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KRISENRECHT

REKTORATSREDE

GEHALTEN AM 20. NOVEMBER 1936
VON
ROBERT HAAB
BASEL 1936
VERLAG HELBING & LICHTENHAHN

Hochansehnliche Versammlung!

Wir feiern das 476. Stiftungsfest unserer Universität in einer Zeit schwerer wirtschaftlicher Bedrängnis. Drohend erhebt überall die Krise ihr Haupt. Alle Bereiche unseres Lebens zieht sie in Mitleidenschaft. Auch das Recht ist von ihr nicht verschont geblieben. Angesichts der Art und der Intensität der gegenwärtigen Krise haben sich staatliche Eingriffe zum Zwecke der Krisenbekämpfung nicht vermeiden lassen. Da aber alle staatliche Intervention notwendigerweise mit den Mitteln und in den Formen des Rechtes stattfinden muß, ist aus der Krise heraus ein besonderes Krisenrecht geboren worden. Obschon die Verfassung und die Gesetze äußerlich scheinbar unberührt dastehen, vollzieht sich unter der Einwirkung dieses Notrechtes Schritt für Schritt ein Wandel des inneren Gefüges und Gehaltes unserer Rechtsordnung. Der Jurist verfolgt die Entwicklung, die sich anbahnt, nicht ohne Sorge. Daher mögen Sie dem Vertreter des schweizerischen Privatrechtes, dem die Ehre zuteil geworden ist, das Amt des Rektors unserer Universität zu bekleiden, gestatten, Ihnen in seiner Rektoratsrede einige Gedanken über das Krisenrecht vorzutragen. Das Problem ist äußerst komplex. Neben der juristischen hat es auch eine wirtschaftliche und eine politische Seite. Daß es an dieser Stelle ausschließlich vom Standpunkte der Rechtswissenschaft aus betrachtet wird, versteht sich von selbst.

I.

Jede Wirtschaftskrise, wie immer sie beschaffen sein mag, ist für die Rechtsordnung eine Periode der Prüfung auf ihre Bewährung. In normalen Zeitläuften treten in der Regel nur die juristisch-technischen Unvollkommenheiten der Gesetzgebung zutage; diese können gewöhnlich, ohne daß das Eingreifen des Gesetzgebers notwendig wäre, durch eine bewegliche und anpassungsfähige Rechtsprechung korrigiert werden. Wirtschaftlich außerordentliche Verhältnisse dagegen lassen die materiellen Mängel der bestehenden Ordnung offenbar werden. Daher geben Wirtschaftskrisen oft den Anstoß zur Änderung und Fortentwicklung des Rechtes. Sie dürfen geradezu als ein Ferment der Rechtsbildung bezeichnet werden, das die ihrer Natur nach konservative Rechtsordnung vor Verknöcherung und Erstarrung bewahrt. Dafür, daß wirtschaftliche Erschütterungen dem Gesetzgeber neue Wege weisen, enthält das moderne schweizerische Recht sprechende Belege. Das Pfandbriefgesetz verdankt seine Entstehung der Entwicklung des Zinsfußes während der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Desgleichen ist das heute so wichtige und wertvolle Gläubigergemeinschaftsrecht aus den Erfahrungen der Kriegszeit herausgewachsen. Auch die gegenwärtige Krise hat zum Ausbau der Bundesgesetzgebung beigetragen. Unter ihrem Drucke ist ein altes Postulat, das in Krisenzeiten immer wieder auftauchte, nämlich der Erlaß eines Bankengesetzes, verwirklicht

worden. Die Lehren der jüngsten Vergangenheit haben unsere Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des Grundkapitals der Aktiengesellschaft vertieft. Gestützt darauf sind die Bestimmungen des Entwurfes zum Obligationenrecht über die Kapitalreduktion, die sich in den Bahnen der Tradition bewegten, preisgegeben und durch eine auf modernen Konzeptionen beruhende Ordnung ersetzt worden. Die derzeitige Lage der Landwirtschaft veranlaßt die Schaffung einer besonderen Agrargesetzgebung. Nach den vorliegenden Entwürfen soll für landwirtschaftliche Grundstücke eine Belastungsgrenze eingeführt und die Anwendung des bäuerlichen Erbrechtes obligatorisch erklärt werden, eine Ordnung die noch vor zehn Jahren jedermann von sich gewiesen hätte. Auch die Behebung verschiedener, erst in den letzten Jahren akut gewordener Unzulänglichkeiten des Bürgschaftsrechtes drängt sich auf. Manches andere wird noch folgen.

Die gegenwärtige Krise weist indes bei juristischer Betrachtung ein besonderes Gepräge auf. Sie hat nicht nur zu einer organischen Fortentwicklung des Rechtes durch Korrekturen und Ergänzungen der bisherigen Gesetzgebung geführt. Vielmehr ist, was schon angedeutet wurde, ein besonderes Krisenrecht entstanden, das alle Gebiete wirtschaftlicher Betätigung in seinen Bann zieht und oft ohne Rücksicht auf die innere Harmonie der Rechtsordnung als eines in sich geschlossenen Ganzen neue Rechtssätze schafft und bestehende aufhebt oder modifiziert. Es hat zum Gegenstande — um nur einige Beispiele zu nennen —Maßnahmen zum Schutze einzelner Wirtschaftszweige, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Förderung des Exportes, die Regelung des Handels und des Zahlungsverkehrs mit dem Auslande, Währungsmassnahmen, die Ueberwachung der Preise, den Schutz des

notleidenden Schuldners, die Erschließung neuer Finanzquellen zur Bestreitung des stets wachsenden Aufwandes des Gemeinwesens. Dieses Krisenrecht, das dem Beschauer ein Bild geradezu verwirrender Mannigfaltigkeit bietet, befindet sich in einem Zustande fortwährender Gärung und Bewegung. Kaum vergeht ein Tag, der nichts Neues bringt. Ein Ende ist nicht abzusehen.

II.

Trotzdem wir danach inmitten einer längst nicht abgeschlossenen Entwicklung stehen, ist es heute schon eine theoretisch und praktisch lohnende Aufgabe, die geltende Notgesetzgebung des Bundes in ihren Zusammenhängen zu betrachten und sie auf ihre charakteristischen Merkmale zu prüfen.

1. Das Krisenrecht unterscheidet sich vom übrigen Bundesrecht zunächst durch seine Entstehungsquelle. Es kommt nämlich ohne Mitwirkung des Volkes zustande, insofern es durchweg auf dringlichen Bundesbeschlüssen beruht. Auch diese Bundesbeschlüsse enthalten keine abschließende Ordnung. Vielfach begnügen sie sich, wie beispielsweise auf dem Gebiete des Fiskalrechtes, mit der Formulierung allgemeiner Prinzipien und überlassen die Ausführung dem Bundesrate. Für einzelne Materien wird sogar davon abgesehen und dem Bundesrate eine generelle Vollmacht zur Rechtssetzung eingeräumt. Unter Berufung auf eine solche Ermächtigung, nämlich auf Art. 53 des Finanzprogrammes, hat der Bundesrat bekanntlich die folgenschwerste aller Krisenmassnahmen, die Abwertung des Frankens beschlossen. Der Bundesrat seinerseits delegiert die ihm übertragenen Rechtssetzungsbefugnisse nicht selten an die Departemente und einzelne Verwaltungsabteilungen weiter. Zu den Bundesbeschlüssen und Bundesratsbeschlüssen

treten daher umfangreiche, mit Gesetzeskraft ausgestattete Verfügungen der Departemente und Abteilungen hinzu, Rechtsquellen, die im Rahmen unseres überlieferten Gesetzesrechtes überhaupt keinen Raum finden.

2. Für das Verhältnis des eidgenössischen Krisenrechtes zur Verfassung ist charakteristisch, daß es sich keineswegs bloß intra constitutionem bewegt und den gesetzesleeren Raum ausfüllt. Nach manchen Richtungen steht es mit der Verfassung im Widerspruche. Oft setzt es sich über die verfassungsmäßige Ausscheidung der Kompetenzen des Bundes und der Kantone hinweg, indem es Rechtssätze enthält, zu deren Erlaß nach dem Wortlaute der Verfassung die Kantone kompetent sind. Aber auch vor den verfassungsmässig garantierten Rechten des Bürgers macht es nicht halt. Ganz besonders in Mitleidenschaft gezogen ist die Handels- und Gewerbefreiheit. Desgleichen wird das Prinzip der Rechtsgleichheit im traditionellen Sinne oft nicht gewahrt. Das hängt damit zusammen, daß das Krisenrecht die Tendenz zur Spezialisierung in sich trägt. Der Staat greift ein, wo die Not am größten ist, manchmal freilich auch da, wo am lautesten geschrien wird. Hieraus ergeben sich notwendigerweise Ungleichheiten, bestehend in der Subventionierung oder anderen Begünstigungen einzelner Wirtschaftszweige, in mannigfachen Abstufungen des Schuldnerschutzes und dergleichen mehr. Dann und wann kommt es vor, daß zwar eine Anordnung an und für sich generellen Charakter trägt, aber in ihren Auswirkungen zu Ungleichheiten führt. Typisch ist die Abwertung des Frankens, welche den einen stärker betroffen hat als den andern. Auch das verfassungswidrige Krisenrecht ist indes verbindlich. Dies mag den Nichtjuristen allerdings seltsam anmuten. Die Erklärung liegt darin, daß der Richter die Bundesgesetze und die allgemein verbindlichen

Bundesbeschlüsse nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen kann. Für die Ausführungserlasse des Bundesrates und der ihm nachgeordneten Instanzen andererseits besteht zwar ein richterliches Prüfungsrecht, jedoch mit wesentlichen Einschränkungen; der Richter hat nur zu untersuchen, ob der Erlaß sich im Rahmen der ihm zugrundeliegenden Ermächtigung hält, was natürlich angesichts der weitgespannten Formulierung dieser Ermächtigungen in der Regel zutrifft. Das über die Beziehungen des Krisenrechtes zur Verfassung Gesagte gilt in verstärktem Maße für dessen Verhältnis zum Gesetz. Fortwährend wird Gesetzesrecht durch Noterlasse abgeändert.

3. Seinem Charakter nach ist das Krisenrecht durchweg zwingend. Zur größten Seltenheit finden sich diapositive Normen, so etwa in dem Beschlusse über eine vom Obligationenrechts abweichende Bewertung einzelner Kategorien von Effekten in der Bilanz der Aktiengesellschaften. Das zwingende Krisenrecht ist ausnahmslos öffentliches Recht. Damit soll indes keineswegs gesagt werden, daß es für den Privatrechtsverkehr unbeachtlich wäre. Im Gegenteil. Das innerste Wesen des Notrechtes liegt gerade darin, daß es Lebensverhältnisse, deren rechtliche Gestaltung bisher der Privatautonomie überlassen war, der öffentlich-rechtlichen Ordnung unterwirft. Daher darf die Ueberflutung der Privatrechtsordnung durch öffentlich-rechtliche Vorschriften geradezu als die für die moderne Rechtsentwicklung typische Erscheinung bezeichnet werden.

3. Der Inhalt des Krisenrechtes läßt sich im Rahmen unserer Erörterungen kaum andeuten, geschweige denn ausschöpfen. Trotz seiner ungeheuren Mannigfaltigkeit kann es doch seinem Inhalte nach in eine ganz einfache Formel zusammengefaßt werden: Beschränkung der Freiheit!

Von diesen Beschränkungen wird alle wirtschaftliche Betätigung betroffen. Sie sind besonders einschneidend für die Ausübung von Handel und Gewerbe, reichen jedoch weit über den gewerblichen Bereich hinaus. Für den Zivilisten bilden die durch das Krisenrecht bewirkten Eingriffe in den Privatrechtsverkehr den Gegenstand besonderen Interesses, aber auch besonderer Besorgnis. Daher sollen bei der Betrachtung des Inhaltes des Krisenrechtes dessen Beziehungen zum Zivilrecht in den Vordergrund gestellt werden.

a) Überaus zahlreich sind die Beschränkungen des Verkehrs mit bestimmten Kategorien von beweglichen Sachen. Hievon ist insbesondere der Handel mit dem Auslande betroffen worden; in mehr denn fünfzig Verfügungen wird für eine Unzahl von Warengattungen die Ein- und Ausfuhr verboten oder von Bewilligungen abhängig gemacht, d.h. kontingentiert. Ausnahmsweise beziehen sich Maßnahmen dieser Art auch auf den Inlandshandel. So darf die Milch nicht bei einem beliebigen Produzenten, sondern nur im natürlichen Einzugsgebiete des Verbrauchsortes bezogen werden. Diese Beschränkungen haben alle Geschäfte — Kauf, Tausch, Schenkung — zum Gegenstande. In andern Fällen äußert sich die Verkehrsbeschränkung in dem Verbote einzelner Geschäfte. In Gold und Devisen ist der An- und Verkauf auf Termin sowie die Belehnung verboten; der Kassakauf dagegen ist erlaubt. Vereinzelt steigert sich die Beschränkung sogar dahin, daß eine bewegliche Sache außer Verkehr gesetzt wird. Dies ist generell mit Bezug auf die deutschen Reichsmarknoten geschehen. Eine Außerverkehrsetzung einzelner Sachen durch Verwaltungsverfügung ist möglich in der Form der Beschlagnahme. Diese wird durch die Preiskontrollvorschriften vorgesehen und hat zur Folge,

daß der Berechtigte das Verfügungsrecht verliert und Kauf- und Tauschgeschäfte, die er über die beschlagnahmte Ware schließt, nichtig sind. Das neueste Krisenrecht endlich ergreift auch den Immobiliarverkehr. In der Absicht, die Spekulation mit Bauerngütern und die infolgedessen zu befürchtende Überzahlung zu verhindern, hat der Bundesrat kurze Zeit nach der Abwertung Art. 218 des Obligationenrechtes dahin abgeändert, daß landwirtschaftliche Liegenschaften während einer Frist von sechs Jahren von der Eintragung des Erwerbers im Grundbuche an weder als Ganzes noch in Stücken weiterveräußert werden dürfen.

b) Der Natur der Sache nach ist unter dem Gesichtspunkte des Zivilrechtes das Verhältnis des Krisenrechtes zur Vertragsfreiheit als einem Grundpfeiler unserer Rechtsordnung von besonderer Bedeutung. Auch hier bahnen sich tiefgreifende Wandlungen an.

Zunächst mit Bezug auf die sog. Abschlußfreiheit. Danach steht jedermann die freie Entschließung darüber zu, ob und mit wem er kontrahieren will. Das Krisenrecht dagegen begründet in einzelnen Fällen einen Kontrahierungszwang. Bei der einen Gruppe von Tatbeständen wird die Wahl des Gegenkontrahenten dem Verpflichteten überlassen; es genügt, wenn überhaupt ein Vertrag mit dem vom Gesetzgeber gewollten Erfolge geschlossen wird. Dieser Form des Kontrahierungszwanges bedient sich das Krisenrecht zur Förderung des Absatzes der inländischen Produktion; so sind z. B. die Viehproduzenten gehalten, in einem bestimmten Verhältnis inländische Futtermittel zu beziehen; die Weinimporteure werden zum Bezuge bestimmter Quantitäten inländischen Weines verpflichtet. Bei der andern Gruppe von Tatbeständen wird auch die Person des Gegenkontrahenten

bezeichnet. Die im Anschlusse an die Abwertung zum Zwecke der Niederhaltung der Preise erlassenen Verfügungen auferlegen den Fabrikanten von für den Inlandabsatz bestimmten Produkten die Pflicht, ihre bisherigen Abnehmer im bisherigen Umfange weiter zu beliefern. Das Pächterschutzrecht sieht vor, daß der Verpächter dazu verhalten werden kann, mit seinem Pächter auf die Dauer von vier Jahren einen neuen Pachtvertrag einzugehen. Ähnliche Erscheinungen finden sich auf dem Gebiete des Korporationsrechtes. Milchproduzenten können gezwungen werden, sich Genossenschaften anzuschließen. Umgekehrt wird dem Produzenten, der einer Genossenschaft angehört, verboten, aus Gründen, die mit der Handhabung der Vorschriften über die Milchversorgung zusammenhängen, aus dieser auszutreten. Erfolgt der Austritt aus andern Motiven, so bleibt die Lieferungspflicht bestehen. Dasselbe gilt für das Verhältnis der Genossenschaften zu den ihnen übergeordneten Verbänden.

Noch schwerwiegender sind die Eingriffe des Gesetzgebers in die Gestaltung des Vertragsinhaltes. Nur pro memoria sollen zunächst die durch die Fiskalgesetzgebung verursachten indirekten Beeinträchtigungen der Vertragsfreiheit erwähnt werden. Sie bestehen darin, daß die Beteiligten infolge des stets wachsenden Druckes direkter und indirekter Abgaben bei der Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse oft nicht die privatwirtschaftlich zutreffende, sondern diejenige Lösung wählen müssen, die steuerlich als am günstigsten erscheint. Unmittelbare Eingriffe in die Vertragsfreiheit finden sich erstmals auf dem Gebiete der Uhrenindustrie und der Milchwirtschaft. Hier galt es, die Außenseiter dem Verbandszwange zu unterwerfen. Das Mittel dazu bildete die Allgemeinverbindlicherklärung der Verbandsbestimmungen über die Preisbildung,

die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen. Von allgemeiner Tragweite ist der Bundesbeschluß betr. die Überwachung von Warenpreisen vom 20. Juni 1936, der freilich durch die drei Monate später im Gefolge der Abwertung getroffenen, noch erheblich schärferen Verfügungen überholt worden ist. Diese Verfügungen schließen —hoffentlich nur vorübergehend — auf weiten Gebieten die Vereinbarung des Kaufpreises zwischen Käufer und Verkäufer schlechthin aus. Sie sehen sogar noch weitere Eingriffe in die Vertragsfreiheit vor. Zum Zwecke der Durchführung der Reglementierung der Preise kann nämlich das Volkswirtschaftsdeparternent private Abreden über Preise und preisbestimmende Faktoren abändern, aufheben oder allgemein verbindlich erklären.

Neben den Regeln über den Vortragsinhalt haben auch diejenigen über die Vertragserfüllung große Änderungen erfahren. Da die Abwertung die Einführung des gesetzlichen Kurses der Banknoten zur Folge hatte, kann der Gläubiger einer Geldschuld entgegen den Bestimmungen des Münzgesetzes nicht mehr Zahlung in Münzen verlangen, vielmehr befreit sich der Schuldner durch Leistung von Banknoten. Dies gilt für alle im Inlande in inländischer Währung zu erfüllenden Verbindlichkeiten. Noch wesentlich weitergehende, tief in das materielle Recht eingreifende Sondernormen bestehen für die Schuldverhältnisse, bei denen die eine Partei in der Schweiz, die andere dagegen in einem Staate domiziliert ist, mit dem ein Verrechnungsabkommen hat geschlossen werden müssen. Diese Abkommen haben zur Folge, daß der Schuldner, auf welche Währung der Vertrag lauten mag, stets in der Währung des Einzahlungslandes zahlen muß, daß ihm also das gesetzliche Recht genommen wird, zwischen der vertraglichen Valuta und der Landesmünze

zu wählen. Der Gläubiger andererseits muß sich in der Valuta des Auszahlungslandes befriedigen lassen, auch wenn der Vertrag eine Effektivklausel enthält. Lautet die Forderung auf eine fremde Währung, so muß sie in die Währung des Einzahlungsstaates umgewandelt werden, und zwar entgegen dem Obligationenrecht, das auf den Verfalltag abstellt, zum Kurse im Zeitpunkte der Einzahlung ins Clearing. Diese Einzahlung ihrerseits befreit den Schuldner nicht; die Tilgung tritt erst mit der vielleicht nach Monaten erfolgenden Auszahlung an den Gläubiger ein. Das Währungsrisiko der Zwischenzeit trägt also der Schuldner. Was dies für den schweizerischen Schuldner bedeuten kann, der vor dem 26. September gezahlt hat, dessen ausländischer Gläubiger dagegen erst nachher die Zahlung empfängt, liegt auf der Hand. Diese Abkommen haben die weitere Konsequenz, daß eine Forderung nur mit Zustimmung der Verrechnungsstelle durch Kompensation getilgt werden darf und daß die Anweisung praktisch ausgeschlossen ist, wenn der Wohnsitz des Anweisenden im einen Staate, derjenige des Angewiesenen und des Anweisungsempfängers dagegen im andern Staate sich befindet. Auch die Rechtssätze über die Zession, die Schuldübernahme, die Solidarität und den Vertrag zugunsten Dritter sind durch die Clearingverträge beeinflußt worden.

c) Der Vollständigkeit halber sind auch die mannigfachen Einschränkungen der Gläubigerrechte durch die besonderen Nachlaßvertragsmaßnahmen des Krisenrechtes hervorzuheben. Danach kann der Gläubiger nicht bloß gezwungen werden, Kurrentforderungen zu stunden oder dem Schuldner einen teilweisen Erlaß zu gewähren. Möglich ist auch die Stundung von Pfandforderungen, die Verschlechterung des bisherigen Pfandrechtsranges, eine Aufhebung oder Reduktion der Verzinsung, die Umwandlung

des festen Zinsfußes in einen variablen Zinsfuß, die Abfindung der Gläubiger durch Mitgliedschaftsrechte, wie Prioritätsaktien und Genossenschaftsanteile.

5. Die Vollziehung des Krisenrechts liegt der Verwaltung und zwar in erster Linie der Bundesverwaltung ob. Deren Aufgaben und Kompetenzen nehmen infolgedessen ständig zu. Die Machtfülle, die das Krisenrecht einzelnen Verwaltungszweigen, insbesondere dem Volkswirtschaftsdepartement einräumt, erscheint verglichen mit dem bisherigen Recht geradezu exorbitant. Nach dem Bundesratsbeschluß vom 27. September über die Kosten der Lebenshaltung hat es die erforderlichen Vollzugs- und Strafbestimmungen zu erlassen. Es kann Schutz- und Hilfsmaßnahmen gegenüber einzelnen Firmen ändern oder aufheben, private Abreden über die Preisbildung modifizieren, sie ungültig oder aber allgemein verbindlich erklären, die Namen derjenigen publizieren, die zu hohe Preise fordern, Waren beschlagnahmen und Bußen bis zu 20,000 Franken aussprechen. In interkantonalen Lohnstreitigkeiten steht ihm die endgültige Entscheidung zu. Gemäß den praktisch sehr wichtigen Bestimmungen über die Milchversorgung ist es befugt, Organisationen, also insbesondere Genossenschaften aufzulösen und Verträge aufzuheben. Die Abteilung für Landwirtschaft kann in Anwendung dieser Vorschriften Milchlieferungen verbieten, übertriebene Handelsspannen herabsetzen und Exekutionsmaßnahmen treffen. Durch die Erlasse über die Viehhaltung wird sie ermächtigt, die Expropriation übersetzter Viehbestände anzuordnen und zugleich den als Entschädigung zu leistenden Marktpreis zu bestimmen. Dies alles, ohne daß den Betroffenen die Möglichkeit geboten wäre, eine außerhalb der Verwaltung stehende Instanz anzurufen! Für die in Anwendung der Vorschriften

über die Preiskontrolle gefällten Bußen wird ausdrücklich bestimmt, daß die Bußenverfügung des Departements endgültig ist und einem rechtskräftigen Urteil des Bundesgerichtes gleichsteht. Ja noch mehr! Es kommt sogar vor, daß Kompetenzen, die nach dem Gesetz den Gerichten zustehen, Verwaltungsbehörden zugewiesen werden. Während im Nachlassverfahren allgemein die Gerichte zuständig sind, hat der Bundesrat, gestützt auf Art. 53 des Finanzprogrammes, für die Sanierung von Banken von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite besondere, dem Bankengesetze derogierende Bestimmungen geschaffen. Diese übertragen der Bankenkommission, die nach dem Willen des Gesetzes eine bloße Aufsichtsinstanz sein soll, in diesen Sanierungsfällen die Leitung des Verfahrens; von ihr hängt es letzten Endes ab, ob und auf welcher Grundlage die Sanierung zustande kommt.

6. Die Sanktion des Krisenrechtes endlich liegt in einer Unzahl von Strafbestimmungen, auf deren Erörterung hier jedoch verzichtet werden muß.

III.

Wie ist die soeben skizzierte Entwicklung unserer Gesetzgebung aus dem Gesichtspunkte der Rechtswissenschaft zu beurteilen? Die Beantwortung dieser Frage setzt die Abklärung einer Vorfrage voraus. Ist es überhaupt Sache der Jurisprudenz, sich mit dem Krisenrecht auseinanderzusetzen, für dessen Ausgestaltung ja viel mehr wirtschaftliche und politische als juristische Erwägungen maßgebend sind? Die Antwort kann nur bejahend lauten. Die Rechtswissenschaft wird ihrer Aufgabe nicht gerecht, wenn sie sich mit der historischen und dogmatischen Erfassung des vorhandenen Rechtsstoffes begnügt. Sie hat sich auch darüber auszusprechen, wie

das Recht sein soll. Zur Gesetzgebungskritik ist sie besonders befähigt und berufen, weil sie die großen Zusammenhänge überblickt, über das zu einer fruchtbaren Diskussion notwendige historische und rechtsvergleichende Material verfügt und zugleich, wenn sie wirklich wissenschaftlich arbeitet, über dem Widerstreite politischer und wirtschaftlicher Interessengegensätze steht. Die Rechtswissenschaft bürdet sich sogar eine schwere Verantwortung auf, wenn sie schweigt, wo das Reden geboten ist.

1. Im Rahmen der überlieferten Gesetzgebung ist das Krisenrecht ein Fremdkörper, weil es nach Quelle und Inhalt vor der Verfassung nicht standhält. Juristisch läßt es sich freilich, wenigstens für den Moment, unter der Annahme einer auf dem ungeschriebenen Rechte beruhenden Notstandskompetenz der Bundesbehörden halten. Nichtsdestoweniger befinden wir uns insofern in einer eigentlich beängstigenden Situation, als das im letzten Jahrfünft geschaffene, oft tief in die Lebensverhältnisse des Einzelnen eingreifende Recht zum großen Teil außerhalb der Verfassung und der Gesetzgebung steht. Man wird dieses Bedenken mit dem Hinweis darauf zu bagatellisieren versuchen, daß es während des Krieges unter der Herrschaft der Generalvollmachten des Bundesrates nicht anders gewesen sei. Dies ist richtig, beweist aber nichts. Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, daß dem Kriegsnotrecht ein dies certus an als Endtermin gesetzt war. Wer wird heute die Prophezeiung wagen, daß wir in absehbarer Zeit wieder mit sogenannten normalen Verhältnissen werden rechnen können, wie sie vor dem Kriege und in den zwanziger Jahren gegeben waren? Vieles spricht dafür, daß wir es bei dem, was wir heute noch Krise nennen, mit einem Dauerzustande zu tun haben. Ist dem aber so, so läßt sich mit der Berufung

auf den Notstand nicht mehr durchkommen, denn ein Notstand ist seiner Natur nach etwas Vorübergehendes; er kann nicht in infinitum dauern. Was soll geschehen? Jeder Einsichtige ist sich bewußt, daß die Gegenwart an das Tempo der Rechtssetzung besondere Anforderungen stellt und folglich der in der Verfassung vorgeschriebene Weg der Gesetzgebung zu langwierig ist. Daher wird nichts anderes übrig bleiben, als eine Modifikation des Rechtssetzungsverfahrens in dem Sinne, daß der Bundesversammlung eine genau zu umgrenzende Kompetenz eingeräumt wird, im Falle der Dringlichkeit rechtsverbindliche Anordnungen zu treffen. Die Gerichte sollten als befugt erklärt werden, die Noterlasse daraufhin zu prüfen, ob sie sich im Rahmen der Ermächtigung halten. Zudem wären diese Erlasse zu befristen. Ergibt sich, daß der kraft der Dringlichkeitskompetenz gesetzte Rechtssatz in absehbarer Zeit nicht aufgehoben werden kann, so soll er in die ordentliche Gesetzgebung übergeführt werden. Auf die Dauer nicht haltbar ist aber auch das innere Spannungsverhältnis zwischen dem Krisenrecht und der Verfassung. Diese beruht auf den Prinzipien der Freiheit und der Gleichbehandlung aller. Jenes dagegen bringt nichts als Bindungen und nicht selten auch Ungleichheiten. Die gegenwärtige Situation ist auch deswegen stoßend und innerlich widerspruchsvoll, weil der Bund sich an seine eigene Verfassung nicht mehr hält, von den Kantonen dagegen Verfassungstreue verlangt. Wie muß diese Diskrepanz zwischen Verfassung und Krisenrecht vollends auf den Bürger wirken, der täglich Gefahr läuft, mit einer Strafbestimmung irgend einer Departementalverfügung in Konflikt zu geraten? Wenn die Lebensverhältnisse sich in einer Art und Weise geändert haben, daß ihnen die verfassungsmäßige Ordnung

nicht mehr gewachsen ist, läßt sich eine Verfassungsänderung zum mindesten in der Gestalt einer umfassenden Partialrevision nicht mehr aufschieben. Dies ist der Standpunkt des Juristen. Die Frage der politischen Opportunität der Revision liegt auf einer anderen Ebene und ist hier nicht zu erörtern.

2. Ernste Sorge bereitet auch der Umfang des Krisenrechtes. Seit fünf Jahren ergießt sich ein wahrer Strom von Beschlüssen, Verordnungen und Verfügungen über das Land, die fortwährend ergänzt, abgeändert, aufgehoben und durch neue ersetzt werden. Auf dem Gebiete der Preiskontrolle sind, um nur ein Beispiel zu nennen, innerhalb dreieinhalb Wochen ein Bundesratsbeschluß und sieben Departementalverfügungen ergangen. Der Stoff ist auch für den Juristen nachgerade unübersehbar geworden. Wie soll sich vollends der Laie darin zurechtfinden? Und doch halten wir an der Fiktion der Rechtskenntnis fest und lassen die Berufung auf den Rechtsirrtum nicht zu. Unter diesem Übermaße der Rechtserzeugung und der dauernden Unruhe muß das Vertrauen des Bürgers in die Rechtsordnung und damit deren Ansehen Schaden leiden. Von der Volkstümlichkeit des Rechtes ist schon längst nicht mehr die Rede. Daß die durch die Krise verursachte Lage das Eingreifen des Gesetzgebers notwendig machte, bestreitet niemand. Ob es im gegenwärtigen Umfange erforderlich war, steht dagegen auf einem andern Blatte. Eine der Ursachen der gegenwärtigen Hypertrophie der Gesetzgebung liegt, abgesehen von der nun einmal vorhandenen Gesetzesfreudigkeit unserer Zeit, darin, daß nicht nur die Bundesversammlung dem Bundesrate weitgespannte Ermächtigungen erteilt, sondern dieser selbst wiederum an einzelne Verwaltungszweige umfassende Befugnisse zur Rechtssetzung

delegiert hat. Die einzelne Verwaltungsstelle ist aber hiezu denkbar ungeeignet. Sie hat an sich schon einen Hang zum Reglementieren; für jeden Tatbestand wünscht sie eine fertige Lösung, die sie der Mühe der Interpretation enthebt. Daneben bestehen aber auch sachliche Bedenken. Mit Ausnahme der Justizverwaltung fehlt den Administrativbehörden in der Regel der Blick für das Ganze; sie sehen nur ihre konkrete Verwaltungsaufgabe. Zudem denkt die Verwaltung zwangsläufig in öffentlich-rechtlichen Kategorien und hat kein Verständnis für die persönliche Freiheit, weil sie ihrem Wesen nach dazu berufen ist, der Freiheit Zügel anzulegen. Daher wird sie sich bei vielen ihrer Anordnungen, soweit diese das Zivilrecht berühren, der Schwere des Eingriffes gar nicht bewußt. Aus diesem Grunde sollte der Bundesrat die ihm delegierten Rechtssetzungsbefugnisse in seiner Hand konzentrieren und zugleich beschließen, daß alle zu erlassenden Verordnungen, Beschlüsse und Verfügungen, soweit sie Rechtsnormen enthalten, dem Justizdepartemente vorgelegt werden müssen. Das Departement, das von jeher innerhalb der Verwaltung den Kampf ums Recht geführt hat, hätte alle Vorlagen auf ihre juristische Haltbarkeit zu prüfen und dafür zu sorgen, daß das Krisenrecht sich soweit als möglich und mehr, als es geschehen, in den Rahmen der Gesetzgebung einfügt, daß bei dessen Ausgestaltung stets nach den gleichen Prinzipien verfahren wird und daß der innere Zusammenhang der Rechtsordnung gewahrt bleibt. Mit diesem Verfahren wäre zugleich auch für eine juristisch einwandfreie Formulierung Gewähr geboten, was um so notwendiger ist, als viele Sätze des Krisenrechtes vom Standpunkte der Gesetzestechnik aus manches zu wünschen übrig lassen. Ein abschreckendes Beispiel unzureichender

Redaktion bildet die Verfügung des Volkswirtschaftsdepartementes vom 22. Oktober 1936 betr. die Beschlagnahme von Waren, wo bald vom "Besitzer", bald vom "Inhaber", bald vom "Verwahrer"der Ware, bald von "den Beteiligten", aber nie vom Eigentümer als dem zunächst Betroffenen gesprochen wird! Zu beanstanden sind aber auch viele Strafvorschriften, insofern deren Unbestimmtheit schwere Gefahren in sich schließt und zudem auch allen Traditionen unserer Gesetzgebung widerspricht.

3. Von grundsätzlicher Bedeutung ist sodann die Ausgestaltung des Rechtsschutzes. Wie in anderem Zusammenhange ausgeführt wurde, gewährt das Krisenrecht der Verwaltung außerordentliche Kompetenzen. Sie hat Entscheidungen zu fällen, die für den Betroffenen Sein oder Nichtsein bedeuten können. Trotzdem wird unter Vorbehalt des Fiskalrechtes von allen Rechtsschutzgarantien abgesehen. Die Verwaltung entscheidet endgültig; gegenüber den Verfügungen der Preiskontrolle wird sogar der Verwaltungsweg beschnitten. Dieser Zustand steht mit der Bundesgesetzgebung im Widerspruche. In dem Bestreben, dem Bürger gegenüber der Verwaltung den richterlichen Schutz zu gewähren, ist vor acht Jahren eine eidgenössische Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen worden. Danach können bestimmt umschriebene Verwaltungsakte beim Bundesgericht als Verwaltungsgericht angefochten werden. Die gemäß dem Verwaltungsrechtspflegegesetze beschwerdefähigen Entscheidungen sind aber, verglichen mit den Verfügungen, die das Volkswirtschaftsdepartement auf Grund des Krisenrechtes zu treffen hat, zum Teil reine Bagatellfälle. Niemand wird es verstehen, daß die Frage, ob ein Krämer in das Handelsregister einzutragen ist, der Kognition des Bundesgerichtes unterliegt, gegen Verfügungen des Volkswirtschaftsdepartementes dagegen, wonach

Verbände aufgelöst, Verträge aufgehoben und Bußen im Betrage von Tausenden von Franken ausgesprochen werden können, keine Beschwerde an eine außerhalb der Verwaltung stehende Instanz gegeben wird. Daher muß das Krisenrecht Rechtsschutzgarantien schaffen, sei es, daß der Anwendungsbereich der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde an das Bundesgericht ausgedehnt wird, sei es, daß, wie es in der Kriegszeit geschah, besondere Rekursinstanzen eingesetzt werden. Mit diesem Postulate soll die Objektivität der Verwaltung in keiner Weise angezweifelt werden. Es handelt sich denn auch hier viel weniger um den einzelnen Fall, als um das Prinzip des Rechtsstaates, das heute mehr denn je hochgehalten werden muß.

4. Den Zivilisten beunruhigen vor allem die Eingriffe des Notrechtes in die Privatrechtsordnung. Diese ist nämlich gegen gesetzgeberische Experimente besonders empfindlich, viel empfindlicher als das öffentliche Recht. Dies erklärt sich zunächst daraus, daß sie eine viel größere innere Geschlossenheit aufweist und zudem ein kunstvolles System bildet, das in jahrhundertelanger organischer Entwicklung entstanden ist. Angesichts der mannigfaltigen sichtbaren und unsichtbaren Zusammenhänge der einzelnen Privatrechtsnormen gefährdet derjenige, der nur einen Stein herausbricht, den ganzen Bau. Zudem regelt das Privatrecht zweiseitige Rechtsverhältnisse, in denen sich Recht und Pflicht gleichgeordneter Rechtssubjekte gegenüberstehen, während das öffentliche Recht vorwiegend Pflichten, und zwar gegenüber dem Gemeinwesen begründet. Jede Minderung einer privatrechtlichen Pflicht bewirkt folglich zugleich die Minderung des ihr entgegenstehenden subjektiven Rechtes und umgekehrt. Daher sind die Wirkungen aller Eingriffe in das Privatrecht

besonders intensiv. Abrupte und rasch aufeinander folgende Änderungen der Zivilgesetzgebung verbieten sich aber auch aus praktischen Gründen im Hinblick auf die Rechtssicherheit. Wie soll der Kaufmann kalkulieren und disponieren, wenn er sich nicht auf die Stabilität der Rechtsordnung verlassen kann? Wie soll der Gläubiger kreditieren, wenn er nicht darauf vertrauen darf, daß ihm die Rückzahlung seines Kredites gesichert ist? Welche Beunruhigung durch das Krisenrecht in Handel und Wandel hineingetragen wurde, erhellt daraus, daß in letzter Zeit oft schon das bloße Bekanntwerden von Entwürfen den Rechtsverkehr beeinflußt hat. Dies ist beispielsweise auf dem Gebiete des landwirtschaftlichen Kreditwesens mit aller Deutlichkeit zutage getreten. Die Unsicherheit wird dadurch noch erhöht, daß die Frage der zivilrechtlichen Wirkungen der unzähligen durch das Krisenrecht geschaffenen Verbotsgesetze bald geregelt, bald offen gelassen wird Daß einzelne Eingriffe in die Zivilgesetzgebung sich aufdrängen, kann nicht bestritten werden, doch soll dafür, wenn immer tunlich, die Form des Gesetzes gewählt und darauf Bedacht genommen werden, daß die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit möglichst wenig beeinträchtigt wird. Denn wie die Rechts- und Wirtschaftsgeschichte immer wieder lehrt, führt zu einer wahren und dauernden Prosperität niemals der Zwang, sondern allein die Freiheit.

Bei der Erörterung dieser wenigen grundsätzlichen Fragen mag es sein Bewenden haben. Vieles wäre freilich noch zu sagen; denn das Krisenrecht bietet nicht nur als Ganzes, sondern auch in seinen einzelnen Bestimmungen der wissenschaftlichen Kritik große Angriffsflächen. Wir Vertreter der Rechtswissenschaft sind uns

freilich daran gewöhnt, daß man in der Praxis alles, was man nicht gerne hört, mit dem Schlagworte "Theorie" abzutun pflegt. Daher werden auch die gegen das Krisenrecht geäußerten Bedenken mit der Begründung beiseite geschoben werden, daß gegenüber dringenden Bedürfnissen des Lebens doktrinelle Überlegungen zurückzutreten hätten. Diese Argumentation verkennt indes, daß bei der Ausgestaltung des Krisenrechtes nicht nur Fragen der juristischen Technik im Spiele stehen. Letzten Endes geht es um die Idee des Rechtes selbst. Auch das Vertrauen des Rechtsgenossen in die Sicherheit, die Kontinuität und die innere Harmonie seiner Rechtsordnung und das Bewußtsein, daß die Rechtsanwendung mit den nötigen Rechtsschutzgarantien umgeben ist, bilden ein Kapital, von dem man nicht ungestraft zehrt. Daher mögen diejenigen, auf deren Schultern die schwere Last der Verantwortung ruht, sich vorsehen, daß nicht das Recht der Krise zu einer Krise des Rechtes und des Rechtsempfindens des Volkes führe.