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DIE RECHTSSTELLUNG DER BASLER UNIVERSITÄT

REKTORATSREDE VON
ERWIN RUCK
BASEL 1930
VERLAG HELBING & LICHTENHAHN

Der Rektor der Universität ist vom Gesetze damit betraut, die Universitätsgeschäfte zu leiten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muß er Gestalt, Sinn und Zweck der Universität in klarem Bilde vor Augen haben. Ist gar der Vertreter des öffentlichen Rechtes zum Amte des Rektors berufen, so wird er die Einrichtung seiner Universität mit besonderer Schärfe und Tiefe zu erfassen suchen, denn sie gehört als Erscheinung des öffentlichen Rechts in den Bereich seiner fachwissenschaftlichen Arbeit. Wie stellt sich bei solcher staats- und verwaltungsrechtlicher Betrachtung die Basler Universität dar?

1.

Die Rechtsstellung der Universität ist nur aus ihrer Geschichte voll begreifbar. Geschichtliche Betrachtung aber zeigt zwei Rechtserscheinungen der Universität: die Rechtsgebilde der Körperschaft und der Anstalt, und die geschichtliche Entwicklungslinie geht von jener zu dieser. Was besagt diese Gegenüberstellung?

Der Körperschaft sind wesentlich Menschen als Mitglieder; sie ist Personengemeinschaft, Verband. — Der Anstalt sind wesentlich Sachen, Einrichtungen; sie ist eine Veranstaltung, ein Unternehmen, sie hat keine Mitglieder, in ihr stehende Menschen sind Anstaltsangehörige im Sinn von Anstaltsorganen und Anstaltsbenutzern. Das bedeutet rechtlich und wirtschaftlich einen verschiedenen Aufbau, es bedeutet insbesondere eine verschiedene Trägerschaft des juristischen Willens: in der Körperschaft wird er getragen von ihren Mitgliedern, in der Anstalt dagegen von einem außerhalb ihrer stehenden Rechtssubjekt in Gestalt des Anstaltsstifters. Leben und Geist der Körperschaft schaffen die Körperschaftsgenossen, über

Leben und Geist der Anstalt bestimmt der Anstaltsgründer. Nehmen wir ein Beispiel: Wir haben vor kurzem gegründet eine Vereinigung "Freunde der Universität"; sie besteht als reine Körperschaft und wirkt so lange und so, wie die Mitglieder es wollen. Betrachten wir dagegen eine Vorstufe der Universität, das Gymnasium, so sehen wir die Lehrer als Anstaltsorgane, die Schüler als Anstaltsbenützer; maßgebend für Sein und Wirken des Gymnasiums ist der Wille des Staates, — das Gymnasium ist reine Staatsanstalt.

Und die Universität? Die Artung der Universität und der ihr wesentliche Begriff der Wissenschaft haben sich im Laufe der Jahrhunderte dem Zeitgeist entsprechend gewandelt. Und wenn wir die Basler Universität des Mittelalters, des Humanismus und der Aufklärung, des 19. Jahrhunderts und schließlich unserer Zeit vergleichend betrachten, sehen wir erhebliche Unterschiede. Dieser geschichtlich gegebene Tatbestand spiegelt sich wieder in der Rechtsstellung der Universität.

Die Basler Universität war ursprünglich eine reine Körperschaft. Universitas bedeutete einst nicht wie heute die universitas litterarum, die Gesamtheit der Wissenschaften, sondern eine Gelehrtenvereinigung nach Art einer Zunft, eine gelehrte Gesellschaft, ausgestattet mit eigenartigen Korporationsrechten, mit besonderen Freiheiten wie eigene Rechtsetzung, eigene Verwaltung, eigene Gerichtsbarkeit, eigenes Vermögen, Freiheit von öffentlichen Abgaben, Recht zur Verleihung des Doktortitels u. a. Diese Freiheiten wurden zwar bei Neueinrichtung der Universität nach der Reformation beschränkt, bald jedoch im wesentlichen wieder hergestellt. Der rechtliche Grundcharakter der Universitätskörperschaft ist erhalten geblieben, und — abgesehen von einer kurzen

Unterbrechung durch das französische Anstaltsrecht der Helvetik —bestand er ungeschmälert bis zum Jahre 1813.

Die Universitätsgesetze von jenem Jahre und vom Jahre 1818 bringen die Ansätze der Anstaltsverfassung. Die Universität lag damals darnieder; wiederholte Versuche, sie zur Blüte zu bringen, schlugen fehl. Da drang im Rate der Stadt die Auffassung durch, die Universität verstehe es nicht, von ihren Freiheiten den richtigen Gebrauch zu machen und sich erfolgreich selbst zu regieren. Dazu kam die durch den klassischen Idealismus in Basel noch verstärkte Ansicht, die Fürsorge für die geistige und wissenschaftliche Bildung sei noch mehr als zuvor als eine Hauptaufgabe des Staates zu betrachten; es sei Sache des Staates, selbst Hand anzulegen und unmittelbar die Wissenschaft zu pflegen. So erklärte das Programmgesetz von 1813, es sei heilige Pflicht jeder Regierung, die Lehranstalten so einzurichten, daß dadurch die Künste und die Wissenschaften bestmöglich befördert und für alle Klassen der Bürger gemeinnützig gemacht werden, und zur Erreichung dieses Zweckes sei eine wesentliche Änderung der bisherigen Einrichtungen der Universität erforderlich. Den Weg dazu machte das Gesetz frei: es bestimmte kurzerhand, Verfassungsurkunden, Statuten und Privilegien der Universität seien aufgehoben, und ein zweites Gesetz solle die Universität als allgemeine höhere Lehranstalt auf eine den dermaligen Zeiten angemessene und gemeinnützige Art einrichten. In Ausführung dieses Programmes erging dann das Gesetz von 1818. Aber inzwischen war der Staat nach außen und innen wieder zur Ruhe gekommen, und auch der gährende Wein des Programmgesetzes von 1813 hatte sich gesetzt. So kam es weder in der rechtlichen Ordnung noch in der tatsächlichen Entwicklung zu einer

grundsätzlichen Neugestaltung der Universität. Ihr rechtlicher Charakter erfuhr keine Veränderung, und das Wesentliche am Rechtsergebnis von 1818 war nur die stärker betonte Überordnung und Einwirkung des Staates. Mit dem Erstarken des Staates im ganzen verstärkte sich auch die Staatsgewalt über die Universität. Das betraf aber wesentlich das äußere Leben der Universität. Trotz seiner Stärke steht dieser neuzeitliche Staat, getragen von politischem Liberalismus, seiner ganzen Art nach dem inneren Sein und Wesen der Universität in freiheitlicher Gewährung gegenüber. Insbesondere das Heiligtum der Universität, die Pflege der Wissenschaft, war und blieb dem Staate verschlossen. Hier galt unter dem Einfluß von Aufklärung, Rationalismus und idealistischer Philosophie noch mehr als zuvor die Freiheit und Selbstbestimmung der Universität, und daran haben die konservativen Strömungen der Restaurationszeit nichts geändert. Sie sind für das Universitätsgesetz von 1835 schon entlegene Geschichte, und die korporative Rechtsstellung der Universität ward überhaupt nicht in Frage gestellt.

Meine Auffassung über diese Rechtsentwicklung findet ihre Bestätigung in dem rechtlichen Schicksale des Universitätsgutes. Dieses wird nicht etwa als Gut einer unselbständigen Staatsanstalt zum Staatsgut erklärt, sondern die Gesetze von 1813 und 1818 belassen es der Universität, von einer Verstaatlichung des Universitätsgutes ist keine Rede. Die Universität kam zwar in straffere Unterordnung unter die Regierung, aber sie blieb das Rechtssubjekt des Universitätsgutes.

Anders ward freilich entschieden, als der Staat im Jahre 1833 in die Halbkantone Baselstadt und Baselland auseinanderbrach und als sich bei dieser Staatsteilung die Frage erhob, ob das Universitätsgut als Staatsvermögen

in die Teilungsmasse falle. Der Spruch des eidgenössischen Schiedsgerichts hat diese Frage bejaht und die Universität als unselbständige Staatsanstalt erklärt, aber er ermangelte nicht nur des Geschichts- und Wirklichkeitssinnes, sondern auch des Verständnisses für das öffentlich-rechtliche Wesen der Universität. Er war ein zivilistisch-doktrinärer Fehlspruch. Aber er hat für die Universität Geschichte gemacht. In dem Schiedsspruch war gesagt, der Wert des gesamten Universitätsgutes sei in die Teilungsmasse einzuwerfen, das Universitätsgut selbst aber sei mit Nutzen und Beschwerden dem Kanton Baselstadt zugeteilt. So wurde durch den eidgenössischen Schiedsspruch, entgegen der geschichtlichen Entwicklung, entgegen dem geltenden Recht und entgegen dem Willen von Baselstadt, das Universitätsgut rechtlich zum Staatsvermögen gestempelt. Für Baselstadt konnte es sich nun nur noch darum handeln, dieses verstaatlichte Universitätsgut gesetzlich sicherzustellen gegen eine Verstrickung in die Verbindlichkeiten des allgemeinen Staatsvermögens. Diese Verselbständigung des Universitätsgutes innerhalb des Staatsvermögens ist erfolgt durch das Universitätsgutgesetz von 1836, und mit ihm stehen im Einklang die Universitätsgutgesetze von 1903 und 1919. Sie bezeichnen übereinstimmend das Universitätsgut als ein an die Örtlichkeit der Stadt Basel unauflöslich geknüpftes, unteilbares Eigentum des Kantons Baselstadt, das den Stiftungsbestimmungen und dem Universitätszweck niemals entfremdet werden darf. Wir haben also rechtlich vor uns ein zugunsten der Universität gebundenes, dem Zugriff des Staates wie der Staatsgläubiger entzogenes Zweckvermögen.

Dieser Tatbestand hat fast zwangsläufig zu der Auffassung geführt, die Universität habe mit der Vermögensfähigkeit

die Rechtsfähigkeit überhaupt verloren, die Universität könne also im Rechtsverkehr nicht mehr Träger eigener Rechte und Pflichten sein, sondern es handle sich stets nur um staatliche Rechte und staatliche Pflichten. Diese Folgerung ist rechtlich nicht schlüssig. Zunächst ist festzustellen, daß Vermögens- und Rechtsfähigkeit sich nicht decken. Die Rechtsfähigkeit ist im Zivilrecht und noch mehr im öffentlichen Recht der weitere Begriff. Daher kann die Vermögensfähigkeit verloren gehen und trotzdem im übrigen die Rechtsfähigkeit erhalten bleiben. So ist die Rechtslage bei der Universität: Sie hatte nach Basler Recht und nach dem bei der Staatsteilung abgelegten Zeugnis der baselstädtischen Regierung die Rechtsfähigkeit von alters her, und von einer Beseitigung dieses "wohlerworbenen Rechtes" ist weder in jenem Schiedsspruch, noch in den folgenden baselstädtischen Gesetzen die Rede. Bezeichnend ist auch, daß die Verwaltung des Universitätsgutes der Universität belassen worden ist, daß nach wie vor die Universität als Rechtssubjekt im Basler Grundbuch eingetragen steht, daß die Universität im Verhältnis zum Staat subjektive öffentliche Rechte und Pflichten hat und daß die Universität mit einer eigenartigen Organisation ausgestattet ist, in der Rektor, Regenz und Dekane als Universitätsorgane im Sinne von Willensträgern des Rechtssubjektes Universität und nicht als Staatsorgane wirken. So entspricht die Rechtsfähigkeit der Universität der geschichtlichen Entwicklung wie der tatsächlichen und rechtlichen Wirklichkeit; ihre Anerkennung nimmt dem Staate nichts, gibt aber der Universität auch im Rechte die ihrem Wesen entsprechende Stellung. Nur auf dieser Grundlage bietet sich eine befriedigende rechtliche Gesamtschau der Universität.

Aber die Universität ist nicht einfach eine rechtsfähige Staatsanstalt wie irgend eine andere. Die Entwicklung hat zwar seinerzeit mit der Erstarkung des Staates und der Verstaatlichung des Universitätsgutes zwangsläufig die Richtung zur Anstalt eingeschlagen, aber der Anstaltstypus erfaßte nur die Außenseite, nicht den Inhalt und das Wesen der Rechtserscheinung. Für diese ist während jener Entwicklung wegleitend gewesen und ist bis heute maßgebend der ursprüngliche Charakter der Universität als einer Körperschaft. Er tritt uns vom 15. Jahrhundert bis zum geltenden Gesetz von 1866 klar entgegen in der Verfassung der Universität: Wir sehen die Vereinigung der ordentlichen Professoren als Regenz, wir sehen von ihr gewählt den Rektor und Schreiber und die Reihe von Kommissionen, wir sehen die Gliederung in die Kollegien der Fakultäten und an ihrer Spitze die von ihnen gewählten Dekane, und wir sehen, - wie diese ganz auf das Persönlich-Genossenschaftliche gestellten Organe nicht als Organe des Staates, sondern als Organe der Universität den sachlichen Gehalt, das Wirken und Leben der Universität bestimmen. All das ist körperschaftsmäßig aufgebaut. Es ist der gesetzgeberische Gedanke, Sinn und Bedeutung der Universität sei bedingt durch die freiwirkenden Persönlichkeiten der Universitätslehrer. Es ist die Überlegenheit des Persönlichen über sachliche Mittel und Formen. Die Universität steht im Dienste des Geistes; sie kann aber diesen Dienst nur leisten, sie wird erst sinnvoll und erhält Geist und Leben immer neu geschaffen durch die in ihr wirkenden Gelehrten als Träger von Geist und Idee. Darauf aber beruht das Wesen der Universität, und daher stehen in ihr, anders als in irgend einer Anstalt, die Persönlichkeiten als Einzelne und als körperschaftlich

Verbundene durchaus im Vordergrund. So stellt sich die Universität in ihrer dem Staat zugekehrten Fassade anstaltsartig dar; dem inneren Aufbau, dem Wesen und Inhalt nach aber als eine Körperschaft. Anstalts- und Körperschaftsidee sind der geschichtlichen Entwicklung entsprechend in eigen- und einzigartige Verbindung gesetzt: die Basler Universität ist keine reine, sondern eine körperschaftlich verfaßte Staatsanstalt.

Für die Rechtsstellung der Universität ist aber noch ein anderes von wesentlicher Bedeutung. Sie erfüllt als höchste Lehrstätte eine Hauptaufgabe des Staates, sie ist die Trägerin eines wichtigen Zweiges der öffentlichen Verwaltung und dem Staate zur Leistung ihrer Tätigkeit verpflichtet. Damit ist die Universität dem Sein und Leben des Staates eingegliedert, und damit ist juristisch gegeben, daß sie wie der Staat grundsätzlich über dem bürgerlichen Alltag des Zivilrechtes steht. Sie ist erhoben in die Sphäre des öffentlichen Wesens, ihre Organisation und Stellung, ihr Zweck und Leben ruhen auf Normen des öffentlichen Rechts die Universität ist eine körperschaftlich verfaßte Staatsanstalt des öffentlichen Rechts.

II.

Diese Betonung formaler und sachlicher Eingliederung der Universität in den Staat führt weiter zu der Frage, die geradezu die Schicksalsfrage für die Universität bedeutet: wie ist das Rechtsverhältnis zwischen Universität und Staat?

Auch hier gewinnen wir die Verständnisgrundlage aus der Geschichte. Sie zeigt uns zunächst eine Gleichstellung von Stadt und Universität. Bezeichnend dafür sind die sogenannten Compactata des Jahres 1460: sie

sind eine Vereinbarung zwischen Staat und Universität in dem Sinne, daß sich die Beiden in harmonischem Nebeneinander wie Vertragsparteien über Stellung und Rechte, insbesondere über die Freiheiten der Universität verständigen und daß die Stadt diese Freiheiten beschwört. Solche rechtliche Gleichordnung fällt dahin nach der Reformation. Der erstarkte Staat erhebt sich nun, der Art des neuzeitlichen Staates entsprechend, bestimmt und bewußt über die Universität, stellt die Universität in seinen Organismus ein und regelt sein Verhältnis zu ihr einseitig durch selbstherrliches Staatsgesetz. Und bei dieser staatlichen Überordnung ist es geblieben. Aber die Rechtsform der Über- und Unterordnung kann sehr verschiedenen Inhalt haben, und im Laufe der Entwicklung sehen wir deutliche Wandlungen in der Stärke, mit der die Staatsgewalt die Universität erfaßt. Es sind Unterschiede des Grades, aber der Art nach zeigt sich immer das gleiche Bild. Das wird zunächst einmal negativ bestimmt durch die Feststellung: Der Staat hat die Universität nie auf die Stufe der völlig unselbständigen Staatsanstalt herabgedrückt, er hat nie die Universität einfach dazu benützt, in ihr durch Staatsorgane die Verwaltung des höchsten Bildungswesens zu führen, die Universität war nie bloß eine Erscheinungsform des Staates, ihr Leben und Wirken war nie gleichbedeutend mit staatlichem Leben und Staatstätigkeit, — der Staat hat sich vielmehr im Verhältnis zur Universität stets bekannt zu der großen Idee der Selbstverwaltung, die Universität war und blieb stets ein Selbstverwaltungskörper.

Was will das sagen? — Das Bildungswesen ist ein Zweig der öffentlichen Verwaltung. Dem entspricht eine eigene, unmittelbare Staatsverwaltung. So stellt der Staat

jahraus jahrein in sein Budget große Beträge ein für den finanziellen Unterhalt der Universität, er umschreibt und besetzt die Professuren, er bestimmt und erteilt die Lehraufträge, er regelt die Staatsprüfungen für wissenschaftliche Berufsarten und wirkt damit ein auf den Lehrplan und Tätigkeitsgehalt der Universität, der Staat beeinflußt aber auch die Höhenlage des Universitätsunterrichts durch seine Verwaltung der Mittelschulen und die damit gegebene Normierung der geistigen Voraussetzungen für die Zulassung zum Universitätsstudium. Und naturgemäß ist es im ganzen für das Leben der Universität von großer Bedeutung, in welchem Geiste diese Staatsverwaltung geführt wird.

Aber der Staat besorgt von jeher nicht die ganze öffentliche Verwaltung als Staatsverwaltung, sondern er scheidet aus historischen und Zweckmäßigkeitsgründen gewisse Bereiche der öffentlichen Verwaltung aus und überläßt sie zur Selbstverwaltung an öffentlich-rechtliche Verbände und Anstalten als ihren eigenen Wirkungskreis. Das bekannteste Beispiel sehen wir in den Gemeinden. Ein anderes Beispiel bietet die Universität. Ihr ist aus der öffentlichen Verwaltung des höheren Unterrichtswesens eine Reihe von Aufgaben zur Selbstverwaltung überlassen, es sind die eigenen Angelegenheiten der Universität, die sie durch ihre eigenen Organe, insbesondere durch Rektor, Regenz, Fakultäten und Dekane führt. Beispiele dieser Selbstverwaltung sind: die Vertretung der Universität nach außen, die Wahrung ihrer Rechte und Interessen, die Wahl der Universitätsorgane, die Verwaltung des Universitätsgutes und Überwachung der Universitätsanstalten, die Aufnahme neuer Mitglieder in den Lehrkörper durch Habilitation von Privatdozenten, die Mitwirkung bei der Berufung von

Professoren, die Regelung des Lehrplanes, die Aufnahme Studierender als akademische Bürger durch die Immatrikulation und ihre Ausbürgerung durch die Exmatrikulation, die Zu- und Entlassung von Hörer und Hörerinnen, die Abnahme der Universitätsprüfungen, die Verleihung der akademischen Grade, die Erteilung der Universitätsstipendien und der Erlaß von Kolleggeldern, die Wahrung der Interessen der Studentenschaft und die Disziplinargewalt über sie. Und diese Geschäfte führt die Universität nicht nur von Fall zu Fall, sondern sie hat auch von jeher Autonomie im Sinn der Selbstgesetzgebung. Das bedeutet die Befugnis, für die Führung der Selbstverwaltung Rechtsregeln aufzustellen. Sie treten uns entgegen in Statuten, Satzungen, Ordnungen, die teils für die Universität im ganzen, teils für die Fakultäten gelten. Die Universität führt somit nicht nur öffentliche Verwaltung, sondern sie schafft auch Recht in ihrem eigenen Wirkungskreis.

Dieser Bereich der Selbstverwaltung und Selbstgesetzgebung ist rechtlich umschrieben, durch Rechtsschranken begrenzt. Und innerhalb dieser Grenzen ist wieder das Recht maßgebend. Auch für die Universität gilt der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung. In diesem Rahmen haben die Universitätsorgane nach ihrem pflichtmäßigen Ermessen die Universitätsgeschäfte so zu führen, wie es den Interessen und dem Zweck der Universität entspricht. Aber wie die anderen Selbstverwaltungskörper ist auch die Universität bei ihrer Selbstverwaltung nicht freier Herr im Verhältnis zum Staat. Der Staat darf zwar nicht beliebig in die Selbstverwaltung eingreifen, insbesondere darf er nicht Selbstverwaltungsgeschäfte unter Verdrängung der Universitätsorgane durch Staatsorgane erledigen. Aber der Staat hat das Recht

der Aufsicht. Seine Begründung liegt in der Tatsache, daß die Universität öffentlich-rechtlichen Charakter hat und öffentliche Verwaltung führt und daß der Staat die Universität finanziell sicherstellt. Diese Aufsicht wirkt in zwei Richtungen: der Staat wacht darüber, daß die Universität ihre Aufgaben den geltenden Rechtsvorschriften entsprechend erfüllt, und darüber, daß sich die Universität bei ihrem Wirken in den Rechtsgrenzen der Selbstverwaltung hält und nicht darüber hinaus in die Zuständigkeit des Staates eingreift. Diese Aufsicht des Staates ist entweder präventiv — so in den vielen Fällen, in denen die Maßnahmen der Universität zu ihrer Rechtsgültigkeit der staatlichen Genehmigung bedürfen — oder repressiv, wenn der Staat rechtswidrige Universitätsakte ändert oder aufhebt oder wenn er in milderer Aufsichtsform der Universität die Beseitigung einer Rechtswidrigkeit nahelegt. In der Regel handelt es sich dabei um Rechtfragen, um die Rechtmäßigkeit der Geschäfte und Ordnungen der Selbstverwaltung. Es ist eine Rechtskontrolle. Das besagt, daß die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen der Selbstverwaltung grundsätzlich nicht in Frage steht. So kann der Staat nicht etwa einschreiten gegen die Wahl eines Rektors, der ihm für die Leitung der Universität als ungeeignet erscheint, und der Staat darf nicht einschreiten gegen eine Anlage von Universitätsgeldern in Hypotheken, wenn er etwa die Anlage in Staatspapieren für zweckmäßiger hält; dagegen greift das Aufsichtsrecht des Staates durch, wenn die Regenz denselben Professor mehr als zweimal hintereinander zum Rektor wählen würde, denn eine solche Wahl widerspräche dem ausdrücklichen Verbot des Gesetzes, und die staatliche Aufsichtsgewalt könnte in Bewegung gesetzt werden, wenn die Universität von Universitätsgeldern

einen ihrer rechtlichen Bestimmung widersprechenden Gebrauch machen wollte.

III.

So genießt die Universität im Rahmen der Rechtsordnung die nötige Freiheit, ihre eigenen Angelegenheiten so zu verwalten, wie es dem richtig verstandenen Sinn und Zweck der Universität am besten entspricht. Daneben aber erstreckt sich noch eine andere Freiheitssphäre, die im besonderen als die der Universität und ihren Angehörigen eigene akademische Freiheit bezeichnet wird: die Lehrfreiheit der Dozenten und die Lernfreiheit der Studierenden.

Das Grundgesetz für Leben und Erfolg der Universität ist die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. Diese Freiheit ist erst ein Ergebnis der neueren Zeit, erwachsen auf dem durch Aufklärung, Rationalismus und liberale Weltanschauung bereiteten Boden. In der mittelalterlichen und der anschliessenden evangelisch-konfessionellen Universität konnte davon keine Rede sein, denn ihr Wissenschaftsbegriff ruhte auf kirchlicher und staatlicher Autorität und Tradition. Auch jetzt ist jene Freiheit im eidgenössischen und baslerischen Recht nicht ausdrücklich verbrieft, aber sie bestand schon längst vor Schaffung der geltenden Rechtsordnung und gilt fortlaufend als eine aus dem Wesen von Universität und Wissenschaft folgende Selbstverständlichkeit. Darüber besteht in Basel volle Einmütigkeit zwischen Staat, Universität und öffentlicher Meinung. Und wenn dieser Tatbestand auf einen rechtlichen Nenner gebracht werden soll, so kann einwandfrei von einem altüberlieferten und allseitig anerkannten Gewohnheitsrecht

gesprochen werden im Sinn eines subjektiven öffentlichen Rechts der Universität und ihrer Lehrer.

Dieses Freiheitsrecht bedeutet — ähnlich dem Freiheitsrecht der richterlichen Unabhängigkeit — ein Rechtsverbot gegen staatliche Einmischung in die wissenschaftliche Arbeit der Universitätslehrer; es ist die Rechtspflicht des Staates, sich der Einwirkung auf Inhalt und Form dieser Arbeit zu enthalten und sie der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Universitätslehrer zu überlassen. Bei der Einheit der wissenschaftlichen Persönlichkeit kann es dabei keinen Unterschied machen, ob diese Arbeit im Rahmen der Universität oder außerhalb ihrer Sphäre erfolgt. Auch die in der Öffentlichkeit und ohne Zusammenhang mit der Universität gehaltenen wissenschaftlichen Vorträge des Universitätslehrers stehen ebenso unter dem Schutze der Lehrfreiheit wie seine wissenschaftlichen Schriften; sie können daher grundsätzlich keinen rechtlichen Anlaß abgeben für ein Einschreiten des Staates. Das gilt auch für die selteneren Fälle, wo sich die Universität als solche in eigener Sache oder sonstwie zu wissenschaftlicher Stellungnahme veranlaßt sieht.

Immerhin ist diese Freiheit nicht absolut, auch sie hat ihre Schranken und Bindungen. Sie ergeben sich wie bei den anderen Freiheitsrechten aus dem Straf- und Polizeirecht: wer sich etwa einer Beleidigung oder einer Störung der öffentlichen Ordnung schuldig macht, kann sich zu seiner Entschuldigung nicht auf die Lehrfreiheit berufen, ihre ganze Betätigung muß sich vielmehr im Rahmen des straf- und polizeirechtlich Erlaubten halten. Die Betätigung der Lehrfreiheit muß sich auch unterstellen dem Zweck der Vorbildung für die wissenschaftlichen Berufsarten und hat deshalb Rücksicht

zu nehmen auf die Voraussetzungen, die beim Eintritt in diese Berufe zu erfüllen sind, insbesondere auf die Anforderungen, die in den Staatsprüfungen gestellt werden.

Zu diesen äußeren Schranken treten innere Bindungen. Sie ergeben sich aus dem Sinn der Lehrfreiheit. Sie ist nicht einfach zu denken als ein persönliches Vorrecht im Interesse der Universität und ihrer Lehrer, sondern als eine sachlich begründete Befugnis im Interesse einer staatlich unbeeinflußten Gewinnung und Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis. Für sie bildet Freiheit die notwendige Lebensluft. Die Wissenschaft ist frei, oder sie ist nicht. Alle echte Wissenschaft ist aber ein Ringen um Erkenntnis, ist sachliche Erforschung und Darstellung von Wahrheit. Daraus folgt, daß nur für solches von Objektivität getragenes Wirken die Lehrfreiheit zu Recht besteht. Das besagt jedoch nicht ein Ausscheiden der Persönlichkeit des Universitätslehrers; Objektivierung bedeutet nicht Entpersönlichung. Die Schlagwörter der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft und der Wertungsfreiheit der Forschung sind für den größern Teil der wissenschaftlichen Arbeit nicht haltbar. Die Sicherung gegen willkürlichen Subjektivismus liegt vielmehr in der von der wissenschaftlichen Kritik streng gehandhabten Forderung einer von tiefem Verantwortungsgefühl getragenen Hingabe an die Sache und einer logisch einwandfreien Handhabung strenger wissenschaftlicher Methode. Wer gegen diese Grundpflichten verstößt, steht für solche Entgleisung weder rechtlich noch ethisch unter dem Schutze der Lehrfreiheit.

Dieser Lehrfreiheit der Dozenten entspricht die Lernfreiheit der Studierenden. Es ist grundsätzlich in ihr Gewissen gestellt, ob und wie sie die von der Universität gebotenen Möglichkeiten für sich verwirklichen. Nicht

Schulzwang und reglementiertes Lernen, sondern Selbstentscheidung und frei gewählte Geistesbildung bieten die Grundlage für die Erfüllung der Lehraufgabe der Universität. Bei ihr handelt es sich nicht einfach um schulmäßige Lehre fertigen Wissens. Gewiß spielt dieses in Stoff und Methode auch eine Rolle als handwerksmäßige Grundlage für die wissenschaftlichen Berufsarten. Die Studierenden sollen in straffer Geisteszucht durch den da und dort etwa nüchtern einseitigen Bereich ihres Fachstudiums hindurch, und die Universität will ihnen in erster Linie den Weg zeigen zur Beherrschung ihres Faches. Aber das Höchste ist das nicht. Für die Universität steht nicht Lernen und Wissen im Vordergrund, sondern Denken und Fähigkeit, wissenschaftlicher Sinn und Geistigkeit. Sie ist nicht eine Anstalt für endlose Häufung von Wissensstoff und für Züchtung engen Spezialistentums. Und besonders für die Basler Universität gilt trotz aller Bedeutung von Naturwissenschaft und Technik nicht der "Positivismus"und "Spezialismus" als das beherrschende Prinzip; wir haben mit ihm gemeinsam den Sinn für Leben und Wirklichkeit, und die Forderung peinlich genauer fachwissenschaftlicher Einstellung auf das Einzelne, aber wir erheben uns auf dieser Grundlage synthetisch zum Idealismus im Blick auf das Ganze der geistigen und stofflichen Welt. Es entspricht der ganzen geistigen Tradition der Basler Universität, daß sie besondern Wert legt auf Universitätslehrer, die nicht nur ihr Fach beherrschen, sondern auch "wissenschaftliche Menschen"sind im Sinn des klassischen Idealismus. Dagegen ist unsere Universität nicht auf eine bestimmte Weltanschauung gestellt. Das war sie, solange von ihrer Gründung bis zur Aufklärung Wissenschaft, Religion und Weltanschauung eine Einheit bildeten. Heute ist

in der Universität für jede Weltanschauung Raum; sie ist geradezu der geistige Kampfplatz, auf dem um Weltanschauungen gerungen wird.

Alles das bedeutet für die Erfüllung der Lehraufgabe: Das höchste Ziel ist nicht eine praktisch eingestellte Abrichtung des Studenten für seine künftige Berufstätigkeit, sondern die Schaffung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen, die Erziehung zu Sachlichkeit, zu Wahrheitssinn und Wahrheitsdrang, zu kritischem Urteil, zur Einsicht in die gestaltende Macht des Geistes und der Ideen, — im ganzen das Hinführen der Studenten zu dem Ideal der selbständigen geistigen Persönlichkeit. Das Ergebnis soll so sein, daß der Akademiker es Zeit seines Lebens als einen Hochverrat an seiner Universität wie an Staat und Volk und an der eigenen Menschenwürde empfindet, wenn er sein Leben nicht unter geistige Gesichtspunkte stellt und wenn er nicht für die Herrschaft des Geistes kämpft.

Dieses Ziel kann die Universität nur erreichen, wenn die Studierenden ihr nicht unter Zwang gegenüberstehen, sondern in freier Entschließung und Selbstverantwortung. Die Universität ist daher Ratgeber, aber nicht geistiger Vogt des Studenten; er soll sich den Lehrstoff in freier Wahl und selbstschaffendem Denken zu eigen machen. Erzwungene Geistigkeit, erzwungene Wissenschaftlichkeit, erzwungene Persönlichkeit sind Widersprüche in sich. Daher folgt aus dem Wesen der Sache eine solche Rechtsstellung der Universität, daß der Studiengang in ihr nicht unter staatlichen Reglementen und Zwangsmaßnahmen steht, sondern unter dem Zeichen der Freiheit.

Diese Lernfreiheit ist eingefügt in den weiteren Rahmen der Lebensfreiheit des Studenten. Die Universität stellt es ihm anheim, sein Leben nach freiem Ermessen

zu gestalten. Immerhin wirkt in dem Rechtsverhältnis der Universität zu den Studierenden die Anstaltsgewalt. Es ist eine vom Staat der Universität belassene öffentlichrechtliche Befehls- und Zwangsbefugnis. Sie ergreift solche Studierende, die gegen die Universitätsordnung verstoßen, die den Anordnungen der Universitätsorgane nicht Folge leisten oder die sich inner- oder außerhalb der Universität eines Verhaltens schuldig machen, das der Ehre eines akademischen Bürgers und der Würde der Universität widerspricht. Daß diese Disziplinargewalt der Universität tatsächlich seit Menschengedenken kaum eine Rolle spielt, ist ein Ruhm der Basler Studentenschaft, zugleich aber auch ein Zeichen des Verständnisses der Universität für akademische Jugend.

Dies ist in großen Zügen das Bild der eigenartigen Rechtsstellung der Basler Universität. Sie ist begründet durch die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft und des Geistes, sie entspricht der Idee der Universität, sie ist gerechtfertigt, solange die in ihr liegende Verpflichtung und Verantwortung erfüllt wird. Diese Rechtfertigung hofft unsere Universität leisten zu können; sie ist ja erfüllt von dem Streben, das in ihrer freiheitlichen Rechtsstellung geschenkte Vertrauen von Staat und Volk immer neu zu verdienen, und immer neu zu ringen um eine zeitgemäße Erfüllung ihres hohen Berufes.