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1. Festrede des Rektors Profi Dr. E. Zschokke. Die natürlichen Heilreaktionen bei Tieren.

Sozusagen geräuschlos hat sich in der Medizin eine Erkenntnis Bahn gebrochen, welche noch vor einem halben Jahrhundert als revolutionäres Phantasiegebilde gegolten hätte: es ist die moderne Auffassung über das Wesen der Krankheit und über die natürlichen Heilvorgänge im Organismus.

Wohl waren die ursprünglichsten Vorstellungen hierüber längst verlassen. Die Idee, dass die Krankheit ein besonderes dämonisches Wesen, eine spezifische, zerstörende Kraft darstelle, welche in den Körper eindringe und mit der Gesundheit sans pardon kämpfe, lebt nur noch in einigen sprachlichen Sonderheiten fort. Und ebenso haben sich weitere allgemein philosophische Erklärungsversuche, so die Theorien der galligen und scharfen Säfteverderbnisse, der kosmisch tellurischen Beeinflussung, des tierischen Magnetismus usw. verflüchtigt. Sie alle versagten gegenüber den Tatsachen, wie solche durch eine riesenhafte Forschungstätigkeit auf dem Gebiete der Biologie erhoben wurden. Denn allmählich kristallisierten sich durch diese die Grundgesetze des Lebens so weit aus, dass sie auch für die Erklärung der Krankheit und namentlich auch der Heilvorgänge als Fundament dienen konnten.

Zwar war die Heiltätigkeit des Organismus seit urdenklicher Zeit anerkannt. Von Hippokrates stammt der Ausspruch: "Die Natur ist es, die da heilet". Allein das hinderte nicht, jahrhundertelang gleichwohl Heilkräutlein gegen jedwede Krankheit aufzusuchen und natürlich auch zu finden, hinderte aber auch nicht, Heilfunktionen mit Krankheitsprozessen zu verwechseln, und statt die Krankheit gelegentlich Heilvorgänge, z. B. anstatt die Infektion, die Entzündung zu bekämpfen.

Aber das Erforschen dieser Lebensvorgänge bedurfte der Arbeit, bedurfte der Zeit. Denn auch hier, wie bei jeder biologischen Forschung, darf richtigerweise die Vergleichung zwischen Pflanzen und Tieren, besonders aber zwischen den Repräsentanten :- verschiedener Tierklassen und Arten nicht umgangen werden.

Zu den ersten vergleichenden Untersuchungen auf dem Gebiete der Pathologie. gehört die Lebensarbeit des russischen Gelehrten Elias Metschnikoff in Paris. Bescheidentlich, aber nicht unzutreffend überweist dieser Forscher indessen in seinem Werke: "L'inflammation", die Ehre der Priorität für die Begründung der vergleichenden Pathologie an Darwin, den Lehrer des Daseinskampfes, an Pasteur, den Begründer der Bakteriologie, und an Virchow, den Verfechter der Cellularpathologie.

Damit ist allerdings die Reihe der Mitbegründer und namentlich der Förderer. dieser Disziplin nicht geschlossen; denn wie stände es um die allgemeine Krankheitslehre ohne die Kenntnis der Chemotaxis, wie sie von Pfeffer nachgewiesen, ohne die Arbeiten eines Koch, Ehrlich, Roux, Pfeiffer, Bordet, Abderhalden usw., ganz abgesehen von dem weiteren ehrenvollen Forscherkranz auf dem gleichen Gebiete oder in verwandten Wissenschaften.

Die gewaltige Pionierarbeit war nicht umsonst. Die Vorstellungen über Krankheit und Heilung klärten sich auf; die Grenzen der beiden Prozesse wurden deutlicher und ermöglichten eine präzisere Unterscheidung. Im Lichte dieser Forschung enthüllte sich der Heilvorgang als eine spezifische Funktion des Organismus, als eine Tätigkeit, welche, wie, die physiologische, sich die ganze zoologische Reihe durch erhalten. und entwickelt hat, vom einzelligen Urgeschöpf an bis zu den Primaten, durch das Mittel der Anpassung und Vererbung.

Diese besonderen Tätigkeiten, mögen sie die Abwehr, den Schutz gegen Angriffe, oder die Vernichtung von eingedrungenen Schädlichkeiten, oder aber die Wiederherstellung lädierter Gewebe bezwecken, werden in ihrer Gesamtheit mit Recht als Heilreaktionen bezeichnet.

- Noch kennen wir sie bei weitem nicht alle, denn wie auf anderen Forschungsgebieten, führt auch hier die Lösung von

Fragen immer wieder zu neuen Problemen. Allein ein flüchtiger Einblick in ihr Entstehen und Gestalten, in ihre Gesetzmässigkeit und Einheitlichkeit, soweit das zurzeit möglich ist, dürfte gleichwohl heute versucht werden; schon darum, weil hierin das Fundament der Veterinärpathologie, gewissermassen ihr Glaubensbekenntnis zu suchen ist.

Selbstverständlich wird es der Zeit halber unmöglich sein, die Heilreaktionen bei allen Tierklassen und eingehend zu berücksichtigen. Einige Stichproben müssen darum genügen.

Beherrscht wird das Leben durch die Empfindung; durch sie wird die Funktion bestimmt. Das gilt nicht nur für den gesunden, sondern auch für den kranken Organismus, gilt für das einzellige Geschöpf, wie für das hochorganisierte. Die Empfindung bei Tieren ist objektiv nicht erkennbar; wohl aber die durch sie ausgelöste Organreaktion, namentlich dann, wenn diese in einer Bewegung besteht. Die Verschiedenheit der Reaktionen lässt auf verschiedenartige Wahrnehmungen der äusseren Reize schliessen. .

Beobachtet man Infusorien, etwa Paramäcien, wie sie sich regelmässig gegen Nährstoffquellen, z. B. Bakterienhaufen hinbewegen, wie sie dagegen verschwinden, wenn man protoplasmatische Gifte in ihre Nähe bringt, oder wie sie lustig in Wassertropfen herumtummeln, plötzlich anhalten oder in einer anderen Richtung fortschiessen, wie sie mechanischen Hindernissen ausweichen usw. so möchte man wirklich finden, dass schon bei diesen winzigen Lebewesen äussere Reize bald angenehm, bald unangenehm empfunden und demgemäss in entsprechende Bewegung umgesetzt werden.

Bekanntlich hat zuerst Pfeffer die Anziehung und Abstossung von pflanzlichen Einzelzellen durch verschiedene chemische Lösungen nachgewiesen und als positive und negative Chemotaxis bezeichnet. Ganz dieselben Reaktionen erfolgen auch bei tierischen Zellen und zwar nach chemischen wie nach anderen Reizen, (Licht, Elektrizität, Wärme), und man ist geneigt, sie auf chemisch-physikalische Vorgänge zurückzuführen. Aber in was diese Vorgänge wesentlich bestehen und wie sie sich abspielen, gehört vorerst noch zu den ungelösten Welträtseln;

Bei einzelligen Tieren scheinen äussere Reize spezifische Zellzustände herbeizuführen, welche bald als zuträglich, bald als schädlich empfunden werden und dementsprechend Annäherungs- oder Fluchtbewegungen zur Folge haben.

Ein solches Zellempfinden, das vielleicht in besonderen energetischen Spannungen besteht, kann sehr wohl mit dem sogenannten Lust- und Unlustgefühl höherer Lebewesen identifiziert werden.

Diese sonderbare Zellstimmung fehlt auch den Einzelzellen höher organisierter Tiere nicht; ja, sie kommt hier sogar zum Bewusstsein des Gesamtorganismus; ist man doch geneigt, die Summe sämtlicher Zellempfindungen als Lebensbewusstsein und Gemeingefühl anzusehen. Das Wohl- und Unwohlsein, das Durst-, Sättigungs, Kraft-, und Müdigkeitsgefühl sind nur Nuancen dieses Allgemeingefühls, ebenso die sogenannten Organempfindungen, Muskelgefühl, Füllungs- und Entleerungsgefühl der Eingeweide usw.

Das ausgeprägteste und wohl auch primitivste Zellunlustgefühl ist der Schmerz, der augenscheinlich um so intensiver, und verschiedenartiger empfunden wird, je höher ein Geschöpf organisiert ist. Und wie jedes derartige Unlustempfinden bei der einzelnen Zelle die entsprechenden Flucht- und Abwehrtätigkeiten auslöst, so führt auch, der Schmerz bei höheren Geschöpfen zu entsprechenden Aktionen, zu Zucken, Abwehr, Ausweichen und namentlich zu Schutzstellung des schmerzenden Körperteils. ' ,

So gestaltet sich denn der Schmerz zu einer, wohl der primärsten, physiologischen Einrichtung, welche der Heilung dient und ohne welche die Geschöpfe eigentlich keine Veranlassung hätten, sich vor Schädlichkeiten zu schützen oder bei Krankheiten zu schonen. Der Schmerz ist also für das Leben unerlässlich. Er. meldet uns die Schädigung und wird zum Signal für den Kampf mit den Feinden der Gesundheit.

Als Kampfmittel des Organismus stellten wir eingangs in erste Linie die Schutz- und Abwehrvorrichtungen. Bei einzelligen Tieren erzeugt das Protoplasma gegenüber etwa eingedrungenen, schädigenden Fremdkörpern eine dichte, derbe

Grenzschicht, um damit den Schädling von der weichen, verwundbaren Umgebung zu trennen, abzukapseln. Noch häufiger begegnet man dauernden Verdichtungen der ganzen Aussenschicht der Zelle, analog der Korkschicht der Pfanzen, zum Zweck einer grösseren Resistenz gegen äussere Einwirkungen überhaupt. Solche Hüllen verleihen der tierischen Zelle in der Tat einen Dauerschutz. Mächtiger und solider wird diese Schutzhülle bei den Metazoen, wo sie sich bald als eine chitinartige Cuticula präsentiert, wie bei Würmern und Echinodermen, bald als festes Gehäuse, wie bei den Korallen und vielen Mollusken, oder als hornartiger Panzer (Käfer).

Bei den Wirbeltieren versehen bekanntlich Schuppen, Knochenplatten, Federn-, Epidermis- und Haargebilde diesen Schütz. Dass sich hiezu noch Verteidigungsorgane gesellen, wie z. B. die Trichozysten bei Protozoen, die Nesselorgane der Medusen, die elektrischen Organe verschiedener Fische, oder gar die Stacheln und Zangen vieler Athropoden, und die Zähne, Krallen, Hörner und Hufe der Säuger, mag beiläufig erwähnt sein.

Allein es sind nicht nur grössere, aggressive Feinde, gegen welche sich die Individuen zu schützen oder zu verteidigen haben, sondern es sind vielmehr die zahllosen unauffälligen Schädlichkeiten zu meiden oder zu bekämpfen, wie solche vor allem in der Nahrung enthalten sind, die Gifte und die Mikroparasiten.

Was die Nahrung betrifft, so nehmen die Protozoen und Coelenteraten ziemlich alles Verschlingbare auf und werfen das Untaugliche einfach wieder aus. Bei höhern Tieren kommt dagegen eine Nahrungsauswahl zur Geltung, unter entsprechender Gestaltung der Verdauungsorgane, die bekanntlich sehr weit gehen kann.

Obwohl diese allgemeine Nahrungsauswahl sich nicht eigentlich gegen Gifte richtet, wird doch von höheren Tieren verdorbene, unzuträgliche Nahrung gemeinhin als solche erkannt und verschmäht.

Rehe und Hirsche sollen ziemlich alle Giftpflanzen unberührt lassen, Weidekühe nicht weniger als 126 Pflanzenarten

meiden und Ziegen nach Brehm von 576 Spezies nur 440, Schafe von 327 Arten nur 186 fressen. Anderseits allerdings nascht das Rind ohne Bedenken die giftigen Tabakblätter, und Vergiftungen durch Eiben bei Pferden und Ziegen sind sogar häufig.

Bestimmend wirkt hier offenbar der Geruchsinn, wohl möglich in Verbindung mit dem angeborenen Gedächtnis, dem Instinkt. Von der erstaunlichen, geradezu unfassbaren Entwicklung des Geruchsinns, geben uns nicht nur die Jagd und Polizeihunde sattsam Zeugnis, sondern mindestens ebensosehr die Bienen und Schmetterlinge.

Wie die Wächterrolle der Nase gelegentlich auch von Tierkennern eingeschätzt wird, ergibt sich aus der Gepflogenheit des Bildhauers Eggenschwyler, welcher einen seiner Affen, einen Macaccus,. geradezu als Spezialfleischschauer auserkor. Etwa zweifelhaft gewordene Fleischvorräte überlässt er einfach diesem Geschöpf zur Beurteilung. Wird das Probestück von dem Macaccus nach der gründlichen nasalen Inspektion weggeworfen, anstatt verzehrt, dann weiss er, dass es auch seinen Löwen nicht mehr bekömmlich wäre.

Aber trotz aller Vorsorge wird doch gelegentlich schädigende Nahrung aufgenommen, und vermag nur eine möglichst rasche Wiederausstossung derselben, Nachteile zu verhüten. Es bestehen denn auch für diesen Fall Schutzvorrichtungen in Form von Reflexakten des Organismus, welche automatisch zu einer raschen Wiederentfernung führen, das Erbrechen und das Laxieren; das sind Schutzreaktionen.

Das Ausstossen van aufgenommener Nahrung durch die Eingangspforte ist übrigens nicht immer pathologisch. Das Auswerfen des Gewölles bei Raubvögeln, das Wiederkauen der Ruminanten, ebenfalls ein Brechakt, und wohl nicht weniger das Vorbrechen der Hündinnen und etwa der Sauen, wenn sie ihre Jungen vom Saugen entwöhnen wollen, um ihnen vorgekaute und erweichte Nahrung zu bieten, sind sicherlich normale physiologische Funktionen. Sonst aber tritt Brechen als unwillkürlicher Reflexakt, zu Schutz und Heilzwecken auf und zwar bei Magenüberfüllung, oder bei stark reizendem Inhalt und

wo es aus anatomischen Gründen nicht möglich ist, wie beim Pferd, bleiben auch die nachteiligen Folgen nicht aus.

Leider stellt sich dieser Abwehrprozess nicht regelmässig ein, wo er angezeigt wäre und muss allenfalls künstlich erregt werden, was beim Menschen durch allerlei Mittel leicht erreichbar ist; weniger dagegen beim Tier. Immerhin scheinen doch sowohl Hunde als Katzen den Brechakt künstlich hervorrufen zu können und auch zu wollen, wenn sie an Magenbeschwerden leiden. Hieraufhin weist das gelegentliche Grasfressen dieser Tiere, durch welches die Rachenwand solange gekitzelt wird, bis die gewünschte Erleichterung eintritt.

Analoge Abwehrvorgänge, bestimmt in Organe eingedrungene Schädlichkeiten wieder auszuwerfen, sind das Niessen, der Husten, der Tränenfluss, Reflexe welche allen höheren Tieren, zumal unseren Haustieren eigen und übrigens, sattsam bekannt sind.

Aber ungleich häufiger als giftige Nahrung fallen pflanzliche und tierische Parasiten als Krankheitsursachen, ja als die schlimmsten Feinde der Lebewesen in Betracht. Die Aufnahme der Bakterien, gleichgültig ob mit Nahrung und Getränk, ob durch Luft oder Wunden, vollzieht sich unbemerkt, so dass eine rechtzeitige Abwehr fast unmöglich wird. Zwar verschaffen sich die Schleimhäute einigermassen Schutz gegen die Ansiedlung solcher Störenfriede, durch stärkere Schleimbildung und durch die Flimmerbewegung ihres Deckepithels; allein die Invasion gelingt leider gleichwohl nur allzu oft und führt dann zum Kampf zwischen Körperzelle und Parasiten.

Relativ einfach spielt sich dieser Kampf ab bei den einzelligen. Geschöpfen, welche durch das Mittel ihrer Verdauungsenzyme den ins Protoplasma eingedrungenen Mikroben begegnen, sie entweder töten und auflösen oder anderweitig unschädlich machen, einkapseln oder ausstossen. Auch die Verdauungszellen der Coelenteraten liefern bakterienfeindliche Säfte, ebenso diejenigen der Würmer, Raupen und Krebse,. wodurch mit der Nahrung aufgenommene Mikroben vernichtet werden; Wo aber die Mikroben derart in die Körpersubstanz eindringen, dass sie von den Verdauungssäften nicht erreicht werden, da übernehmen

mesodermale Zellen die Verteidigung. Sie umlagern die Bakteriensiedelungen, lassen ihre Enzyme auf sie einwirken, oder suchen sie sonstwie zu zerstören.

Bekanntlich schädigen die Bakterien weniger durch ihre mechanische Anwesenheit als vielmehr durch Giftstoffe, welche sie erzeugen, die sogenannten Toxine.

Wenn sich also der Organismus hiegegen schützen will, so kann, das nur geschehen durch Zerstörung oder Neutralisation dieser Gifte. Tatsächlich verfügt denn auch der Körper sowohl über bakterienvernichtende als auch entgiftende Potenzen, in Form spezifischer Zellprodukte, den sogenannten Antikörpern. Als solche versteht man lösliche, oder doch colloide, organische. Verbindungen, welche von den Körperzellen produziert und, dank ihrer enzymartigen Eigenschaften, imstande sind, allerlei organische . Gifte oder artfremdes Eiweiss zu binden, sowie auflösend oder sonst schädigend auf die Mikroben einzuwirken. Hierin besteht ihre Rolle. als Heilfaktor.

Von der Raschheit der Antikörperbildung hängt zumeist die Heilung der Krankheit ab. Allein auf ihre Entstehung und Wirkungsweise während und nach der Krankheit oder auf die Art ihrer künstlichen Anreicherung im Blut, auf ihre Gewinnung und auf ihre Bedeutung für die Diagnose, sowie ihren Wert als künstliches Heil- und. Schutzmittel, kann hier nicht wohl eingetreten werden, ob wol die wertvollsten Errungenschaften der Medizin just diesem Gebiet entstammen.

Die Antikörperbildung ist zwar noch nicht in der ganzen tierischen Reihe nachgewiesen, indessen ist sie bei Warmblütern so gesetzmässig, dass der Rückschluss annehmbar erscheint, sie entspringe ebenfalls einer lückenlosen philogenetischen Entwicklung. Ja es sprechen Gründe dafür, dass diese physiologische Entgiftungstätigkeit des Organs sich ebenso früh und ebenso allgemein entwickelte, wie die Verdauung und Assimilation. Die Benutzung solcher Antikörper zu Heil- und Schutzimpfungen, beziehungsweise die oft überraschenden Erfolge von solchen, bestätigen nicht .nur ihre wirkliche Heilnatur, sondern zeugen auch davon, dass die bezüglichen Theorien auf richtigem Fundament basieren. Immerhin ist die Heilwirkung weder so universell

noch so verständig, als dass daneben nicht noch weitere Heilreaktionen erforderlich wären, insbesondere bei den höheren Tieren. Hier sind noch zu nennen die Phagocytose und die Entzündung.

Unter Phagocytose versteht man das Einverleiben und Verdauen von Mikroben durch Körperzellen. Metschnikoff hat die Vernichtung parasitärer Pilze durch die Zellen geradezu als die wichtigste und erfolgreichste Verteidigung des Organismus erklärt und zwar gestützt auf die Untersuchung der Infektionsvorgänge bei Repräsentanten aller Tierklassen.

Es sind wiederum vornehmlich die Elemente und Abkömmlinge des Mesoplastes, welche als Körperpolizei diese Schutzwehr übernehmen, also Bindegewebszellen, Endothelien und weisse Blutkörperchen.

Mag auch die Annahme zu weit gehen, dass die Bakterien nur durch die Körperzellen vernichtet werden, so kann die Tatsache als solche kaum negiert werden. Sowohl die Inkorporation von Bakterien, wie das Zugrundegehen derselben im Zelleibe, kann mittelst bestimmter Färbungsverfahren mikroskopisch ohne weiteres verfolgt werden. Nicht nur das, sondern die Fressgier dieser Zellen kann zifferngemäss festgestellt, sogar künstlich angeregt, oder unterdrückt werden.

Die Phagocytose, wie überhaupt die Ansammlung von Fresszellen in der Nähe von Infektionsstellen wird letzterdings auf die Chemotaxis zurückgeführt. Heftige und konzentrierte Toxine wirken auf die weissen Blutzellen negativ chemotaktisch; schwache Toxinlösungen, wie übrigens auch Zelltrümmer. scheinen dagegen diese Zellen anzulocken. Und von dem aggressiven Verhalten der weissen Blutzellen hängt sicherlich vielfach der Sieg des Organismus ab. Gehen dabei auch die meisten Leukocyten zugrunde, so werden dafür ihre Enzyme frei und wirken als Antikörper weiter.

Wo z. B. an einer Einbruchstelle von Pilzen das Zuströmen von Wehrzellen ausbleibt, wie z. B. bei Milzbrand, Rauschbrand, malignem Oedem, da sind die Heilaussichten immer ganz gering. Da aber, wo sich an der Infektionsstelle die Fresszellen einstellen, besteht wenigstens nicht direkte Lebensgefahr, wenn

auch sofortige Heilung darum noch nicht garantiert ist. Denn jetzt erst erfolgt der Kampf zwischen Zelle und Pilz, und nur wo die Phagocytose möglich und zudem ausgiebig ist, gelingt die Vernichtung der Mikroben, tritt mithin die Heilung ein.

Recht instruktiv für diese Vorgänge waren für uns die Beobachtungen bei einer durch Kettenpilze (Streptococcen) verursachten Infektion der Milchdrüse des Rindes, des sogenannten gelben Galtes. Die Untersuchung des Milcheiters, oder präziser, der Inkorporation von Mikroben durch die Eiterzellen, bei einigen Tausend solcher Fälle, führten zur Erkenntnis, dass eine Heilung nur da zu erwarten sei, wo die Pilze reichlich und rasch phagozytiert werden. Wo das aus irgend einem Grunde, z. B. wegen sehr langen Ketten, nicht möglich ist, bleibt die Krankheit fortbestehen. So richtet sich die Voraussage zuverlässig nach der Phagocytose. -

Der Verbrauch von den ohnehin schnellebenden weissen Blutzellen während einer Infektion ist denn auch enorm. Aber ebenso gross ist die Reproduktionsfähigkeit. Von einem Tag auf den andern kann ihre Zahl um 50 % und mehr zu- oder abnehmen. - -

Wie unsere Untersuchungen bei Infektionskrankheiten des Pferdes (Druse und Pneumonie) zeigen, vermehren sich die weissen Blutzellen in 24 Stunden. gelegentlich um 100 %; ja innert wenigen Tagen kann ihre Zahl von 9000 auf 60,000 per Kubikmillimeter Blut ansteigen, was einer Vermehrung von 1800 Milliarden solcher Körperpolizisten gleichkommt.

Die Tätigkeit der Fresszellen beschränkt sich übrigens keineswegs bloss auf die Vernichtung von Pilzen. Ihre Enzyme vermögen auch tierische Zellteile zu verflüssigen. Solche werden gleich wie die Mikroben, nicht selten in das Protoplasma aufgenommen und verdaut und ist diese Seite der Phagocytose von eminenter Bedeutung, wo immer Zellkadaver und Zelltrümmer, oder auch koagulierte Eiweissverbindungen. von irgend einem infizierten oder. sonst lädierten Gewebsgebiet weggeschafft werden müssen.

Konstatiert mag hier noch werden, dass sowohl die verschiedenen Formen der weissen Blutzellen, als auch, soweit

bekannt, ihre Funktionen, beim Menschen und den Säugetieren vollständig übereinstimmen.

Und nun die Entzündung. Am besten bekannt und gefürchtet als Krankheitssymptom und bis vor wenigen Dezennien als Krankheit selber aufgefasst, ist ihr Wesen nun doch etwas besser erschlossen. - -

Der ziemlich komplexe Vorgang der Entzündung besteht im Wesentlichen in einer Erweiterung der kleinen Arterien und der Kapillaren und in einer Veränderung des Kapillarendothels, zufolge allerlei Reize, insbesondere von Giftstoffen. Folgen hievon sind Blutüberfüllung der Gefässe und vermehrte Durchlässigkeit der Kapillarwände, mithin Überschwemmung der nächstliegenden Gewebe mit Blutplasma. Trifft das eine Infektionszone, so werden dadurch die vorhandenen Toxine verdünnt, vielfach wohl auch neutralisiert oder weggeschwemmt; kurz, ein ursprünglich negativ chemotaktischer Gewebssaft wird in einen positiv chemotaktischen übergeführt, in welchem Fall dann das Zuwandern und Ansammeln von weissen Blutzellen stattfindet. Die erst wässrige, ödematöse Entzündungsform geht jetzt in die eitrige über.

Es gehört nun zu den interessantesten Aufgaben der Pathologie, dieses Geschehen bei den verschiedensten Geschöpfen zu verfolgen. ,

Nicht nur wiederholen sich diese Vorgänge bei allen möglichen Infektionen und bei allen warmblütigen Tieren, sondern sie verlaufen auch so überraschend gleichartig und gesetzmässig, dass der spezifisch physiologische Charakter derselben nicht zu verkennen ist. Freilich variieren etwa Intensität und Dauer der verschiedenen Entzündungsphasen, je nach der Empfindlichkeit des Organismus gegenüber der Noxe. Oder es trübt sich das Durchschnittsbild zufolge mehr oder weniger starker Verwüstung ab Seite der Entzündungsursache. So erzeugen die Pilze , gelegentlich Nekrosen, Gerinnungen, Einschmelzungen, oder auch Gase, Farben, Geruchstoffe usw., welche Zufälligkeiten bei der Klassifikation der Entzündungsformen vielfach berücksichtigt wurden. -

Aber im Prinzip bleiben die wesentlichen Vorgänge der Entzündung immer dieselben, zuerst die plasmatische Durchflutung des Gewebes, die negativ chemotaktische Phase, und sodann die eitrige Infiltration, oder positiv chemotaktische Form, und rechtfertigt sich diese Einteilung auch vom klinischen Standpunkt aus, schon mit Rücksicht auf die Prognose.

Bei Infektionen gehören überhaupt Entzündung, Phagocytose und Antikörperbildung zusammen wie drei Waffengattungen im Feld. Nur in vereinter Aktion vermögen sie dem Einbruch des Feindes zu wehren. Auch bei nicht infektiösen Läsionen, Ätzungen, Versengungen, Quetschungen etc, treten dieselben Heilreaktionen auf, allerdings meist weniger stürmisch Sogar die Eiterbildung fehlt nicht, namentlich da nicht, wo etwa Zelltrümmer zu beseitigen sind; während der gesteigerte Blutzufluss diesfalls mehr der Regeneration zu gute kommt. Unbewusst hat die Tierheilkunde seit Jahrhunderten und bis zur Stunde die Entzündung als Heilfaktor benutzt, indem sie sie anzufachen suchte mittelst Scharfsalben und Glüheisen.

Mit den genannten Prozessen sind indessen die Heilvorgänge nicht erschöpft. Es gibt noch weitere Vorkommnisse im Verlauf von Krankheiten bei den verschiedensten Tieren, welche wegen ihrem häufigen und regelmässigen Auftreten und ihrer gesundheitlichen Bedeutung als physiologische, d. h. durch Anpassung und Vererbung konsolidierte Funktionen des Organismus aufgefasst werden müssen.

Zu nennen ist vorab das Fieber, jene sonderbare Höhereinstellung der Körpertemperatur durch Reizung des Wärmeregulationszentrums, welche letztes Jahr an diesem Orte in so überaus anschaulicher Weise geschildert wurde.

Dass eine solche Reizung stattfindet durch im Blut zirkulierende Toxine, übrigens auch durch andere Stoffe, ist experimentell hinlänglich erwiesen.

Und dass es sich dabei nicht um eine zufällige Empfindlichkeit einzelner Tierspezies handelt, erhellt aus der Übereinstimmung dieses Phänomens bei allen Warmblütern. Ja sogar bei Fischen wird nach Allgemeininfektionen eine anhaltende Temperatursteigerung

um ein und mehr Grade beobachtet, so dass man sich auch hier mit dem Gedanken emer phiogenetischen Entwicklung dieser Einrichtung wird abfinden müssen.

Die biologische Zweckmässigkeit, d. h.. die Heiltendenz des Fiebers ist allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich und einwandfrei bewiesen, ob zwar sie schon im Jahr 1665 von Sydenham angenommen wurde. Hier mag vielleicht an folgendes erinnert werden: Bekannt ist, dass Temperaturen von 40-42° Celsius auf Bakterienkulturen schädigend, schwächend wirken; Hühner, deren Körpertemperatur normal 40-41°Celsius beträgt, sterben nicht an künstlicher Milzbrandinfektion, es sei denn, man kühle sie ab.

Nach Krehl sollen Kaninchen, welche mit Diphterie, Hühnercholera oder Rotlaufbazillen geimpft wurden, weniger schwer erkranken, sobald ihre Eigenwärme durch eine Reizung (Stich in den Streifenhügel) künstlich erhöht wird.

Tatsache ist ferner, dass erhöhte Temperatur allgemein die vitale Energie der Zelle steigert, beispielsweise ihre Bewegungsfähigkeit erhöht, die Phagocytose und die Fermentwirkung fördert und es ist mindestens plausibel, dass sie auch andere Zell funktionen, wie just die Antikörperbildung anregend beeinflusst.

So ist denn auch die Kälte in der Therapie infektiöser Erkrankungen schon längst durch Wärme ersetzt worden.

Gleichwohl wird man die Heilwirkung des Fiebers nicht allzu hoch einschätzen dürfen, angesichts des Umstandes, dass infektiöse Krankheiten, trotz Entfieberung mit Antipyretica nicht nur nicht schlimmer, sondern öfters sogar leichter verlaufen.

Nicht jede Infektion führt zu Fieber und auch bei fiebererzeugenden Infektionen kann die Temperatur zurückgehen, bevor die Krankheitskeime vernichtet sind.

Da die natürliche Entfieberung in der Bindung der Toxine durch die Antikörper besteht, so kann die Fiebertemperatur als Gradmesser für die Toxinvergiftung, nicht aber der Infektion an sich gehalten werden.

Nicht verhehlt soll sein, dass man dem Fieber auch schädigende Wirkung zuschreibt, namentlich allerlei protoplasmatische Degenerationen.

Ist solches auch nicht undenkbar, so spricht doch mehr noch dafür, dass hier die Toxine verantwortlich zu machen sind, dieselben Toxine, welche auch das Fieber erzeugen.

Bekanntlich gehen mit der Temperaturerhöhung noch weitere sogenannte Fiebersymptome einher, so Unwohlsein, Frost- und Müdigkeitsgefühl, Appetitlosigkeit, Gähnen usw., und da man bei den Tieren Anzeichen von gleichen Empfindungen, wie sie beim Menschen vorkommen, wahrnimmt, wird auch hier die Frage frei nach ihrer physiologischen Bedeutung.

Das Kältegefühl, das die Tiere äussern durch Sträuben der Haare oder Federn, durch Zusammenkauern, Verkriechen im Stroh oder Aufsuchen sonniger Plätzchen, tendiert offenbar die Wärmeersparnis, und ist, wie auch der Schüttelfrost, als 'Teilerscheinung des Fiebers verständlich.

Das Müdigkeitsgefühl, so wie es sonst nach Muskelarbeit auftritt, infolge Anhäufung gewisser Stoffwechselprodukte, der sogenannten Kenotoxine, im Blut, macht sich auch bei fieberhaften Krankheiten geltend, derart, dass jede Bewegung tunlichst gemieden wird, so sehr, dass Pferde jeden Dienst versagen, Weidetiere hinter der Herde zurück bleiben, Hühner sich beliebig fangen lassen.

Die Bakterientoxine entfalten offenbar eine analoge Wirkung auf die Nerven, wie die Kenotoxine. Nun lehrt die klinische Erfahrung, lehrt auch das bekannte Experiment der infizierten Erfahrung, in der Tretmühle, dass körperliche Anstrengungen eine bestehende Infektionskrankheit durchweg sehr übel beeinflussen. Es scheinen die Kenotoxine die Heilreaktionen förmlich zu hemmen. Wenn mithin der infizierte Organismus durch das Müdigkeitsgefühl zur Ruhe gemahnt wird, so entspricht das durchaus einer natürlichen Heiltendenz. •

Was die Appetitlosigkeit betrifft, so sollte man meinen, der Körper bedürfe eher mehr als weniger Nahrung zur Erhaltung der erhöhten Temperatur, und doch wird man der Inappetenz,

mit Rücksicht auf ihre Häufigkeit; ja beinahe Regelmässigkeit bei Fieberkrankheiten und zwar bei allen Haustieren, ebenfalls eine gewisse Heiltendenz zuschreiben müssen. Zur Erklärung demelben mag die Erwägung dienen; dass bei jenen Toxinvergiftungen, welche zu Fieber führen, ein mehr oder weniger ausgesprochenes Versagen der Drüsenfunktionen —wohl eine direkte Folge der Zellvergiftung —, eine regelmässige Erscheinung darstellt.

Recht sinnfällig und direkt messbar ist diese Mindertätigkeit bei der Milchdrüse; unschwer zu erkennen ist sie am Flotzmaul des Rindes, das normaliter betaut ist und jetzt, beim Fieber, trocken und heiss wird; weiter in den Augen, welche mangels genügender Tränenflüssigkeit einen eigentümlichen. Glanz, den bekannten Fieberglanz, annehmen. Auch die Speichelsekretion geht zurück und ebenso die Drüsentätigkeit des Magens, wie wenigstens aus gelegentlichen Sektionsbefunden zu entnehmen ist. So wird die Verdauung verlangsamt und die Peristaltik träge, so dass sich die Ingesta mehr und mehr anstauen. Eine Minderung der Futteraufnahme dürfte darum nicht nur begreiflich, sondern als naturnotwendig erscheinen, wenn nicht eine Überfüllung des Digestionskanals eintreten soll.

Weniger abgeklärt ist die Bedeutung des Gähnens und Streckens, das zwar auch bei gesunden, mehr aber doch bei kranken Tieren beobachtet wird, und zwar keineswegs bloss als Ausfluss der Langeweile oder der Müdigkeit, wie es beim Menschen taxiert wird. Alle Säuger, sogar das Schnabeltier und sodann die Vögel gähnen, folglich handelt es sich auch hier um einen physiologischen Reflexakt mit bestimmtem Zweck.

Am ehesten lässt sich vermuten, die dabei ausgelösten Muskelaktionen dienen einer allgemeinen Belebung des Körpers; insbesondere des Herzens; wenigstens tritt es beim Pferd bei Erschlaffung und Arhythmie des Herzens namentlich anlässlich von Dyspepsie sehr häufig auf.

An diese Schutz und Abwehrreaktion reiht sich sodann als weitere letzte und wichtigste Heilfunktion an, die Regeneration das ist der Wiederaufbau und Ersatz von erkranktem oder von untergeganenem Gewebe. Jede Krankheit setzt eine

materielle Veränderung der elementaren Teile des Körpers voraus. Bald ist diese reparabel, vorübergehend, bald dauernd, irreversibel; letzteres bedeutet für die Zelle den Tod. Es ist zweifellos, dass zahlreiche protoplasmatische Strukturveränderungen, wie z. B. trübe Schwellungen, sogar schollige Degenerationen, restlos ausheilen, solange nur der Zellkern unverändert bleibt.

Anders, wo Zellen oder gar Zellkomplexe vollständig zerstört worden sind. Da ist eine totale Neubildung verständig eine Substitution des Gewebes erforderlich. Diese Zellvermehrung, die einer partiellen ungeschlechtlichen Fortpflanzung gleichkommt, ist aber kein sehr einfaches Geschäft, besonders bei weitgehend differenzierten Elementen; denn es ist evident, dass hier überall die Vererbungsenergien zur Geltung kommen müssen.

Je tiefer das Individuum in der zoologischen Reihe steht, desto grösser ist sein Regenerationsverm~gen. So ersetzen einzellige Tiere ihren ganzen Protoplasmaleib, die Coelenteraten, Echinodermen und Würmer wenigstens grosse Körperteile, Regenwürmer die' ganze hintere Körperhälfte, Schnecken die Augen, Krebse ganze Gliedmassen, ebenso 'Salamander und' Eidechsen; Aber schon bei den Fischen hört eine so weitgehende 'Remedur auf, doch heilen Wunden auffallend schnell.' Das auch bei den Vögeln, und 'endlich bei den Säugern regenerieren hauptsächlich noch die Bindesubstanzen und das Deckepithel, wogegen Muskeln und Ganglienzellen, sowie die meisten Drüsen durch Bindegewebe substituiert werden. '.

Bei Infektionen beginnt die Wiederherstellung zerstörten•, Gewebes meist schon während des, Kampfes mit den Bakterien. Allerdings am, eigentlichen Infektionsherd herrscht nur 'Tod und Verderben; aber peripheriewärts, wo das Bakteriengift weniger konzentriert ist, vollzieht sich die Vermehrung der' sesshaften Zellen regsam, namentlich wo eine Vermehrung von Eiterzellen den Kampfplatz gewissermassen abgesperrt hält. Hier also, ausserhalb der wehrtätigen Eiterzone, der sogenannten Demarkationslinie, bildet sich ein förmlicher Schutzwall von jungen Bindegeweben, welche, falls das Schlachtfeld nicht gänzlich

gereinigt wird, dasselbe mitsamt den abgestorbenen Gewebsteilen komplett abkapselt und vom gesunden Gewebe abschliesst, ganz analog dem geschilderten Vorgang im Protistenprotoplasma.

Meistens allerdings gelingt es der Tätigkeit der Phagocyten; die Gewebstrümmer vollständig zu lösen und zu eliminieren und diesfalls tritt auch hier das junge Bindegewebe in die entstandene Lücke und führt zu Vernarbung.

Soweit die unbewussten, gleichsam automatisch sich abspielenden Heilvorgänge im Organismus.

Man darf sich nun füglich fragen, ob bei den Tieren neben diesen unwillkürlichen Heilvorgängern nicht auch bewusste, gewollte Heiltätigkeiten vorkommen; sei es beim einzelnen Tier, oder in altruistischem Sinne als gegenseitige Hilfe. Im allgemeinen ist hierüber nicht gar viel Bestimmtes, namentlich nicht viel Erbauliches bekannt.

Zwar existieren viele und oft merkwürdige Histörchen, insbesondere in der Literatur der Tierschutzvereine, über derartige samaritische Hülfeleistungen; allein diese Schilderungen präsentieren sich allzusehr als durch Subjektivlinsen gewonnen, als dass•sie vollwertig eingeschätzt werden dürften. Immerhin gibt es Erscheinungen, welche zwanglos im Sinne einer willkürlichen therapeutischen Massnahme gedeutet werden können, wie z. B. das bereits erwähnte Grasfressen der Carnivoren zum Zwecke des Brecherregens. Ebenso scheint auch Kalkmangel der Nahrung ein spezifisches Hungergefühl und entsprechende Gelüste provozieren zu können.

Pferde und namentlich Wiederkäuer benagen den Kalkverputz der Mauern, reissen die Pflanzen aus und fressen die Wurzeln mit der anhaftenden Erde, ja auch direkt Erde. Prof. Bieler in Lausanne will wiederholt beobachtet haben in den Walliser Alpen, dass, wenn das Weidevieh am Bergbach zur Tränke kam, immer ein Tier erst in das Wasser trat, mit den Vorderfüssen den Grund auf wühlte und dass erst dann die Tiere tranken und zwar nur von diesem getrübten Wasser..

Auch die Affen sollen, besonders nach reichlichem Genuss von fleischigen Früchten, mit Vorliebe Erde aufscharren und verschlingen. Wohlbekannt ist ja auch der Kalkhunger der Hühner.

Dagegen ist das Aufsuchen bestimmter Heilkräuter und Laubarten durch Ziegen vorsichtig zu beurteilen, eingedenk der Leckerheit dieser Geschöpfe. Im allgemeinen verschmähen kranke Tiere das Futter vollständig und nehmen die Arzneien ebenso ungern als, die Menschen.

Auch die gelegentliche Wundpflege der Tiere kann nicht als einer Heilabsicht entsprungen beurteilt werden. Wenn z. B. Hunde ihre Wunden belecken, so dürfte das ebensosehr auf das wohltuende Gefühl des Reinigens und Scheuerns zurückgeführt werden, und wenn Vögel sich sogenannte Wundverbände leisten, durch Auflegen von Federn, so ergeben wenigstens die eigenen Beobachtungen, dass es sich hier mehr um ein zufälliges Ankleben von Federn handelt. Übrigens wäre ein derartiger Naturwundverband nur von höchst fraglichem. Wert, da die Federn in der Regel doch allzu schmutzig sind.

Nicht weniger gewagt ist die Behauptung, dass das Walzen der Pferde bei Kolik eine spezifische, gewollte Heiltätigkeit darstelle. Unmöglich ist es nicht, dass durch allerlei Lagewechsel. etwaige Colonverlagerungen sich lösen könnten. Allein im ganzen hat man doch den Eindruck, dass es sich bei diesen abnormen Körperbewegungen mehr darum handelt, eine möglichst schmerzfreie Lage zu erreichen. ' .' ,

Und nun gar eine gegenseitige Krankheitspflege, die auch nur einigermassen konstant, d. h. gesetzmässig wäre, wird beim Tier vollständig vermisst, obwohl sonstige Hilfeleistungen ähnlicher Art ja recht häufig sind. Zu erinnern ist nur an die Wohnungs- und Nahrungsfürsorge für die Jungen und an weitere, sicherlich bewusste, Handlungen als Ausfluss der Mutterliebe.

Abgesehen von allfälligem Ablecken von Wunden, vom gegenseitigen Scheuern und Benagen oder Ablesen von Ungeziefer bei Affen, Vögeln und dergleichen, ist eigentlich nicht viel zu sehen von Kranken-Fürsorge. Vielmehr kann das Gegenteil, jawohl sehr das Gegenteil behauptet werden.

Kranke Tiere werden meistens von ihresgleichen verfolgt. Beispielsweise werden kranke Hühner entsetzlich gepeinigt, oft geradezu zu Tode gepickt, marode Schweine in Eisenbahnwagen niedergetreten und zum Verenden gebracht. Das mag denn auch mit ein Grund sein, dass kranke Tiere sich gerne absondern und die Einsamkeit aufsuchen. Kranke Katzen verbergen sich meistens und sterben und verderben ungesehen und unbeweint. Verwundete oder kranke Guanacos sollen, wie Darwin berichtet, einsame, buschreiche Flussufer aufsuchen und daselbst auf selbstgewählter Nekropolis ihren Tod abwarten. Auch kranke Elephanten sollen beim herannahenden Tod sich verbergen und als wahrhafte Stoiker dem Unabwendbaren entgegensehen.

Und ebensowenig sind kollektive Schutzaktionen gegen gemeinsame Feinde zur philogenetischen Entwicklung. gereift, obwohl solche Feinde nicht unbekannt sind. So werden beispielsweise Raubfische auf grosse Distanzen von den kleinen Fischen wahrgenommen, Raubvögel von den kleinen Sängern von weitem erkannt und Raubtiere aller Art weithin gewittert;

Gleichwohl beschränken sich die Schutzmassnahmen bei Herdetieren zumeist auf blosse Signale, so das ängstliche Gezwitscher der Vögel bei Sicht von Raubtieren (oder auch Aeroplanen) der spezifische Warnruf der Hähne und Gänse, das Pfeifen der Murmeltiere und Gemsen usw.

Dagegen gehört jene angebliche Taktik der Einhufer, dass sie in Gefahr Gruppen bilden, die Köpfe zusammenstrecken, um mit ihren Hufen den Feind abzuwehren, zu den Fabeln. Die Regel bildet vielmehr die Flucht, am ausgesprochensten, nämlich als sinnloses Durchbrennen, bei den Schafen. -.

Noch weniger vermochte sich irgendwelche individuelle oder genossenschaftliche Schutzaktion gegenüber von Infektion in der Art eines Seuchenschutzes philogenetisch auszugestalten, obwohl man das angesichts der Immunisationsmöglichkeit hätte. begreifen können. Dies wenigstens gegenüber von Infektionskrankheiten mit auffallenden Symptomen, z. B. der Tollwut der Hunde, welche durch die Beissucht und die spezifisch veränderte

Stimme der Kranken auch für Tiere leicht erkennbar sein dürfte.

Allein, nicht nur weichen gesunde Hunde den Wutkranken nicht aus, sondern auch diese befallen unterschiedslos alle Geschöpfe, suchen sogar ihre eigenen Jungen auf, um ihnen den verhängnisvollen Biss beizubringen; also von einer Verhütung der Infektion keine Spur. Doch ja; eine gewisse, wenn auch nicht beabsichtigte Art natürlicher Seuchenbekämpfung bei Tieren besteht, und zwar in der Weise, dass kranke Geschöpfe von den Raubtieren leichter abgefangen und vertilgt werden. So entpuppen sich beispielsweise die Füchse als so vorzügliche Waldsanitäter, dass sie von einsichtigen Jägern geschont, sogar eingesetzt werden, wo immer eine Hasenseuche ausgebrochen ist. Nur auf diese Weise soll eine Seuche rasch zum Erlöschen gebracht werden können.

Sonst aber scheint die Krankheitsprophylaxis und die Krankheitsfürsorge ausschliesslich eine Errungenschaft des denkenden Menschen zu sein, als folgerichtige Weiterentwicklung des Naturgesetzes der Erhaltung des Individuums und der Art.

Aber diese segensreiche Institution vermag sich beim Menschen, wie auch gegenüber dem Tier nur dann wirkungsvoll zu entfalten, wenn sowohl die Krankheitsursachen, wie auch alle der natürlichen Abwehr und Heilung dienenden Vorgänge bekannt sind.

Diese Erkenntnis zu erreichen, die natürlichen Heilreaktionen zu fördern und zudem Linderung zu bringen während der Krankheit, das ist und bleibt die hehre Aufgabe der medizinischen Wissenschaft und Tätigkeit.