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Zur Kenntnis des Fiebers.

Eine Erscheinung, die immer wieder das Interesse der Menschen erregt, ist das Fieber; es ist dies auch ganz begreiflich; sind es doch gewiss nur sehr wenige, die von sich sagen können, dass sie nie einen fieberhaften Zustand durchgemacht haben, und was man selber durchgemacht, das hat von jeher und für jedermann ein wesentlich höheres Interesse, als das, was nur die anderen betrifft. Charakteristisch ist es aber auch für die ganze menschliche Denkungsweise, dass man sich wohl für den abnormen Zustand der erhöhten Körpertemperatur interessiert, sich aber gar nicht darum kümmert, wie es denn eigentlich komme, dass für gewöhnlich unsere Temperatur eine ganz konstante ist. Man nimmt dies letztere als etwas so selbstverständliches hin, dass man sich darüber erst gar nicht zu verwundern brauche, dass das so sein kann. So geht es ja mit unendlich vielen Dingen, bei denen man sich nur immer darüber wundern muss, dass nicht jedermann sich über sie wundert. Es ist dies begründet in der Ahnungslosigkeit von den vielen Zweckmässigkeiten, die erst erfüllt sein müssen, bevor eine solche Erscheinung, wie die konstante Temperatur des Menschen, zur Tatsache werden kann. Mag es nun Indolenz, mag es absichtliches "Nicht-sich-kümmern-wollen" sein, jedenfalls ist diese Gleichgültigkeit gegenüber bestehenden Dingen und Einrichtungen, solange sie uns nicht unbequem werden, eine sehr verbreitete Erscheinung beim lebenden Geschlecht, die sich nicht etwa nur auf unseren Gegenstand erstreckt; dieselbe Tendenz macht sich auch gegenüber unseren selbstgeschaffenen Einrichtungen in politischen und Verwaltungssachen manchmal geltend, wo man sie mit dem Satz charakterisieren kann: Die Hauptsache ist, dass man nicht davon redet!

So haben wir uns also auch längst daran gewöhnt, es als ganz selbstverständlich zu betrachten, dass unsere Körpertemperatur stets die gleiche ist, ohne uns darüber klar zu werden, was diese Tatsache für wunderbare Einrichtungen voraussetzt. Wenn wir nur einen Augenblick an unsere tägliche Lebensführung denken: an Ruhe und Arbeit, an Aufenthalt im Freien und im Zimmer, an Sommer und Winter, an Reisen nach Norden und Süden, so muss es uns doch schliesslich auffallen, dass unsere Temperatur scheinbar gar keine Notiz nimmt von diesen einschneidenden Veränderungen, die auf unseren Wärmehaushalt einwirken. Und doch ist es ja ganz klar, dass unser Körper auch den allgemeinen physikalischen Bedingungen unterworfen ist, dass also bei Aufenthalt in kühler Luft durch Leitung und Strahlung Wärme abgegeben, dass umgekehrt bei einem Sonnenbad z. B. Wärme zugeführt, dass bei Muskelarbeit Wärme durch chemische Umsetzungen produziert werden muss.

Und dennoch vermögen alle diese Einflüsse, wenn es sich nicht um extreme Verhältnisse handelt, unsere Temperatur nicht wesentlich zu verändern. Jede andere organische Masse würde unter den genannten Umständen einfach den physikalischen Regeln folgend ihre Eigenwärme entsprechend verändern. Mensch und Tier haben sich also scheinbar emanzipiert gegenüber den physikalischen Gesetzen und in all dem sie umgebenden Chaos von Einflüssen, die strikte Neutralität in bezug auf ihre Körpertemperatur erklärt. Dieses Innehalten der Neutralität, auch bei starken Versuchungen von innen und aussen ist dadurch ermöglicht, dass eine ausgezeichnete Zentralregierung vorhanden ist, die alle auftretenden Sondergelüste sofort unterdrückt und die dazu noch den unschätzbaren Vorzug hat, automatisch zu sein. Sie gehört also zu den seltenen Regierungen, die immer das Richtige tun. Sowie irgend eine Störung das Temperaturgleichgewicht von innen oder aussen bedroht, setzt sofort, und zwar ohne vorhergehende Beratungen und Erörterungen die entsprechende Gegenmassregel ein. Was wir z. B. durch Muskelarbeit oder durch Sonnenlicht dem Körper an Wärmeeinheiten zuführen, das wird sofort kompensiert durch entsprechende Wärmeabgabe in Form von Schweiss. Was wir

umgekehrt an eine niedrige Umgebungstemperatur von unserer Wärme zu verlieren drohen, das wird entweder eingeschränkt durch Zusammenziehen unserer Hautgefässe, eine Art physikalischer Isolierung, oder compensiert durch eine vermehrte Zelltätigkeit im ruhenden Körper, womit mehr Wärme produziert wird. Es ist heute bestimmt erwiesen, dass der Sitz dieser ordnenden Regierung im Gehirn ist, dass dort ein oder mehrere Zentren sich befinden, die in der besprochenen vortrefflichen Weise über unsere Körpertemperatur wachen; wir bezeichnen sie als Temperaturregulierungszentren. Natürlich kann auch hier schliesslich trotz aller Organisation durch force majeure der Staatsbankerott eintreten: In den Bleikammern der alten Dogenstadt oder in den Tiefen einer Gletscherspalte kann auf die Dauer der Körper trotz allen guten Hilfsmitteln die Eigentemperatur nicht aufrecht erhalten: das Individuum stirbt an der Überhitzung oder an der Unterkühlung.

Um solche Extravaganzen handelt es sich aber nicht, wenn jemand Fieber bekommt: Inmitten der ganz normalen und gewohnten Lebensweise versagt plötzlich die ganze schöne Einrichtung: unsere Temperatur beginnt zu steigen. Aus dem, was aber über unsere vortrefflichen Regulierungseinrichtungen gesagt worden, ergibt sich, dass ein solcher Seitensprung unmöglich unter Zustimmung oder sogar direkter Mithilfe des normalen Zentrums erfolgen kann. Es erhebt sich also die Frage: Wie stellt sich das Zentrum zu dem Vorgange des Temperatur anstieges?

Würde man annehmen, dass bei der Entstehung von Fieber das Zentrum gar nicht erst um seine Einwilligung befragt, sondern kurzerhand eliminiert worden sei, dann wäre ja jede Regulierung der Temperatur während der Dauer des Fiebers ausgeschlossen; der Körper würde sich dann verhalten, wie eine leblose organische Masse, er müsste zum Spielball werden der auf ihn einwirkenden Temperaturverhältnisse. Das ist aber gerade beim Fieber nicht der Fall; man hat vielmehr den Eindruck von allerdings veränderten, aber doch auch wieder geordneten Verhältnissen. Dementsprechend hatten schon die alten Ärzte dank ihrer genauen Krankenbeobachtung festgestellt, dass bestimmte Krankheiten mit ganz bestimmten, stets wiederkehrenden

Änderungen in der Temperatur einhergehen, sodass ja oft aus den Temperaturkurven die Krankheit diagnostiziert wurde. Es spricht also mancherlei dagegen, dass bei der Fieberentstehung die Regulierungszentren einfach ausgeschaltet werden und dass das Fieber somit lediglich die Folge der fehlenden Regulierung sei. Denn in diesem Falle könnten ja Kranke, die relativ kühl gehalten werden, gar nicht fiebern. Es wäre auch schwer zu verstehen, wie plötzlich eine solch sicher regulierte Einrichtung komplett versagen könnte.

Es fragt sich nun, was wir uns sonst für eine Vorstellung machen können von der Veranlassung, die den Körper von seiner normalen Temperatur abbringt und durch welche Vorgänge die Steigerung zustande kommt und wie das Zentrum sich dazu stellt. Auf Grund theoretischer Erwägungen und praktischer Erfahrung lässt sich darüber zunächst folgendes sagen: Irgendeine Infektion trifft den bis anhin gesunden Körper; es entstehen nach und nach gewisse Giftstoffe, Toxine, die eine besondere Affinität zum Temperaturregulierungszentrum besitzen. Nun besteht ein allgemeines pharmakologisches Gesetz, dass körperfremde chemische Substanzen, die eine Affinität zu bestimmten Zellen oder Organen im Organismus besitzen, die Funktion derselben, wenn sie in Berührung mit ihnen getreten sind, verändern. Es bildet dieses Gesetz die Grundlage der Wirkungen aller unserer Medikamente. Diese Änderung in der Leistung der von dem Medikament oder Gift betroffenen Organe kann sich aber nur nach zwei Richtungen äussern: Entweder als Anregung oder Herabsetzung der betreffenden Normalfunktion; etwas drittes gibt es nicht, d. h. es können den betreffenden Zellen unter keinen Umständen Funktionen zuerteilt werden, die sie nicht vorher schon besessen hatten. Auf den speziellen Fall der Fieberentstehung übertragen, erhebt sich somit die Frage: Rufen die eingedrungenen Toxine eine Anregung oder eine Herabsetzung in der Tätigkeit des Temperaturregulierungszentrums hervor? Diese Frage ist bis jetzt verschieden beantwortet worden und a priori sind auch beide Vorgänge möglich. Betrachten wir zuerst den einen Fall, den wir als den passiven bezeichnen können. Man kann sich vorstellen,

dass die betreffenden Toxine die Wachsamkeit des Zentrums herabsetzen, ohne jedoch dessen Tätigkeit völlig aufzuheben, so dass es lediglich indifferenter gegenüber seiner Aufgabe sich verhält, d. h. der Körpertemperatur einen grösseren Spielraum gewährt. Um nun unter solchen Umständen die Erhöhung der Körpertemperatur ohne Rücksicht auf die äussern Umstände herbeizuführen, müsste man voraussetzen, dass die betreffenden Toxine, respektive die betreffende Infektion, die den Körper befallen, auch noch die Eigenschaft besitzen, durch direkte Reizung der übrigen Zellen im Körper eine vermehrte Wärmeproduktion hervorzurufen. Denn irgend woher muss doch die abnorme Steigerung der Wärme veranlasst werden bei einem Individuum, das ruhig sich verhält und weniger isst als gewöhnlich. Infolge der erwähnten Herabsetzung ihrer Tätigkeit würde gegenüber dieser abnormen Wärmebildung die Automatie der zentralen Schutzvorrichtung versagen und gleichsam mit in den Schoss gelegten Händen würde das Zentrum zusehen, wie durch die vermehrte Tätigkeit der infizierten Körperzellen die Temperatur allmählich anstiege. Es wäre also bis zu einem gewissen Grade das Zentrum infolge seiner herabgesetzten Funktion zum Untertan der Peripherie, der von ihm vorher beherrschten Massen geworden, die ihrerseits durch die Toxinwirkung aufgepeitscht wurden. Diese Vorstellung über die Art der Fieberentstehung hätte somit zwei Grundwirkungen der Toxine zur Voraussetzung: 1. die lähmende auf das Zentrum und 2. eine erregende auf die anderen Körperzellen. Wie stellen sich aber zu dieser Auffassung die Tatsachen? Die Möglichkeit dieser Art der Fieberbildung steht oder fällt mit der unter 2. genannten Tätigkeit des Toxins, nämlich durch selbständige Einwirkung auf die Körperzellen eine unphysiologische Vermehrung der Wärmeproduktion hervorzurufen, denn die blosse Herabsetzung der Regulierung an sich genügt nicht zur Fiebererzeugung. Über die Möglichkeit einer solchen peripheren Wirkung der Toxine ist schon viel diskutiert worden. Ein häufiges Vorkommnis scheint sie zu bejahen: die lokale Entzündung. Leidet jemand an einem Abszess z. B., so ist bekanntlich die betreffende Stelle röter und wärmer als die Umgebung; es liegt also eine Art

peripheres Fieber vor. Ist es nun nicht ebenso gut denkbar, bei einer allgemeinen Infektion, dass grössere Teile unseres Körpers auch durch ein Toxin so gereizt werden, dass es zwar nicht zur Abszessbildung, aber doch wenigstens zur vermehrten Wärmeproduktion in den einzelnen Zellen kommt. Auf diese Weise könnte dann wohl, bei gleichzeitiger Herabsetzung der Regulierungstätigkeit, sich eine Erhöhung der Körpertemperatur bilden. So vieles auch für diese relativ einfache Auffassung zu sprechen scheint, so halte ich sie doch nicht für zutreffend. Würde nämlich der Fieberanstieg ausschliesslich bestritten von der krankhaft vermehrten Zelltätigkeit im Körper bei herabgesetzter Funktion des Zentrums, dann müsste sich doch eine direkte Proportion ergeben zwischen dem Aufwand und dem Resultat. Der Aufwand aber ist das Material, welches von den Zellen des Körpers verbraucht wird, um das Plus an Wärme zu produzieren und diesen Aufwand können wir berechnen. Denn bei jeder Verbrennung gibt es Schlacken, so auch bei der im menschlichen Körper; die entstandenen wertlosen Endprodukte werden ausgeschieden, teils im Harn und Stuhl, teils in der Atmung. Aus denselben können wir genau berechnen, wieviel an brennbarem Material geopfert wurde innerhalb einer bestimmten Zeit. Dabei wäre also zu erwarten, dass Leute, die hoch fiebern, auch einen entsprechend hohen Verbrauch an Brennmaterial zeigen und umgekehrt. Hierüber sind sehr viele Untersuchungen ausgeführt worden. Sie haben aber kein einheitliches Resultat ergeben; wohl ist ja natürlich in jedem Fieber der Stoffwechsel erhöht, aber es hat sich keine bestimmte Beziehung zwischen Fieberhöhe und Stoffverbrauch nachweisen lassen. Immerhin kann hier geltend gemacht werden, dass die Verhältnisse oft sehr kompliziert liegen, und dass die Infektion als solche, abgesehen von der vermehrten Wärmebildung, auch sonst noch den Stoffwechsel störe und zwar in verschiedener Weise bei den einzelnen Infektionskrankheiten. So könnte durch Nebenumstände die verlangte Proportionalität trotz ihres Bestehens verdeckt werden. Aus diesen Gründen genügt der negative Beweis, bestehend in dem Fehlen einer Kongruenz zwischen Fieberhöhe und vermehrtem Verbrauch an Brennmaterial an

sich nicht, um die zuerst erwähnte Möglichkeit der Fieberbildung definitiv abzulehnen; es müsste in positiver Weise ein anderer Entstehungsmechanismus des Fiebers nachgewiesen werden. Nach dem was wir vorher über die Wirkung von chemischer Stoffen auf Organfunktionen erörtert haben, käme also nur noch die zweite Möglichkeit in Betracht, dass anstatt der lähmenden Wirkung des Toxins auf das Temperaturregulierungszentrum, vielleicht ein erregender Einfluss desselben dort nachgewiesen werden könnte. Wie hätten wir uns in diesem Falle das Verhalten des übrigen Körpers, der Peripherie, vorzustellen?

Ich habe schon einleitend bemerkt, dass die Aufgabe des normalen Temperaturregulierungszentrums dahin geht, die Körperwärme stets auf dem gleichen Grad zu erhalten. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird dadurch ermöglicht, dass das Zentrum einerseits die Herrschaft hat über die Wärmeabgabe durch Vermittlung der Hautgefässe, die es weiter oder enger macht, und anderseits auch die Herrschaft über die Wärmeproduktion. Durch die Temperatur des von allen Zellen kommenden und alle Zellen miteinander verbindenden Blutstromes, wird das Temperaturregulierungszentrum stets genau orientiert über die mittlere Körpertemperatur. Von ihm aus gehen nervöse Bahnen nach allen möglichen Teilen des Körpers; auf diesen Bahnen fliessen die Befehle, welche die Wärmeproduktion durch Vermittlung der Zelltätigkeit regeln und ebenso die Wärmeabgabe durch die Haut. Dadurch, dass das Zentrum bald die einen Zügel nachlässt, die andern anzieht oder umgekehrt, wird normalerweise die Gleichmässigkeit der Körpertemperatur garantiert auf Grund eines bestimmten Planes und einer genau fixierten Einstellung des Temperaturregulierungszentrums auf die Temperaturen von 36,3 bis 37°. Wie nun aber, wenn diese Einstellung dadurch verschoben, der Plan dadurch geändert wird, dass durch das Toxin eine Erregung des Temperaturregulierungszentrums selber bewirkt wird; in welcher Weise wird sich dann diese Erregung äussern?

Wenn die normale Funktion des Zentrums darin besteht, dass es unsere Körperwärme ungefähr bei 37°erhält, so würde einer Erregung dieser Funktion wohl die Neigung entsprechen,

unsere Temperatur höher zu treiben, mit andern Worten: die Erregung würde sich äussern in einer höhern Einstellung des Zentrums. In dem Moment aber, wo das Zentrum diese Veränderung erleidet, wird das bisherige Verhältnis zwischen ihm und dem übrigen Körper gestört; der Körper erscheint nun dem gereizten Zentrum als zu kühl. Vermittelst der ihm gegebenen Macht wird das erregte Zentrum daher die entsprechenden Befehle an die Peripherie fliessen lassen und Wärmeabgabe und Wärmeproduktion werden sich beeilen, diesen Wünschen nachzukommen, indem sie durch geeignetes Zusammenarbeiten die Temperatur des Körpers erhöben, so dass sie wieder stimmt zu der neuen Einstellung des Zentrums. Die Art und Weise, wie die erhöhte Wärmebildung bei erregtem Zentrum zustande kommt, ist daher eine prinzipiell verschiedene von der vorher erörterten bei gelähmtem Zentrum. Hier bei der zentralen Erregung haben wir also nicht mehr nötig, die direkte Beeinflussung der übrigen Körperzellen durch das Toxin anzunehmen, wir kommen um die Schwierigkeiten des Stoffwechsels herum. Das Zentrum allein ist affiziert und es sorgt dafür, dass der Körper sich ihm anpasse, indem es einfach seine normale Funktion der Überwachung weiter ausübt, lediglich von einem andern Standpunkt aus. Wie stimmt nun zu dieser Auffassung die praktische Erfahrung und das Experiment? Dass tatsächlich durch rein zentrale Wirkung die Körpertemperatur erhöht werden kann, das hat uns die Erfahrung an Kranken und das Experiment am Tier gezeigt. Es ist bekannt, dass bestimmte Affektionen des Gehirns, bei denen der übrige Körper in allen Teilen vollkommen gesund erscheint, doch zu hohen Fieberzuständen führen können. Wir müssen also annehmen, dass eine solche lokale Gehirnerkrankung zu einer Erregung am Temperaturregulierungszentrum führen kann, die ihrerseits dann das Fieber hervorruft. Immerhin könnte man hier noch einwerfen, dass der absolute Beweis für die rein zentrale Ursache dieses Fiebers nicht erbracht sei, denn es könnte doch neben der Gehirnerkrankung auch eine direkte Störung der peripheren Zelltätigkeit vorliegen, ohne dass wir in der Lage wären, die betreffende Infektion nachzuweisen. Dieser Einwand ist aber endgültig erledigt durch das

bekannte Tierexperiment von Sachs-Aronson, den sogenannten Wärmestich. Wird bei einem Kaninchen, das mit Äther narkotisiert ist, durch eine kleine Öffnung im Schädel ein abgerundeter dünner Glasstab in einer bestimmten Richtung in das Gehirn eingesenkt, rasch wieder zurückgezogen und die Wunde sorgfältig verschlossen, so zeigt das Tier nach ein bis zwei Stunden ein Ansteigen seiner Temperatur. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Verletzung als solche des Gehirns, oder eine Infektion, was schon daraus hervorgeht, dass eine ganz bestimmte Stelle durch den Glasstab berührt werden muss, sonst tritt überhaupt kein Fieber auf und das Tier bleibt gesund. Diese wichtige Feststellung beweist uns erstens, dass es Fieberzustände gibt, bei denen jede Infektion und Toxinwirkung ausgeschlossen ist, bei denen somit die direkte erregende Wirkung durch ein Gift auf die Peripherie vollkommen dahinfällt. Zweitens wird durch das Erfordernis eine bestimmte Stelle im Gehirn zu treffen auch bewiesen, dass ein lokalisiertes Zentrum besteht, dessen Störung den Fieberzustand hervorruft.

In Ergänzung zu diesen Versuchen von Sachs-Aronson sind in neuerer Zeit wichtige operative Experimente ausgeführt worden. Wir wussten schon lange, dass die Erkrankung oder der Verlust bestimmter Hirnpartien auch den Verlust der Funktionen nach sich zieht, für welche die betreffenden Partien das Zentrum bildeten; so können die isolierten Bewegungen von Arm oder Bein respektive Vorder- oder Hinterpfote auf operativem Wege ausgeschaltet werden, ohne sonstige wesentliche Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens der betreffenden Individuen. Nachdem nun durch den Wärmestich die Existenz eines Temperaturregulierungszentrums sehr wahrscheinlich geworden, haben eine Reihe von Forschern versucht, auf operativem Wege die betreffenden Teile des Gehirns zu entfernen. Dabei hat nun das theoretisch zu erwartende Resultat vollständig übereingestimmt mit dem wirklichen Ergebnis. Die Tiere, bei denen die Entfernung des Zentrums völlig gelungen war, haben die Fähigkeit, ihre Eigentemperatur konstant zu erhalten, verloren. Sie sind zum Spielball der äusseren und inneren Einflüsse in thermischer Hinsicht geworden. Schon bei einer Zimmertemperatur von 25°

vermag ein solches Tier seine normale Wärme nicht mehr zu erhalten, die Körpertemperatur sinkt und umgekehrt steigt dieselbe an, wenn das Tier Nahrung zu sich nimmt, weil damit Arbeit geleistet, potenzielle Energie zugeführt wird. Solche Tiere behalten deshalb eine normale Körpertemperatur nur dann, wenn sie sorgfältig in einer Atmosphäre gehalten werden, deren Temperatur nahe der Blutwärme steht. Jede Abweichung der Lufttemperatur nach unten und nach oben bedingt sofort ein proportionales Fallen oder Steigen der Körpertemperatur des Tieres; man nennt diesen Zustand poikiotherm.

Auf Grund dieser Ergebnisse war es auch möglich die Frage definitiv zu entscheiden, die wir ja schon einmal aufgeworfen, ob es ein rein peripheres Fieber gebe, in dem Sinne, dass Bakterientoxine nur durch Erregung der peripheren Zelltätigkeit die Körpertemperatur zu steigern vermögen bei gleichzeitig gelähmtem Zentrum. Da bei den erwähnten, durch Operation poikilotherm gemachten Tieren sowohl Muskelbewegungen als Nahrungsaufnahme, also rein periphere Vorgänge, die Temperatur erhöhen, so war zu erwarten, dass auch eine allfällige Erregung peripherer Zellen durch Bakterientoxine zu erhöhter Körperwärme führen werde, vorausgesetzt, dass eben ein rein peripheres Zellfieber existiert. Dieses Experiment ist gänzlich negativ ausgefallen. Eine Reihe von chemischen Präparaten oder von künstlich hergestellten Bakterientoxinen, die bei normalen Tieren sicher Fieber verursachen, bleiben ganz wirkungslos bei denen, welchen die betreffenden Gehirnteile operativ entfernt worden waren.

Mit diesen Experimenten über die operative Ausschaltung der Zentren ist also in Ergänzung zu der Fiebererzeugung durch den Wärmestich ein weiterer Beweis für die anatomische Existenz und die Lokalisation eines Temperaturregulierungszentrums erbracht. Es hat sich dabei auch gezeigt, dass dasselbe keinen so eng begrenzten Raum einnimmt, wie man das ursprünglich glaubte, sondern offenbar den ganzen Bezirk der grossen Seitenventrikel des Gehirns umfasst.

Aber auch diese Versuche, speziell der Wärmestich, sagen uns noch nichts Positives über den Vorgang, der sich an dem

Zentrum bei der Fieberentstehung abspielt. Denn die mechanische Verletzung des Temperaturregulierungszentrums kann ebensogut eine Erregung wie eine Lähmung zur Folge haben und deshalb sagt uns der Wärmestich nichts darüber, ob beim Fieber die Funktion des Zentrums weiter besteht, ob sie erhöht oder herabgesetzt ist.

Allerdings deuten die Versuche, bei denen nach völliger Entfernung der Zentren die Injektion von Bakteriengiften kein Fieber mehr hervorruft, darauf hin, dass auch eine funktionelle Ausschaltung dieses Zentrums durch Lähmung die Fieberbildung verhindern würde. Es bliebe also per exclusionem eigentlich nichts anderes mehr übrig, als die Annahme eines Erregungsvorganges an den Zentren unter dem Einfluss der Toxine. Die Existenz desselben ist auf Grund folgender Überlegungen direkte nachzuweisen gelungen: -

Wir. haben schon mehrfach heute davon gesprochen. dass Zellen, welche sich in Tätigkeit befinden, d. h. welche leben, auch Wärme produzieren. Trifft eine Zelle irgend eine Erregung, so reagiert sie darauf mit einer Vermehrung ihrer normalen Arbeitsleistung, wobei sie natürlich auch mehr Wärme produziret als im Ruhestand. So steigt z; B. die Temperatur im Muskel bei dessen Zusammenziehung, sie steigt in der Magenwand während der Verdauung. Wenn also wirklich das Fieber ursächlich eingeleitet wird durch einen Erregungsvorgang am Regulierungszentrum, so müsste sich das dort ebenfalls durch eine gegenüber der Norm erhöhte lokale Wärmebildung äussern. Um dies festzustellen, bedurfte es nur der Möglichkeit, die Temperatur des Temperaturregulierungszentrums zu messen, nachdem uns dessen Existenz und anatomische Lage bekannt geworden. Massgebend ist dabei natürlich, dass die Messung erfolgen kann zur Zeit des beginnenden Fiebers.

Allerdings stösst man bei dieser gewiss sehr einfachen und klaren Schlussfolgerung auf ein Hindernis. Man war bis jetzt nämlich ziemlich allgemein der Ansicht, dass die bei der Tätigkeit der Gehirnzellen entstehende Wärme sich nicht vergleichen lasse z. B. mit der, welche die Arbeit einer Muskelzelle hervorbringt. Tatsächlich ist auch bis jetzt ein sicherer

Nachweis vermehrten Stoffwechsels im Gehirn z. B. durch angestrengte geistige Tätigkeit bei absoluter körperlicher Ruhe nicht gelungen und ebenso wenig die vermehrte Wärmebildung bestimmter Zentren während ihrer Funktion. Man hat daher den Gehirnzellen. eine von den anderen Körperzellen quantitativ etwas abweichende Stellung im Stoffwechsel eingeräumt und erklärte dies damit, dass die durch ihre Arbeit bedingte Vermehrung des Stoffverbrauches eine so minimale sei, dass sie unserem Nachweis sich entziehe. Ich halte diese letztere Auffassung für richtig; denn es ist gar nicht denkbar, dass die Gehirnzelle inbezug auf prinzipielle biologisch-chemische Vorgänge sich ganz anders verhalte, als die übrigen Zellen des Körpers. Der Unterschied, falls er besteht, kann deshalb nur ein gradueller sein; mit andern Worten: es liegt an unserer unzulänglichen Methodik, dass der Nachweis der vermehrten Wärmeproduktion bei der Tätigkeit von Gehirnzentren uns noch nicht gelungen ist. Wir haben in unserem Institut deshalb versucht mit Hilfe von thermoelektrischen Messungen diese notwendige Feinheit zu erreichen, was uns auch gelang. Unter Lokalanaesthesie wird ein feines Drähtchen, welches ein Thermoelement von ca. 1/2 mm Durchmesser enthält, an die Stelle im Gehirn gebracht, wo wir den Sitz des Temperaturregulierungszentrums annehmen. Die Empfindlichkeit der verwendeten Apparate war so gross, dass eine Differenz von. 1/200° noch sehr deutlich und fast augenblicklich angezeigt wurde .War das Thermoelement ins Gehirn versenkt, so zeigte sich, dass bei ganz ruhigem Verhalten des Tieres die Temperatur dieses Gehirnteiles eine ganz konstante war und auch nicht um 1/100° schwankte. Wird nun dem betreffenden Tier die fiebererzeugende Substanz von irgend einer Hautvene aus eingespritzt, so beginnt schon etwa 15 Sekunden später die Temperatur an jener Stelle im Gehirn zu steigen; das Temperaturregulierungszentrum wird erregt, es leistet eine grössere Arbeit. Diese vermehrte Arbeit besteht hier in der höheren Einstellung des Zentrums und in den daraus sich ergebenden Befehlen an die übrigen Körperzellen. Erst etwa 60 bis 80 Sekunden später beginnt die Temperatur auch an anderen Körperstellen zu steigen, was offenbar als ein sekundärer Vorgang zu

betrachten ist, der ausgelöst wird durch den primären im Gehirn. Damit ist der positive Beweis erbracht dafür, dass das Fieber sich einleitet mit einer erhöhten Funktionsleistung von seiten des Zentrums.

So bedeutend auch diese Feststellung für die Kenntnis des Fieberprozesses ist, so scheint mir doch noch fast wichtiger deren generelle Seite, nämlich der damit erbrachte Nachweis, dass eine gesteigerte Tätigkeit von Gehirnzellen einhergeht mit einer vermehrten Wärmeproduktion an Ort und Stelle, dass also die Gehirnzellen sich prinzipiell in dieser Richtung gleich verhalten, wie alle anderen Zellen des Körpers. Es eröffnet dies auch Hoffnungen auf erfolgreiche Untersuchungen anderer Gehirnfunktionen mittelst der thermischen Methoden. -

Ich glaube, dass wir uns auf Grund alles dessen, was ich vor Ihnen erörtert habe, heute eine bestimmtere Vorstellung von der Fieberentstehung machen können, als dies bisher möglich war. Wenn ein Individuum von irgend einer Infektion befallen worden ist, so wird durch die gebildeten Toxine das Temperaturregulierungszentrum erregt und die Erregung äussert sich in einer gegenüber der Norm erhöhten Einstellung desselben. Je nach der Heftigkeit der Wirkung wird die Einstellung auf eine Temperatur von 38, 30, 40 oder mehr Grad verschoben. Mit telegraphenartiger Schnelligkeit eilen nun die Befehle auf nervösen Bahnen an die Peripherie einerseits zu den Orten der Wärmeabgabe, den Hautgefässen ,und anderseits zu den Stätten der Wärmeproduktion, speziell wahrscheinlich der Leber. Sie bringen Kunde, dass die bisherigen Konditionen aufgehoben sind, dass die Regierung sich auf einen neuen Standpunkt gestellt hat. Mit bewundernswerter Präzision arbeiten Wärmeproduktion und Wärmeabgabe zusammen, um in kürzester Zeit die Situation im ganzen Körper derjenigen des Zentrums anzupassen: die Temperatur des Individuums beginnt zu steigen. Bald geschieht dies langsam nach und nach, wie auch die Veränderung, am Zentrum nur eine sukzessive vor sich gehende ist, bald geschieht dies stürmisch, unter Zuhilfenahme des Schüttelfrostes, wenn jäh und stark das Zentrum aus der gewohnten Bahn geschleudert worden ist. ,'

Ich habe die Überzeugung, dass, wie der normalen Einstellung des Zentrums unsere bestimmte normale Körpertemperatur entspricht, so auch jedem Grad der Funktionsstörung des Zentrums eine bestimmte Erhöhung der Körperwärme zukommt:: Sowie dann durch das planmässige Zusammenarbeiten der peripheren Organe das Fieber einen gewissen Grad erreicht und das Zentrum durch das erwärmte Blut, das ja auch zu ihm strömt, davon Kunde erhalten hat, so wird der Befehl zur weiteren Steigerung der Leistung im Körper sistiert. Zentrum und Peripherie sind wieder in Einklang miteinander, es besteht der Zustand des Fiebers. Und in diesem Zustand zeigt es sich aufs deutlichste, dass das Zentrum durch den Fieberprozess nicht etwa ausgeschaltet worden ist, sondern dass es unter den veränderten Bedingungen die Leitung der Zügel gerade so in Händen hält, wie unter normalen Verhältnissen. Sowie wir versuchen, durch Änderungen an der Peripherie allein, also z. B. durch Wärmeentzug in Form von kühlen Bädern, die Temperatur herabzusetzen, so erhält das Zentrum sofort durch die sinkende Blutwärme Kenntnis von den veränderten Verhältnissen und rasch fliessen von dort wieder die Befehle, den früheren Zustand herzustellen, wenn nötig unter Zuhilfenahme des Schüttelfrostes. So zeigt uns der Fieberzustand mit Rücksicht auf seine Einstellung das gleiche Bild wie der normale, der Körper reguliert auf die neue Temperatur dank der Wachsamkeit des Zentrums, wie er früher seine normale sich erhielt.

Nach der Orientierung über den Fieberanstieg noch ein paar Worte über die Entfieberung. Sie verläuft in der gleichen Weise wie der Anstieg; wenn die krankmachende Ursache verschwindet, so hört auch 'die durch sie bedingte Erregung des Zentrums auf; allgemein wird deshalb auch der Abfall der Temperatur. als ein günstiges Zeichen betrachtet. Auch hier kann, wie beim Anstieg, der Verlauf ein rascher oder langsamer sein. Wird plötzlich, wie dies für einzelne Krankheiten typisch ist, die Macht der Toxinwirkung gebrochen, so fällt das Zentrum sozusagen unvermittelt in seinen normalen Zustand zurück; vielleicht sogar mitunter in einen noch tiefer stehenderen. Dadurch etabliert sich aber eine schwere Dissonanz zwischen

Zentrum und Peripherie; die letztere arbeitet noch mit erhöhtem Aufwand, konform der bisherigen Einstellung des Zentrums. Nun werden die entsprechenden Register gezogen: mächtig wird die überschüssige Wärme durch den Schweissausbruch abgeführt, die vermehrte Neubildung eingeschränkt und so befindet sich bald wieder Peripherie und Zentrum in Harmonie. Allerdings läuft solch ein plötzlicher Umschwung nicht ohne bedeutende Inanspruchnahme des Fiebernden ab, er kann sogar gewisse Gefahren in sich schliessen. Die plötzliche Ausschaltung eines so starken Erregungsmittels, an das sich der Körper bereits gewöhnt hatte, kann zu einem Erschöpfungszustand führen. Es sind deshalb auch die plötzlichen Temperaturstürze mit Recht gefürchtet, obwohl sie an und für sich ein gutes Zeichen wären. Wie der langsame Anstieg der Temperatur ohne Schüttelfrost für den Patienten angenehmer, so ist deshalb auch die langsame Entfieberung viel schonender für ihn. Bei beiden Vorgängen schreitet die Änderung der Funktion des Zentrums so langsam vorwärts, dass die Peripherie Zeit bat, sich den jeweiligen neuen Einstellungen desselben anzupassen.

Wenn auch alle diese müheseligen Untersuchungen durch die Anregung und durch die Resultate die Belohnung in sich selber tragen, so bildet doch bei allen solchen Fragestellungen, wenigstens nach meinem Empfinden, ein mächtiger Ansporn die Aussicht, durch die Ergebnisse auch Wegleitung für die Therapie zu gewinnen. Denn es wird niemand bestreiten wollen, dass das Handeln des Arztes ein viel zielbewussteres ist, wenn er klar durchschaut, auf welchem Wege die Veränderung zustande gekommen und auf welchem Wege sie wieder verschwinden muss. Vermittelst des Tierexperimentes erhalten wir so Aufschluss über bestimmte Vorgänge bei Krankheitszuständen, Kenntnisse wie sie sonst nur durch lange Erfahrungen an Kranken und nicht immer zu deren Nutzen gesammelt werden können. Fast alle die erwähnten wichtigen Feststellungen konnten durch schmerzlose Untersuchungen an Tieren gewonnen werden. Ich lege auf dies besonderen Wert, weil ich jede unnötige Tierquälerei verabscheue. Wenn es aber Leute gibt, die meinen, es sei richtiger, dass das Tierexperiment ganz unterbleibe, als

dass dorn kranken Menschen aus demselben Erleichterung gebracht werden könne, dann ist das eine sentimentale Überkultur, die schon etwas an Perversität grenzt. Mit diesen, wie so vielen ähnlichen Erscheinungen auf anderen Gebieten, z. B. in der Mode, der Kunst, die nur noch in besonders gezüchteten Empfindungszentren enststehen können, wird hoffentlich der Krieg als erfreuliche Nebenwirkung aufräumen.