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DIE BEVÖLKERUNG UND DIE BEVÖLKERUNGSPOLITIK BASELS SEIT DEM 15. JAHRHUNDERT

REKTORATSREDE

GEHALTEN AM 18. NOVEMBER 1938
VON
FRITZ MANGOLD
BASEL 1939
VERLAG HELBING & LICHTENHAHN

Buchdruckerei Friedrich Reinhardt AG., Basel

Hochansehnliche Versammlung!

Im folgenden soll versucht werden, die zahlenmäßige Entwicklung der Bevölkerung Basels und die Änderungen in ihrem Aufbau seit etwa 600 Jahren festzuhalten, sowie die Bevölkerungspolitik der städtischen Behörden in dieser Zeit zu verfolgen. Es kann sich nicht um mehr denn eine Skizze handeln, um Mitteilungen, die dem Fachmann im einzelnen bekannt sind, weitere Kreise aber, wie sie sich hier zusammengefunden haben, im Zusammenhang erkennen lassen, wie klein die Volkszahl Basels bis ins 19. Jahrhundert gewesen ist, wie Bevölkerungsproblems in unserer Stadt früher gelöst worden sind, wie man sie heute löst, da wir menschlicher geworden sind, und da wir doch auch Rückfälle in die Anschauungen des ausgehenden Mittelalters erleben.

Unsre städtische Bevölkerung! Seitdem sie gezählt wird, ist es leicht, Zahl und Art zu ermitteln, und seit 1871, da Eheschließungen und Ehelösungen, Geburten und Sterbefälle vom Zivilstandsamt registriert und hernach statistisch verarbeitet werden, kann auch die natürliche Bewegung der Bevölkerung bestimmt und der Überschuß an Geborenen oder Gestorbenen errechnet werden. Melden sich Zu- und Wegziehende pflichtgemäß beim Kontrollbureau an und ab, so läßt sich auch der Wanderungsüberschuß oder -Verlust feststellen und endlich eine Bevölkerungsbilanz aufmachen. Über solche Wanderungsstatistiken verfügen heute Basel, Bern und Zürich.

Volkszählungen sind bis ins 18. Jahrhundert selten gewesen. Wir kennen solche aus den Jahren 1444-1477 aus Freiburg im Uechtland, Nürnberg, Straßburg und Konstanz, in erster Linie durchgeführt zur Feststellung des Bedarfs an Lebensmitteln, aber mit heutigen Zählmethoden nicht vergleichbar.

Für Städte ohne Zählungen haben Historiker und Statistiker versucht, aus Steuerlisten, Mannschaftsrodeln, ja aus der Zahl der Sitzplätze in den Kirchen und aus andrem mehr auf die Volkszahl zu schließen. Sie haben oft daneben gegriffen und sich von der Größe unsrer bedeutenden Städte sehr übertriebene Vorstellungen gemacht. Nur die Anwendung der statistischen Methode führt zu annehmbaren Ergebnissen. Schätzungen müssen kritisch behandelt werden.

Die Einwohnerzahl Basels ist von Arnold nach der waffenfähigen Mannschaft für die Blütezeit der Stadt, im 14. und 15. Jahrhundert auf 40000-50000 Personen geschätzt worden. Falckhner und Ochs übernehmen aus Wurstisens Basler Chronik, daß im Jahr 1349 14000 Einwohner an der Pest gestorben seien, das heißt ein Drittel der gesamten Bevölkerung — und doch hat die Einwohnerschaft damals 10000 kaum überstiegen. Oser nimmt für das 15. Jahrhundert 30000 Personen an, während der Konzilszeit mehr, und Andreas Heusler in seiner Verfassungsgeschichte 25000. Hätten sich etwa die im Jahre 1918 in Basel an der Grippe Gestorbenen, ohne jegliche amtliche Zahlenangabe oder die einer Festlichkeit auf dem Münsterplatz Zuschauenden schätzen lassen? Eneas Sylvius hat sich wohl verrechnet, als er annahm, 50000 Personen hätten der Krönung des Papstes im Jahr 1439 in Basel beigewohnt. Alle diese Schätzungen waren falsch.

Erst Gustav Schönberg, vor 70 Jahren Inhaber unsers Lehrstuhls für Nationalökonomie und Statistik, hat auf

Grund der Basler Steuerrodel annehmbar errechnet: für 1446 (während des Konzils) 9000-12000 und für 1454 (nach dem Konzil) 6300-8400 Personen.

Selbst mit der geistlichen Bevölkerung und den Bettlern dürfte die Einwohnerzahl während des Konzils kaum 14000-15000 überschritten, d. h. 5000 mehr als vorher erreicht haben. Wohl hat in den Männerklöstern mancher neue Strohsack Platz gehabt, doch überlege man: das heutige Wettsteinviertel mit seinen Miethäusern hat 1930 5000 Personen gefaßt, und da hätten 5000 Menschen im damaligen Basel zusätzlich Platz gehabt haben sollen!

Schönberg bestimmt die Volkszahl während des 15. Jahrhunderts auf 6000-9000. Zürich mag um jene Zeit 6000 Einwohner gezählt haben. Albrecht Burckhardt hat in seinem Rektoratsprogramm höhere Zahlen errechnet. Schon für 1401 14500 (nach Schönberg 8000-10000), für 1601 errechnet Burckhardt 15400 Personen. Jedenfalls hat Basel innert zwei Jahrhunderten wenig an Einwohnern gewonnen. Und wenn nach Burckhardt in den folgenden 50 Jahren um die 8400 Personen an Seuchen erlegen sind, so scheint es kaum glaublich, daß die Einwohnerzahl nicht nur 7000, d. h. 15400 minus 8400, sondern wieder 11000 betragen haben soll.

Gleichgültig, wie die Hunderter sich gestaltet haben, gewiß, daß Basel in den 400 Jahren von 1400 bis 1800 nur um weniges an Einwohnern zugenommen hat. Gewiß auch die Ergebnisse der ersten Basler Volkszählung von 1779 mit rund 15000 Einwohnern. Somit zur Erhärtung meines Textes: Von 1400-1779, also innert fast 400 Jahren, um die 14000-15000 Einwohner, eher weniger als mehr.

1758 ließ Isaak Iselin bekanntlich seine "Freimüthigen Gedanken über die Entvölkerung unserer Vaterstadt" erscheinen. Aber noch im Jahr 1815 waren es bloß 16700

Einwohner und dann 21000, 22000 und schließlich 27000 um 1850. Man möchte annehmen, die Zuwanderung sei durch die bis 1858 noch geltende Zunftverfassung abgehalten worden, doch hatte sich früher schon eine ordentliche Industrie entwickelt und der Handel zusehends sich ausgedehnt. Immerhin mag die im Jahr 1858 erfolgte Streichung des Artikels 11 der Kantonsverfassung von 1846, der die Einführung der Gewerbefreiheit verboten hatte, manchem Handwerker aus der Landschaft den Weg in die Stadt geebnet haben. 1856 war die Schweizerische Centralbahn gegründet und Basel nach Norden, nach Osten und nach Süden angeschlossen worden, waren neue Banken und Versicherungsgesellschaften entstanden.

Der Sprung der Volkszahl um 11000 von 1850 bis 1860 war recht beachtenswert; nachher waren es 44000, 60000 und 70000 Einwohner, soviele im Jahr 1888. Dann aber von 1888 bis 1900 eine Zunahme von 39000 Personen und bis 1910 nochmals von 23000, also statt 70000 132000 (in 22 Jahren); heute 170000. Die Ursache dieses Zuwachses um 62000 Köpfe ist für uns eine nicht genügend erklärbare Erscheinung.

Er hat um 1895 eingesetzt, dann aber in einem für Basel unerhörten Maße. Erst jährlich 3000, dann 4000, dann 5000 Personen mehr, weiter 4700, 4500, 4200, also in 6 Jahren allein 25000 mehr; dann verebbt der Strom ein wenig.

Man stelle sich vor, was dergleichen für unsre Stadt bedeutet hat. Diese Massen mußten wohnen können. Sie brauchten Nahrungsmittel, Kleider, Ausrüstungsgegenstände. Es waren viele Junge darunter, Heiratslustige; es steigt die Zahl der Eheschließungen, wie die der Geburten, und sinkt verhältnismäßig jene der Todesfälle; denn die Bevölkerung war jünger geworden. Es steigen aber auch die Bodenpreise, es blüht der Weizen der Boden- und Häuserspekulanten.

Das Baugewerbe begann, sich in einem die Bedürfnisse weit übersteigenden Ausmaße zu entwickeln. Die Gesamtpreise der verkauften Liegenschaften hatten von 1891-1894 im Mittel 25 Millionen Franken betragen, in den folgenden Jahren waren es 44, 59, 48 und 63 Millionen Franken. Waren 1891 200 Häuser erstellt worden, so 1897 beinahe 400. Im Jahre 1937 im ganzen Kanton mit einer doppelt so starken Bevölkerung wieder nur 200.

Einzelne Straßen Groß- und Kleinbasels wurden zu Italienervierteln. Man nannte die Gegend hinter dem alten Badischen Bahnhof das "Wilde Viertel". In den Außenquartieren schossen die drei- und vierstöckigen Miethäuser empor. Schulhausbauten verschlangen vermehrte Gelder; damals war es, als man wagte, vor das Münster das bekannte Schulhaus zu stellen. Die Schülerzahl stieg nach und nach und erreichte mit 23000 im Jahr 1915 ihr Maximum. 1929 waren es —Folgen des Geburtenrückganges — nur noch 15700. Man stelle sich diese gewaltigen Verschiebungen mit ihrem tiefgehenden Einfluß auf die gesamte Staatsverwaltung und das wirtschaftliche Leben der Stadt vor.

Diese mächtige Wanderwelle hat sich auch über Zürich und über eine Menge von deutschen Städten ergossen. — Was hat diese Massen hauptsächlich hergeführt? War es der Beginn einer guten Konjunktur? Die Kurve der Preise war ja seit dem Wiener Krach von 1873 gefallen und hatte 1895 wieder anzusteigen begonnen. — Den Wandernden waren aber auch keine Schranken gesetzt. Sie kamen mit dem Geld ihrer Währung, der Mark, der Lira, dem französischen Franken herein; all das war ja unter der Herrschaft der lateinischen Münzunion möglich. Zunächst sei beiläufig bemerkt, daß das fremdländische Element, vor allem Deutsche und Italiener, die Hauptmasse der Einwanderer

gestellt hat. Die Stadt wurde überfremdet. Wenn heute zwei Dutzend fremder Studenten im 1. Semester hierher kommen möchten, spricht man von Überfremdung.

Es wurden im Kanton Basel-Stadt gezählt:
Ausländer Zunahme
Jahr Schweizer und Heimatlose Schweizer Ausländer Zusammen
1860 28991 11689
1870 33550 14210 4559 2521 7080
1880 42983 22118 9433 7908 17341
1888 48539 25210 5556 3092 8648
1900 69446 42781 20907 17571 38478
1910 84817 51101 15371 8320 23691
1920 102715 37993 17898 -13108 4790
1930 125295 29735 22580 - 8258 14322

Als der Krieg ausbrach, hatten die dienstpflichtigen Deutschen und Franzosen einzurücken; im Jahr 1915 holte man die Italiener, usw., so daß die Volkszählung von 1920 nur noch 38000 Ausländer statt 51000 wie 1910 ermittelte. Aber immer noch war das Verhältnis der Kantonsbürger zu den Nichtbürgern 61000 : 80000, d. h. 3 : 4 und 1930 noch 74000 : 80000, d. h. 42 und 58%.

Im Aufbau der Bevölkerung hat sich noch andres geändert, als nur die Heimatzugehörigkeit, u. a. die konfessionellen Verhältnisse. Die altprotestantische Stadt hatte 1837 85% Protestanten gezählt. 1930 waren es noch 63%. Die Katholiken hatten damals 15 % der Bevölkerung betragen, 1930 aber 30%.

Weniger stark fällt das Anwachsen der Judenschaft auf. Vor 100 Jahren saßen in Basel ihrer 126, seit 1910 stets um die 2500, d. i. ein Ansteigen von 0,5%auf 1,8%; dazu würden jene Juden zu zählen sein, die auf den Zählkarten keine Konfession angeben oder sich zu einer andern bekennen.

Andre Wandlungen in der Struktur der Volksmasse bis heute seien bloß angedeutet: die Verschiebungen in den Altersklassen, die wachsende Zahl der Verheirateten — die Bevölkerung ist seßhaft geworden, und es wandern wenig Ledige mehr ein —, die Zunahme des Frauenüberschusses bei den Ausländern. Dann eine Änderung in der Siedelung: nämlich das Wachstum der Behausungsziffer von 12,3 im Jahr 1870 auf 14,8 im Jahr 1900 und wieder das Sinken bis zum Jahr 1930 auf 10,3 in der Stadt, dieses als Folge des Rückgangs des Mietkasernenbaus. Auf die Änderung in der beruflichen Gliederung sei bloß hingewiesen. Wir kennen, auch ohne Zählung, das mähliche Schrumpfen der Zahl der Seidenband- und der Schappearbeiter, das Anwachsen der in chemischen Fabriken Tätigen und den Rückgang der Bauarbeiter, die wachsende Zahl der im Handel, in Banken und in Versicherungsunternehmungen Erwerbenden; das Wachstum der Verkehrsanstalten, der öffentlichen Verwaltung mit ihrem Personal, usw.

Im einzelnen würde eine Untersuchung große Verschiebungen in der sozialen Gliederung der Bevölkerung feststellen können. Wir wissen ja: das alte Basel der Seidenbandherren geht verloren; die Direktoren der großen Aktiengesellschaften geben dem Ganzen ein neues Gepräge. — Die politischen Verschiebungen, die sich aus der Zunahme der arbeitenden Klassen ergeben haben, seien lediglich pro memoria genannt.

Auch das Stadtbild ist anders geworden. Erst hat die Mietkaserne das zwei- und dreistöckige Wohnhaus verdrängt; dann folgte nach dem Krieg die Zeit der Genossenschaftsbauten und Einfamilienhäuser und seit einigen Jahren ersteht das sogenannte bessere Miethaus und das Apartment-House. Man baut heute wieder in die Höhe und mit allem Komfort. Das ist alles schön, aber es verteuert

die Lebenshaltung. Die Preise für Zweizimmerwohnungen als die für Basel typische Arbeiterwohnung (zu 240 bis 360 Franken in den 1890er Jahren) bewegen sich heute zwischen 500 und 900 Franken. Dem entsprechen höhere Löhne. Es geht alles durchweg ins Größere.

Das Bild wäre unvollständig, wenn die Wandlungen in der Bevölkerungsbewegung außer Betracht blieben.

Der Rückgang der Lebendgeborenen von 35%0 der Bevölkerung im Jahr 1875, auf 30%0 im Jahr 1900 und gar auf 10,4 %0 im Jahr 1937 bedeutet einen Ausfall von vielen Zehntausenden. Die wirtschaftlichen Folgen wolle man sich ausmalen.

Die Sterbefälle sinken von 21,6 %0 auf 10,3 %0. Klar, daß Gevatter Tod auf die Dauer im Vorsprung bleibt. Infolgedessen Rückgang des Geburtenüberschusses von 14,9 %0 (1875) auf 1,6 %0, d.h. im Jahr 1900 1400 Personen, 1937 noch 185. Die Bevölkerung erhält sich somit kaum mehr aus eigener Kraft, und wenn nicht ein Wanderungsüberschuß aushilft, geht sie zurück. Die Wanderungen sind wohl noch erheblich — es kommen und gehen insgesamt jährlich um die 15000 — aber im letzten Jahr z. B. sind 71 Personen mehr weg-als zugezogen. Bei einem Geburtenüberschuß von nur 150-300 im Jahr bedarf es keines großen Wanderungsverlustes, um die Bevölkerung insgesamt sich dezimieren zu lassen.

Für die Stadt sind von größter Bedeutung die Herkunft und Art der Eingewanderten. Das Statistische Amt unsres Kantons verschafft uns mannigfache Auskunft über sie. Woher? Wohin? Wie alt? Welchen Berufs? usw. — Prof. Bücher, der Bearbeiter der Volkszählung von 1888, hat aus dem Geburtsort der hier Wohnenden auf deren Herkunft geschlossen, und die Ergebnisse haben ihn sagen lassen: Basel empfängt Zuwanderer aus allen Erdteilen, aber man kann nicht die ganze Erde sein Zuwanderungsgebiet

nennen. —Als Zuwanderungsgebiete dürfen wir vielmehr nur jene Gebiete bezeichnen, aus welchen unsre Stadt regelmäßig eine größere Zahl von Zuwanderern aller Volksschichten empfängt, für welche Basel den Arbeitsmarkt bildet. Genau so war es in der ganzen Zeit seit dem 14. Jahrhundert, daß nämlich die Massen aus der nächsten und näheren Umgebung kamen, daß der Zufall Wanderer aus der Ferne bringt. Refugianten sind im 16. und 17. Jahrhundert aus Frankreich, Italien und den Niederlanden hierher geflüchtet, in Massen, doch sind wenige hier geblieben. Professoren sind allzeit aus der Ferne berufen worden; auch Solisten des Theaters, Direktoren u. a. Es sind gewissermaßen Spezialisten auf irgend. einem Gebiet. Nicht zu reden von jenen, die als politische Flüchtlinge im Jahr 1848 in der Stadt Unterkunft gesucht haben, und jenen die heute legal und illegal über die Grenze kommen.

Die heute vergessenen Karten des Zuwanderungsgebiets einer Reihe von Berufsarten, die Bücher vor 50 Jahren hat erstellen lassen, mag man noch mit Behagen betrachten. Sie belegen, was man aus Einzelfällen gewußt hat, nämlich das Folgende: das obere Baselland als Herkunftsgebiet der Textilarbeiter; die Basel einrahmenden Kantone, ferner das badische Oberland und Württemberg als die ehemalige Heimat unsrer Kleingewerbetreibenden, der Meister und Gesellen, vor allem der Metzger und Bäcker, und Baden und Württemberg als Heimat unsrer Dienstmädchen. So ist es durch die Jahrhunderte hindurch gewesen. Die Einbürgerungen lassen es erkennen, und auch eine unbekannt gebliebene Volkszählung aus dem Jahr 1801, die der Sprechende in Material aus dem Segerhof entdeckt hat, bietet Belege in Menge. Leider liegen von ihr nur die Zählbogen für das St. Johann-Quartier vor.

Wie sich diese Fremden zur Stadt und ihrem Wesen einstellen, das bleibt der statistischen Erfassung verborgen und offenbart sich erst im Laufe der Jahre: Etwa im Verlangen darnach, eingebürgert zu werden, doch nicht bloß, um der allfälligen Unterstützung sicher zu sein, sondern in der Mitarbeit für das Gemeinwesen, in tüchtiger wirtschaftlicher Arbeit, sofern die Fähigkeiten dazu vorhanden sind. Auch das hat für alle Zeiten gegolten, und wenn man versucht werden wollte, anzunehmen, Fremdsprachige würden sich nicht einfühlen und anpassen, so würde man früher durch der Glaubensflüchtlinge Tätigkeit und heute durch eingebürgerte Kinder italienischer Bauarbeiter eines andern belehrt werden.

Diese Ausführungen dürften haben erkennen lassen, was wir der Bevölkerungsstatistik heute verdanken, doch wird man hier sich auch der Grenzen der statistischen Methode neuerdings bewußt.

Wie wenig aber ist über die Bevölkerung Basels — und auch anderer Städte — in früheren Jahrhunderten auszusagen. Weder über die Verteilung der Geschlechter, noch über die Altersgruppierung, wiewohl mit Schätzungen das Dunkel aufzuhellen versucht worden ist. Die Berufsgliederung anhand der Zunftakten läßt sich zum Teil durchführen; es sei auf Büchers "Bevölkerung von Frankfurt" als einem schönen Beispiel verwiesen.

Wir kennen — doch nicht zahlenmäßig —die Stände des frühen Basel. Da gab es Vollbürger, zu denen auch die Herren gehörten, die im Regiment saßen, dann die Hintersäßen, nämlich die Fremden, die Dienstboten, Knechte, Mägde, ohne Recht und nicht zunftfähig, wie die Bürger. Weiter war da die geistliche Bevölkerung im Domstift, in Kirchen und Klöstern, Mönche und Nonnen, einige Hundert, und da waren unter den Fremden als

besondre Gruppe die Juden. Weiter die Unehrlichen auf dem Kohlenberg, wie Henker, Dohlenputzer und andere mehr. Endlich Söldner, Bettler und Vaganten und zu Zeiten von Krieg und Not Flüchtlinge in Massen aller Art, hohen und niederen Standes aus der Umgebung, aus dem Sundgau, aus der Markgrafschaft, endlich eidgenössischer Zuzug, Marode und Verwundete.

Waren das insgesamt 10000, weniger oder mehr? Belanglos, denn nicht die Einwohnerzahl hat Basel Bedeutung verschafft, sondern seine Lage am Rheinknie, an der Kreuzung der großen Straßen, am Ende der "Pfaffengasse", und all das daraus sich Ergebende, wie es die Tatkraft einzelner auszunützen gewußt hat.

10000 Einwohner zählen heute z.B. Grenchen, Baden, Locarno, ohne daß diesen Gemeinden die Bedeutung Basels im 14. Jahrhundert zukäme. Aber eben, es kam nicht auf die Zahl an. Man bringt heute auch Städte mit über 100000 Einwohnern in der Kategorie Großstädte unter, und doch ist Basel mit nun 170000 Bewohnern keine "Großstadt". Lassen wir es ruhig eine große Stadt sein.

Ich muß aus Rudolf Wackernagels unvergleichlich schöner Geschichte der Stadt Basel sein Urteil über die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts zitieren: "Ueberhaupt welcher Schwung und Glanz geht durch alle die Arbeit in dieser Zeit", oder "Was in diesen Jahrzehnten Verkehr, Handel, Gewerbe, Tätigkeit irgendwelcher Art heißt, trägt ein Gepräge der Größe". In der Tat: der Bau der ersten Rheinbrücke zwischen Konstanz und Köln, des Münsters, neuer Kirchen und Klöster, der Kirche, in der wir uns versammelt haben, dazu eine starke private Bautätigkeit! Die Stadt übersteht das große Sterben von 1349 und das furchtbare Erdbeben von 1356.

Sie beherbergt das Konzil von 1431-1448 eben ihrer Verkehrslage wegen. "Sie besaß aber auch zahlreiche

passende Räume für große, wie kleine Versammlungen", und "ein Konzil ist die stärkste Konjunktur, die sich für das gesamte Wirtschaftsleben einer mittelalterlichen Stadt denken läßt".

1439 denkt man an die Errichtung einer Universität, 1459 wird der Plan neuerdings erwogen: "Wollte man irgend gedenken, eine hohe Schule hier zu errichten, so möchte das leichter jetzt, als zu andern Zeiten erworben werden. Dadurch möchte die Stadt, da sie allen Landen wohl gelegen, wieder wohl aufgehen". Unzweifelhaft sind dabei auch Ueberlegungen wirtschaftlicher Art erfolgt, wie man sie heute in unsern Städten bei Errichtung von Mustermessen und Comptoirs, Ausstellungsgebäuden und dergleichen anstellt. Andreas Heusler meint allerdings, andere Absichten materieller Natur, z. B. guter Verdienst des Bürgers an den reichen Studenten ... wurden nur etwa verwendet, um dem gemeinen Mann die Sache annehmbar zu machen. In der Folge hat aber das geistige Ergebnis die wirtschaftlichen Vorteile weit überragt. — Und das in einer Stadt von 9000-10000 Einwohnern.

Es ist auch des Handels, des Verkehrs, der Papiermühlen und des Buchdrucks zu gedenken, und der damit verbundenen Kapitalbildung, sowie der Darleihen der Stadt an den Bischof, den Adel, die Ritter und an andre Städte.

Kriegszüge, Fehden mit Oesterreich, die von den Baslern gebrochenen Burgen des der Stadt feindlichen Adels, der Isteinerkrieg, der St. Jakoberkrieg hielten die Stadt in andrer Weise in Atem.

Es waren wirklich starke Kräfte am Werk, und die kleine Zahl war durchsetzt von treibenden Elementen, und zwar gesellten sich zu den Bürgern stets Neue, Eingewanderte, die das Regiment ergriffen und weiterführten.

Der Rat der Stadt hielt alle Fäden in der Hand. Um 1300 hatte er noch aus vier Rittern und acht Bürgern bestanden. Zu ihnen traten 1337 die Zunftratsherren und 1382 die 15 Meister der Zünfte, zusammen 42 Häupter, die durch die Glocken dieser Kirche jeweilen einberufen wurden.

Für den Adel war seit 1382 die Stadt verloren; dem Bischof hatte der Rat allmählich den Gehorsam aufgesagt. 1515 kamen die Achtbürger und die Hohe Stube um ihr Ratsherrenrecht; 1521 sagte sich die Stadt vom Bischof los, und nun regierten die reich, mächtig und selbstbewußt gewordenen in den Zünften organisierten Handwerker, die ja in Wirklichkeit schon vorher entscheidend verfügt hatten. Das zu wissen, ist wichtig, denn bis ins vorige Jahrhundert hinein hatte die Wahrung der Zunftinteressen, d. h. des Machtkreises der Handwerker sich unglaublich stark ausgewirkt, wobei immerhin von 1662 bis 1798 den Vertretern der Kaufmannschaft, dem kaufmännischen Direktorium, ein Mitspracherecht eingeräumt war.

Hier sollen nun die bevölkerungspolitischen Maßnahmen des Rates und anschließend der Behörden, die seit 1875 Stadt und Kanton regieren, umrissen werden.

Man bezeichnet heute die Summe aller Bestrebungen des Staates und der Gemeinden, Zahl und Art der Bevölkerung durch geeignete Maßnahmen zu beeinflussen, als Bevölkerungspolitik. Diese fußt auf der Bevölkerungslehre, die die Regelmäßigkeiten in Stand und Bewegung der Bevölkerung feststellt, sie nach Ursache und Wirkung erforscht und allgemeine Sätze daraus ableitet; und je nachdem die Zahl oder die Art der Bevölkerung beeinflußt werden soll, spricht man von Quantitäts- oder Qualitätspolitik. Indessen hat auch ohne Volkszählungen überall und zu allen Zeiten der Staat in das Bevölkerungswesen

eingegriffen, um wirkliche oder vermeintliche Mißstände zu beseitigen.

Diese bevölkerungspolitischen Maßnahmen waren gelegentlich die Auswirkung literarischer und wirtschaftspolitischer Betrachtungen — es sei auf die Ansichten der Merkantilisten verwiesen, die einer starken Bevölkerung das Wort redeten, der Physiokraten, vor allem aber auf Robert Malthus' Bevölkerungstheorie, die im vorigen Jahrhundert lange genug die Regierungen zu ganz bestimmten Maßnahmen veranlaßt hatte.

Ich möchte die polizeilichen Verordnungen, die Vorschriften der Gesundheitspolizei und die Sozialpolitik hier nicht behandeln — wiewohl sie qualitätspolitischer Art sind, sondern mich auf die Darstellung der Einbürgerungspolitik, auf die Behandlung der Refugianten, der Katholiken und der Juden beschränken, wennschon es hierbei nicht immer um Beeinflussung der Zahl und Besserung der Art geht.

Die Einbürgerungspolitik des Rates hat durch die Jahrhunderte Wandlungen erfahren. Im 14., 15. und 16. Jahrhundert galt es, die durch Kriegszüge, Pest und sonstige große Sterblichkeit entstandenen Lücken auszufüllen.

"In einem für uns kaum glaublichen Maße geht sie (die Bevölkerung) unter in Kriegen, Fehden, in häufigen Epidemien und in einer konstanten, starken Kindersterblichkeit".

Nur Bürger waren waffenfähig; somit mußten der Bürgerschaft neue Geschlechter zugeführt werden. Dabei behielt der Rat stets die seines Erachtens wirtschaftlichen Notwendigkeiten im Auge, so insbesondre bei der Behandlung der Refugianten. Im 18. Jahrhundert erfolgte eine Zurückhaltung ohnegleichen, und von 1902 bis 1936 eine immer lockerer werdende Bürgerrechtsgesetzgebung, doch nicht weil Kriege die Bürgerschaft dezimiert hätten, sondern

weil sich das zahlenmäßige Verhältnis der Bürger zu den Nichtbürgern, wie schon angedeutet, sehr zu jener Ungunsten verschoben hatte.

Die Ansichten darüber, was vor allem der Bürgerschaft selbst hinsichtlich der Neueinbürgerungen fromme, haben ebenfalls gewechselt; immer aber gab es unter den Altbürgern welche, die mit unverhohlenem Mißbehagen, laut oder leise, gedruckt oder gesprochen, gegen die Einbürgerungen sich geäußert haben. Man bedürfe dieser Fremden "ganz nit".

Im ausgehenden Mittelalter und nachher erfolgte die Aufnahme neuer Bürger in kleiner Zahl vor, in großen Massen nach den Kriegszügen. 1393 wurden 573 neue Bürger aufgenommen, nach dem Zuge vor das Schloß Pfeffingen 465, im Lager von Istein 385, im Jahre 1412 454, 1443/44 im St. Jakoberkrieg 743, nach dem Murtener Zuge 194 usw., so auch das ganze 15. Jahrhundert hindurch.

Insgesamt damals über 2200, lauter kleine Leute aus dem Sundgau, von den Höhen des Jura und des Schwarzwaldes mit ihren spärlichen Erwerbsmöglichkeiten, die meisten zünftig geworden zu Schmieden, zu Schuhmachern und zu Spinnwettern. Sie kamen aber auch aus Ravensburg, von Konstanz, Winterthur, Frankfurt und andern Orten. Hierzu gesellten sich jene, die das Bürgerrecht kauften — von 1356-1488 etwa 1200 — oder denen es geschenkt wurde, damit sie in die Stadt zögen und hier ihr Handwerk ausübten, einem Brunnmeister aus Straßburg und dem Hans Mohler von Schlettstadt, "damit er das Roß an der Rheinbrücke wieder machen und daß es ihm ehrlich und der Stadt nützlich sei".

Der Rat setzte Bedingnisse fest, wie man das Bürgerrecht "im Reisen" d. h. in Kriegszügen erwerben könne. "Wer das Bürgerrecht verdienen will, wenn die Stadt auszieht zu reisen, es sei um ihrer selbst oder eines andern

wegen, der soll es in seinen eigenen Kosten und mit seinem eigenen Harnisch thun; es soll des Harnisches zum mindesten sein ein Panzer, eine Beckhaube, oder dafür ein Kesselhut, und zwei Blechhandschuhe ..." Endlich soll derjenige, der das Bürgerrecht verdiente, innert 14 Tagen nach der Heimkunft, sich in das Stadtbuch einschreiben lassen. Wer es versäumt, "soll von des Zuges wegen" nicht als Bürger aufgenommen werden.

1441 wurde der Bürgerrechtseinkauf von 10 Gulden auf 4 Gulden herabgesetzt, da die Stadt Bauens sehr notdürftig sei, indem sie eine weite Zarge habe, und, wegen mancher Zufälle, die ihr begegnen könnten, es bedürfe, viele Leute darin zu haben.

1484 wurde Hintersäßen, wenn sie das Bürgerrecht bis St. Johannistag kauften, der schuldige Pfundzoll erlassen. Wer die 4 Gulden nicht bezahlen konnte, sollte einen Gulden bar entrichten und die andern alle Frohnfasten. Das war Bürgerrecht auf Abzahlung!

1520 ward Hans Holbein aufgenommen, um seiner Kunst willen, doch nicht geschenkweise, 1518 Ryhiner, der Rat- und Stadtschreiber, ebenfalls wegen seiner Verdienste. Die Stadt war um jene Zeit an Bürgern und Häusern in merklichen Abgang gekommen.

Nach der Reformation ergaben sich von selbst Erwägungen, wie es nun mit den Altgläubigen, den Katholiken zu halten sei.

1527 wurden die Klosterleute vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Es war eine Maßnahme der Handwerker; denn sie fürchteten die Konkurrenz der ihres Ordens und ihrer geistlichen Würde Entsagenden. Staatsarchivar Dr. Paul Roth schreibt: "Die Handwerker waren es denn auch, die als die schärfsten Gegner der Klöster den Durchstoß der reformatorischen Bewegung am entscheidendsten führten. Die Front des Gewerbes gegen die unliebsame Konkurrenz

in den Klöstern." Priester und Mönche durften von 1525 an nicht mehr gegen Entgelt glasern, schreinern, malen, schneidern, Schuhe machen, wenn sie nicht zünftig waren.

Um jene Zeit erfolgten zahlreiche Abwanderungen von Geistlichen: der Domherren, von Predigern, Kaplänen, ferner verließen die meisten Professoren, Gelehrte, aber auch Schüler und Bürger die Stadt. Entlassene Ratsmitglieder gaben ihr Bürgerrecht auf. Auch Erasmus verreiste und fuhr den Rhein hinunter. 1529 wurde erkannt, daß die, so wegen der Reformation ausgezogen ... kein Rauch und kein Feuer bei uns haben sollten. Auch sollte keiner ohne Wissen und Willen beider Räte und der Sechser zum Bürger angenommen werden können.

Von 1529-1600 wurden 2056 neue Bürger aufgenommen.

Die neuen Hintersäßen hatten von 1534 an ihren Glauben, Mannrecht und Abschied dem Hauptmann zu erweisen, mußten eigene Gewehre und Harnisch haben, sollten in der Zeit von fünf Jahren kein Almosen begehren und nehmen und bis sie zu Bürger werden für den Einsitz 10 ß und das Einschreiben 1 ß, sowie alle Frohnfasten 1 ß Hintersäßen-Steuer bezahlen. 1541 wurde meist noch freies Vermögen von 10-15 fl. verlangt. Gelegentlich wurde einem ledigen Neubürger überbunden, eine einheimische Tochter oder Witwe zu heiraten, "nicht eine ausländische Fremdin und besonders keine Leibeigene".

Die Verordnung vom 21. Februar 1541 über das Bürgerrecht läßt die Grundsätze erkennen, die der Rat im allgemeinen für Hintersäßen und für Einbürgerungen beobachtet wissen wollte.

"Die Stadt soll mit frommen, ehren Leuten, die zu werben und zu werken bereit sind, besetzt werden. Derjenige, der sich um das Bürgerrecht bewirbt, soll vor

die Räthe gestellt, seine Person besichtiget, und durch den Bürgermeister, oder wen der Rath beauftraget, gefragt werden: woher er sey, was ihn hierher zu ziehen verursache, was er könne, wie und womit er sich bey uns zu ernähren getraue, was Vermögen er sey." — Er mußte ein eigenes Gewehr und Harnisch haben. Vierzig oder fünfzig Gulden unbekümmertes Gut, oder so viel besitzen, wie ihm nach Gelegenheit seines Handwerkes oder Gewerbes nötig wäre. Der Rath behielt sich Ausnahmen "für junge Eheleute vor, die gerne werken, fromm und haushälterisch sind".

Und nun nach fünf Jahren eine andre Auffassung.

1546 wurde nämlich verfügt, daß man keine Welschen mehr zu Bürgern, noch zu Hintersäßen annehmen solle. Man habe die beschwerliche Last, die den Bürgern und Handwerkern durch die hier bisher zu Bürgern und Hintersäßen angenommenen Welschen erwachsen, vielfältig empfunden. "Man soll sie glatt fürweisen und in der Stadt nicht dulden." Töchter und Witwen sollen gewarnt werden, mit Welschen keine Ehe einzugehen. Wer dies übersehe, solle samt dem welschen Mann von Stadt und Land fortgeschickt werden. — Diese Welschen waren französische, italienische und andere Glaubensflüchtlinge, Refugianten.

Ausnahmen waren "für welsche reiche oder kunstgerechte Männer zuläßig, von denen die Stadt Nutzen und Ehre und Ruhm habe, oder für solche, die um ihrer Kunst willen hier nöthig sein würden". Diese Ratserkanntnis ist wiederholt und zuletzt 1648 erneuert worden. Immerhin schreibt die Kanzlei diesmal unter sie: decreta temporaria.

In das Jahr 1555 fiel die Austreibung der protestantischen Locarner, in das Jahr 1572 die Bartholomäusnacht, und 1685 wurde das Edikt von Nantes aufgehoben. Die

Verordnung von 1546 scheint aber im 17. Jahrhundert kaum durchgeführt worden zu sein; jedenfalls haben Refugianten schließlich sich Jahr und Tag aufhalten können, mit obrigkeitlicher Erlaubnis eine besondere Gemeinde formiert und eine französische. Kirche errichtet. Die Juristische Fakultät der Universität hat in "mutvoller Unabhängigkeit" die Frage, ob die evangelischen Stände die französischen Refugianten aufnehmen dürfen, am 5. Dezember 1685 durch ein Rechtsgutachten in bejahendem Sinne entschieden, — und das, wiewohl bekannt war, daß Basel starke wirtschaftliche Interessen in Frankreich zu vertreten hatte, während doch der französische Hof die Aufnahme der Refugianten mit wirtschaftlichen Sanktionen bedrohte. Die Theologische Fakultät gab gleichen Tags ein ähnliches Gutachten ab. In der Folge hat eine Reihe von Glaubensflüchtlingen in Basel bleiben können, und man braucht nur an die Namen Socin, Paravicini, Stuppani, Battier, Passavant, Bauhin, Bernoulli, Sarasin, Christ, Legrand, Miville, Raillard, Lachenal, Forcart zu erinnern, um sich der Bedeutung der Refugianten im geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben Basels bewußt zu werden.

Was aber ist aus den übrigen Zehntausenden geworden, die man allenthalben hat weiter ziehen heißen? — Wie soll man heute jene Maßnahmen von 1546 beurteilen? Heute, da die Fremdenpolizei und die Arbeitsämter den Arbeitsmarkt für die im Lande Wohnenden, — wozu ja auch Ausländer gehören — schützen, da man gleich verfährt? "Vernunft ist entschieden dabei", urteilt Traugott Geering, "Rein politisch betrachtet, war jene Maßregel das klügste, was das Handwerksregiment überhaupt zu Stande gebracht hat".

Basel sicherte sich nur bevorzugte Geschlechter. Menschlicher sei die Haltung Zürichs und Berns gewesen,

wo arme Arbeiter aufgenommen wurden. —Neuere Forschung hat dargelegt, daß von 1683-1688 20000 Hugenotten durch Zürich gezogen und in eigens errichteten Anstalten verpflegt worden sind. Doch — man höre — wer gesund war, wurde nach 2-3 Tagen zur Weiterreise aufgefordert, mit dem Nötigsten und mit dem Reisegeld, je nach dem Stande, versehen. Dableiben durften jene, deren Kunst oder Handwerk man bedurfte, oder die über genügend Vermögen. verfügten und der Stadt nicht zur Last fielen.

Im größten Gegensatz zu des Rates menschlichem Erbarmen, der die Zünfte über die Aufnahme der teilweise hochqualifizierten Handwerker befragte, waren die von engsten Berufs- und Standesinteressen diktierten Antworten der Zünfte. Auch die Berner Krämer verfluchten alles Fremde, und wenn man liest, was die Zürcher Kaufleute vorbringen: die und die fremden Händler hätten ein Haus in Bern und eines in Zürich, so wird man an die Filialunternehmungen und die eidgenössische Ausgleichssteuer von 1938 erinnert. Die Zürcher brachten es fertig, 1699 die welschen Großkaufleute auszuweisen.

Man glaube nicht, das Basler Handwerk oder irgend eines in andern Städten habe anders gedacht. Es war der Kampf gegen den aufkommenden Kapitalismus, und heute wieder ist es bei uns der Kampf des Mittelstandes gegen die Großen, gegen die rationell geleiteten Unternehmungen, und dabei macht ein Stück Antisemitismus mit.

Man möchte mit heute vergleichen und zwar weniger mit der Zeit der eidgenössischen Grenzsperre 1919-1924 und der seit 1932 verschärften Einreisepolitik, als eher mit den Verhältnissen seit 1933. Auch heute Flüchtling über Flüchtling! Aber — der Rat entscheidet nicht mehr, sondern die Fremdenpolizei, anders, als vor 30 Jahren, da als Folge z. T. politischer Bewegungen allein in Genf

und Lausanne etwa 1900 ausländische Studenten immatrikuliert waren, und anders als in Basel vor fünf Jahren. Wir hatten bis 1930 um die 300 Ausländer-Studenten, von 1931-1933 stieg die Zahl auf 600, und wenn dem und jenem dieses und jenes Gesicht nicht behagte, so haben wir keinen Schaden gelitten, sondern der Name Basel verknüpft sich für viele draußen in der Welt mit der dankbaren Erinnerung an gewährten Aufenthalt. Heute sind es nur wieder etwas über 300.

Es geht gegenwärtig wie im 16. und 17. Jahrhundert. Der Fremde muß Existenzmittel haben und ausreisen können, damit er nicht in Kriegszeit oder auch sonst hier sitzen bleiben muß. Dann aber erstickt eine amtliche Betrachtungsweise und Erwägung alles: Ueberfremdung, selbst wenn einer Mittel hat und ausreisen kann. Es sind dieselben Erwägungen wie 1546. Dabei wäre zu prüfen, wann und wo und wie die Ueberfremdung sich auswirkt, und da gehen unsre Ansichten, die wir mit Vergleichen und Zahlen zu arbeiten gewöhnt sind, mit jenen der Fremdenpolizei auseinander, und wir sagen: unsre Universität darf schließlich nicht zu einer lokalen Universität herabsinken.

Hierbei spielt nur die Aufenthaltsbewilligung eine Rolle, nicht jene der Einbürgerung; denn was an östlichen Juden hierher kommt, ist fremdes Element, paßt sich als Bürger nicht an und soll nicht hier bleiben. Unter den Flüchtlingen befinden sich aber auch Pazifisten, Demokraten usw.

Wie manche Gemeinde hat den 1848er Flüchtlingen viel zu verdanken gehabt! Das vergißt man, denn es liegt eben um 90 Jahre zurück. —Wer bevölkerungspolitische Maßnahmen zu treffen hat, sollte über etwelche geschichtliche Kenntnisse verfügen.

Die weitere Entwicklung der Einbürgerungsverordnung ist im einzelnen hier nicht zu verfolgen. Es genüge,

die Einbürgerungspolitik zu skizzieren. Vom beginnenden 18. Jahrhundert an setzte eine immer stärkere Zurückhaltung ein, so daß 1758 Isaak Iselin in der schon erwähnten, vom Rate verbotenen Druckschrift für eine Oeffnung des Bürgerrechts eintrat. Von 1759 bis 1762 erfolgten einige Aufnahmen. 1762 wurde ein neues Bürgerrechtsgesetz erlassen mit hohen Aufnahmegebühren und der Forderung des reformierten Glaubens. Neubürger hatten eine Zunft anzunehmen, waren aber von der Aemterfähigkeit ausgeschlossen. Dann wurde das Bürgerrecht für 18 Jahre geschlossen. Es war die Furcht vor der Uebersetzung der Handwerke und bei den Fabrikanten vor dem Zuzug einer Masse existenzloser Leute. 1781 erfolgte eine neue Erhöhung der Gebühren, die Forderung nach dem Betrieb eines nicht übersetzten Gewerbes und der Einwilligung der Berufsgenossen; was allein diese Forderung in sich schloß, kann man sich denken. Endlich gar kam der Beschluß, bis 1791 niemand aufzunehmen.

Daß die Zahl der Eheschließungen und der Geburten sank, die Bevölkerung stabil blieb und zeitweise zurückging, darf nicht wundern. — Das Ortsbürgerrecht ist hernach während der helvetischen Republik durch ein allgemeines helvetisches Bürgerrecht ersetzt worden und auf längere Zeit verloren gegangen.

Die Mediation stellte die Bürgerrechte wieder her, und 1803 wurde ein neues Bürgerrechtsgesetz erlassen. War es besser? — Im oberflächlichen Bericht der Kommission liest man: "In Betreff der Erteilung des Gemeindebürgerrechts an Fremde haben wir einmüthig gefunden, daß zum Besten unsres Kantons und der gesamten Bürgerschaft den Fremden die Erhaltung der Gemeindebürgerrechte so viel immer möglich erschwert und solche Requisita festgesetzt werden sollen, daß nicht ein Jeder sich beikommen lassen könnte, ein solches im Kanton zu erwerben."

Dieser Grundsatz, wurde beruhigend beigefügt, sei in keinerlei Widerspruch weder mit der eigenen noch mit der eidgenössischen Verfassung, noch mit dem Bündnis mit Frankreich.

1815 war berichtet worden: "Es wird sich dann von selbst ergeben, wie überflüssig und lästig der größte Theil der hier niedergelassenen Fremden sei, und somit dürfen wir auch hoffen, daß unsre landesväterliche Obrigkeit uns von selbigen befreien werde".

Die wenigen Aufnahmen nach 1816 wurden von "Altbaslern", die 10-15 Jahre vorher eingebürgert worden waren, recht mißliebig beurteilt. Nach der Trennung von Stadt und Land war das Verhältnis der in der Stadt wohnenden Landschäftler prekär geworden. Wohl wurden 355 Bewerber mit ihren Familien aufgenommen; man brachte sie aber in den Zünften nur mit erheblichen Schwierigkeiten unter. Weitere Revisionen wurden zunächst 1816, 1838 und 1848 durchgeführt.

Der Uebergang zu einer liberalen Einbürgerungspolitik erfolgte erstmals durch das Gesetz von 1848 unter dem Einfluß der neuen Bundesverfassung, die den Schweizerbürgern weitere Rechte gewährt hatte.

Der Bericht von 1848 atmet in der Tat einen andern Geist. Man nimmt Rücksicht auf die eigentümlichen politischen und sozialen Verhältnisse des Gemeinwesens und sucht den Nerv seiner Kraft und gedeihlichen Entfaltung in einer großen Masse von Bürgern. In praxi hielt man indessen bei den Aufnahmen zurück, "hielt sich an Rücksichten, wodurch viele wünschenswerte Elemente zurückgehalten wurden. Das lag in der Zusammensetzung der Behörde für diese Dinge, welche kaum anders als in restriktivem Sinne aufzufassen ist, der in den hohen Kreisen geteilt wird", sagt der Bericht. "Die Verteidiger des Alten aber blieben auf einer Linie stehen, wo wohl

noch einzelnes abzuwehren, im Prinzip aber nichts mehr zu verbessern war."

Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und die Einwanderung hatten inzwischen das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Bürgern und Nichtbürgern stetig ungünstiger gestaltet. Für den selbständigen Erwerb war das Bürgerrecht fast gleichgültig geworden, und Einsichtigen wurde klar, daß es so nicht ersprießlich weitergehen könne.

Das "Beschauen der Bewerber" sollte dahinfallen, die Gebühren herabgesetzt und die Einstellung zu den Katholiken anders werden. Aber noch 1862 wurde bei katholischen Petenten, namentlich wenn Mann und Frau katholisch waren, abweisender Antrag gestellt, und doch war die katholische Bevölkerung auf 24% angewachsen.

Der Bericht des Rats an den Großen Rat hielt dafür, "man müsse gerade in dieser unverhältnismäßig steigenden Zahl fremder Elemente, wenn wir sie richtig nutzen, die Nahrung und Kraft für das künftige Gemeinwesen suchen und heranbilden". Es sei sinnlos, nur Uebelstände zu sehen und mit halben Maßregeln das Mißverhältnis steigen zu lassen. "Thun wir für diesen Zweck, was in unsrer Macht steht .... die Zukunft wird die jetzt noch nebeneinander vegetierenden Bestandtheile unsrer Bevölkerung zu einem gesunden und kräftigen Organismus zusammen wachsen lassen ...."

Das Bürgerrechtsgesetz wurde wiederum und zwar 1866, 1879 und 1902 revidiert. Dabei lag die Initiative seit 1866 beim Großen Rat und ging anfänglich von konservativer Seite aus (Andreas Heusler, Adolf Vischer), später von sozialistischer (Arnold, Wullschleger). Schritt für Schritt werden die einschränkenden Vorschriften beseitigt, die Gebühren herabgesetzt, die Aemtersperre fallen gelassen, die Bedingung der Zugehörigkeit zur protestantischen, später zur evangelisch-protestantischen

Konfession, schließlich zu einer allgemeinen christlichen aufgehoben, weiter die Unentgeltlichkeit nach einer bestimmten Niederlassungsdauer vorgesehen.

Das Gesetz von 1902 hat nichts grundsätzlich Neues gebracht, sondern die möglichst weitgehende Erleichterung der Bürgeraufnahmen herbeizuführen gesucht. Die Volkszählung von 1900 hatte einen Anteil von 38%Ausländern an der Bevölkerung des Kantons ergeben, und damit hatte sich eine Revision als dringlich erwiesen.

Der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Der Anteil der Kantonsbürger ist von 25,8 % im Jahr 1900 auf 47,5 % im Jahr 1930 gestiegen, derjenige der Ausländer von 38,1 % auf 19,2 % zurückgegangen.

Eine Folge der Einbürgerungen ist die Zunahme der Ausgaben des Bürgerlichen Fürsorgeamtes und des Bürgerlichen Waisenhauses für die Neubürger. Sie ist so stark gewesen, daß 1936 einige Erleichterungen für die Einbürgerung aufgehoben worden sind.

Die Einbürgerung ist aus einem einfachen Verfahren, wie es vor Jahrhunderten üblich gewesen war, eine Angelegenheit geworden, in die sich heute die eidgenössischen, die kantonalen und die Bürgerbehörden teilen. Der Entscheid liegt nicht mehr allein beim Rat, und die Ansichten darüber, was bei Aufnahmen recht und billig ist, gehen bei kantonalen und eidgenössischen Behörden oft auseinander.

Die Ausschließung der Katholiken vom Bürgerrecht mag für das 16. und 17. Jahrhundert noch verstanden werden; denn Basler Protestanten waren in katholischen Gegenden der Inquisition unterworfen worden. Im 17. Jahrhundert durfte ein Vater katholisch gewordene Kinder enterben, und noch 1803 wurden Bürger, die Katholikinnen heirateten; mit dem Verlust aller politischen Rechte und

mit Geldstrafe belegt. Beschwerden eidgenössischer Stände hatten eine Milderung bewirkt, und 1811 wurde lediglich die Aemterunfähigkeit für die Dauer dieser Ehe ausgesprochen. 1829 wurde im Großen Rat ein Anzug auf Gleichberechtigung eingereicht und mit Recht darauf hingewiesen, daß das katholische Birseck ja Kantonsgebiet geworden sei. Katholische Bürger selbst waren ämterfähig; nur die Mischehen waren anstößig. Heute steht den Katholiken die Straße für die Fronleichnamsprozession offen.

Die Behandlung der Juden hat seit ihrer Niederlassung in den deutschen Städten, auch in der freien Reichsstadt Basel, einen besonderen Teil der bevölkerungspolitischen Maßnahmen der Räte und der Gewaltakte der christlichen Bevölkerung gebildet. Sie waren im 12. und 13. Jahrhundert schon in mancher Stadt ansäßig. In Frankfurt am Main sind sie 1241, 1349 und 1614 vollständig ausgerottet worden; aber trotz aller bittern Erfahrungen finden sich Juden in den Städten wieder ein. Seit 1236 genossen sie als "kaiserliche Kammerknechte" den kaiserlichen Schutz und entrichteten dafür Abgaben an die Kammer. Diese Steuer betrug in Basel 1241 40 Mark Silber, eine beträchtliche Summe. Darüber hinaus konnten die Juden noch weiter beansprucht werden. Kaiser Rudolf von Habsburg verschreibt dem Bischof von Basel 1278 die in der Diözese Straßburg-Basel wohnenden Juden zur Ausnützung, d.h. die Ausbeutung, bis er damit eine Einnahme von 3000 Mark Silber erzielt haben werde. Leben und Vermögen gehörten ihnen nach 1349 nur bittweise, und bei jeder Krönung oder wann es der Schutzherrschaft beliebte, wurden sie ausgeplündert. "Ihre Existenz beruhte auf einem seltsamen Gemenge von Verworfensein und Unentbehrlichsein." Ihr Gewerbe, das Geldausleihen gegen Zins und Zinseszins (ein andres war ihnen versagt)

war ihnen eigentlich aufgezwungen worden; Kirchen und Laien verdammten es und brauchten es, und von Zeit zu Zeit und allenthalben ward der Verdammnis gründlich Ausdruck gegeben.

In Basel hatten die Juden das Recht, Liegenschaften zu erwerben, vor dem ordentlichen Gericht zu kaufen und zu verkaufen. Sie wohnten im 13. und 14. Jahrhundert an den besten Geschäftslagen der Stadt, wie auch in Frankfurt und Köln.

Wieviele es in Basel waren, wissen wir nicht. Frankfurt zählte 200; in Basel kann es nur eine kleine universitas judeorum gewesen sein. Dieser Gemeinde ist das Jahr 1349, als die Pest durch die Lande ging, schlimm bekommen. Die Juden sollten die Brunnen vergiftet haben und wurden 1349 in Frankfurt, im Elsaß und allenthalben grausam verfolgt. In Basel ist ihrer eine Anzahl an der Birsigmündung in ein Holzhaus gesperrt, erstickt und verbrannt worden. Ein Ende mit Schrecken!

Wohl hatte der Rat 1345 sich einem Bündnis der Herren und Städte zur Verhütung der Judenverfolgungen angeschlossen gehabt und noch 1349 einige Ritter, die sich gegen Basler Juden gewalttätig benommen hatten, verbannt, dann aber gab er der Masse nach. Die Fürsten und Herren und Bischof Berthold von Straßburg voraus, "überschlugen, wie hoch ihre Schulden bei den Juden stünden und dachten, diese Last mit einem Ruck los zu werden".

Zur weitern Strafe wurden die Juden vielerorts ausgewiesen, in Basel auf 200 Jahre; doch nach dem Erdbeben von 1356 kamen sie wieder in die Stadt. Einzelne erlangten das Bürgerrecht: die Eberlin aus Colmar ließen sich taufen, und als Eberler wurden sie später reiche Herren. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren sogar Juden als Stadtärzte tätig. Die Juden hatten dem Oberknecht

für das Geleit eine Taxe zu bezahlen und für lebende, wie für tote Juden wurde der Judenzoll erhoben.

Im 15. Jahrhundert schien Basel der Juden entbehren zu können; denn die Stadt besaß nun ihren Stadtwechsel, und der Warenhandel ging vorzüglich. Die Reformation brachte strenge Verordnungen, verbot 1529 den Handel mit den Juden, und nun geht es durch das 16. und 17. Jahrhundert in gleicher Weise mit Verbot und mit Erlaubnis zum Eintritt. Sie saßen im Fürstbistum in der Nähe der Stadt, und als ihr Verkehr wieder stärker geworden war, hieß es 1643 "die Juden seien abzuschaffen". Kamen sie, weil erlaubt, während der Messezeit, so klagte die Bürgerschaft über die Konkurrenz. Man überließ ihnen aber den Roßhandel, und wiewohl man sich in der Stadt an sie gewöhnt hatte, erfolgten 1655-1722 "Bannisierungen," d. h. zeitweise Sperren, und hierbei wurden alle Juden für einander solidarisch erklärt und die in der Nähe Basels Wohnenden für ihre ihnen unbekannten, in weiter Ferne lebenden Glaubensgenossen. Bannisierungen erfolgten auch während Viehseuchen, ohne Zweifel aus heute allgemein geübten Schutzmaßnahmen. Basel bot den Juden aber auch wieder eine Zufluchtsstätte und führte für sie 1789 eine Hilfsaktion durch, als sie aus dem Elsaß geflüchtet waren. 1797 erfolgt auf Mahnung Frankreichs die Aufhebung des Leibzolls. Die helvetische Judengesetzgebung und die französische Judenemanzipation bildeten Vorläufer für eine andere Behandlung der Juden auch in Basel. Um 1800 ließen sich wieder Juden nieder; sie waren französische Bürger und waren nach dem Allianzvertrag mit Frankreich von 1803 den einheimischen Bürgern gleichzustellen. Von 1804-13 ließen sich etwa 40 Elsäßer Juden hier nieder. Die Restauration war ihnen wieder feindlich gesinnt. — In den Adreßbüchern wurden sie damals auf der letzten Seite als hier niedergelassene Juden aufgeführt.

1850 wird die Synagoge eingeweiht. 1866 wurde durch Volksabstimmung die Gleichstellung der Juden in der Schweiz verfassungsmäßig garantiert und 1872 der erste Jude nach langer Pause ins Bürgerrecht der Stadt Basel aufgenommen.

Heute gehören jüdische Familien zu den sogenannten guten Basler Familien, und der Vertreter der einen hat sich als wahrer Freund der Universität und ihrer Studenten erwiesen.

Ich schließe:

Meine Mitteilungen über die Bevölkerung der Stadt Basel haben ergeben: eine durch vier Jahrhunderte dauernde annähernd gleiche Zahl von 14000-16000 Einwohnern während der Zeit des Handwerkerregiments. Ein stärkeres Anwachsen der Bevölkerung seit 1850 mit dem Beginn der liberalen Wirtschaftspolitik des Rates, und seit 1895 ein durch überaus starke Einwanderung und nachfolgenden erheblichen Geburtenüberschuß bewirktes, alles bisher Erlebte übersteigendes Wachstum der Volkszahl. Die Stadt wird überfremdet und die Bevölkerung jünger. Es ist die Zeit des ungehemmten wirtschaftlichen Liberalismus.

Die letzten Jahre aber bringen Geburtenrückgang und Einwanderungssperre. Die Bevölkerung beginnt stabil zu bleiben und wird älter. Wir leben in der Zeit der autarken Wirtschaft, durch die man glaubt, die Arbeitslosigkeit bannen zu können.

Alle diese Stadien der Bevölkerungsbewegung haben den Rat von 1400 bis heute zu bevölkerungspolitischen Maßnahmen veranlaßt. Vom 14. bis ins 17. Jahrhundert hat er das Bürgerrecht offen gehalten. Im 18. Jahrhundert wird es geschlossen. Die Zünfte fürchten die Konkurrenz, und die Entscheidung liegt bei ihnen. Endlich hat der Rat erkannt, daß seine restriktive Einbürgerungspolitik

zu Verfall führe. Das steigende zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen Bürgern und Nichtbürgern zwang ihn zum Erlaß von immer liberaleren Bürgerrechtsgesetzen. Man wird freigebig, bis man sich unter dem Druck der Verhältnisse, insbesondere der aus den Einbürgerungen erwachsenden sozialen Lasten, wieder zu einengenden Maßnahmen gezwungen sieht.

Es ist nicht leicht, für eine an der Grenze und am natürlichen Auslaufe eines Landkantons gelegene Industrie-, Handels- und Verkehrsstadt zur rechten Zeit die zweckmäßigen bevölkerungspolitischen Maßnahmen zu treffen. Was heute als richtig erkannt wird, kann morgen wieder als falsch beurteilt werden müssen, und da sind es vor allem die infolge religiöser oder politischer Zwangsmaßnahmen im Auslande einsetzenden Massenwanderungen, die die schwersten Aufgaben bringen. Im Widerspruch zwischen Menschlichkeit und Eigeninteresse werden Rat und Volk in ihrem Verhalten oft hin und her gezerrt.

Im ganzen ist man toleranter geworden. Sachlichkeit muß bei der Beurteilung dieser Probleme und der zu treffenden Maßnahmen leiten; zu ihr muß sich aber Menschlichkeit gesellen, sonst bleibt es, um ein Wort Gottfried Kellers zu variieren, eine "blutlose"Sachlichkeit.