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DIE WIRKUNG DER ARZNEIGEMISCHE

REKTORATSREDE GEHALTEN AN DER 79. STIFTUNGSFEIER DER UNIVERSITÄT BERN

AM 22. NOVEMBER 1913
VON
PROF. DR. EMIL BÜRGI.
BERN
AKADEMISCHE BUCHHANDLUNG VON MAX DRECHSEL 1914

FR. HAGGENMACHER VORMALS
BUCHDRUCKEREI E. BOLLMANN, LAUPEN-BERN.

Hochgeehrte Anwesende!

Im zweiten Teil des Goetheschen Faust stehen die Worte: "Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht." Seinem Inhalt entsprechend stellt auch dieser Satz nur eine geschickte Variation älterer und ältester Sentenzen dar, von denen das Wort: "Nichts Neues unter der Sonne" wohl die bekannteste ist.

Der Ausspruch Goethes aber ist dem Mephistopheles in den Mund gelegt. Er stellt eine Wahrheit dar, aber eine bedingte, keine absolute. Wohl kehren die gleichen Gedanken, ja Auffassungen und geistigen Stimmungen immer wieder, nachdem sie eine Zeitlang ihren Gegensätzen weichen mussten, aber sichtlich ändern sie dabei ihre Form, und beinah unmerklich mehrt und klärt sich auch ihr Inhalt. So ist auch der Grundsatz, auf Krankheitszustände nicht nur ein einziges Medikament, sondern eine Mehrheit von Arzneien gleichzeitig einwirken zu lassen, nichts Neues.

Es ist ganz nutzlos, nachzuforschen, wer etwa zuerst den Wert einer solchen kombinierten Therapie erkannt haben mag. Geht man von den modernen chemischen Anschauungen aus, so muss man die Behandlung der Kranken mit einer Vielheit von Substanzen sogar als die älteste Form der Medikation betrachten, da die tierischen und pflanzlichen Drogen, die in den früheren Zeiten vorwiegend gebraucht wurden, eine grosse Zahl sogenannter chemischer Individuen in sich schliessen. Der Begriff der Kombinationstherapie ist daher auch in der Gegenwart ein ganz anderer, ein viel

enger begrenzter geworden und er hat an Klarheit gewonnen. Von der Mitte des letzten Jahrhunderts an hatte die Gewohnheit der Aerzte, dem Patienten viele Arzneien auf einmal zu verabreichen, allmählich dem Prinzip, womöglich mit einem Medikament allein auszukommen, weichen müssen 1). Schliesslich kam das Kombinieren vieler Substanzen auf einem Rezept ganz aus der Mode und erst seit einigen Jahren hat wieder ein zielbewusstes Experimentieren und Kurieren mit Arzneigemischen eingesetzt. Wir betrachten ein solches Umschlagen sowohl der allgemein menschlichen als auch der speziell wissenschaftlichen Auffassungen in seinem letzten erkennbaren Grund als den Ausdruck eines Weltgesetzes, das schon die altindischen, vorbuddhistischen Philosophen klar erkannt hatten, und das man etwa mit den Worten wiedergeben kann: Jedes Geschehen wird durch sein Gegenteil ausgelöst. Auch dieser Ausspruch würde als absolute Wahrheit eine trostlose Erkenntnis darstellen. Aber er ist wiederum nur bedingt richtig, trotzdem er eine tiefe Wahrheit enthält.

Seine Gültigkeit macht sich auch für das menschliche Denken bemerkbar. Jedem Bilde folgt hier sein Gegenbild, und die Anschauungen einer ganzen Epoche verschwinden langsam und lassen plötzlich ihre Widersacher zum Wort und zu Ansehen gelangen. Auf allen Gebieten, die dem menschlichen Geiste zugänglich sind, herrscht diese Gesetzmässigkeit, und wenn in der Gegenwart die Behandlung mit Arzneigemischen wieder mehr Interesse und Verwendung findet, so suche ich den Grund dafür hauptsächlich in dem Wechsel der intellektuellen Stimmung, der den Anstoss zur Forschung nach dieser Richtung hin erst gegeben hat.

Unter der Kombinationstherapie kann man nun aber, wenn man nur den durch die wörtliche Bezeichnung gegebenen Sinn betrachtet, sehr vieles und recht verschiedenes verstehen. Wenn man z. B. bei einem Patienten zwei verschiedene

Krankheitssymptome mit zwei verschiedenen Arzneien gleichzeitig bekämpft, so könnte man das auch eine kombinierte Behandlung nennen.

Wir sprechen von einer Kombinationstherapie tatsächlich aber nur dann, wenn die einzelnen Substanzen des Gemisches alle nach der gleichen Richtung hin wirksam sind. Gibt man z. B. einem Patienten ein expektorierendes Mittel, um einen trockenen Katarrh der Bronchien zu lösen und gleichzeitig Digitalis, um die Herzkraft zu steigern, so ist das keine kombinierte Therapie, denn jedes Medikament bekämpft ein besonderes Symptom: daher wirken die zwei Substanzen allerdings zur gleichen Zeit, aber sie unterstützen sich gegenseitig nicht unbedingt, die Effekte können vollkommen aneinander vorübergehen. Freilich, da der Körper eine Einheit darstellt, wird man das eine von zwei Krankheitssymtomen schwerlich beeinflussen können, ohne das andere mitzutreten. Aber die Beziehungen, die aus diesem Grund auch zwischen zwei Arzneien bestehen können, die an ganz heterogenen Organen angreifen, sind zu komplizierter Natur, um heute schon einer zusammenfassenden Betrachtung unterliegen zu können, und sie sind auch mehr durch physiologische als durch pharmakologische Verhältnisse bedingt. So darf sich denn eine Besprechung der Bedeutung von Arzneigemischen auf Substanzgemenge beschränken, deren einzelne Glieder im grossen und ganzen gleichartige Wirkungen haben oder doch wenigstens das gleiche Organ beziehungsweise Körpersystem beeinflussen. Die Frage lautet also in einem praktischen Beispiel ausgedrückt nicht etwa: welche Effekte lösen ein Herz- und ein Fiebermittel gemeinsam gegeben aus, sondern wie wirken zwei gleichzeitig gegebene Herzmittel oder Fiebermittel im Vergleiche zu ihren einzelnen Komponenten?

Die älteren Aerzte haben beinahe nur Arzneikombinationen verwendet, teilweise aus Not, weil die ihnen zur Verfügung stehenden Drogen pflanzlicher und tierischer Herkunft, wie schon erwähnt, immer ein Multiplum von im grossen und ganzen gleichartig wirkenden Substanzen darstellen.

Sie vermehrten aber auch absichtlich die Medikamente auf ihren Rezepten, in dem Bewusstsein, die Heilkraft ihrer Verordnungen damit zu heben. Die namentlich von der Mitte des letzten Jahrhunderts an allmählich erstarkte wissenschaftliche Pharmakologie dagegen konnte die Arzneigemische nicht brauchen. Die organische Chemie hatte die Möglichkeit geschaffen, aus den Drogen reine Substanzen, die sich genau definieren liessen, herzustellen. An dieser Arbeit beteiligten sich unter andern auch die namhaftesten Pharmakologen jener Zeit, die vorwiegend chemisch ausgebildet waren. Die gewonnenen chemisch reinen Stoffe wurden am Tierkörper auf ihre Wirksamkeit geprüft. So erst konnte eine exakte, wahrhaft wissenschaftliche Grundlage für die Arzneimittellehre geschaffen werden. In früheren Zeiten verfügte man weder über chemisch reine Medikamente noch über ausreichend genaue physiologische Methoden. Der experimentelle Pharmakologe der letzten Zeit dagegen verschmähte das Arbeiten mit Drogen von unsicherer, wechselnder und komplizierter Zusammensetzung, ja auch mit Mischungen von bekannten Substanzen, die ihm wegen der Vielfältigkeit ihrer Wirkungen keine brauchbaren Untersuchungsobjekte schienen.

Allmählich ergriff diese Abneigung gegen die Arzneigemenge selbst die Aerzte. Die wissenschaftlichen unter ihnen suchten nach einer experimentellen Begründung für ihre medikamentöse Therapie und fanden sie nur, wenn sie sich an einzelne chemisch reine Substanzen hielten, den andern war eine Vereinfachung der Verordnungen angenehm, weil das Interesse an der Rezepturkunde in einer Zeit, die an die Aerztewelt so viele andere schwer zu erfüllende Anforderungen stellt, abgenommen hat. Es war bequem, komplizierte Rezepte, die man selbst gar nicht mehr verschreiben konnte, als unwissenschaftlich zu bezeichnen und sie damit in guter Art loszuwerden.

Die Behandlung mit Arzneien ist aber, darüber müssen wir uns ganz klar sein, ein Allgemeingut der Menschheit. Nicht nur der Pharmakologe prüft, empfiehlt und gibt Arzneien

und nicht nur der Kliniker und der Arzt. Ich weiss nicht, wie es vielleicht auf dem Mars in dieser Hinsicht aussieht, auf unserm Planeten jedoch doktert alles, was Mensch heisst, ohne wesentliche Hemmungen frisch drauflos, und schon aus diesem Grunde allein sind einseitige Auffassungen in der Arzneibehandlung auf die Dauer unhaltbar. Was öffentlich als überwunden erklärt wird, fristet in Niederungen und in Verkleidungen sein Leben. Geheimmittel, Spezialitäten und mehr oder weniger goldene Kräuterbücher sorgen, dass das Althergebrachte dem Volke nach wie vor zur Verfügung steht. Wir können das weder verurteilen noch bedauern. Wir müssen zusehen, was wir aus diesem tollen Durcheinander von Sinn und Unsinn für uns und vielleicht für die Wissenschaft retten können. Aus dem trüben Strome der menschlichen Ueberlieferungen das Gold herauszufischen und zu reinigen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der medizinischen Wissenschaft. Nicht die Ideen an sich sind für sie die Hauptsache, sondern die Begründung, die Realisierung der Ideen.

So wie sich gewisse umständliche Kombinationsrezepte immer erhalten haben, kam auch die Meinung, dass die Pflanzendrogen den aus ihnen dargestellten reinen Substanzen an Wirksamkeit überlegen seien, niemals zur Ruhe. Gleich nach der allgemeinen Verwendung von Aether und Chloroform, die den chirurgischen Eingriff schmerzlos gestalten sollte, versuchte man denselben Zweck mit dem Gemische beider Substanzen zu erreichen. Andere ähnliche Narkotica kamen dazu, und über die Vor- und Nachteile der Mischnarkose wurde bald recht lebhaft gestritten. Honigmann 1) suchte zuerst eine wissenschaftliche Begründung für die Vorzüge eines Aether-Chloroformgemenges den einzelnen Komponenten gegenüber zu geben. Andere folgten ihm nach, aber die Mischnarkose konnte sich in dieser Form nicht einbürgern. Dagegen wurde die Applikation von Morphium vor der eigentlichen Narkose mit Chloroform,

Aether oder einem andern ähnlichen Allgemein-Anästheticum immer beliebter. Man rühmte die grosse Ruhe und Tiefe des Narkosezustandes und erwähnte auch, dass man hier und da mit recht kleinen Mengen narkotischer Substanz ausgekommen sei. Dann entdeckte Schneiderlin 1)2) die Morphium-Scopolaminnarkose, das heisst er sah, dass das an und für sich nur wenig wirksame Scopolamin mit Morphium kombiniert tiefnarkotische Zustände auslöste, die eine schmerzlose Ausführung von Operationen gestatteten.

Wesentlich mehr war über die pharmakologische Stellung der Arzneigemische nicht bekannt, als ich meine Aufmerksamkeit, angeregt durch die genannten Arbeiten und Auffassungen, diesem Gebiete zuwandte. Die schon begonnenen zahlreichen Untersuchungen Krawkows 3) waren in russischer Sprache erschienen und wurden in der deutschen, französischen und englischen Literatur weder referiert noch erwähnt. Ehrlich, 4) der berühmte Entdecker des Salvarsans, hatte wiederholt auf die Bedeutung der kombinierten Therapie hingewiesen, aber selbst keine neuen Tatsachen mitgeteilt. Ich konnte also ein Gebiet bearbeiten, das so weit neu war, als das nach den gegebenen Ausführungen überhaupt möglich ist. Mit einer grossen Zahl von Schülern habe ich dann fünf Jahre lang die Wirkungen von Arzneigemischen untersucht, verschiedene Gesetzmässigkeiten entdeckt und gerade noch in der allerletzten Zeit einige Widersprüche beseitigt, sodass ich nun für mein Empfinden zu einem gewissen Abschlusse gelangt bin und eine zusammenfassende Uebersicht von dem Geleisteten geben kann. Ich weiss wohl, dass hier wie auf allen wissenschaftlichen Gebieten noch endlos viel zu tun übrig bleibt, aber der einzelne

hat doch immer nur das zu geben, was seiner Individualität angemessen ist und verbraucht sich, wenn er zu lange den gleichen Gegenstand bearbeitet, schliesslich in Wiederholungen. Ich habe schon oft Gelegenheit genommen, die von mir aufgestellten Kombinationsgesetze mitzuteilen und nur zu oft war ich genötigt, sie gegen verschiedene Angriffe zu schützen.

Gestützt auf eine grosse Zahl von Ergebnissen, stellte ich folgenden Satz auf:

Arzneien der gleichen Reihe, die denselben pharmakologischen Angriffspunkt haben, addieren bei Kombination ihre Wirkungen, Arzneien der gleichen Reihe, die verschiedene pharmakologische Angriffspunkte besitzen, zeigen dagegen bei Kombination einen potenzierten Gesamteffekt 1)2).

Wir haben oben ausgeführt, dass man im allgemeinen nur die Arzneikombinationen zum Gegenstande von Untersuchungen macht, deren Glieder zu der gleichen Gruppe gehören, also z. B. nur Gemische verschiedener Narkotika, verschiedener Herzmittel usw. Ich bin in meinen Untersuchungen immer von diesem Prinzip ausgegangen und das eben ausgesprochene Gesetz handelt nur von Arzneigemischen, deren einzelne Glieder derselben Hauptgruppe angehören.

Solche Klassen von Medikamenten zerfallen aber teilweise in Untergruppen, so z. B. die Narkotica oder Schlafmittel, mit denen ich eine lange Zeit ausschliesslich experimentierte. In dieser Arzneireihe unterscheiden wir vornehmlich vier Untergruppen: die Narkotica der Fettreihe, die Opiumalkaloide, die Tropeine, unter denen hier das Scopolamin hervorzuheben ist, und die Bromverbindungen.

Die einzelnen Glieder dieser Untergruppen gleichen sich, da sie alle das Centralnervensystem lähmen, sie sind aber in der Art, wie sie narkotisieren, prinzipiell untereinander verschieden. So wirken die Narkotica der Fettreihe, zu denen unter andern das Chloroform, der Aether, das Chloralhydrat, das Urethan, das Sulfonal, das Verona! gehören, gleichmässiger als die Vertreter irgendeiner andern Gruppe von Schlafmitteln auf das Centralnervensystem, das sie vom Grosshirne zum Rückenmarke fortschreitend lähmen, wobei die lebenswichtigen Centren der Atmung und der Gefässnerven am längsten in ihrer Funktion erhalten bleiben, die Opiumkaloide dagegen lähmen Grosshirn, Mittelhirn, Kleinhirn und verlängertes Mark, erregen aber das Rückenmark, ja die Erregung steigt stellenweise noch höher hinauf; das Scopolamin wiederum beeinflusst hauptsächlich die motorische Sphäre, das Brom dämpft die Erregbarkeit aller seelischen Qualitäten. Deshalb erzeugen die Narkotica der ersten Gruppe, wie z. B. das Verona!, den ruhigsten Schlaf, die Opiumalkaloide erregen und lähmen zugleich, der durch sie bewirkte Schlafzustand ist, wenn mittlere Dosen gewählt werden, leicht zu unterbrechen und daher häufig gestört, sie bringen aber die Schmerzempfindung zum Erlöschen, bevor sie das Bewusstsein trüben, ja unter Umständen schon in einer Menge, die den Intellekt nicht herabsetzt, sondern im Gegenteil verschärft; das Scopolamin hebt die Erscheinungen der Schüttellähmungen auf, setzt abnorme Steigerungen des Bewegungstriebs herab und lässt die Muskeltätigkeit vom Gehirn aus erschlaffen, ohne dabei schon die Sinnesempfindungen zu vermindern; der günstige Einfluss des Broms auf Neurastheniker und Epileptiker ist bekannt genug und

braucht daher hier nicht beschrieben zu werden. Auf die Arzneiklasse der Narkotica übertragen, würde mein vorher erwähntes Kombinationsgesetz z. B. lauten können:

Zwei Narkotica der Fettreihe, also z. B. Chloroform und Aether. ebenso zwei Narkotica der Opiumgruppe, also z. B. Kodein und Morphium, addieren sich in ihren Wirkungen, gibt man aber ein Narkoticum der Fettreihe, z. B. Chloral, mit einem Narkoticum irgendeiner andern Reihe, also mit Morphium, Scopolamin oder Brom zusammen, so geht die Gesamtwirkung über das Additionsergebnis heraus, es tritt sogenannte Wirkungspotenzierung ein.

Wir wollen uns hier zunächst fragen, in welcher Weise dieser Satz begründet worden ist. Wenn wir die Kombinationswirkung zweier Narkotica, die wir a und b nennen wollen, untersuchten, so haben wir zuerst für a und für b die sogenannte minimal-narkotisierende Menge festgestellt und hierauf das gleiche für das Gemisch a +b getan. Unter der minimal-narkotisierenden Dosis haben wir seit längerer Zeit immer diejenige Substanzmenge verstanden, die gerade genügt, um 1 kg Kaninchen zu narkotisieren. Die Mengen wurden also auf das Gewicht der Tiere berechnet. Dabei musste vorausgesetzt werden können, dass die individuellen Unterschiede in der Giftempfindlichkeit bei der gewählten Tiergattung nicht besonders grosse sind. Die Kaninchenwelt kennt keine Persönlichkeiten, immerhin sind in ihr Differenzen der Rasse, des Geschlechts, des Alters und der Disposition vorhanden, die die Giftempfänglichkeit zweifelsohne beeinflussen können. Wir suchten die daraus entspringenden Fehlerquellen zu vermeiden erstens durch Verwendung eines möglichst gleichmässigen Tiermaterials, zweitens durch die grosse Zahl von Parallelversuchen. Die Tiere wurden ohne Anwendung irgend einer Apparatur narkotisiert und nach dem einen Versuche nicht mehr gebraucht, um Störungen durch die sogenannte Gewöhnung auszuschalten. Wir haben die Experimente auch an Fröschen und neuerdings an weissen Mäusen wiederholt und immer die prinzipiell gleichen Resultate erhalten. Unsere Methodik

konnte nur annähernd richtige Werte geben, aber die Resultate waren klar genug, um überzeugend zu wirken. Nehmen wir als Beispiel an: Für eine Substanz a betrage die minimal-narkotisierende Menge 1 g und für eine zweite, die wir b nennen wollen, ebenfalls. Verhält sich nun die Kombination a +b in ihrer Wirkung einfach additiv, so müssen z. B. 1/2 g a + 1/2 g b oder 1/4 g a X 3/4 g b oder 3/4 g a + 1/4 g b usw. wiederum die minimal-narkotisierende Menge bedeuten. Und geht man bei Vergleichsversuchen von der Dauer der Narkose aus und nimmt an, a sowohl wie b rufen in 1 -g-Dosen einen je einstündigen Schlafzustand hervor, so muss die Kombination a +b bei additivem Verhalten in der Dosis 1 g a + 1 g b eine zweistündige Narkose verursachen. Stammen a und b dagegen aus verschiedenen Gruppen, die sich bei gleichzeitiger Einfuhr in ihren Wirkungen verstärken, so ist die minimal-narkotisierende Menge der Kombination a +b nicht durch die oben angegebenen Zahlen auszudrücken, sondern z. B. durch die Dosen 1/4 g a + 1/4 g b oder 1/16 g a +7/16 g b usw. usw. und 1 g a + 1 g b bewirken nicht nur eine zweistündige, sondern eine drei- und vierstündige Narkose. Diese Versuchsanordnungen und Auffassungen lagen unsern Experimenten und den aus ihnen abgeleiteten Schlüssen zugrunde. Aber nicht immer war es möglich, zu diesem einfachen mathematischen Ausdrucke zu gelangen. Einzelne Narkotica, wie z. B. das Scopolamin, wirkten für sich allein gegeben beim Kaninchen gar nicht oder doch so wenig, dass sich eine minimal-narkotisierende Menge gar nicht feststellen liess, sie entfalteten aber in der Kombination mit andern Narkotica eine erhebliche schlafmachende Kraft. Die scheinbar unwirksame Substanz war aber, das müssen wir doch betonen, in jedem der bis jetzt behandelten Fälle auch ein Narkoticum, wie sich aus ihren Wirkungen an andern Lebewesen, zum Teil auch aus schwach angedeuteten Erscheinungen, die am gleichen Tiere zu beobachten waren, folgern liess 1).

Eine Fülle von Einzeltatsachen ergab sich direkt aus unsern Versuchen. Ich habe wohl so ziemlich alle Kombinationen, die mit den gebräuchlichen narkotischen Arzneien herzustellen waren, untersuchen lassen und das angegebene Gesetz immer bestätigt gefunden. Das gleiche Hauptresultat gewannen wir aus analogen Experimenten mit harntreibenden Substanzen, ferner mit den Alkalolden der Nachtschattengewächse und mit ihren Antagonisten dem Pilocarpin und dem Physostigmin, also mit den Arzneigruppen, die dem Publikum namentlich als pupillenerweiternde und -verengernde sowie als schweissunterdrückende oder -befördernde Arzneien bekannt sind, ausserdem mit den lokalanästhesierenden Stoffen, also der Cocainreihe und mit verschiedenen Desinfizientien. Zahlreiche andere Autoren haben dann unsere Resultate vermehrt. Ich erwähne nur, dass Madelung 1) die gleiche Gesetzmässigkeit, die ich bei den löslichen und unlöslichen Narkotica getroffen hatte, nachträglich auch für die flüchtigen Körper derselben Reihe nachgewiesen hat. Ferner erhielt Tsuzuki 2), ein Mitarbeiter Kolles, mit Kombinationen chemotherapeutischer Medikamente Resultate, die meiner Regel entsprechen. Auch die allgemeine Empfehlung einer Kombinationstherapie der Syphilis mit Salvarsan und Quecksilber darf hier als weiterer Beleg für meinen Satz erwähnt werden 3).

Bevor wir nun zu einer Erörterung anderer scheinbar widersprechender Arbeiten übergehen, wollen wir uns fragen,

ob wir vom theoretischen Standpunkt aus berechtigt waren, ein solches Gesetz aufzustellen, und wie weit sich seine eventuelle Gültigkeit überhaupt erstrecken kann. Einige freimütige Worte mögen diese Betrachtungen einleiten.

Wenn man auch zwölf Gesetze auf einmal entdeckt, den Ausdruck Gesetz sollte man nicht aus dem Munde, noch weniger aus der Feder lassen. Er fordert den Widerspruch heraus. Ich weiss: Wenn man auch aus Ueberzeugung ein gesetzestreuer Staatsbürger ist, aus Begeisterung kann man in der Wissenschaft nur Anarchist sein. Gesetze haben etwas Einengendes, der Forscher aber braucht mehr als irgend jemand die Freiheit der Bewegung. Am meisten gebunden ist der Entdecker des Gesetzes. Ohne es eigentlich zu wollen, verliert er seine Objektivität, er gibt sich unendlich viel Mühe, um die widerstreitendsten Tatsachen mit seiner Lehre in Einklang zu bringen. An Ausnahmen kann es bei keinem Gesetze fehlen, und die Mitwelt wird sich anstrengen, die Ausnahmen als Regel gelten zu lassen. Ich bestreite daher nicht, dass es vorsichtiger gewesen wäre, das oben angeführte Gesetz niemals als Gesetz zu proklamieren. Der Satz als solcher hätte aber doch geschrieben werden müssen, so wie er auch in irgend einer Fassung stehen bleiben wird. Seine Bedeutung hat er schon erwiesen. Er gab die Richtlinie an, nach der sich in der ganzen letzten Zeit die Hauptarbeiten auf dem Gebiete der Arzneimittelgemische bewegt haben. Ohne ihn hätte das planlose Probieren in den unerschöpflichen Möglichkeiten der Kombinationen weitergedauert, und das Thema wäre rasch als aussichtslos und langweilig fallen gelassen worden. Jetzt kann sich jeder Forscher schon in dem Gedanken, eine Ausnahme zu meinem Gesetze zu finden, im voraus eine harmlose Freude gönnen. Dass mein Satz etwas Richtiges enthält, geben auch meine entschiedensten Gegner zu; dass er nicht alles in sich schliesst, was über die additive oder potenzierte Kraft von Arzneigemischen entscheidet, ist meine eigne Ueberzeugung, und ich habe sogar schon selber Belege hierfür geliefert. Der von mir aufgestellte Satz zerfällt eigentlich in zwei Teile.

Der erste lautet: Arzneien, die den gleichen pharmakologischen Angriffspunkt, das heisst identische Wirkungen haben, addieren in Kombinationen ihre Einzelobjekte.

Der zweite: Arzneien mit verschiedenen pharmakologischen Angriffspunkten, also etwas abweichenden Wirkungen, zeigen bei Kombination einen potenzierten Gesamteffekt.

Von diesen zwei Teilen ist der erste der wichtigere und besser zu begründende. Richtig verstanden ist er unwiderleglich, weil er selbstverständlich ist. Man hat ihn sogar schon als Banalität bezeichnet. Dabei muss man freilich bedauern, dass die Medizin vor meinen Arbeiten das Umgekehrte von dieser Banalität geglaubt hat. Aber auch dieser Teil meines Satzes darf nicht kritiklos aufgefasst und angenommen werden. Dass zwei ganz gleichartig wirkende Arzneien, gemeinsam gegeben, ihre Kräfte einfach zusammenlegen, sich also in ihren Wirkungen addieren, ist ganz selbstverständlich, doch müssen gewisse Einschränkungen gemacht werden. Erstens wäre der Fall denkbar, dass die zwei Substanzen sich chemisch verbinden und einen neuen Körper bilden, der dann in seiner Gesamtheit die Zellen beeinflusst. Es lässt sich unmöglich voraussehen, was für eine pharmakologische Kraft diese frisch gebildete Verbindung haben wird. Dieser Fall würde aber gar keine Ausnahme zu meinem Lehrsatze darstellen, denn wir haben ja dann keine zwei Substanzen mehr, die einen gemeinsamen Effekt auslösen, sondern eine einzige neue Arznei. Viel schwieriger darzustellen und zu deuten sind die folgenden Verhältnisse, an die bis dahin merkwürdigerweise noch keiner der auf diesem Gebiete tätigen Forscher gedacht hat. Ich nahm in meiner Versuchsanordnung —und das gleiche taten die andern Autoren — stillschweigend an, dass 2 g einer Substanz doppelt, 0,5 halb-, 0,25 ein viertelmal so stark wirken wie 1 g usw. Diese Auffassung ist aber nur bedingt richtig, das heisst sie gilt nur für gewisse ziemlich eng gezogene Grenzen. Schon die Tatsache, dass die Zelle auf jedes Medikament nur von einem bestimmten unteren Wert an reagiert, zeigt das Irrtümliche der genannten Voraussetzung,

sie gibt uns aber auch eine Erklärungsmöglichkeit für verschiedene scheinbare Widersprüche. So fanden wir z. B., dass kleinste Dosen einer Substanz in Kombination mit relativ grossen einer andern eine merkwürdig hohe Kraft entfalten können, und zwar gilt das auch für die Einfuhr von zwei Stoffen mit durchaus gleichsinniger Wirkung. Benutzt man z. B. von irgendeinem Narkoticum eine Menge, die nahe an der sogenannten minimal-narkotisierenden Dosis liegt, so genügt ein verschwindend kleines Etwas eines zweiten Narkoticums, um den Effekt zu ergänzen. Wir konnten so durch Kombinationsversuche zeigen, dass ganz geringfügigen Dosen, denen kein Mensch in der offiziellen Medizin noch irgend eine Wirkung zugetraut hätte, u. A. eine bestimmte pharmakologische Kraft innewohnt. Diese Tatsachen täuschen aber gleichzeitig Potenzierungseffekte vor. Ich habe die eigentümliche Bedeutung kleinster Mengen bei Kombinationswirkungen von Anfang an als einen ganz besonderen Fall beschrieben und aus dem Bereiche meines Gesetzes ausgeschaltet, ohne allerdings eine Erklärung auch nur zu versuchen, Inzwischen haben dann andere Autoren diesen Fund zum Teil aus meinen eignen Ergebnissen [v. Issekutz 1)], zum Teil selbständig neu entdeckt [Kochmann 2)] und merkwürdigerweise gegen meine Auffassungen verwendet, ohne meine Autorschaft zu kennen und zu nennen. Wenn man sich das Gesagte genau überlegt, kann man sich z. B. nicht wundern, dass sich, wie Kochmann neuerdings hervorgehoben hat, Aether und Chloroform in gewissen Verhältniszahlen gemischt, wobei immer von dem einen viel, von dem andern relativ wenig genommen wurde, doch in ihren Wirkungen zu potenzieren schienen.

Aus dem gleichen Grunde kann die Untersuchung von Arzneigemischen dazu dienen, verborgene Eigenschaften einzelner Substanzen aufzudecken. Das gilt für Gemenge von Substanzen mit gleichem und mit ungleichem Angriffspunkte. So konnten wir mit Hilfe dieser Methode die

narkotische Kraft der Belladonnagruppe beweisen 1)2). Gibt man diese Arzneien für sich allein, so beobachtet man niemals Narkosen, denn kleine Mengen haben an sich einen zu geringen Effekt und grosse rufen eine Reihe anderer Erscheinungen hervor, die das Eintreten eines Schlafzustandes unmöglich machen. Verwendet man aber die galenischen Präparate dieser Gruppe gemeinsam mit den eigentlichen Hypnotica, so sieht man deutlich, wie sie die narkotische Kraft der letzteren verstärken. Ganz ähnliche Verhältnisse findet man in der Fiebermittelreihe. Die temperaturherabsetzende Wirkung dieser Arzneien wurde schon lange auf Lähmungen im Centralnervensystem zurückgeführt. Meine Kombinationsversuche beweisen aber zum ersten Male ganz einwandfrei, dass die Antipyretica gleichzeitig ausgesprochene Narkotica sind 3)4)5).

Es gibt aber noch andere Momente, die einer objektiven Bewertung des von mir aufgestellten Satzes hinderlich sein können. Im Laufe unserer zahlreichen Untersuchungen stiessen wir nicht gerade häufig, aber doch ab und zu auf eine sonderbare Umkehr der Wirkungen, deren klare Erkenntnis für die Arzneimittelbehandlung von höchster Bedeutung werden könnte. Wir gaben z. B. die Kombination Chloralhydrat-Paraldehyd 6) zunächst in Dosen, die eine sichere Narkose hervorriefen; dann verminderten wir die Mengen und gelangten so zu einer Grenze der Wirksamkeit; wenn wir nun aber noch weniger von dem Gemisch einführten, so trat die Narkose wieder ein. Ähnliches trafen wir bei der Kombination Pilocarpin-Physostigmin 7),

deren Glieder ungleiche pharmakologische Angriffspunkte haben. Wir stellten zuerst für jede der zwei Substanzen die Grenzdosis fest, die eben noch den isolierten Darm erregte. Liess man nun ein Gemisch der zwei halben Grenzdosen auf das Erfolgsorgan einwirken, so war der Effekt deutlich abgeschwächt, entgegen dem von uns aufgestellten Gesetze. Setzte man aber die Konzentrationen der beiden Substanzen in dem Gemenge noch weiter herab, so trat eine Steigerung seiner erregenden Kraft ein, die bis zu ganz kleinen Dosen herunter bemerkbar war. Ein drittes Beispiel: Eine bestimmte Morphiummenge tötet bei Mitwirkung einer bestimmten Scopolaminmenge ein Kaninchen mit Sicherheit. Gibt man mit der gleichen Morphiumdosis weniger Scopolamin, so stirbt das Tier nicht, gibt man mehr, auch nicht 1). Alle diese und noch viele andere Experimente zeigen, dass man von gewissen Grenzdosen an mit einer Umkehr der Wirkung einer Arznei zu rechnen hat. Schon lange weiss man, dass Substanzen, die in kleinen Mengen irgend ein Organ zu erhöhter Tätigkeit veranlassen, also erregen, in grösseren Dosen das gleiche Gebilde lähmen können. Auch hier treffen wir also wieder die Ablösung einer Erscheinung durch ihr Gegenteil. Die oben angeführten Beobachtungen veranlassen mich aber, anzunehmen, dass das Aufeinanderfolgen dieser gegensätzlichen Wirkungen mehr als nur einmal geschehen kann. Wir vermuten: Eine kleine Dose erregt, eine grössere lähmt, eine noch kleinere kann aber wieder lähmen, eine noch grössere wieder erregen. Allerdings nehmen die Wirkungen nach der unteren Seite immer mehr ab, nach der obern sind sie schliesslich nicht mehr zu steigern.

Ich erinnere unter anderm auch die Aerzte daran, dass die Herzmittel in den extremen Zuständen häufig nicht nur versagen, sondern direkt schaden. Hier haben wir wohl ausserdem noch mit paradoxen Reaktionen des kranken Organismus zu rechnen, wie sie in der letzten Zeit von Asher 2)

in Bern beobachtet und experimentell verfolgt worden sind.

Fasst man alle diese Momente ins Auge, so begreift man, dass die von mir aufgestellte Kombinationsregel nur unter bestimmten Bedingungen klar zutage treten kann. Sobald man aus den üblichen Dosengrenzen herausgeht, werden die Berechnungen schwieriger, obwohl der Satz auch hier noch seine Richtigkeit zeigt.

Wie schon oben angeführt wurde, muss in meiner Regel, insofern sie Bestand haben soll, namentlich der erste Teil zutreffend sein. Arzneien, die genau gleich wirken, dürfen sich in ihren Effekten nur addieren, nicht potenzieren: Gerade dieser Teil aber wurde am schärfsten angegriffen. An seiner Verteidigung musste ich denn auch das grösste Interesse haben. Nun sind aber im Verlaufe der letzten Jahre Arbeiten erschienen, die, wenn sie bei richtiger Deutung ihrer Resultate zu Recht bestehen würden, zweifellos mein Kombinationsgesetz zu Falle bringen müssten. Diese Arbeiten beschäftigen sich vornehmlich mit zwei der von mir erwähnten Narkoticagruppen, den Opiumalkaloiden und den Narkotica der Fettreihe. Nach v. Schroeders 1) grundlegenden Experimenten muss man annehmen, dass die verschiedenen Alkaloide der Opiumreihe prinzipiell übereinstimmende Wirkungen auf das Zentralnervensystem haben. Morphium, Papaverin, Kodein usw. lösen zwar quantitativ sehr verschiedene, aber qualitativ gleiche Narkose-effekte aus. Ihre narkotischen Wirkungen können sich also, wenn anders meine Regel bestehen soll, nur addieren und tatsächlich stützte ich mein Gesetz unter anderm auf eine längere Untersuchungsreihe aus meinem Laboratorium 2), die den Beweis hierfür zu erbringen schien. Verschiedene meiner Schüler konnten ausserdem zeigen, dass das Pantopon, das alle Opiumalkaloide in den natürlichen Verhältniszahlen, in denen sie in der Droge vorhanden sind, und ohne die sogenannten Ballaststoffe, die an sich keine Wirkung haben,

enthält, dass dieses Kombinationspräparat aus den Opiumalkaloiden pharmakologisch ein Additionsprodukt darstellt. Es wirkt gerade so stark narkotisch als man bei einfacher Addition aller Einzelwirkungen erwarten kann. Diese Ergebnisse sind nicht ohne Widerspruch geblieben. Die Opiumalkaloide zerfallen chemisch in zwei Gruppen, die Phenanthren- und die Isochinolinreihe. v. Issekutz 1) bewies nun, dass bei Kombination zweier Substanzen aus der Phenanthren- beziehungsweise Isochinolinreihe einfache Addition, bei Mischung eines Alkaloids aus der Phenanthren- mit einem Alkaloid aus der Isochinolinreihe dagegen Potenzierung der toxischen Eigenschaften eintritt. Die Arbeit ist inzwischen oft gegen meine Auffassungen ins Feld geführt worden. Einzelne Autoren behaupteten auch, dass meine eignen Resultate, die eine einfache Addition der narkotischen Kräfte aller Opiumalkaloide gelehrt hatten, gegen meine Regel sprächen; denn da diese Stoffe zu zwei verschiedenen Gruppen gehörten, müssten sie sich meinem Satze nach in ihren Wirkungen potenzieren. Dabei vergass man nur das eine, dass nämlich allgemeine Giftigkeit, gemessen an den tödlichen Dosen, und narkotische Kraft nicht das gleiche bedeuten. v. Issekutz hatte aber nur gezeigt, dass bei Kombination von Gliedern der Phenanthren- mit Gliedern der Isochinolinreihe die tödlichen Dosen mehr abnehmen als man bei einer einfachen Addition der Wirkungen erwarten konnte. Dasselbe hatten übrigens meine Schüler schon vorher für das Pantopon dargetan 2). Da nun die toxischen Eigenschaften dieser zwei Reihen offenbar verschiedene sind, während ihre narkotische Wirkung übereinstimmt, hat v. Issekutz allerdings sehr wider seinen Willen meine Kombinationsregel nur bestätigt. Fast gleichzeitig mit ihm publizierte Straub 3) ähnliche Resultate und führte ein neues Opiumpräparat, das Narcophin in den Handel ein. Narcophin ist aus Narcotin und Morphium zusammengesetzt,

das Alkaloid Narkotin gehört zu der Isochinolin-, das Morphium zu der Phenanthrenreihe. Das Narcophin zeigt eine, potenzierte Allgemeintoxicität, die indessen wie die des Pantopons für die Therapie keine Bedeutung zu haben scheint, ausserdem soll es den von uns und Löwy 1) zuerst nachgewiesenen Vorzug des Pantopons, das Atmungszentrum im Verhältnisse zu seiner narkotischen Kraft weniger zu lähmen als das Morphium, besitzen. Straub schloss aber ausserdem aus einigen Versuchen, dass der Narkoseeffekt des Narcophins über die Summe der Wirkungen seiner zwei Glieder hinausgehe. Diese Behauptung, die nun allerdings gegen meinen Satz gesprochen hätte, ist aber inzwischen von Meissner 2) gründlich widerlegt worden. Das Narcophin ist wie das Pantopon pharmakologisch ein Additionsprodukt, auch die in der Praxis empfohlenen Dosen bilden ein Beleg für diese Anschauung. 0,03 g Narcophin und 0,02 Pantopon entsprechen in ihrer narkotischen Kraft ungefähr 0,01 Morphium, 0,03 Narcophin enthält aber tatsächlich 0,01 Morphium, 0,02 Pantopon etwas mehr. Der Wert dieser Kombinationspräparate hängt von ganz andern Momenten ab.

Aber auch auf dem Gebiete der Narcotica der Fettreihe wollte man eine ganze Menge Ausnahmen von meiner Kombinationsregel gefunden haben. Breslauer und Woker 3)4)5) hatten auf meine Anregung die Wirkung von Gemischen solcher Substanzen auf Colpidium colpoda untersucht. Colpidium colpoda, das sogenannte Heutierchen, ist ein einzelliges Wesen, das demgemäss keine differenzierten Organe hat, dessen Bewegungen sich aber unter dem Mikroskop leicht beobachten lassen. Ich muss hier noch einmal betonen, dass es ein Unfug ist, der allerdings in der modernen Wissenschaft weite Verbreitung gefunden hat, die Lähmung solcher Organismen ohne Nervensystem eine Narkose zu

nennen. In einer von der gleichen Seite herstammenden Arbeit wird unter anderm auch die Frage, ob Antipyretica fieberherabsetzende Wirkungen auf das Heutierchen ausüben, zwar nicht beantwortet, aber doch ernsthaft erwogen. Auch das Auflösen von roten Blutkörperchen wird von andern Autoren mit der Narkose direkt verglichen. Solche Ungeheuerlichkeiten begeht eine Wissenschaft, die wie die moderne Pharmakologie von ihrem eigentlichen Zwecke zu weit abgewichen ist. Die Substanzen, welche wir die Narkotica der Fettreihe nennen, sind chemisch unter sich recht verschieden, pharmakologisch sind sie gleichartig für höhere Organismen mit differenziertem Zentralnervensystem, ob sie aber auch bei niedrigen und niedrigsten Lebewesen unter sich identische Wirkungen haben, steht durchaus nicht fest. Die Sache schien aber für mich ganz besonders schlimm zu liegen, weil nach der genannten Untersuchungsreihe auch die Kombinationen von ganz nahestehenden Substanzen, z. B. verschiedener Alkohols, verschiedener Urethane, Potenzierungswirkungen haben sollten. Ich habe mir über die Bedeutung dieser krassen Ausnahmen von meiner Regel lange den Kopf zerbrochen und verschiedene Theorien aufgestellt, die einiges Richtige enthalten mögen und doch nur den Eindruck einer erzwungenen Verteidigung machen konnten. So bemerkte ich z. B. nicht ohne Berechtigung, dass es durchaus nicht gleichgültig sei, ob man einem Tiere, das einen Kreislauf hat, narkotische Substanzen ins Blut spritzt, die dann nur vorübergehend das Zentralnervensystem beeinflussen, oder ob man kleine Lebewesen direkt in eine Giftlösung eintauche, deren sie sich gar nicht entledigen können. Solche Einwände verhallten ungehört. Ich beschloss daher, nicht mehr länger zu disputieren, sondern zu experimentieren. Zunächst konnte ich zeigen, dass die Substanzgemische, welche nach der Angabe der beiden Autorinnen bei Colpidium colpoda eine Potenzierungswirkung entfaltet haben sollten, am Kaninchen nur Additionseffekte zeigten 1). Ich ging dann noch einen Schritt weiter und liess gegen meine sonstige Gewohnheit die

gegnerische Arbeit nachkontrollieren 1). Die Überraschung war gross. Auch nicht ein einziges Resultat erwies sich als richtig. Die verschiedenen Urethane, die verschiedenen Alkohole zeigten am Heutierchen in Kombination genau die gleichen additiven Eigenschaften wie am Kaninchen.

Wir können also unsere Behauptung, dass identisch wirkende Arzneien bei Kombination ihre Effekte einfach addieren, besser denn je aufrecht erhalten 2). Den zweiten Teil meines Satzes, der sagt, dass immer eine Potenzierung der Wirkung eintritt, wenn man zwei oder mehr Glieder aus pharmakologisch verschiedenen Untergruppen der gleichen Arzneireihe kombiniert, möchte ich dagegen nicht ohne Einschränkungen gelten lassen. Allerdings: das Scopolamin potenziert, wie wir und Andere zeigen konnten, nicht nur das Morphium, sondern auch das Chloralhydrat, das Urethan, den Paraldehyd, das Medina!, das Lumina!, und das Morphium potenziert alle diese Substanzen ebenfalls in ihren Wirkungen. Ähnlichen Einfluss übt das Brom auf die andern Narkotica, ebenso die Antipyretica, wie ich erst neuerdings mit Sicherheit festgestellt habe, und auch in andern Arzneigruppen fanden wir keine Ausnahme. Aber es gibt so unendlich viele Substanzen, die Arzneien werden können, und so viele Möglichkeiten, dass ich lieber einschränkend sagen möchte: Potenzierung durch Kombination findet man nur bei Stoffen mit ähnlicher Hauptwirkung und verschiedenen pharmakologischen Angriffspunkten. Die Zellkomplexe, die wir Organe nennen, zeigen gegenüber Arzneiwirkungen, die von zwei Richtungen kommen, meistens eine gesteigerte Empfindlichkeit, man kann auch sagen eine geringere Widerstandskraft, ähnlich einem gleichzeitig von zwei Seiten angegriffenen Heere. Wenn sich das aber auch, wie die bisherigen Untersuchungen

dargetan haben, meistens so verhält, können zahlreiche Momente hier doch Ausnahmen schaffen. Heterogen wirkende Substanzen zeigen häufiger eine grundsätzliche chemische Verschiedenheit als pharmakologisch übereinstimmende Stoffe. Daher können sie auch leichter direkte Umsetzungen erleiden, ihre Löslichkeiten gegenseitig beeinflussen, die Durchlässigkeit der Zellmembranen verändern und anderes mehr, also Verhältnisse schaffen, die sich in ihrer Bedeutung nicht vorauserkennen lassen. All diesen Momenten sind wir bei unsern Untersuchungen niemals begegnet, aber wir glauben a priori mit Rücksicht auf die grosse Zahl der in Frage stehenden Arzneien an die Möglichkeit ihres Eintretens und sind überzeugt, dass sich ausserdem noch viele andere bis dahin unbekannte Einflüsse geltend machen können, welche die von mir erkannte Gesetzmässigkeit unter Umständen durchbrechen 1).

Gleich bei Beginn meiner Untersuchungen gelang es mir sogar selber, einen zweiten wichtigen Faktor zu erkennen, der Wirkungspotenzierungen bedingt. Führt man nämlich eine bestimmte Menge Morphium oder Chloralhydrat oder Urethan in zwei oder mehr Teildosen kurz nacheinander in den Organismus ein, so wirkt sie bedeutend stärker, als wenn man sie auf einmal gibt 2). Das rasche Nacheinander von Einzelwirkungen bildet also auch ein potenzierendes Moment. Allerdings gilt das nicht für alle Substanzen ohne Ausnahme, aber doch für viele und für die meisten Narkotica. Für diese eigentümliche Erscheinung, die nicht ohne Einfluss auf die ärztliche Praxis geblieben ist, suchte ich eine Erklärung zu geben. Ich nahm an, dass die Zellen des Körpers aus ein und derselben Arzneimenge mehr aufnehmen können, wenn diese nacheinander in mehreren Teildosen, als wenn sie auf

einmal an sie herangelangt, und von dieser Hypothese ausgehend, gab ich dann auch meinem Kombinationsgesetz eine theoretische Grundlage. Ich nahm an: Wenn zwei Substanzen auf das gleiche Organ einwirken, aber verschiedene Angriffspunkte haben, so treten zwei Reaktionen gleichzeitig in Funktion. Das Organ kann daher in der Zeiteinheit doppelt soviel Arznei aufnehmen, als wenn die zwei Stoffe am gleichen Ort einsetzen oder, wie man auch sagen kann, den gleichen chemischen oder physikalischen Rezeptor haben. Es ist hier nicht der Ort, diese Hypothese zu diskutieren. Man hat mir oft vorgeschlagen, diese einfache Erklärung fallen zu lassen und die beobachteten Potenzierungen einfach als Sensibilisierungen zu bezeichnen. Aber damit ist leider gar nichts gewonnen. Man setzt einfach das Wort Sensibilisierung, das heisst Empfindlichmachung, an die Stelle des Wortes Potenzierung und zuweilen glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei auch etwas denken lassen. Man kann schliesslich jede Arzneiwirkung als Sensibilisierung bezeichnen.

Man spricht immer von dem Einfluss einer Arznei, was man aber in Wirklichkeit beobachtet, das ist die Veränderung von Zellfunktionen, die durch gewisse Stoffe ausgelöst werden. Eine Verstärkung der Zellempfindlichkeit wird nun in der modernen Pharmakologie häufig aus der Aufnahme einer grösseren Arzneimenge erklärt, und aus diesem Moment heraus suchte auch ich die bei Kombinationen beobachteten Potenzierungen verständlich zu machen. Ob die Wirkung einer Arznei zu der in das Erfolgsorgan eingedrungenen Menge in einem konstanten proportionalen Verhältnisse steht, wissen wir allerdings nicht, doch gilt diese Anschauung als berechtigt. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Nicht den eigentlichen letzten Grund des pharmakologen Geschehens, nur die Bedingungen, unter denen es zustande kommt, können wir erkennen.

Jede Arzneiwirkung entsteht durch das Zusammentreffen einer bestimmten Substanz mit den für sie empfindlichen Zellen respektive Zellgruppen. Massgebend für den Vorgang

ist also einerseits ein körperfremder Stoff von charakteristischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften, anderseits ein reaktionsfähiger Teil des lebendigen Organismus. Die Arzneiempfindlichkeit bedeutet mithin einen dauernden Zustand, eine Fähigkeit der Zellen, bei Berührung mit gewissen Substanzen ungewöhnliche Wirkungen zu entfalten. Das Abnorme liegt daher nicht in der Art, sondern in der Kraft der unter dem Einfluss eines Medikaments beobachteten Erscheinungen, mit andern Worten, die Funktion der Zelle wird durch die Arznei vermehrt oder vermindert, aber nicht von Grund aus verändert.

Alle diese Betrachtungen stellen aber weder das Wesen der Arzneien, noch die Bedeutung der Zellenempfindlichkeit erschöpfend dar. Sie setzen einen Gleichgewichtszustand der Organzellen voraus, der in Wirklichkeit nie vorhanden ist. Auch im gesunden und nicht durch Medikamente beeinflussten Körper arbeiten Stoffe, die andauernd die Tätigkeit einzelner Zellgruppen anspornen oder hemmen, je nach den Bedürfnissen des Augenblicks. Solange diese Substanzen, die wir die natürlichen Arzneien des Organismus nennen können, in einer solchen Menge vorhanden und die Zellen so empfindlich für sie sind, dass den Anforderungen des Lebens genügt werden kann, solange also, kurz gesagt, der Körper gesund ist, sind die eigentlichen Medikamente nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Die Arzneien werden dann Gifte. Nützlich, also wahre Arzneien können sie meist nur dann sein, wenn die Funktionen der Zellen, an denen sie einsetzen, infolge einer Krankheit anormale geworden sind. In beiden Fällen aber — als Arzneien oder als Gifte — wirken sie vielleicht nur so, dass sie die natürlichen Erregungs- oder Hemmungsstoffe aktivieren. Wir sind uns über das Hypothetische einer solchen Auffassung vollkommen im klaren und wollen den Gedanken an dieser Stelle nicht weiter verfolgen. Nur das eine möchte ich erwähnen: In Versuchen, die ich gemeinsam mit meinem Mitarbeiter C. F. v. Traczewski 1) vorgenommen habe, ergab sich eine

weitgehende Übereinstimmung der Digitalis und der Schilddrüsenwirkung auf das Froschherz. Nun ist bekannt, dass die Kröte ein Gift produziert, das pharmakologisch wiederum der Digitalis nahesteht, das gleiche gilt, nur in viel geringerem Masse, für den Wasserfrosch. Die Kröte ist aber der Digitalis gegenüber sehr wenig empfindlich, etwas, doch nur wenig mehr, der Wasserfrosch; am empfindlichsten zeigt sich der Grasfrosch, der selber kein ähnliches Gift hervorbringt. Wenn wir unserer Kombinationsregel eine solche Aktivierungstheorie der Arzneiwirkung zugrunde legen würden, könnten wir folgern: Substanzen mit verschiedenem pharmakologischen Angriffspunkt aktivieren mehrere der genannten natürlichen Medikamente, die man nach Starling und Bayliss Hormone nennt, auf einmal, Substanzen mit gleichem Angriffspunkte wirken nur auf ein Hormon ein. Auch aus dieser Betrachtungsweise versteht sich wieder die verstärkende Kraft der erstgenannten Kombinationsgruppe.

Die von uns aufgestellte Kombinationsregel kann allerdings nur eine Hauptlinie angeben, die, wie wir schon hervorgehoben haben, hier und da von andern Linien gekreuzt und zur Abweichung gebracht wird. Ausser der Verschiedenheit des pharmakologischen Angriffspunktes haben wir auch das Nacheinander der Einzelwirkungen als potenzierendes Moment erkannt, Gerade dieses letztere macht sich vielleicht bei der Überlegenheit vieler Drogen den aus ihnen dargestellten reinen Substanzen gegenüber bemerkbar. So werden z. B. die wirksamen Bestandteile der Digitalisblätter, das Digitoxin, Digitalin, Digitalein usw. vom Darmkanal aus sicher verschieden rasch resorbiert und beeinflussen daher den Herzmuskel nacheinander. Und ein Infus aus den frischen Blättern, das alle diese Substanzen enthält, ist nach der übereinstimmenden Ansicht der erfahrenen Ärzte immer noch bedeutend wirksamer als Digitoxin und Digitalin.

Wir haben bei unsern Betrachtungen über die pharmakologische Bedeutung der Arzneigemische bis dahin immer die Frage Potenzierung oder Addition in den Vordergrund gerückt. Wir haben also die Kombinationswirkungen

ganz nach ihrer quantitativen und nicht nach ihrer qualitativen Seite betrachtet. Es gibt aber Kombinationseffekte, für die die Worte Potenzierung oder Addition gar nichts zu bedeuten haben, die also nicht in meinen Satz hineingerechnet werden können —weder im positiven noch im negativen Sinne.

Die Untersuchungen von Kombinationen eigentlicher Herzmittel mit Organextrakten veranlassten uns, die Wirkung sogenannter Drüsen mit innerer Sekretion auf das Herz zu ermitteln. Die bedeutungsvollen Ergebnisse können hier nicht in extenso mitgeteilt werden. Die Schilddrüse, die Nebennieren, die Hypophyse, die Testes, die Ovarien, die Thymus 1), sie alle beeinflussen die verschiedenen Herzabschnitte in einer so charakteristischen Weise, dass wir an der physiologischen Bedeutung dieser Sekrete für die Herzfunktionen nicht mehr zweifeln können. Wir hoffen auch, durch diese Untersuchungen zu einer rationelleren Herztherapie .zu gelangen. Die Kombinationen dieser Stoffe, die wir auch als Hormone bezeichnen wollen, ergaben zum Teil ganz ungeahnte Effekte. Da aber die einzelnen Substanzen ganz verschiedene Teile des Herzmuskels beeinflussen, kann weder von additiver noch von potenzierter Wirkung geredet werden, sondern nur von veränderten Qualitäten der Organfunktion.

Die Frage nach der praktischen Bedeutung der Arzneigemische kann nur für jede einzelne Kombination und nicht im allgemeinen beantwortet werden. Steigerungen der pharmakologischen Kraft können ebensogut nützlich wie

schädlich sein, einfach additive Produkte, wie z. B. das Pantopon, können doch grossen Vorteil haben. Im ganzen bedeutet eine klarere Erkenntnis der Stellung, die die Medikamentgemische einnehmen, eine wesentliche Bereicherung unseres Arzneischatzes. Eine ganze Reihe neuer Präparate sind gestützt auf meinen Kombinationssatz in den Handel gelangt, so das Codeonal, das Veronacetin, das Chineonal, das Erystypticum usw.

Zum Zwecke des chirurgischen Eingriffs wird fast überall die Kombinationsnarkose ausgeführt. Schon Ehrlich 1) hat empfohlen, Substanzen zu kombinieren, die bei ähnlicher heilender Kraft eine verschiedenartige Giftigkeit haben. Die therapeutischen Effekte addieren oder potenzieren sich in solchen Gemischen, während die toxischen Eigenschaften keine bedrohliche Höhe erreichen können. Wenn aber die gefährlichen Nebenwirkungen der einzelnen Glieder des Gemisches dieselben sind, kann die Kombination auch Nachteile haben. Ich habe darauf wiederholt aufmerksam gemacht und dabei unter anderm betont, dass eine erregende Wirkung, die sich zu einer lähmenden addiert, die Lähmung nicht vermindert, sondern vermehrt. Denn eine Erregung bedeutet meist schon eine Schädigung, die aber zunächst als Reiz zum Ausdrucke gelangt. Wenn nun zu einer Lähmung noch eine weitere Schädigung kommt, die an und für sich erregt hätte, so ist der Gesamteffekt nicht eine geringere, sondern eine stärkere Lähmung 2). Diese längst gemachten und veröffentlichten Beobachtungen sind neuerdings durch Versuche von Straub 3) bestätigt worden.

Durch das Studium der Arzneigemische wurden unsere therapeutischen Möglichkeiten erweitert, in der Hand des Kundigen sind sie eine wertvolle Waffe zur Bekämpfung von Krankheit und Krankheitssymptomen. Es mag sein, dass sie das Interesse der ärztlichen Welt in der nächsten Zeit immer

mehr gewinnen werden. So wie man von der Therapie mit Gemischen zu der Anwendung von einzelnen Arzneiindividuen gelangte und von da wieder zu den Gemengen, ging die Medizin auch von der arzneilichen Verwendung tierischer Stoffe zu der Bevorzugung pflanzlicher Heilmittel über und von da neuerdings wieder zu der Wertschätzung der Kräfte, die im animalischen Gewebe vorhanden sind. Aber auch in dieser Arzneiklasse sind Kombinationen neuerdings in ihren Wirkungen viel untersucht, gebraucht und geschätzt worden.

So begegnen wir überall in der Heilkunde dem Wechsel und der Wiederkehr der Anschauungen, von denen wir am Anfang unseres Vortrags redeten. Wir bemerkten aber schon, dass Goethe die Worte "Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht" dem Mephistopheles in den Mund gelegt hat. Mit dem gleichen Rechte kann man nämlich auch das Gegenteil behaupten und z. B. sagen: Es gibt lauter Neues unter der Sonne. Die Wahrheit liegt hier nicht etwa in der Mitte, sondern beidseitig, wie überall in dieser Welt mit dem Janushaupte. Die Missachtung des ärztlichen Wissens älterer und ältester Zeiten hat neuerdings einer gewaltigen Überschätzung Platz gemacht. Man versteht Paracelsus nicht, aber man schwelgt in seinen dunklen Worten 1), man gibt Rezeptbücher der Römer neu heraus und proklamiert die sinnlosesten Arzneizusammenstellungen jener Zeit als Beispiele tiefer therapeutischer Einsicht, man bezeichnet die Griechen als die Erfinder der Immunitätslehre, weil sich Themistocles durch das Trinken von Ochsenblut umgebracht haben soll, muss aber schon ein unverbesserlicher Pessimist sein, wenn man das Emporsteigen der Spirale menschlicher Anschauungen und Erkenntnis in der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft nicht klar erblickt. Der diabolische Glaubenssatz, dass sich die Lebenserscheinungen endlos oft in völliger Gleichheit repetieren 2) wird durch keine tatsächlichen Beobachtungen gestützt.

Das Fortschreiten der Menschheit auf den allerverschiedensten Gebieten würde eher durch das Bild einer Gipfelbesteigung veranschaulicht, bei welcher der Weg immer rings um den Berg herumführt. So gelangen wir allmählich auf jeder Seite zu Punkten, die übereinander liegen und von denen man immer die nämliche Fernsicht von einem immer höheren Standort aus geniesst, und erst ganz oben kann man sich ohne grosse Schwierigkeit der gesamten Runde erfreuen.