Ansprache bei der
Eröffnung des Studienjahres 1921/22
an der Eidgen. Technischen Hochschule,
17. Oktober 1921
gehalten von
H. E. Schellenberg,
Vizerektor.
Erweiterter Separatabdruck aus der Neuen Zürcher Zeitung
Nrn. 1525, 1560 u. 1595, vom 25. Okt., 1. u. 8. Nov. 1921
Hochverehrte Festversammlung!
Es entspricht einem guten alten Brauch, dass
der Eröffnungstag des neuen Studienjahres an
unserer Hochschule zu einem Festtage gestempelt
wird. Behörden, Dozenten und Studierende finden
sich zusammen, um dankbar der Gründung der
Hochschule zu gedenken und um den neueintretenden
Studierenden den Willkommgruss der Hochschule
zu entbieten.
Ein besonderer Zufall will es, dass heute der
stellvertretende Rektor diese Aufgabe übernimmt;
sein Verehrter Kollege ist leider durch Krankheit
verhindert, diese schöne und hohe Pflicht des Rektorates
auszuüben.
Ich handle gewiss in ihrer aller Namen, wenn
ich ihm ain heutigen Festtage die besten Wünsche
zu seiner Genesung übermittle.
Die gesamten Anmeldungen 1920 1921
für das neue Studienjahr betragen 571 449
Davon haben ihre Anmeldung zurückgezogen 50 24
Von den verbleibenden 521 425
mußten sich der Aufnahmeprüfung unterziehen 201 129
Davon hatten Erfolg 153 112
Auf Grund von Maturitätszeugnissen wurden
aufgenommen 320 296
Die Gesamtzahl der Neuaufgenommenen beträgt 473 408
Diese verteilen sich aur die einzelnen Abteilungen wie
folgt: 1920 1921
l. Abteilung für Architektur 20 28
II. " "Ingenieurwesen 78 66
III. " "Maschinenwesen und Elektrotechnik 174 168
lV. " "Chemie 76 47
V. " "Pharmazie 13 12
VI. " "Forstwirtschaft 14 16
VIl. " "Landwirtschaft 46 49
VIl. b " "Kulturingenieure 6 10
VllI. " "Fachlehrer in Mathematik und Physik 8 9
lX. " " Fachlehrer in Naturwissenschaften 4 3
Verehrte Kommilitonen!
Ihnen allen, die Sie mit dem heutigen Tage in
den Verband unserer Hochschule aufgenommen
wurden, reiche ich freudig die Hand und wünsche
Ihnen namens der Behörden und des Lehrkörpers
den besten Erfolg zum Studium. Möge es jedem
von Ihnen vergönnt sein, ein ernstes Studium mit
wahrer Lebensfreude zu paaren, so dass die Jahre,
die Sie an unserer Hochschule verbringen, zu den
glücklichsten Ihres Lebens gehören mögen. Nicht
ohne Sorgen und Anstrengungen wird das Ziel,
das Sie sich gewählt haben, erreicht. Aber in allen
Schwierigkeiten, die das Studium bietet. wird
Ihnen der Lehrkörper der Hochschule der beste Berater
sein und Sie gerne mit Rat und Tat unterstützen.
Was Ihnen die Eidg. Technische Hochschule
bietet, ist ein Geschenk des Schweizervolkes. Sie
tun nichts als Ihre Pflicht und Schuldigkeit gegenüber
Ihren Mitbürgern, wenn Sie sich dieser Ausnahmestellung,
die Sie als Studenten im öffentlichen
Leben geniessen, dankbar und würdig erweisen.
Tragen Sie Sorge dafür, dass der Studententitel
für Sie ein Ehrentitel bleibt und dass
durch Ihr Benehmen sowohl innerhalb der
Mauern der Hochschule als auch ausserhalb im
Elternhaus wie in der Oeffentlichkeit dieser Ehrentitel
niemals Schaden leidet. .
Die meisten von Ihnen haben den Vorzug, dass
sie in neue Räumlichkeiten unserer Hochschule einziehen
dürfen und neues Mobiliar zur Benutzung
bekommen. Es ist Arbeit Ihrer Mitmenschen und
ein Teil des Vermögens des Schweizervolkes, an
dem Sie selbst Anteil haben, das Ihnen zur Benutzung
überlassen wird. Wir erwarten von Ihnen,
dass Sie dasselbe mit der gleichen Sorgfalt wie ein
Familienstück behandeln, das bestimmt ist, noch
mancher Generation zu dienen.
Verehrte Festversammlung!
Am heutigen Tage sind 50 Jahre verflossen,
seitdem an der Eidg. Technischen Hochschule, dem
damaligen Polytechnikum, die neuangegliederte
Landwirtschaftliche Abteilung ihre Pforten eröffnete
. Sie werden es mir verzeihen, wenn ich am
heutigen Festtage Ihnen über den Werdegang, die
Stellung dieser Abteilung im Hochschulkörper und
ihre weitere Ausgestaltung einige Gedanken vorbringe.
In der Schweiz geht der Gedanke landwirtschaftlicher
Berufsbildung auf Pestalozzi und
Emanuel v. Fellenberg zurück. Pestalozzi hat
in Yverdon und besonders im Neuhof seinen
Schülern Unterricht in landwirtschaftlichen Fächern
erteilt. Er wollte seinen Pfleglingen eine tüchtige
Fachbildung auf den Lebensweg geben, da es
besser sei, den Armen eine tüchtige Berufsbildung
als Almosen zu geben. Emanuel
v. Fellenberg gründete auf dem von
ihm gekauften Gute in Hofwil zuerst 1804 eine
Armenschule und richtete gleichzeitig landwirtschaftliche
Kurse ein. Später erst, 1808, wurde
eine wissenschaftliche Erziehungs- und Bildungsanstalt
für Söhne höherer Stande angegliedert, die
bezweckte, "jungen Leuten von Erziehung, die
durch ihre Geburt oder Neigung zu kündigen
Landwirten bestimmt sind, einen vollständigen
Unterricht in der praktischen Landwirtschaft und
in allen dahin einschlagenden Wissenschaften zu
bieten". Durch Fellenberg ist zum ersten Male in
der Schweiz ein planmässiger landwirtschaftlicher
Unterricht erteilt worden. Seine Schule erfreute
sich eines ausgezeichneten Rufes und über 2000
Zöglinge sind in der Zeit ihres Bestehens von
1806 bis 1844 aus ihr hervorgegangen. Aus diesem
Reime landwirtschaftlichen Bildungswesens haben
sich die landwirtschaftlichen Mittelschulen entwickelt.
Die ersten Leiter unserer staatlichen
landwirtschaftlichen Schulen gehören alle zu den
Schülern v. Fellenbergs.
Den Grundgedanken, dass auch der Landwirt
für seinen Beruf akademische Bildung brauche,
finden wir in einem Reisebericht von Albrecht
Thaer, dem Altmeister der Landwirtschaftslehre,
über die englische Landwirtschaft (1800) in einem
Kapitel ausgesprochen, das den Titel trägt: "Idee
zur Errichtung einer Akademie des Ackerbaus" .
Im Jahre 180 suchte dann Thaer durch Gründung
einer Akademie auf seinem Gute zu Möglin in
Preussen diesen Gedanken zu verwirklichen. Diese
erste landwirtschaftliche Hochschule, die Akademie
Möglin, hatte rein privaten Charakter und wurde
erst 1819 zu einer preussischen Staatsanstalt erhoben.
Auch Napoleon l. wollte eine Hochschule
für Landwirtschaft gründen. Das Memorial, das
diesen Gedanken ausführt, ist aber nie zur Verwirklichung
gekommen. Durch die Erfolge von
Thaers in Möglin bestärkt, ganz besonders aber
auch durch das Beispiel v. Fellenbergs in
Hofwil ermutigt, sehen wir in der Folgezeit eine
Reihe von landwirtschaftlichen Akademien entstehen,
so Hohenheim 1818, Schleissheim in Bayern
1822, Tharandt in Sachsen 1829, Eldena bei Greifswald
1835 usw.
Diese ersten Gründungen landwirtschaftlicher
Hochschulen wurden als selbständige Akademien
auf das Land verlegt. Es herrschte damals der
Grundgedanke, dass nur der ständige Kontakt mit
der landwirtschaftlichen Praxis bei Studierenden
wie Lehrern fruchtbringend sein könne und dass
einzig und allein die grosse Praxis imstande sei,
wissenschaftliche Fragen in dei Landwirtschaft zu
beantworten. Unterstützt wurden diese Auffassungen
durch die geringe Entwicklung der Naturwissenschaften
in damaliger Zeit. Doch schon frühe
tauchte der Gedanke auf, dass der akademisch gebildete
Landwirt seine Ausbildung an einer Universität
holen muss und dass durch die Angliederung
der landwirtschaftlichen Disziplinen an die Universität
der richtige Platz für das Hochschulstudium
gegeben sei. Im Jahre 1826 erfolgte in Jena die
Angliederung der Landwirtschaft an die dortige
Universität durch Joh. Gottlob Schulze. Bis
aber die Idee des Anschlusses der Landwirtschaft
an die Hochschule allgemein zum Durchbruch kam,
verging noch geraume Zeit. Kein Geringerer als
Justus v. Liebig, der grosse Chemiker, war
es, der in seiner berühmten Rede zur Stiftungsfeier
der bayrischen Akademie dei Wisenschaften
vom Jahre 1861 die Forderung stellte, dass das
Studium der Landwirtschaft der Hochschule angegliedert
werden müsse. Die isolierten landwirtschaftlichen
Akademien bezeichnet er als geradezu
fortschrittshemmend; sie hätten nichts erhebliches
für die Wissenschaft geleistet, sie lehrten nur den
Fortschritt begreifen, aber machten ihn nicht selbst.
Wir sehen, dass in diesem Streit um die Stellung
des landwirtschaftlichen Hochschulunterrichtes
die mächtige Entwicklung der Naturwissenschaften
den Ausschlag gegeben hat. Die isolierten Akademien
wurden in der Folge zum grössten Teile
aufgehoben und an die Hochschulen wurden landwirtschaftliche
Institute angegliedert, wo ja bereits
die notwendigen naturwissenschaftlichen Lehrstühle
und Laboratorien vorhanden waren.
Wie anderorts, so hat auch in der Schweiz
die 48er Bewegung mächtige Impulse zur Entwicklung
der Hochschulen geschaffen. Unsere Bundesverfassung
vom Jahre 1848 enthält die Bestimmung:
"Der Bund isi befugt, eine Universität und
eine polytechnische Schule zu errichten." Davon
ist der zweite Teil verwirklicht worden. Unsere
Eidgenössische Technische Hochschule — die damalige
polytechnische Schule — ist in Ausführung
dieses Verfassungsparagraphen entstanden und hat
1855 ihre Pforten geöffnet. Damals wurde in den
Diskussionen über die neue Hochschule auch gelegentlich
die Landwirtschaft genannt, aber für die
Angliederung einer landwirtschaftlichen Abteilung
trat niemand ein. Es ist das aus den Zeitverhältnissen
verständlich. Wohl besass Deutschland mehrere
landwirtschaftliche Akademien und ein landwirtschaftliches
Institut an einer Universität, aber
an den Hochschulen konnte das Studium der Landwirtschaft
noch keine festen Wurzeln fassen.
Doch sehr bald folgen aus den Kreisen der
landwirtschaftlichen Vereine die Wünsche für Errichtung
einer Abteilung für Landwirtschaft an
der polytechnischen Schule. Am 11. Dezember
1858 gelangt der Vorstand des damaligen landwirtschaftlichen
Bundes mit einem Gesuche an den
Bundesrat, worin gewünscht wird, "es möchte der
Landwirtschaft am eidgenössischen Polytechnikum
diejenige Berücksichtigung zuteil werden, welche
ihr bei ihrer hohen volkswirtschaftlichen und
staatsökonomischen Bedeutung gebührt." Der Bundesrat
liess diese Eingabe prüfen, aber in der Abstimmung
wurde sie von der Bundesversammlung
abgelehnt.
Im Jahre 1863 wiederholt der neu entstandene
schweizerische Landwirtschaftliche Verein das Gesuch.
Die Delegiertenversammlung fasste einstimmig
den Beschluss, bei den Bundesbehörden das
Gesuch einzureichen, "es möchte die forstliche Abteilung
des Polytechnikums zu einer land-- und
forstwirtschaftlichen erweitert werden". Die Denkschrift,
die von Friedrich v. Tschudi verfasst war,
hatte Erfolg. Der Nationalrat beauftragte am
17. Dezember 1864 den Bundesrat, durch eine
Kommission die Prüfung der Frage vornehmen
zu lassen. Das Ergebnis der vielen nun folgenden
Beratungen war, daß der Bundesrat am 25. März
1867 beschloss, auf die Frage der Errichtung einer
landwirtschaftlichen Schule, und zwar als Abteilung
des Eidg. Polytechnikums, einzutreten
und die Bundesversammlung vom 27. Dezember
1869 beschloss nach Einsicht einer Botschaft des
Bundesrates vom 26. November 1869: Es wird
mit der Forstschule des Eidgenössischen Polytechnikums
in Zürich eine höhere landwirtschaftliche
Schule verbunden. Dieselbe steht unter dem Gesetz
vom 7. Februar 1854 betreffend die Errichtung
einer eidgenössischen polytechnischen Schule und
bildet mit der Forstschule als fünfte Abteilung die
"land- und forstwirtschaftliche Schule".
Wer sich näher über die Vorgeschichte der landwirtschaftlichen
Abteilung in der trefflichen Festschrift,
die zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen
der Schule von Prof. Krämer herausgegeben
wurde, zu orientieren sucht, sieht, dass der Weg
bis zur Eröffnung der Abteilung im Oktober 1871
ein mühsamer und dornenvoller gewesen ist.
Zwei Lichtblicke sind es, die aus der Gründungszeit
auch heute noch zu uns herüber leuchten.
Einmal sehen wir, dass es der wiederholten
Petitionen aus der landwirtschaftlichen Praxis
bedurfte, um trotz aller Opposition eine landwirtschaftliche
Abteilung an der Eidg. Techn. Hofschule
ins Leben zu rufen. Wir wissen, dass die
landwirtschaftliche Abteilung dem ausdrücklichen
Wunsch der schweizerischen Landwirtschaft ihre
Entstehung verdankt und von dieser Seite zu
allen Zeiten die wärmste Unterstützung genossen
hat. Der andere Lichtblick betrifft die Stellung
unserer Abteilung an der Hochschule. Mit klarem
Blick für die Zukunft wird betont, dass das
Studium der Landwirtschaft nur in der Angliederung
an die Technische Hochschule seinen
richtigen Platz finde. Wenn nun auch der Entschluss
der Angliederung einer Abteilung für Landwirtschaft
an die polytechnische Schule ganz wesentlich
durch die bereits erwähnte Rede von Liebigs
beeinflusst war, so dürfen wir mit berechtigtem
Stolz heute hervorheben, dass das alte Polytechnikum
die erste Hochschule gewesen ist, wo
die Landwirtschaft neben den anderen technischen
Fächern als wichtiges Glied zur Anerkennung gelangt
ist.
Die ersten Jahre der landwirtschaftlichen Abteilung
brachten nicht den gewünschten Erfolg.
Die wenigen Studierenden waren meistens Ausländer,
und Von gewissen Leuten wurde das Misstrauen,
das gegen die Abteilung von Anfang an
bestand, lebhaft geschürt. Nur der Energie und
Zuversicht des damaligen Schulratspräsidenten
Dr. Kappeler sowie der Ausdauer und liebevollen
Pflege des ersten Vorstandes der Abteilung
Prof. Dr. Krämer haben wir es zu danken,
wenn die landwirtschaftliche Abteilung sich trotz
allen Anfechtungen von aussen halten konnte.
Langsam fasste in unserer Bauersame der Gedanke
der Berufsbildung Fuss und daraus ging von
Mitte der achtziger Jahre an eine bessere
Frequenz der Abteilung hervor. Seit einer langen
Reihe von Jahren nun hat sich die Zahl der
Studierenden dieser Abteilung beständig vermehrt.
Die Kriegsjahre brachten in weiten Kreisen
ein grösseres Verständnis für landwirtschaftliche
Fragen und damit sind auch die Aussichten für
Anstellungen akademisch gebildeter Landwirte
besser geworden. Wir sehen, dass Hand in Hand
damit eine weitere Steigerung der Frequenz der
landwirtschaftlichen Abteilung verbunden war, die
bis zum heutigen Tage angehalten hat. Wenn
wir bei Anlass des Neubaues des Institutes für
Land- und Forstwirtschaft die Grösse der Laboratorien
und Hörsäle für vierzig Studierende einrichteten,
so müssen wir heute konstatieren, dass sie
bereits zu klein geworden sind. Diese Frequenz
der Abteilung wird in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht oder nur in sehr bescheidenem
Masse zunehmen. Für die Bedürfnisse des Landes
aber ist mehr die Qualität als die Zahl der
Studierenden von Wichtigkeit.
Nach diesem kurzen Einblick in die Geschichte
der landwirtschaftlichen Abteilung sei es mir gestattet,
die Frage nach der Stellung des
landwirtschaftlichen Unterrichtes im
modernen Lehrgebäude der Hochschule
zu berühren. Es muss auf diese Frage
heute noch die Antwort gegeben werden, die der
schweizerische Schulrat gegenüber einer Petition
erteilte, welche die Verlegung der landwirtschaftlichen
Abteilung zum Zwecke hatte: "Es bildet die
landwirtschaftliche Abteilung sach- und naturgemäss
einen Teil der polytechnischen Schule"
(heute der Technischen Hochschule).
Die Landwirtschaft — als Technik des Landbaues
hat in erster Linie die Ausgabe, mit Hilje
Von Kulturpflanzen und Haustieren die anorganischen
Stoffe der Natur in organische Materialien
überzuführen, die als Nahrungs-, Kleidungs- oder
sonstige Gebrauchsstoffe dem Menschen nützlich
sind. Die älteren landwirtschaftlichen Schriftsteller
schöpften ihre Wissenschaft vorwiegend aus den
Erfahrungen der Praxis. Mit der Entwicklung der
Naturwissenschaften beginnt die Verwendung
naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden für die
Erforschung landwirtschaftlicher Fragen und die
Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften befruchten
allseitig die Landwirtschaftslehre. Mit
J. Kühn kann man deshalb betonen, dass die
Landwirtschaftslehre nichts anderes als angewandte
Biologie der Kulturorganismen darstelle.
Nicht eine naturwissenschaftliche Disziplin
gibt es, deren Lehren nicht in der Landwirtschaft
Anwendung gefunden hätten. Wenn deshalb
Liebig den akademischen Unterricht in landwirtschaftlichen
Fächern an die Hochschule verlegt
wissen wollte, so bezweckte er damit in erster Linie
die Verlegung an die Orte naturwissenschaftlicher
Forschung. Wir sehen, dass in der Folge an zahlreiche
Universitäten landwirtschaftliche Institute
angegliedert werden, so in Halle 1863, Gießen
1871, Leipzig 1869 usw. Nun hat man aber an
den Universitäten immer das Prinzip der reinen
Wissenschaft, die um ihrer selber willen gelernt
und erforscht wird, hoch gehalten. Man hat es
abgelehnt, die praktischen Anwendungen der
Wissenschaft in den Vordergrund der Betrachtungen
zu stellen, wenn auch hie und da für sie ein bescheidenes
Plätzchen reserviert wurde.
Die Entwicklung der modernen technischen
Wissenschaften forderte aber eine besonders starke
Betonung der angewandten Mathematik wie dei
angewandten Naturwissenschaften. Viele unserer
technischen Fächer haben sich aus Mathematik und
Naturwissenschaften heraus zu selbständigen Disziplinen
entwickelt. Die technische Hochschule betont
gegenüber ihrer älteren Schwester, der Universität,
die angewandte Form der Wissenschafl. Im Hochbau,
Tiefbau, im Maschinenwesen, in der Elektrotechnik,
in der technischen Chemie finden wir die
Anwendungen von Mathematik und Naturwissenschaften,
und zwar Von jenen Teilen, die sich mit
der unbelebten Natur befassen. In der Landwirtschaft
ist die Verwendung lebender Wesen —
Pflanze und Tier — für die Umformung der
Stoffe das Charakteristische. Der Schritt, der bei
der Angliederung der Landwirtschaft an die Technische
Hochschule gemacht wird, besteht in der
technischen Anwendung jener Naturwissenschaften,
die sich auf die belebten Wesen beziehen oder der
sog. biologischen Wissenschaften. Der gleiche Grundgedanke,
der für die Gründung von besonderen
technischen Hochschulen massgebend gewesen ist, —
die Verwendung naturwissenschaftlicher und mathematischer
Forschungsergebnisse für die Technik —,
kommt aber in dieser Angliederung zum Ausdruck.
Nirgends sind denn auch die Hilfsdisziplinen, deren
die Landwirtschaftslehre bedarf, so vollständig vertreten
wie an der technischen Hochschule.
Damit ist denn auch die Stellung des landwirtschaftlichen
Hochschulunterrichts innerhalb des
Hochschulkörpers gekennzeichnet; er bildet einen
Teil der technischen Hochschule.
Hier und nirgends anders finden sich die
übrigen Anwendungsgebiete der Naturwissenschaften
vertreten; hier und nirgends anders wird
das Hauptgewicht auf die Verwendung der Naturwissenschaften
für technische Dinge gelegt. Wenn
in Zukunft landwirtschaftliche Institute an Hochschulen
angegliedert werden, so finden sie sicher an
der technischen Hochschule ihren richtigsten Platz.
Durch die Stellung der Landwirtschaft an der
technischen Hochschule ergeben sich auch die Forderungen
für den Unterricht und die
Ausgestaltung der Abteilung mit wissenschaftlichen
Hilfsmitteln. Boi allem isi es wichtig, dass jedes
Fach mit den notwendigen Laboratorien und
Uebungsgelegenheiten ausgestattet wird. Der
Student muss jedes Gebiet nicht allein aus der
Vorlesung, sondern auch durch Uebungen kennen
lernen, und dem Dozenten soll durch diese Hilfsmittel
Gelegenheit geboten werden, am Gebäude
der Wissenschaft selbst mitzuarbeiten.
Schon bei der Gründung der Abteilung wurde
ein Ausbau der Laboratorien verschiedener naturwissenschaftlicher
Disziplinen in Aussicht genommen
und ein neues agrikulturchemisches Laboratorium
wurde verlangt. Diese Forderungen konnten erst
verwirklicht werden, als für die Land- und Forstwirtschaft
durch einen Neubau, der 1876 bezogen
werden konnte, genügend Platz geschaffen wurde.
Seither haben sich die Fächer stark erweitert, neue
Forderungen mussten befriedigt und neue Disziplinen
mussten in das Lehrgebäude ausgenommen
werden. Das alte Haus wurde namentlich für
die Laboratorien zu eng, und als vor zehn
Jahren die Kredite für die Neubauten an der
Eidg. Techn. Hochschule verlangt wurden, da war
in erster Linie für die Erweiterung des alten
Instituts für Land- und Forstwirtschaft zu sorgen.
Die Auffassung, dass die Uebungen ein unumgängliches
Hilfsmittel für die Lehrzwecke darstellen,
ist heute überall zur Anerkennung durchgedrungen.
Erst in jüngster Zeit wurden die
Kredite bewilligt, um für die Zwecke der Fütterungslehre
einen Versuchsstall zu errichten; wir
hoffen denn, dass auch diese Gelegenheit zu
Uebungen bei unseren Studierenden reichlich
Früchte tragen werde. Einzelne Lücken in den
Uebungsgelegenheiten sind aber bis zum heutigen
Tage geblieben, und wenn die landwirtschaftliche
Abteilung gegenüber Schwesteranstalten nicht zurückbleiben
soll, so müssen auch sie noch geschaffen
werden, wie ein tierphysiologisches Laboratorium,
Gelegenheit zu Züchtungsstudien, bessere Gelegenheit
für Feldversuche, Gelegenheit zur Prüfung
landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte.
Auch nach einer anderen Richtung bedarf die
landwirtschaftliche Abteilung des weiteren Ausbaues.
An die Abteilung wurden im Jahre 1878
Untersuchungsanstalten, eine Samenkontrollstation
und eine agrikulturchemische Station, angegliedert.
Diese verfolgten den Zweck, für die landwirtschaftliche
Praxis Dünger, Futtermittel, Saatgut und
andere wichtige Stoffe zu untersuchen. Diese Anstalten
haben sich in der Folge mächtig entwickelt;
später wurden sie mit der landwirtschaftlichen Versuchstätigkeit
betraut. Aus reinen Untersuchungsstationen
sind sie zu Versuchsstationen geworden,
denen die Aufgabe zufällt, wichtige Fragen aus
dem Gebiete des Pflanzenbaues und der Tierzucht
in systematischer Weise durch Versuche zu
beantworten. Während der letzten fünfzig Jahre
sind die Versuchsstationen von den Hochschulen getrennt
worden. In der Schweiz erfolgte dieser
Schritt 1898. Man hatte der Hochschule die
Lehrtätigkeit zugedacht, während für die Versuchsstationen
die Erforschung landwirtschaftlicher
Fragen reserviert werden sollte. Eine scharfe
Trennung von Forschung und Lehre, wie sie durch
die Lostrennung der Untersuchungsanstalten vorgesehen
war, lässt sich aber an einer Hochschule
überhaupt nicht durchführen. Jeder Dozent einer
Hochschule wird auf die Forschertätigkeit nie und
nimmer verzichten können, wenn er mit der Wissenschaft
fortschreiten will. Glücklicherweise blieb aber
dem akademischen Lehrer noch ein weites Feld für
Forscherarbeit, das aber notgedrungen bei den bescheidenen
Mitteln im wesentlichen auf Laboratoriumsarbeit
beschränkt blieb. Um die Forschertätigkeit,
die mit landwirtschaftlicher Praxis verbunden
ist, den Hochschulen zu ersetzen, hat man
die landwirtschaftlichen Institute mit Versuchsgütern
oder Versuchswirtschaften ausgestattet.
Man wünscht, dass der Student Gelegenheit hat,
die Feldversuche in allen Entwicklungsstadien sich
anzusehen, man will, dass er die landwirtschaftlichen
Maschinen und Geräte nicht nur in Zeichnungen,
sondern auch bei der Arbeit kennen lernt.
Gar mancherlei Aufgaben des landwirtschaftlichen
Unterrichtes vermag nur das Versuchsgut zu
lösen. Dem Dozenten des Faches bietet aber das
Versuchsgut Gelegenheit zu reichlichen Beobachtungen
und Anregungen aller Art.
So sind denn heute in Deutschland, Frankreich,
Oesterreich, Amerika die landwirtschaftlichen Hochschulen
ausnahmslos mit Versuchsgütern ausgestattet
worden. Man hat den Hochschulen an
Gelegenheit zu Forschertätigkeit und Demonstrationen
durch das Versuchsgut reichlich ersetzt,
was durch die Lostrennung der Versuchsanstalten
ihnen entzogen wurde. Wohl haben wir an unserer
landwirtschaftlichen Abteilung gesucht, durch
Exkursionen und Demonstrationen in den Versuchsanstalten
diese Lücke im Unterricht einigermassen
auszufüllen, aber wir sind uns bewusst,
dass wir damit keinen Ersatz für das Versuchsgut
geschaffen haben. Wenn darum auch unsere
landwirtschaftliche Abteilung diese wichtige Ergänzung
wünscht, so erhält sie nur das, was ihre
Schwesteranstalten alle schon längst besitzen.
Ein weiterer Wunsch im Ausbau unserer landwirtschaftlichen
Abteilung betrifft die Dozenten.
Soll ihnen mehr Zeit für wissenschaftliche Arbeiten
zur Verfügung stehen, so müssen sie von der grossen
Zahl der Vorlesungen und Uebungen etwas entlastet
werden. Auch unsere Wissenschaft ist vielseitiger
geworden und neue Disziplinen sind hinzugetreten.
Wir hoffen, dass es unseren Behörden
auch in diesem Punkte stets gelingen werde, die
landwirtschaftliche Abteilung den Bedürfnissen der
Wissenschaft anzupassen.
Unser Land ist ein kleines Land, und seine
finanziellen Hilfsmittel sind beschränkt. Auch die
Hochschule muss stets dessen eingedenk sein, dass
man jede Wissenschaft ohne Prachtbauten und mit
bescheidenen Mitteln betreiben kann. Aber in diesen
Dingen kommt es wesentlich darauf an, zwischen
dem absolut Notwendigen zum Ausbau des Lehrgebäudes
und dem Entbehrlichen oder gar dem
Luxus zu unterscheiden. Soll in unseren Laboratorien
gearbeitet werden können, so dürfen vor
allem die Betriebskredite für sie nicht
fehlen. Die so erfreuliche Vermehrung der Zahl
der Studierenden sowie der Ausbau der Lehrfächer
haben aber zur Folge, dass die Laboratorien
auch bei strengen Sparmassnahmen nicht mehr mit
ihren alien Krediten auskommen. Wir müssen
auch in diesen schweren Zeiten der Krisis vor das
Schweizervolk mit der Bitte treten, uns die absolut
notwendigen finanziellen Hilfsmittel, die
zum Ausbau der landwirtschaftlichen Abteilung
sowie der ganzen technischen Hochschule notwendig
sind, nicht zu versagen.
Dabei wird in erster Linie die Frage zu beantworten
sein, ob unsere landwirtschaftliche Abteilung
die Hoffnungen des Schweizervolkes, die
vor fünfzig Jahren bei der Gründung in vie gesetzt,
auch erfüllt, und ob ganz besonders die
schweizerische Landwirtschaft als das Hauptglied
unseres Volkes auch für die Hochschule gewillt ist,
die weiteren Opfer auf sich zu nehmen.
In der Botschaft des Bundesrates zum
Gründungsgesetz der landwirtschaftlichen Anstalt
stehen die Worte: "Diese Anstalt wird dem Land
allmählich eine grössere Anzahl von Männern
geben, welche naturwissenschaftlich, land- und
volkswirtschaftlich gründlich ausgebildet, dem landwirtschaftlichen
Betriebe die richtigen Bahnen anzuweisen
imstande sein werden, welche die Cadres
der grossen landwirtschaftlichen Bevölkerung bilden
und diese allmählich vorwärts bringen werden."
Fünfzig Jahre sind seitdem übers Land gegangen.
An der landwirtschaftlichen Abteilung haben im
ganzen 851 Leute, darunter 627 Schweizer, ihre
Ausbildung genossen und 353 haben die Hochschule
mit dem Diplom verlassen.
Die ehemaligen Schüler der landwirtschaftlichen
Abteilung befinden sich in den verschiedenartigsten
Stellungen. Eine grosse Zahl übt den
Beruf als praktischer Landwirt entweder auf
eigenen oder geachteten Betrieben aus; andere
haben Stellungen gefunden im landwirtschaftlichen
Versuchswesen, in den Verwaltungen, in den Behörden,
in den landwirtschaftlichen Genossenschaften
und nicht zuletzt als Leiter und Lehrer an landwirtschaftlichen
Schulen. In den sämtlichen landwirtschaftlichen
Mittelschuien der Schweiz, deren
Schülerzahl jährlich über 1000 beträgt, wird heute
fast ausschliesslich von den Absolventen der landwirtschaftlichen
Abteilung der Unterricht in landwirtschaftlichen
Fächern erteilt. So wird die Saat,
die an der landwirtschaftlichen Abteilung ausgestreut
wird, in die ganze schweizerische landwirtschaftliche
Bevölkerung hinausgetragen.
Die Hoffnungen, die an die Gründung der
landwirtschaftlichen Abteilung geknüpft wurden,
sind heute zum grossen Teil in Erfüllung gegangen.
Es ist eines der erhabensten Gefühle, sowohl der
Behörden als auch des Lehrkörpers, dass während
der fünfzig Jahre diese Abteilung bei den
Schweizer Landwirten Anerkennung gefunden hat.
In dem inneren geistigen Zusammenhang zwischen
der Hochschule und der Schweizer Landwirtschaft
finden wir die beste Stütze für die weitere gedeihliche
Entwicklung unserer landwirtschaftlichen
Abteilung und unserer Hochschule. Möge die landwirtschaftliche
Abteilung an der Eidg. Techn. Hochschule
auch künftig blühen und gedeihen. Möge
ihre Arbeit, getragen vom Geiste der Wissenschaft,
der schweizerischen Landwirtschaft und dem
Schweizervolk zum Segen gereichen.