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MINERALOGIE UND TECHNIK VON

PROF. DR. PAUL NIGGLI
SONDERABDRUCK
AUS DER SCHWEIZERISCHEN BAUZEITUNG

MINERALOGIE UND TECHNIK

VON PROF. DR. PAUL NIGGLI 1)

Das Ineinandergreifen von Mathematik, Naturwissenschaften und Technischen Wissenschaften in Lehre und Unterricht, die Nutzbarmachung der Kenntnisse wissenschaftlicher Forschung für die Bedürfnisse des Tages sind das Kennzeichen der Technischen Hochschulen. Der Kreis der Aufgaben und Probleme, die der reine Praktiker und der Akademiker in der Technik zu bewältigen haben, ist im wesentlichen der gleiche; die Art und Weise, wie die Lösung dieser Aufgaben in Angriff genommen werden kann, ist verschieden; sie hängt von der Kenntnis der Grundlagen, von der Grösse des überblickbaren Feldes naturgegebener Zusammenhänge ab.

Lassen Sie mich zur Eröffnung des 75. Studienjahres der E. T. H. skizzieren, wie die zeitweise rein deskriptiv und ästhetisch orientierte Mineralogie mit in die Gruppe der Naturwissenschaften gehört, die mit den Spezialdisziplinen der Technischen Hochschulen in innigster Beziehung stehen. Drei ihrer Teilgebiete sind besonders eng mit den Technischen Wissenschaften verknüpft: die Kristallphysik, die Lehre von den Mineralaggregaten (Minerocoenologie) und die Geochemie.

Die Kristallphysik untersucht das physikalische Verhalten von Einzelkristallen, die Elementarbestandteile fast aller unserer Baumaterialien sind und die für sich mannigfache Verwendung finden- Die Geochemie gibt uns über die Rohstoffe und ihre Verteilung in der Erdkruste Auskunft, vermittelt somit die Kenntnis der Grundlagen eines Grossteils unserer Technik und Industrie. In Verbindung von Kristallphysik und Lehre von den Mineralvergesellschaftungen wurde schliesslich eine Methodik der Untersuchung

von Kristallaggregaten entwickelt, die in ständig zunehmendem Umfange bei der Materialprüfung Verwendung findet.

1.

Die Lehre von den Kristallen (und dem kristallisierten Zustande der Materie überhaupt) ging von den natürlichen Baustoffen der Erde, den Mineralien, aus. Während man zunächst nur Glanz, Farbe, Reinheit bewertete und die äussere Form nicht als besonders gesetzmässig und harmonisch empfand, gelang es 1669 dem Dänen Nikolaus Steno, 1688 dem Italiener Dominic Guglielmini und 1723 Moritz Anton Capeller von Luzern darzutun, dass sich gleiche Winkel zwischen den ebenen Begrenzungsflächen an verschiedenen Individuen einer Kristallart in eigentümlicher Weise wiederholen. Dadurch war die Beurteilung der Form als blosse Naturspiele, die für uns als zufällig zu beschreiben seien, ausgeschlossen; in steter Entwicklung machte uns die Wissenschaft mit der Aesthetik einer Morphologie bekannt, die an Einfachheit und innerer Geschlossenheit von unerhörter Schönheit ist.

Gestatten Sie mir hier beiläufig eine Bemerkung. In einem mystisch gefärbten Buch über die Natur las ich jüngst folgenden Ausspruch Alfred Döblins: "Es hat mich schon lange finster gestimmt, wenn ich in ein Buch sah, das Naturdinge behandelte —Physik besonders, aber auch Mineralogie und genug andere Fächer — und sah wie diese schönen, grossartigen und feinen, uns alle angehenden Dinge traktiert, einseitig angegangen, verarmt und entwürdigt wurden. Diese Mathematik, ich sage nicht "die" Mathematik, ist der Feind der Natur und der Naturerkenntnis. Ein Mensch, der mathematisches Wissen besitzt, den Formeljargon der Mathematik und sonst nichts, und sich damit der Natur nähert, muss sein wie eine Frau, die die Hände eingeseift hat und damit einen Fisch greifen will; wie sicher, dass sie ihn nicht fasst ... Es ist aber eine beispiellose Arroganz der heutigen Mathematiker, sich vor die Welt und die Natur zu stellen und zu sagen, sie allein hätten Augen für die Dinge. Würde man nicht den Musiker auslachen, der sagte, die Töne allein geben ein Verständnis der Welt, oder den Chinesen, der seine Sprache allein für das Organ der Lyrik hielte? Man wird nicht über mich lachen, wenn ich sage, dass diese äusserliche beckmesserliche Behandlung der Naturwissenschaften mit einem Instrument, das man selbst nicht mehr versteht, es dahin gebracht hat, dass von der Schulbank ab die Erkenntnis

der grossen einfachen Natur, unser aller Natur, in Misskredit gekommen ist und dass sie ganz im Schatten liegt."

Es ist das eine für unsere Zeit symptomatische Beschuldigung, die gegen die durch die ungeheure Erweiterung der Naturwissenschaften hervorgerufene Spezialisierung und Vertiefung erhoben wird, wobei zugleich zugunsten einer mehr aufs Ganze zielenden unmittelbaren Naturerfassung mit deutlichem subjektivem Einschlag plädiert wird. Wie ungerecht solche Vorwürfe sind, die den eigenen Geist der Ausschliesslichkeit andern beimessen wollen, zeigt die Kristallographie. Die in der Formenentwicklung zum Ausdruck kommende äussere Schönheit und die im Bau und physikalischen Verhalten bemerkbare innere Harmonie der Kristalle ist eine auf mühsamem Wege erarbeitete rein wissenschaftliche (und im wesentlichen mathematisch-geometrische) Erkenntnis, durch die erst der Blick für neue ästhetische Werke geschaffen wurde. Und wenn in Befolgung eines Spruches, den Spitteler Demiurg in den Mund legt: "Nach allen Vögeln haschen ist kein rätlich Spiel, ein knappes Menschenleben heischt ein einfach Ziel" eine eingehendere Beschäftigung mit einem Gegenstand oft die Vernachlässigung anderer zur Folge hat, so müssen wir bedenken, dass die Naturwissenschaften und die Technischen Wissenschaften durch die Erkenntnisse, die sie vermittelten und durch die Werke, die sie schufen, das Naturbild so bereichert und differenziert haben, dass diese Beschränkung nicht immer eine Verarmung zu bedeuten braucht. Sicherlich hat die immer weiter um sich greifende Spezialisierung ihre grossen Gefahren. Wir müssen den Blick für die Nachbargebiete stets offen halten und uns hüten, aus Fachschulen nur das Handwerk pflegende Spezialschulen zu machen. Aber wir können uns der Entwicklung, die zugleich eine Differenzierung und Vertiefung ist, nicht mit Argumenten entgegenstemmen, die Umfang mit Inhalt, Erlebnisraum mit Erlebnisreichtum verwechseln.

Das schiefe Urteil über die Rolle der Mathematik für die Naturwissenschaften braucht keinen Kommentar. Nur folgendes möge beachtet werden. Wenn die mathematische Darstellung einer verschiedene Elemente harmonisch verbindenden Gesetzmässigkeit vielen farblos erscheint, ist sie für den, der ihre Sprache versteht, ein Symbol von analogem ästhetischem Wert, wie die Symbole des künstlerischen Erlebnisses. Mathematische Spielerei und scharfe

mathematische Fassung eines Problemes der Naturwissenschaften sind verschiedene Dinge. Aber auch für die Mathematik gilt, dass ihre Eigenentwicklung im höchsten Interesse der gesamten Naturwissenschaften und Technischen Wissenschaften ist. In unserer Zeit ist nicht sie es, die den Naturwissenschaften auf allen Gebieten voran eilt; der Naturforscher stellt ihr oft grundsätzlich neue Aufgaben, von deren Bewältigung die Fortschritte auf seinem Gebiete abhängig sind. Wenn der Naturwissenschafter in seiner Sprache von der Natur spricht, ist er sich wohl bewusst, dass ein anderer Standpunkt, der des (soweit das in unserer Zeit noch möglich ist) unmittelbaren Erlebens, seine tiefste Berechtigung hat. Er stemmt sich nur dagegen, dass diese leicht zur Weltanschauung werdende Naturerfassung, der die Mühsal der subtilen Untersuchung der Zusammenhänge oft fehlt, als letztes, vom Individuum möglichst losgelöstes, objektiviertes Wissen ausgegeben wird, und dass sie, in völliger Verkennung der Tatsachen, allein den Anspruch auf Mitwirkung von Phantasie und Geist erhebt. So wenig wir das Urteil eines Menschen, dem die Natur die Gabe musikalischen Verständnisses versagt hat, als wegleitend ansehen für die Bedeutung, die der Welt der Töne zukommt, so wenig scheint der mathematisch nicht begabte Naturfreund berechtigt zu sein, über ein Gebiet zu urteilen, das er nicht verstehen kann und will. Die Struktur menschlichen Geistes ist so variabel, dass nur Toleranz und Verstehenwollen vor ungerechten Vorwürfen schützt.

In der Kristallmorphologie konnte die mathematisch orientierte Naturbetrachtung einen ihrer grössten Triumphe feiern. Die Gesetze der Formenentwicklung (Rationalitäts-, Zonen- und Symmetriegesetz) ergaben sich aus einer Grundannahme, die zugleich eine neue Welt geometrischen Formenreichtums erschloss, die Welt der Kristallstrukturen und der rhythmisch-periodischen Symmetrien überhaupt. Ihr Inhalt ist heute noch nicht von Kunsthandwerk, Architektur und Technik richtig ausgeschöpft.

Zugleich wurde einerseits die äussere Kristallmorphologie der inneren Gesetzmässigkeit des Aufbaues kristalliner Materie tributär, anderseits erhielt die Kristallphysik ein geometrisches Element, dass die Möglichkeit mannigfacher Ausnützung darbot. Fundamental war die Erkenntnis, dass bei einer (strukturell in der Periodizität zum Ausdruck kommenden) Homogenität die Eigenschaften der Kristalle von der Richtung abhängig sind. Die der Natur physikalischer

Vorgänge entsprechende, sinngemässe Uebertragung der Symmetriegesetze ermöglichte die genaue Formulierung der physikalischen Gesetze. Dadurch wurde sowohl das Studium der Atomphysik gefördert als auch das Verhalten der Einzelkristalle in Abhängigkeit von ihrem Bau soweit geklärt, dass die Technik daraus ihren Nutzen ziehen konnte.

Woldemar Voigt, der grosse Kristallphysiker der letzten Jahrhundertwende, der sich unzweifelhaft mit tiefem künstlerischem Genusse seiner Spezialarbeit hingab, sprach anlässlich der Einweihung des von ihm geschaffenen kristallphysikalischen Institutes in Göttingen folgendes: "Denken wir uns in einem grossen Saal ein paar Hundert ausgezeichnete Violinspieler, die mit tadellos gestimmten Instrumenten alle das selbe Stück spielen, aber gleichzeitig an lauter verschiedenen Stellen beginnen, auch etwa nach Vollendung immer wieder von vorn anfangen. Der Effekt wird (für den Europäer wenigstens) nicht eben erfreulich sein, ein gleichmässig trübes Tongemisch, aus dem auch das feinste Ohr das wirklich gespielte Stück nicht herauszuerkennen vermag, einzig charakterisiert durch den Umfang der überhaupt erreichten und durch die relative Häufigkeit aller berührten Töne. Eine solche Musik nun machen uns die Moleküle in den gasförmigen, den flüssigen und den gewöhnlichen festen Körpern vor. Es mögen sehr begabte Moleküle sein, von kunstvoll reichem Aufbau — aber bei ihrer Wirksamkeit stört immer eines das andere; von ihren Qualitäten kommt in den beobachteten Erscheinungen keine voll und rein, manche überhaupt gar nicht zur Geltung. Ein Kristall hingegen entspricht dem oben geschilderten Orchester, wenn dieses von einem tüchtigen Dirigenten einheitlich geleitet wird, wenn alle Augen an seinen Winken hängen und alle Hände den gleichen Strich führen. Hier kommt Melodie und Rhythmus des vorgetragenen Stückes zu ganzer Wirkung, die durch die Vielheit der ausführenden nicht gestört, sondern gestärkt wird. Das Bild macht verständlich, wie Kristalle ganze Erscheinungsgebiete zeigen können, die bei den andern Körpern absolut fehlen, und dass andere Gebiete sich bei ihnen in wundervoller Mannigfaltigkeit und Eleganz entwickeln, die bei den übrigen Körpern nur in trübseligen monotonen Mittelwerten auftreten. Nach meinem Gefühl tönt die Musik der physikalischen Gesetzmässigkeiten in keinem anderen Gebiete in so vollen und reichen Akkorden wie in der Kristallphysik."

So treffend dieses Bild im grossen ist, so bedarf es doch der Korrektur im einzelnen. Die Idee des in sich harmonisch gebauten Kristalles, um ohne Nebenabsichten eine Ausdrucksweise Platos zu benutzen, ist nur äusserst selten in strenger Vollkommenheit verwirklicht Störungen im Kristallaufbau sind die Regel, sie haben zur Folge, dass die wirklich feststellbaren Eigenschaften oft wesentlich von denen abweichen, die theoretisch erwartet werden müssen. Das mag zunächst den Eindruck eines Versagens wissenschaftlicher Forschung erwecken. Allein die Feststellung, dass es Eigenschaften gibt, die von solchen Strukturfehlern wenig abhängig sind, während andere in erheblichem Masse durch sie beeinflusst werden, eröffnet die Möglichkeit, durch sorgfältige Züchtung Individuen mit bis jetzt nicht erreichten physikalischen Eigenschaften letzter Art herzustellen. Wenn wir erwähnen, dass zu den durch Strukturdefekte leicht beeinflussbaren Eigenschaften die chemische Widerstandsfähigkeit, die Leitfähigkeit, die Zerreissfestigkeit, die Lage der Elastizitätsgrenzen gehören, wird evident, wie wichtig solche Züchtungsversuche für die technischen Wissenschaften werden können.

Mannigfach sind übrigens bereits heute die Anwendungen, die die Ergebnisse kristallphysikalischer Untersuchungen in der Technik gefunden haben. Es möge nur daran erinnert werden, wie in der Optik durch ihre Durchlässigkeit bezw. Absorption besonders ausgezeichnete Kristalle als Prismen ausgedehnte Verwendung finden und wie die Erscheinungen der Polarisation und Doppelbrechung zur Konstruktion der Nicols Veranlassung gaben, wodurch grosse neue Gebiete der Bearbeitung erschlossen wurden. Lassen Sie mich als Beispiel nur noch einer seit kurzem zu aktueller Bedeutung gelangten Erscheinung Erwähnung tun.

Bei Kristallarten gewisser Symmetrien ist die Möglichkeit eines eigentümlichen Effektes, den man Piezoelektrizität nennt, gegeben. In polaren Richtungen, die sich physikalisch nach dem Richtungssinne verschieden verhalten, können durch mechanische Beanspruchung (Druck oder Zug) elektrische Momente auftreten. Die mechanisch erzwungenen gegenseitigen Verrückungen der elektrisch geladenen Atome stören das Gleichgewicht und erzeugen eine elektrische Polarität. Umgekehrt bewirkt ein an Kristallstäbchen oder Platten dieser Art angelegtes elektrisches Feld eine Längenänderung, eine Lagenverrückung der atomaren Bestandteile. Im hochfrequenten elektrischen Wechselfeld

entstehen daher Schwingungen, deren Frequenz durch den Elastizitätsmodul und die Dichte bestimmt ist. Bei genügender Uebereinstimmung zwischen elektrischer Schwingungszahl und Eigenfrequenz der Stäbchen müssen scharfe Resonanzphänomene bemerkbar werden. Nun benötigt die drahtlose Telegraphie und Telephonie einerseits Apparate zur Kontrolle der Schwingungszahlen und anderseits Oszillatoren, die den Sender veranlassen, nur in bestimmter Frequenz Wellen abzugeben. Dabei kommen hauptsächlich Schwingungen von 10000 bis Millionen von Perioden pro Sekunde in Betracht. Nachdem die piezoelektrischen Erscheinungen schon längst bekannt waren, hat 1922 Cady erstmals erkannt, dass Quarzplättchen bestimmter Lage genau die für die Radiotechnik nötigen piezoelektrischen Schwingungsphänomene ergeben können. Heute benutzt man sie bereits allgemein als Wellenkontrollapparate und Steuerorgane für die Wellenabgabe. Die ausserordentliche scharfe Resonanz, die geringe Dämpfung wird sie auch überall da, wo möglichst reine Einwellen benötigt werden, als Abstimmer verwendbar machen. So sind rein theoretische Untersuchungen auf einem abseits gelegenen Gebiet der Kristallphysik plötzlich technisch wertvoll geworden.

II.

Man kann heute in Ergänzung der natürlichen Vorkommnisse manche Stoffe als grosse, in der Technik (z. B. der Glühlampenfabrikation) direkt verwendbare Einkristalle herstellen; die wichtigsten Materialien, die wir täglich brauchen, die metallischen und nichtmetallischen Bau- und Werkmaterialien finden jedoch in der Form vielkristalliner Aggregate Verwendung. Um deren Verhalten beurteilen zu können, ist es nicht nur notwendig, die Eigenschaften der Einzelkristalle in Betracht zu ziehen, sondern auch die der Verbandsverhältnisse, des Gefüges. Man dari nicht die am einzelnen Kristall gewonnenen Daten auf das technisch Verwendung findende quasi-isotrope Aggregat übertragen, in dem die durch die Heterogenität bedingten Effekte oft ausschlaggebend sind. Der Ingenieur, der mit Metallen und künstlichen oder natürlichen gesteinsartigen Werkstoffen zu arbeiten hat, muss daher wissen, welchen Einfluss das Gefüge solcher Aggregate auf das mechanische, physikalische und chemische Verhalten ausübt, und wie er die Aggregatbildung im günstigen Sinne zu beeinflussen

hat. Zu diesem Zwecke ist ein vergleichendes Studium der Gefügearten, ihrer Bildung und ihrer Eigenschaften notwendig. Wiederum war es die Mineralogie, zunächst von ganz anderen, rein wissenschaftlich orientierten Gesichtspunkten ausgehend, die den Weg ebnete, der zum Verständnis derartiger Erscheinungen führte. Das ist leicht begreiflich. In der Natur selbst treten die Mineralien in Form derartiger Aggregate (Mineralvergesellschaftungen) auf, die als Gesteine den Hauptteil der Erdrinde aufbauen. Ein intensives Studium der Verbandsverhältnisse war zum Verständnis der Entstehungsweise dieser Mineralvergesellschaftungen notwendig. Und dieses Studium verlangte die Entwicklung und den Ausbau neuer Untersuchungsmethoden in den mineralogisch-petrographischen Laboratorien. Eine der wichtigsten unter ihnen ist die mikroskopische Methode, bei in dünnen Plättchen durchsichtigen Substanzen mit Hilfe des modernen Polarisationsmikroskopes, bei opaken Substanzen unter Anwendung des Metallmikroskopes. Dadurch wird das Studium sowohl der Einzelbestandteile wie des Gefüges ermöglicht Es handelt sich um eine Methode, die bei einigermassen gleichmässig struierten Aggregaten an sehr kleinen Mengen ausgeführt werden kann. Sie lässt geringe, jedoch oft für das Gesamtverhalten ausschlaggebende Mengen schädlicher, individualisierter Bestandteile feststellen und gibt zugleich über die besondere Kristallausbildung (Art der Einschlüsse, Frischheit der Kristallarten, Spuren vorausgegangener mechanischer Beanspruchung oder nachträglicher Umwandlung und Zersetzung) Auskunft. Sie gestattet spezielle Anordnungsverhältnisse der Einzelbestandteile, sogenannte Gefügeregelungen, zu erkennen und in ingeniöser Weise zu vermessen. Die für das technische Verhalten wichtige Beschreibung und Systematisierung der Verbandsverhältnisse, der Korngrösse, der Kornbindung, Gleich- oder Ungleichkörnigkeit, Kornform, Artverteilung, Raumerfüllung hat einen ersten grundlegenden Ausbau erhalten. Schon heute können wir nach sorgfältiger, jedoch nicht sehr zeitraubender, mikroskopischer Untersuchung eines natürlichen oder künstlichen Baustoffes (eingeschlossen die zementartigen und keramischen Materialien) weitgehende Schlüsse ziehen auf sein physikalisches Verhalten: die Druckfestigkeit, Abnützbarkeit, Zähigkeit, Verbandsfestigkeit, Wasser-, Farb- und Feuerbeständigkeit, Wetterbeständigkeit, Polierbarkeit, usw. Unzweifelhaft würden wir dazu noch viel mehr im Stande sein, wenn die Zusammenarbeit zwischen Mineralogie,

Geologie und technischer Materialprüfung von Anfang an eine innigere gewesen wäre.

Die Materialprüfung durch den Ingenieur arbeitet mit künstlichen Beanspruchungsarten, die denen, welchen der Baustoff später unterworfen ist, unter Berücksichtigung der veränderten Zeitdauer und der späteren Einfügung in einen höheren Bauverband, entsprechen sollen und die zugleich gut definiert, leicht reproduzierbar und standardisierbar sein müssen. Der Materialverschleiss ist ein relativ grosser. Dem zunächst rein empirischen Charakter nach ist die Aussage eine nur für das untersuchte (und bei der Untersuchung meist zerstörte) Objekt gültige. Nur wenn es gelingt, das Verhalten bei der Materialprüfung oder bei der späteren normalen Beanspruchung in Beziehung zum Materialaufbau zu setzen, sind weitergehende Aussagen möglich. Dazu sind ausgedehnte Versuchserien notwendig, wobei in Zusammenarbeit der technischen Prüfungsanstalten mit den mineralogisch-kristallographischen Instituten festgestellt wird, welche engere Korrelation zwischen Aggregateigenschaften und technischen Befunden besteht. Sobald einmal die Zusammenhänge erkannt sind, wird sich zeigen, dass in vielen Fällen die mikroskopische Untersuchung völlig zur Charakterisierung der Eigenschaften genügt. Sie aber lässt sich jeweilen mit Leichtigkeit und ohne wesentlichen Materialverlust zur Kontrolle von Bau- und Werkstoffen durchführen. Auch hier gilt, wie von den Leitern der Anstalt wohl erkannt, dass die auf das Ganze zielende Forschung, der Versuch zunächst durch Experimente allgemeinster Art die Beziehungen zwischen Chemismus, Kristallbestand, Gefügebild und praktischer Eignung zu bestimmen, letzten Endes den grösseren Nutzeffekt hat als die nur für den Augenblicksbedarf und das unmittelbare praktische Ziel arbeitende Technik. Noch immer ist das Forschungsinstitut die beste Kapitalanlage für eine vorwärtsstrebende Industrie und ein auf Qualitätsarbeit angewiesenes Land.

Ist einmal das in Bezug auf Materialkenntnis angestrebte Ziel erreicht, so wird, was heute erst in gewissem Umfange möglich ist, der Mineraloge auch genau angeben können, wo und in welchem Ausmasse natürliche Baustoffe (mit den als notwendig angesehenen Eigenschaften) mit Vorteil ausgebeutet werden können. Ein gegebenes Vorkommen kann untersucht werden, ob nur lokal oder in grösserer Menge günstiges Material zu gewinnen ist, welche Aenderungen mit zunehmendem Abbau zu erwarten

sind, welche Partien von der Ausbeute ausgeschlossen werden müssen, usw. Wir brauchen nur daran zu erinnern, wie wichtig es bei dem in gewaltigem Umfang gesteigerten Strassenverkehr gerade für die Schweiz ist, gegebenenorts zweckmässigste und billigste Strassenbaustoffe zu finden; eine Aufgabe, die in Zusammenarbeit technischer Materialprüfung und mineralogisch-petrographischer Studien erst vor kurzem in Angriff genommen wurde.

In ungeahnter Weise hat aber in den letzten Jahrzehnten die Metallographie von der kristallographisch-mineralogischen Wissenschaft profitieren können. Der mikroskospischen Methode bat sich hierbei die röntgenometrische als gleichwertig beigesellt. Metallische Werkstoffe werden zum Gebrauch in der Technik weitgehend verarbeitet und mannigfachen Deformationen ausgesetzt. Solchen mechanischen und thermischen Beanspruchungen waren jedoch im Verlaufe der Erdgeschichte auch die natürlichen Mineralaggregate, die Gesteine unterworfen. So lernte der Mineraloge frühzeitig erkennen, in welcher Art und Weise diesen Bedingungen gegenüber das Einzelmineral und das Mineral im Verband sich verhält. Es gelang ihm, in Verbindung mit den Metallographen, die Vorgänge der technischen Kalt- und Warmbearbeitung kristalliner Aggregate in den Grundzügen zu verstehen. Dadurch wurden die Mittel geschaffen, die eine Beeinflussung in beliebigem erwünschtem Sinne ermöglichen. Wenn durch Auswalzen, Hämmern, Zug oder Stauchung die metallischen Aggregate bei niedriger Temperatur (Kaltbearbeitung) deformiert werden, erleiden sie im allgemeinen eine Verfestigung, d. h. die deformierten Metalle setzen weiterer mechanischer Beanspruchung grössern Widerstand entgegen. Nach der Bearbeitung befinden sie sich jedoch stets in einem besonderen, durch innere Spannungen (verursacht durch Verbiegungen und Verhakungen) ausgezeichneten Zustand, der durch Erhitzen (sogenanntes Tempern) in den normalen zurückgeführt werden kann. Es findet dann eine Rekristallisation statt, die je nach der Vor- und Nachbehandlung zu fein- oder zu grobkörnigen neuen Kristallaggregaten führt. Die Technik wünscht, dass man den verschiedenen Zwecken entsprechend diese Vorgänge in bestimmte Bahnen lenken kann, und das verlangt die Kenntnis der mechanischen und thermischen Reaktionsfähigkeit der Kristalle im gegebenen Verband. Wir wissen heute, dass die mechanisch wirkenden Kräfte in erster Linie innere Gleitungen in den Kristallen zur Folge haben,

die jedoch infolge der Struktureigentümlichkeiten und der verschiedenen Orientierungen der einzelnen Körner sich nicht völlig spannungsfrei auswirken können. Die ursprünglich vorhandenen Gleitlockerstellen verschwinden, unvollständige Rekonstruktion des ursprünglichen Gitters führt zu einer innern Verzahnung; es entsteht eine Blockierung der verschiebbaren Schichten. Wenig deformierte Gitterbereiche bleiben in unmittelbarer Nähe akuter Spannungszentren bestehen. Von ihnen aus kann bei Erhöhung der innern Beweglichkeit der Gesundungsprozess, die Re- und Umkristallisation, einsetzen. In manchen Fällen liegt es bereits in unserer Gewalt, die Zahl der wirksamen Keime, sowie deren Orientierung (und dadurch die Korngrösse und Gefügeregelung des neuen Aggregates) zu bestimmen. Stehen alle diese Vorgänge, wie früher bereits betont, in engster Beziehung zu den natürlichen Gesteinsumwandlungen vom alpinen Typus, d. h. unter dem Einfluss tektonischer und thermischer Beanspruchung, so hat anderseits ein Studium der Strukturen der durch Erstarrung aus dem magmatischen Schmelzflusse gebildeten Eruptivgesteine die ersten Anhaltspunkte gegeben, in welcher Weise das Gefüge umgeschmolzener Metalle beeinflusst werden kann.

So haben die Ergebnisse der Kristallographie und Gesteinslehre mannigfache Anwendungen gefunden. Die Natur selbst ist Lehrmeisterin für das, was wir Menschen an künstlichen Nachahmungen natürlicher aggregat-bildender und -zerstörender Vorgänge leisten wollen. Bereits vor 130 Jahren hat der grosse Genfer Naturforscher Horace Bénédicte de Saussure die Frage: "Ces lois générales du monde physique n'agissent-elles pas dans nos laboratoires de même que dans les souterrains des montagnes" gestellt und bejaht, und in das XV. Jahrhundert, in den Beginn der neuen Aera der naturwissenschaftlichen Untersuchungen, fällt der Ausspruch des weit vorausschauenden Universal-Menschen Leonardo da Vinci: "La sperienza, interpetre infra l'artifiziosa natura e la umana spezie, n'nsegna ciò che essa natura infra mortali adopra, da necessità constretta, non altrimento oprar si possa che la ragione, suo timone, oprare le 'nsegna." (Das Experiment, Dolmetsch zwischen der kunstreichen Natur und dem Menschen-Geschlecht, lehrt uns, was schon selbige Natur unter den Sterblichen anwendet, dass man, von der Notwendigkeit gezwungen, nicht anders wirken könne, als wie die Vernunft, ihr Steuer, sie zu wirken lehrt).

III.

Hervorgegangen ist die Mineralogie aus der Bergbaukunde. Als Lehre von den Materialien, die die Erde aufbauen, ist sie auch anorganische Rohstoffkunde. Nur weil der Hauptaggregatzustand der Erdkruste der kristallisierte ist, hat sie zu einem grossen Teil die allgemeine Kristallgeometrie, Kristallchemie und Kristallphysik in sich aufgenommen.

Die Frage nach der Verteilung der Rohstoffe ist eine allgemeine chemische, d. h. geochemische, und eine mineralparagenetische. In erster Linie interessiert die Häufigkeit, mit der sich die verschiedenen chemischen Elemente bezw. Isotopengruppen am Aufbau der uns zugänglichen Erdhülle beteiligen. Erfahrungsgemäss variiert diese in einem sehr grossen Intervall, von mindestens dem ein- zu dem hundertbillionenfachen. Im Mittel sind zu mehr als ein Atom % nur folgende neuen Elemente beteiligt: Sauerstoff, Silicium, Wasserstoff, Aluminium, Natrium, Calcium, Eisen, Magnesium, Kalium. Technisch wichtige Stoffe wie Nickel, Kupfer, Zink, Wolfram finden sich in Mengen von nur 1/100 bis 1/1000 %; Zinn, Blei in 1/10000, Silber, Quecksilber in 1/100000, Gold und Platin in kaum mehr als 1/1000000000 % in den uns zugänglichen Erdhüllen verbreitet. Schon daraus geht hervor, dass sich die Preisverhältnisse für den Abbau ganz verschieden gestalten müssen, gleichzeitig aber auch, dass bei gleichmässiger Verteilung der Elemente an die erfolgreiche Gewinnung einer grossen Zahl von chemischen Grundstoffen und deren Verbindungen gar nicht gedacht werden könnte. Glücklicherweise ist nun die Erdkruste im grossen und im kleinen heterogen. Einzelne Stoffe sind auf besonderen Lagerstätten relativ angereichert und dadurch der Ausbeute zugänglich. Um einige Beispiele zu nennen, die zugleich die wachsende volkswirtschaftliche Bedeutung der Südafrikanischen Union vor Augen führen, sei folgendes erwähnt.

In dem Hauptlager des Witwatersrand-Konglomerates von Johannesburg tritt Gold im Mittel in etwa 1/1000 Gewichtsprozenten auf statt in 1/10000000, wie es das Gesamtmittel der äusseren Erdhüllen ergibt. Es hat somit eine mindestens 10000 fache Anreicherung stattgefunden. Noch grösser ist sie für die neuen riesigen Platinfunde im Rustenburgdistrikt von Transvaal. Hier finden wir im Merenskyreef, einem Augitgestein, Platin um das millionenfache gegenüber dem Durchschnitt angereichert, bis zu 200 Gramm pro Tonne. Das gleiche Gebiet basischer Eruptivgesteine,

der Bushveldkomplex, enthält Chromitlager, in denen 30 bis 50 % Chromoxyd vorhanden sind gegenüber 0,05 %, die dem Mittel der Eruptivgesteine entsprechen. Aus in Europa völlig fehlenden Diamantlagerstätten konnten 1926 in der Union 665 kg Diamant gewonnen werden. So wird es uns nicht verwundern, dass die Vereinigten Staaten von Südafrika jährlich mineralische Rohstoffe im Werte von 1 bis 2 Milliarden Schweizerfranken ausbeuten, und in manchen Rohstoffgebieten führend sind.

Will man in Bezug auf die mineralischen Rohstoffe die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Landes beurteilen, so ist somit nötig vorauszusagen, welcher Art die in ihm vorkommenden speziellen Lagerstättentypen sein können. Diese sind durchaus nicht beliebig variabel, ganz bestimmte Prozesse führten zur Anreicherung einzelner Stoffe, und die Prozesse selbst konnten sich im Laufe der Erdgeschichte nur unter besonderen Umständen abspielen. Nun ist es gerade das Ziel mineralogisch-geologischer Forschung, Bau- und Zusammensetzung der Erdrinde genetisch zu verstehen, in dem scheinbaren Chaos der Felsarten und morphologischen Formen einen geregelten Bauplan zu erblicken. Dem Künstler gleich, der die Einwirkung der Aussenwelt zu einem in sich harmonischen Erlebnis formt, sucht der Geist Inhalt und Gestalt der Erdrinde in einem, die wissenschaftliche Wahrheit als Richterin erkürenden Gemälde zu erfassen. Vielleicht hat der Leitgedanke geologischer Synthese niemals einen treffendern Ausdruck gefunden als im Bilde, das wir im "Olympischen Frühling", im Traum vom König Zeus vorfinden:

"Allein des Nachts im Schlafe führt ein stolzer Traum
Den König ins Gebirge. Zacken hoch und hehr
Verschlossen rings das Tal, und neben ihm einher
Bewegte sich von Säulen ein lebendiger Gang.
"Herbei!" befahl er. Links und rechts dem Weg entlang
Entwimmelten die Blöcke aus dem Felsenbruch.
"Auf!" und sie türmten sich nach seinem Willenspruch.
Kaum aber, dass er drohend mit den Brauen nickte,
Erbebte rundum das Gebirge, schwankte, knickte
Und sank in sich zusammen. Aber langsam, schau,
Stieg es verjüngt empor, geformt, gefügt zum Bau.
Nicht eine Wildnis mehr: es hatte Herz und Seele,
Und dichtend schritt der Geist durch die erhabnen Säle.
Den Finger zeigte Zeus und kehrte sich im Kreise:
"Jetzund vergleich, du Wicht, und deine Werke weise,
Ananke! Zwing das Weltall, meistre die Natur!
Ich bin der König. Du: dich grüss ich "Häuptling" nur."

Diese vom Drang nach Erkenntnis und dem Suchen nach Harmonie genährte Forschung muss somit zugleich die Heterogenität der Erdrinde im grossen und kleinen, die Stoffverteilung und deren Abhängigkeit vom Verlauf der Erdgeschichte, verstehen lernen. Dass sie dies nur auf dem Wege mühsamer Spezialuntersuchungen tun kann, und dass jeder, die Hauptgesichtspunkte zusammenfassende Darstellungsversuch wichtige Einzelheiten beiseite lassen muss, ist selbstverständlich.

Drei gewaltige, in sich mannigfaltige Gruppen mineralbildender Prozesse führten zum gegenwärtigen Zustand.

Zunächst ist ein Grossteil der Mineralassociationen, welche die Erdrinde aufbauen, aus Schmelzen, Lösungen und Dämpfen gebildet, die dem Erdinnern entstammen. Es sind das die im weiteren Sinne magmatischen Lagerstätten, bezeichnen wir doch die tiefer gelegenen, glutflüssigen Schmelzmassen, von denen uns die vulkanischen Erscheinungen Kunde geben, als das Magma. Minerallagerstätten bilden sich, wenn die flüssige oder flüssig gewordene Tiefenschicht (also das Magma) im Verlaufe grosstektonischer Ereignisse lokal oder regional nach aussen dringt. Ursprünglich ist die Stoffverteilung im Magma, wenigstens der Reihenfolge der Elemente nach, derjenigen analog, die im Mittel für die gesamten äusseren Erdhüllen besteht. Allein die Massenverschiebungen bringen das Magma in kältere und dem Belastungsdrucke weniger ausgesetzte Regionen, so dass eine Reihe interessanter Vorgänge in Spiel tritt, die zu einer Differenzierung in verschiedene Gesteins- und Lagerstättentypen mit verschiedener Elementenverteilung führen. Durch die nach bestimmten, vom Molekularzustand der Schmelzlösung abhängigen Gesetzen erfolgende Kristallisation und durch die, wenigstens teilweise, durch das Gravitationsfeld bewirkte Trennung der Kristalle von der Restschmelze entsteht eine Serie von Fraktionen, in denen sich die selteneren, in die Saigerungsprodukte nicht eingegangenen Stoffe in zunehmendem Masse angereichert vorfinden. Jede dieser Fraktionen besitzt als Glied einer Entwicklungsreihe gewisse, besonders durch die Temperatur und Tension bedingte Eigenschaften. Sie kann in selbständiger Weise lagerstättenbildend werden. Da im Magma neben den Silikaten, Oxyden und Sulfiden auch sogenannte leichtflüchtige Stoffe (wie Wasser, Halogenverbindungen usw.) gelöst sind, entstehen schliesslich wässerige Restlösungen, die zu den Thermalwässern überführen. Gleichzeitig ist während der Aenderung der physikalischen

Bedingungen im Verlaufe einer Magmenaufwärtsbewegung die Möglichkeit der Abspaltung von Dampfphasen unter Verdampfungs- und Destillationserscheinungen möglich. Es ist nun selbstverständlich, dass die Bildung eines bestimmten Differentiationsproduktes im grossen besondere geologisch-tektonische Bedingungen verlangt, die bei Kenntnis der, den ganzen gewaltigen Vorgang beherrschenden, physikalisch-chemischen Prinzipien vorausgesagt werden können. Wohl mögen durch Komplikationen spezielle und schwieriger zu beurteilende, accessorische Nebentypen entstehen; da jedoch die derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse immer mehr dahin tendieren, nur die allergrössten Vorkommnisse als abbaufähig anzusehen, ist für praktische Zwecke dies von geringer Bedeutung.

So finden wir in nutzbaren Mengen Platinmetalle nur da angereichert, wo in gewisser Erdtiefe gewaltige basische Magmenmassen unter Bildung augit- und olivinreicher Gesteine sich weitgehend differenzieren konnten. Bedingungen dieser Art sind, soweit infolge erosiver Vorgänge sichtbar ist, in früherer Zeiten besonders im Ural, in Südafrika und in Rhodesien verwirklicht gewesen. Es sind das die führenden Länder der Platinmetallproduktion. Zinn- und Wolframverbindungen andererseits finden sich da angereichert, wo nach der Bildung granitischer Magmen (in nicht zu grosser Erdtiefe) eine Abspaltung relativ fluorreicher Dämpfe erfolgen konnte. Die Möglichkeiten hierfür haben sich im Verlauf der Erdgeschichte mehrfach wiederholt. Die daran sich anschliessenden Umgestaltungen der Erdoberfläche haben besonders in folgenden Ländern die entstandenen Lagerstätten in erreichbare Lagen gebracht: Malayische Staaten, Bolivien, Niederländisch-Indien, Süd-Afrika, Siam, China, Australien und England.

Zum nicht geringen Teil ist die ökonomische Bedeutung der Vereinigten Staaten von Nordamerika eine Folge der Bildung der pacifischen Randketten, eines Faltengebirges, das infolge der gegen den Ozean gerichteten Bewegungen viel gewaltigere äussere Magmenverschiebungen und Differentiationen aufweist als die Alpen interkontinentalen Ursprungs. Die relative Jugend des Gebirges gestattet heute vorzugsweise den Abbau der relativ erdoberflächennah gebildeten Lagerstätten, die aus weiter weggewanderten Lösungen, vorzugsweiser hydrothermaler Art, gebildet wurden. Gold- und Silbererze, Kupfererze, Bleierze spielen neben Quecksilbererzen eine grosse Rolle. So hat der jüngste Teil der geologischen Geschichte, durch den der

amerikanische Kontinent vom eurasiatischen getrennt wurde, und wobei infolge der Westdrift die eruptivgesteinreichen, pacifischen Randketten sich bildeten, im wesentlichen Masse mitgeholfen, dass Amerika zum wirtschaftlichen selbständigen Gebiet geworden ist. Im allgemeinen können wir sagen, dass die Vorgänge der Gestaltung magmatischer Lösungen zu Minerallagerstätten zur abbauwürdigen Anreicherung folgender Elemente bezw. ihrer Verbindungen führte: Kupfer, Silber, Gold, Quecksilber, Beryllium, Barium, Radium, Zink, Cadmium, Gallium, Indium, Thallium, Blei, Chrom, Yttrium, Cer, Torium, Uran, Niob, Tantal, alle seltenen Erden, Titan, Zirkon, Zinn, Germanium, Wolfram, Molybdän, Tellur, Arsen, Antimon, Wismuth, Kobalt, Nickel, Platinmetalle, zum Teil auch Lithium, Strontium, Bor, Phosphor, Schwefel, Vanadium, Silicium, Aluminium, Eisen und Mangan. Für alle diese Lagerstätten ist es möglich, die einzelnen Prozesse ihrer Bildung weitgehend in Beziehung zu setzen zu den notwendigen Voraussetzungen geologischer Art. Natürlich haben die chemischen Verwandtschaftsverhältnisse zur Folge, dass gewisse Elemente sich stets zusammen vorfinden, wodurch die Uebersicht erleichtert wird.

Zu den Stoffwanderungen und Anreicherungsprozessen magmatischer Art gesellen sich allüberall Umlagerungs- und Stoffverschiebungsvorgänge an der Erdoberfläche unter dem Einfluss der Atmosphäre und Hydrosphäre. Da hier im wesentlichen eine Trennung von löslichen und unlöslichen Bestandteilen statthat, und unter den letzteren, sofern Transport erfolgt, eine Sonderung nach dem spezifischen Gewicht, ergibt sich die Möglichkeit neuer, praktisch wichtiger Lagerstättengruppen. Die gelösten Stoffe ihrerseits können bei der Bildung chemischer und biochemischer Sedimente wieder ausgefällt werden. Zurzeit sind es besonders die Verbindungen folgender Elemente, die auf Anreicherungslagerstätten der Erdoberflächenumgestaltung ausgebeutet werden: Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium, Calcium, Magnesium, Chlor, Brom, Jod, zumteil auch Lithium, Strontium, Bor, Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel, Vanadium, und aus Verwitterungsrückständen Silicium, Aluminium, Eisen, Mangan, Phosphor. Auch hier gilt, dass z. B. Kalisalzlagerstätten lediglich unter bestimmten klimatischen Bedingungen als letzte Laugenrückstände eintrocknender Meere sich bilden können. Selbst die wechselvolle Geschichte der Erde hat nur selten die hierzu notwendigen Bedingungen verwirklicht. Deshalb die Monopolstellung,

die wenigen Ländern des europäischen Kontinentes in Bezug auf die Kalisalzgewinnung zukommt.

Seltener sind Stoffwanderungs- und Konzentrationsprozesse im Gefolge von Umwandlungen (sogenannten Methamorphosen), die sich unter Bedeckung abspielen. Immerhin braucht nur erwähnt zu werden, dass die Kohlen- und Erdölbildung auf solchen Vorgängen beruht, um deren grosse wirtschaftliche Bedeutung vor Augen zu führen. In beiden Fällen muss eine Sedimentation ganz bestimmter Art vorausgegangen sein. Wir kennen heute vollständig die Zeiträume und Gebiete, die dafür günstig waren.

Zur Zeit gibt es nicht mehr viele völlig unerforschte Gebiete auf der Erdkarte. Aber auch wenn solche vorhanden wären, stünden wir ihnen nicht ratlos gegenüber. Das Antlitz der Erde, das deren Geschichte widerspiegelt, ist uns in grossen Zügen bekannt, Interpolationen, sofern sie nur wesentliches betreffen, sind statthaft. Die Kenntnis der geologischen Vorgänge aber ermöglicht die Voraussage, was eventuell an nutzbaren Lagerstätten vorhanden sein kann. So dürfen wir auch, ohne grosse Fehler zu begehen, versuchen, die Vorräte zu berechnen, die mit Hilfe der heute bekannten Arbeitsmethoden greifbar sind. Auf Grund sorgfältiger Studien können wir der Industrie und Technik die Wege weisen, die einzuschlagen sind, um der Erschöpfung nahe Stoffe durch andere zu ersetzen oder deren Gewinnungsmöglichkeiten zu erhöhen. Auch hier gilt Leonardo da Vincis Ausspruch: "Die Wissenschaft ist der Kapitän, die Praxis, das sind die Soldaten", oder "Jene, die sich in die Wissenschaft verlieben, sind wie der Pilot, so ein Schiff ohne Steuer noch Kompass betritt: welcher dann nie Sicherheit besitzt, wohin es geht."

Alles was wir heute wissen, ist Stückwerk und wird stets Stückwerk bleiben. "Die wissenschaftliche Wahrheit war immer nur die Tochter der Zeit." (Leonardo da Vinci). Es wäre durchaus der Absicht entgegen, wenn meine Ausführungen den Eindruck erwecken sollten, als ob bereits das erreicht ist, war wir anstreben. Allein anderseits mag es nichts schaden, wenn wir von Zeit zu Zeit Rückschau halten und, in aller Bescheidenheit, jedoch mit einer gewissen Genugtuung, feststellen, dass die geistige Arbeit von Generationen nicht nutzlos gewesen ist. Sie hat nicht nur unser naturwissenschaftliches Weltbild bereichert, sondern auch die Mittel erhöht, die uns gestatten, den materiellen Forderungen des Tages gerecht zu werden. Es ist die Aufgabe der Hochschulen, dafür Sorge zu tragen,

dass ein Stillstand, der Rückschritt bedeuten würde, nicht eintritt. Sie werden das tun können, wenn sich alle, die ihnen angehören oder die ihnen nahe stehen, vereinigen, mit dem Ziel, auf den Hochschulen dem Geiste freier Forschung, dem Drang nach Erkenntnis eine stets besser angepasste Heimstätte zu bereiten.

Zur Aufnahme als reguläre Studierende der E. T. H. haben sich im Herbst 1929 357 Kandidaten angemeldet gegenüber 341 im Vorjahre.

Auf Grund der Ausweise anerkannter Maturitäten konnten prüfungsfrei in das erste Semester 254 (234 im Vorjahr) Studierende aufgenommen werden. Von 88 zur Aufnahmeprüfung Angemeldeten haben 61 die Prüfung bestanden. Die Zahlen im Vorjahre lauten 98 bezw. 69. Somit beträgt die Zahl der in das erste Semester neu auf. genommenen Studierenden 315 gegenüber 303 im Vorjahre, darunter sind 261 Schweizer und 54 Ausländer. Von 15 in höhere Semester angemeldeten ausländischen Kandidaten konnten 13 (8 im Vorjahre) aufgenommen werden.

Die Studierenden des ersten Semesters verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Abteilungen:

1029 1928
Abteilung 1 für Architektur 41 29
II für Bauingenieurwesen .... 46 30
III für Maschineningenieurwesen und
Elektrotechnik 107 130
IV für Chemie 48 45
V für Pharmazie 1 1 17
VI für Forstwirtschaft 8 9
VII für Landwirtschaft 28 20
VIII für Kulturingenieurwesen 14 12
1X für Fachlehrer in Mathematik und
Physik 9 7
X für Fachlehrer in Naturwissenschaften 3 4 315 303

Für die Abteilung für Militärwissenschaften liegen bis jetzt 10 Anmeldungen vor.

Die neu eintretenden Studierenden heisse ich im Namen des Präsidenten des Schweiz. Schulrates und im Namen der Professorenschaft der E. T. H. herzlich willkommen. Sie stehen vor dem Beginn eines wichtigen Lebensabschnittes. In den nächsten Jahren haben Sie nicht nur das Rüstzeug sich anzueignen, das für den späteren Beruf notwendig ist, der Geist wissenschaftlich-schöpferischer Tätigkeit und Kritik muss von Ihnen Besitz ergreifen, Sie müssen zum Manne heranreifen.

Wir wissen, dass die heutige Jugend, deren Erwachen in eine trübe Zeit fiel, von manchen Nöten geplagt wird, die uns noch fremd waren. Wenden Sie sich vertrauensvoll an uns oder ihre älteren Kameraden, denn es ist das Vertrauen zwischen Studierenden und Studierenden, Studierenden und Lehrern, das unsere Hochschule zur wirksamen Einheit zusammenschliesst. Die Herren Abteilungsvorstände und das Rektorat werden Ihnen in Studienfragen gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen; benützen Sie die Gelegenheit zu einer ersten Orientierung, die den einzelnen Abteilungen in den nächsten Tagen geboten wird.

Das Schuljahr 1929/30 ist das 75. der Eidgenössischen Polytechnischen Schule. Der Eintritt in das letzte Viertel des ersten Jahrhunderts wird 1930 in bescheidenem Umfange festlich begangen werden. Aber ich möchte den heutigen 'Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne in Erinnerung gerufen zu haben, dass bereits 1929 75 Jahre verflossen sind seit der Annahme des Gründungsgesetzes unserer Schule durch die eidgenössischen Räte, seit der Wahl des ersten Schulratspräsidenten Johann Konrad Kern und der ersten Schulräte, der Herren: Tourt~, Bernhard Studer, Alfred Escher, Augustin Keller.

In diesen 75 Jahren hat sich die Technische Hochschule dank der hervorragenden Reihe der Schulratspräsidenten, dank der umsichtigen Tätigkeit des Schulrates, dank dem Wohlwollen, das Bundesrat, Räte und das gesamte Schweizervolk der Neuschöpfung entgegenbrachten, in erfreulicher Weise entwickeln können. Wir wollen uns dessen stets bewusst sein und durch den Einsatz aller Kräfte den Begründern und Förderern der Hochschule den Dank abstatten.

Wenn es gelungen ist, von Anfang an der Eidgenössischen Hochschule einen weit über die Landesgrenzen reichenden Ruf zu verschaffen, so lag dies im wesentlichen daran, dass das Polytechnikum mit einer Fülle ausgezeichneter Lehrkräfte eröffnet werden konnte, und dass die

Tradition, stets beste und mitten in der Forschung stehende Lehrer heranzuziehen, hochgehalten wurde. Auch heute ist und bleibt dieser Grundsatz der wichtigste für die fernere Entwicklung unserer Hochschule. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sich in 75 Jahren Industrie und Technik in ungeahntem Masse entwickelt haben, dass völlig neue Verhältnisse geschaffen wurden, und dass die früher den Hochschulen allein gehörige Forschung teilweise an die Versuchsanstalten der Grossbetriebe abgewandert ist. Das bringt die grosse Gefahr mit sich, dass hervorragende Forscher dem Ausbildungsziele, der Lehrtätigkeit, entzogen werden. So bedarf es heute der grössten Anstrengungen, um den Hochschulen ihre für die Gesamtentwicklung so wichtige Führerstellung zu bewahren.

Dazu kommt ein zweites. Moderne Forschung und mitten in die Probleme der Gegenwart hineinführender Unterricht verlangen Laboratorien, die in ihrer Ausstattung mit der Entwicklung von Naturwissenschaften und Technischen Wissenschaften Schritt zu halten vermögen. Nur Hochschulen, denen hierfür die Mittel zur Verfügung stehen, werden erfolgreich bestehen können. Deutlich tritt dies heute schon in der Bevorzugung der grossen Technischen Hochschulen mit ihren ausgedehnten Laboratoriumsgebäuden in Erscheinung. So hat in Deutschland von 1926 auf 1928 die Zahl der Studierenden an kleinen Technischen Hochschulen (mit einer Studierendenzahl unter 2000) um mehr als 3 % abgenommen, während gleichzeitig die mittelgrossen Hochschulen (zwischen 2000 und 3000 Studierenden) die Zahl um 7 %, die grossen (über 4000 Studierenden) um 8 % erhöhen konnten, und das, obwohl für die Intensität des Unterrichtes und der Forschung die kleineren Hochschulen an sich die günstigeren sind.

Die E. T. H. wird immer zu den kleinen bis mittelgrossen Anstalten gehören, aber sie muss im Interesse unseres Landes, unserer Industrie und Technik mit an der Spitze marschieren können, sie muss ihre Anziehungskraft für ausländische Studierende beibehalten. Denn es sind die in die Fremde wandernden Absolventen unserer Anstalt, Schweizer und Ausländer, die mithelfen, dass die Erzeugnisse unseres Landes internationalen Ruf erlangen, dass die Schweiz nicht nur als Land des Fremdenverkehrs, sondern auch als wirtschaftlicher Faktor geschätzt wird.

Wie es für die Wohlfahrt unserer Industrie nicht genügt, dass Erzeugnisse, die im Auslande hergestellt werden, auch bei uns fabriziert werden können, wie es für

sie notwendig ist, besondere Qualitätsarbeit zu leisten, so darf auch unsere Technische Hochschule sich nicht damit begnügen, den Schweizern eine Möglichkeit zu geben, im eigenen Lande den Studien obzuliegen. Sie muss ihre Eigenart und ihren hohen Standard beibehalten und stets neu zu gewinnen trachten. Und das wird nur möglich sein, wenn sie mit den Vorteilen, die eine kleine Hochschule mit ausreichendem Lehrpersonal darbietet, in bezug auf Arbeitsmöglichkeit und Ausstattung, dem Inhalte, nicht dem Umfange nach, die Vorteile verbindet, die sonst nur grossen Anstalten zukommen. Wir wissen, dass die Mittel, die wir verlangen müssen, um das Endziel zu erreichen, grosse sind, wir wissen aber auch, dass diese Ausgaben ihre reichen Früchte tragen werden, und dass unsere Behörden sich der Einsicht von deren Notwendigkeit nicht verschlissen werden. In dieser Zuversicht dürfen wir mit Genugtuung auf das 3/4 Jahrhundert seit der Gründung der E. T. H. rückblicken und freudig in die Zukunft schauen. Und so sei das 75. Studienjahr eröffnet, mit dem Dank an unsere Behörden, dem Gelöbnis freudiger Arbeit zum Wohle der Wissenschaft und des Vaterlandes und in der Gewissheit, dass auch fernerhin der Geist wirksam sein wird, dem die Hochschule ihren stolzen Anfang zu verdanken hat.