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Der religiöse Gehalt der Existenzphilosophie

Rektoratsrede gehalten an der 109. Stiftungsfeier der Universität Bern

am 20. November 1943
von
Martin Werner
Verlag Paul Haupt Bern-Leipzig 1943

Printed In Switzerland
by F. Graf-Lehmann, Berne

Der religiöse Gehalt der Existenzphilosophie

Wie auch immer in der Mannigfaltigkeit der Religionen die Gottheit gedacht sein mag, immer meint vertiefte Religion eine lebenswichtige Beziehung zur Gottheit, durch welche die Sinnfrage des menschlichen Daseins gelöst werden soll. Darum ist dem religiösen Menschen Selbsterkenntnis ebenso wichtig wie Wissen um die Gottheit. Religion soll dem Menschen das Rätsel seines Daseins erhellen. Dies gilt auch vom Christentum. Das Christentum hat aber, wo es in seiner Theologie nach prüfender und klärender Selbstbesinnung strebte, immer wieder Philosophie zu Hilfe genommen, die auf ihre Weise den Menschen oder Mensch und Gottheit zu ihrem Thema machte. Deshalb haben im Laufe der Jahrhunderte die wichtigsten Gestalten der abendländischen Philosophie von Platon, Aristoteles und Stoa bis zum Neukantianismus das christliche Denken wesentlich beeinflusst.

So findet heute die unter dem Namen "Existenzphilosophie" bekannte philosophische Gegenwartsströmung die besondere Aufmerksamkeit auch der Theologie. "Existenz" ist hier nur der mit neuem Sinn erfüllte Hauptbegriff eines Philosophierens, dessen Thema der Mensch ist. "Existenzphilosophie", so äussert sich Karl Jaspers, "ist das appellierende Fragen, in dem heute der Mensch wieder zu sich selber zu kommen sucht." Nicht unwesentliche Voraussetzung dieses zur fragenden Selbstbesinnung gewordenen Philosophierens ist das bei den bedeutendsten Existenzphilosophen stark zum Ausdruck kommende Bewusstsein vom Krisencharakter der geistigen Situation des Abendlandes, den man dadurch gekennzeichnet sieht, dass "kein selbstverständlicher Boden mehr für uns ist", dass es keinen "unangetasteten Hintergrund unseres Denkens mehr gibt", weil es nichts mehr gibt, was nicht fraglich geworden wäre. Darum

tritt Existenzphilosophie nicht mehr auf als ein System im alten Sinne, in welches nebst so und so viel anderem auch eine Lehre vom Menschen eingebaut wäre. Ein Existenzphilosoph wie Eberhard Grisebach ist sogar grundsätzlicher Gegner jedes "Systems" überhaupt. Von vornherein ist der Mensch selbst, wie er sich in den Beziehungen seiner Situation vorfindet, Gegenstand und Ausgangspunkt alles philosophischen Fragens. Und weil die wichtigsten Gestaltungen der Existenzphilosophie, wie sie heute vorliegen, sich vor allem unterscheiden durch die Weite des Horizontes, in welchem sie ihr Thema durchdenken, so ist es nicht unbedingt erforderlich, sie in allen Einzelheiten peinlich gegeneinander zu verhören. Wir halten uns von vornherein an diejenigen Existenzphilosophen, die der Erörterung ihres Themas den weitesten Spielraum lassen: Karl Jaspers und Martin Heidegger. Dabei dürfen wir Jaspers auch deshalb den Vorrang geben, weil Wesentliches von dem, was Heidegger zu unserm Thema zu sagen hat, bei Jaspers lediglich als ein Stadium erscheint, über das letzte Besinnung hinausführt. In Jaspers' Entwurf der Existenzphilosophie tritt der religiöse Gehalt klar zu Tage. Er kann von "Existenz" nicht reden ohne auf "Transzendenz" zu verweisen und sagt selbst, dass diese philosophische Sprache das meine, was in der Religion "Seele" und "Gott" heisst. Ja, der Kampf zwischen Glauben und Unglauben wird ihm zu einer Grundfrage des Menschen und damit der Philosophie. Heideggers radikaler Verzicht auf den Glauben wirkt im Kontrast zu Jaspers als Illustration dieses Sachverhalts. Nicht belanglos ist es dabei, zu wissen, dass Heidegger, aus jesuitischer Schulung in katholischer Philosophie und Theologie herkommend, nicht ohne tiefen Bruch mit dieser Vergangenheit seinen heutigen philosophischen Standort gewann, während der Protestant Karl Jaspers als Psychiater von den medizinischen Disziplinen her sich der Philosophie zuwandte.

Schliesslich darf nicht verschwiegen werden, das die existenzphilosophische Ausdrucksweise und Gedankenführung dem unmittelbaren Verständnis Schwierigkeiten bereiten. Es ist bezeichnend, dass der Existenzphilosoph Eberhard Grisebach in seiner "Kritischen Ethik" ein ganzes Kapitel der Auseinandersetzung mit seinen Kritikern widmen musste unter dem zeitgemässen

Titel: "Vom Anspruch, allgemein verständlich zu reden und zu schreiben". Man muss den Versuch wagen, den wesentlichen Gehalt dieser Philosophie allgemeinverständlich zum Ausdruck zu bringen. Dem Risiko solcher Vereinfachung darf sich die Existenzphilosophie nicht entziehen wollen. Verlangt sie doch selbst, dass alle Wahrheit sich als "mitteilbar" bewähren muss, und ist dabei von der sokratischen Absicht beseelt, andere als Mitdenkende zu einem Philosophieren zu erwecken, mit dem wir wieder "tatsächlich leben" können.

I.

Um ein Urteil über den religiösen Gehalt der Existenzphilosophie zu gewinnen, erörtern wir zunächst im Hinblick auf diesen Gehalt die Bedeutung, welche bei Jaspers den drei Begriffen "Existenz", "Transzendenz" und "existenzieller Bezug zur Transzendenz" zukommt, wobei uns jeweilen an wichtigen Punkten ein Vergleich mit Heidegger den Sachverhalt verdeutlichen kann.

Das Motiv, das die Existenzphilosophie bestimmt, das Wichtigste, was sie über den Menschen zu sagen hat, in Anlehnung an Sören Kierkegaard mit dem alten Wort "Existenz" zu bezeichnen, tritt bei Jaspers besonders deutlich zu Tage. Im Sinne wissenschaftlicher Beschreibung sagt der Begriff "Existenz" wenig belangreiches vom Menschen, sofern "Existenz" nur bedeutet, dass ein Etwas in unserer Erfahrung vorkommt. Es versteht sich für jede Wissenschaft von selbst, dass auch der Mensch ein solches Etwas ist. Diese Selbstverständlichkeit ist lediglich die unbestrittene Voraussetzung alles dessen, was Wissenschaft als Inbegriff zwingend wissbarer Tatsachen in bezug auf den Menschen festzustellen vermag. Nun aber wählt die Existenzphilosophie gerade den Begriff "Existenz" zur Bezeichnung dessen, was nach ihrer Auffassung keine Wissenschaft als solche zwingend wissbare objektive Tatsache vom Menschen aufweisen kann. Was Psychologie, Soziologie, Historie als empirische menschliche Daseinswirklichkeit wissenschaftlich erforschen und darstellen, wird von Jaspers, im Unterschied zu Grisebach, keineswegs unterschätzt. Die Art und Weise, wie

hier der Mensch zum Objekt seines wissenschaftlichen Bewusstseins wird, ist kein Trugbild. Allein gegen die Meinung, als könnte je der Mensch in solcher Objektivierung als ganzer erfasst werden, wendet Jaspers ein: "In jedem Augenblick, in dem ich mich zum Objekt mache, bin ich zugleich mehr als dieses Objekt, nämlich das Wesen, das sich auf diese Weise objektivieren kann". Deshalb protestiert im Psychiater Jaspers der Philosoph auch gegen die Psychanalyse, sobald sie ihr Wissen vom Menschen als das Wissen vom Menschen überhaupt ausgeben und ihn nur noch als "die Marionette seines Unbewussten" gelten lassen will. "Existenz" wird nicht als Tatbestand wissenschaftlich objektiv feststellbar, sondern kann nur in Selbstbesinnung gewiss werden für den, der sie verwirklicht. Dieser immer wieder eingeschätzte Satz Jaspers' wird verständlich, wenn man beachtet, wie er unter dem Titel "Existenz" Immanuel Kants Lehre von der Freiheit neu zur Geltung bringt. Für theoretisches Wissen steht alles Wirkliche in Kausalzusammenhängen. Dies gilt auch vom Menschen, soweit er als empirisches "Dasein" Objekt der Forschung werden kann. Allein es gibt eine Selbstgewissheit, sagt Jaspers, in der "mir in aller Abhängigkeit und Bestimmtheit meines Daseins gewiss wird, dass etwas zuletzt allein an mir liegt". Dies ist die "Gewissheit des Selbstseins aus Freiheit". Jaspers verfehlt nicht, auf die Erkenntnis der neuen Physik zu verweisen, für die das Naturgesetz sich als statistische Regel enthüllt, die den atomaren Einzelvorgang nicht determiniert. Damit führt sie ihrerseits zu der Einsicht, "dass das Sein nicht erschöpft ist mit dem Sein als Bestand von Dingen unter Gesetzen". Wer Verantwortlichkeit für sich selbst ablehnt mit dem Argument, der Mensch sei nichts anderes als naturgesetzlich bestimmtes Dasein, widerlegt sich selbst gerade durch solche Selbstrechtfertigung: "Was nach Naturgesetzen notwendig so ist, wie es ist, bedarf keiner Rechtfertigung". Die Bedingungen des menschlichen Verhaltens sind niemals vollständig überschaubar. In der Selbstgewissheit der Freiheit ergreift der Mensch eine offene Möglichkeit, indem er selbst wählt und entscheidet. Aber diese Freiheit ist in gar keinem Sinne eine von vornherein selbstverständlich bestehende Zuständlichkeit. Es gibt auch ein

Menschsein als pures Dasein, als blosses Resultat der stets wechselnden, empirisch feststellbaren biologischen, psychologischen, soziologischen Daseinsbedingungen. Dieses Dasein ist Verfallensein an die Welt. Etwas im Menschen bleibt aber von solchem Dasein endgültig unbefriedigt. Diese "Unbefriedigung" am blossen Dasein ist negativer Ausdruck der Gewissheit, dass der Mensch im Zusammenspiel der wechselnden Bedingungen seiner jeweiligen Situation immer nur dann wirklich und eigentlich als er selbst "existiert", wo er in innerem Aufschwung wählt und entscheidet, worauf es im Augenblick für ihn selbst unbedingt ankommt. Ob er aber dieses wahre Selbstsein findet oder nicht findet, das ist gerade die grosse, für ihn stets neu gestellte Frage. Sicher ist, dass "Existenz" in diesem Vollsinne zuhöchst nur verwirklicht wird in der Begegnung von Ich und Du, in der Kommunikation, wie Jaspers zu sagen pflegt. Man kann demnach das mit dem Jaspersschen Existenzbegriff Gemeinte zusammenfassend auch so zum Ausdruck bringen: Es gehört zum Wesen des Menschen, dass er über den Sinn seines Menschseins selbst entscheiden muss. Oder wie Jaspers selbst gelegentlich sagt: "Des Menschen Wesen und Situation ist, nach Sinn fragen und sinnhaft handeln zu müssen". Aber wirklich sinnhaftes Menschsein hängt daran, ob der Mensch sich selbst als sinnsuchendes Wesen ernst nimmt oder nicht.

Bei Heidegger wird die Frage nach dem "Sinn von Sein" sogleich zur Frage nach dem Sinn des Menschseins, wobei es sich darum handelt, wie der Mensch "eigentlich sein und ganz sein" kann. Auch hier ist wesentlich das wählende und entscheidende Ergreifen oder Versäumen einer offenen Möglichkeit. Aber so wenig gilt bei Heidegger das "Eigentlichsein" als selbstverständlich, dass er das menschliche Dasein vielmehr gekennzeichnet sieht durch einen immer schon vollzogenen "Abfall" von sich selbst. Weil menschliches Dasein als Dasein in der Welt durch den Grundcharakter der "Sorge" bestimmt ist, sinkt es im "Verfallen an die Welt" ab zu einer "durchschnittlichen Alltäglichkeit", die gekennzeichnet ist durch das, was Heidegger beschreibt als "Gerede", "Neugier" und "Zweideutigkeit".

Als zweiter existenzphilosophischer Hauptbegriff ist im Hinblick

auf unser Thema zu erläutern die "Transzendenz". Jaspers sagt geradezu: "Existenz ist nur in bezug auf Transzendenz oder gar nicht". Und zwar meint er mit Transzendenz den "Seinsursprung". Aber für ihn mündet schon die "Weltorientierung" der Wissenschaft, sofern nur dem Weitertragen keine willkürliche Schranke gesetzt wird, in ein Philosophieren aus, das "transzendierendes" Denken ist. Kein Wissen von der Welt "besteht in sich abgeschlossen". "Es taucht die Frage auf: warum gibt es überhaupt etwas, warum ist nicht nichts?, die Frage, die Leibniz stellte, vor deren Abgrund Kant schauderte und die Schelling in unablässigem Bemühen ergriff".

An der Grenze des in ihr Erkennbaren weist die Welt über sich selbst hinaus. Indem das Denken den Schritt über diese Grenze tut, und das heisst eben: transzendiert, verfällt es freilich der Paradoxie. Indem es denken will, was jenseits der Welt nicht mehr Welt, sondern der Seinsursprung ist, denkt es unvermeidlich diese "Transzendenz" doch nur in Denkformen und Denkinhalten, die sich eigentlich auf das in der Welt Gegebene und Erkennbare beziehen. Im Denken der Transzendenz als "Ursprung" werden beispielsweise "Sein" und "Grund des Seins" im Begriff der causa sui, der "Ursache seiner selbst" in eins gesetzt, was für den Verstand ein Widerspruch bleibt. Trotzdem gibt die Religion dem Anreiz zur Vergegenständlichung der Transzendenz hemmungslos nach und lehrt dogmatische Begriffe von Gott, in denen die Gottheit, d. h. eben der Seinsursprung vorgestellt wird als ein Wirkliches von der Art, wie es in der Welt vorkommt. Der Aberglaube vollends materialisiert geradezu das Göttliche. Demgegenüber verfällt der Positivismus nur in das andere Extrem, indem er die empirische Wirklichkeit fälschlich verabsolutiert und die Transzendenz entweder überhaupt leugnet oder sie als das Unerkennbare beiseite lässt, das ihn vermeintlich nichts angeht. Beide Extreme verfehlen die Sachlichkeit des Denkens. Indem das transzendierende Denken vergegenständlicht, was über alle welthafte Gegenständlichkeit hinaus ist, muss es scheitern an dem, was ihm als das unausdenkbare eine, absolute Sein des Ursprungs gewiss wird. Erscheint dieses Scheitern des Denkens wie das Enden vor dem Nichts, so ist dies nur das Eingeständnis der

Unzulänglichkeit, das Unausdenkbare zu denken. Das vermeintliche Nichts ist in Wahrheit, mit Jaspers zu reden, die unendliche Fülle "des überschwenglichen Ueberseins". Mit aller Abwehr der allzu vordringlich zugreifenden theologischen Dogmatisierung Gottes will Jaspers daher niemals, wie man ihm vorgehalten hat, "das Sein der Gottheit fallen lassen", sondern nur sagen, was nach seiner Meinung jeder Gläubige zugestehen müsste: "Ich kann von dem, woraus ich bin und lebe, nur sprechen, indem ich es im Gesprochenen auf eine begreifliche Weise verfehle". Und so ist ihm der Schöpfungsgedanke "der Ausdruck des Urgeheimnisses, das Aussprechen der Unbegreiflichkeit". Die Gottheit ist die verborgene verborgene Gottheit. Aber alles, was uns in der Welt begegnet, kann, wo es dem plötzlich erweckten philosophischen Staunen zum Wunder wird, die verborgene Gottheit als das letzte eigentliche Sein anzeigen.

Aber das alles, erhält bei Jaspers noch einen besondern Akzent durch das, was er meint mit dem schon zitierten Satz: "Existenz ist nur in bezug auf Transzendenz oder gar nicht." Existenz, der innere Aufschwung zum Selbstsein aus Freiheit, ist ja die in gar keiner Hinsicht selbstverständliche Möglichkeit des Menschseins! So wenig der Mensch der Schöpfer der Welt ist, so wenig ist umgekehrt die Möglichkeit seines Selbstseins aus Freiheit aus dem wissenschaftlich erkennbaren Weltbestand und Weitzusammenhang zu erklären. Aber ebensowenig verfügt er selbst über diese Möglichkeit. "Er kommt zu sich und weiss nicht wie. Doch kann seine unablässige Anstrengung sich selbst nicht erzwingen; er kommt zu sich wie ein Geschenk". Der Mensch, der er selbst ist, ist "das Wunderbare". "Der ganz auf sich Stehende erfährt angesichts der Transzendenz am entschiedensten jene Notwendigkeit, die ihn ganz in die Hand seines Gottes legt". Mit derartigen Aussagen will Jaspers immer wieder eindrücklich machen, dass im niemals selbstverständlichen Gelingen des Selbstseins aus Freiheit Transzendenz als das Geheimnis des Seinsursprungs in einzigartiger Weise offenbar und gewiss wird. Allein mit solchen Aussagen ist nun der Beitrag der Jaspersschen Philosophie zu unserm Thema keineswegs erschöpft. Es ist damit nur der Punkt erreicht, an welchem für Existenz der eigentliche Kampf um

Glauben und Unglauben erst beginnt, in dem die Entscheidung um die eigentliche Sinnerfüllung des Menschseins noch bevorsteht.

Auch in Heideggers Entwurf der Existenzphilosophie wird auf "Transzendenz" verwiesen. Aber nicht transzendierendem Denken wird sie ursprünglich offenbar. Es ist überhaupt nicht das Denken, sondern die gefühlsmässige Stimmung, die dem Menschen den Grundcharakter des Daseins erschliesst. Die plötzlich den Menschen überfallende Angst hat das Einzigartige, dass sie ihn in ein "Schweben" bringt, in dem er selbst mit allem Seienden ins Bodenlose zu entgleiten droht. In diesem Schweben der Angst wird dem Menschen Transzendenz offenbar, aber nicht als die Gottheit, sondern als das Nichts schlechthin. Er erfährt sein endliches Dasein als "hinausgehalten in das Nichts". Wir wissen bereits, dass bei Jaspers der Ausblick in das vermeintliche "Nichts' nur ein Durchgangsstadium des transzendierenden Denkens darstellt, das nur als subjektive Täuschung endgültig festgehalten werden könnte. Die Angst als Stimmung hat keine Bedeutung für die Offenbarung der Transzendenz. Angst erkennt nichts, verschleiert und verzerrt höchstens das Erkennbare.

Jaspers' Grundanschauungen über die Sinnverwirklichung menschlicher Existenz kann man zusammenfassen unter das, was er ,,existenzielle Bezüge zur Transzendenz" nennt, obschon er selbst in seinem dreibändigen Hauptwerk nicht alles Wesentliche, was er hierüber zu sagen hat, unter diesen Titel stellt, was die Klarheit und Geschlossenheit seiner Darstellung beeinträchtigt. Ob und wie der Mensch im Selbstsein aus Freiheit zur Sinnverwirklichung gelangt, entscheidet sich in der Art und Weise, wie er sich mit den Situationen auseinandersetzt, in die er durch den wechselvollen Weltlauf gerät. Es sind bestimmte, nicht alltägliche Situationen, in denen überhaupt erst das Sinnproblem mit voller Schärfe aufbricht und dem Menschen zum Bewusstsein kommt. Jaspers nennt sie ,,Grenzsituationen". In ihnen erfährt der Mensch, dass unaufhebbare Sinnwidersprüche zum Wesen des Daseins gehören: Alles für uns Positive ist an ein Negatives gebunden. "Es gibt kein Gutes ohne mögliches und wirkliches Böses, keine Wahrheit ohne Falschheit,

Leben nicht ohne Tod; Glück ist an Schmerz gebunden, Verwirklichen an Wagen und Verlieren". Und nicht nur Leiden und Tod, sondern auch Kampf und Schuldigwerden sind unvermeidlich. Das alles ist "wie eine Wand, an die wir stossen, an der wir scheitern". Die Verständnislosigkeit für diese Sinnzwiespältigkeit der ,,Grenzsituation" wirft Jaspers sowohl dem Positivismus als auch dem Idealismus als ihre "Unwahrheit" vor: "Beide Philosophien sind unfähig, noch im eigentlichen Sinne betroffen zu werden. Beide Philosophien vertreiben das Staunen. Sie heben Leiden und Hadern auf, sie kennen, weil sie im Ganzen geborgen sind, nicht eigentlich Tod, Zufall, Schuld. Zweifel und Verzweiflung sind ihnen keine ernstlichen Möglichkeiten. Sie werden unfähig, menschliche Tatbestände als Rätsel zu sehen; z. B. ist Geisteskrankheit dem Positivismus ein nur zu erforschender Naturprozess, dem Idealismus etwas, was ihn nichts angeht, und das er als abnorm fallen lässt oder wirklichkeitsfremd in seinen unwahrhaftigen Vorstellungen erbaulich und geistreich verwertet".

In der Grenzsituation erfährt der Mensch die Welt und sein eigenes Dasein als in Frage gestellt. In dieser Erschütterung wird er aus dem Verfallensein an die Welt auf sich selbst zurückgeworfen. zurückgeworfen. Aber dieses Verwiesenwerden auf die Möglichkeit des Selbstseins aus Freiheit erfährt er als Angst, nicht nur als vitale Todesangst, sondern als Angst des Entgleitens des Selbstseins in die Bodenlosigkeit des Nichts, die Angst, die auch Heidegger meint. Aber im Fragen nach der Möglichkeit des Selbstseins, der Existenz, ist ja immer auch schon die Frage nach der Transzendenz, jedoch hier nun als ein ratloses Fragen aus dem Sinnzwiespalt der Grenzsituation heraus: Warum schafft Gott das Dasein so, wie es ist? In der unvermeidlichen Ungewissheit bleibt die Entscheidung zwischen zwei Haltungen gegenüber der Gottheit: Entweder Trotz oder unbedingte Hingabe. Und eben dies ist der Sinn des Kampfes zwischen Unglauben und Glauben in jedem Menschen. "Trotz — ob Gott leugnend oder fluchend — ist selbst Ergriffenheit von der Transzendenz. Er vermag tiefer zu sein als der fraglose Glaube. Hadern mit Gott ist ein Suchen Gottes. Alles nein möchte ein ja, aber in Wahrheit und Redlichkeit. Alle

Hingabe ist als wahre nur möglich durch überwundenen Trotz". Ihn wirklich zu überwinden ist wiederum keine Selbstverständlichkeit und kein Verdienst, sondern Geschenk. Aber in der unbedingten Hingabe liegt die grosse Möglichkeit, in den erschütternden Erfahrungen des Sinnzwiespalts der Grenzsituation sinnhaftes Menschsein zu verwirklichen. Denn es gibt hier wirklich, wie Jaspers ausdrücklich sagt, ein "sinnvolles Reagieren". Nicht als ein Aufheben der Grenzsituation als solcher, das ist unmöglich, sondern als eine Art und Weise, "offenen Auges in sie einzutreten". Wahre unbedingte Hingabe als Hingabe durch überwundenen Trotz lässt sich bewusst hingeben auch in das Grauen der Angst, um diese Probe zu bestehen, und wird so zum bedingungslosen Vertrauen in den verborgenen göttlichen Urgrund des Seins, als letzte Instanz, über die hinaus an nichts mehr appelliert werden kann. Damit entscheidet sich der Mensch im Selbstsein aus Freiheit für die "Bereitschaft zum Leben, wie es auch sei, es auf sich zu nehmen, wie es auch kommt". Eben diese Hingabe ist der Glaube, und als solche Hingabe bewährt er sich als "die Kraft der Existenz". Denn er macht sinnhaftes Aushalten der Grenzsituation möglich, weil er die Möglichkeit der Ueberwindung der Angst bedeutet. Es spricht wohl auch die Erfahrung des Psychiaters mit, wenn Jaspers hier mit so gewichtiger Betonung einmal sagt: "Der Sprung aus der Angst zur Ruhe ist der ungeheuerste, den der Mensch tun kann. Dass er ihm gelingt, muss seinen Grund über die Existenz des Selbstseins hinaus haben; sein Glaube knüpft ihn unbestimmbar an das Sein der Transzendenz". So dem unvermeidlichen Leiden, dem unvermeidlichen Kampf und dem unvermeidlichen Tod in die Augen zu sehen, heisst sinnhaft Mensch sein. Irgendwie liegt hier auch die Lösung des Problems der Schuld, die immer Verfehlung der Sinnverwirklichung ist. Glauben als die Kraft der Existenz bewähren bedeutet hier Zweierlei: Nicht nur unvermeidliche - Schuld in Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst verantwortlich auf sich nehmen, sondern auch um Vermeiden vermeidbarer Schuld sich bemühen. Und diesem Bemühen gibt die Hingabe eine besondere Sinnmöglichkeit: Hingabe in der Kommunikation, in der Begegnung von Ich und Du sagt Ja

zum Andern wie zu sich selbst. Es ist der Sinn der Liebe. "Wer liebt, sieht das Sein des Andern, das er als Sein aus dem Ursprung grundlos und unbedingt bejaht: er will, dass es sei". Es ist der Entschluss: "Ich will, dass jeder andere sei, wie ich zu werden mich bemühe". Gibt es in solcher Kommunikation Kampf, so ist es der Kampf nicht nur um das eigene Selbstsein, sondern auch um das Selbstsein des Andern. Das heisst: Die echte Liebe ist der Wille, auch dem Andern sinnhaftes Menschsein zu ermöglichen. In lichtvoller Weise hat Jaspers das ganze Problem der Kommunikation erörtert am Beispiel des Umgangs des Arztes mit dem Kranken.

Hinter dieser Jaspersschen Erörterung des Problems der Sinnverwirklichung bleibt der Beitrag Heideggers beträchtlich zurück, weil er sich von vornherein für die Auffassung entscheidet, dass "eigentliche Existenz nichts sei, was über der verfallenden Alltäglichkeit schwebt, sondern... nur ein modifiziertes Ergreifen dieser". Darum fällt vor allem die Behandlung des Schuldproblems anders aus als bei Jaspers. Schuld ist ihm lediglich etwas mit der "Seinsart des Daseins" als solcher schon Gegebenes. Ist "eigentlich sein" als Sinn des Menschseins möglich, so gehört dazu das eindeutige entschlossene Jasagen gerade auch zur Schuldverfallenheit des Daseins. Der wichtige Gedanke der Bemühung um Vermeiden vermeidbarer Schuld durch Verwirklichung einer besondern positiven Sinnmöglichkeit fällt hier grundsätzlich weg. Allein es geht ja bei Heidegger nicht nur um das "Eigentlichsein", sondern um "eigentlich sein und ganz sein". Im Dasein steht aber, solange es ist, immer noch etwas aus, schliesslich das Ende selbst, der Tod, der erst die Ganzheit des Daseins bestimmt. Ganz sein kann der Mensch also immer nur durch ein bestimmtes Bezogensein auf den Tod: es ist das entschlossene Jasagen auch zu seiner Todverfallenheit. Einzig in dieser entschlossenen Uebernahme des schuld- und todverfallenen Daseins wird das Selbstsein aus Freiheit bewährt, zu dem der Mensch aufgerufen wird durch das Gewissen, und zwar dann, wenn die Angst ihn vor das Nichts stellt. "Bezug zur Transzendenz" wird also darin nicht verwirklicht als bedingungslos vertrauende Hingabe an die verborgene Gottheit, sondern nur, wie Heidegger ausdrücklich

sagt, als das "Sichloslassen in das Nichts, d. h. das Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zu denen er sich wegzuschleichen pflegt".

II

Die nunmehr freilich nur in Grundzügen skizzierten existenzphilosophischen Gedankengänge sind zweifellos symptomatisch für ein bestimmtes religiöses Fragen der Gegenwart und verdienen daher, in aufmerksamer Erwägung ernst genommen zu werden. Ich beschränke mich im wesentlichen auf eine Stellungnahme zu Jaspers, weil eine Kritik der Auffassung Heideggers in seiner Konzeption bereits vollzogen ist. Vorweg ist ein Wort zu sagen über seine kritische Stellungnahme zur Religion. Sie gilt ihm seltsamerweise als echt nur da, wo sie als autoritäres Kirchentum mit Kultus und lehrgesetzlich festgelegtem Theologiebetrieb auftritt. Demgegenüber muss Philosophie nach Jaspers die Freiheit eines aus eigenem Grunde sich vergewissernden Glaubens verteidigen, der sich wohl "beugen möchte, aber nicht knien vor dem, was Menschenwerk ist". Gegenüber dieser Abgrenzung von kirchlicher und philosophischer Religion ist immerhin einzuwenden, dass zu Zeiten doch auch in der Kirche selbst für die geistige Freiheit und gegen ihre kirchliche Unterbindung gekämpft wurde, was in der Kirchengeschichte nicht nur die Ketzergeschichte bezeugt, von der Jaspers mit Recht sagt, dass sie "zu einem guten Teil eine Geschichte der Wahrheit sei." Wesentlich ist Jaspers' grundsätzliche Anerkennung der Kirche: "Die Kirche, in der ich geboren wurde", so schreibt er, "kann ich nicht ablehnen, weil ich ohne sie nicht zu dem Gehalt meiner Freiheit gekommen wäre". Und wenn er beifügt: "Die Kirche aber der Theologen, die mich ausschliessen würde, ist nicht die Kirche einer Wahrheit, sondern ... eine Verirrung leerer Fixiertheiten", — so fänden sich jedenfalls in unserer Kirche deren genug, die seine Exkommunikation verhindern würden.

Tatsächlich zeigt die Existenzphilosophie gerade im Jaspersschen Entwurf eine positive Beziehung zur christlichen Tradition vor allem schon in ihrem Existenzbegriff. Was dieser

Gedanke meint, die Möglichkeit des Selbstseins aus Freiheit zur Verwirklichung dessen, was der Sinn des Menschseins ist, ist im Hinblick auf all das, was schon in den neutestamentlichen Schriften über die Freiheit zu lesen steht, von jeher ein zentrales Thema der mannigfaltigen christlichen Lehren von der Erlösung gewesen. Wie tief war das christliche Denken in den wichtigsten Perioden seiner Geschichte bewegt von der Frage: Was kann der Mensch zu seinem wahren Heile tun? These stand gegen These. Einerseits: Es gibt für den Menschen ein freies Können, das ihm gewiss wird unter dem Antrieb eines Sollens und im tiefen Bewusstsein, schuldig und verantwortlich zu sein, wo er ihm nicht folgt. Andererseits: Es gibt kein solches Können als freie Eigenständigkeit des Menschen, sondern nur als reine unverdiente Gnade Gottes; wem sie nicht zuteil wird, ist verloren. Bald standen diese Gedanken scharf gegeneinander, bald suchte man sie zum Ausgleich zu bringen. Jaspers weiss selbst um diese Antinomie des christlichen Denkens. Und wenn er sich bei dem Urteil bescheidet, dass in einer dem Verstande uneinsichtigen Weise gerade die ungelöste Spannung beider Gedanken das Wesen der Sache treffe, so steht er im Einklang mit den tiefsten Intentionen der religiösen Ueberlieferung.

In einem eindeutigen Gegensatz zur christlichen, ja, zur religiösen Tradition überhaupt glaubt aber Jaspers zu stehen mit seinen Gedanken über die Transzendenz. Es handelt sich hier um seinen Vorwurf, dass die Religionen, auch das Christentum, aus blossem Heils- und Sicherungsbedürfnis die Transzendenz in einer Weise vergegenständlichen, die auf eine Verweltlichung, Vermenschlichung, ja oft Materialisierung der Gottheit hinauslaufe. Der Frage nach dem Verhältnis Jaspers' zur religiösen Tradition möchte ich zunächst eine sachliche Würdigung seiner Transzendenzauffasung vorausschicken. Bezeichnet für uns mit dem von Jaspers selbst verteidigten guten Recht der Gottesgedanke den schöpferischen Seinsursprung, dann bleiben in der Tat alle unsere Aussagen über das Wesen der Gottheit notwendig darin unzulänglich, dass sie mit menschlich-welthaften Denkformen und Denkinhalten zu erfassen suchen, was doch jenseits und über allem Menschlich-Welthaften steht. Wir können

nicht anders als so von Gott reden, aber der Philosoph hat recht, wenn er verlangt, dass wir uns der unvermeidlichen Unzulänglichkeit und Unangemessenheit solchen Redens bewusst bleiben. Diese philosophische Kritik an allem vermeintlich endgültigen und erschöpfenden Wissen vom Wesen der Gottheit in dogmatischen Begriffen hat mit skeptischer Verneinung der Gottheit nichts zu tun, sondern will im Gegenteil im Bewusstsein von der alle menschliche Denkmöglichkeit überragenden Wirklichkeit Gottes der Verendlichung und Banalisierung wehren, deren sich alles vorbehaltlos positiv-dogmatische Reden über Gott schuldig macht. Jaspers will das Geheimnis Gottes ernst genommen wissen. Und für das Recht seiner Auffassung zeugt die Tatsache, dass die von ihm abgelehnten Vermenschlichungen Gottes immer wieder jenen theoretischen Atheismus provoziert haben, der in neuerer Zeit besonders deutlich Ausdruck gefunden hat in dem Feuerbachschen Vorwurf, dass der Gott der Religion lediglich die Projektion des Menschen sei, dass also in jedem dogmatischen Gottesbegriff der Mensch nur sich selbst verabsolutiere.

Allein, was Jaspers hier meint, das haben vor allem unter philonisch-neuplatonischem Einfluss auch christliche Theologen schon seit dem kirchlichen Altertum klar und entschieden selbst geltend gemacht mit der eigentümlichen Unterscheidung einer "verneinenden Theologie" als notwendiger Korrektur aller "bejahenden"Theologie, sofern sie aus Respekt vor der Absolutheit Gottes als des Seinsursprungs allen positiven dogmatischen Aussagen über das Wesen Gottes nur symbolischen Wert zuerkennt. Und schon vor dem Auftreten des Neuplatonismus finden sich altkirchliche Theologen, die sich nicht genug tun können in der Häufung von Aussagen, die alle das Eine betonen wollen dass das Wesen Gottes unbegreiflich, unausdenkbar, geheimnisvoll, ja namenlos unaussprechbar sei. Und seit vollends auch Augustin im Sinne dieser verneinenden Theologie lehrte, dass Gottes Wesen unerkennbar und unaussprechbar, durch keine Kategorien des menschlichen Verstandes fassbar sei, haben diese Gedanken durch das Mittelalter hindurch immer neu mit bemerkenswerter Kraft nachgewirkt. Dabei geht die Uebereinstimmung mit Jaspersschen Gedanken gelegentlich bis

in auffällige Einzelheiten. Die Jasperssche Paradoxie, dass unser Wissen von der Gottheit ein wissendes Nichtwissen bleibt, ist genau der Sinn der in der mittelalterlichen Theologie mehrfach verfochtenen Formel von der Gotteserkenntnis als "docta ignorantia". Und im 15. Jahrhundert war der deutsche Philosoph und Theologe Nicolaus Cusanus sich keiner Verleugnung der Kirche bewusst, der er als Bischof und Kardinal verpflichtet war, als er seine auch in der Geschichte der Philosophie unvergessene Schrift von der Gotteserkenntnis geradezu unter diesem programmatischen Titel "de docta ignorantia" in die Welt gehen liess. In der frühmittelalterlichen Spekulation über die altüberlieferte Formel von der "creatio ex nihilo", der "Schöpfung aus dem Nichts", begegnen wir sogar auch dem, was Jaspers mit dem Ausblick in das "Nichts" meint. Hatte schon Augustin geäussert, "Schöpfung aus dem Nichts" könne nur bedeuten, dass eine Bedingung zur Weltschöpfung ausser Gott nicht gegeben sei, so gab der bedeutendste Theologe des 9. Jahrhunderts, Johannes Scottus Eriugena, diesem Gedanken die paradoxe Formulierung, Gott selbst sei dieses Nihil, dieses "Nichts", aus dem alles Seiende stammt. Er wollte damit aussprechen, dass Gott als der verborgene Seinsursprung das grosse jenseitige Geheimnis sei, vor dessen alle Erkenntnis überragendem Wesen der Mensch schliesslich verstummen muss, derart, dass seinem Verstand in Augenblicken höchster Ergriffenheit zumute werden kann, als wäre das Letzte, was ihm an der Grenze des Erkennens übrig bleibt, der erschreckende Blick in das unerforschliche Dunkel des Nichts. Selbstverständlich finden wir den paradoxen Satz, quod deus est in nihilo, auch bei Nicolaus Cusanus wieder. Die auffällige Uebereinstimmung der Jaspersschen Transzendenzauffassung mit dieser mittelalterlichen Theologie rührt in Wahrheit daher, dass Jaspers selber auf neuplatonische Lehre zurückgreift, was er auch zugibt.

Besondere Bedeutung erhält für Jaspers der Gedanke der Verborgenheit Gottes durch ein Problem, um das sich auch das christliche Denken bemüht hat. Die Verborgenheit der Gottheit kommt schmerzlich zum Bewusstsein, wo sie, wie Jaspers einmal formuliert, "mir entgegen tritt in dem, was nicht sie selbst für mich ist". In diesen und andern Formulierungen Jaspers geht

es um die Verstehbarkeit des Sinnes des göttlichen Wirkens. Nahe, vertraut, verstehbar wird uns die Gottheit in ihrem Walten, wo sie den Menschen mit sich selbst einigt, indem sie ihn aus der Trotzhaltung zur gläubigen Hingabe befreit und erlöst, in der er sinnhaftes Menschsein zu verwirklichen vermag. Um so unbegreiflicher, abgründiger, verborgener aber erscheint die Gottheit, wo sie sich nicht als die in diesem höchsten Sinne erlösende und schenkende bekundet, sondern den Menschen der verschlossenen Trotzhaltung überlässt, in der ihm der "Absturz ins Sinnlose" droht, jenes blosse Scheitern in der Grenzsituation, das auch in Nacht, Stumpfheit und Verzweiflung enden kann. Dieses Problem drängte einst Luther in seiner Streitschrift gegen Erasmus "Vom geknechteten Willen" vorübergehend in eine dualistische Spekulation über den "verborgenen" Gott, der die Erlösung des Menschen nicht will und so gegen den "offenbaren" Gott steht, der die Erlösung des Menschen will. Aber auch anderswo, ich erinnere nur an Böhme und Schelling, taucht in den Wandlungen der christlichen Tradition eine solche Spekulation auf über das, "was in Gott selbst nicht er selbst ist". Jaspers erkennt sehr wohl die Unhaltbarkeit solcher und anderer dualistischer Spekulationen und kommt dennoch nicht endgültig davon los. Er schwankt unsicher in jener Antinomie, die Wilhelm Windelband die "Antinomie des religiösen Bewusstseins" genannt hat: das transzendierende Denken muss in Gott Wirklichkeit und Normativ-Sinnhaftes identifizieren, während das religiöse Erlösungsbedürfnis sie scheiden will. Das Heilige soll Substanz und Ursache auch des Gegenteils sein. In der christlichen Tradition findet sich aber auch eine Unterscheidung, die in bescheiden-sachlicher Zurückhaltung das Problem als unlösbar stehen lässt. Sie stellt einer "allgemeinen" Offenbarung Gottes eine "besondere" als die für uns massgebliche massgebliche Offenbarung gegenüber und will damit letztlich sagen: Bescheiden wir uns dabei, uns durch das göttliche Licht der in der gläubigen Hingabe uns geschenkten heilvollen Möglichkeit sinnhaften Menschseins das Dunkel unseres Weges erleuchten zu lassen, und lassen wir die Frage, was alles Dunkle, Sinnfremde, Sinnwidrige für Gott selbst und in Gott bedeutet, endgültig dahingestellt sein als eine Frage, zu

deren Beantwortung wir nicht kompetent sind. Gelegentlich schwebt auch Jaspers diese Stellungnahme als die letztentscheidende vor, wo er von allem Sinnlosen einmal sagt: "Es ist nicht meine Gottheit darin".

Schliesslich ist aber über Jaspers' Gedanken von der Sinnverwirklichung transzendenzbezogener Existenz selbst noch ein Wort zu sagen. Sehr bemerkenswert ist, dass seine Lehre von der ,,Grenzsituation" der in den Religionen vorherrschenden, auch der genuin christlichen Erfassung und Beurteilung des Menschen näher kommt als sonstige neuzeitliche Philosophie. Dass Leiden, Kampf, Schuld und Tod das menschliche Dasein unvermeidlich fragwürdig machen, lehrt Jaspers mit einer in der neuem abendländischen Philosophie seltenen Betonung. Eben dies verbindet ihn eng mit der ursprünglichen christlichen Auffassung vom Menschen und bedeutet, sachlich gesehen, eine Befreiung von gewissen Illusionen idealistischer Philosophie. Aber sogleich empfindet Jaspers auch einen Gegensatz. Er hält es für einen wesentlichen, aber illusionären Zug ursprünglicher Religion, dass sie eine Gottesbeziehung sucht, durch die der Mensch aus der Bedrängnis durch die Grenzsituation befreit würde. Entweder soll diese durch göttliches Wunder endgültig aus der Welt geschafft werden oder der Mensch sich in eine weltferne Geborgenheit flüchten können, in der ihn die Bedrängnis der Grenzsituation nicht mehr trifft, was dann immer auch in eine weltflüchtige Ethik führt. Nach Jaspers muss aber die Gottesbeziehung als gläubige Hingabe sich bewähren gerade im Standhalten in der unvermeidlichen Grenzsituation. Denn gläubige Hingabe an die Gottheit als Seinsursprung wird unwahr ohne entschlossenes Jasagen zur Welt, in die wir hineingestellt sind. Das Recht dieser Jaspersschen These erhellt vollends folgende Ueberlegung: Der religiöse Wunsch nach Erlösung aus der Grenzsituation selbst entsteht an der durch die Bedrängnis provozierten Angst, vitaler Angst und eigentlicher Existenzangst um den Verlust sinnhaften Menschseins. Das Grundproblem der Erlösung ist also die Bewahrung vor dem Versinken in der Angst. Die Angstverkrampfung macht sinnhaftes Menschsein in der Grenzsituation vollends unmöglich, macht auch unfähig zur Verwirklichung der Liebe

in der Kommunikation. Erlösung von der Angst ist aber gerade das Geheimnis der echten unbedingten gläubigen Hingabe. Es ist also keine blosse philosophische Mode, wenn heute die Existenzphilosophie die Angst als ein Grundphänomen des menschlichen Daseins aufdeckt, sondern die klare Erkenntnis eines Sachverhalts, den wahrlich gerade der gegenwärtige Alltag nicht nur des individuellen, sondern auch des politischen und wirtschaftlichen Lebens fortwährend grell bestätigt. Ganz abgesehen davon, dass uns heutige Psychologie, sicher glaubwürdig, darüber belehrt, dass überhaupt das erste seelische Erleben jedes Menschen im ersten Augenblick seines Weltdaseins bei seiner Geburt die Angst ist, nämlich die Angst vor dem Erstickungstod.

Allein der religiösen und vor allem der christlichen Tradition ist der Jasperssche Grundgedanke durchaus nicht unbekannt. Selbstverständlich finden sich zahlreiche Erlösungslehren in dem von Jaspers kritisierten Sinne. Sie werden in der Wirklichkeitserfahrung immer wieder zweifelhaft und machen dann, wo sie mit dem Wesen der Religion geradezu identifiziert werden, diese selbst illusionsverdächtig. Allein das Bewusstsein von der Bedeutung, die gerade der Erlösung von der Angst zukommt, findet auf lichten Höhepunkten der christlichen Tradition ergreifend klaren Ausdruck. Wie anders wäre das Urteil Jaspers' ausgefallen, hätte er aufmerksam Kenntnis genommen nur schon von dem, was im Neuen Testament über Sorge, Furcht und Angst zu lesen ist, Worte Jesu, aber auch des Paulus und anderer neutestamentlicher Autoren von wahrhaft unvergänglich existenzerhellendem Sinn. Sogar Luther konnte in entscheidender Situation in frappanter Ignorierung ihm sonst vertrauter Erlösungslehren plötzlich in der Sprache seiner Zeit einen so mächtigen Appell zu existenzieller Haltung ausrufen wie den folgenden: "Wir sind alle zum Tode gefordert und wird keiner für den andern sterben, sondern ein jeglicher muss geharnischt und gerüstet sein für sich selbst, mit dem Teufel und Tode zu kämpfen. In die Ohren können wir wohl einer dem andern schreien, ihn trösten und vermahnen zu Geduld, zum Streit und Kampf; aber für ihn können wir nicht kämpfen noch streiten, es muss ein jeglicher allda auf seine Schanze selbst sehen und sich mit den Feinden, mit dem Teufel und

Tode selbst einlegen und allein mit ihnen im Kampf liegen. Ich werde dann nicht bei dir sein, noch du bei mir". Wie tief aber Jaspers' Deutung der Liebe als Sinnerfüllung der Existenz in christlicher Tradition wurzelt, bedarf keiner Worte.

Im Einzelnen wäre in Jaspers' Erörterung der transzendenzbezogenen Existenz manches unklar Gebliebene zu präzisieren, so seine Lösung des Schuldproblems. Es finden sich bei ihm auch Gedankengänge, in denen sich seine bereits gekennzeichnete Unsicherheit in der Behandlung des Transzendenzgedankens auswirkt. Darauf kann hier nicht mehr näher eingegangen werden. Meine Ausführungen wollten und konnten lediglich hinweisend darauf aufmerksam machen, dass in der heutigen Existenzphilosophie eine neue ernsthafte philosophische Beschäftigung mit der religiösen Frage am Werke ist, die, ohne dies planmässig zu wollen, in ihren Antworten bedeutsame Gehalte der christlichen Tradition neu zur Geltung bringt. Zum Schluss mögen drei Worte Gottfried Kellers, Conrad Ferdinand Meyers und des Neuen Testaments vollends erkennen lassen, dass die behandelten drei grossen Themata der Existenzphilosophie uns allen in Wahrheit längst vertraut sind, dass uns jedoch im heutigen Vielerlei religiöser Vorstellungen meist nicht mehr deutlich zum Bewusstsein kommt, dass es hier um etwas geht, worauf es im. Religiösen entscheidend ankommt. Zum Thema "Existenz" hören Sie Gottfried Kellers Gedicht "Trübes Wetter", das die Stimmung eines "stillen Regentages" zum Ausdruck bringt:

"Die Hoffnung, das Verlorensein
sind gleicher Stärke in mir wach;
die Lebenslust, die Todespein,
sie ziehn auf meinem Herzen Schach.
Ich aber, mein bewusstes Ich,
beschau das Spiel in stiller Ruh,
und meine Seele rüstet sich
zum Kampfe mit dem Schicksal zu".

Zum Thema "Transzendenz" das Gedicht Conrad Ferdinand Meyers "In Harmesnächten":

"Die Rechte streckt ich schmerzlich oft
in Harmesnächten

und fühlt' gedrückt sie unverhofft von einer Rechten. Was Gott ist, wird in Ewigkeit kein Mensch ergründen, doch will er treu sich allezeit mit uns verbünden".

Und endlich zum Thema ,,Sinnerfüllung in transzendenzbezogener Existenz" das Wort des Neuen Testaments: "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein; wer sich aber fürchtet, ist in der Liebe noch nicht zur Vollendung gelangt... Und dies Gebot haben wir von Ihm, dass, wer Gott liebt, auch den Bruder lieben soll".

Anmerkung

Die in der vorliegenden Darstellung als Zitate gekennzeichneten existenzphilosophischen Aussagen sind folgenden Werken entnommen:

Eberhard Grisebach: Gegenwart. Eine kritische Ethik. 1928.

Martin Heidegger: Sein und Zeit I. 4. Auflage, 1935.

Was Ist Metaphysik? 1931.

Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit, 4. Auflage, 1932.

Philosophie I: Philosophische Weltorientierung. 1932.

Philosophie II: Existenzerhellung. 1932.

Philosophie III: Metaphysik. 1932.

Vernunft und Existenz. 1935.