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Alkibiades und Lysandros. Eine Rede gehalten am Jahresfeste der Universität zu Basel

den 6. November 1845
von
Wilhelm Vischer
Professor der griechischen Litteratur und d. Z. Rektor
Basel 1845
Druck und Verlag von J. J. Mast.

Vorwort.

Indem ich die folgenden Blätter dem Drucke übergebe, muss ich die Leser ersuchen zur richtigen Beurtheilung derselben wohl zu beachten, dass sie eine Rede und zwar eine vor einem ziemlich gemischten Publikum gehaltene Rede vor sich haben. Es war also keineswegs um eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes zu thun, sondern um eine möglichst übersichtliche, klare und lebendige Darstellung. Auch die Anmerkungen haben nicht den Zweck das in der Rede Uebergangene nachzutragen, sondern nur das in derselben Vorgetragene zu rechtfertigen, besonders da wo es mit andern Auffassungen im Widerspruch sieht.

Die Leser, welche die Rede angehört haben, werden einige neue Abschnitte finden. Diese sind aber nicht erst nachträglich hinzugekommen, sondern vielmehr von Anfang da gewesen, und beim Vortrage nur wegen der Beschränktheit dei Zeit weggeblieben.

Basel im November 1845. W. Vischer.

Wenn ich, einem alten Herkommen gemäss, heute vor Ihnen auftrete, so thue ich es in mehr als einer Hinsicht nicht ohne eine gewisse Scheu. Niemand nämlich fühlt besser als ich selber, wie viel mir abgeht um den Ansprüchen, die bei einer solchen Gelegenheit an den Redner gemacht werden, zu genügen. Das Amt indessen, das mir meine Collegen übertragen haben, verlangt es, dass ich spreche, und so liegt hierin meine Rechtfertigung. Mehr Verantwortlichkeit habe ich auf mich genommen durch die Wahl des Themas. Sie ist mein eigen und sollte sie misslungen sein, so fällt der Tadel auf mich allein. In der That liegt dasselbe wohl Manchem etwas ferne und mag daher zu einem Anlass, wie der heutige weniger geeignet erscheinen. Die meisten Redner, seit einer Reihe von Jahren haben den Vortheil gehabt, entweder allgemeine Gegenstände zu besprechen, welche das Interesse unserer Zeit erregen, oder den Stoff in einem zwar engern aber auch nähern Kreise gewählt zu haben, welcher die vaterländische Theilnahme in Anspruch nimmt. Auf diese Vortheile habe ich verzichtet und mein Thema in jener fernen Vergangenheit gesucht, welche vielfach besprochen, Manchen allgemein bekannt, ja sogar erschöpft zu sein dünkt, demjenigen aber, der sie genauer zu erforschen bemüht ist, als eine ewig sprudelnde Quelle immer neuer Belehrung erscheint und geeignet

nicht nur den Gelehrten von Fach, sondern Jeden zu fesseln, der Sinn hat für den Entwicklungsgang des Menschengeschlechts. Ich meine die Geschichte des alten Griechenlands. Dorthin habe ich meinen Blick um so lieber gerichtet, als gar zu oft jene Geschichte einseitig, sei es im rosigen Lichte eines Ideals, sei es im Dunkel des Heidenthums betrachtet wird. Der wahre Forscher wird den einen, wie den andern Abweg zu vermeiden haben. Es werden ihm dabei manche Illusionen verloren gehen, aber die Wahrheit, der er nachstrebt, wird ihn hinlänglich entschädigen, und die handelnden Personen werden aus Schattenbildern lebendige Menschen der Wirklichkeit, sie werden gleichsam Fleisch und Bein erhalten. So wird dann erst die Geschichte eine magistra vitae und fruchtbar werden für das Leben. Und so hoffe ich auch Ihre Aufmerksamkeit fur einige Zeit in Anspruch nehmen zu dürfen, wenn ich Sie bitte mir in eine Zeit zu folgen, wo die schöne Blüthe, welche das hellenische Leben entfaltet hatte, zu welken begann, in eine Zeit, wo jenes geniale Volk alle Kräfte in furchtbarer Anstrengung aufwandte sich selbst zu vernichten, in die Zeit des peloponnesischen Krieges. Ich gedenke nämlich zu sprechen von zwei der hervorragendsten Charaktere jener ausserordentlichen Zeit, von Alkibiades und Lysandros, zwei Männern, welche mehr als irgend andere uns ein Bild darbieten einerseits des hinsinkenden und im Falle noch liebenswürdigen Athen, anderseits des aus der alten würdevollen Beschränkung und Besonnenheit in eine neue, ihm fremdartige und trotz momentanen Sieges verderbliche, fast dämonische Thätigkeit geworfenen Sparta.

Durch die Perserkriege hatte Griechenland eine völlige Umwandlung erlitten, Vor denselben war im Ganzen noch die aristokratische Verfassung vorherrschend, jedenfalls noch kein Mittelpunkt für die demokratische Entwicklung da. Das unlängst erst durch Spartas Hülfe von der Tyrannis befreite Athen, kaum den innern Parteiungen, die es zerrissen, entronnen, stand noch ziemlich schwach und isolirt. Die

demokratischen Neuerungen des Kleisthenes hatten zwar bereits das Selbstgefühl des Volks geweckt und befestigt, aber noch hatte es diesem an einem grossen Anlasse zur Entwicklung seiner Kraft gefehlt; noch war Athen nicht viel mehr als jeder andere griechische Staat; war doch die kleine Insel Aegina ihm damals zur See überlegen. Sparta war noch unbestritten die erste Macht in Hellas, übte ohne Widerspruch das Principat aus, und schien in seiner Stellung um so sicherer, als vor seinen Waffen, ja bisweilen bloss seinen Worten die meisten Tyrannen des alten Griechenlands gefallen waren. Dorische Besonnenheit und dorischer Ernst beherrschten noch das griechische Leben und fanden auch in künstlerischer Hinsicht ihren Ausdruck theils in der lyrischen Poesie (Pindar) theils in der dorisch genannten Baukunst. Der Blick der Staaten und Völker war noch mehr nach innen als aussen gerichtet; auf einen kleinen Kreis beschränkt, in diesem sicher und fest. Da wurde dieser Zuband plötzlich geändert durch den Versuch des persischen Königs auch Europa dem Morgenlande zu unterwerfen. — Einem solchen Angriffe gegenüber genügten die bisherigen Einrichtungen und Zustände von Griechenland nicht. Zwar überliessen die sämmtlichen dem Vaterlande treu gebliebenen Staaten Sparta den Oberbefehl, aber Sparta hätte trotz seines Leonidas Griechenland nicht gerettet; sein Blick ging nicht weit genug, seine ganze Beschaffenheit entsprach nicht so grossen Verhältnissen.

Athen, das bereits bei Marathon allein den Feind geschlagen, gebührt zum grossen Theil der Ruhm, Griechenland vor dem Schicksal eine persische Provinz zu werden bewahrt zu haben. Athen hat nicht allein den grössten Feldherrn und die meisten Schiffe zum Kampfe gestellt, es hat auch durch freiwilliges Aufgeben seines Landes und durch willige Unterordnung unter Spartas Oberbefehl eine Aufopferung und Selbstverläugnung bewiesen, wie sie in der Geschichte selten sind, und dadurch allein eine Spaltung unter den Griechen gehindert, die unbedingt ihren Untergang herbeigeführt hätte.

So trat es ganz anders aias dem Kampfe als es in denselben gezogen war, mit dem stolzen Bewusstsein sich und das Gesammtvaterland gerettet zu haben, und anfangs anerkannt und gefeiert von den andern Griechen. Jene pindarischen Worte:

ώ ταί λιπαςαί χαί ίοδτέφανοι χαί άοίδιμοι
Ελλάδος ερειδμα χλειναί Αάναι, δαιμόνιον πτολίεςον

"O du glänzendes, veilchenbekränztes, vielfach besungenes, du Stütze von Hellas, berühmtes Athen, du göttliche Stadt," sind recht eigentlich der Ausdruck dessen, wofür Athen sich hielt und gehalten ward, dessen, was es war. Mit dieser Bedeutung war aber die untergeordnete äussere Stellung im Widerspruch, es musste eine höhere erhalten und was eine historische Nothwendigkeit war, das beschleunigte einerseits die billige und freundliche Art der athenischen Feldherren Aristeides und Kimon, anderseits das hochfahrende, herrische, bald verrätherische Benehmen des Spartaners Pausanias. Athen stand an der Spitze der Bundesgenossen von den Inseln und Küsten, aller jener die von persischer Herrschaft abgefallen waren, Sparta überliess ihm die Fortsetzung des Krieges gegen Persien, zog sich scheinbar freiwillig, doch im Innern erbittert zurück; es fühlte dass die weitere Behauptung der Feldherrnschaft gegenüber Persien mit seinem ganzen Wesen nicht zusammen passte, konnte aber nur mit Neid das glückliche Athen an seinem Platze sehen.

Statt dass also früher die Staaten des Feuerlandes, mit bedeutendem Vorwiegen des dorischen Elements dem ruhigen aber entschiedenen Gebote des aristokratischen Sparta Folge geleistet hatten, die beweglichern Staaten Kleinasiens aber durch ihre Unterwerfung unter Lydien, dann Persien, politisch dem Mutterlande ziemlich entfremdet waren, ist nun plötzlich im Vordergrunde eine neue Macht, zum grossen Theil aus jenen kleinasiatischen Staaten, in denen der jonische Stamm vorherrscht, gebildet. Mit ihnen vereint sind die griechischen Bewohner der thrakisch-makedonischen Küste

und der Inseln, an ihrer Spitze steht das zu ausserordentlicher Thätigkeit geweckte, siegesstolze und in seinem Innern bereits ganz demokratisch gestaltete Athen. Wie ganz entsprechend dem ersten Sinn des dorisch-spartanischen Charakters, die Hauptstärke des alten Hellas unter Spartas Leitung in dem unerschütterlichen, wohlgeordneten, aber langsamen Schaaren seines schweren Fussvolks bestanden hatten und fort bestehen, so liegt die Kraft der neuen Macht in der beweglichen, zu fernern Unternehmungen geeigneten Flotte, zu deren zweckmässiger Anwendung, es nicht nur der ruhigen Besonnenheit und des todesverachtenden Muthes, welche der Hauptzug der Spartaner waren, sondern noch mehr grosser Geschicklichkeit, Uebung und Unternehmungsgeistes so wie bedeutender Geldmittel bedurfte. Hier also Seemacht und Demokratie, dort Landmacht und Aristokratie. Anfangs zwar standen die beiden Mächte, Sparta und Athen friedlich neben einander, Athen schien nur den Krieg gegen Persien fortzusetzen, dessen Leitung Sparta nicht wollte; den Spartanern blieben die Staaten des Festlandes, wenigstens des Peloponneses anhänglich, ja Athen selbst schien eine Zeitlang noch seine Suprematie anzuerkennen. Allein lange dauerte das nicht, denn Athen, durch die Verhältnisse dazu verlockt und gedrängt, wandelte allmälich seine freie Bundesgenossenschaft zu einer eigentlichen Herrschaft um. Je mehr im Innern das Volk alle Erinnerungen an alte Einrichtungen und Rechte vernichtet, und unbedingte Herrschaft der Masse verlangt, um unter dieser Form einem gewaltigen Geiste zu gehorchen, desto straffer wird der Zügel nach Aussen hin gezogen. Alle Kräfte der ehemals freien Bundesstaaten werden in der herrschenden Stadt concentrirt, und nur dadurch kann Athen eine Thatkraft und Macht entwickeln, wie wir sie in der Mitte des fünften Jahrhunderts anstaunen; nur so erklärt sich, wie es Kriege mit Persien und den Hauptstaaten Griechenlands führt, wie es Verluste von einigen hundert Schiffen sammt der Mannschaft fast unbemerkt verschmerzt, und zugleich die Wunderwerke

des Parthenon, der Propyläen und anderer Tempel aufführt, die gewaltigen Hafen- und Mauerbauten zu Stande bringt, und an zahlreichen jährlich wiederkehrenden Festen eine Herrlichkeit entfaltet, die in der Geschichte durchaus einzig ist. Es ist nicht eine einzelne Stadt, sondern der Mittelpunkt eines Reiches, dessen Kräfte hier zusammenfliessen. Aber zugleich mit der Macht dieser demokratischen Herrscherin wuchs auch die Unzufriedenheit der früher freien Bundesgenossen, die jetzt Unterthanen geworden waren, und wurde vielfach von Sparta und dessen Bundesgenossen genährt. Und als nun Athen nicht zufrieden mit der Herrschaft über die Seestaaten seine Gewalt mit Hülfe demokratischer Sympathien auch über die Staaten des Festlandes auszudehnen suchte, da brachen Kämpfe auf, welche nach mehrfacher Unterwerfung eigentlich erst durch den sogenannten dreissigjährigen Frieden geschlossen wurden. — Musste auch Athen darin manchen weitergehenden Plan aufgeben, so trug es doch den grossen Gewinn aus demselben davon, dass hier zum erstenmal seine Bundesgenossenschaft förmlich anerkannt wurde. Die beiden grossen Symmachien wurden gewissermassen gegenseitig garantirt, es sollte dieser Friede die Grundlage des hellenischen Staatsrechtes werden. Auf der einen Seite steht der peloponnesische Bund mit Sparta an der Spitze, gestützt auf den grössten Theil des Festlandes; die Verfassungen meist oligarchisch, die Bundesglieder gegenüber Sparta formell selbständig; anderseits Athen mit der Herrschaft über die Seestaaten, im Innern der Einzelstaaten meist Demokratie, die Bundesglieder gegenüber Athen meist unterthänig. Allein die Gegensätze waren bereits zu mächtig herangewachsen; die durch den Frieden gebotene Ruhe wurde beiderseits benutzt, sich zum Kriege zu rüsten, theils durch Herschaffung von Geld und Kriegsmaterial, theils durch Organisation der Symmachien, Erwerbung neuer Bundesgenossen, Umtriebe unter denen des Gegners. Suchte Sparta durch das Schlagwort politischer Freiheit gegenüber Athen die Zuneigung der

Hellenen zu gewinnen, so wusste dagegen Athen in den oligarchischen Staaten demokratische Parteien in sein Interesse zu ziehen. Im Ganzen aber neigte das Wohlwollen der Hellenen, als der Krieg ausbrach, doch weit mehr zu Sparta, da hier wie überall das Wort Freiheit seinen Zauber übte, und die Kurzsichtigen vermeinten, wenn nur erst Athens Joch gebrochen sei, werde ihnen das Glück nicht fehlen können.

Mit der Entwicklung Athens nach Aussen war seine innere politische wie intellektuelle Hand in Hand gegangen. Dem Genius des Perikles, des grössten Demagogen aller Zeiten, war es gelungen alle Hemmnisse zu entfernen, welche die athenische Verfassung einer schrankenlosen Entfaltung der Volkskräfte entgegensetzte, es war ihm das Grössere gelungen bloss durch die Ueberlegenheit seines Geistes und seines Charakters jene entbundenen Kräfte zu ordnen und zu leiten. Es war dem Namen nach eine Demokratie, der That nach eine Herrschaft des vortrefflichsten Mannes. Nichts fehlte als die Gewähr der Dauer, die um so schwerer war, weil auf solche Anstrengung aller Kräfte Erschöpfung fast durch ein Naturgesetz geboten war. Mehr noch als politisch wurde Athen geistig die Metropole von Griechenland. Während früher im Ganzen Poesie, bildende Künste und Philosophie in den verschiedenen Ländern hellenischer Zunge schöne und mannichfaltige Blüthen trieben, wird in dem Zeitraum zwischen persischem und peloponnesischem Krieg Athen der geistige Mittelpunkt. Hier ist der Sitz der tragischen und komischen Dichtung, die ausschliesslich attisches Produkt ist; hier bildet sich unter Pheidias ein Verein von bildenden Künstlern, der auch aus dem übrigen Hellas die besten Kräfte an sich zieht, und das Unerreichte leistet; hier finden die Philosophen und Sophisten einen Vereinigungspunkt und reichen Boden für ihre Bestrebungen, welche die Geister in lebendige Bewegung bringen, aber auch das Bestehende in Staat und Religion vielfach lockern und erschüttern; durch Sokrates und seine Schüler wird Athen auf Jahrhunderte der Sitz der Philosophie;

hier endlich bietet die freie Rednerbühne der entstehenden Kunst der Beredsamkeit ein fruchtbares Feld; und die von Ionien ausgegangene Geschichtschreibung erreicht hier ihre Vollendung. Es war Athen damals die Ελλάδος παδνδις, die Bildungsanstalt ganz Griechenlands. Fürwahr ein geistiges Leben wie es kaum zum zweitenmal in der Geschichte sich zeigt, ein Leben, das aber nur durch die Herrschaft über ein Reich möglich war und zugleich ein verderbliches Element mit sich führte in der immer entschiedener einreichenden Regirung alles dessen, was ehedem für gut und schön gegolten hatte, in dem Bestreben überall an die Stelle des objektiv gültigen Gesetzes, den subjektiven Gelüsten des Individuums Geltung zu verschaffen. Während so Athen dadurch, dass es allen Geistesbewegungen von Griechenland freien Eingang gestattet, und sich selbst an die Spitze dieser Bewegung stellt, die höchste Blüthe erreicht, aber auch den Keim zu der Auflösung legt, sucht Sparta durch strenges Abschliessen seinen Charakter zu bewahren. So lange die Entwicklung hellenischer Kunst dem dorisch-spartanischen Geiste entsprechend war, hatte es lebendigen Antheil daran genommen; Lykurgs Verdienst um Homer, die Dichter Tyrtaios und Alkman, der weise Chilon sind sprechende Beweise dafür. Die neue Entwicklung seit den Perserkriegen war ihm fremdartig, störte es in seinem Wesen, es vermochte nicht dieselbe sich anzueignen und zu beherrschen und verschloss sich deshalb derselben. Das Gleiche sehen wir im Staate, wo die nothwendigsten Veränderungen unbedingt von der Hand gewiesen wurden. Starres Festhalten am Alten zeichnet von jetzt an es aus; aber nur die Formen blieben die alten; der Geist und das Wesen veränderten sich, kamen in mannichfachen Widerspruch mit jenen und erzeugten so ein inneres Missverhältniss und Missbehagen, wobei zwar äusserlich der Verfall länger hinausgehalten ward als bei Athen, später aber nur um so furchtbarer einbrach. —

So kam denn nach kaum vierzehnjähriger nothdürftiger Dauer des Friedens der Kampf zu neuem Ausbruch. Es beginnt der Krieg, der unter dem Namen des peloponnesischen bekannt, nicht etwa als ein Krieg zweier Städte zu betrachten ist, sondern als ein Krieg zweier grossen Staatenbünde, an deren Spitze Athen und Sparta standen. Gegen Erwarten leistete Athen unter Perikles weiser Leitung glücklichen Widerstand, und als das weise Vertheidigungssystem nach seinem Tode aufgegeben wurde, war im Ganzen durch die Verdienste trefflicher Feldherren, unter denen besonders Phormion, Demosthenes 1) und Nikias zu nennen sind, der Gang der Ereignisse glücklich und daher die Stimmung unter Kleon's Leitung dem von Sparta gebotenen Frieden ungünstig, bis mehrere Unglücksfälle die Kriegslust herabstimmten und der sogenannte Frieden des Nikias zu Stande kam, der keine der Fragen entschied, um deren willen man das Schwert ergriffen hatte, und desshalb keine Gewähr für Dauer hatte. In diesem ersten Abschnitte des Krieges waren es zuerst vorzugsweise Perikles und Archidamos gewesen, welche die Geschicke von Griechenland geleitet hatten, Männer, die mehr noch einer frühern Zeit angehörten. Nach ihrem Tode treten in den Vordergrund der Polterer Kleon, neben dem aber Athen eine Reihe guter Feldherren besass, anderseits der treffliche Brasidas. Ihr Tod in der Schlacht bei Amphipolis machte den Frieden möglich. —

Diesem ersten zehnjährigen Abschnitte des Krieges, der auch der archidamische Krieg heisst, folgt nun eine sechsjährige Periode angeblichen Friedens, in dem die sonderbarsten Combinationen eintreten, im Ganzen aber die Parteien einander bald mehr bald weniger verborgen bekämpfen, bis Athen im kecken Uebermuth es unternimmt Sicilien zu erobern. Dieser Zug führt den offenen Wiederausbruch des Krieges herbei, der nach dem tragischen Ausgang jenes Unternehmens, trotz des heldenmüthigsten Widerstandes, endlich mit Athens Demüthigung endigt.

Dieser zweite Theil des Krieges trägt einen ganz andern Charakter als der erste. Wenn in jenem noch gewissermassen in Folge der alten Besonnenheit und der verständigen Politik des Perikles und Archidamos eine gewisse Mässigung, ein vorsichtiges Beschränken der Unternehmungen sich kund giebt, nirgends die ganze Existenz aufs Spiel gesetzt wird, darum der Krieg auch noch mehr zwischen den Staaten als den Völkern geführt wird, mehr um Behauptung oder Verlust der athenischen Hegemonie als um Unterwerfung des einen Staats unter den andern, so wird jetzt auf einmal die Art des Kampfes wie sein Ziel ein anderes. Athens junge Generation nicht zufrieden mit dem Vorhandenen, mühsam Behaupteten will eine Herrschaft des mittelländischen Meeres begründen, der natürlich auch der Peloponnes verfallen sollte es jetzt Alles aufs Spiel, der Wurf misslingt und nun kämpft es zwar heldenmüthig und oft erfolgreich, aber unstät und im Innern zerrissen, bald mehr um sein Dasein als um die Herrschaft. Sparta, diessmal weit mehr im Rechte als im archidamischen Kriege, greift durch die früheren Erfahrungen belehrt den Feind nun in ganz anderer Weise an; jemehr Athen an Haltung und Besonnenheit verliert, desto consequenter, aber auch rücksichtsloser und unbekümmert um alle Mittel verfolgt es sein Ziel. Durch persische Subsidien unterstützt stellt es Athen gewaltige Flotten entgegen, entreisst ihm die Bundesgenossen, woher es seine Kräfte zog, bloquirt die Stadt zu Lande, und, was das gefährlichste, umgarnt Athen durch verrätherische Verbindungen. Fast überall treten oligarchische Clubs als wesentliche Elemente im Kriege auf; der Krieg wird mehr und mehr ein Krieg zwischen Oligarchie und Demokratie, wühlt sich so tief in das Volk ein und erzeugt furchtbare Erbitterung. Zugleich ist er durch die Verbindung mit Persien an geographischer Ausdehnung und Massenhaftigkeit der Streitkräfte ungemein gewachsen; am Ende wird er ein Verzweiflungskampf von Seite Athens. 2) Fragen wir nun welche Ursachen besonders für eine solche

Gestaltung wirkten, so finden wir sie zum Theil natürlich in der ganzen Lage der Dinge, dem Charakter der Völker und in ihrer Entwicklung, zum grossen Theil aber auch in zwei hervorragenden Persönlichkeiten, welche uns den Charakter ihrer beiden Vaterstädte in ihrem Verfalle abspiegeln, und auf ihrem Schicksale den mächtigsten Einfluss übten. Es sind die bereits genannten Alkibiades und Lysandros, von denen der erstere bereits in früher Jugend den Blick auf sich gezogen hatte, der letztere auf einmal, wie ein deus ex machina, erst in den letzten Jahren des Krieges den Schauplatz betritt. —

Alkibiades entstammte den edelsten und reichsten Geschlechtern Athens. Sein Vater Kleinias führte den Stammbaum auf Eurysakes, den Sohn des Aias und somit auf Zeus zurück, die Mutter Deinomache, eine Tochter des Megakles, gehörte den Alkmeoniden an, dem ersten Geschlechte Athens, 3) den Glanz des Stammes hatte Kleinias durch eigene Verdienste vermehrt. Denn mit edler Aufopferung hatte er gegen die Perser ein eigenes Kriegsschiff ausgerüstet und durch Tapferkeit sich ausgezeichnet, und im vorgerückten Alter 4) fiel er bei Koroneia als einer jener Freiwilligen, die der kühne Tolmides nach Böotien geführt hatte. So wurde damals, es war im Jahr 440 v. Chr. Alkibiades etwa 5-6 Jahre alt eine Waise 5). Die Vormundschaft über ihn und den jüngern Bruder Kleinias übernahm der von mütterlicher Seite 6) verwandte Perikles 7) mit seinem Bruder Ariphron. Während die Eltern ihm früher in eifriger Sorge für des Kindes körperliches Wohl, eine lakonische Amme, Namens Amykla, gegeben hatten, scheint Perikles in der Wahl des Pädagogen nicht ganz glücklich gewesen zu fein 8), indem er einen alten thrakischen Sclaven, Zopyros dazu bestimmte, der allerdings dem Knaben nicht gewachsen sein mochte; denn früh zeigten sich in diesem die Eigenschaften, welche ihn sein ganzes Leben durch auszeichnen. Grosse Entschlossenheit, eine an Unverschämtheit grenzende Keckheit und ein unbändiges Streben überall der erste zu sein, traten schon in den Knabenspielen

hervor, wovon seine Biographen manche Beispiele erzählen 9). Sie machten ihn bereits unter seinen Jugendgenossen zum ersten, gewöhnten ihn keinen Widerspruch zu ertragen, und verursachten seinen Vormündern vielen Verdruss 10) . Dabei aber erfasste und betrieb er, an Geist und Körper gleichmässig begabt, alle Gegenstände der hellenischen Erziehung mit ausserordentlicher Leichtigkeit, zeigte aber auch hier seinen Eigenwillen in vollem Lichte. Es war nämlich damals der Unterricht im Flötenblasen in Athen gewöhnlich geworden. Alkibiades wies ihn als unedel zurück, weil der Spielende entstellt werde, seien doch Athene und Apollon die Schutzgötter Athens, wovon die eine die Flöte weggeworfen, der andere den Flötenspieler Marsyas gezüchtigt habe. Sein Beispiel wirkte so, dass die Flöte in Athen aus der Mode kam 11). Kein Wunder, dass sich so bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, indem die Einen seine glänzende äussere Stellung, Andere seine Schönheit, noch Andere seine Geistesgaben anzogen. Liebhaber und Schmeichler aller Art drängten sich bald um ihn, wurden aber trotzig und hochfahrend behandelt und mussten sich den Launen des Knaben unbedingt fügen. Unter denselben ist besonders Anytos zu nennen, der später als einer der Ankläger des Sokrates bekannt geworden ist. War schon vorher der Knabe schwer zu bändigen und zu beherrschen, so lässt sich leicht denken, dass solche Schmeicheleien nicht dazu dienten ihn zur Besonnenheit zu bringen. Er gewöhnte sich allen seinen Leidenschaften unbedingt zu fröhnen und so schien bald der gewaltigsten derselben, dem Ehrgeiz, kein Ziel zu hoch. Selbst das leuchtende Beispiel eines praktischen Staatsmannes, das er in seinem Vormunde vor sich hatte, wirkte nur insofern, als es ihn die Massen gering schätzen lernte, selbst des Perikles Stellung schien ihm ungenügend; denn dieser sann darüber nach, wie er Rechenschaft ablegen wollt, Alkibiades meinte er sollte darauf sinnen, wie er keine abzulegen gebrauche. Um so wunderbarer erscheint der Einfluss, den Sokrates gerade damals auf

ihn gewann. Derselbe hatte bereits längere Zeit sein Auge auf den vielversprechenden Jüngling gerichtet, aber sich ihm nicht genähert, so lange der zudringliche Schwarm anderer Bewunderer ihn unempfänglich für seinen Umgang zu machen schien. Als er aber etwa achtzehn Jahre alt war, trat er in ein näheres Verhältniss mit ihm 12), und gewann durch seine ausserordentlichen Eigenschaften eine fast unglaubliche Gewalt über den sonst unbändigen. Sokrates wollte den herrlichen Geist desselben aus dem wilden Taumel sinnlicher Genüsse und dem unklaren Treiben des Alltagslebens zum klaren Bewusstsein seiner Bestimmung und Pflichten emporheben und auf diesem Wege auch einen Bürger bilden, der den Staat dem gegenwärtigen Verderben entreissen und den Ideale näher führen sollte, welches Sokrates vor Augen hatte. Es schien das Ziel nicht unerreichbar, denn bald entwickelte sich das schönste Verhältniss zwischen beiden, ähnlich dem zwischen Vater und Sohn, und doch mit aller Freiheit der Freundschaft. Es ist gar nicht zu zweifeln, dass Alkibiades sich mit reiner Anhänglichkeit und Liebe dem ältern Freunde anschloss. Beweis dafür ist das gegenseitige Verhältniss der Männer in den Schlachten bei Potidaia und Delion, wo sie mannhaft, mit Hintansetzung des eigenen Lebens, einander schützten; der grösste Beweis ferner die Art, wie Platon, nicht nur im Gespräche Alkibiades, sondern besonders im Symposion, uns das Verhältnis schildert. Dass, wie Xenophon sagt, des Sokrates Gewandtheit in der Dialektik den Alkibiades anzog, das läugnen zu wollen wäre eine Thorheit; bestand doch gerade eine der wunderbarsten Eigenschaften des Sokrates in der Kunst, diejenigen, mit denen er sich unterredete, auf Resultate zu bringen, die sie selbst am wenigsten erwartet hatten. Aber zu behaupten, dass Alkibiades nur deswegen des Sokrates Umgang gesucht, dass er blos diesen äusseren Zweck der Redefertigkeit bei ihm verfolgt, ohne Liebe und Anhänglichkeit, ist eine Einseitigkeit des Xenophon, die sich nicht einmal aus seinem apologetischen Zwecke ganz erklären lässt,

sondern nur aus der Unfähigkeit dieses nüchternen Mannes einen Charakter, wie den des Alkibiades, zu begreifen 13) . So rein aber des Sokrates Bestreben, so schön des Alkibiades Anhänglichkeit in den ersten Jahren war, so war der Erfolg doch kein erfreulicher, wenigstens nicht nachhaltig. Einerseits war des Sokrates Umgang an und für sich nicht geeignet tüchtige praktische Staatsmänner zu bilden. Seine freilich wohlbegründete Unzufriedenheit mit der bestehenden Demokratie, und seine Art, Alles dem grübelnden Verstande und einer zersetzenden Kritik zu unterwerfen, hat unmittelbar weit mehr die Folge gehabt, die Jugend mit den Gebrechen des Staates bekannt zu machen, und sie diesen und seine Vorsteher gering schätzen zu lernen, als seine Lehre von der Tugend überhaupt und der Gerechtigkeit insbesondere zu einer positiven Wiedergeburt zu führen vermochte. Während seine negative, auflösende Lehre in der Gegenwart wirkte, trug der positive Theil, zunächst nur in der Schule fortwirkend, erst in der spätern Zeit seine schönen Früchte; und es bewährte sich auch hier, dass zerstören leichter ist als aufbauen. Kein einziger guter athenischer Staatsmann von Bedeutung ist aus seiner Umgebung hervorgegangen, wohl aber mancher verderbliche. Und so hat denn auch Alkibiades mehr das skeptische, Alles anzweifelnde, dialektische Element sich angeeignet 14). Die Art und Weise, wie er in der ersten Zeit seines Umgangs mit Sokrates 15), seinen Vormund Perikles durch spitzfindige Fragen über den Begriff des Gesetzes in Verlegenheit zu bringen suchte, zeigt, wie gelehrig er für diese Künste war und stellt ihn uns als Repräsentanten des jungen, zungenfertigen Athens hin im Gegensatz zu jener ältern Generation, die mehr im Handeln als im Schwatzen ihre Thätigkeit bewies. Wenn also einerseits schon des Sokrates Verfahren zu grossem praktischem Erfolg nicht geeignet war, so wirkte anderseits die ganze äussere Stellung des Jünglings demselben entgegen. Sein Reichthum, sein Ansehen, die von Hohen und Niedern, von Männern und Frauen ihm dargebrachten Huldigungen

und Schmeicheleien mussten des Sokrates Lehren vielfach neutralisiren, namentlich wo diese dem Alkibiades unbequem fielen. Sein für alles empfänglicher, aber veränderlicher Sinn vergab die guten Vorsätze so schnell, als er sie gefasst hatte. Wie aber seine Liebe zu Sokrates doch nie ganz erstarb, wie eine bessere Stimme ihn häufig daran erinnerte, dass er seines trefflichen Freundes Hoffnungen getäuscht habe, das zeigt uns die herrliche Schilderung im platonischen Gastmahl. Er, der sonst vor Niemanden in der Welt in Verlegenheit kam, schämte sich im Bewusstsein seiner Fehler vor Sokrates 16). Das engere Verhältniss der beiden Männer scheint gedauert zu haben, bis Alkibiades einen vorwiegenden Antheil an der Leitung der Staatsgeschäfte zu nehmen begann, was nicht vor Kleons Tod 422 geschah 17) . Bereits aber erwarb er sich in dieser Zeit grossen Ruhm durch seine Tapferkeit, die ihm gleich in der ersten Schlacht den Preis verschaffte, und nicht weniger zeichnete er sich bei den Vergnügungen und Beschäftigungen der Jugend aus, wo er es Allen zuvorthat und nicht minder durch Pferdeliebhaberei, als Ausschweifungen und Streiche aller Art überall von sich reden machte. So gab er einst am hellen Tage, auf offenem Markte dem reichsten Athener jener Zeit, Hipponikos einen Faustschlag, nicht weil er uber ihn erbost war, sondern zum Spasse in Folge einer Wette. In jugendlich offener Weise ging er aber dann ins Haus des Beleidigten, legte den Mantel ab und bot ihm den Rücken zu Schlägen. Hipponikos verzieh, und später wurde seine Tochter Hipparete des Alkibiades Gemahlin, von dessen Ausschweifungen sie aber viel zu leiden hatte 18) .

Kleons Tod eröffnete dem jungen Manne günstige politische Aussichten. Kein Staatsmann ersten Ranges wie Perikles lenkte das Gemeinwesen, kein frecher Demagoge von der Bedeutung des Kleon beherrschte mehr die Versammlung; der ängstliche Nikias ist die hervorragendste politische Persönlichkeit. Da tritt rasch Alkibiades in den Vordergrund, ausgerüstet mit allen Eigenschaften, die ihm überall, wie vielmehr

bei dem empfänglichen athenischen Volke, eine glänzende Laufbahn sichern mussten. Der schönste Mann in Athen, von hohem Wuchse und unverwüstlicher Körperkraft, ein ebenso tapferer Krieger als einsichtsvoller Feldherr, von unwiderstehlicher persönlicher Liebenswürdigkeit, wo er gewinnen wollte, an Beredsamkeit den meisten Zeitgenossen überlegen (selbst dass er gewisse Buchstaben nicht aussprechen konnte, erschien bei ihm nur als ein besonderer Vorzug) in diplomatischen Verhandlungen fein und gewandt, prachtliebend und freigebig bis zur äussersten Verschwendung, hochfahrend und trotzig gegen Gleiche und Höherstehende, gegen Niedere, wo sie ihm nicht in den Weg traten, wohlwollend und freundlich 19), so musste Alkibiades bald der Liebling des athenischen Volkes werden, und die höchste Stellung konnte ihm, so schien es, so wenig entgehen als einst dem Perikles. Aber eines fehlte ihm, die Besonnenheit, δ, jene ächthellenische Tugend, welche in Perikles in ihrem vollen Glanze uns entgegenstrahlt, se fehlt dem Alkibiades wie seiner Zeit. Er hatte nicht gelernt sich selbst zu beherrschen. Ein unwiderstehlicher, man möchte sagen dämonischer Drang zum Herrschen, genährt durch die Schmeicheleien des Volks und mancher Vornehmen, durch keine wohlthätigen Schranken gehemmt, nur gereizt durch die Intriguen von Gegnern, denen er sich weit überlegen fühlte, reisst ihn unaufhaltsam fort, und artet zu einer unerhörten Willkühr und Eigenmächtigkeit aus. Alkibiades wurde ein für einen Freistaat unerträglicher Bürger. Einen Gleichen duldete er nicht neben sich. Er wollte der erste sein, wollte herrschen in Athen, in Griechenland, in der damals bekannten Welt; darum sollte auch Athen zu hoher Macht erhoben werden. Und diese hohe Stellung erstrebte er nicht in ruhiger, consequenter Anwendung seiner Mittel, er wollte sie gleichsam im Sturm erobern, und daneben seinen Launen und Leidenschaften keinen Zwang anthun. Unter welcher Form das Ziel erreicht werde, galt ihm gleich. Darum gehört er im Grunde weder der demokratischen, noch der sich allmählig erhebenden oligarchischen

Partei an; nach Bedürfniss sucht er die eine wie die andere zu benutzen, steht aber, da im Ganzen die Demokratie weit mehr Vortheile darbot, meist auf ihrer Seite 20). Gerade dadurch aber, dass er keiner Partei aufrichtig angehört, bereitet er sich hauptsächlich seinen Sturz 21), um so mehr, als er durch sein rücksichtsloses Verfahren sich zahlreiche persönliche Feinde machte. Keine Partei traute ihm, es fehlte ihm an einer festen Basis, die Beleidigten warfen einen unversöhnlichen Hass auf ihn, Oligarchen wie Demokraten arbeiteten vereint ihm entgegen und zweimal sehen wir ihn stürzen, wo er gerade dem Ziel seiner Wünsche am nächsten zu stehen scheint. Man traue ihm selbst da nicht, wo er es redlich meint; denn als er durch Erfahrung belehrt, durch Unglück geläutert, jenen Ehrgeiz bändigte, als Besonnenheit an die Stelle der Leidenschaften trat, da war es bereits zu spät um bleibendes Zutrauen zu gewinnen.

Die politische Laufbahn des Alkibiades zerfällt in drei Stadien, welche wir hier natürlich nicht im Einzelnen durchgehen, sondern nur in ihren Hauptzügen schildern können. Das erste geht bis zu seiner Flucht; das zweite umfasst seine Thätigkeit gegen Athen 415-411, das dritte die Zeit von seiner Rückkehr zum Heer bis zu seiner Entfernung vom Oberbefehle 411-407.

In dem ersten, welches grösstentheils in die Zeit des sogenannten Friedens des Nikias fällt, entwickelt Alkibiades vorzugsweise sein diplomatisches Talent und übt einen grossen aber nicht erspriesslichen Einfluss auf Griechenlands Geschicke. Durch den Vorzug, welchen die Lakedämonier dem älteren Nikias vor ihm gegeben, beleidigt, hat er zuerst den Abschluss des Friedens zu hintertreiben, dann aber, als er doch zu Stande kam, mit desto mehr Erfolg ihn zu untergraben gesucht. Auf eine zahlreiche Genossenschaft gestützt und von dem Unbehagen, das der Friedenszustand nach langem Kriege mit sich brachte, begünstigt, gelang es ihm leicht ein gespanntes Verhältniss herbeizuführen und durch einen argen

Betrug das athenische Volk gegen Sparta zu erbittern 22). Mit grosser Schlauheit hat er dann durch Begründung eines Bundes, an dessen Spitze Argos stand, Spartas Macht dem Sturze nahe gebracht. Der Tag von Mantinea, wo das Schicksal des Peloponneses auf dem Spiele stand, vereitelte für diesmal seine Pläne und stellte das Uebergewicht Spartas her. Durch dies Misslingen aber mehr gereizt als entmuthigt brachte er durch kluge Unterhandlungen die Spartaner bald um die Früchte ihres Sieges und riss Athen, das in frevelhaftem Leichtsinn ihm folgte, trotz des beschworenen Friedens zu fast offenem Kriege hin. Denn in der Vaterstadt hatte er sich indessen zum höchsten Gipfel der Volksgunst emporgeschwungen. Zwar versuchte die noch immer starke Friedenspartei, den Nikias an der Spitze, durch den Ostrakismos ihn zu entfernen, und es handelte sich darum, ob er oder Nikias das Vaterland für einige Zeit meiden sollte 23) . Da suchte zum Unglück Athens der nichtswürdige Hyperbolos von diesem Kampfe Gewinn zu ziehen und beide zu entfernen. Darüber entrüstet vereinigten sich die Parteien des Alkibiades und Nikias und verbannten Jenen. Es war eine unverdiente Ehre; denn nicht für Männer solchen Gelichters war die Scherbe erfunden, wie der Komiker sagt 24). Zum Unglücke Athens habe ich gesagt; denn hätte der Ostrakismos den Alkibiades getroffen, so hätte die Friedenspartei festen Fuss fassen können; wäre Nikias unterlegen, so wäre zwar ohne Zweifel Athen bald in den Strudel des Kriegs gerissen worden, hätte aber zugleich mehr Einheit und Consequenz in der Führung erhalten, als später geschah. Aber auch zum Unglücke des Alkibiades, den eine ehrenvolle Verbannung vielleicht zu Besonnenheit geführt hätte, dem ein entschiedener Sieg über die Gegner wohl eine festere Grundlage seiner Macht verschafft hätte. Jetzt schien freilich zunächst auch dem Alkibiades vorzugsweise der durch die Coalition gewonnene Sieg zu Gute zu kommen. Nikias, der nicht populär war tritt offenbar etwas zurück, und die zahlreichen

weniger ehrenhaften Gegner arbeiteten nur im Stillen. Alkibiades, der allen Launen und Leidenschaften des Pöbels Befriedigung versprach, der im Peloponnes als Schirmherr der Demokratie auftrat, der die willkührlichste Behandlung der Unterthanen förderte 25), wurde der Abgott des Volks. Sein mit festlichem Glanze verbundenes Auftreten in Olympia, seine unerhörten Siege daselbst, brachten ihn in eine höhere Stellung, als sie dem Bürger eines Freistaates gebührte; die Bundesgenossen buhlten um seine Gunst wie um die eines souveränen Fürsten, und er gebrauchte seine Gewalt nicht mit schonender Vorsicht, sondern übte alle Willkühr eines Tyrannen, dessen Name allein ihm noch zu fehlen schien.

Da eröffneten ihm die Verhältnisse Siciliens die Ansicht auf weitere Herrschaft. Es ist bekannt wie die Streitigkeiten der sicilischen Städte Selinus und Egesta, den Athenern, welche längst ein lüsternes Auge auf die reiche und mächtige Insel geworfen hatten, im Jahre 415 eine Veranlassung wurden zu einer grossen Unternehmung. Umsonst hatte Nikias alle Schwierigkeiten und Gefahren eines solchen Kriegs hervorgehoben; die kriegslustige Jugend, das gesammte herrschbegierige Volk verschmähten seinen besonnenen Rath und liessen sich durch die lockenden Darstellungen des Alkibiades hinreissen, der Ruhm, Macht und Reichthümer durch diesen Krieg zu gewinnen hoffte. Mit Nikias und Lamachos wurde Alkibiades zum unumschränkten Feldherrn ernannt, und Streitkräfte zu ihren Verfügungen gestellt, wie sie Athen seit langem nicht aufgeboten hatte. Die höchsten Wünsche des Ehrgeizes schienen sich verwirklichen zu sollen. Denn da Alkibiades die Seele des ganzen Eroberungszugs und vor Allem befähigt war ihn zu glücklichem Ende zu führen, so musste auch ihm der Hauptgewinn aus demselben zufallen. Und Sicilien sollte nur der Anfang sein; Unteritalien, Karthago, ganz Griechenland sah er bereits im Geiste erobert, sich selbst als den Lenker eines mächtigen Reiches am Mittelmeer. Schon lag die Flotte zur Abfahrt bereit, welche ihn dem Ziele seiner Wünsche entgegentragen

sollte, eine Flotte so herrlich ausgerüstet, dass es schien, als ob sie eine Schaustellung der athenischen Macht sein sollte. Da wurde plötzlich gegen ihn, der bisher aller Gesetze spotten zu können schien, die furchtbare Anzeige gemacht, dass er die Mysterien durch freventliche Nachäffung entweiht, und Pläne zum Sturze der Demokratie betreibe 26). Schon zuvor waren die Gemüther durch Verstümmlung der Hermenbilder in ängstliche Aufregung gebracht, die Einen von religiösen Bedenken beunruhigt, Andere für die Demokratie in Besorgniss. So viel Dunkel über diesem ganzen, unter dem Namen des Hermokopidenprozesses bekannten, unseligen Vorgange liegt, das scheint sicher, dass oligarchische und demokratische Feinde des Alkibiades ihn mit grossem Geschicke benutzten, den verhassten Gegner zu stürzen, dem sie sonst nicht beizukommen wussten, und bei dieser Gelegenheit zeigte sich, wie unklug er gehandelt hatte in seinem Uebermuthe Andere zu wenig zu schonen. Zwar trat er, besonders auf die Gegenwart der ihm anhänglichen bündischen Truppen und auf seinen persönlichen Einfluss vertrauend, kühn der Beschuldigung entgegen und verlangte Untersuchung. Aber die schlauen Feinde wussten unter dem Schein des Wohlwollens durchzusetzen, dass er einstweilen mit dem Heere nach Sicilien unter Segel gehen sollte; erst nach vollendetem Feldzug sollte dann der Prozess beginnen. Damit war er verloren. Denn kaum war er mit der Flotte entfernt, als alle Mittel gegen ihn in Bewegung gesetzt wurden. Als eben von den drei Feldherrn ein Plan für den Krieg angenommen worden war, den er allein durchzuführen im Stande war 27), wurde er gegen das gegebene Versprechen vor Gericht gefordert. Dem Befehle zu trotzen wagte er noch nicht, sondern folgte der salaminischen Triere, die ihn nach Athen bringen sollte, auf seinem eigenen Schiffe. Aber in Thurii entwich er. Die Athener verurtheilten ihn zum Tode, confiscirten sein Vermögen, und Priester sprachen den Fluch über ihn

So war er plötzlich vom höchsten Gipfel der Macht, in das tiefste Unglück gestürzt, seine glänzendsten Hoffnungen aufs schnödeste vereitelt. Wie weit seine Schuld oder Unschuld gegangen, das zu entscheiden wagt Thukydides nicht, auch uns wird es nicht gelingen. Höchst wahrscheinlich war er bei dem Mysterienfrevel betheiligt, aber dass damit Pläne zum Umsturze der Demokratie verbunden gewesen, womit man besonders das Volk aufregte, war sicherlich unbegründet. Können wir ihn also hier von einem Vergehen auch nicht ganz freisprechen, so lastet doch unendlich grössere Schuld auf den Gegnern, welche, nur um ihre eigene Macht besorgt und unbekümmert um das Wohl des Staates, den religiösen Sinn des Volks und die ängstliche Scheu desselben vor Oligarchie und Tyrannis missbrauchten, welche im wichtigsten Momente den besten Feldherrn entfernten und so unzweifelhaft den Untergang der athenischen Macht herbeiführten. Sie haben ihren Feind, aber auch sich selber ins Verderben gestürzt.

Alkibiades aber, wie er vorher auf der schwindelnden Höhe des Glücks keine Mässigung gekannt, verlor jetzt vollends alle Besonnenheit, allen sittlichen Halt. Im wohlbegründeten Gefühl erlittenen Unrechts, und tieferbittert von Männern gestürzt zu sein, die er weit unter sich sah und verachtete, kannte er für den Augenblick nur das eine Gefühl der Rache. Rächen wollte er sich an denen, die ihn gestürzt, rächen an dem Volke das ihn einst vergöttert und dann plötzlich verdammt. Ob er seine eigene Vaterstadt, die Wiege seines Ruhms und seiner Macht, den herrlichen Schauplatz aller seiner bisherigen Thätigkeit vernichtete, galt ihm für den Augenblick gleich 28). Jenes eine Gefühl überwog alle Rücksichten. So warf er sich dem Staate in die Arme, dessen Demüthigung seit Jahren sein Ziel gewesen war, Sparta musste ihm dienen, um seine Rache an Athen zu sättigen und es gelang ihm nur zu gut. Auf seinen Rath schickten die Spartaner den Gylippos nach Sicilien, auf seinen Rath befestigten sie Dekeleia in Attika. Jenes führte den Untergang

des ganzen attischen Heeres und der Flotte mit der Blüthe der athenischen Jugend herbei, dies brachte Athen in einen Blokadezustand, bei dem es nicht über die Mauern der Stadt hinaus sicher war. Alkibiades riss die mächtigsten Bundesstaaten von Athen los und nahm ihm damit seine reichsten Hülfsquellen, seinen Bemühungen endlich gelang es einen Subsidienvertrag zwischen Tissaphernes, dem persischen Satrapen und Sparta zu Stande zu bringen, wodurch es letzterem möglich wurde Flotten zu halten. — So hat er in dem Zeitraum von nicht drei Jahren seine Vaterstadt von hoher Macht an den Rand des Verderbens gebracht, sie die eben noch als Königin der Meere unbestritten dastand und kaum wusste, wo sie ihren Eroberungsplänen Ziel setzen solle, sie stritt jetzt der besten Bürger beraubt, fast ohne Bundesgenossen, fast ohne Land und Schiffe 29), um ihre Existenz. Das verdankte sie einem verblendeten Sohne, den sie selbst in arger Verblendung von sich gestossen hatte.

Aber Athen verzweifelte nicht. Mit einem bewunderungswürdigen Heldenmuthe der mit frühern Freveln versöhnt, widerstand es des Feindes überlegener Macht: noch einmal erhob es sich zu glänzenden Hoffnungen und der gleiche Alkibiades führte es von Sieg zu Sieg. Denn er, dem die Spartiaten alles verdankten, hatte sich den König Agis zum persönlichen Feinde gemacht 30); sein Einfluss bei den Bundesgenossen und dem Persersatrapen erregte den Neid und Argwohn, man glaubte aus ihm den möglichen Nutzen gezogen zu haben und ihn nun auf die Seite werfen zu können. Es war ihm auch hier begegnet was früher in Athen. Niemand traute ihm recht, weil man wusste, dass er nur persönliche Absichten habe. Und in der That scheint es, dass der freventlich unternommene Schritt ihn zu gereuen begann. Er musste, sobald das erste Gefühl der Rache vorüber war, fühlen, das in Sparta er immer blos ein geduldeter, argwöhnisch beobachtete Flüchtling bleiben, das er vor spartanischem Stolze sich demüthigen müsse, und nie eine wahrhaft ehrenvolle Stellung einnehmen könne, dass

Athen allein ihm Ruhm und Macht zu gewähren vermöge und er also mit diesem auch die Bedingung eigener zukünftiger Grösse zerstöre. Und fügen wir hinzu, wohl hat sich auch die Liebe zur Vaterstadt wieder in ihm geregt. — Der Argwohn der Spartaner stieg bis zu dem Grade, dass Befehl kam ihn aus dem Wege zu räumen. Den Nachstellungen zu entgehen, begab er sich zu dem Satrapen Tissaphernes. Wie er vermöge seiner ausserordentlichen Vielseitigkeit in Sparta durch Strenge der Lebensweise und Tüchtigkeit in gymnastischen Uebungen es allen zuvor gethan hatte, so wusste er hier durch Annahme persischer Art und den unwiderstehlichen Reiz seines persönlichen Umganges, des tückischen Satrapen Gunst bald in hohem Grade zu gewinnen und seine Politik eine Zeitlang fast unbedingt zu leiten. Er gab ihm den allerdings dem persischen Interesse ganz angemessenen Rath, Sparta nicht unbedingt zu unterstützen, sondern die beiden Hauptmächte Griechenlands im Gleichgewicht zu halten, um so immer eine gegen die andere benutzen zu können und keine fürchten zu müssen. Durch diesen Rath wurde er aber im gegenwärtigen Augenblicke auch der Retter Athens. Tissaphernes liess eine erwartete phönicische Flotte nicht zu den Peloponnesiern stossen und zahlte den Sold nicht aus. Die Bildung einer peloponnesischen Seemacht wurde gehemmt, die Athener erhielten Zeit in Samos bedeutende Streitkräfte zu concentriren und ihr gesunkenes Ansehen wieder zu heben. Zugleich trat Alkibiades mit ihnen in Verbindung.

Seit dem sicilischen Missgeschicke war nämlich in Athen ein bedeutendes Hinneigen zu einer Modifizirung der Demokratie sichtbar 31), besonders wünschte im Heere in Samos ein grosser Theil der Führer eine Oligarchie. Alkibiades, der sein früheres Unglück zum grossen Theil der Demokratie zuschrieb und durch eine Verfassungsveränderung namentlich einen seiner Hauptgegner, den Demagogen Androkles, zu entfernen hoffte, sprach nun seine Bereitwilligkeit aus, wieder zurückzukehren und versprach den Tissaphernes auf die Seite von Athen zu bringen,

wenn eine Oligarchie eingeführt werde. Die oligarchisch gesinnten Männer gingen gerne darauf ein, die sehr triftigen Einwendungen des Feldherrn Phrynichos wurden nicht beachtet, die Masse liess sich durch Hoffnung auf eine glückliche Wendung des Kriegs bethören, und alle Einleitungen zu einer Umwälzung wurden getroffen. Als aber die Versprechungen der persischen Hülfe durch des Tissaphernes veränderte Stimmung sich bald als nichtig zeigten, und ein Zerwürfnis zwischen Alkibiades und den Oligarchen eintrat, da gaben diese, die bereits zu weit gegangen waren, um sicher zurücktreten zu können, ihre Pläne doch nicht auf, sondern machten eine Revolution, ohne dadurch für Athen irgend einen äusseren Vortheil zu gewinnen. Aber das Heer in Samos erklärte sich für die Demokratie, constituirte sich selbst als souveränes Volk, rief den Alkibiades zurück und ernannte ihn zum Feldherrn. Die Rolle, die hier Alkibiades gespielt, erscheint auf den ersten Anblick sehr zweideutig, erklärt sich aber leicht 32). Ihm war es vor Allem um die Rückkehr zu thun, dann aber darum Athen wieder so mächtig zu machen, als möglich. Beides mochte ihm, der eigentlich weder Demokrat noch Oligarch war, unter den damaligen Verhältnissen zuerst bei einer Beschränkung der Demokratie leichter erreichbar scheinen. Als nun aber gerade in der Oligarchie seine Feinde zu grossem Ansehen kamen und statt dass grössere Ruhe eintrat, Zwietracht und Bürgerkrieg den Staat zu zerreissen drohten, da folgte er gern dem Rufe des demokratischen Heeres in Samos. Diesen Wechsel dürfen wir ihm um so eher verzeihen, als er seine neue Stellung sofort aufs löblichste benutzte. Er hielt das Heer ab, wie es im ersten Ingrimme beabsichtigte, gegen Athen zu ziehen, und rettete dadurch den Staat von unvermeidlichem Untergang; er forderte auch von den Oligarchen keineswegs vollständige Herstellung der unumschränkten Demokratie, sondern nur Abschaffung des verhassten neuen Rathes, und mahnte dringend beide Theile dem äusseren Feinde sich unverzagt entgegenzustellen, sei man einmal gegen den gesichert, so werde sich

wohl die Eintracht im Innern wieder geben. Mit einem Worte, er bewies jetzt solche Besonnenheit und so kluge Fürsorge für das Wohl des Staates, dass man darüber fast vergisst, wie er zumeist das Unglück herbeigeführt hatte, aus dem er ihn jetzt zu retten bestrebt ist. Ueberhaupt beginnt jetzt der schönste Theil seiner Laufbahn, so schön, dass wenn er nichts anderes gethan hätte, wir ihn zu den trefflichsten Bürgern rechnen müssten. Die Schule des Unglücks hatte ihn geläutert.

In Athen hatte, wie er es wünschte, die Oligarchie nach kaum viermonatlicher Dauer einer gemässigten Demokratie Platz gemacht. Eine der ersten Handlungen dieser war die Zurückberufung des Alkibiades, der nun, an der Spitze der athenischen Streitkräfte, Talente entwickelt, die ihm einen Platz unter den Feldherrn des ersten Ranges anweisen. Die Liebe und das Zutrauen seiner Leute gewinnt er im vollsten Masse, ebensowohl durch eifrige Sorgfalt für ihr Wohl und durch reichliche Beute, als durch seine Siege; sie halten sich bald unter seiner Führung für unüberwindlich 33) . Mit grosser Umsicht und Klugheit verbindet er eine Kühnheit und Schnelligkeit in seinen Unternehmungen, wie sie sonst im peloponnesischen Kriege nicht vorkommt, nöthigenfalls auch eine an Tollkühnheit grenzende persönliche Tapferkeit 34). Seine Kriegsführung ist, dem athenischen Volkscharakter ganz angemessen, durchweg offensiv, in einer Stellung nach der andern greift er den Feind an und lässt ihm keine Zeit, die geschlagenen, zerstreuten Streitkräfte zu sammeln. Kluge Unterhandlungen kommen seiner strategischen Thätigkeit zu Hülfe. Keinen seiner Erfolge hat er dem Zufalle verdankt.

Als nämlich Tissaphernes den Peloponnesiern gegenüber immer zaudernder und unzuverlässiger wurde, wandte sich (im Sommer 411) der spartanische Admiral (Nauarchos) Mindaros nach dem Hellespont, um mit Hülfe des zuverlässigern Satrapen Pharnabazos die dortigen mächtigen und reichen Bundesstädte Athens diesem gänzlich zu entreissen, und

seine Verbindung mit dein Pontos zu unterbrechen. Die Athener folgten ihm, und gewannen zuerst durch das glückliche Gefecht bei Kynosfema ihr altes Vertrauen auf die Ueberlegenheit zur See wieder. Entschieden aber wurde ihr Uebergewicht, nachdem bald darauf Alkibiades selbst, der bei jener Schlacht nicht zugegen gewesen war, in den Hellespont einlief. Seiner Ankunft verdankte man zuerst den Sieg bei Abydos. Bald aber führte er Grösseres aus. Von trefflichen Unterbefehlshabern 35) , namentlich Thrasyllos, Thrasybulos und Theramenes, unterstützt, griff er nach einem wohlangelegten Plane die vereinigten Streitkräfte der Peloponnesier und des Pharnabazos bei Kyzikos an, eroberte oder vernichtete die ganze feindliche Flotte, schlug das Landheer und nahm die mächtige Stadt Kyzikos. Es war das der schönste Sieg, den die Athener im ganzen Kriege davon getragen hatten. Die Spartaner, welche sich die Früchte ihrer bisherigen Anstrengungen entrissen sahen und sich überzeugten, dass Athen noch nicht erschöpft sei, boten ehrenvollen Frieden, dessen Annahme zu Athens Unheil der Demagoge Kleophon hintertrieb 36). Der Krieg wurde fortgesetzt. Alkibiades gewann eine abgefallene Stadt nach der andern wieder und wusste, theils durch Errichtung einer Zollstätte bei Chrysopolis, theils durch Contributionen und Streifzüge im Lande des Pharnabazos, sich die Mittel zur Erhaltung seiner Streitkräfte zu verschaffen. Dann schlug er den Pharnabazos und die Peloponnesier bei Abydos, machte durch Vertrag Chalkedon wieder tributpflichtig, eroberte Selybria und das feste Byzanz. Milde gegen die Bezwungenen und gewissenhafte Beobachtung der Verträge gewannen die Herzen der Bundesgenossen. Am Ende des Jahres 409 37) war der ganze Hellespont, die Propontis und der Bosporos mit Ausnahme der Stadt Abydos in den Händen der Athener, ihre Herrschaft in jenen Gegenden hergestellt und die Seestrasse in den Pontos ihrem Handel geöffnet.

In Alkibiades aber regte sich die Sehnsucht nach der Vaterstadt, die er seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Nachdem

er alle Vorkehrungen getroffen hatte die Eroberungen zu behaupten, und andere abgefallene Bundesgenossen um Gehorsam zurückzuführen, wandte er sich im Frühling 408 endlich der Heimath zu, wo seine Siege ihm einen günstigen Empfang sichern mussten. Sein Einlaufen in den Peiraieus im Monat Juni (25 Thargelion) war ein wahrer Triumph 38) , seine Trieren prangten mit Trophäen aller Art, waren belastet mit grossen Geldsummen, mit mannigfaltiger Beute und vielen Gefangenen. Ihr schönster Schmuck aber waren die Insignien von nah an zweihundert eroberten oder zerstörten feindlichen Schiffen. Zahllose Volksmassen bedeckten das Ufer, wie einst, da er als Feldherr die Stadt verliess um Sicilien zu erobern. Jedermann wollte den Retter sehen. Noch aber war das Vertrauen auf seine Mitbürger bei Alkibiades nicht ganz zurückgekehrt. Vom Verdecke aus spähte er so lange nach dem Ufer, bis er seinen Vetter Euryptolemos und seine übrigen Bekannten erblickte. Jetzt erst betrat er das Land und zog unter dem Jubel der Menge, von Kränzen bedeckt, zur Stadt hinauf. In einer Volksversammlung rechtfertigte er sich gegen alle früheren Beschuldigungen, beklagte sein Missgeschick und schob in versöhnlicher Weise die Schuld mehr auf einen neidischen Dämon, als auf das Volk. Dann zeigte er, dass bei besonnenem Betragen Hoffnung zu siegreicher Beendigung des Kriegs da sei, und mahnte zu Zuversicht und Ausdauer. Ungeheuer war die Wirkung der Worte des siegreichen Feldherrn, um so grösser, als das Volk fühlte ihm Unrecht gethan zu haben und nur durch ihn allein gerettet zu sein. Was er gefehlt, war in diesem Augenblick vergessen. Mit goldenen Kränzen wurde er geschmückt und zum unumschränkten Feldherrn zu Wasser und Land ernannt. Es wurde beschlossen ihm sein confiscirtes Vermögen wieder zurückzugeben und die Priester aufgefordert die über ihn ausgesprochenen Flüche zurückzunehmen. Kurz Alkibiades stand auf dem Gipfel der Macht, die Gunst, die er beim Volke genoss, schien fester als je, sein Wille war dem eines unumschränkten Herrschers

gleich und Manche meinten er werde die Tyrannis ergreifen. Er aber that keinen ungesetzlichen Schritt. Mit Eifer rüstete er eine zahlreiche Kriegsmacht aus und blieb mit Absicht bis in den September in Athen, um seinen Landsleuten ein lang entbehrtes Fest zu bereiten. Seit der Befestigung von Dekeleia war die Feier der eleusinischen Mysterien nur mangelhaft möglich gewesen. Die Anwesenheit eines peloponnesischen Herres hatte die grosse Procession, die sonst auf der heiligen Strasse zu Lande von Athen nach Eleusis zog, unmöglich gemacht, und man pflegte zu Schiffe sich dorthin zu begeben. Jetzt stellte Alkibiades die nöthigen Posten aus, und begleitete mit glänzend ausgerüsteten Heere die Procession nach Eleusis und zurück. König Agis wagte nicht sie zu beunruhigen. Die kriegerische Begleitung in feierlicher Stille erhöhte den Glanz; die Göttinen, an welchen einst Alkibiades sich versündigt haben sollte, schienen versöhnt, das athenische Heer unter seiner Führung auch zu Lande, gegenüber einem spartanischen Könige, unangreifbar . Die Rückkehr von Elenas mag wohl der schönste Moment im Leben des Alkibiades gewesen sein.

Unter solchen Eindrücken verliess er im Herbst 39), vielleicht später als gut, mit einer Flotte von 100 Schiffen die Stadt. Er sollte sie nie mehr sehen. Sein Glück, unb mit ihm das von Athen, sank in raschem Wechsel dahin. Auf ängstliche Gemüther hatte es bereits einen üblen Eindruck gemacht, dass sein Einlaufen in den Peiraieus an dem Tage des Plynterienfestes statt gefunden hatte, einem Tage wo das Bild der Stadtgöttin Athene verhüllt war, und niemand ein wichtiges Geschäft vorzunehmen pflegte; es hatte sie beunruhigt, dass der Hierophant Theodoros sich weigerte den ausgesprochenen Fluch zurückzunehmen. Gefährlicher als dies waren ihm bald die erneuten Umtriebe seiner politischen Gegner, meist Oligarchen, welche durch seinen Ruhm und seine Macht sich verdunkelt und zur Bedeutungslosigkeit verurtheilt sahen. Sein gefährlichste Feind wurde aber sein grosser Ruhm 40). Ihm, meinte das leichtbewegliche athenische Volk, sei Alles

möglich, und wo der Erfolg nicht den ungemessensten Hoffnungen entsprach, suchte man die Schuld bei ihm. Als er daher zuerst die Bewohner von Andros, welche abgefallen waren, ausserhalb der Mauern schlug, aber die Stadt nicht gleich eroberte, stimmte die Nachricht davon in Athen sein Ansehen bereits herab und wurde von den Gegnern geschäftig zu seinem Nachtheil ausgebeutet. Noch weniger entsprach der Erfolg in Asien den Erwartungen. Nachdem nämlich der Hellespont und die Propontis den Gegnern entrissen waren, wurde Ionien wieder der Hauptschauplatz des Kriegs. Samos war hier der Operationspunkt der Athener. In Ephesos war das Hauptquartier der peloponnesisch-persischem Macht, die sich von den früheren Verlusten durch zwei neu auf den Schauplatz tretende Männer, Kyros und Lysandros, zu erholen begann. Gegenüber den neunzig wohlgerundeten und wohlbesoldeten Schiffen dieses letztern musste Vorsicht beobachtet werden, und es kann nicht befremden, dass der Winter ohne grössere Thaten unter Zurüstungen für den Frühling verlief. Als nun aber, (wie es scheint im Sommer 407)41) in Alkibiades Abwesenheit und gegen seinen bestimmten Befehl sein Steuermann Antiochos sich in ein Gefecht mit Lysandros einliess und eine Schlappe erlitt, war der Sturz des erstern entschieden. Der Verlust an und für sich war ganz unbedeutend, die Athener blieben zur See fortwährend überlegen; denn umsonst bot Alkibiades dem Lysandros vor Ephesos eine Schlacht an; dieser hütete sich wohl sich durch falsches Ehrgefühl hinreissen zu lassen, er hielt sich still im sichern Hafen. Die Athener aber gaben den Aufhetzungen der Feinde des Alkibiades nur zu leicht Gehör, sie setzten ihn ab und wählten an seine Stelle neue Feldherrn;

Hatte in dem Hermokopidenprozess das Verfahren der Athener sich wenigstens einigermassen entschuldigen lassen, so war es diesmal so verkehrt als ungerecht und ohne alle Entschuldigung. Der Unfall war, wie gesagt, ganz unbedeutend und Alkibiades trug keine Schuld daran 42). Das Schwerste was

man ihm vorwerfen konnten war, einem eiteln, unbedeutenden Mann, wie Antiochos, den Oberbefehl während seiner Abwesenheit anvertraut zu haben, bei seinen bestimmt und klar ausgesprochenen Instruktionen musste er das aber für gefahrlos halten. Jedenfalls war er fähig den erlittenen Nachtheil bald wieder gut zu machen und allein dem furchtbaren Gegner Lysandros gewachsen. —

Ruhig verliess Alkibiades die Flotte und zog sich nach seinem Schlosse auf dem thrakischen Chersonese zurück. Ohne Rachegefühl gegen seine bethörten Mitbürger lebte er hier fern von dem politischen Treiben der Heimath; einem unabhängigen kleinen Fürsten gleich führte er mit den wilden Stämmen der benachbarten Thraker Kriege und wurde den umwohnenden Griechen ein Schutz und Hort. Und als nach zwei Jahren der Krieg sich wieder in den Hellespont zog, und die athenische Flotte unter theils verrätherischen, theils unfähigen Befehlshabern in der Nähe seiner Besitzungen am Ziegenfluss eine schlechte Stellung genommen hatte, da trieb ihn die Liebe zur Vaterstadt sie zu warnen. Er ritt in das Lager hinaus, zeigte den Feldherrn das Nachtheilige ihrer Stellung und bat sie bei der Stadt Sestos vor Anker zu gehen. Er beabsichtigte mit Hülfe seiner Leute den Athenern den Sieg zu verschaffen. Aber schnöde schickten ihn die Feldherrn weg; sie hätten zu befehlen, nicht er. Es war ihm nicht vergönnt noch einmal das Vaterland zu retten. Traurig entfernte er sich. Nach wenigen Tagen war die Flotte vernichtet und Athen musste sich den Feinden ergeben.

Jetzt war auch Alkibiades im Chersones nicht mehr sicher; er ging hinüber nach Bithynien, und wollte zum Könige Artaxerxes reisen um dort Hülfe gegen Sparta zu suchen. Aber vorher ereilte ihn die Rache seiner unversöhnlichen Feinde, der athenischen Oligarchen, die in den Dreissigen zur Herrschaft gelangt waren. So lange er lebte, schien in Athen die Oligarchie nicht gesichert, wie ein Gespenst ängstigte er sie, sie verfolgten ihn, wie später die Römer den Hannibal.

So lagen sie, vor allen Kritias, dem Lysandros an, ihn aus dem Wege zu schaffen. Erst als von Sparta Befehl dazu kam, gab dieser nach. Der persische Satrap Pharnabazos erniedrigte sich zum Schergen Spartas. Sein Bruder und Oheim überfielen in einem phrygischen Dorfe bei Nacht das Haus, in welchem der Flüchtling weilte, zündeten es an und als er, aus dem Schlafe aufgeschreckt, hinausstürzte, wurde er aus der Ferne mit Pfeilen und Wurfspiessen erschossen. Seine Gefährtin Timandra, nach andern Theodora, that ihm die letzte Ehre der Bestattung an 43). So endete einsam und verlassen der Mann, dessen Jugend glänzender als die irgend eines Hellenen gewesen war, der viele Jahre lang Griechenlands Geschicke geleitet und erschüttert hatte. Grosse Fehler hat er begangen, wer möchte das läugnen, er hat sich schwer versündigt an seiner Vaterstadt, aber dennoch möchten wir ihn nicht, wie so oft geschieht, unbedingt verdammen. Eine wunderbare Mischling von Gutem und Schlechtem tritt uns in ihm entgegen und zieht wie einst den Sokrates, so noch jetzt den, der ihn betrachtet, unwiderstehlich an. Er gehört zu jenen hie und da in der Geschichte auftretenden dämonischen Wesen, welche die herrlichsten Eigenschaften mit einer unbezwingbaren Herrschsucht verbinden, denen nur die nöthige Besonnenheit fehlt, um das Grösste und Schönste zu vollbringen. Nicht kleine Schuld an seinen Verirrungen tragen die Verhältnisse und trägt Athen. Nachdem es den Löwen gross gezogen, durfte es nicht ihn plötzlich von sich stossen. Und seine Sünden hat er gebüsst, sein Unglück hat ihn zur Besonnenheit gebracht, der spätere Theil seiner politischen Laufbahn war gross und tadellos. Gleich dem Helden der Tragödie, der trotz seiner Schuld unser ganzes Interesse, unser Mitleid in Anspruch nimmt, sühnt auch er durch seine letzten Schicksale die früheren Frevel.

Einen schroffen Gegensatz bildet, trotz vieler Aehnlichkeiten, der zweite Charakter, der Griechenlands Geschicke in jener Zeit bestimmt, der glücklichere Gegner des Alkibiades Lysandros.

Konnten wir des Alkibiades Entwicklung von der Wiege an verfolgen, so tritt er dagegen aus dem Dunkel auf einmal als gereifter Mann, als spartanischer Flottenbefehlshaber auf. Nur so viel wissen wir, dass sein Vater Aristokritos 44), von heraklidischem Stamm war, ohne jedoch dem königlichen Geschlechte anzugehören. Seine Mutter dagegen scheint geringer Herkunft gewesen zu sein, da er ein μόαξ genannt wird 45). So viel steht sicher, er befand sich in seiner Jugend in einer niedrigen Stellung, genoss aber die lykurgische Erziehung. Beides war von wichtigen Folgen. Er gewöhnte sich, wenn irgend einer, an eine strenge Lebensart und lernte alle Leidenschaften bemeistern bis an eine einzige, welche die lykurgische Erziehung nicht unterdrückte, vielmehr pflegte und entwickelte. Ein unbändiger Ehrgeiz bemächtigte sich früh seiner, der um so gefährlicher wurde, je weniger die äusseren Verhältnisse ihm günstig schienen. Zugleich lernte er, wie wenige Spartiaten, sich den Mächtigen gefällig erzeigen, auch wenn er sie hasste und verachtete, weil sie ihm zu seinen Zwecken nothwendig waren. Auf der andern Seite aber erzeugte seine Stellung bei ihm einen tiefen Hass gegen das Bestehende, er fühlte in sich Kraft und Verdienste, die er bei Höherstehenden, bei den Königen selbst benutzte, daher seine revolutionäre Tendenz 46) .

Als nun nach den glänzenden Siegen des Alkibiades die Spartaner einen tüchtigen Feldherrn mehr als je bedurften, da erhoben sie den bisher nie genannten Lysandros zum Nauarchen, welche Würde, abgesehen von der blos einjährigen Dauer, an Macht fast über der königlichen stand. Und da tritt er uns gleich mit vollkommen ausgebildetem Charakter entgegen, scharf ausgeprägt wie Wenige und doch mit einer merkwürdigen Doppelseitigkeit. Für seine Person war er der altspartanischen Sitte treu, das zeigte schon äusserlich das herabwallende Haupthaar und der lange Bart. Er war sehr arbeitsam, wachsam, mässig und keinen Lüsten ergeben, und selbst als er wie ein König über ganz Griechenland gebot, allen Schwelgereien Feind, zu denen sich in den eroberten

Städten Gelegenheit genug darbot 47). Was ihm aber zu noch grösserem Ruhme gereicht, er war zu jener Zeit, wo Könige und Feldherrn in Sparta den Lockungen des Goldes nicht zu widerstehen vermochten, über das Laster der Habsucht vollständig erhaben. Nicht allein war er keiner Bestechung zugänglich, sondern während er Millionen nach Sparta brachte, blieb er arm, wie sich nach seinem Tode zeigte, Die Freier, welche in Hoffnung reicher Erbschaft um seine Töchter geworben hatten, traten in ihren Erwartungen getäuscht zurück, wofür sie nach spartanischem Gesetz bestraft wurden 48). Mit eiserner Festigkeit und unerschütterlicher Charakterstärke verfolgte Lysandros, was er einmal begonnen, und nichts vermochte ihn in seinem Gange irre zu machen, Zu diesen Eigenschaften, wie sie einen Spartaner der schönchen Zeit geziert hätten, treten nun aber andere, in denen wir das Kind seiner Zeit in ihrer ganzen Zerrissenheit erkennen. Gewandt, schlau, ja hinterlistig und treulos, je nach Bedürfniss schmiegsam und stolz, geleistete Dienste wie Beleidigungen nie vergessend, und rachsüchtig bis aufs Aeusserste, wusste er alle Mittel anzuwenden, jede Gelegenheit wahrzunehmen. Wie Wenige verstand er es mit den Menschen umzugehen, durch Dienstleistungen und freundliches Wesen Privatleute und Fürsten zu gewinnen, und was schwerer, ihr Wohlwollen und ihre Gunst zu bewahren und im rechten Momente zu benutzen. Wie er aber Freunde und Genossen auf jede Weise zu fesseln wusste, so bekämpfte er rücksichtslos seine Feinde. Da galt ihm jedes Mittel gleich. Treue, Glauben, Gottesfurcht und Religiosität waren ihm nur leere Worte, die ein guter Politiker schlau benutzen müsse: darum meinte er, wie Knaben mit Würfeln, so müsse man Männer mit falschen Eidschwüren betrügen, und das hat er nach Kräften gethan. So schwor er, um nur ein Beispiel anzuführen, den Demokraten in Milet, welche sich theils verborgen hielten, theils zur Flucht anschickten, dass ihnen nichts Böses geschehen solle. Als sie nun aber seinem Eid vertrauten,

überlieferte er mehrere Hunderte der oligarchischen Partei, um sie zu ermorden. 49). Aehnliches hat er auch anderwärts oft gethan. Darum hat er sich nicht gescheut den Versuch zu machen die Orakel zu bestechen, dies freilich ohne Erfolg. Mit kaltem Blute opferte er Tausende hin, ein Hang zur Grausamkeit tritt offenbar bei ihm hervor und treibt ihn weiter, als seine politischen oder strategischen Zwecke forderten. So lässt er nach Eroberung der asiatischen Stadt Jasos achthundert Manner morden; nach dem Siege bei Aigospotamoi fallen seiner Rachsucht dreitausend gefangene Athener. Mussten ihn ein solcher Charakter zum Politiker in einer wild bewegten Zeit vor vielen Bessern befähigen, so verband er damit ungewöhnliche Feldherrntalente. Lysandros gehört nicht zu den glänzenden Feldherrngenien, er hat nie einen ausgezeichneten Gegner besiegt, kaum eine Schlacht in offenem Kampfe gewonnen, aber dennoch hat er den peloponnesischen Krieg zu einem siegreichen Schlusse für Sparta geführt, und diesen Erfolg nicht dem Zufall verdankt. Zweimal hat er mächtige Flotten geschaffen, ausgerüstet und trefflich bemannt. Er hat die Mannschaft derselben durch gute Verpflegung und Besoldung stets willig und schlagfertig gehalten, und eine Mannszucht behauptet, die leider den demokratischen Athenern unbekannt war. Sein Talent bestand nicht sowohl darin, ungefähr gleiche Streitkräfte durch überlegene Taktik zu überwinden, als darin, stets gerüstet und wachsam zu sein, jedes Gefecht zu vermeiden, wo der Erfolg unsicher war, rasch den Moment zu erlauschen, wo der Feind schwächer oder unvorbereitet war, da über ihn herzufallen und ihn zu überraschen. Darum hat er weislich jedes Zusammentreffen mit Alkibiades vermieden, darum als er den Flottenbefehl an Kallikratidas übergab, sich durch dessen Spott zu keiner unbesonnenen That hinreissen lassen, bei Aigospotamoi die angebotene offene Schlacht nicht angenommen, um gleich nachher den sorglosen Feind um so sicherer zu vernichten. Er wich also darin ganz und gar von

der altspartanischen Ansicht ab, welche im Kriege eine Art von Gottesgericht sah, und ihn darum mit gleichen Waffen geführt haben wollte. Dass aber seine Kriegsführung sicherer zum Ziel führte, hat das Schicksal des weit edlern aber lange nicht. so klugen Kallikratidas bewiesen. Wollte man dem Lysandros deshalb den Feldherrnruhm streitig machen, so wäre das wohl ungefähr eben so verkehrt, als das Bestreben, ihn dem grossen englischen Feldherrn unserer Zeit zu entreissen 50).

Bei solchen Eigenschaften sehen wir nun den Lysandros von seinem ersten Auftreten an, einen Lebenszweck verfolgen der klar vor ihm lag, und den er mit eiserner Consequenz festhielt; die Herrschaft Spartas über Griechenland, und seine eigene Herrschaft in Sparta 51). Dieses unverrückte Verfolgen eines Lebenszieles hat ihn besonders so bedeutend gemacht, und ihn über den ebenso ehrgeizigen, aber viel unbeständigeren Alkibiades gehoben. Zunächst kam es also darauf an, Athen zu demüthigen, als das geschehen war, keinen andern Staat neben Sparta aufkommen zu lassen, daher sein fast leidenschaftliches Losbrechen gegen Theben, das ihm die Früchte langer Bemühungen zu entreissen drohte. Zwei Mittel hat er nun besonders angewandt, um sein Ziel, zunächst die Unterjochung Athens, zu erreichen. Einmal nämlich hat er die Nothwendigkeit erkannt, über grosse Geldmittel zu gebieten, um der athenischen Flotte mit Erfolg entgegentreten zu können. Diese waren aber kaum anderswo zu erhalten, als bei Persien; darum ist er in die engste Verbindung mit dem neuen Statthalter Vorderasiens, mit dem jungen Kyros getreten, und hat durch dessen Subsidien Spartas Seemacht gegründet und befestigt. Das zweite Mittel waren die oligarchischen Clubs 52). Schon vor seinem Auftreten bestanden nicht nur in Athen, sondern in den meisten Bundesstädten solche Clubs oder Hetairien, welche den von Athen unterstützten demokratischen Verfassungen entgegenarbeiteten und Verbindungen mit Sparta hatten. Sie hatten meist den

Abfall der Städte von Athen betrieben, wie ja in Athen selbst damals diese Hetairien entschlossen waren, im äussersten Falle die Stadt an Sparta zu überliefern. Doch waren diese Clubs bis auf Lysander meist isolirt gewesen. Er führt nun den grossartigen Gedanken durch, sich an die Spitze aller zu stellen, da wo noch keine waren, solche zu stiften, und ganz Hellas mit einem gewaltigen oligarchischen Netz zu umgarnen, dessen Fäden nicht die spartanischen Behörden, sondern er in den Händen hatte. Von Athen bis zum kleinsten Bundesstaate überall verschafft er sich solche Genossen, welche seinen Winken gehorchen, deren oligarchisches Wirken er leitet. Die Verbindungen mit denselben wurden auf mannichfaltige Weise unterhalten, in noch feindlichen Staaten besonders durch Flüchtlinge, wie z. B. Aristoteles aus Athen, der seit dem Sturze der Vierhundert aus Athen geflohen war, sich sich in Lysandros Gefolge befand. Diese Genossen hegt und pflegt er nun auf alle Weise, sie können bei allen Gewaltthaten und Verbrechen auf seine Unterstützung rechnen, ihnen gestattet er, ihrer Privatrachsucht und allen Begierden ungestraft Genüge zu thun, er kettet sie an sich nicht nur durch die Hoffnung, durch ihn Macht und Reichthum zu gewinnen und zu behaupten, sondern auch durch das Bewusstsein gemeinsamer Verbrechen. Und als Athen gefallen war, da übergab Lysandros den Mitgliedern dieser Verbindungen und nur ihnen die Herrschaft in ihren Staaten als Zehnmännern, Dekadarchen, und ein lakonischer Befehlshaber, Harmoste, unterstützte sie mit bewaffneter Macht. Auf ihnen beruhte seine Macht, welche eine Zeitlang der eines unumschränkten Königs glich. Darum ist auch Lysandros immerfort ein consequenter Oligarch gewesen.

Dieser Mann also war im Herbste 408 an die Spitze der spartanischen Seemacht getreten 53). Sein erstes war, die zerstreuten Schiffe zu sammeln, Ephesos, dessen Bedeutung von jetzt an beginnt, zu einem grossen Waffenplatze zu machen, und überall Verbindungen mit den Oligarchen anzuknüpfen.

Dann begab er sich nach Sardes, wo zu seinem Glücke Kyros als Vicekönig eingetroffen war. Dieser ehrgeizige, durch Xenophons parteiische Lobsprüche zu unverdientem Ruhm gekommene Fürst liess sich durch Lysandros feine Schmeicheleien, ohne Zweifel auch schon mit Rücksicht auf seine später ins Werk gesetzten hochverrätherischen Pläne bewegen, das wahre Interesse Persiens hintanzusetzen und die Lakedaimonier nach Kräften zu unterstützen 54). Lysandros erhielt so bedeutende Subsidien, dass er seine Mannschaft besser besolden konnte als die Athener, bei denen daher Unzufriedenheit und Desertion eintraten. Er schlug den unvorsichtigen Antiochos, und zog sich wieder in seine sichere Stellung zurück. Nach Verfluss seines Amtsjahres hatte er zwar noch keineswegs, wie er gegen seinen Nachfolger, den edeln Kallikratidas, prahlte, die Herrschaft über die See gewonnen, aber Spartas Ansehen hatte er hergestellt, Athen durch Verrath untergraben, des Alkibiades Sturz herbeigeführt. —Diese Vortheile auszubeuten gönnte er keinem andern; und intriguirte daher nach Kräften gegen Kallikratidas. So schickte er schon vor dessen Ankunft alle vorräthigen Gelder an Kyros zurück, und liess durch seine Anhänger überall ausbreiten, es sei eine Thorheit, dass Sparta die Flottenbefehlshaber jährlich wechsle. Die Widerspenstigkeit schlug nun zwar Kallikratidas durch entschiedenes Auftreten nieder, da er aber bei Kyros nicht um Unterstützung betteln wollte, sah er sich genöthigt bei den Bundesgenossen sich Geld zu verschaffen und so bald als möglich eine Entscheidung herbeizuführen. In ruhmvollem Kampfe verlor er bei den Arginusen Flotte und Leben. Noch einmal schien Spartas Seeherrschaft zertrümmert, Athen als Siegerin aus dem Kriege hervorgehen zu sollen. Aber während dieses seine siegreichen Feldherrn zum Tode verurtheilt, und sich so der besten Führer beraubt, stellt Sparta ihm wieder den Lysandros entgegen. Der war bereits unentbehrlich geworden, die Bundesgenossen hatten sich in Ephesos versammelt, und beschlossen durch eine Gesandtschaft ihn als Flottenbefehlshaber zu verlangen, Gesandte

des Kyros schlossen sich ihnen an, und Sparta willfahrte. Zwar verbot ein Gesetz, zweimal denselben zum Nauarchen zu ernennen, aber man half sich, indem man einen blossen Strohmann, den Arakos, dem Namen nach dazu machte, den Lysandros aber zum έπιστολενς, Viceadmiral. Reiche Geldbeiträge des Kyros und thätige Hülfe seiner politischen Freunde, machten ihm möglich in Kurzem wieder eine grosse Flotte aufzustellen. Um den König Agis, der bei Dekeleia stand, zu imponiren, führte er sie an die attische Küste, und prahlte in einer Zusammenkunft mit demselben wieder mit seiner Herrschaft zur See 55). Als aber die athenische Flotte ihn aufsuchte, eilte er auf einem andern Wege so schnell als möglich nach Asien und lief in den Hellespont ein, wohin die Athener ihm folgten. Nach sorgfältiger Vermeidung jedes offenen Zusammentreffens vernichtete er hier, bei Aigospotamoi, durch Ueberraschung und Verrath die letzte Hoffnung der Athener, die hundertundachtzig Schiffe starke Flotte. Der Krieg war entschieden, Athens Macht vernichtet. Die Stadt selbst, zu Lande von den Königen Agis und Pausanias, zur See von Lysandros eingeschlossen, im Innern von Zwietracht und Verrath geschwächt, musste sich ergeben, Lysandros zog als Sieger ein. — Ueberall wurden jetzt, wo noch Demokratien bestanden, unter Mord und gewaltsamer Verbannung statt dieser streng geschlossene Oligarchien eingeführt, bekannt unter dem Namen der Dekarchien, in Athen selbst die der Dreissig. Die Anhänger des Lysandros führten in diesen die Herrschaft, er war ihre Stütze, er herrschte durch sie fast in allen ehemals athenischen Städten. Ja so eigenmächtig schaltete er, dass er die Stadt Sestos, welche die Athener den alten Bewohnern entrissen hatten, nicht diesen zurückgab, sondern Leuten, die auf seiner Flotte gedient hatten. Hier aber traten die Lakedaimonier ihm entgegen und setzten die Sestier wieder in den Besitz ihrer Stadt. Auch der letzte Staat, welcher Widerstand leistete, die Insel Samos, seit dem Jahr 411 der Waffenplatz von Athen und

das festeste Bollwerk der Demokratie, musste sich nach dem hartnäckigsten Widerstande ergeben 56). die sämmtlichen Bürger mussten auswandern, die Insel wurde den früher flüchtig gewordenen Oligarchen übergeben.

Lysandros feierte jetzt Triumphe, wie sie noch keinem Hellenen zu Theil geworden waren. Er war nicht nur der allmächtige Gebieter, neben dem die Könige ins Dunkel zurücktraten, sondern er wurde von seiner Partei als Heros und Befreier Griechenlands verherrlicht. Dichter wetteiferten ihn gu besingen, und er war für ihre Schmeicheleien so empfänglich, dass er dem Antilochos für einige mittelmässige Verse den Hut mit Gold füllte 57). Die Samier setzten an die Stelle des bisherigen Hauptfestes der Heräen, die Lysandria, und zuerst von allen Griechen wurden ihm während seines Lebens Altäre errichtet, Opfer zu seiner Ehre dargebracht, Hymnen gesungen 58). Von Samos segelte er dann, nachdem er die Bundesgenossen entlassen, mit den lakonischen Schiffen nach Lakedaimon. Er führte mit sich, ausser grossen Summen Geldes und reicher Beute, die Insignien aller eroberten Schiffe, die den Athenern im Peiraieus abgenommene Flotte, und viele Kronen, die ihm von den Städten als Ehrengeschenke überreicht worden waren 59).

Er stand auf dem Gipfel seiner Grösse und schien das Ziel erreicht zu haben, allein seine ungeheure Macht erregte natürlich Eifersucht. Die Könige Pausanias und Agis, die nur ungern seine Stellung ertrugen, fassten daher den Plan, die von Lysandros eingeführten Oligarchien zu stürzen, und auch die Ephoren, über seine Anmassung erbittert, schlossen sich ihnen an. So traten die verfassungsmässigen Behörden Spartas dem Lysandros feindlich entgegen 60). Daher fanden bereits bald nach dem Schlusse des Krieges Klagen des Pharnabazos über sein willkührliches Benehmen geneigtes Gehör, und er entzog sich weitern Unannehmlichkeiten nur durch eine Reise zum Tempel des Ammon 61). Bald wurde aber auch das Gebäude seiner Politik erschüttert. Die Demokraten

Athens unternahmen es, die Dreissig zu stürzen. Als nun die Oligarchen in Sparta Hülfe suchten, da bewirkte der indess heimgekehrte Lysandros, dass er als Befehlshaber zu Lande, sein Bruder Libys als Nauarch ihnen zu Hülfe gesandt wurden. Denn ihm lag alles daran, ein so gefährliches Beispiel, das seine Macht in ihren Grundlagen erschütterte, schnell zu unterdrücken. Aber auch König Pausanias im Einverständniss mit Agis und der Mehrzahl der Ephoren, zog mit einem Heere gegen Athen, und führte unter dem Schein sie zu bekämpfen, die Herstellung der Demokratie herbei 62) . Dies war für Lysandros ein harter Schlag. In Sparta war sein Einfluss nicht mehr herrschend, im übrigen Griechenland eine Hauptstütze ihm entzogen. Er tritt für einige Jahre durchaus in den Hintergrund, und kaum wird sein Name einmal genannt 63). In dieser Zeit stürzt das ganze kunstreiche Gebäude seiner Politik zusammen. Der Bund mit Persien wird durch des Kyros Empörung und Tod aufgelöst, Sparta wird in Krieg mit dieser Macht verwickelt, und übernimmt im Gegensatz zu seiner früheren Politik die Befreiung der Griechen Vorderasiens. Es hebt die Dekarchien auf und stellt die alten Verfassungen her 64) .

Mit welchen Gefühlen Lysandros in dieser Zeit sich eine Stütze nach der andern entfallen, und sich selber bei Seite geschoben sah, das lässt sich leicht denken, und auf diese Zeit haben wir zu beziehen, was Aristoteles von ihm berichtet, dass in spätern Jahren eine finstere Melancholie bei ihm hervorgetreten sei 65) . Wiewohl ihm aber kein äusserer Anlass zur Thätigkeit geboten war, so hat er inzwischen sicherlich auch nicht gerastet. Es scheint dass er die Musse benutzte, um in Sparta, wo ihm verfassungsmässige Macht nicht länger übertragen wurde, sich einen geheimen Anhang, eine Hetairie zu bilden, und dass jetzt Pläne zu Veränderungen der Verfassung seinen Geist beschäftigten 66). Die unabhängige Stellung, welche Athen Sparta gegenüber bald einnahm, kam ihm dabei zu Hülfe, sein Ansehen wieder zu heben und seine

Politik als die für Sparta wahrhaft erspriessliche darzustellen. Und als nun 307 Agis starb, da stellte Lysandros, dem Sohne desselben, Leotychides, dessen rechtmässige Geburt bestritten wurde, den Bruder des Agis, Agesilaos, zu dem er längst in eng befreundetem Verhältnisse stand als Thronbewerber entgegen, und verhalf ihm durch sein Ansehen zur Herrschaft 67). Durch Agesilaos hoffte er wieder zur Gewalt zu kommen, indem er ihm die Führung des asiatischen Krieges verschaffen wollte, und dort als sein Begleiter das alte Ansehen herzustellen gedachte; er dachte wohl, dass ein König, der nicht sowohl dem gesezlichen Erbrechte als ihm die Herrschaft verdankte, weniger unabhängig sein werde, als einer, dessen Macht sich nur auf das Recht stützte; er dachte vielleicht auch einen solchen eher stürzen zu können. Also veranlasste Lysandros seine immer noch zahlreichen Anhänger in Asien, den Agesilaos von Sparta als Heerführer gegen Persien zu verlangen. Gerne verstand sich der König dazu, und gerne wurde ihm das Unternehmen gegönnt. Nur dreissig Spartiaten begleiteten ihn als eine Art von Generalstab, unter ihnen war Lysandros, dessen Absicht zunächst darauf ging, die Dekarchien herzustellen. Auch war er kaum in Asien, als von allen Seiten her seine Anhänger ihm zuströmten, ihn überall umgaben, ihm ihre Aufmerksamkeit und Verehrung bezeugten, um seine Gunst buhlten. Er schien der wahre König zu sein, Agesilaos nur ein Schattenbild. Allein Lysandros hatte sich in der Person des Agesilaos geirrt. Weit entfernt ein solches Verhältniss ruhig zu ertragen, fand dieser sich durch die Zurücksetzung tief gekränkt und liess den Lysandros seinen Aerger in kleinlicher, ja elender Weise fühlen. Wer von diesem ihm empfohlen war, konnte sicher sein in seinem Begehren abgewiesen zu werden, ja er ernannte denselben zum Hohn zu seinem χςεωόαίτης, Speisemeister, und sagte spottend zu den Ioniern, die des Lysandros Gunst suchten, jetzt möchten sie seinem Speisemeister die Aufwartung machen 68) . Lysandros verlangte nach einer kurzen Erklärung, die nicht

sehr ehrenvoll für Agesilaos erscheint 69) , anderswo verwendet zu werden, und leistete am Hellespont dem Staate und dem Agesilaos sehr wesentliche Dienste. Es scheint aber auch das des Königs Neid erregt zu haben, er benutzte seine ausgezeichneten Talente weiter nicht mehr 70).

Empört über solch schnödes Verfahren des Mannes, der ihm alles verdankte, ohne irgend eine seiner Absichten erreicht zu haben, kehrte Lysandros nach Verfluss des Jahres nach Sparta zurück. Seine auf Agesilaos gebauten Pläne waren vollkommen gescheitert. Man mag sagen, er hatte es verdient. Da er die Menschen nur als Werkzeuge seiner ehrgeizigen Pläne ansah, durfte er auch von ihrer Seite auf nichts Besseres Anspruch machen. Aber dennoch erscheint das Benehmen des Agesilaos gegenüber dem Manne, ohne den er selbst ein kaum genannter Privatmann geblieben wäre, dem Sparta die Herrschaft über Griechenland verdankte, der immer noch Spartas grösster Staatsmann war, als höchst unedel, es war auch unklug; denn solche Beleidigungen reizten, ohne irgend etwas zu nutzen.

In der That gediehen bei Lysandros jetzt Pläne zur Reife, die früher schon ihn beschäftigt, aber noch nicht so feste Gestalt gewonnen hatten. Während des peloponnesischen Krieges und unmittelbar nach demselben, stand er so hoch, dass eine Aenderung der Verfassung ihm schwerlich nöthig schien, er hatte faktisch alle Macht. Als dann sein Einfluss erschüttert wurde, da entwickelte sich ohne Zweifel der Gedanke an eine Verfassungsveränderung. Noch aber machte er keinen Versuch zur Ausführung, sei es, dass er noch auf andere Art seine Macht herzustellen hoffte, sei es, was wahrscheinlicher, dass ihm die Verhältnisse noch nicht günstig schienen. Jetzt aber wollte er, dem die Könige überall im Wege standen 70), die Königswürde, die in dem Geschlechte der Eurypontiden und Agiaden erblich war, allen Herakliden, zu denen auch er gehörte, nach andern Berichten, allen Spartiaten zugänglich machen 72). Dem Verdienste und nicht der Geburt sollte sie

gehören. War das durchgesetzt, so zweifelte er nicht, selbst zum Könige gewählt zu werden. Dass er zugleich eine Beschränkung des Ephorats beabsichtigte, wird zwar nicht berichtet, ist aber höchst wahrscheinlich; denn die Ephoren hatten seine Entwürfe vielfach durchkreuzt, und eine Königswürde unter den damals von den Ephoren geübten Beschränkungen konnte seinem Ehrgeize kaum genügen 73). Zur Erreichung dieses Zweckes bereitete er verschiedene Mittel vor. Vorzüglich suchte er durch die Orakel, welche damals in Sparta noch viel galten, zu wirken. Allein Delphi und Dodona wiesen seine Zumuthungen ab, und die Priester des Ammon machten sogar Anzeige in Sparta, doch ohne Glauben zu finden 74). Ein fein angesponner Plan, durch einen vermeintlichen Sohn des Apollon zu wirken, scheiterte an dem unerwarteten Zurücktreten eines Eingeweihten. Merkwürdig zur Beurtheilung der spartanischen Zustände ist aber, dass er sich von einem gewissen Rhetor, Kleon aus Halikarnass, eine Rede ausarbeiten liess, mit der er die Spartaner für seine Reform zu gewinnen hoffte 75) . Dass dabei seine Genossen ihm besonders Unterstützung gewähren sollten, versteht sich von selbst. Und der Boden war damals für Revolutionen in Sparta nicht ungünstig 76). — Aber mitten aus seinen Plänen raffte ihn der Tod weg. Seit dem peloponnesischen Kriege nämlich, hatten sich die ehemaligen Bundesgenossen Spartas auf dem Festlande, besonders Theben, diesem sehr entfremdet, weil Spartas herrisches Wesen sie verletzte und in ihrer Unabhängigkeit bedrohte. Im Jahre 395 endlich brach die Unzufriedenheit, von Persien her noch angeschürt, in offenen Krieg aus. In dieser drohenden Gefahr, wandte man sich wieder an Lysandros. Mit einem im Norden von Böotien gewordenen Heere sollte er in dieses Land eindringen und bei Haliartos sich mit dem von Süden vorrückenden König Pausanias vereinigen, um so Theben zu isoliren, und zu erdrücken. Mit grosser Thätigkeit führte er seine Aufgabe aus, es galt ja die Behauptung von Spartas Herrschaft über Griechenland, unternahm aber,

da er den Pausanias hei Haliartos nicht antraf, ganz gegen sein früheres Kriegssystem in Ungeduld einen Sturm auf die Stadt. Von zwei Seiten angegriffen fiel er selbst und seine Leute wichen mit ansehnlichem Verlust 77). Pausanias schloss bald darauf einen Waffenstillstand und räumte Böotien. — Spartas Macht war in ihren Grundlagen erschüttert, der Tod des Lysandros, dessen Politik man nach der Vereinigung Athens mit Theben wieder volle Gerechtigkeit wiederfahren liess, machte tiefen Eindruck in Sparta, und sein Ansehen war so gross, dass Pausanias, auf den Tod angeklagt, nicht wagte sich vor Gericht zu stellen, sondern nach Tegea in Verbannung ging, wo er sein Leben beschloss 78) . Im Hause des Lysandros aber fand man nach seinem Tode jene obenerwähnte Rede, die seine Absichten enthüllte. Agesilaos wollte dieselbe den Spartiaten vorlegen, um das Andenken des mächtigen Mannes dem Abscheu Preis zu geben. Über der Ephore Lakratidas war verständiger, er rieth dem Agesilaos den Lysandros nicht aus dem Grabe zu erwecken, sondern die Rede mit ihm zu bestatten, die so überzeugend und schlau abgefasst sei. Und Agesilaos liess von seinem thörichten Vorhaben ab 79).

Ein schönes Ende wurde so dem Lysandros zu Theil, er fiel fur sein Vaterland, das er wahrend seines Lebens gross gemacht hatte, das mit seinem Tode schweren Demüthigungen entgegenging. Tief wurde er betrauert und in den folgenden Kämpfen vermisst. Aber dennoch macht die Betrachtung seines Lebens einen dünneren Eindruck, und sein Tod übt nicht die versöhnende Kraft, wie der des Alkibiades; denn noch stehen grosse revolutionäre Pläne im Hintergrunde, und wenn er auch nirgends, wie jener, das Vaterland bekämpft hat, wenn er sich vielmehr die grössten Verdienste um dasselbe erworben hat, so ist doch sein besonnener, kalter Egoismus, der ihn zwar vor leidenschaftlichen Schritten bewahrte, aber auch ohne Scheu vor irgend einem Mittel das Ziel verfolgen liess, nicht geeignet ihm die Liebe des Betrachters zu gewinnen.

Ich sage die Liebe; denn Interesse, ja Bewunderung werden wir einem Mann nicht versagen können, der wie er, aus ungünstiger Lage sich durch eigene Tüchtigkeit zu solcher Höhe emporgeschwungen hat, und wenn es genügte, das man die Bestrebungen seiner Zeit begreife und sie zu beherrschen verstehe, um ein grosser Mann genannt zu werden, so würde Lysandros diesen Namen verdienen; jedenfalls war er ein ungewöhnlicher, gewaltiger Mann, und nichts ist verkehrter, als das Urtheil des Nepos, oder wer immer es ausgesprochen: Lysander magnam reliquit sui famam, magis felicitate quam virtute partam 80) .

Sie beide, Alkibiades und Lysandros, sind ächte Kinder ihrer Zeit; nur wenn wir das beachten, werden wir ein gerechtes Urtheil über sie fällen. Der alte Glaube, die alte Sitte, die alte Geltung der Gesetze waren in ganz Griechenland erschüttert und untergraben, hier offener und anerkannter, dort unter dem Scheine alter Strenge nicht minder tief; laut wurde der Egoismus, der Vortheil des Einzelnen als höchstes Gesetz gepredigt, überall ist ein Drängen nach Macht, nach Reichthum und Ehre, viel Glänzendes und Grosses kommt dabei zu Tage, aber das Grösste fehlt, die feste ethische Grundlage, die allem Uebrigen erst die höhere Weihe giebt, und die fehlt auch bei allen ihren herrlichen Anlagen den beiden Koryphäen der Zeit, sie fehlt ihnen in besonders hohem Grade. Bei Alkibiades tritt das, ganz entsprechend dem mehr äusserlichen, heitern Charakter seiner Vaterstadt, mit einer gewissen offenen Naivetät hervor, in einem kecken, leichtsinnigen, selbst liebenswürdigen Uebermuthe, in einer unbändigen Genusssucht, treibt unstät ihn von Einem zum Andern, reisst ihn hin frevelhaft die Hand gegen die Vaterstadt zu erheben, und unterhöhlt ihm den Boden zu heilsamem Wirken 81); bei Lysandros, dem Bürger jenes in dorischer Weise mehr nach innen gerichteten Sparta, das auch bei ganz verändertem Geiste streng bei den alten Formen beharrte, äussert es sich in finsterem Hasse gegen Alles, was ihm im Wege steht, in wohlberechnetem,

ruchlosen Missbrauche dessen, was Andern .für heilig galt; es lässt ihn unverrückt und rücksichtslos das Ziel seines Ehrgeizes verfolgen und als dazu die gesetzliche Ordnung nicht mehr genügte, einen Umsturz der lykurgischen Verfassung vorbereiten.

So zeigt uns also auch die Geschichte dieser zwei merkwürdigen, von der Natur herrlich ausgestatteten Männer, wie wahre historische Grösse ohne eine höhere sittliche Weihe nicht möglich ist; sie zeigt uns, wie Freistaaten, deren Bürger, und wenn sie die ersten wären, mehr sich als das Wohl des gemeinen Wesens im Auge haben, ihrem Verderben zugeführt werden.

Möge Gott vor ähnlichen Erfahrungen uns gnädig bewahren.

Bemerkungen.

1) Ich habe im Schweiz. Museum I, p. 372-468 über das Kriegssystem der Athener nach Perikles Tode gesprochen und dort nachzuweisen gesucht, dass dasselbe im Grunde nur eine durch das Bedürfniss der Athener nach Thätigkeit und den günstigen Lauf der Krieges hervorgerufene Erweiterung des perikleischen Systems zur Offensive gewesen und vorzüglich in Demosthenes seinen Vertreter gehabt habe.

2) Ich möchte das nicht als rhetorische Floskel oder Uebertreibung angesehen, sondern wörtlich verstanden wissen und zwar selbst in der Zeit, wo die Athener wieder siegreich waren. An das Schicksal der athenischen Flotte in Asien war namlich das von Athen selbst geknüpft, während Sparta von der seinigen bei glücklichem Erfolg gänzliche Ueberwindung des Gegners in Aussicht hatte, bei unglaublichem immer wieder auf dem gleichen Punkte stand, wo früher und nur für seine Hegemonie über die Seestaaten, nicht aber für seine eigene Sicherheit Gefahr lief. Darum waren die Niederlagen bei Kyzikos und den Arginusen ziemlich bald verschmerzt, während die bei Aigospotamoi dem Krieg ein schnelles Ende machte.

3) Der Vater der Deinomache Megakles war ohne Zweifel Sohn des berühmten athenischen Gesetzgebers Kleisthenes. was aus Isocrates de big. §. 26. Böckh in den Explicat. ad Pind. Pyth. p. 303 nachgewiesen, dem Nissen in der Zeitschrift f. A. W. 1836 S. 274 und Solko Walle Tromp disputatio historico-literaria de Pericle. Lugduni Batavorum 1837 beistimmen. Warum Wiggers in der Abhhandlung de Cornelii Nepotis Alcibiade (die ich aber nur aus Nissens Anzeige a. a. O. kenne). Sintenis zu Plutarch. Pericl. e. 3. p. 63. Bähr zu Plut. Alc. p. 57. Theod. Bergk Comment. d. reliqa. Com. attic. p. 350 und Rinck Prolegom. ad Aemil. Probum. in der Ausg. von Roth p. XCII. von dieser bestimmten Angabe abweichen und annehmen der Vater der Deinomache, Megakles sei der Sohn des Hippokrates gewesen uno also ein Neffe des Kleisthenes, sehe ich nicht ein. Aus Herod VI, 131 geht es keineswegs hervor. Die Annahme, dass Jsokrates oder vielmehr sein Klient. der jüngere Alkibiades, das Geschlecht des Vaters aus Unwissenheit falsch angegeben ist mir unwahrscheinlich; dass er absichtlich die Unwahrheit gesagt. um durch die Popularität des

Kleisthenes zu wirken, ganz unglaublich, da er dabei Gefahr lief der Lüge überführt zu werden, und den ganzen Zweck zu verfehlen. Man wende nicht ein, dass auch Demosthenes in der Midiana §. 144 irrige Angaben bringe, denn zugegeben sie seien irrig (Böckh. a. a. O. ist anderer Meinung vergl. auch Nissen a. a. O.) so führt Demosthenes den Alkibiades nur als ein Beispiel an, und ein Irrthum war hier ohne alle weiteren Folgen. Man vergl. die als Beilage gegebene Stammtafel.

4) Da Kleinias bei Artemisium mit einer eigenen Triere kämpft, so wird er damals Ol. 75, 1 oder 480 kaum weniger als 20 Jahre alt gewesen, also um Ol. 70, 1 oder 500 v. Chr. geboren worden sein. Bei seinem Tode Ol. 83, 2 oder 446 wird er also nicht unter 54 Jahren gezählt haben. Wenn daher K. F. Herrmann in der Abhandlung de tempore convivii Xenophontei pars II. p. 12 sagt Kleinias sei "Critoni fere aequalis" gewesen, so ist das wohl ein Versehen meines hochverehrten Freundes. Denn Kriton war. wie Herrmann selbst aus Plat. Apol. Socr. p. 33 d. nachweist, ein Altersgenosse des Sokrates, also etwa im Ol. 77. 4 oder 468 geboren, und somit gewiss wenigstens um 30 Jahre jünger als Kleinias.

5) Ueber das Geburtsjahr des Alkibiades haben unter andern gesprochen Letronne im Journal des Savants 1820 p. 679. Meier im Greifswalder Lektionskatalog 1821. Bähr zu Plut. Ale. S. 122 und 269. Wiggers a. a. O. 60. Nissen Ztsch. f. A. W. 1836. S. 275 276. Stallbaum zu Plut. Alcib. 1. Anfang. vergl. Krüger zu Clinton fasti Hell. p. 72. Die Theilnahme an der Schlacht bei Potitaia Ol. 87. 1 und die Stelle in Plat. Alcib. 1 p. 123. d. wo er heisst, weisen ziemlich sicher auf Ol. 82. 2. Jedenfalls darf man sich durch die Angabe des Cornelius Nepos oder Probus er sei annos circiter quadraginta natus umgekommen nicht irre machen lassen.

6) Wie Perikles dem Alkibiades verwandt gewesen sei, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Vermuthung Nissens, welcher auch Rinck a. a. O. folgt, Perikles habe eine Schwester der Deinomache Namens Demarete zur ersten Frau gehabt, ist zwar ansprechend, aber durchaus nicht bewiesen. Namentlich ist die Annahme, Plinius, der h. n. XXXIV, 19 §. 31, die Mutter des Alkibiades Demarete statt Deinomache nennt, habe die beiden Schwestern verwechselt, bedenklich. Gegen die Meinung von Palmerius und Bähr zu Plut. Alcib. 1 Deinomache selbst sei des Perikles Gemahlin gewesen, haben Wiggers, Sintenis u. a. verschiedene zum Theil sehr triftige Gründe vorgebracht, unter denen das gänzliche Stillschweigen der ältern Schriftsteller, namentlich Platons, Xenophons und des Jsokrates mir entscheidend scheint. Sollte dennoch diese Combination richtig sein, so müsste Deinomache zuerst an Hipponikos, dann an Perikles und zuletzt an Kleinias vermählt gewesen sein, was Nissen a. a. O.

sehr richtig nachweist, da Xanthipos und Paralos, die Söhne des Perikles nicht junger als Alkibiades und sein Bruder Kleinias gewesen sein können.

7) Plut. Alcib. I. sagt: und damit übereinstimmend Antiphon bei Athenaeus — Dagegen XII, p. 525 B. Xenoph. Memor. I, 2. 40. Isocr. de big. 28. Plat. Alcib. I. p. 104 c. coll. 122. b. und Protagor. p.. 320 a. nennen immer nur den Perikles allein. Indessen weist die letzte Stelle wenigstens auf eine Betheiligung des Ariphron bei der Erziehung der beiden Brüder. Sie lautet: Und betrachtet man die Stellen genauer, so sprechen sie nicht gegen die Vormundschaft des Ariphron, sondern Perikles ist als der bedeutendere oder als der, von dem im Zusammenhange ohne dies die Rede war, allein genannt.

8) Ich sage absichtlich scheint, da die Nachricht auf der einzigen Autorität Platons im Alc. I. p. 122 a. b. beruht, dessen Ausdruck: ich nicht allzugenau nehmen möchte, da es ihm an der Stelle darauf ankommt die ganze Erziehung des Alkibiades gegenüber der der persischen und lakedaimonischen Könige mögliche herabzusetzen, und er überhaupt den Perikles gerne als schlechten Erzieher darstellt. Ein sehr angenehmes Geschäft hatte übrigens der Pädagoge des Alkibiades gewiss nicht.

9) Plutarch. Alcib. 2. Aelian v. h. V, 14.

10) Plut. Alc. 3. Plato. Protag. p. 320. a. Xenoph. Memor. I. 2. 40.

11) Plut. Aöcib. 2. den Ausdruck Mode habe ich mit Absicht gebraucht, indem er allein die Sache richtig bezeichnet. Auch auf die Kleidermode hat Alkibiades Einfluss gehabt, indem eine Art Schuhe nach ihm Αλχιβιάδια benannt waren. Pollux. VII, 89. Athen. XII, 536. c.

12) Dass Alkibiades zwischen 18 und 20 Jahr alt war, als Sokrates in ein näheres Verhältniss mit ihm trat, geht aus dem Alcibiades I. von Platon deutlich hervor, man vergl. besonders p. 103 und p. 123 d. mit Stallbaums Bemerkungen und dessen Prolegomenis.

13) Das Urtheil mag vieleicht Manchen hart scheinen, ist es aber im Grunde nicht. Xenophon war ein in vielfacher Beziehung sehr tüchtiger Mann, erscheint aber durchweg auf das Nächste, das Praktische und Nützliche gerichtet. Gewöhnliche Lebensverhältnisse hat er mit einem gesunden Blicke veurtheilt. aber für ausserordentliche Erscheinungen hatte er wenig Sinn, am allerwenigsten, wo sie auf gegnerischer Seite standen. Der deutlichste Beleg dafür bleibt die Art, wie er von Epamimondas spricht und — nicht spricht, welche man umsonst zu entschuldigen versucht hat, denn auch C. Peter comment. crit. de Xen. Hell. Hal. 1837 Cac III. weist vielmehr des Xenophon Parteilichkeit nach, als er sie widerlegt und sucht nur zu zeigen, dass sie nicht eine absichtliche, sondern eine durch eine gewisse Geistesbeschränktheit (imbecillitas) bedingte war. Vgl. S. 106. Id igitur explicare profecto non possemus nisi ingenii non voluntatis esse diceremus. Wie viel schwerer aber war es den Alkibiades zu würdigen, ihn, dessen Fehler und Frevel so klar am Tage lagen, und wie viele unter seinen Zeitgenossen haben ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen? Für Sokrates ist es übrigens weit ehrenvoller und rühmlicher, wenn Alkibiades ihm einst aufrichtig anhing, als wenn er bloss um äusserer Zwecke willen seinen Umgang suchte. So verfehlt also im Grunde selbst die apologetische Absicht das Ziel. Dass aber nicht sie allein den Xenophon im Urtheil über Alkibiades bestimmte, geht aus der Auffassung desselben in der griechischen Geschichte hervor. Wie kalt und trocken bleibt er bei Erzählung seiner schönsten Thaten überall, er, der doch für Agesilaos und selbst für Kyros fast enthusiastisch wird.

14) In wie fern diese Erklärung des Einflusses, den Sokrates auf Alkibiades und die athenische Jugend überhaupt ausgeübt hat, Andern befriedigend erscheinen wird, weiss ich nicht. Dass Forchhammer, der seine Ansicht in der geistreichen Schrift "die Athener und Sokrates die Gesetzlichen und der Revolutionär" ausgeführt und neulich an dem Philologenvereine in Darmstadt mit Gewandtheit verfochten hat, mir viel zu weit zu gehen scheine, muss ich. wie damals in Darmstadt, so auch jetzt bestimmt aussprechen, das viele Wahre und Treffliche aber, das er und schon vorher Hegel und Rötscher gesagt haben, verkenne ich nicht und bin weit entfernt die Einseitigkeit derer zu theilen, welche Alles an Sokrates gut und schön finden und gar contra Meliti redivivi calumnias geschrieben haben. Ein weiteres Eingehen in den vielbesprochenen Gegenstand gehört nicht hieher, nur so viel bemerke ich, dass man wohl unterscheiden muss zwischen dem unmittelbaren Erfolge der Lehre und Wirksamkeit des Sokrates und ihrem inneren Werthe. Und für entschieden unrichtig muss ich die S. 49 von Forchhammer ausgesprochene Behauptung ansehen, dass Sokrates unfähig gewesen sei zu lieben. Wer

so verschiedene Charaktere an sich zog und an sich fesselte, wer solche Liebe von Seite seiner Freunde während seines Lebens und nach seinem Tode genoss, der muss selber Liebe gehabt haben oder er wäre eine ganz einzige Ausnahme. Ohne die Fähigkeit zu lieben, hätte Sokrates schwerlich je des Alkibiades Anhänglichkeit gewonnen.

15) Dass damals Alkibiades bereits mit Sokrates in näherm Verkehr war, geht aus Xenophon. Mem. I, 2, 39 und 40. hervor:

16) Plato Symp. p. 216, b. Xen. Mem. I, 2. 47. Plut. Alcib. 4.

17) Die Fortdauer des engern Freundschaftverhältnisses ergiebt sich aus den Nachrichten über die Schlacht bei Delion (Plut. Sympos. p. 221 a. und die von den Auslegern dort angeführten Stellen) und aus den Wolken des Aristophanes. Uebrigens soll nicht behauptet werden, Alkibiades habe vor Kleons Tod an den Staatsangelegenheiten keinen Theil genommen, sondern bloss keinen vorwiegenden. Selbst die durch Alkibiades herbeigeführte Erhöhung des Tributs der Bundesgenossen würde ziemlich mit der angegebenen Zeitbestimmung zusammentreffen, da "dieser Streich in den Anfang der öffentlichen Laufbahn des Alkibiades kurz vor den Ol. 88. 3 geschlossenen Frieden des Nikias gehört", wie Böckh ath. Staatshaush. I. S. 431 zeigt. Indessen hat Meier in der comment. de Alcib. quae vulgo fertur oratione contra Alcibiadem. V. so gewichtige Gründe gegen diese ganze Sache vorgebracht, dass darauf nicht einmal viel ankommt. Dass aber während Kleons Vorsteherschaft Alkibiades sich jedenfalls mit einer sehr untergeordneten Rolle begnügen musste, ist begreiflich. Vergl. Büttner Gesch. der polit. Hetairien in Athen S. 57.

18) Plut. Alcib. 8. Isocr.. de big. §. 31. Sie starb bald, Plut. a .a. O. Isocr. a. a. O. §. 45.

19) Vergl. unter andern die Anekdote bei Plut. Alcib. 5. Für die ganze Charakterschilderung sind einzelne Belege unnöthig. Die Hauptteilen der alten und neuen Schriftsteller finden sich bei Hermann Lehrb. d gr. Staatsalt. §. 164, 13, wo man allenfalls noch den Artikel "Alkibiades"

in der Hallischen Encyklopädie von Hand hinzusetzen kann, der aber viele Ungenauigkeiten enthält, zu denen der Verkäufer jetzt wohl nicht mehr stehen würde.

20) Vergl. Buttner Gesch. der Hetairien S. 60, der über dieses Verhältniss des Alkibiades sehr gut spricht. Ich kann daher der Aeusserung von K. F. Hermann in den Jahrh. für wissensch. Kritik 1842 S. 132 Alkibiades sei die grösste aller politischen Wetterfahnen gewesen, nur insofern beipflichten, als er die herrschenden Parteien für seine Zwecke zu benutzen suchte.

21) Damit steht nicht in Widerspruch, dass er eine Hetairie hatte, vgl. Büttner Gesch. der Hetairien S. 60 , 70 und meine Schrift aber die olig. Partei und die Hetairien S. 18. Wachsmuth Hellen. Alterthumsk.

22) Thucyd. V, 45. 46. Plut. Alcib. 14. Nie. 10.

23) Plutarch Nie. 11. Alcib. 13. Theophrast nannte, wie Plutarch sagt, bekanntlich den Phaiax als Gegner des Alkibiades, und dazu kommt noch Andokides nach der angeblichen Rede desselben gegen Alkibiades. Büttner S. 61 vereinigt die Nachrichten und sagt: "In Gefahr dem Ostrakismos zu unterliegen. befanden sich Alkibiades, Nikias, Phäax und Andokides", , wogegen sich aber, namentlich in Hinsicht auf Andokides, sehr gewichtige Bedenken erheben. Wie dem gewesen sein mag, auf jeden Fall war Nikias der ohne Vergleich bedeutendste Gegner, den ich desshalb allein genannt habe. Nur seine Verbannung würde auf den Gang der Ereignisse einen Einfluss geübt haben.

24) Plato Comic. bei Plut. Nie. 11. Ueber die Abschaffung des Ostrakismos oder richtiger über die Gründe, wesshalb er nicht mehr ausgeübt wurde, denn förmlich abgeschafft hat man ihn schwerlich, sprechen Büttner S. 62 und Roscher Tschukyd. S. 380 ff. Anm. 4 sehr gut. Nur glaube ich geht der letztere zu weit, wenn er aus dem Benehmen des Alkibiades während seiner Flucht einen Schluss auf die Wirkung des Ostrakismos macht. Was der zum Tode Verurtheilte, seines Vermögens Beraubte that, das hätte der ehrenvoll auf beschränkte Zeit Entfernte schwerlich gethan. Ueberdies liegt doch offenbar jener Nachricht Plutarchs, man habe den Ostrakismos aus Scham darüber, dass man ihn auf den unwürdigen Hyperbolos angewandt hatte, abgeschafft, etwas Wahres zu Grunde, und sie ist wohl mehr als eine erfundene Anekdote. Die Athener haben wirklich gefühlt, dass sie ihn unwürdig angewandt hatten, das geht aus den angeführten Worten des Platon hervor und selbst aus Thucyd. VIII, 73

Was die Zeit des Ereignisses betrifft, so macht Cobet observ. crit. ad Plat. Com. reliq. p. 143 sehr wahrscheinlich, dass es in Ol. 90 3/4 oder 417 zu setzen sei.

25) Auch abgesehen von der oben berührten Erhöhung des Tributes ergiebt sich das aus manchen Nachrichten. So (Andoc.) contra Alcib. §30. wo wir keinen Grund haben an der Wahrheit der Erzählung zu zweifeln. Plut. Alcib. 12, der ohne Zweifel aus jener Rede geschöpft hat. Athenaeus XII, p. 534. d, der hingegen andere Quellen benutzt hat.

26) In eine genauere Darstellung des Prozesses einzugehen kann hier meine Absicht nicht sein. Man vergleiche über denselben besonders Droysen, des Aristoph. Vögel und die Hermokopiden, Büttner S. 65 fg. auch meine Schrift über die Hetairien S, 19 ff. und Roscher Thukyd. S. 426 ff. Büttner stellt mit Recht den Androkles mehr in den Vordergrund als Droysen und ich gethan hatten; doch ist das, was er S. 69 über die Hetairie desselben sagt, nicht hinlänglich erwiesen; auch Roscher sucht nachzuweisen, dass man diese Vorgänge nicht bloss als ein Ränkespiel der oligarchischen Partei betrachten darf. Eigenthümlich ist ihm besonders die Ansicht, dass die Mysterienaufführung in Privathäusern nicht ein Spass gewesen sei, sondern dass die vornehmen, zugleich philosophisch gebildeten Leute, die dabei betheiligt waren, diese religiöse Handlung von dem grossen Haufen, den sie verachteten, getrennt hätten begehen wollen. Gegen diese Auffassung spricht aber offenbar Thuk. VI, 28. wie ich bereits in der Anzeige von Roscher's Schrift in der Zeitschrift f. A. W. 1843 S. 800 ff. gezeigt habe. Ganz zu verwerfen ist natürlich die Ansicht Chambeau's de Alcibiade p. 39, dass Nikias hinter der ganzen Sache gesteckt habe, um den Alkibiades verhasst zu machen. Ich bemerke hier übrigens, dass mir Chambeau's Schrift leider nicht zur Hand ist und ich diese Notiz nur aus Herrmanns Lehrbuch entnommen habe.

27) Thucyd. VI, 50. Roscher Thuk. S. 475. An und für sich war gewiss der von Lamachos vorgeschlagene Plan der beste.

28) Ich glaube, dass man Unrecht thut, wenn man annimmt, Alkibiades habe gleich von Anfang an mit besonnener Berechnung Athen nur soweit schwächen wollen, als nöthig war, um seine Heimkehr zu erzwingen, dazu wäre er viel zu weit gegangen. Die Worte, die ihm Thuk. VI, 92 in den Mund legt: beweisen dafür nichts, enthalten vielmehr nur einen sophistischen Vertheidigungsgrund gegen den Vorwurf er sei ein Landesverräther. Die schöne Theorie, dass nicht der der wahre Vaterlandsfreund sei, der aus dem Vaterland vertrieben nichts dagegen thue, sondern der, welcher auf jede Weise es wieder

zu gewinnen suche, die bekanntlich auch in unserer Zeit zahlreiche Anhänger hat, war übrigens damals ziemlich allgemein verbreitet, wie unter andern das Beispiel des sonst so trefflichen Syrakusers Hermokrates zeigt. Diodor XIII. 75.

29) Diese Worte bitte ich nicht zu urgiren. Leere Schiffe hatten die Athener in ihrem Seearsenal allerdings noch eine ziemliche Anzahl, aber es war eine bedeutende Zeit zur Ausrüstung und Bemannung erforderlich, wie sich aus dem Anfang des achten Buches des Thukydides ergiebt, Dr. Herbst in der schönen Abhandlung, die Rückkehr des Alkibiades. Hamburg 1843. handelt sehr gut über die damalige Seemacht der Athener S. 50-56.

30) Zunächst wegen seines Verhältnisses zu der Frau des Agis, Timaia. Plut. Alcib. 23. Agesil. 3. de tranquill. animi, p. 467. f. Athenaeus XII. p. 535 b. c. Thucyd. VIII, 45.

31) Das zeigte sich bereits in der Niedersetzung der Behörde der Probulen, welche der spätern Oligarchie vorgearbeitet haben. Vgl. Hermann Lehrb. der gr. Staatsalterthümer §. 166. 11. 12. Schönmann ant. quit jur. publ. Graecorum p. 181, meine Schrift über die Hetairien S. 24. Neuerdings hat freilich Büttner a. a. O. S. 73 es in Abrede gestellt und geradezu behauptet, die Einrichtung der Probulen sei bald wieder verschwunden und das alte demokratische Wesen habe wieder die Oberhand gewonnen, was er einzig darauf begründet, dass nach Thuk. VIII, 65 Androkles an der Spitze des Volks stand. Auch Wattenbach de quadringentorum Athenis factione spricht eine ähnliche Meinung aus. Allein K. F. Hermann hat bereits in der Recension von Büttners Schrift in den Jahrh. f. wiss. Kritik 1842 S. 140, 141 schlagend nachgewiesen, wie unbegründet diese Ansicht ist, da die Stelle aus Aristot. Rhetor. III, 18. 6 allein für die Thätigkeit der Probulen bei Einführung der Vierhundert entscheidet. Nicht weniger bestimmt ist aber ohne Zweifel die sowohl von Hermann als von mir a . a . O. angeführte Stelle Lys. adv. Erat. §. 65, welche Büttner S. 76 Anm. etwas rasch abweist und unrichtig auffasst, dieselbe lautet nach der Lesart der Hdsch. Büttner sagt nun, aus dieser undeutlichen und wahrscheinlich verdorbenen Stelle könne man nichts Anderes ersehen, als dass Theramenes Vater zu den Probulen gehört und seinen Sohn zum Feldherrn ernannt habe. Ueberdies führe Lysias selbst als Grund an, dass Theramenes von guter Gesinnung gegen den Staat beseelt erschienen sei

Allein die Worte sagen ganz deutlich, es habe Hagnon die geht und die bekannte Bedeutung des ränkevollen Betreibens, Machinirens hat. Die Worte besagen aber nicht, er sei der Demokratie sondern der Sache der Oligarchie wohlwollend gewesen. Ein Verderbniss endlich, das jedoch auf den ersten Theil des Satzes keinen Einfluss hat, scheint allerdings in der vulgata zu sein, namlich αντον, wofür Sauppe ohne Zweifel richtig αντών aufgenommen hat, womit jede Schwierigkeit schwindet. Also Lysias sagt jedenfalls, Hagnon habe als Probule die Einführung der Oligarchie betrieben. Eine andere Frage ist, ob Lysias der sehr oft aus Parteileidenschaft Unwahres berichtet, hier glaubwürdig sei und dies wird durch die Uebereinstimmung mit den andern Nachrichten sehr wahrscheinlich. Für die Fortdauer der Probulen spricht übrigens auch deutlich genug die Lysistrata des Aristophanes.

32) In dieser ganzen Sache haben sehr verschiedene Motive, meist persönlicher Art, zusammengewirkt; namentlich wollte Alkibiades, als er den Tissaphernes nicht auf die Seite der Athener bringen konnte, doch den Schein seines Einflusses bei dem Satrapen retten und stellte daher den Abgeordneten der Oligarchen so drückende Bedingungen, dass die Unterhandlungen scheitern mussten, Thucyd. VIII, 56. Allein anderseits hatten auch die Oligarchen den Alkibiades nie aufrichtig gewünscht, sondern nur als Werkzeug gebrauchen wollen, wie das Thucyd. VIII, 63. deutlich ausspricht Hingegen scheint Alkibiades jetzt wirklich eine mässige Beschränkung der Demokratie für heilsam angesehen zu haben. Ueber die sämmtlichen Ereignisse vom Herbst 412 bis zur Rückkehr des Alkibiades nach Athen selbst ist jetzt die Schrift von Herbst, die Rückkehr des Alkibiades. Hamburg 1843. zu vergleichen. Ueber die Thätigkeit der Hetairien bei diesen Vorgängen Büttner a. a. O. S. 72 ff.

33) Xenoph. Hell. I, 2, 15-17. Plut. Alcib. 29.

34) Dies besonders bei der Eroberung von Selybria Plut. Alcib. 30.

35) Wenn ich Unterfeldherrn sage, so bezeichne ich damit das faktische Verhältniss, man vergl. nur den dem Alkibiades nicht günstigen Xenoph. Hell. I, 1, 13. ff. Alkibiades war vom Heere in Samos zum Feldherrn ernannt worden mit den frühern aber doch gleich so, dass man ihm die Leitung des Kriegs übertrug Thucyd. VIII. 82. Dass diese Ernennung nach dem Sturze der Vierhundert in Athen selbst betätigt worden sei, sagt zwar Thucydides nirgends ausdrücklich, doch liegt wenigstens eine faktische Bestätigung der vom Heere vorgenommenen Wahl in den

Schlussworten des Kap. 97. womit übereinstimmt Diod. XIII, Lys. pro bon. Aristoph. 52. Corn. Nep. Alcib. 5. Die erste förmliche in Athen vorgenommene Wahl des Alkibiades zum Feldherrn scheint die von Xenophon. Hell. I, 4, 10. erwähnte zu sein, worauf der Beisatz hindeutet.

36) Diodor. XIII. 52. 53. Die von Sparta gebotenen Bedingungen machten freilich eine Herstellung der athenischen Herrschaft unmöglich, da es wollte, dass alle Städte der Macht bleiben sollten in deren Besitze sie damals waren. Darum darf man den Widerstand, den Kleophon dem Frieden entgegenstellte, ihm nicht zu schwer anrechnen, wenn auch die Verwerfung im Hinblick auf die spätern Ereignisse als ein Unglück erscheint.

37) Raum und Zeit gestatten mir nicht in eine chronologische Untersuchung hier einzutreten. Ich halte aber die Annahme von Krüger zu Clinton, auf die auch ich durch eigene Forschung gekommen bin, trotz manchen entgegenstehenden Nachrichten für richtig. Die Einnahme von Byzanz wird also in das Ende des Jahres 409, des Alkibiades Rückkehr nach Athen in den Juni 408, die Absetzung des Alkibiades in das Jahr 407, wahrscheinlich im Laufe des Sommers, fallen. Auch die neuesten Untersuchungen von Herbst a. a. O. 50-61 haben mich nicht eines andern überzeugen können; da er die Einnahme von Byzanz auch 409, die Rückkehr des Alkibiades aber 407 setzt, so möchte ich hier bloss fragen, was denn dann Alkibiades während eines ganzen Jahres gethan hätte? Hier wäre wohl der Vorwurf der Unthätigkeit begründet gewesen. In den Worten Xenophons I, 5, 1. bezieht sich nach meiner Meinung nur auf das in den §§. 21-23 Erzählte, nicht wie Herbst erklärt, auf Alles vom §. 8 an.

38) Ueber die Rückkehr des Alkibiades sind die Angaben des Xenoph. Hell. I. 4. 8 ff. Diodor. XIII. 68. 69. Plutarch. Alcib. 32. 33. 34. Athenaeus XII, p. 533. , in Einzelnen etwas abweichend, in der Hauptsache stimmen sie überein. Die 200 eroberten oder zerstörten feindlichen Schiffe sind natürlich als runde Zahl zu fassen. Herbst rechnet a . a. O. S. 56 nach, dass die Zahl der eroberten Schiffe mit Abzug der wiederverlorenen 114 betrug. Zu diesem sind aber noch die zerstörten zu rechnen, wie z. B. die sämmtlichen 20 syrakusischen, welche die Mannschaft nach der Schlacht bei Kyzikos in Brand steckte, von denen aber die Athener gewiss auch Ueberreste als Siegeszeichen mitnahmen. Ueberdies möchte ich bezweifeln, dass jedes genommene oder zerstörte feindliche Schiff uns bekannt sei.

39) Schon Clinton fast. hell. zum Jahr 407 hat gezeigt, dass die Worte bei Xenoph. I, 4, 21 im Widerspruche mit Xenophons Erzählung selbst sind, der ihn am 25 Thargelion einlaufen und bei der Jakchosprocession also am 20 und 21 Boedromion noch in Athen verweilen und erst dann sich für die Abfahrt rüsten lässt. Es ist statt ohne Zweifel zu lesen.

40) Daraus weisen bereits Cornel. Nep. vit. Alc. 7. Plut. Alcib. 35. ohne Zweifel aus der nämlichen Quelle wahrscheinlich Ephoros, schöpfend hin.

41) Kallikratides folgt dem Lysandros im Flottenbefehl im Herbst; einige Zeit vor ihm scheinen die zehn Feldherren ihr Amt angetreten zu haben. Demnach wird die Schlacht bei Notion wohl in den Anfang des Sommers 407 zu setzen sein, da zwischen derselben und der Ankunft der zehn Feldherren noch einige Zeit verging, was sich besonders aus Plutarch. Alc. 36. ergiebt.

42) Die bei verschiedenen alten Schriftstellern erwähnten Vorwürfe, die man dem Alkibiades machte, sind alle höchst unbedeutend und konnten ihm eben so gut früher gemacht werden, wo man ihn vergötterte. Sein Umgang mit Hetären u. dgl. konnte nach den Begriffen jener Zeit keinen hinlänglichen Grund zu Klagen geben, sobald er sich dadurch von der Erfüllung seiner Feldherrenpflicht nicht abhalten liess, was durchaus unerwiesen ist. Die Klage hinsichtlich Kyme, welche Diodor XIII. 73. erwähnt, und Corn. Nep. Alc. 7. ziemlich abweichend erzählt, wäre allerdings, wenn ganz constatirt. bedeutender. Allein ähnliche Erpressungen auch bei befreundeten Städten kamen doch im Drange des Kriegs oft vor, und wäre die Sache in der That so bedeutend gewesen, so würde gewiss bei Xenophon, und gar bei dem ihm so sehr übelwollenden Lysias derselben Erwähnung gethan sein. Auffallend ist aber, dass er damals beim Heere nicht mehr Anhänglichkeit gefunden hat. Vergl. Xen. Hell. I, 5, 17. Es scheint, dass theils der höhere Sold, den Lysandros durch die Unterstützung des Kyros zu zahlen vermochte, theils die Umtriebe seiner Gegner ihm beim Heere geschadet hatten. Wie die Verständigen und vaterländisch Gesinnten in Athen urtheilten, zeigen die Frösche des Aristophanes. Sonderbar ist übrigens wie Hand in der Hall. Encyclopädie sagt: "er musste sich der Feldherrenwürde entsetzt halten." Er war es in der That. Xen. Hell. I, 5, 16. Diod. XIII, 74. Plutarch. Alcib. 36. Lysand. 5 τόν Corn. Nep, 7. Die vollkommen unwahren Verläumdungen des Lysias in der Rede gegen Alkibiades hinsichtlich seines Benehmens bei Aigospotamos habe ich natürlich gar nicht berücksichtigt.

43) Ueber seinen Tod weichen die Nachrichten in Einzelnheiten etwas

von einander ab, vergl. Plutarch. Alc. 28. 29. Nep. Alc. 9. 10. Diodor. XIV, 11. Athenaeus XIII, p. 574, d. e. f. Justin. V, 8.

44) Dass der Vater des Lysandros Aristokritos und nicht, wie Plutarch wenigstens nach dem jetzigen Text ihn nennt, Aristokleitos hiess, beweisen Inschriften. Vgl. Böckh im C. J. p. 86 und die Inschriften p. 150. 151. 152. C. Keil Analecta Epigr. et Onomat. p. 61.

45) Plutarch. Lysand. 2. Aelian. v. h. XII, 43. Phylarch. bei Athen. VI. p. 271. e. f. Höchst wahrscheinlich war die Mutter des Lysandros eine Helotin und er von dem Vater als σΰντςοφος des Libys, seines Halbbruders, erzogen und von Aristokritos adoptirt worden. Müller Doriet II. S. 46. C. F. Herman Antiqu. Lac. p. 132. 133, welcher die von Sievers Gesch. Griechenlands vom Ende des pel. Kriegs S. 29. erhobenen Zweifel widerlegt. Wenn Böckh im Corp. Inscr. p. 86. die Nachrichten, dass Lysandros von Herakleidischem Geschlecht und dass er Mothax gewesen, so vereinigen wollte, dass er wegen seiner Verdienste in die hylleische Phyle ausgenommen worden sei, so hat er dabei übersehen, dass nicht erst er, sondern bereits sein Vater dem Geschlechte der Herakleiden beigezählt wird, von dessen Verdiensten sonst nichts bekannt ist. Man vergl. auch K. H. Lachmann die spartan. Staatsverf. S. 295. und Schoemann antiq. p. 112.

46) Ueber Lysandros handelt im Ganzen sehr gut Sievers a. a. O. S. 28 ff. Vgl. K. H. Lachmann a. a. O. S. 290. Wenn ich ihm vorzugsweise eine revolutionäre Tendenz zuschreibe, so denke ich damit keineswegs nur an seine Pläne in Sparta, sondern auch an sein oligarchisches Umwälzungssystem in den übrigen griechischen Staaten.

47) Theopomp. bei Athen. XII, p. 543. b. Ganz übereinstimmend Plutarch. Lys. 2. Und es lässt sich keine einzige Thatsache anführen, welche auch nur von ferne damit in Widerspruch stände. Athenaeus I I, sagt nun freilich Πανσανίαν δε χαί Λνσαςον έπί τςνφή διαβοήτονς γενέδαι δζεδόν πάντες ίδτοςονδι, er nennt aber von diesen δχεδόν πάντες, keinen, führt auch kein Beispiel an, er der doch mit so grossem Behagen jedem ungewöhnlichen Manne seine menschlichen Schwachheiten nachrechnet. Die Zusammenstellung mit Pausanias macht mir daher wahrscheinlich, dass jene δζεδόν πάντες mehr das Geschick des Lysandros sich den Sitten der Asiaten und asiatischen Griechen anzubequemen und sein despotisches Wesen im Auge hatten, als eigentliche Schwelgerei.

48) Plut. Lys. 2. 16. 17. 18. 30. Vgl. Xenoph. Hell. 1, 5, 6. Dass die bei Plutarch erhaltene Erzählung des Anaxandridas über eine kleine in Delphi niedergelegte Summe, auch wenn sie wahr ist, dagegen nicht in Betracht kommen kann, hat Sievers a. a. O. S. 29 schon bemerkt.

49) Diodor. XIII, 104. Plutarch. Lysand. 8. 19. Apophth. Lacon. p, 229. e . Polyaen I, 45, 1 . Nach Diodor würde das Ereigniss vor die Schlacht bei Aigospotamos fallen. Plutarch im c. 19 scheint es nach derselben zu setzen, denn trotz der abweichenden Zahlen ist ohne Zweifel bei beiden dasselbe gemeint. Aehnliche Treulosigkeit hat er in Thasos gezeigt. Polyaen 1, 45, 4. Nepos. Lys. 2.

50) Dass es übrigens dem Lysandros nicht an persönlicher Tapferkeit fehlte, brauche ich kaum zu erwähnen. Er hat es bei Haliartos bewiesen.

51) Wenn ich sage, er strebte nach eigener Herrschaft in Sparta, so bitte ich das nicht so zu verstehen, als ob er von Anfang an an eine Umwälzung gedacht hätte. Zuerst genügte ihm wohl die auf seiner persönlichen Bedeutung und den Hetairien beruhende faktische Herrschaft, und erst als er sehen musste, wie prekär diese sei, bildete sich der Plan zur Erringung der Königswürde aus.

52) Die Verbindung des Lysandros mit den Clubs, und seine ganze cubistische Thätigkeit kann kaum genug hervorgehoben werden. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass der peloponnesische Krieg in den letzten Jahren einen so wilden und grausamen Charakter angenommen hat. Was von Athen kurz vor der Revolution der vierhundert Thukydides erzählt, dass Niemand dem Andern mehr traute, das wird mehr und mehr in allen Bundesstädten der Fall, und die durch Lysandros herbeigeführten Oligarchien sind die rücksichtslosesten Gewaltherrschaften gewesen, welche wir in der griechischen Geschichte kennen. Vgl. meine Schrift über die Hetairien S. 32. 33. Büttner hat die Gestaltung, welche das Hetairienwesen seit Lysandros Auftreten annimmt, in seiner Schrift zu wenig berücksichtigt, die Hauptstellen sind bei Plut. Lys. 5. 13. 26. Diodor. XIII, 70. Ueber den Athener Aristoteles, vgl. Xen. Hell. II, 2, 18. 3. 2. 13. 46. Ob mit diesem der bei Thuc. Ill, 105 genannte Feldherr, der ein Sohn des Timokrates heisst und der bei Andoc. d. myster. §. 48 genannte Vater eines Charmides ein und derselbe ist, wage ich nicht zu entscheiden. Der Oligarche, später ein Mitglied der Dreissig, war wie die meisten seiner Meinungsgenossen ein philosophisch gebildeter, geistreicher Mann. Plato Parmen. p. 126. c. Diog. Laert. IX, 34. Proclus zum Parmenides giebt nichts.

53) Ueber die Zeit vergl. die Anmerkung 27 und Krüger zu Clinton fast. hell. 409.

54) Anfangs handelte Kyros allerdings im Auftrage seines Vaters, aber bereits beim erstes Besuche wusste Lysandros ihn zu weitern Unterstützungen zu bringen. Xenoph. I, 5. 6. 7. Plut. Lys. 5. Diod. XIII, 70. Im Anfange, als die Athener so bedeutende Erfolge am Hellespont gehabt hatten, lag es auch im persischen Interesse ihnen entgegenzutreten; die Spartaner aber so zu unterstützen wie Kyros that, war entschieden gegen dasselbe, wie der Erfolg bald gezeigt hat, das sah Kyros ohne Zweifel selbst ein, er wollte sich aber die Hülfe Sparta's für die Empörung gegen seinen Bruder sichern. Offenbar haben aber auch die feinen Schmeicheleien des Lysandros viel gewirkt (Plut. I. I.), sonst hätte er nicht dessen Nachfolger, den Kallikratidas, ohne Unterstützung gelassen. Auf den ächt orientalischen Despotenstreich, die Ermordung zweier leiblicher Vetter, Autoboisakes und Mitraios, weil sie ihm nicht eine dem Könige allein gebührende Ehre erwiesen (Xen. Hell. II, 1, 8. g.), hat bereits Forchhammer die Athener und Sokrates S. 38 aufmerksam gemacht. Was den Ruhm des Kyros hauptsächlich begründet hat, ist ohne Zweifel eine gewisse persönliche Liebenswürdigkeit gewesen, mit der er Untergebene und Bekannte zu gewinnen und an sich zu fesseln wusste und mit der er auch den Xenophon bestach; und bei der groben Versunkenheit des persischen Hofes in jener Zeit, mochten die Eigenschaften, die an ihm gerühmt werden, bedeutender scheinen, als sie es in der That waren; diesen Eindruck macht die bekannte Lobrede des Xenoph. Anab. I. 9. Es fallen einem dabei fast unwillkührlich die von verschiedenen europäischen Reisenden einem aufrührerischen Satrapen unserer Zeit gespendeten Lobspruche ein.

55) Plut. Lysand. 9. Diod. XIII, 104. Xenophon sagt von der Fahrt des Lysandros nach Attika kein Wort, ohne Zweifel weil sie ohne alle Folgen war. Scheibe die oligarch. Umwälzung will diesen ganzen Zug als auf Missverständniss des Plutarch beruhend beseitigen, hat aber dabei übersehen, dass Diodor an der auch von ihm citirten Stelle ihn ebenfalls vor das Einlaufen in den Hellespont und der Schlacht bei Aigospotamoi setzt.

56) Xen. Hell. Il, 2, 6. 3, 6. 7. Plut. Lys. 14. Sievers Gesch. Griechenl. S. 20. Scheibe die oligarch. Umwälzung zu Athen. S. 30.

57) Plutarch. Lys. 18 nennt den Choirilos, Antilochos, Antimachos aus Kolophon und Nikeratos aus Herakleia, so wie den Kitharoden Aristonus. Vgl. Athen. XV. p. 696 c.

58) Plut. I. I. Athen. I. I. Danach ist Bernhardy zu berichtigen, der im Grundriss der griech. Litteratur II. S. 450 sagt, der

Missbrauch Päane auf Menschen zu dichten, beginne erst mit den Diadochen.

59) Ueber die Thätigkeit des Lysandros und die Orte seines Aufenthaltes zwischen der Schlacht bei Aigospotamoi und der Herstellung der Demokratie in Athen giebt uns kein Schriftsteller vollständige Nachrichten, dagegen ergänzen Xenophon, Diodor, Plutarch und Lysias einander gegenseitig, und trotz einiger Widersprüche und der etwas verwirrten Angaben des Plutarch, der besonders Lysand. 14 offenbar Späteres, wie die Eroberung von Samos, gleich vorweg erzählt, lässt sich wohl ziemlich sicher Folgendes annehmen. Nach der Schlacht bei Aigospotamoi nimmt Lysandros Sestos, Diod. XIII. 106. Plutarch. Lys. 14. Byzanz und Chalkedon Xen. Hell. II, 2. 2. Dann fahrt er nach Lesbos, bringt Mytilene auf spartanische Seite und schickt den Eteonikos mit zehn Schiffen in die Gegend von Thrakien, ές τά έπί Θςάχμς χωςία. Alle bis dahin zum attischen Bund gehörigen Städte treten zu Sparta, ausser Samos. Hier schlug das Volk vielmehr einen Versuch, sich an Sparta anzuschliessen, nieder, und hielt sich in der festen Stadt. Es scheint nun. dass Lysandros bereits jetzt die Stadt zu nehmen versuchte. Diodor. XIII, 106. Auf jeden Fall aber verweilte er nur kurz davor, denn er hatte bereits nach Dekeleia an Agia und nach Sparta berichtet, dass er mit der Flotte vor den Peiraieus kommen werde, und deshalb die Könige Athen zu Lande einschliessen möchten. Vielleicht hatte er mit dieser Nachricht bereits den Gylippos mit einem Theil der Beute nach Sparta gesandt, wofür Diodor XIII, 106. spricht, während Plutarch Lys. 16. das erst nach der Uebergabe von Athen geschehen lässt. Vor Samos liess Lysandros ohne Zweifel jetzt gleich eine Flottenabtheilung zur Einschliessung oder doch Beobachtung zurück; denn während er berichtet hatte, er werde mit 200 Schiffen kommen, kommt er wirklich nur mit 150. Xen. Hell. II, 2, 7. vergl. mit II, 2, 9. die 50 zurückgebliebenen werden also wohl zum grössten Theil gegen Samos verwendet worden sein. Mit den 150 Schiffen nimmt Lysandros dann Aigina, verwüstet Salamis und legt sich vor die Häfen Athens. Xen. a. a. O. §. 9. Nach Xenophon scheint es nun, als ob Lysandros die ganze Zeit bis zur Uebergabe der Stadt, in der Nähe derselben geblieben sei, da Theramenes um die Stadt zu beobachten über drei Monate bei ihm verweilt. Xen. a. a. O. §. 26. Nach Plutarch c. 14 wäre er dagegen, während die Athener Widerstand leisteten, wieder nach Asien gegangen, doch verdient hier Plutarch kaum Glauben, da er die Uebergabe von Samos in diese Zeit setzt, die ganz bestimmt erst später statt hatte. Auf jeden Fall ist Lysandros bei der Uebergabe der Stadt zugegen, am 16 Munychion. Xen. a. a. O. §. 23. Plut. Lys. 15. Aber er verweilt

nicht lange dort, sondern begiebt sich. natürlich nachdem er sich der Stadt hinlänglich versichert, nach Samos, von wo ihn vor der Eroberung später die Oligarchen nach Athen holen lassen, damit er die Verfassungsfrage entscheide. Lys. adv. Erat. 71-75. Wenn Diod. XIV. 2. 3. ihn erst nach der Eroberung von Samos nach Athen gehen lässt, so ist er im offenbaren Widerspruch mit Xenophon. In Athen angekommen lässt Lysandros jetzt die Mauern schleifen und bleibt bis die Dreissig eingesetzt sind. Xenoph. II, 3, 3. Darauf kehrt er nach Samos zurück, das sich nun ergiebt Xen. II, 3, 6. Plutarch c. 16. lässt ihn wohl irrig nach Einsetzung der Dreissig nach Thrakien gehen. Nach der Feier von mancherlei Siegesfesten in Samos entlässt er die Flotte der Bundesgenossen, und führt die lakedaimonischen Schiffe in die Heimath, indem er nun die noch im Peiraieus befindlichen attischen Schiffe mitnimmt, die bereits früher übergeben waren. Xenoph. a. a. O. §. 8. Bei seinem nunmehrigen Aufenthalt in Sparta hat er das Ansuchen der Dreissig um eine Besatzung unterstützt. und bewirkt, dass sie gewährt wurde. Er blieb aber wieder nicht lange daselbst, sondern wurde ausgesandt, um die Verhältnisse der Bundesstädte zu ordnen. Diod. XIV, 3. 10. In diese Zeit fallen seine Willkührlichkeiten und Gewaltthaten in Asien und seine Streitigkeiten mit Pharnabazos, wovon Plut. Lys. 19. erzählt. Dass diese Dinge nicht früher zu setzen geht ganz sicher aus der Hinrichtung des Thorax hervor, den Lysandros zum Hermosten über Samos gesetzt hatte und der also nicht schon früher hatte hingerichtet werden können. Lysandros wurde nun zurück berufen, und reiste, nach einem Aufenthalte von wenigen Tagen in Sparta zum Orakel des Ammon. Plut. Lys. 20. Von da nach Sparta zurückgekehrt bewirkt er, dass man die Dreissig gegen den zurückkehrenden Thrasybul unterstützt und ihn selbst als Feldherrn aussendet. Das geschah erst nachdem die Dreissig Athen verlassen und sich in Eleusis festgesetzt hatten, Xenoph. Hell. II, 4. 28. 29. also im Sommer 403. Auf eine speziellere chronologische Auseinandersetzung kann ich mich hier nicht einlassen. Man vergl. Scheibe, die olig, Umwälzung S. 28 ff. und S. 166. Peter comment. critica in Xen. Hell. p. 42. H. Weissenborn. Hellen. S. 197. fg. Sievers S. 379. denen ich jedoch in manchen Punkten nicht beistimmen kann.

60) Plut. Lys. 26 Das ist während der Reise zum Ammon, dass aber bereits vorher sich eine starke Opposition gegen ihn gebildet hatte, geht aus der Hinrichtung seines Freundes Thorax hervor. Plut. Lys. 19. Ueber des Pausanias Neid Xenoph. Hell. II, 4. 29. Sievers Geschichte von Griechenland S. 31 ff.

61) Ueber die Klagen des Pharnabazos und die Reise zu Ammon. Plut. Lys. 19. 20. Schon bei dieser Reise hat Lysandros das Orakel des Ammon zu gewinnen gesucht, wenn Ephoros Angaben richtig sind. Die Versuche bei den Orakeln in Delphi und Dodona sollen nach demselben schon vorher stattgefunden haben Plutarch. a. a. O. und c. 26. und Diodor XIV, 13. Vgl. Anm. 67 und 72. Xen. Hell. II 4, 39 ff. Plut. Lys. 21.

62) Scheibe a .a. O. p. 126-132. Pausan. III, 5, 1 . 2. Agis tritt nach der Rückkehr des Pausanias aus Attika ihm entgegen.

63) Sievers a. a. O. S. 32. Wenn er bemerkt, Plutarch (Lysand. 21. vgl. Apophth. reg. et imp. p. 190. e. Apophthegm. Lacon. 229. d.) suche diese Lücke in der Geschichte des Lysandros zu füllen, durch übermüthige Aussprüche, welche er sich gegen die Argeier, Megarer, Boioter und Korinthier erlaubt habe und dann fragt, wann aber Lysandros in dieser Zeit durch das Gebiet der Boioter gegangen sei und wann einen Angriff auf Korinths Mauern gemacht haben könne, so thut er offenbar Unrecht die Anekdoten gerade in diese Zeit zu verlegen, davon sagt Plutarch nichts. Von einem Angriff auf Korinth unter des Lysandros Führung wissen wir freilich auch sonst nichts, doch könnten auch andere Befestigungen der Korinthier sein, und es läßt sich dabei an die Zeit denken, wo Lysandros den athenischen Oligarchen zu Hülfe zog, oder wo er mit Agesilaos nach Asien ging. Beidemal weigerten die Korinthier und Boiotier sich Theil zu nehmen. Auf einen bloßen Durchzug durch das korinthische Gebiet läßt auch der in den Apophth. Lae. gebrauchte Ausdruck schließen.

64) Hauptstelle ist dafür Xen. Hellen. III, ,4, 2. v Plutarch Ages, 6. Sievers S. 22 sucht aus Xenoph. Hell. III. 2. 9. nachzuweisen, daß kurz vor Agesilaos Zug nach Asien als Derkyllidas befehligte, die Dekarchien noch bestanden hätten, und vermuthet ihre Auflösung habe in Zusammenhang gestanden mit der Forderung des Tissaphernes und Pharnabazos, daß die Harmosten entfernt werden sollten. Allein seine Gründe sind nicht überzeugend, vielmehr war dies als Reaktion gegen die Macht des Lysandros, wahrscheinlich früher geschehen vgl. Anm. 61.

65) Plutarch Lys. 2. vgl. Sievers S. 32.

66) Ueber den Plänen des Lysandros liegt bekanntlich großes Dunkel, was nicht zu verwundern ist, da sie nie zur Ausführung kamen und überdies solche Dinge in Sparta mit großer Sorgfalt verheimlicht wurden,

daher sagt Aristoteles Polit. V, 1, 5. aber die Zusammenstellung mit Pausanias zeigt, daß er bei aller Dunkelheit im Einzelnen die Umwälzungspläne im Ganzen für begründet hielt. Daß die uns erhaltenen Nachrichten bei Plutarch und Diodor hauptsächlich aus Ephoros entnommen sind, hat Sievers S. 28. 29. Anm. 25 gut nachgewiesen. Doch hat Plutarch mehrere Quellen benutzt, wie die Anführung abweichender Nachrichten darüber ob er nur allen Herakleiden oder allen Spartanern das Königthum habe eröffnen wollen, beweist. Lys. 24. Wie schon oben Anm. 62 angeführt worden ist, soll Lysandros bereits zwischen der Eroberung von Athen und der Rückkehr des Thrasybul die Orakel zu bearbeiten unternommen haben, es versteht sich aber wohl von selbst daß er in dieser Zeit der Zurücksetzung nur um so mehr über seinen Plänen brütete.

67) Daß Lysandros nicht allein den Agesilaos in seinen Ansprüchen unterstüzt, sondern zu denselben veranlaßt habe, sagt ganz bestimmt Plutarch. Lys. 22. Xen. Hell. III, 3. 4. Daß dieser im Agesil. 1, 5. von Lysandros kein Wort sagt ist begreiflich. Corn. Nepos. 1 . Ueber die Geburt des Leotychides vgl. Xen. II, 3, 2. Plutarch Lys. u. Ages. 1. 1. Alcib. 23. de tranquill animi 467. f. Pausan. III. 8, 7. der am günstigsten für Leotychides ist. Athen. XIII. 467. f. — Mit Recht macht Sievers S. 32. auf die Hinneigung des Agesilaos für das Hetairienwesen aufmerksam, das desselben tritt auch in Xenophons Enkomium sehr hervor. Daß Lysandros die Haupttriebfeder der Absendung des Agesilaos nach Asien war spricht auch Xenophon sehr bestimmt aus Hell. III, 4, 2. vgl. Pausan. XII, 9. Plutarch. Lys. 23. Ages. 6.

68) Xenoph. III, 4, 7-10. Plutarch. Ages, 6. 7. 8. Quaest. conviv. p. 644 B. Lysand. 23. 24. — Daß Xenophon im Agesil. von diesen Dingen ganz schweigt ist ein Beweis, daß selbst er an dem Benehmen des Agesilaos nichts zu rühmen fand.

69) Xen. Hell. III, 4. 8. Plut. a. d. a. O.

70) Er bewog den vornehmen Perser Spithridates mit bedeutendem Anhange zum Abfalle von Pharnabazos Xen. Hell. III. 4, 10. Plut. 8. Lys. 24. Im Agesil. macht Xenophon dem Angesilaos aus

dieser Sache ein großes Verdienst, ohne ein Wort von Lysandros zu sagen. Nach Plutarch a. d. a. O. scheint es, als ob er nach diesen Dienstleistungen nach Sparta zurückgegangen sei, , ohne Zweifel ließ Agesilaos ihn nicht gerne in einer ziemlich unabhängigen Stellung wirken.

71) Plutarch. . a. d. a. O. bringt die völlige Ausbildung der Revolutionspläne in bestimmte Verbindung mit dem Zerwürfniß zwischen ihm und Agesilaos, wofür auch der natürliche Zusammenhang spricht.

72) Diodor XIV. 13. Plut. Lys. 24. Ages. 8. Cornel. Nep. 3. die oben angeführten Worte des Agesilaos besagen nichts anderes und finden ihre Erklärung in denen des Diodor .

73) Sievers Gesch. von Griechenland. S. 34 ff. die Ephoren waren ihm in Attika und bei den Bundesgenossen feindlich entgegengetreten. vgl. Anm. 65. Xen. Hell. II. 4, 20. 36. 38.

74) Anm. 62. Com. Nep. Lys. 3. Er stellt die Sache so dar, als ob der Versuch bei Ammon kurz vor der Schlacht bei Haliartos gefallen wäre. eine Annahme für die allerdings mehreres anzuführen ist, wenn nur nicht Plutarch und Diodor so bestimmt dagegen wären. Es wäre aber möglich daß Lysandros bei seiner ersten Anwesenheit beim Orakel des Ammon dort nur Verbindungen angeknüpft und erst später den mißglückten Versuch gemacht hätte.

75) Plut. Lysand. 26. Diese Geschichte beweist, wenn sie wahr ist, daß Lysandros seinen Plan Jahre lang verfolgte.

76) Plut. Lys. 25. Corn. Nep. Lys. 4.

77) Den ganzen bereits sehr unterhöhlten inneren Zustand des damaligen Sparta stellt Sievers S. 23 ff. gut dar. vgl. C. F. Hermann antiquitat. Laconic. III. u. IV.

78) Das ungeduldige Angreifen des Lysandros hatte seinen Grund wohl theils in dem persönlichen Grolle gegen Boiotien, das seit der Ueberwindung Athens ihm überall in den Weg getreten war, theils in der Absicht die Stadt vor der Ankunft des Pausanias zu erobern, der in Folge der Auffangung eines Boten durch die Thebaner nicht zur rechten Zeit eintraf.

79) Der Eindruck, den der Tod des Lysandros und die schmähliche Rückkehr des Pausanias in Sparta machten, war außerordentlich stark, und wie sehr zu Gunsten des Lysandros erkennt man daraus, daß gegen Pausanias wieder sein Benehmen bei der Herstellung der athenischen Demokratie, in Hinsicht auf welches er freigesprochen worden war, unter die Klagepunkte aufgenommen wurde. Xenoph. Hell. III. 5. 35. Vergl. Plutarch Lys. 30. Pausan. III, 4, 5. Diod. XIV, 81. Den Nachrichten dieser Schriftsteller zufolge erscheint der König ziemlich unschuldig. Nach

Plutarch war ein Bote von den Thebanern aufgefangen worden und nach der Schlacht bei Haliartos war die Stellung der Spartaner zwischen den an Zahl überlegenen Thebanern und Athenern höchst bedenklich. Aber freilich standen Spartas Heere zu Lande noch im Rufe der Unüberwindlichkeit und der Abzug des Pausanias erschütterte den Kriegsruhm und damit die Macht Spartas mehr, als irgend ein früheres Ereignis. Vergl. Sievers S. 65.

80) Plut. Lysand. 30, der sich auf Ephoros bezieht. Apophth. Lacon. p. 230 a.

81) Cornel. Nepos. Lys. 1.

82) In dieser Beziehung wird man fast unwillkührlich an den Koryphäen der französischen Revolution, an Mirabeau erinnert, der den sprechendsten Beleg dafür ablegt, wie ausserordentlich hinderlich selbst dem genialsten Staatsmanne bei den besten Absichten der "schlimme Ruf einer wüsten Jugend" und der Mangel "einer völlig reinen Lebenslage ist. Zu einer solchen völlig reinen Lebenslage konnte auch Alkibiades es nie bringen. Vergl. Dahlmann Geschichte der französ. Revolution S. 245. 322 und besonders die schöne Würdigung des grossen Mannes S. 325. 326.

Beilage. Stammtafel des Alkibiades von väterlicher und mütterlicher Seite.

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