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Geistliches Weltrecht und weltliches Staatsrecht

II
BERICHT
über das akademische Jahr
1931/32
DRUCK: ART. INSTITUT ORELL FÜSSLI, ZÜRICH

INHALTSVERZEICHNIS Seite

I. Rektoratsrede 3

II. Behörden der Universität . 22

III. Jahresbericht 24

a) Dozentenschaft 24

b) Allgemeines 27

c) Feierlichkeiten und Kongresse 29

d) Studierende 31

e) Promotionen und Prüfungen 34

f) Preisaufgaben 36

g) Hochschulfonds und Stiftungen 37

h) Stipendien und Preise 38

i) Kranken- und Unfallkasse der Universität . . . . 39

k) Witwen-, Waisen- und Pensionskasse der Professoren der Universität 40

l) Zürcher Hochschulverein 41

m) Stiftung für wissenschaftliche Forschung 44

n) Julius Klaus-Stiftung 49

IV. Schenkungen und Vermächtnisse 52

V. Nekrologe 55

I, FESTREDE DES REKTORS PROF. DR FRITZ FLEINER,

gehalten an der 99. Stiftungsfeier der Universität Zürich
am 29. April 1932.

Geistliches Weltrecht und weltliches Staatsrecht.

Die heutige Feier bietet der Universität den Anlass, Behörden, Freunde und Gönner zu begrüssen und allen auch öffentlich ihren Dank zu sagen, von denen sie im vergangenen Jahre Förderung und Unterstützung empfangen hat. Bei ihrer Gründung wurde unsre Alma mater auf ihre beiden Aufgaben, akademische Lehre und wissenschaftliche Forschung, verpflichtet. Was die liberale Bewegung der Stiftungsjahre als ideales Ziel verlangte, das hat der Ausbau der Demokratie zur Notwendigkeit erhoben. Denn keine Staatsform bedarf so sehr wie die Demokratie einer ständigen Erneuerung und Befruchtung durch geistige Kräfte. Wenn sich die Pflege der Wissenschaft äusserlich in dem Rahmen akademischer Tradition vollzieht, so gereicht ihr das nur zum Vorteil. Tradition ist es auch, die dem Rektor das Vorrecht verleiht, am Stiftungstage die Aufmerksamkeit der Festversammlung auf ein Problem seines wissenschaftlichen Fachgebietes hinzulenken.

Von dem neuen Gesetzbuch der katholischen Kirche, dem Codex juris canonici, soll hier die Rede sein und von der Frage, wie es selbst sein Verhältnis zum staatlichen Recht auffasst und wie es sich mit ihm auseinandersetzt. Die sinnfälligen Ereignisse des Weltkrieges und der Nachkriegszeit haben die Blicke vieler Juristen und Staatsmänner abgezogen von dem grossen geistigen Ringen, in welchem der moderne Katholizismus sich anschickt, mit den Waffen seines konfessionellen Gesetzbuches

die ihm widerstreitenden Anschauungen des modernen konfessionslosen Staates zu überwinden.

Die Ideen der französischen Revolution hatten der katholischen Kirche in ganz Europa die Befreiung gebracht von dem Druck des absoluten Staates und ihr erlaubt, sich aus den staatlichen Bindungen zu lösen und die Universalität und die Selbständigkeit ihres Rechts und ihrer Organisation Schritt für Schritt zurückzuerobern. Aber die nämlichen liberalen und demokratischen Forderungen des Jahrhunderts, die dem äussern Aufstieg des restaurierten Katholizismus den Weg geebnet hatten, drohten im, innerkirchlichen Leben den geistlichen Gehorsam zu erschüttern und zu einer Gefahr für die Kirche zu werden. Es galt, gegenüber dem staatlich garantierten freien religiösen Belieben des Einzelnen den katholischen Glauben als einen objektiven, der freien Würdigung entzogenen Normenkomplex sicherzustellen. In den Beschlüssen des vatikanischen Konzils vom 18. Juli 1870 gewann der Katholizismus den persönlichen unfehlbaren Interpreten des katholischen Glaubens (fides) und der Sitten (mores), und in der Lehre vom Universalepiskopat des römischen Papstes wurde in der Hierarchie die strengste Verwaltungszentralisation durchgeführt und die Kirche gegen alle demokratischen Einflüsse abgeschlossen. Es ist charakteristisch, dass die zwei erwähnten Rechtsgrundsätze in die Form von Glaubenssätzen gekleidet und dadurch aller künftigen Anfechtung entzogen wurden. Der alte Kampf zwischen der conciliaren Theorie und der päpstlichen Autorität war zugunsten des päpstlichen Primates ausgetragen.

Damit hatte der Katholizismus die eine seiner beiden grossen Kräfte, den Glauben, gegen den religiösen Zweifel und gegen alle Anfeindungen sichergestellt, die ihm aus Staat und Gesellschaft der neuen Zeit drohten. Schon auf dem vatikanischen Concil waren aus der Mitte der Concilsväter Anträge auf Codification des canonischen Rechtes hervorgegangen. Sie hatten auf die formalen Unvollkommenheiten eines Rechtes hingewiesen, das seit den grossen päpstlichen Dekretalensammlungen des Mittelalters und seit den Beschlüssen des Trienter Concils nicht mehr

einheitlich zusammengefasst worden war. Überdies war von den Antragstellern darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Päpste die von ihnen entwickelten Rechtsgrundsätze im allgemeinen nur beiläufig, bei der Entscheidung der einzelnen Rechtsfälle, aufgestellt hatten und dass daher diese Rechtszersplitterung nicht leicht konkurrieren könne mit dem System der modernen staatlichen Gesetzbücher, die ihre Rechtsvorschriften einheitlich zusammenfassten und in abstrakter Form verkündeten. Aber Rom kann warten. Erst mehr als vierzig Jahre nach dem vatikanischen Concil beschloss Papst Pins X. die Codification. Unter seinem Nachfolger, Benedikt XV., wurde am Pfingstsonntag 1917, mitten im Weltkrieg, das neue päpstliche Gesetzbuch, der Codex juris canonici, verkündet und auf den Pfingstsonntag des Jahres 1918 in Kraft gesetzt. Schon die Art der Verkündigung offenbart die geistige Kluft zwischen Staatlichem und Kirchlichem: als unbeschränkter Monarch und aus eigener apostolischer Machtvollkommenheit (,,Beatorum Petri et Paull Apostolorum auctoritate confisi, motu proprio") hat der Papst, ohne Zustimmung eines allgemeinen Concils, das neue geistliche Weltrecht geschaffen, in einer Zeit, da in den Staaten die demokratische Selbstbestimmung der Völker die Losung des Tages geworden ist.

Wenn auch der äussere Antrieb für die Codification in dem Bestreben lag, das kirchliche Recht formal auf dieselbe Linie zu stellen mit den modernen staatlichen Gesetzbüchern, durch eine direkte Reception der staatlichen Gesetzgebungsmethode, so waren für das Werk als Ganzes doch tiefere geistige Ursachen massgebend. Es galt, mitten im Weltkrieg, die Gunst des Augenblickes auszunutzen, da alle Staaten mit sich selbst beschäftigt waren, um die Kirche auch rechtlich auf ihren eigenen Fundamenten aufzubauen. Denn das Recht ist der katholischen Kirche ebenso notwendig wie der Glaube.

Damit erhebt sich die Frage nach der tiefsten Ursache, aus der das staatliche und das kirchliche Recht ihre Verbindlichkeit ableiten. Wir schreiben im Staate der Rechtsordnung Geltung zu, weil in letzter Linie die Gesetzesunterthanen

von dem Glauben einer Gehorsamspflicht gegenüber dem Gesetz erfüllt sind, m. a. W. weil die Gesetzesunterthanen an die Legalität des Gesetzes glauben. In der reinen Demokratie beruht dieser Glaube seit Rousseau auf der Annahme, es enthalte das Gesetz vermöge der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Volksgenossen die "volonté générale". Nach der Staatsumwälzung in Deutschland vom November 1918 hat das Reichsgericht diese Auffassung sich zu eigen gemacht und ausgesprochen, es sei auch die durch Revolution, also durch Bruch des geltenden Rechts, geschaffene Staatsgewalt und deren Rechtsordnung von dem Augenblick an verbindlich, in dem ihr die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung der Gesetzesunterthanen zuteil geworden sei (Reichsgericht in Zivilsachen, Band 100, S. 25). Ganz anders der Katholizismus. Er gründet seine Herrschaft auf ein Charisma, d. h. auf die Vorstellung, dass die Kirche des Papstes im Besitze übernatürlicher Kräfte sei, und dass der Einzelne um der Erlösung willen der Kirche als Heilsanstalt angehören müsse. Der Satz des Cyprian bildet auch heute noch das Fundament dieser "charismatischen Herrschaft"(Max Weber): "Non potest habere Deum patrem, qui non habet Ecclesiam matrem." Aus dieser Anschauung heraus hat der Codex in den Mittelpunkt seines Dritten Buches ("De rebus") die Grundsätze über die Verwaltung der Sakramente, der kirchlichen Gnadenmittel, gerückt. Indem das vatikanische Concil den Papst mit der Fülle der Kirchengewalt bekleidete, ihm den "Primatus iurisdictionis"zuschrieb, den Christus dem Apostelfürsten Petrus verlieh, hat es auch den Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Papstes im letzten Grund auf den Gehorsam gegen Gott zurückgeführt. Darum binden die Rechtsvorschriften des Codex die Gläubigen nicht nur in ihrem äusseren Verhalten —worauf es das staatliche Recht allein abgesehen hat —, sie verpflichten sie auch im Gewissen. Demgemäss wird Jeder, so steht es in der Publikationsbulle zum Codex, der die Vorschriften des päpstlichen Gesetzbuches übertritt, den Zorn Gottes auf sich herabbeschworen.

Wir sind von der Betrachtung des staatlichen Rechtes her

gewohnt, nach den Zwangsmitteln zu fragen, die zur Vollziehung der Normen bereitstehen, die wir als Rechtssätze bezeichnen. Wenn auch der Codex gelegentlich noch des "brachium saeculare" erwähnt (z. B. c. 2198), so ist dies eine Ausnahme. Das päpstliche Gesetzbuch hat eine Rechtsentwicklung zum Abschluss gebracht, die schon vor dem Vaticanum sichtbar geworden ist, nämlich die Erzwingbarkeit seiner Vorschriften durch die Androhung eigener, rein geistlicher Strafen. Darum kommt dem Fünften Buch des Codex "De delictis et poenis" eine so grosse Bedeutung zu. Eine der Aufgaben des Codex hat in der Entweltlichung des kirchlichen Zwangsapparates bestanden. Wer vom staatlichen Recht her an die Betrachtung des Kirchenrechtes herantritt, der wird sich unausgesetzt vor Augen halten müssen, dass den geistlichen Strafmitteln für alle, die von dem. Glauben der katholischen Kirche erfüllt sind, eine zum mindesten nicht geringere Kraft zukommt, als den für die Ahndung weltlicher Delikte vom staatlichen Recht angedrohten Rechtsnachteilen; kaum brauche ich an die Exkommunikation, an die Versagung des kirchlichen Begräbnisses, an das Interdikt u.a.m. zu erinnern. Es ist zu beachten, dass der Codex in weitem Umfang der Strafe Funktionen zuweist, die im staatlichen Recht dem Verwaltungszwange vorbehalten sind (z. B. c. 2331). Das Recht der katholischen Weltkirche liefert das grosse ,Beispiel dafür, dass ein Rechtszwang nicht bloss mit den Mitteln des staatlichen Zwangsapparates ausgeübt werden kann. Weil der Kirche die Möglichkeit zusteht, ihre Gläubigen unter die von ihr kraft ihrer religiösen Aufgabe erlassenen Normen zu beugen, so stellt sich das katholische Kirchenrecht dem staatlichen Recht als ein selbständiges Rechtssystem zur Seite. Es verliert seinen Charakter als "Recht" auch dort nicht, wo es mit dem staatlichen Gesetz in Konflikt gerät.

Vom Grössten bis zum Kleinsten, vom Amt des Papstes herab bis zu den einfachen Handlungen der kirchlichen Liturgie, ist alles rechtlich organisiert (c. 2, 1257). Darin offenbart sich der römische Ursprung des Katholizismus. Der Kirchenvater Tertullian (erste Hälfte des 3. Jahrhunderts) —es mag dahingestellt

bleiben, ob er mit dem Pandektenjuristen identisch ist —, ein "vir ardens", hat das ganze römische Recht in die Kirche des Abendlandes hineingetragen und alle kirchlichen Verhältnisse in feste römischrechtliche Formen hineingespannt. Dieser starke Zug zur "Verrechtlichung"hat die katholische Kirche in die Lage gesetzt, auch bei der Verwaltung der Sakramente und bei der Ausgestaltung der Liturgie überhaupt das Unsichtbare sichtbar zu machen und durch die Vornahme einer vom Recht geregelten äussern Handlung "ex opere operato", unabhängig von der persönlichen Würdigkeit des Sakramentspenders, den angestrebten geistlichen Erfolg des Sakramentes zu erreichen. Papst Benedikt XIV., Prosper Lambertini, der grösste Canonist des 18. Jahrhunderts, gestattete sich, schwer leidend, in seinem letzten Lebensjahre die sitzende Celebrierung der Messe erst, nachdem er (1757) in einer längeren Abhandlung den Nachweis für die juristische Zulässigkeit einer solchen Abweichung von der Regel erbracht hatte. So eng ist in der Liturgie die rechtliche Form dem Spirituellen verbunden, dass selbst der Papst nicht als ein ,,princeps legibus solutus" erscheint. Demgemäss ist auch heute nach Einführung des Codex für die päpstlichen Seminare und Universitäten, an denen die künftigen römischen Prälaten erzogen werden, neben dem Studium des "jus canonicum"die intensive Beschäftigung mit dem römischen Recht vorgeschrieben. "Legista sine canonibus parum valet, canonista sine legibus nihil", lehrt der Canonist Prosper Fagnani (gest. 1678).

Aus der Selbständigkeit seines Rechts leitet der päpstliche Gesetzgeber die Zuständigkeit auf die selbständige Umschreibung des kirchlichen Gesetzgebungsbereiches ab gegenüber seinem Gegenspieler, dem Staat. Es ist irrig, mit der in der heutigen kirchenrechtlichen Literatur herrschenden Ansicht zu behaupten, es habe der Codex die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Staat nicht geregelt. Mit einem einzigen Satze hat vielmehr der Codex für die katholische Kirche die volle und selbständige Gesetzgebungsgewalt gegenüber dem Staat in Anspruch genommen, nämlich mit den Worten der Publikationsbulle ("Providentissima Mater Ecclesia"), es übe die Kirche die ihr stiftungsgemäss

gemäss von Christus übertragene Rechtssetzungsgewalt aus als eine "societas perfecta". Nach dem kirchlichen Sprachgebrauch wird damit, in unsere moderne juristische Terminologie übertragen, der Kirche der Charakter einer auf sich selbst gestellten, vom Staate unabhängigen öffentlichrechtlichen Korporation zugesprochen, und der Codex betont (c. 1322): die Lehrgewalt stehe der Kirche zu "independenter a qualibet civili potestate". Das vom Codex angenommene System läuft somit theoretisch auf eine Gleichordnung ("Koordination") von katholischer Kirche und modernem Staat hinaus. Der Codex verweist selbst an mehreren Stellen auf das staatliche Recht, so wenn er (c. 1529) bestimmt, dass zivilrechtliche Verträge auch für den kirchlichen Bereich gemäss dem massgebenden staatlichen Privatrecht zu beurteilen seien "nisi iure divino contraria sint aut aliud iure canonico caveatur". Beiläufig bemerkt, nimmt hier der Codex zum ersten Male Bezug auf die verschiedenen territorialen Rechte und verwirft damit die frühere canonistische Theorie, derzufolge auch heute noch das römische Recht als "raison écrite" für die katholische Kirche das gemeine Privatrecht darstelle.

Der kirchliche Gesetzgeber hat deshalb kein Bedenken getragen, sogar einzelne Sätze des weltlichen Rechtes direkt in das kirchliche Recht zu übernehmen, sie zu "canonisieren", falls hiefür ein praktisches Interesse obwaltet. So kennt das kirchliche Recht das aus einer Adoption entstehende Ehehindernis zwischen dem Adoptivkind und den Adoptiveltern nicht. Aber der Codex bestimmt (c. 1059, 1080): in Ländern, in denen von Staatswegen dieses Ehehindernis eingeführt sei, solle es auch für den kirchlichen Bereich gelten —dies trifft z. B. für die Schweiz zu (Z.G.B. Art. 100 Ziffer 3).

Diese Erörterungen führen von selbst zu der Kernfrage: Wer entscheidet nach kirchlicher Auffassung bei Kompetenzkonflikten zwischen kirchlichem und staatlichem Recht? Die kirchliche Antwort kann nicht zweifelhaft sein: die Entscheidungsbefugnis steht unbedingt der kirchlichen Autorität zu, dem Papst. Die Rechtfertigung hiefür liegt in der katholischen Grundauffassung, derzufolge Kirche und Staat zwar äusserlich gleichgeordnete

Kreise darstellen, aber mit verschiedener Zweckbestimmung. Die höhere Zweckbestimmung der Kirche zieht notwendigerweise auch einen Vorrang ihres Rechtes nach sich und bedingt die Unverbindlichkeit des dem geistlichen Rechte widerstrebenden staatlichen Rechtes und zwar nicht nur für den Bereich der Kirche, sondern auch für den des Staates. So beansprucht z. B. die Kirche die Kompetenz zur Regelung des Kerikalrechtes und versagt demgemäss dem staatlichen Gesetzgeber jede Zuständigkeit, den Kleriker in Zivil- und Strafsachen vor das staatliche Gericht zu ziehen — es wäre denn, dass der Papst von diesem Grundsatz dispensiert hätte (Codex c. 120). Ein weiteres Beispiel: Die Zuständigkeit zu einer umfassenden kirchlichen Ehegesetzgebung leitet der kirchliche Gesetzgeber aus einem Auftrag Christi ab; denn die Ehe ist ein Sakrament und über die Sakramente rechtsgültige Gesetze zu erlassen, hat allein die Kirche die Macht (c. 731). Demgemäss versagt bis zum heutigen Tag die katholische Kirche der staatlichen Ehegesetzgebung die Anerkennung; sie misst ihr Rechtsverbindlichkeit nur zu für die rein bürgerlichrechtlichen Wirkungen der Ehe. Die staatliche Ehegesetzgebung, so hat Leo XIII. am 7. Februar 1893 ausgeführt, "sacrilegam alieni juris usurpationem esse".

Neben der Kompetenzabgrenzung im kirchlichen Sinne besitzt der kirchliche Gesetzgebungsapparat noch ein zweites Mittel zur Durchsetzung seines Rechtes gegenüber dem widerstreitenden staatlichen Recht: es liegt in der Theorie des jus divinum und des jus naturale. Gemäss einem vom Trienter Konzil (sessio VI de justificatione, can. 19, 21) bestätigten Dogma hat Christus nicht nur eine Heilslehre, sondern auch die Grundlagen der kirchlichen Rechtsordnung geoffenbart. So sind der päpstliche Primat, das bischöfliche Amt, die Gliederung in Klerus und Laien u.a.m. Sätze des jus divinum; sie gehen auf Christus als "Legislator" zurück. Neben diesen Sätzen des jus divinum im engem Sinne (jus divinum positivum) erwähnt der Codex ebenso häufig des "jus naturale", des Naturrechts, und zwar so, dass dessen innerer Zusammenhang mit dem erwähnten jus divinum positivum zu

deutlichem Ausdruck kommt: "aut lex sit juris divini sive positivi, sive naturalis" (c. 6 no. 6; c. 1509 no. 1 u.a.m.). Dem jus naturale liegt die Anschauung zugrunde, es habe Gott selbst bestimmte rechtliche Vorstellungen als unverbrüchliche Normen in die menschliche Vernunft (ratio) hineingelegt. Demgemäss handle es sich bei den Normen des jus naturale gleichfalls um objektiv feststellbare, ein für allemal feststehende Rechtsvorschriften, gottgewolltes Recht, das autoritativ durch den obersten Träger der Lehrgewalt, den unfehlbaren Papst, bezeugt und festgestellt werde. Die katholische Kirche hat damit vor allem die Forderungen ihres eigenen Sittengesetzes selbst wieder zu Rechtssätzen erhoben. Es sei erinnert an die katholische Auffassung von der Unauflöslichkeit der Ehe (c. 1013, 1110, 1118), an einen Rechtsgrundsatz, der als naturrechtliches Gebot den Ketzer ebenso streng bindet, wie den Katholiken und daher dem Katholiken z. B. die Eingehung einer Ehe mit einer geschiedenen Protestantin verbietet. Dieses katholische Naturrecht ist so wenig wie das jus divinum positivum ein in sich geschlossenes Rechtssystem, und dessen Sätze sind im Codex nur beiläufig, bei der Erörterung einzelner Rechtsinstitute, erwähnt. Jeden Tag ist der Träger des unfehlbaren Lehramtes in der Lage, in Zweifelsfällen autoritativ Existenz und Inhalt eines weitem Satzes des jus divinum oder des jus naturale festzustellen. Normen juris divini sive positivi sive naturalis sind gemäss katholischer Auffassung unabhängig von Ort und Zeit und keinem Wechsel unterworfen; sie gelten als unverbrüchlich auch für den Papst selbst. Sie werden, wie das "fas" der Römer, dem Zugriffe jeder menschlichen Hand entzogen. Das jus naturale verpflichtet den Einzelnen im Gewissen, so dass z. B. der katholische Gelehrte oder Bibliothekar, der von der kirchlichen Behörde die Erlaubnis zum Lesen kirchlich verbotener Bücher (Schriften der Reformatoren usw.) erhalten hat, von dieser Befugnis keinen Gebrauch machen darf, wenn er weiss, dadurch wider einen Satz des Naturrechts zu handeln: nämlich gegen das Gebot, sein Seelenheil nicht zu gefährden (Codex c. 1405). Als allgemeine Anordnungen Gottes sind die Gebote und Verbote des Naturrechts nach katholischer Auffassung

für den staatlichen Gesetzgeber nicht weniger verbindlich, als für den kirchlichen. Ein Satz eines Staatsgesetzes, der im Widerspruch zu einer Vorschrift des jus naturale steht, verpflichtet den Gläubigen nicht, mindestens nicht im Gewissen, denn das vom Papste definierte Naturrecht bildet die Grundlage für jede menschliche, somit auch die staatliche Gesetzgebung. Mit Hilfe dieser Auffassung vermag der Papst auch kirchliche Rechtsansprüche gegenüber dem staatlichen Recht in das Gewand von jus divinum vel jus naturale einzukleiden. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen: Die katholische Kirche anerkennt grundsätzlich die Kompetenz des Staates zur Regelung des Vermögensrechtes. Während nun die staatlichen Gesetze im allgemeinen die Auffassung vertreten, es beantworte sich die Frage, ob und in welchem Umfang die Kirche und ihre Ämter Vermögen erwerben und verwalten könnten, ausschliesslich nach der weltlichen Gesetzgebung eines jeden Staates, geben die päpstliche Theorie und ihr folgend der Codex eine andere Antwort. Sie gehen davon aus, die Gesamtkirche und der Apostolische Stuhl besässen kraft der Stiftung Christi Rechtspersönlichkeit und Vermögensfähigkeit; den übrigen Instituten und Personenverbänden der katholischen Kirche komme gleichfalls Rechtspersönlichkeit zu auf Grund der Verleihung des zuständigen kirchlichen Obern (c. 1499). Deutlich wird vom Codex die anstaltliche Form der juristischen Person bevorzugt, und der c. 1495 spricht der Kirche die unbeschränkte Vermögensfähigkeit zu "independenter a civili potestate" und weist damit sowohl die These des staatlichen Rechtes zurück, die die Entscheidung über die Vermögensfähigkeit der Kirche dem staatlichen Rechte zuweist, wie jene andere vom Staate beanspruchte Kompetenz zur Aufstellung kirchlicher Erwerbsbeschränkungen (manus mortua). Sogar die Fähigkeit des Einzelnen, über sein Vermögen zugunsten der Kirche frei zu verfügen, erklärt der Codex (c. 1513) als einen Ausfluss des jus naturale. Die neuem Concordate, die der Papst seit dem Ende des Weltkrieges mit den verschiedenen Staaten abgeschlossen hat, verfolgen unter anderm das Ziel, diese vermögensrechtlichen Forderungen des Codex zur staatlichen Anerkennung zu bringen und der

katholischen Kirche dadurch eine gesicherte vermögensrechtliche Grundlage im Rahmen der staatlichen Gesetze zu verschaffen.

Die dargestellte Lehre geht auf die thomistische Philosophie zurück und zieht aus ihr auch die Folgerung, jedes Gesetz, ein kirchliches wie ein staatliches, müsse ,,rationabilis" sein, d. h. eine mit der Vernunft, übereinstimmende Anordnung enthalten. Die erste Forderung, die die Vernunft an das Gesetz erhebt, ist die Gerechtigkeit. Wächter über die Vernünftigkeit und Gerechtigkeit der kirchlichen und staatlichen Rechtsnormen ist der Papst. Auch hier wird der katholische Grundsatz sichtbar, es gebe für die Bestimmung der Rationabilität einen objektiven Maßstab. Gemäss dieser Anschauung hat der Papst am 2. Dezember 1926 den Stab über die Mexicanischen Kirchengesetze gebrochen, mit der Begründung: ,,legis nihil praeter nomen habent" (Acta Apostolicae Sedis XVIII, 516). In der erörterten Theorie von den unverbrüchlichen Rechtsgrundsätzen, die auch über dem staatlichen Gesetzgeber stehen und vom Papst objektiv definiert werden können, liegt enthalten die alte Lehre von der Potestas indirects der katholischen Kirche über den Staat. Die Lehre spricht der Kirche den Beruf und die Pflicht zu, das staatliche Recht auf seine Übereinstimmung mit den erwähnten obersten Normen zu prüfen.

Ob die Kirche im einzelnen Fall daraus den Schluss zieht, den widerstreitenden Staatsakt aufzuheben oder zum passiven Widerstand aufzufordern, ist eine Sache für sich und eine Frage ihres freien politischen Ermessens. Sie ist zu weltverständig, um dort, wo sie keinen praktischen Erfolg erzielt, zu ihren schärfsten Mitteln zu greifen. Man muss sich immer wieder der Tatsache erinnern, dass die katholische Kirche als eine absolute und rechtlich zentralisierte geistliche Monarchie die Trennung der Gewalten nicht kennt, sondern oberste Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltung in der Hand des Papstes vereinigt. Sie hat sich damit die Möglichkeit geschaffen, in ihrem Rechte selbst die Aushilfsmittel auszubilden, die ohne Gefährdung der kirchlichen Prinzipien den Gläubigen wenigstens die äusserliche Befolgung der widerstreitenden Staatsgesetze gestatten. Ihrer Natur gemäss lassen sich diese

juristischen Krücken nicht in ein System bringen, um so weniger, als die Kurie sich ihrer stets nur bedient "temporum ratione habita", d.h. mit Rücksicht auf die konkreten Zeitumstände; wenn sich diese ändern, so steht es der Kirche frei, die Konzessionen f allen zu lassen und auf ihr strenges Recht zurückzugreifen. Solche Notbehelfe sind: die Dispensation, welche von der Befolgung eines Rechtssatzes für einen konkreten Fall befreit; —ferner das Privileg, das die allgemeine gesetzliche Bestimmung durch eine Sonderregelung ersetzt zugunsten eines gewissen Tatbestandes; —weiterhin das Tolerieren (,,tolerari posse"), das bei allem prinzipiellen Festhalten an der kirchlichen Vorschrift dem Katholiken gestattet, sich äusserlich dem Staatsgesetz zu unterwerfen, um dadurch Rechtsnachteile von sich abzuwenden (z. B. Codex c. 1374 betr. die konfessionslose Schule); —oder endlich die Praxis des Dissimulierens, die sich angesichts einer dem Kirchenrechte widerstreitenden staatlichen Anordnung vorläufig aus höhern kirchenpolitischen Rücksichten jeden Urteiles enthält und es dem einzelnen Gläubigen überlässt, sich bis auf weiteres zwischen Staat und Kirche selbst zurechtzufinden. Diese Auskunftsmittel, die sogenannte "vigens Ecclesiae disciplina", sind aus den Bedürfnissen der Praxis hervorgegangen, und der Codex erwähnt ihrer an zahlreichen Stellen. Die römische Kurie kann jeden neuen Tag neuen Schwierigkeiten, die ihr der staatliche Gesetzgeber bereitet, mit den erwähnten Mitteln beikommen, falls das "bonum Ecclesiae" dies erfordert. Es sind Notbrücken, die man dem Gläubigen zur Verfügung stellt und die man im gegebenen Augenblick wieder abbricht, dann nämlich, wenn die undurchbrochene Vollziehung des kirchlichen Rechtes die Kirche und die Gläubigen keinen staatlichen Belästigungen mehr aussetzt. Aber auch bei ihrem Verhalten gegenüber den Andersgläubigen, vor allem gegenüber den Protestanten, greift die katholische Kirche zu dieser schmiegsamen Praxis. Prinzipiell behandelt der Codex die evangelische Kirche als eine ,,secta haeretica vel schismatica" (c. 1060, 1240 u. a. m.), aber die äussere Behandlung ihrer Anhänger wird den kirchenpolitischen Bedürfnissen von Ort und Zeit angepasst.

Noch ein zweiter, rein spiritueller Weg steht der katholischen Kirche zu Gebote bei der Kontrollierung des staatlichen Rechtes. Auch wenn nämlich die Handlung des Einzelnen, vom kirchlichen Standpunkte aus betrachtet, unter die Herrschaft des staatlichen Rechtes fällt, kann sie um der innern Motive des Handelnden willen die Kirche zum Einschreiten veranlassen. Den Satz der mittelalterlichen Dekretalensammlungen, wonach vor das kirchliche Forum jede Handlung gehört, in der ein Moment der Sünde enthalten ist, hat der Codex (c. 1553 §1 no. 2) übernommen: "Ecclesia jure proprio et exclusivo cognoscit de omnibus in quibus inest ratio peccati". In der Beichte und Absolution —einem Institut, das aus einer Verbindung der römischen Rechtstechnik mit dem germanischen Wergeldsystem hervorgegangen ist —, besitzt die Kirche die Macht über die Gewissen der Gläubigen. Wie bekannt, begann die mittelalterliche Kirche den vom Staat allgemein erlaubten Darlehenszins als sündhaft zu erklären, weil der im Überfluss Lebende dem Bruder in Christo unentgeltliche Nothilfe zu leisten habe — um von der nationalökonomischen Begründung der Lehre (,,pecunia pecuniam parere non potest") ganz zu schweigen. Die Kirche vollzog das canonische Zinsverbot durch eine Anweisung an die Beichtväter, es dürfe der Pönitent, der Darlehenszinse empfangen hatte, von der Sünde nur losgesprochen werden auf sein Versprechen hin, die bezogenen Zinsen dem Schuldner zurückzugeben. Das Zinsennehmen als solches galt der Kirche als Wucher (usura). Es ist bekannt, welcher Umwege sich die weltliche Praxis bediente (Rentenkauf u. a. m.), um diese Verkehrsfessel zu umgehen. Allmählich war die Kirche gezwungen, ohne Preisgabe ihres prinzipiellen Standpunktes, Ausnahmen vom Zinsverbot zuzulassen, zumal seit der Zeit, da die Städte Italiens und auch die des Kirchenstaates öffentliche Anleihen gegen eine feste Verzinsung aufnahmen. Erst im Jahre 1872 wies das Sanctum Officium die Beichtväter an, Pönitenten, die sich nicht einen übermässigen Zins hatten versprechen lassen, nicht mehr zu belästigen, immerhin sollte eine spätere Entscheidung vorbehalten bleiben. Diese Entscheidung hat der Codex gebracht (c. 1543): das Zinsennehmen

ist nicht mehr "per se illicitum"; verboten und kirchlich strafbar bleibt allein, wie nach staatlichem Recht, der wucherische Zins (c. 2354). —Eine vom Staate gebotene und geschützte Handlung kann aber für die Kirche fernerhin wegen der besondern Begleitumstände als verwerflich erscheinen, und hier wird bedeutungsvoll, dass seit dem Vaticanum (Codex c. 218) dem Papste die unfehlbare Entscheidung nicht nur in Glaubenssachen zusteht, sondern auch über die Disciplina morum der Katholiken, d. h. über deren ganzes äusseres Verhalten. In neuerer Zeit (1927) hat die Poenitentiaria Apostolica die französischen Beichtväter angewiesen, Angehörigen der "Action Française" wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser politischen Partei die Absolution, sogar auf dem Sterbebette, zu verweigern, und der Heilige Stuhl hat die Beichtväter mit der Excommunication bedroht, die der päpstlichen Anweisung zuwiderhandeln (Acta Apostolicae Sedis XIX, 157).

Aber freilich: Alle die erwähnten Aushilfen führen nur indirekt zum Ziel. Die päpstliche Politik hat in den vergangenen siebzig Jahren in steigendem Mass erkannt, dass das, was der Codex (c. 2334) ,,libertas Ecclesiae" nennt, durch eine direkte katholische Beeinflussung der staatlichen Gesetzgebung und Verwaltung viel rascher und sicherer erreicht werden kann, als auf indirektem Weg. Die Entwicklung des staatlichen öffentlichen Rechtes ist diesem Bestreben insofern entgegengekommen, als sich der Staat aus seiner Mitwirkung am Kirchenregiment auf die Kirchenhoheit zurückgezogen hat, auf eine rein staatliche Zuständigkeit. Er enthält sich aller Eingriffe in die autonome Sphäre der Religionsgesellschaften; die Kirchenhoheit ist lediglich dazu bestimmt, den Staat bei der Vollziehung seiner konfessionell neutralen Gesetzgebung gegen kirchliche Übergriffe und Angriffe zu schützen, die staatliche Gleichberechtigung aller Konfessionen aufrecht zu erhalten und den religiösen Frieden im Staat im Interesse der öffentlichen Ordnung zu sichern. Seitdem der Katholizismus durch die Aufrichtung der päpstlichen Vollgewalt die Autorität und Unverbrüchlichkeit des Glaubens und des Rechtes sichergestellt hat, vermag sich die Kirche mit jedem

kirchenpolitischen System und jeder Staatsform abzufinden. Die öffentlichen Einrichtungen der Demokratie weiss sie sich ebenso nutzbar zu machen, wie die der Monarchie und Diktatur. Gegen das Eindringen demokratischer Elemente in den Kirchenbau selbst hat sich der Katholizismus durch Dogma und Recht geschützt. Der Codex hat einen letzten Rest kirchlicher Demokratie, der in der Wahl oder Präsentation der Pfarrer durch die Gemeinde lag, nach Möglichkeit unschädlich gemacht durch die Vorschrift c. 1452: es könnten fürderhin ,,electiones ac praesentationes populares" nur toleriert werden, wenn das wahlberechtigte Volk den Pfarrer unter drei vom Bischof frei genannten Kandidaten wähle oder präsentiere. Kaum brauche ich zu erwähnen, welche Tragweite dieser Vorschrift in der Schweiz zukommt, unter dem System der staatlich eingeführten Gemeindepfarrwahlen und den Gemeindepatronatrechten in den Urkantonen.

Auch die Trennung von Staat und Kirche, die noch Pius IX. im Jahre 1864 mit den andern "errores nostrae aetatis" verdammte, hat für den modernen Katholizismus ihre Schrecken verloren. Die Ablehnung des französischen Trennungsgesetzes vom 9. Dezember 1905 durch Pius X. war aus der Befürchtung des Papstes heraus erfolgt, die vom Staatsgesetzgeber eingeführten "associations cultuelles" könnten den Laien die Handhabe verschaffen, in den Kultus und damit in den Machtbereich der Bischöfe und der Pfarrer einzugreifen. Mit der Gründung der ,,associations diocésaines" nach dem Weltkrieg, denen eine Einmischung in die gottesdienstlichen Handlungen verboten ist, beseitigte der französische Gesetzgeber den Stein des Anstosses und machte damit der katholischen Kirche das Tolerieren des französischen Trennungsgesetzes möglich.

So wird es denn neuerdings unter jeder Staatsform und unter jedem kirchenpolitischen System für die katholische Kirche zur entscheidenden Frage, wie weit sie den staatlichen Gesetzgeber für ihre Forderungen im Sinne der kirchlichen Freiheit zu gewinnen vermag. Das Pontifikat Leos XIII., 1878-1903, bezeichnet einen Wendepunkt. Damals begann der Papst systematisch

in den Demokratien und den parlamentarisch regierten Staaten (Italien ausgenommen) die Bildung katholisch-konservativer Parteien zu fördern, nach dem Muster des deutschen Zentrums. Diese Parteien haben das kirchenpolitische Ziel bekommen, die staatliche Gesetzgebung und Verwaltung in katholischem Sinne zu beeinflussen und den katholischen Geist ,,tamquam saluberrimum succum ac sanguinem in omnes reipublicae venas inducers". Ihrer Treue gegenüber den kirchlichen Geboten hat sich der Codex (c. 2334 no. 1) durch die Vorschrift versichert, es seien der Excommunication verfallen alle diejenigen, ,,qui leges, mandata, vel decreta contra libertatem aut jura Ecclesiae edunt". Der Weltkrieg hat die Entwicklung mächtig gefördert. Die starke Vermehrung der Nuntiaturen steht damit in unmittelbarem Zusammenhang. Unter dem Schutz der diplomatischen Exterritorialität kommt heute dem Nuntius vor allem zu (Codex c. 267), die Bischöfe, den Klerus und die Laien des Landes, in dem er beglaubigt ist, zu "unterweisen und zu leiten", wie eine päpstliche Instruktion von 1885 sagt (Acta S. Sedis XVII 561), und sich daher des ganzen katholischen Lebens des Empfangsstaates und aller der innern Fragen anzunehmen, die zwischen den Katholiken und den Regierungen auftreten. Dazu zählt auch die Herstellung einer Verbindung zwischen den katholischen Parteien und dem heiligen Stuhl. Die Erfolge dieser Politik sind der katholischen Kirche zunächst auf rein staatsrechtlichem Boden zugefallen. Es genügt als Beispiel auf die Schulartikel der Weimarer Reichsverfassung (Art. 146-149) hinzuweisen oder daran zu erinnern, dass die Vorschrift der Weimarer Reichsverfassung Art. 137, wonach jede Reigionsgesellschaft ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates verleiht, seither die römische Kurie und die katholisch-konservativen Parteien zu der, m. E. unnichtigen, Auslegung veranlasst hat, es seien die deutschen Landesregierungen nicht mehr befugt, bei den Bischofswahlen das ihnen vertraglich eingeräumte Recht auszuüben, eine "persona minus grata" von der Wahl auszuschliessen. Die praktische Durchführung dieser Forderung ist im Sinne des Codex (c. 329 § 2) erfolgt, der die Bestellung der Bischöfe der freien päpstlichen

Nomination vorbehält. So hat z. B. der Wegfall der monarchischen Gewalt in Bayern und Österreich dem Papste den äussern Anlass gegeben, die den katholischen Herrschern jener Länder vertraglich zugesicherte Ernennung ihrer Landesbischöfe an sich zu ziehen, und in Preussen ist dem erwähnten Grundsatz des Codex die bisherige freie Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel zum Opfer gefallen. Die Concordate mit Bayern (1924) und Preussen (1929), wie die mit den neuen Staaten des Ostens (Litauen, Lettland, Polen, Tschechoslowakei) vereinbarten, haben die Regierungen dieser Länder auf die Befugnis beschränkt, gegen den vom Papst in Aussicht genommenen Kandidaten "Erinnerungen politischer Natur"vorbringen zu dürfen. In der Schweiz werden diese Bestrebungen des Papalsystems nicht weniger sichtbar, als in den grossen Staaten. Die erste Gelegenheit, die sich nach dem Inkrafttreten des Codex bot, benutzte der Papst dazu, den im Wallis seit Jahrhunderten bestehenden, auf ein staatliches Gewohnheitsrecht gestützten Wahlmodus zu beseitigen, demzufolge der Landesbischof aus einem vom Domkapitel aufgestellten Vierervorschlag vom Grossen Rat gewählt und dem Papst zur Bestätigung präsentiert wurde. Auch im Wallis hat die römische Kurie die freie Ernennung des Bischofs für sich durchgesetzt (1919) und sich nur zur Entgegennahme eines unverbindlichen Wunsches des Walliser Regierungsrates verstanden; der Papst werde dann ,,dans la mesure du possible" keine "persona non grata" ernennen. Die Diözesen Basel, Chur und St. Gallen sind so gegenüber den päpstlichen Forderungen des Codex die letzten Bollwerke des Domkapitelwahlrechtes gebliebene

Diese Wandlungen haben sich vollzogen, trotzdem der Codex (c. 3) die vom Papst mit den verschiedenen Ländern vereinbarten Concordate ausdrücklich in Geltung gelassen hat. Das Inkrafttreten des Codex (Pfingsten 1918) und das Ende des Weltkrieges (November 1918) liegen nur wenige Monate auseinander. Der Ausgang des Weltkrieges und die neue politische Gestaltung Europas haben dem Papsttum eine Lage für die Entfaltung seines Rechtes bereitet, wie sie in der an äussern Glücksfällen

so reichen Papstgeschichte kaum ein Seitenstück findet. Mitten im Krieg war der Hauptredaktor des grossen päpstlichen Gesetzgebungswerkes, der Cardinal Pietro Gasparri, in das Amt des päpstlichen Staatssekretärs aufgestiegen (Oktober 1914). Am Ende des Weltkriegs griff er nun auf die Traditionen des grössten vatikanischen Diplomaten der vergangenen zwei Jahrhunderte, des Cardinale Consalvi, zurück, um dem päpstlichen Recht durch die Mittel der päpstlichen Diplomatie den Weg zu ebnen. Unmittelbar nach dem Weltkrieg nämlich begann der Papst bei den Regierungen der alten, durch den Krieg erschütterten Länder, wie bei denen der neuen Staaten, dem Gedanken Eingang zu verschaffen, es sei der Moment gekommen, durch den Abschluss von Concordaten die kirchlichen Verhältnisse der verschiedenen Gebiete neu zu regeln. Auf diese Weise ist es der päpstlichen Diplomatie gelungen, dem Recht des Codex in zahlreichen Ländern zur Anerkennung zu verhelfen und die Staatsregierungen vertraglich daran zu binden. Auch die mit Italien vereinbarten Lateranverträge vom 11. Februar 1929 gehören in diesen Zusammenhang. Ihre Wirkung geht aber über die der andern Concordate erheblich hinaus. Denn die Lateranverträge besitzen gesamtkirchliche Bedeutung, weil sie dem Papsttume seinen italienischen Charakter gewährleistet und den Bestrebungen gesteuert haben, die auf ein ständiges Übergewicht des nicht-italienischen Elementes im Cardinalskollegium und in einem künftigen Conclave abzielten.

Noch nach einer andern Richtung hat das Ende des Weltkrieges den weit ausschauenden vatikanischen Plänen einen neuen Antrieb gegeben. Seit dem äussern Zusammenbruch der orthodoxen Kirche Russlands sind die Blicke des Papsttumes unausgesetzt nach dem Osten gerichtet, und der römische Katholizismus versucht heute, das seit dem grossen Schisma nie aufgegebene Ziel zu erreichen, die orientalischen Christen unter den Primat des römischen Papstes zurückzuführen. Aus den Unionsbestrebungen des 19. Jahrhunderts hat das Papsttum gelernt, dass ihm nur durch weitgehende Zugeständnisse an die zahlreichen rechtlichen Besonderheiten der Orientalen ein Erfolg

beschieden ist. Darum hat der Codex (c. 1) seine Vorschriften prinzipiell nicht auf die Orientalen erstreckt. Heute aber steht in Aussicht das von einer Cardinalskommission vorbereitete Gesetzbuch für die orientalische Kirche. Welche Form es schliesslich annehmen wird, steht zur Stunde noch dahin, denn nur Weniges ist bis heute darüber in die Öffentlichkeit gedrungen (,,Echos d'Orient", avril-juin 1931). Aber das Eine ist sicher: das Recht soll den orientalischen Christen die Brücke schlagen zur Rückkehr nach Rom, denn auf allen Wegen bleibt das Recht das Lebenselement des römischen Katholizismus.

Wie weit gegenüber dem mit dem Rechte gepanzerten Katholizismus der konfessionslose Staat mit seiner weltlichen Kultur die Herrschaft behaupten kann, und wie weit die evangelische Kirche zu bestehen vermag, die das Recht als blosse Zutat betrachtet und das Heil von der Verinnerlichung des Religiösen erwartet — das hängt nicht vom Recht und nicht von der Gesetzestechnik ab, so einschneidend diese auch wirken. Das Recht stellt nur eine äussere Form dar. Über Sieg und Niederlage entscheiden letzten Endes die grossen ethischen Ideen, von denen die Völker ergriffen werden und die hinter aller menschlichen Rechtsordnung stehen. Denn der Geist allein ist es, der lebendig macht.