften gezeigt, die man von ihm erwartet hatte, es kam deshalb rasch in Misskredit, wird nun aber seit einigen Jahren allmälig wieder mehr und mehr auch zu Heilungszwecken angewendet und erzielt in manchen Fällen sehr gute Wirkung.

Von einer wertvollen Eigenschaft des Tuberkulins ist aber seit seiner Entdeckung durch Koch stets Gebrauch gemacht worden, zunächst beim Tier, später auch beim Menschen. Es ist dies die Eigenschaft, verborgene Tuberkulose oder Perlsucht, wie die Krankheit beim Rindvieh

genannt wird, dadurch zu offenbaren, dass wenn davon eine auch nur ganz minimale Menge unter die Haut gespritzt wird, hierauf bald ein Fieberanfall folgt. Manchmal tritt zu diesem auch noch eine lokale Reaktion, das heisst der Krankheitsherd gerät vorübergehend in den Zustand der Kongestion oder leichten Entzündung, wird dabei schmerzhaft und dadurch offenbar, auch wenn er in der Tiefe sitzt. Bei oberflächlichen Affektionen kann diese Lokalreaktion direkt gesehen werden, so auch am Auge, wo z. B. bei tuberkulöser Regenbogenhautentzündung sich eine deutliche Verstärkung der entzündlichen Erscheinungen für kurze Zeit einstellt. Diese Einspritzungen setzen uns also in den Stand, verborgene oder unklare Fälle von tuberkulöser Erkrankung klarzulegen und festzustellen, ob eine Entzündung in den Lungen, den Nieren, im Auge usw. tuberkulöser Natur sei oder aber von einem ganz anderen Krankheitsgift herrühre. Das zu konstatiren, ist mit den gewöhnlichen Methoden oft recht schwer.

So hat es sich durch eine grössere Zahl solcher diagnostischer Einspritzungen von Tuberkulin, die wir im Laufe der letzten Jahre an der hiesigen Augenklinik vornahmen, feststellen lassen, dass manche Augenentzündungen, die man bis jetzt nicht sicher als tuberkulös nachweisen konnte, z. B. gewisse Regenbogen- oder Aderhautentzündungen, ferner Lederhautentzündungen tuberkulöser Natur sind, auch wenn sie sonstige charakteristische Merkmale dieser Erkrankungsform vermissen lassen.

Wenn nun auch durch die Entdeckung der Tuberkelbazillen durch Koch und infolge der Anwendung des Tuberkulins die Kenntnis dieser Erkrankung eine wesentliche Vertiefung namentlich in der Richtung erfahren hat, dass viele Prozesse als tuberkulös erkannt werden, von denen man früher diese Ursache nicht annahm, so dass wir also über die Häufigkeit der Erkrankung einen richtigeren Begriff bekamen, so muss man gleichwohl an der alten Erfahrung festhalten, dass zu einer stärkeren Ausbreitung des Prozesses im Körper eine gewisse Disposition nötig ist. Es müsste ja sonst die Tuberkulose noch viel häufiger sein.

Es lässt sich ferner unschwer feststellen, dass in manchen Familien die Disposition zu Tuberkulose erblich ist, indem in solchen Familien bald Schwindsucht, bald andere tuberkulöse Erkrankungen im Laufe der Zeit bei den verschiedenen Angehörigen vorkommen. Die Abkömmlinge solcher schwerer Tuberkulösen werden oft zunächst in der Jugend skrophulös, und es lassen sich an ihnen dann häufig später im Leben leichte oder schwere Formen der tuberkulösen Erkrankung

beobachten. Manche kommen mit bloss leichter Erkrankung davon, manchmal erweist sich eine solche aber auch als sehr hartnäckig, und gerade am Auge können wir fast täglich die Beobachtung machen, dass hartnäckige skrophulöse Entzündungen, manchmal schwerster Art, oder in stets erneuten Anfällen wiederkehrende hartnäckige Entzündungen im Bereich der Regenbogenhaut, Aderhaut oder Lederhaut bei Abkömmlingen von Tuberkulösen vorkommen.

Verschiedene Disposition zu Tuberkulose lässt sich aber auch bei den Tieren beobachten, von denen manche, z. B. Affen, Rindvieh, Kaninchen leicht daran erkranken, während z. B. bei Pferden oder Hunden dies nicht der Fall ist.

Weiter können wir beobachten, dass äussere Umstände die Disposition zu Tuberkulose erhöhen, vielleicht auch verursachen. Jede Verschlechterung des Kräftezustandes durch mangelhafte oder einseitige Ernährung, Kummer und Sorgen, schlechte, lichtlose Wohnungen mit verdorbener Luft usw. können der Tuberkulose Vorschub leisten. Diese Momente sind daher besonders wichtig, wenn wir die Verhütung dieser Erkrankung ins Auge fassen.

Zunächst wollen wir an einem weitern Beispiel zeigen, dass auch bei anderen auf Mikroben beruhenden Infektionskrankheiten eine gewisse Disposition eine grosse Rolle spielt. Bekanntlich beruht die Eiterung in der Regel auf der Einwirkung mehrerer Sorten von Eitermikroben auf die menschlichen oder tierischen Gewebe. Diese Eiterpilze treiben sich überall herum, besonders an unsauberen Personen, in unreinen Wohnungen und in schlechter Luft und sobald eine auch noch so kleine Wunde irgendwo vorhanden ist, sind sie bereit, in dem durch die Wunde freigelegten Körpergewebe sich festzusetzen, dort zu wuchern und Entzündung zu veranlassen. Dringen sie von der Wunde in das Blut und verbreiten sie sich damit weiter herum im Körper, so kommt es zu der meist tödlichen sog. Blutvergiftung. Die Erkenntnis dieser Vorgänge und die Massregeln, die die wissenschaftliche Medizin seit den wichtigen Arbeiten von Pasteur, Lister und Koch durch intensive weitere Forschung kennen und beherrschen lernte, bilden die Grundlage der modernen Wundbehandlung, welche Millionen und aber Millionen von verwundeten und operirten Menschen Leben und Gesundheit erhalten hat.

Nun sehen wir, dass auch für die Infektion mit Eiterpilzen eine gewisse Disposition von Bedeutung ist. Manchmal kommt es nicht einmal zu einer erheblichen Ansiedlung der Pilze. Man bekommt bald den Eindruck, dass ihnen in diesen Fällen der Nährboden nicht

passe, dass sie in den Geweben des betreffenden Menschen nicht gedeihen. Oder aber die Eiterkokken fassen Fuss, es kommt zu einem Eiterherd, einem Abszess usw., aber die Entzündung beschränkt sich, und nachdem sie einige Zeit gedauert hat, geht sie zurück, und der Eiter entleert sich entweder von selbst oder mit ärztlicher Hülfe, die Infektion heut. In diesen Fällen gewinnt man den Eindruck, dass der menschliche Organismus mit den Parasiten einen Kampf bestehe, sie nach und nach unschädlich mache und zum Verschwinden bringe. In anderen Fällen aber kann von der kleinsten Wunde, ja von einem Nadelstich oder dem Stich einer Schreibfeder ein Eiterungsprozess ausgehen, welcher dem Verletzten das Leben kostet. In diesen Fällen sind die Eindringlinge kräftiger als die Körpergewebe, diese unterliegen in dem Kampfe, und das Verderben geht seinen Gang.

Ein gutes Beispiel dafür, dass auch für gewisse Eiterkokken eine individuelle Disposition zur Ansiedlung nötig ist, bildet das Eitergeschwür der Hornhaut des Auges, das viele Augen zu grunde richtet oder sie wenigstens eines Teiles des Sehens beraubt. Es genügt die kleinste Verletzung, um bei den zu diesem Geschwür Disponirten den Eiterkokken die Pforte zu öffnen, durch die sie in das Gewebe der Hornhaut eindringen können. Mit ganz wenigen Ausnahmen sehen wir dieses gefährliche Geschwür sich bloss bei Leuten entwickeln, die sich nicht im Vollbesitz der Kräfte befinden, bei denen entweder durch schlechte Ernährung oder durch hohes Alter oder ganz besonders durch beides zusammen die Körpergewebe geschwächt sind. Noch nie sah ich ein solches Geschwür bei gut situirten, wohlgenährten Patienten.

Auch für solche Mikroben, welche vom Darm aus den Menschen angreifen, z. B. bei Cholera und Typhus, besteht in gewissem Sinne individuelle Disposition. Es ist anzunehmen, dass bei ganz normalen Verdauungsverhältnissen eine gewisse Menge Cholerabazillen in den Menschen gelangen können, ohne dass er an Cholera erkrankt. Mit ein paar Durchfällen ist die Infektion erledigt. Zu Typhus scheint die Disposition allgemein resp. gross zu sein, dagegen beobachten wir bei dieser Erkrankung die wichtige Tatsache, dass ihr Überstehen in der Regel vor abermaliger Erkrankung resp. abermaliger Ansiedlung von Typhusbazillen für lange Zeit schützt, ähnlich wie dies in der Regel auch bei Masern, Scharlach, Keuchhusten und Pocken der Fall ist. Bei diesen Erkrankungen erfährt also der menschliche Organismus eine Veränderung, die ihn für eine abermalige Invasion des betreffenden Krankheitsgiftes, das wir allerdings bei Masern, Scharlach, Keuchhusten und Pocken noch nicht genau kennen, unempfänglich

macht. Bei den Pocken sehen wir ferner, dass auch das Durchmachen der Schutzpocken, einer milden Form der Erkrankung, vor der starken Erkrankung schützt. Da lässt also die leichte Erkrankung etwas im Körper zurück, das ihn vor der gefährlichen Infektion schützt, aber allerdings nur für 8-10 Jahre, so dass dann die Impfung erneuert werden muss.

Bei der Diphtherie dagegen besteht eine solche durch die Krankheit geschaffene Immunität nicht. Das Überstehen einer auch schweren Erkrankung schützt nicht vor abermaliger späterer Infektion. Aber wir sehen bei diesem Prozesse auch eine individuelle Disposition insofern, als er mit Vorliebe Kinder, selten Erwachsene befällt. Der Erwachsene besitzt also etwas in seinem Körper, das die Ansiedlung der Diphtheriebazillen erschwert.

Leider ist für die so wichtigen, sehr verbreiteten und grosse Schädigungen anrichtenden venerischen Krankheitsgifte die Empfänglichkeit eine allgemeine, und es schützt ihr Überstehen auch nicht vor abermaliger Erkrankung.

Infektiöse Erkrankungen des menschlichen oder tierischen Körpers werden nun nicht bloss durch Pilze verursacht, sondern auch durch kleinste Lebewesen tierischer Natur, von sogenannten Protozoën. Ein Beispiel für diese Kategorie parasitärer Erkrankung bildet die Malaria, das Wechselfieber, dessen Protozoën durch eine gewisse bei uns nicht vorkommende Stechmückenart dem Menschen eingeimpft werden. Auch die afrikanische Tsetsefliege überträgt solche Protozoën auf Vieh und Mensch. Beim letzteren kommt dadurch die erst in letzter Zeit genauer studirte, mit Tod endigende Schlafkrankheit der afrikanischen Neger zu stande, während beim Vieh ebenfalls tödliche Erkrankung auftritt, so dass in gewissen Gegenden Afrikas der ganze Viehstand durch diese Fliege vernichtet wird. Wahrscheinlich wird auch das so gefährliche gelbe Fieber in ähnlicher Weise durch Mücken übertragen.

Der Nachweis solcher Protozoën ist oft recht schwierig, da sie den Gewebezellen, aus denen unser Körper aufgebaut ist, ähnlich sehen können. Man darf vermuten, dass gewisse Erkrankungen des Menschen und der Tiere mit parasitärem Charakter für die bis jetzt trotz eingehender Forschung Mikroben als Ursache nicht nachgewiesen werden konnten, auf Infektion mit Protozoën beruhen. Auch für den Krebs hat man das vermutet, aber die zahlreichen, in dieser Richtung vorgenommenen Untersuchungen haben bis jetzt diese Vermutung nicht bestätigen können.

Man hat aber bereits so wichtige und relativ viele Protozoën-Erkrankungen feststellen können, dass die Forschung in dieser Richtung noch auf weitere wertvolle Resultate hoffen darf.

Wenn wir auf das bis jetzt Gesagte zurückblicken, das nur einige Hauptlinien der durch Infektion verursachten Erkrankungen skizziren kann, so sehen wir, dass zunächst für das Zustandekommen einer Invasion pflanzlicher oder tierischer Mikroben in den menschlichen oder tierischen Körper eine passende Beschaffenheit des letzteren nötig ist. Die Parasiten müssen dort einen ihnen zusagenden Nährboden finden, d.h. es müssen die ihnen zusagenden Nährstoffe, Temperatur und Feuchtigkeitsverhältnisse usw. vorhanden sein. Die pilzlichen Parasiten sind hiebei gerade so empfindlich, wie die höheren Pflanzen, die überall, wo sie wachsen sollen, die ihnen passenden Bedingungen finden müssen, also z.B. einen gewissen Gehalt des Bodens an Phosphaten und anderen Salzen, an Feuchtigkeit etc. Wir wissen, dass schon eine geringfügige chemische Änderung des Bodens genügt, um das Wachstum gewisser Pflanzen unmöglich zu machen. Dasselbe gilt von anderen Vegetationsbedingungen. Ganz ähnlich verhält es sich offenbar mit den Krankheitspilzen.

Man könnte sich nun einfach vorstellen, dass die Ansiedlung dieser Pilze lediglich, wie bei den höheren Pflanzen, von der chemischen Zusammensetzung des Nährbodens, seiner Feuchtigkeit, Temperatur usw. abhängig sei, so dass man z. B. annehmen könnte, es seien bei denjenigen Menschen, welche für Tuberkulose stark empfänglich sind, die Körpergewebe in ihrer chemischen Zusammensetzung etwas verschieden von denen der nicht empfänglichen, wobei diese vielleicht unbedeutende Verschiedenheit die Disposition dieser Menschen zu Tuberkulose erklären würde. Man könnte ferner die Immunität, welche durch das Überstehen gewisser Erkrankungen oder durch das Alterwerden erworben wird, dadurch erklären, dass die betreffende Erkrankung oder das Alterwerden eine gewisse Änderung in der chemischen Zusammensetzung des Körpers zur Folge hätte.

Diese Hypothese hat vielleicht für gewisse Fälle ihre Berechtigung, aber die Immunitätsforschungen der letzten 15 Jahre haben mehr und mehr gezeigt, dass die Sache viel komplizirter ist, ja von einer Komplizirtheit, die ihresgleichen sucht, so dass es des grössten Scharfsinnes und der verwickeltsten Tierversuche einer Menge von Forschern bedurfte, um sie auch nur einigermassen verstehen zu lernen.

Eine nähere Überlegung sagt uns ja schon, dass die obige Erklärung der Disposition für einen wichtigen Vorgang gar nicht

ausreicht, nämlich für die Abwehr des Organismus gegen parasitäre Pilze, wie wir sie beispielsweise bei den Eiterpilzen kennen gelernt haben. Es würde die Heilung so vieler Infektionen schwer zu verstehen sein. Man müsste geradezu annehmen, dass die Pilze in den Heilungsfällen den Organismus in der Weise chemisch umarbeiten, dass ihre eigene Vegetation damit dauernd verunmöglicht würde.

Nun ist es allerdings richtig, dass auch die Pilze, wie alle Lebewesen, sich gegenseitig ungünstig beeinflussen können, indem sie Stoffe absondern, mit denen sie sich gegenseitig schaden. Auch der Mensch schädigt mit seinen Stoffwechselprodukten seine Mitmenschen, z. B. mit der ausgeatmeten Kohlensäure. Ferner rauben alle Lebewesen gleicher oder verwandter Art sich gegenseitig die Nährstoffe und andere Existenzbedingungen, wodurch ja eben der Kampf ums Dasein entsteht. Wäre dem nicht so, so würden sogar diese an der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit befindlichen Krankheitspilze, von denen 1000 Millionen auf den Kubikmillimeter gehen, in kürzester Zeit sich berghoch vermehren. Eine einfache Rechnung ergibt, dass, wenn ein einziger solcher Mikrobe sich bei stets genügender Nahrung ungestört vermehren könnte, wobei er nach Art seiner Fortpflanzung sich jeweilen, sagen wir in einer Stunde, in zwei teilt und diese wieder in zwei usw., er resp. seine Nachkommen in 6 Tagen alle Meere der Erde würde vollständig ausfüllen können.

Was ist es nun aber, das den Krankheitspilzen im menschlichen und tierischen Körper das Leben sauer macht und ihnen in den Fällen von Heilung schliesslich die Existenz verunmöglicht? Es ist in erster Linie der Kampf des von den Pilzen befallenen Körpers gegen die Eindringlinge, und dieser Kampf ist nun ein ganz merkwürdiger, den wir erst seit wenigen Jahren anfangen, kennen zu lernen. Die Zweckmässigkeit, mit welcher diese Abwehr unseres Körpers gegen die Krankheitserreger zutage tritt, ist eine ganz erstaunliche. Die Schutzvorrichtungen des menschlichen und tierischen Körpers gegen Krankheitsgifte sind aber auch für die Existenz von Mensch und Tier notwendig. Denn wenn wir die enorme Gefahr dieser mikroskopischen Krankheitserreger für die höher organisirten Wesen verstehen wollen, dürfen wir nicht bloss ihre eben skizzirte kolossale Vermehrungsfähigkeit ins Auge fassen, die sich übrigens auch aus den grossen Pest-, Cholera- und Pocken-Epidemien ergibt, sondern wir müssen auch ihre fürchterliche Giftigkeit in Berücksichtigung ziehen. Die Giftstoffe, welche sie abscheiden und welche ihre Waffen bilden, mit denen sie den angegriffenen Organismus sich unterwerfen, gehören

zu den stärksten Giften, die wir kennen. Man hat Tetanusgift, also das Gift der Wundstarrkrampfbazillen, rein gewonnen, von dem ein Zehnmillionstel Gramm (0,0000001) genügen, um eine weisse Maus zu töten, 1) d. h. mit einem Gramm könnte man 10 Millionen Mäuse umbringen.

Allerdings sind nun die verschiedenen Tiere gegen die verschiedenen Pilzgifte ganz ungleich empfindlich. Einen Alligator z. B., oder eine Eidechse, d. h. Kaltblüter, würde dieses Tetanusgift gar nicht schädigen. Hieraus ersehen wir, warum gewisse Tiere gewisse Krankheiten haben, die andere nicht bekommen. Wo also die Pilze durch ihre Giftigkeit nicht die befallenen Gewebe lähmen, schädigen und erobern können, sind sie von vornherein machtlos.

Für Mensch und Tier gibt es nun aber eine grosse Zahl Mikroben, welche in deren Körpergeweben sich vermittelst Vergiftung festsetzen können und dort ihnen zusagende Ernährungsbedingungen finden. Damit sind sie als krankmachend qualifizirt, ob sie nun von selbst oder durch eine Wunde in den Körper gelangen. Diesen gegenüber hat aber der menschliche und tierische Körper, wie schon erwähnt, auch seine Waffen, und zwar tritt in den meisten derartigen Fällen eine Entwicklung von Gegengift in Tätigkeit. Sobald die Pilzansiedlung anfängt, mit Vergiftung gegen die befallenen Gewebe vorzugehen, produziren diese oder auch der ganze Körper Gegengift — Antitoxin —. Dieses Gegengift verbreitet sich auf dem Wege des Blutes und der Lymphe im ganzen Körper, und so tritt durch dessen Einwirkung überall, wo bereits das Gift der Mikroben hingelangte, rasch Entgiftung durch Zerstörung des Pilzgiftes auf. Von besonderer Wichtigkeit ist nun bei diesem Vorgange, dass diese Gegengifte, wenn der Prozess bei einem Tier seinen Verlauf nimmt, durch Gewinnung des Blutes vermittelst Aderlässen bei anderen Tieren oder aber beim Menschen verwertet werden können.

Das bekannteste und bis jetzt wertvollste Vorgehen dieser Art, das wir Behring verdanken, schafft das Gegengift gegen die Diphtherie. Man bringt geeigneten Tieren das Diphtheriegift in nicht tödlicher Dosis durch Einspritzung bei, es entwickelt sich nun in dem Blute dieses Tieres Gegengift, dessen Menge durch stets weitere Zuführung von Diphtheriegift gesteigert wird. Zuletzt ist das Tier. so stark mit Gegengift geladen, oder, wie wir sagen, immunisirt, dass eine ganz grosse, für ein nichtimmunisirtes Tier absolut tödliche Dosis von ihm schadlos ertragen wird. Nun werden die Aderlässe gemacht, und es wird dem Blute das sogenannte Serum, d. h. das Blutwasser,

welches eben das Gegengift enthält, entnommen und konservirt, und wenn nun dieses Immunserum diphtheriekranken Menschen unter die Haut gespritzt wird, so entgiftet dieses Gegengift, indem es sich rasch überall hin verbreitet und auch ins Blut gelangt, den betreffenden Körper und besonders die Stelle, wo die Diphtherie haust. Dadurch, dass das Diphtheriegift z. B. im Rachen des Patienten unschädlich gemacht wird, erholen sich die erkrankten Gewebspartien wieder von ihrer Vergiftung. Es wird gleichsam den Diphtheriebazillen ihre Waffe entwunden, und sobald dies der Fall, ist ihre Existenz in Frage gestellt, und sie werden rasch oder langsam aus dem Erkrankungsgebiet wieder vertrieben, umsomehr, als auch der erkrankte Körper selbst fortwährend, so lange er Diphtheriebazillen beherbergt, Gegengift produzirt. In den leichteren Fällen von Diphtherie, die ja häufig vorkommen und ohne Serumeinspritzungen zur Heilung gelangen, besorgt die Antitoxinproduktion des eigenen Körpers die Entgiftung, also den Kampf gegen die Parasiten. Wo diese aber in besonders bösartiger Sorte und in kräftiger Entwicklung auftreten, da muss man dem kranken Körper mit Gegengift zu Hilfe kommen, das dem Tier entnommen ist.

Dass das bei der Diphtherie mit grossem Erfolge möglich ist, ergibt sich mit aller Bestimmtheit aus den günstigen Resultaten gewissenhafter, statistischer Aufzeichnungen der grossen Krankenhäuser. Aber man muss eben diese Entgiftung des kranken Körpers möglichst bald vornehmen. Denn auch das Gift der Diphtheriebazillen ist ein furchtbares Gift, das rasch den Organismus stark schädigt, und, was oft recht schlimm, ist der Umstand, dass auf dem von den Bazillen befallenen Gewebe sich auch noch andere Pilze, aus der Gruppe der Eiterpilze, ansiedeln. Letztere können rasch auf dem vergifteten und dadurch wehrlosen Gewebe, z. B. im Hals oder am Auge, wuchern und lokale eitrige Zerstörungen, z. B. der Hornhaut des Auges, in Form eines Eitergeschwüres veranlassen. Oder diese Eitermikroben dringen ins Blut, vermehren sich auch dort und verursachen tödliche Blutvergiftung. Haben einmal diese schlimmen Begleiter der Diphtheriebazillen eine stärkere Verbreitung erlangt, so können sie eine ganz selbständige Rolle spielen, wobei man ihnen durch das Diphtherieserum nicht mehr beikommt, denn dieses schädigt nicht sie, sondern bloss die Diphtheriebazillen. Deshalb ist möglichst frühzeitige Anwendung des Diphtherieserums notwendig.

Eine solche Mischinfektion mit mehreren Krankheitsmikroben kommt hie und da vor und spielt auch bei der Lungentuberkulose eine verderbliche Rolle.

Das Diphtherieserum hat aber noch eine weitere wichtige Eigenschaft. Unter die Haut gespritzt schützt es den so behandelten Menschen für mehrere Wochen vor der diphtherischen Infektion.

Das Beispiel der Diphtherie zeigt uns, wie gemäss den neueren Forschungen der Mikrobe die Krankheit verursacht, wie der befallene Organismus sich der Krankheit erwehren kann und auf welchem rationellen Wege die ärztliche Hilfe vor sich gehen kann, wenn die Schutzvorrichtungen des kranken Körpers für die Beseitigung der Infektion nicht ausreichen, oder wenn es gilt, den in Infektionsgefahr befindlichen Menschen vor der Infektion zu schützen. Das Beispiel zeigt auch den Weg, welcher zum Zwecke der Bekämpfung der Infektionskrankheiten überhaupt den meisten Erfolg verspricht. Er ist verheissungsvoll, aber er ist da und dort noch nicht genügend von Gestrüpp gesäubert und der eine und andere Seitenpfad führt noch in schwer durchdringlichen Urwald von Tatsachen und Erscheinungen. Obschon seit der Einführung des Diphtherieserums durch Behring von einer grossen Zahl rastloser Forscher eine unendliche Menge von Arbeit aufgewendet wurde, um anderen Bakterienkrankheiten auf gleich erfolgreichem Wege zu Leibe zu gehen, ist dies in gleich befriedigender Weise bis jetzt nicht mehr geglückt, aber man hat doch gegen Typhus, Tetanus und namentlich gegen Pest Serum gewinnen können, das in vielen Fällen sich günstig erwiesen hat, und namentlich ist es auch gelungen, die Haustiere durch Immunisirung vor verschiedenen Erkrankungen und deren Schädigungen zu schützen.

Aber bei manchen dieser Krankheitsprozesse ist die Gewinnung eines genügend kräftigen Serums eine komplizirte und schwierige Sache, so komplizirt, dass wir hier nicht näher darauf eintreten können. Es sind jedoch auf diesem Gebiete schon so viele Schwierigkeiten siegreich überwunden worden und es beschäftigen sich so viele bedeutende und scharfsinnige Forscher mit dieser ungeheuer wichtigen Arbeit, dass wir an der Hoffnung festhalten dürfen, es werde gelingen, eine grosse Zahl von Infektionskrankheiten mit der Serum- oder Impf-Methode erfolgreich zu bekämpfen.

Das ideale Ziel wäre hiebei das der versorgenden Impfung, resp. Immunisirung, wie wir es bei der Bekämpfung der Pocken durch die Vaccination und Revaccination erreichen, d. h. es wäre weitaus das einfachste, wenn jeweilen dem menschlichen Körper jenes vorderhand noch nicht sicher bekannte "Etwas" beigebracht werden könnte, welches ihn für immer oder doch für lange Zeit vor der betreffenden Erkrankung schützt.

Die Vaccine oder Kuhpocken-Lymphe, mit der wir uns so erfolgreich gegen die gefährlichen Pocken schützen, ist Pockengift, das den Tierkörper passirt und dadurch eine Abschwächung erfahren hat, welche die Impferkrankung zu einer harmlosen Affektion macht. Gleichwohl bewirkt diese harmlose Erkrankung eine Veränderung im Körper, welche gegen die gefährliche und schwere Erkrankung der Pocken schützt, vielleicht dadurch, dass ein Schutzapparat, eine Produktionsstätte für Gegengift gebildet wird, die jedes Haften oder Aufkommen der Pocken verhindert.

In dieser Hinsicht ist eine Beobachtung, welche in grosser Zahl an Tieren gemacht wurde, von höchster Bedeutung, die Beobachtung nämlich, dass, wenn man gewisse künstlich abgeschwächte Krankheitsgifte Tieren einspritzt, diese sofort mit kräftiger Gegengiftproduktion auf diesen Eingriff antworten. Es lässt sich also denken, dass ein ähnlicher unschuldiger Eingriff auch beim Menschen den Schutzapparat in Gang bringen könnte, der durch Antitoxinproduktion die entsprechende Krankheit im Keime ersticken würde. Oder man könnte annehmen, es bliebe eine unbedeutende chemische Änderung im Körper zurück, die aber immerhin ausreichen würde, um die Ansiedlung der betreffenden Pilze zu verunmöglichen.

Es würde sich also bei diesen Heilbestrebungen darum handeln, eine Infektion auf möglichst natürlichem Wege, d. h. mit Benützung oder Verstärkung der natürlichen Heilfaktoren, zu bekämpfen, auch eine Naturheilmethode, wenn Sie wollen, aber eine wesentlich komplizirtere und erheblich höher stehende, als die mit Wasser und Luft, die zurzeit so viel von sich reden macht, die aber mehr für geringfügige Leiden passt. Die grossen Seuchen der Menschheit, die fast alle infektiöser Natur sind, erfordern ganz andere Massregeln, damit ihre fürchterliche Macht und Tücke gebrochen und besiegt werde. Auch mit Medikamenten kommt man den Pilzen, die einmal in unsern Körper gedrungen sind, schwer bei. Wohl haben die Pilze auch ihre spezifischen medikamentösen Gifte, gegen die sie besonders empfindlich sind, aber häufig bringt man eben diese Stoffe nicht an die Pilze heran, ohne auch die menschlichen Gewebe unverhältnismässig zu schädigen.

Bei den Protozoën gelingt so etwas schon eher, so dass wir z. B. im Chinin ein sicheres Mittel besitzen, die Erreger des Wechselfiebers zu schädigen und zu besiegen. In ähnlicher Weise bilden Quecksilber und Jod ganz sichere Mittel für die Heilung der spezifisch venerischen Infektion, deren Krankheitskeime wir freilich noch nicht kennen.

Wenn es einer enormen Arbeit zahlreicher Forscher bedurfte, um nur allein schon die Krankheitspilze als solche kennen zu lernen, so ist das Studium ihrer Einwirkung auf den menschlichen und tierischen Körper, das Verfolgen des Kampfes unseres Körpers gegen die Eindringlinge eine noch viel mühsamere und schwierigere Sache, und es ist wohl möglich, dass wir uns nur langsam der skizzirten rationellsten Bekämpfung mancher dieser Krankheitsgifte nähern.

Aber deshalb dürfen wir nicht mittlerweile die Hände in den Schoss legen und das Bessere zum Feind des Guten werden lassen. Die so enorm wichtige Lehre von den Krankheitsbakterien, welche wir der wissenschaftlichen Arbeit der letzten 30 Jahre verdanken, zeigt uns ja bereits schon Wege, gegen diese Feinde der Menschheit vorzugehen. Schon dadurch, dass die Bakteriologie uns diese kennen lehrte und den Bazillus des Typhus, der Diphtherie, der Tuberkulose, der Cholera und Pest, die Eiterkokken — um nur die wichtigsten zu nennen — als die Erreger der betreffenden Krankheiten feststellte, war schon sehr viel gewonnen, denn nun konnte man erfolgreich gegen diese Krankheiten vorgehen:

1. durch die Vernichtung ihrer Mikroben und deren Existenzbedingungen ausserhalb des menschlichen Körpers, wo immer sie zu finden sind,

2. durch die Beschützung des menschlichen Körpers vor ihrer Invasion, wozu namentlich auch bei vielen Infektionskrankheiten die Bekämpfung aller Momente gehört, welche einer Infektion Vorschub leisten oder die Disposition zur Infektion steigern.

Mit der Befolgung dieser Grundsätze ist schon mächtig viel für die Gesundheit der Völker erreicht worden. Es lässt sich die Cholera damit fernhalten und ebenso die Pest. Es hat der Typhus sich in ganz bedeutendem Grade einschränken lassen. Ein gutes Beispiel dafür bildet München, das früher eine berüchtigte Brutstätte dieser Krankheit war und jetzt durch die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und die Beschaffung guten Trinkwassers in dieser Richtung eine der gesündesten Städte geworden ist.

Nachdem man ferner weiss, dass bei Typhus und Cholera das ansteckende Gift in den Darmentleerungen sich befindet und bei den Schwindsüchtigen im Auswurf, müssen diese Abfallstoffe als besonders gefährlich der hygienischen Überwachung unterworfen und mit Umsicht und Verständnis unschädlich gemacht werden.

Damit ein Kranker aber als ansteckend erkrankt und demgemäss als gefährlich für die Umgebung erklärt werden kann, ist es nötig, seine Erkrankung richtig und rasch zu erkennen, und dafür braucht es gut geschulte Ärzte. Ferner aber braucht es für die Bekämpfung der ansteckenden Erkrankungen, namentlich der grossen Seuchen, ein gut funktionirendes staatliches Gesundheitswesen und richtige Seuchengesetze. Ohne solche wäre Europa wohl schon lange wieder der Pest anheimgefallen, wie in früheren Jahrhunderten.

Also halten wir fest an der exakten Schulung eines tüchtigen Ärztestandes und an der unerbittlichen Handhabung rationeller Gesundheitspolizei.

Zur Bekämpfung mancher Infektionskrankheiten ist das Fernhalten der Krankheitspilze vom menschlichen Körper in der Weise möglich, dass z. B. die Eiterkokken durch geeignete Vorkehrungen von den Operations- und Unfallwunden ferngehalten werden. Zu dieser Fernhaltung gehört unter anderem die peinliche Sauberkeit, welche wir in Krankenhäusern verlangen müssen.

Aber auch dadurch, dass wir die Disposition zur Infektion bekämpfen, können wir viel nützen. Ganz besonders ist dies der Fall bei der Tuberkulose, einer der wichtigsten Krankheiten überhaupt. Es ist bereits schon erwähnt worden, dass der Tuberkulose Vorschub geleistet wird durch jegliche Verminderung des Kräftezustandes eines Menschen, durch ungenügende oder falsche Ernährung, durch lichtlose, unsaubere Wohnungen, in denen die Insassen auf viel zu engem Raume zusammengepfercht sind. Sehr häufig beginnt diese Seuche damit, dass die Kinder skrophulös werden, und aus der Skrophulose heraus entwickelt sich später, wenn die schlechten hygienischen Verhältnisse andauern, die Tuberkulose.

Deshalb haben die Heilstätten für skrophulöse Kinder so grosse Bedeutung. Man sollte ob der Sanatorien für die schon Tuberkulösen, die nun überall errichtet werden, die Heilstätten für die Skrophulösen nicht vergessen, denn diese packen das Übel noch viel mehr an der Wurzel an. Es ist bedauerlich, dass ob der vielen Neugründungen von Wohlfahrtseinrichtungen aller Art die schon bestehenden Heilstätten für skrophulöse und schwächliche Kinder Not leiden. Es ist zu beklagen, dass die grossartigen Kinderheilstätten an der deutschen Seeküste ihre fünfundzwanzigjährige segensreiche Tätigkeit mit einem Notschrei abschliessen müssen, da sie in finanzielle Bedrängnis geraten sind. Und eben so bedauerlich ist es, dass auch unsere Züricher Heilstätte

für skrophulöse und rachitische Kinder in Ägeri nach 20-jährigem Bestehen mit den gleichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie die im gleichen Sinne wirkenden Meerstationen Deutschlands. Wer neue wohltätige Anstalten gründet, sollte stets bedenken, dass dies zum Teil auf Kosten anderer, schon bestehender stattfindet, so dass diese leicht infolgedessen beeinträchtigt werden. Denn die Wohltäter, welche alle diese zahlreichen, gutgemeinten Unternehmungen erhalten müssen, sind in der Regel immer dieselben, und ihre Zahl und ihre Mittel nehmen leider nicht zu mit der Zahl dieser Neugründungen.

Alle diese Kinderheilstätten haben eine grosse Bedeutung namentlich für grössere Städte. Indem sie die Kinder kräftigen, vermindern sie deren Disposition zur Tuberkulose und beugen so in zweckmässigster Weise der Krankheit vor, die, wenn sie einmal ausgebrochen ist, viel grössere Opfer an Zeit und Geld fordert, falls sie geheilt werden soll.

Noch vieles liesse sich sagen über die Verhütung mancher Erkrankung auf Grund der modernen Forschung der medizinischen Wissenschaft, jedoch die Zeit hiefür fehlt, ich musste mich auf einige wichtigere Gesichtspunkte beschränken. Aber eine Frage, die Sie, hochverehrte Anwesende, an mich zu richten alles Recht haben, muss ich noch kurz berühren. Gibt es denn bloss infektiöse Krankheiten? Gibt es nicht viele andere, bei denen Mikroben gar nicht in Betracht kommen?

Gewiss ist letzteres der Fall, die Frage hat ihre Berechtigung, aber die infektiösen Erkrankungen sind weitaus die wichtigsten, weil sie die grössten Verheerungen anrichten, wir aber gleichwohl ihnen am ehesten nach und nach beizukommen hoffen dürfen. Sie bilden ausserdem dasjenige Gebiet der Medizin, das auch einem nichtmedizinischen Kreise einigermassen verständlich gemacht werden kann. Ich schliesse mit dem Wunsche, es möge mir dies in den berührten Punkten gelungen sein.