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EUROPÄISCHES GLEICHGEWICHT UND SCHWEIZERISCHE NEUTRALITÄT

Rektoratsrede

gehalten am 23. November 1946
von
Prof. Dr. Edgar Bonjour
Verlag Helbing &Lichtenhahn —Basel 1946

Buchdruckerei Friedrich Reinhardt AG., Basel

Hochansehnliche Versammlung!

Am Stiftungstag unserer alma mater besitzt der jeweilige Rektor das schöne Vorrecht, mit einem Gegenstand aus seinem engeren Lehr- und Forschungsgebiet vor den weiteren Kreis seiner Kollegen, der Kommilitonen und der Stadtbürgerschaft zu treten. Der Sprechende, der die Ehre hat, an unserer Universität das Fach sowohl der Schweizergeschichte als auch der Allgemeinen Geschichte zu vertreten, möchte deshalb in dieser kurzen Stunde akademischer Besinnung die beiden Disziplinen miteinander verbinden, indem er die von einer zur andern hinüberführenden inneren Fäden an einem konkreten Gegenstande aufzeigt, eingedenk der Worte Jacob Burckhardts: "Das wahrste Studium der vaterländischen Geschichte wird dasjenige sein, welches die Heimat in Parallele und Zusammenhang mit dem Weltgeschichtlichen und seinen Gesetzen betrachtet, bestrahlt von denselben Gestirnen, die auch andern Zeiten und Völkern geleuchtet haben, und bedroht von denselben Abgründen."

Unsere Betrachtung soll unter Ausschaltung aller individuellen Wünsche und subjektiven Willkür, auf Grund ursprünglicher Quellenzeugnisse geschehen, im Geiste reiner Wissenschaft. Aber indem wir Sie einladen, mit uns den mannigfachen Berührungen und wechselseitigen Relationen zwischen europäischem Gleichgewicht und schweizerischer Neutralität nachzugehen, fürchten wir nicht, Sie in Gebiete zu führen, welche die Verbindung mit der Gegenwart verloren haben. Wir möchten indessen vermeiden,

auf die Beziehungen mit dem Heute rundheraus hinzuweisen. Nicht durch abgeleitete Lehren oder gar Nutzanwendungen wollen wir eine äußerliche Verknüpfung mit den Problemen unserer Zeit herstellen. Wohl aber mag dadurch, daß die Fragestellung selber aus dem Erleben und Durchdenken unserer Epoche erwächst, Vergangenheit gegenwärtig und fruchtbar werden.

Es ist kein Zufall, daß das europäische Gleichgewicht und die schweizerische Neutralität zur selben Zeit, im siebzehnten Jahrhundert, ins allgemeine Bewußtsein traten und ihre scharfe Ausprägung erhielten; denn zwischen beiden waltet eine Art Verwandtschaft und geheime Anziehungskraft. Gewiß, Gleichgewichtspolitik und Neutralitätspolitik als geschichtliche Realitäten gehörten von früh an zu den Rezepten aller auswärtigen Politik. Aber als Maximen verkündet und diskutiert wurden sie erst in der Neuzeit. Dabei ist charakteristisch, daß das Ausland sich schon früh um eine Begriffsbestimmung des europäischen Gleichgewichts bemühte, während die alten Eidgenossen Neutralitätspolitik übten ohne viel darüber zu reden. Mehr als sie selber haben Landesfremde den Sinn schweizerischer Neutralität erörtert.

Beide Begriffe sind nicht Spekulationen politisierender Philosophen, sondern reale Zielsetzungen von Staatsmännern, politische Programme, aus konkreten Verhältnissen organisch entstanden, sich mit der steten Veränderung der politischen Umwelt wandelnd, differenzierend, läuternd. Beide Phänomene sind vornehmlich historisch-politische, nicht juristische Angelegenheiten, sind recht eigentlich geschichtliche Probleme, denen man mit völker- und staatsrechtlichen oder philosophisch-systematischen Präzisierungen nicht ganz beikommt, so wenig sich der ewig flutende Strom der Geschichte in schematische Terminologien

einfangen läßt. Das Wesen und die Wirksamkeit dieser sich über Jahrhunderte lebendig erhaltenden Erscheinungen zu klären versuchen, gehört zu den Aufgaben der historischen Wissenschaft. Die Balance-Idee, ursprünglich einfach als Politik der Waage im Spannungsfeld der Großmachtsrivalitäten aufgefaßt, ist später zur Gleichgewichtslehre ausgebildet worden, wonach Gegengewichte nötig seien zur Verhütung der Vorherrschaft eines Einzelnen, oder wie Friedrich von Gentz zu Beginn des letzten Jahrhunderts formulierte: "Das, was man gewöhnlich politisches Gleichgewicht nennt, ist diejenige Verfassung nebeneinander bestehender und mehr oder weniger miteinander verbundener Staaten, vermöge deren keiner unter ihnen die Unabhängigkeit oder die wesentlichen Rechte eines andern, ohne wirksamen Widerstand von irgendeiner Seite, und folglich ohne Gefahr für sich selbst, beschädigen kann." Neuerdings definiert die Encyclopaedia Britannica auf Grund älterer Doktrinen das Gleichgewicht der Macht als Aufrechterhaltung "of such a just equilibrium between the members of the family of nations as should prevent any one of them from becoming sufficiently strong to enforce its will upon the rest". Und ähnlich ist die schweizerische Neutralität, zunächst eine bloße Politik des "Stillesitzens", zum Dogma von der völligen außenpolitischen Enthaltsamkeit und der gleichmäßigen Begünstigung vervollkommnet worden.

Wie der Inhalt der beiden Begriffe, so hat auch deren politische und moralische Bewertung im Laufe der Zeiten mehrfach geschwankt. So gab es Epochen, wo die Gleichgewichtsdoktrin als Grundlage des internationalen Rechtes betrachtet, als Schutzengel des allgemeinen Friedens verehrt wurde, und solche, da man dieses Prinzip als Chimäre verspottete, als verkapptes Mittel machtpolitischen

Ehrgeizes denunzierte. Und auch die Bewertung der schweizerischen Neutralität weist schroffste Gegensätzlichkeit auf. In der Eidgenossenschaft selber wurde sie als "häßliches, schändliches und abscheuhliches Monster" verhöhnt und dann gleich wieder als "Grundseule des eidgenössischen Ruhestandes"gepriesen.

Verwandtschaft besteht ebenfalls zwischen europäischem Gleichgewicht und schweizerischer Neutralität in ihrer Stellung zum Friedensgedanken. In einer Welt, welche die mittelalterliche Auffassung der universalen Einheit von Staat und Kirche verabschiedet hatte und keine übernationale Rechtsinstanz mehr kannte, wo aus dem Trümmerfeld des alten Reichs neue staatliche Souveränitäten herausgewachsen waren, und jeder Staat auf sich selbst gestellt, ohne Bindungen an eine weltliche oder geistliche Zentralgewalt, einzig seinem eigenen Interesse folgte, mußte das rationalistische Prinzip des Gleichgewichts als vorzügliches Werkzeug gegen das allgemeine Chaos selbständiger Staatskörper erscheinen. Bereits anno 1584 führte ein gedruckter "Discours au Roy Henry III" aus, weise Fürsten pflegten gegen ihre Nachbarstaaten Gegengewichte zu bilden; solange ihnen dies gelinge, "können sie in Frieden leben; gerät das Verhältnis der Gegengewichte ins Wanken, so haben Friede und Freundschaft ein Ende". Alle großen Friedensschlüsse der Neuzeit, der Westfälische, der Utrechter, der Wiener und in gewissem Sinne auch der Versailler Friede, trachteten darnach, sorgfältig gegeneinander ausgewogene Machtgruppierungen zu bilden, Gleichgewichtsorganisationen, welche die Dauer des Friedenszustandes verbürgen sollten. Diese Gleichgewichtskonzeption war Ausdruck des rationalen, mathematischen Geistes der Aufklärung, die, unter Mißachtung aller irrationalen Elemente, wähnte, durch ein rechnerisches

Ausbalancieren der Kräfte die Entwicklung künstlich anhalten oder in feste, vorgezeichnete Bahnen lenken und damit das politische Leben gesetzmäßig regulieren zu können. Dem Ordnungsgrundsatz des europäischen Gleichgewichtes wohnte aber auch stets der ethische Gedanke inne, eine neue Welt heraufzuführen, in der Friede herrschen und die allgemeine Wohlfahrt statt der Kriegsrüstung gefördert werden möge. Es ist derselbe aufgeklärte Geist, der, bereichert durch die Ideen der neuen Humanität, aus Friedrich Schiller spricht, wenn er das europäische Gleichgewicht als einen "gesegneten" Zustand lobt und die europäische Staatengesellschaft mit einer großen Familie vergleicht: "Die Hausgenossen können einander anfeinden, aber hoffentlich nicht mehr zerfleischen."Auch späterhin bekannte man sich allgemein zum "principe salutaire du juste équilibre" wegen dessen friedewahrender Tendenz. Im Namen des Gleichgewichtes wurden auflodernde Revolutionen und zwischenstaatliche Streitfälle erstickt. England hat dem Preußenkönig mit dem Hinweis auf die Störung des europäischen Gleichgewichtes mehrfach verwehrt, gegen die neutrale Schweiz militärisch vorzugehen und so den allgemeinen Frieden zu brechen. Das Zeitalter des Imperialismus hat die Ordnungsmethode des Gleichgewichtes geschickt zur Regelung außereuropäischer Fragen, zur friedlichen Beilegung internationaler Konflikte angewandt. Manche Kreise sahen in dieser realistischen Idee ein wirksameres Mittel gesicherter europäischer Ordnung als in dem utopischen Plan einer Weltfriedensorganisation.

Daß auch die schweizerische Neutralität immer friedefördernd gewirkt hat, dokumentiert die gesamte helvetische Geschichte. Nicht bloß dadurch trug die neutrale Eidgenossenschaft zur Erhaltung des allgemeinen Friedens

bei, daß sie konsequent von allen Kriegshandlungen fern blieb, sondern auch durch ihre nimmermüden Aufforderungen zum Frieden. Es zieht sich eine unbeirrt eingehaltene Linie von der eidgenössischen Ermahnung zum "Universalstillstand der Waffen"im Dreißigjährigen Krieg über die "vom Himmel eingegeisterte Idee"eines Friedenskongresses im Spanischen Erbfolgekrieg bis zur warmherzigen, aus echter Menschlichkeit fließenden Friedenskundgebung des Bundesrats im ersten Weltkrieg unseres Jahrhunderts.

Was ferner europäisches Gleichgewicht und schweizerische Neutralität in Absicht und Wirkung verbindet, ist die Wahrung der Selbständigkeit des Einzelstaates, auch des Kleinstaates. Die Publizisten und Staatsmänner des siebzehnten Jahrhunderts sahen übereinstimmend den Inbegriff des Gleichgewichtes darin, sowohl den Einzelstaaten ihre Souveränität zu sichern als auch den Frieden zu erhalten. Und ein späterer literarischer Verfechter der Aequilibriumsidee, Friedrich von Gentz, postulierte im Gegensatz zum mechanisch ausgeklügelten Gleichgewichtsbegriff der vorangegangenen Zeit eine elastische Staatengemeinschaft, in der sich nicht bloß Großmächte, sondern auch kleinere Länder mit verschiedenen Rechten organisch vereinigen könnten und Bewegungsfreiheit genössen. Seit alters haben denn auch vor allem die kleinen Staaten im europäischen Gleichgewicht einen Schild ihrer Unabhängigkeit, einen Schutz gegen den würgenden Druck der sie umgebenden Großmächte erblickt. Colbert sagte, die Balance besitze eigentlich nur für Schwache Bedeutung. Tatsächlich sind es auf dem europäischen Kontinent immer kleine, ungesicherte, sich verteidigende, oder saturierte, oder machtpolitisch abgleitende Staaten gewesen, welche die Gleichgewichtstheorie besonders nachdrücklich

vertraten und in ihr eine Art Lebensversicherung sahen. So hat zum Beispiel Frankreich stets dann, wenn seine Machtstellung erschüttert schien, das équilibre européen propagiert, im achtzehnten Jahrhundert durch Vergennes, im neunzehnten Jahrhundert durch Talleyrand und Thiers. Wenn es aber emporstrebte, unter Richelieu, Ludwig XIV. und Napoleon, tat es dieses System verächtlich ab. Die jüngsten, von wissenschaftlicher Seite vorgetragenen Angriffe gegen die Gleichgewichtsvorstellung stammen ausnahmslos aus dem Deutschland der letzten Jahre, als das Reich, von Siegen geschwellt, eine neue Europaordnung plante, in welcher das europäische Gleichgewicht durch ein deutsches Uebergewicht ersetzt sein würde. Dynamische Staaten pflegen für das statische Prinzip des Gleichgewichtes nicht viel übrig zu haben, sehr im Gegensatz zur neutralen Schweiz, die von jeher im Schwebezustand der Macht den Hort ihrer Eigenstaatlichkeit und Eigenart sah, was ihre Staatsmänner mehrmals einsichtig bezeugt haben.

Aus diesem Grunde ist denn auch die Eidgenossenschaft stets so energisch gegen jeden Störer des europäischen Gleichgewichtes vorgegangen. Noch bevor sie die Neutralität zur ausschließlichen Richtschnur ihrer Außenpolitik erkoren hatte, wandte sie sich nacheinander gegen die drohende europäische Hegemonie Herzog Karls des Kühnen von Burgund, König Franz I. von Frankreich und Kaiser Karis V. Wenn sie sich in die berühmte Kaiserwahl von 1519 mischte, so vor allem deshalb, weil sie Frankreichs Uebermacht fürchtete. Kaum aber begann Karis V. Macht weltumspannend zu werden, wechselten die Eidgenossen auf die Gegenseite und schlossen mit dem französichen Nachbarn einen Soldvertrag, welcher fürderhin zu einem Tragbalken ihres ganzen Bündnissystems

wurde. Ihre Freundschaft zu Ludwig XIV. erkaltete erst, als dieser immer offenkundiger nach der Universalmonarchie strebte. Wie empfindlich die Schweiz auf die Vormachtstellung Napoleons III. und Bismarcks reagierte, weil sie dahinter Oberherrschaftsansprüche witterte, zeigt manche bewegte Episode unserer jüngern Vergangenheit.

Diese Abwehrstellung gegen jeden europäischen Hegemonen hat die neutrale Schweiz mit den Gleichgewichtspolitikern gemein. Ein schweizerischer Völkerrechtler, der Neuenburger Emer de Vattel, schrieb um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, das Gleichgewicht sei "une disposition des choses au moyen de laquelle aucune puissance ne se trouve en état de prédominer absolument et de faire la loi aux autres". Französische und Reichspublizisten predigten wechselseitig das Dogma des Gleichgewichtes zur Verhütung der Hegemonie eines Einzelnen: Der hohen und gerechten Sache des Widerstandes gegen Vormacht müßten sich alle anschließen; denn es sei zu jeder Zeit eine Maxime gewesen, die Staaten Europas in der Weise zu balancieren, daß keiner von ihnen zu furchterregender Größe gelange; der Gefährdete solle die Schwächeren ohne Rücksicht auf die Konfession um sich scharen, um so die übermeisternde Gewalt eines Einzelnen abzuwehren. Mit ähnlichen Argumenten riefen Napoleons Gegner, als dieser im Zenith seines Wirkens stand, zum Abwehrkampf des freiheitlich und selbständig gegliederten Europa gegen despotisch regierte Gleichförmigkeit auf. Ranke ging von einer ähnlichen Grundansicht aus, als er schrieb, in großen Gefahren könne man wohl getrost dem Genius vertrauen, "der Europa noch immer vor der Herrschaft jeder einseitigen und gewaltsamen Richtung beschützt, jedem Druck von der einen Seite noch immer Widerstand von der andern entgegengesetzt und... die

allgemeine Freiheit und Sonderung glücklich gerettet hat".

Eine weitere gemeinsame Eigenart des europäischen Gleichgewichtes und der schweizerischen Neutralität, sowohl in deren Geist als auch in deren Anwendung, liegt darin, daß beide Systeme Folgerungen des praktischen Menschenverstandes, der politischen Vernunft sind — weitgehend auch der natürlichen Selbstverteidigung. Realen geschichtlichen Erfahrungen entsprossen, durch ein Zusammenwirken von politischer Reflexion und Aktion, wollen sie eine feste Grundlage des politischen Lebens schaffen, einen klaren steten Kurs ermöglichen, einen verläßlichen Fixstern für politisches Verhalten bieten, nicht ein Mittel für Augenblickslösungen. Diese Leitlinien, worauf die Staatsführung verpflichtet werden soll, führen nicht irre auf steile Grate oder in abgründige Tiefen, sondern weisen den Weg der vernünftigen Mitte. Beide Tendenzen beruhen zum Teil auf unveränderlichen Prämissen, wie zum Beispiel der geographischen Lage; sie gedeihen in einer Atmosphäre nicht der unruhigen Bewegung, der elementaren Triebhaftigkeit, des dunklen Wagnisses, sondern der stabilen Ordnung, der intellektuellen Bewußtheit, der berechnenden Voraussicht. Das Handeln nach diesen Grundregeln erfordert Mäßigung, Bereitschaft zum Kompromiß, Ausgleichen der Gegensätze, Ablehnung extremer politischer Leidenschaften. Männer verschiedener Parteien und Weltanschauungen bekennen sich zu diesen Prinzipien; gewöhnlich sind es traditionsverankerte Menschen des planvollen Denkens, der Besonnenheit, der Sachlichkeit, Menschen mit Gleichgewichts- und Neutralitätsgefühl. Beiden Grundanschauungen geht es vor allem darum, das Ueberkommene unversehrt zu erhalten und zu sichern, um Kräfte für das

Kulturleben frei zu bekommen, und hierin sind ihnen unbestreitbare historische Erfolge beschieden gewesen. Daß beide Tendenzen sich höhere Ideale, ethische Werte und moralische Energien vindizieren, unterscheidet sie nicht so sehr in der Theorie als vielmehr in .der Praxis von andern politischen Prinzipien, die faktisch einzig das Ziel der Zweckmäßigkeit im Auge haben.

Die mannigfachen Koinzidenzen und die interessenmäßige Verflochtenheit zwischen europäischem Gleichgewicht und schweizerischer Neutralität lassen es als natürlich erscheinen, daß es schon sehr früh zu außenpolitischen Berührungen zwischen dem klassischen Land der Gleichgewichtspolitik, Großbritannien, und der Eidgenossenschaft kam. Bereits mitten im Dreißigjährigen Krieg (1632) ließ die britische Regierung durch ihren Gesandten, Oliver Fleming, den eidgenössischen Obrigkeiten mitteilen — das Original seiner Instruktion liegt im Public Record Office in London — die Schweizer seien von drei mächtigen Ländern umgeben: Deutschland, Frankreich und Italien, und müßten mit Recht fürchten, daß einer ihrer Nachbarn über die andern die Oberhand gewinne. Das lege ihnen die Aufgabe nahe, mit allen Mitteln darnach zu trachten, "to keep the balance equal". "Then the Helvetian hodie, by the advantage of seate and armes may balance the greatest Kings, as hertofore they have done, and live at home secure and ritch." Besonders möchten die Eidgenossen es sich angelegen sein lassen zu verhindern, daß Frankreich diesseits und jenseits der Alpen sich vergrößere: "since neither is good for them."Ebensowenig sollten die Eidgenossen dulden, daß Frankreich im Elsaß vorrücke und damit den Weg nach Basel freibekomme; aus einem guten Nachbarn würde sonst Frankreich zu einem schlechten Herrn.

Es brauchte nicht diese Ratschläge Großbritanniens, um die gewiegten eidgenössischen Tagsatzungsherren zu veranlassen, in der längst geübten Politik der gleichmäßigen Begünstigung zu verharren. Nur etwa Kirchenmänner, die von dem Gedanken gemeinsamer, protestantischer Weltpolitik erfüllt waren, kehrten sich mit Abscheu von einer solchen realistischen Interessenpolitik und strikten Anwendung der absoluten Neutralität ab, wie der Archidiakon der Basler Kirche, Wolfgang Meyer zem Hirzen. Er war in der Universität von Cambridge immatrikuliert gewesen, hatte in Basel eine berühmte Schrift König Jakobs I. ins Deutsche übersetzt und stellte in seiner Person eine der engsten Verbindungen zwischen England und der Schweiz dar. In einem geistlichen Erbauungsbuch rief er erregt aus: "Soll dann das Monstrum, welches die heutigen Politici Raison d'Estat zu nennen pflegen, mehr bey uns gelten als der Befehl Gottes?"

Tatsächlich beruhte sowohl die Außenpolitik als auch die Innenpolitik der Eidgenossenschaft, ja ihr ganzes Staatsgefüge, auf dem maßgebenden politischen Gesichtspunkt des Gleichgewichtes, ohne daß er irgendwie direkt genannt worden wäre: Gleichgewicht nach außen im Verhältnis zu den fremden Mächten, Gleichgewicht im Innern zwischen Stadt und Land, zwischen Katholisch und Reformiert, später zwischen Deutsch und Welsch. Mit den beiden Polen im europäischen Staatensystem, mit Frankreich und Oesterreich, standen alle eidgenössischen Orte im Bunde. Einzelne Bestimmungen der beiden Bündnisse schlossen sich geradezu gegenseitig aus, was den Eidgenossen gestattete, sich in schwierigen Zeiten von einer Allianz auf die andere zu berufen und im ausgebrochenen Streit die Mitte zu halten. Verbanden sich ausnahmsweise einmal die zwei säkularen Gegner, so suchte die Eidgenossenschaft

einer solch drohenden Machtzusammenballung Gegengewichte zu schaffen, indem sie sich Preußen, Holland, England näherte. In der stets wechselnden europäischen Machtkonstellation einen mittleren Kurs einzuschlagen, erforderte höchste Vigilanz und Behutsamkeit und machte aus den alten Eidgenossen viel weitsichtigere und geschmeidigere Politiker, als man es heute gemeinhin wahrhaben will. Das eifrige Werben von allen Seiten um schweizerische Wehrkraft nährte bei vielen Eidgenossen die Anschauung, sie brauchten nur der einen Partei ihre Soldaten zur Verfügung zu stellen, um die Waagschale zu deren Gunsten sinken zu lassen. So bildete sich die Ansicht, ihr kleines Zentralalpenland sei im Spiel der Balance als Gleichgewichtsregulator eine Art Zünglein an der Waage, eine reichlich übertriebene Vorstellung, mit der sogar noch der Imperator Napoleon den Schweizern schmeichelte.

Um das innere Gleichgewicht zwischen Städten und Ländern hat die alte Eidgenossenschaft mühsam gerungen und erreichte hier schließlich einen ausgewogenen, befriedeten Dauerzustand. Er führte zu keinen Kämpfen mehr, schloß aber einen belebenden, fruchtbaren Wetteifer zwischen städtischen und ländlichen Bundesgliedern nicht aus. Weniger gut gelang der Ausgleich unter den Konfessionen; immer wieder trieb diese latente heftige Spannung zu eidgenössischen Existenzkrisen. Die nach den Kappelerkriegen errungene Vormachtstellung des alten Glaubens hatte eine Lähmung des Bundeslebens zur Folge, und der Umschlag nach dem zweiten Villmergerkrieg, erfochten durch die Neugläubigen, bewirkte eine Austrocknung des alten Bundes, so daß er dem Anprall der Französischen Revolution nicht mehr standhalten konnte. Indessen kann auch mit Bezug auf die religiösen

Verhältnisse in der Eidgenossenschaft von einem geordneten Gleichgewichtszustand — wenn auch nicht von einem wohlabgestimmten — gesprochen werden.

Mit dem Gleichgewicht der Eidgenossenschaft beschäftigte sich in jenem siebzehnten Jahrhundert besonders eifrig ein Holländer, Petrus Valkenier, Gesandter der Generalstaaten in der Schweiz. Dieser realpolitische Denker hatte schon viel über das Interesse der einzelnen Staaten und der europäischen Völkerfamilie geschrieben. Als Bürger einer foederativen Republik, die wie die Eidgenossenschaft auf Machtausbreitung verzichtet hatte und nur noch vom Wunsche beseelt war, in Ruhe und Freiheit das Erworbene zu verwalten, hatte er einen geschärften Blick für alle einem solch saturierten Dasein auflauernden Gefahren. Der ratio diaboli machtgieriger Großstaaten stellte er die göttlichen Gesetze entgegen, denen sich die Staatsraison zu unterwerfen habe. Da er aber diesen religiösen Sicherungen offenbar nicht genügend traute, nahm er seine Zuflucht zur bereits bestehenden Gleichgewichtslehre, indem er sie zugleich auch erweiterte: Nicht nur England falle die Aufgabe zu, die Mächte des Kontinents zu balancieren; diese Funktion könnten, für den Westen Europas, auch die Vereinigten Niederlande übernehmen. Und eine ähnlich gleichgewichtserhaltende Rolle dachte er der Eidgenossenschaft in Zentraleuropa zu.

Aus der Stimmung des Verteidigungskampfes gegen Frankreich schrieb der patriotische Holländer jene lange Reihe von Broschüren — sie sind in seltener Vollständigkeit von unserer Universitätsbibliothek aufbewahrt —, worin er den Eidgenossen genaue Regeln politischer Klugheit angab, sie ermahnte und beschwor, dem französischen Nachbarn keine weitern Truppen zufließen zu lassen, um dessen Präponderanz nicht noch mehr zu fördern. In

immer neuen Variationen prangerte er Ludwig XIV. an als einen rücksichtslosen Gewaltherrscher, der weder Redlichkeit noch Vertragstreue kenne; skrupellos setze er sich um des eigenen Vorteils willen über alle sittlichen Schranken hinweg. Mit religiösen Argumenten, die er dem altprotestantischen Calvinismus entnahm, mit ethischen Gründen des europäischen Gesamtwohls und mit Motiven des Staatsegoismus suchte er die Eidgenossen zu überzeugen, daß sie gegen ihr eigenes Interesse verstoßen würden, wenn sie Frankreich noch mehr unterstützten. Wer Ludwig XIV. stärke, "macht sich an vilen Grausambkeiten mitpflichtig und ladet also den Zorn Gottes auf sich biß in das dritte und vierdte Glied... Wer kan mit freyem Gemüth läugnen, der gewaltige Frantzösische Arm seye nicht der Ungerechte? Da man weder Gott noch Menschen trew hält; da man Tractaten macht und bricht nach Wohlgefallen; da man denen klaren und undisputierlichen Buchstaben einen absonderlichen Geist andichtet und alles nach eigenem Gefallen ausleget, das Schwartze weiß und das Weiße schwartz nennet; da man mit der gegebenen Parole spottet und derselben Verbindlichkeit für eine Sclaverey hält...; mit einem Wort, da man eine raffinierte Policey führt umb sich quovis modo über alle andern Souverainen zu erheben; wer würde eines so starken Arms nicht grawen, der nicht allein alle seine Nachbahren, sondern auch die abgelegneste Völker in Forchten stelt, und sie seiner despotischen Macht trachtet subaltern zu machen". Die Eidgenossenschaft solle sich hüten, durch stetes Nachgeben ihr Bündnis mit Frankreich in eine societas leonina ausarten zu lassen: "Auf diese Weise verfället der Nexus, die Intentio und Reciprocatio des Bundts von selbsten, man lässet Frankreich ein freyes Spiel, man renuncijret genugsam seinem acquirirten

guten Recht, und man infrigiret seine eygene Souverainität und Freyheit".

Daß der gute Diagnostiker der politischen Tendenzen Europas die geheimsten Triebkräfte der Eidgenossenschaft — so richtig er im allgemeinen ihre Existenzbedingungen einschätzte — nicht voll erfaßte, erklärt sich aus der Leidenschaftlichkeit, mit der er die Quelle allen Uebels in Ludwig XIV. sah. Die Schweiz stand in keinem Abwehrkampf gegen Frankreich, wie Holland. Ihr Geist war nicht so sehr auf merkantilen Erwerb und Genuß eines behaglichen Lebens gerichtet wie derjenige der holländischen Kaufmannsrepublik. Aber die außenpolitischen Ratschläge, welche der Niederländer aus seiner historischen Situation den Eidgenossen erteilte, entsprachen durchaus den Bedürfnissen des längst in verzichtender Defensive stehenden Kleinstaates. Sie hießen: Ausgleichen, Vermitteln, Streit vermeiden, die wirklichen Möglichkeiten besonnen abwägen, in der Bedrängnis sich tapfer mit dem Schwert für seine Unabhängigkeit wehren —, immer aber für das europäische Gleichgewicht eintreten. In einem Memorial "an die Dreyzehen wie auch Zugewandte Orte der löblichen Eydgenosschaft" vom Jahre 1692 schlägt Valkenier schon mit den ersten Sätzen dieses Leitmotiv mächtig an: "Die Beschaffenheit einer wahren Neutralität erfordert ein solches Gleich-Gewicht, daß man beyden streitenden Partheyen gleichen Vortheil und keiner mehr Schaden oder Nachtheil dann der anderen zubringe. Bey solcher Bewandtnuß genießet man die herrliche Früchten des lieben Friedens und behaltet beyde streitende Theil zu guten Freunden, da indessen selbige nach allen Kräfften einander trachten zu stürtzen."

Valkenier wurde nicht müde, den eidgenössischen Tagsatzungsherren zu wiederholen, von jeher habe sich das

schweizerische Gemeinwesen so verhalten, "daß es so wo!! die Klug- und Weisheit als die Unpartheilichkeit und Gleichheit der Liebe mit allen seinen Nachbarn jedermann vor Augen gestellt". Die Eidgenossen sollten "eine solche vollkommene Gleichheit und wohlanständige Gleichgiltigkeit mit allen beobachten, ... daß sie nicht einem zur geringsten Eyffersucht ursach" gäbe. "Die sämtliche löbliche Eydgnosschaft säße dann auch in beharlichem genuß ihres lieben Ruhestands viel besser als nun versichert, und sie köndte alsdann den glorwürdigen Ruhm einer aufrichtigen Neutralität vor der ganzen Welt darvon tragen und selbigen in ihrer Posterität lassen aeternisieren."Diese Aequilibriumsidee wurde von einem, durch Valkenier offenbar inspirierten Traktat (1689) aufgenommen und zur Ansicht weitergebildet, die Schweiz habe geradezu das größte Interesse daran, daß die beiden Potenzen Frankreich und Oesterreich um die Vorherrschaft in Europa stritten: "Ist nit allen Fürsten sambt denen angräntzenden Nachbaren merklich vil daran gelegen, selbe in der Gleichheit zu erhalten? Ist nit nöthig, so bald die Wagschal mehr auf die einte Seithen sich lencken möchte, umb solche gleich zu stellen, dem andern Theil anzuhangen?" Frankreich werde den Städten Solothurn und Zürich "Festungen vor die Nasen setzen, wie es dem Canton Basel mit Hüningen gemacht;" es werde "die Eydgnossen nach und nach aufsaugen und mithin auch die Gnad erweisen, welche der Ciclops dem Ulissi versprochen, daß nemblichen von ihme aufgefressen zu werden der letste seyn solle".

Als dann der große Kampf um das spanische Erbe ausgebrochen war, schilderte Valkenier die französische Gefahr in immer grelleren Farben. Er wolle die Eidgenossen nicht in den blutigen Krieg einflechten, sondern sie nur

dazu bewegen, das Mächtegleichgewicht erhalten zu helfen: "Ihr eigen Conservation, ja die Fatalität von gantz Europa dependirt davon; Ewre Herrlichkeiten wissen und bekennen es selbsten; Wer wird der Uebermacht der Frantzosen widerstehen, wann sie die große und reiche Spanische Monarchie einmahl in Besitz haben; Hat Spanien zu der Zeit, da es noch in Vigor war sich zu einer Welt-tröwenden Macht erhoben, was wurde dann Frankreich nicht thun, wann es die völlige Spanische Monarchie incorporirt hätte; Die Balanz von Europa wäre dahin; Selbige Balanz ist so indispensabel, daß wer dagegen handelt, der handelt wider sich selbsten."

Augenscheinlich ließen sich etliche Schweizer ihren angestammten nüchternen Sinn soweit verwirren, daß sie sich einbildeten, die Eidgenossenschaft selber setze die Nadel an der Waagschale Europas in Bewegung. In einem Libell "Le Suisse désintéressé à l'assemblée de Baden" (1678) erklärt ein als unparteiisch sich ausgebender Eidgenosse: ,,L'Empereur et l'Espagne comme nos confederéz nous representent les moyens pour la (notre liberté) conserver, et la France notre alliée travaille à la sapper par le fondement, lors qu'elle veut nous obliger à donner du penchant à cet équilibre, qui doibt regler les principes de toutes les bonnes Republiques, fondées sur la première et la plus importante maxime, d'opposer le contre poid au voisin le plus affaibly, affin que rendant la puissance esgale, celuy qui tient cette balance, puisse maintenir son authorité entre la crainte et l'amour de ses voisins. L'intention des Autheurs de nostre Republicque n'a jamais esté autre, que de faire paroitre qu'il n'y avoit point de main plus ferme ny plus juste parmy toutes les Republiques bien policées de l'Europe à sous tenir cette balance que la nostre."

Diese Behauptung stellte eine arge Uebertreibung dar, wie die Folgezeit mehrmals demonstrieren sollte. Wohl bedeutete die neutrale Schweiz auf der Wagschale Europas einen Gewichtsstein, aber niemals den ausschlaggebenden. Im klassischen Zeitalter des Gleichgewichtes, dem achtzehnten Jahrhundert, wirkte sie nicht als regelnde Instanz; sie war ein Objekt viel mehr denn ein Subjekt europäischer Politik. Mit äußerster Empfindsamkeit reagierte sie auf europäische Gewichtsverlagerungen und rettete ihre Neutralität geschmeidig durch die steten Verschiebungen des europäischen Besitzstandes hindurch. Als sich ihre beiden Nachbarn Frankreich und Oesterreich zusammenschlossen und so die säkulare Gegnerschaft aufhörte, in deren Kraftfeld die eidgenössische Neutralität gut gediehen war, bedrohte der Wegfall dieses traditionellen Faktors des europäischen Gleichgewichtes die neutrale Schweiz aufs ernsteste. Die Eidgenossenschaft neigte nun dem neuen Gegengewicht Preußen zu, ohne aber aus Neutralitätsgründen mit dieser Macht in eine festere Verbindung zu treten, ja ohne auch nur eine stimmungsmäßige Parteinahme zu dulden. Bürgermeister Samuel Merian ermahnte seine Basler "bey diesen Zeit Umständen in Wercken so wohl als Wortten sich gegen Fremde bedächtlich aufzuführen, bey ofentlichen Orthen und Anlässen von gegenwärtigen Conjuncturen nicht allzufrey zu urtheilen, sondern von denen mit einander im Kriege stehenden Machten nicht anderst als mit geziemender Hochachtung, also auch mit allmöglicher Behutsamkeit zu reden... nicht weniger sich einiger Partheilichkeit anzumaßen". Und als der junge lorbeerhungrige Habsburger Joseph II. seine begehrlichen Blicke auf gewisse Gegenden der Schweiz warf, erneuerte diese ihre alte Allianz mit Frankreich und reihte sich in das neue

Machtsystem ein, das der französische Minister Vergennes mit einem Kranz von Kleinstaaten vor dem geschwächten Frankreich aufbaute, um das Gleichgewicht Europas wieder herzustellen. Auch auf Preußen rechneten die Eidgenossen weiterhin; sterbe Friedrich, so werde sein Nachfolger "dem Kayser schon das Gleichgewicht halten".

Die Furcht vor Teilung war nicht aus der Luft gegriffen. Denn zur Stützung der als ideal betrachteten Gewichtsordnung gegenüber unruhig vorwärts drängenden Mächten wurde außer dem Abschluß von Allianzen auch das Rettungsmittel der Partage empfohlen. So haben zum Beispiel die Ostmächte die polnische Republik offiziell zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichtes zerstückelt. Der Balancegedanke diente hier dazu, nackte Gewaltakte gewissermaßen völkerrechtlich zu verbrämen. Aber die schweizerische Neutralität galt doch allgemein zu sehr als Stützpfeiler des Aequilibrium Europae, als daß man sich in der Weise an ihr vergriffen hätte; in den von Holländern besetzten Garnisonen der belgischen Barrieren fungierten Soldaten der neutralen Schweiz direkt als Gleichgewichtserhalter.

Als dann gegen Ende des Jahrhunderts das nurmehr künstlich aufrecht gehaltene Gleichgewicht Europas zerbrach — durch den Imperialismus der französischen Revolution und ihren Vollstrecker Napoleon —da zerschellte auch die schweizerische Neutralität. Der Vorgang war von eindrucksvoller Konsequenz; einsichtige Schweizer hatten ihn vorausgesehen und sich beim Anschwellen der französischen Revolutionsmacht an Oesterreich anzulehnen gesucht, an dasselbe Oesterreich, dein man erst noch die schlimmsten Absichten auf die Schweiz zugetraut hatte. Aber sogar in der Zeit der höchsten Bedrohung durch Frankreich wollte man sich in der Eidgenossenschaft nicht

völlig an Habsburg anschließen und den Grundsatz der gleichmäßigen Begünstigung preisgeben; denn von einem siegreichen Oesterreich fürchtete man allen Ernstes, es werde den Westfälischen Frieden aufheben und damit die schweizerische Unabhängigkeit antasten. Eidgenössische Staatsmänner sahen hierin klarer als der ungestüme Historiker Johannes von Müller, der die Schweiz drängte, mit der Koalition in ein "Concert" zu treten. So erwiesen sich die strengsten Neutralisten als die eifrigsten Gleichgewichtspolitiker. Barthélemy, der gute Schutzgeist der alten Eidgenossenschaft, bestätigte die Richtigkeit des schweizerischen Gleichgewichtsprinzips: "C'est aussi à cette balance exacte des avantages résultants de la conservation d'un territoire neutre intermédiaire entre la France et l'Autriche que le Corps helvétique doit principalement son indépendance et son existence politique."

Als Napoleon den letzten Gegner auf dem Kontinent geworfen und mit Oesterreich den Frieden von Campo Formio geschlossen hatte, sagte ein bernischer Staatsmann in richtiger Erkenntnis der Voraussetzungen schweizerischer Neutralität: "Nous nous trouvâmes mieux entre deux nations ennemies qu'entre deux qui sont amies." Und wirklich bildete ja die Aussöhnung zwischen den bisher feindlichen Nachbarn der Schweiz den Auftakt zum Angriff auf ihre Neutralität. Was das monarchische Frankreich von der Schweiz nie verlangt hatte, das forderte nun die Revolution: die Verwandlung der Defensivallianz in ein Offensivbündnis und damit die Preisgabe der Neutralität. Solange das europäische Gleichgewicht derart zerstört blieb, konnte die schweizerische Neutralität nicht aus ihrem Todesschlaf erwachen. "Ich werde niemals einen anderen Einfluß in der Schweiz dulden als den meinigen", erklärte derjenige, der jetzt alle Gewichtsteine der europäischen

Balance in seiner Hand hielt. Seit ihrem Bestehen war die Schweiz nie so sehr in ihrer Unabhängigkeit verletzt worden wie durch den größten europäischen Hegemonen. Man begreift leicht, daß die Sympathien der Schweiz für England selten einen so hohen Grad erklommen wie jetzt, da sich Großbritannien im Namen des Gleichgewichtes und der Freiheit der kleinen Nationen dem französischen Gewaltherrscher entgegenwarf. Jetzt wurde man sich bewußt, was für ein großes, gemeinsames Interesse das Inselreich und die Alpenrepublik am europäischen Gleichgewicht hatten. Wenn auch diese Einsicht nicht öffentlich ausgesprochen wurde — in der Schweiz nicht ausgesprochen werden durfte —, so klingt sie doch im vertrauten Meinungsaustausch der Zeitgenossen an. Es war nichts als schmeichlerische Irreführung, wenn Napoleon später nach der Niederwerfung Oesterreichs den Eidgenossen sagte, sie könnten nun ganz beruhigt sein, sogar in den Augenblicken der Oszillation, da sie auf dem europäischen Waagebalken die genaue Mitte einnähmen. Denn niemand so sehr wie Napoleon hat bald darauf die Waage in heftige Bewegung versetzt und die Schweiz mit starken Erschütterungen nicht verschont.

Obgleich der Soldatenkaiser mit den Eidgenossen rücksichtslos umsprang, konnten sie seinen vollständigen Sturz nicht wünschen. Hierin näherten sich ihre tiefsten Wünsche denjenigen des Gleichgewichtspolitikers par excellence, Metternichs, der Napoleon hielt, solange er nur konnte, und Frankreich auf dem Wiener Kongreß eine ansehnliche Stellung zurückgab — aus Gründen der Balance Europas. Selten wohl ist auf einem Friedenskongreß die Machtverteilung in Europa so sorgfältig nach dem Aequilibriumsmaßstab ausgewogen worden. Das Gleichgewichtsprinzip, erst noch Kampfparole im Krieg gegen

die napoleonische Präponderanz — man denke an Gentzens berühmtes Buch über das Gleichgewicht in Europa —, beherrschte jetzt sowohl die Kabinette als auch die öffentliche Meinung. Niemand zog seine heilbringende Wirkung in Zweifel; seine allgemeine Richtigkeit schien bewiesen; höchstens tauchten etwa bei seinen Interpretationen im einzelnen, bei seinen Umsetzungen in die konkrete Wirklichkeit, Differenzen auf. Und gerade diese von der Erhabenheit des Gleichgewichtsgedankens so erfüllte Zeit hat der Schweiz die europäische Anerkennung ihrer Neutralität gebracht, was die gegenseitige Bedingtheit der beiden Begriffe ins hellste Licht rückt. In der Instruktion der schweizerischen Delegation am Wiener Kongreß hieß es mit ungewöhnlichem Nachdruck: Ganz Europa finde in der neutralen Schweiz eine der ersten Bedingungen des politischen Gleichgewichtes. Die schweizerische Neutralität ist damals ja nicht nur anerkannt, sondern als im Interesse Europas liegend erklärt worden — eines im Gleichgewicht ruhenden Europa natürlich. Immerwährende Neutralität der Schweiz und europäische Friedensorganisation wurden damals nicht als miteinander unverträglich, sondern im Gegenteil als einander ergänzend, sich sogar bedingend empfunden. Dem außenpolitischen Prinzip der Eidgenossenschaft mutete man keine Einschränkung zu. Unter ausdrücklicher Wahrung ihrer vollständigen Neutralität trat die Schweiz der europäischen Völkerfamilie der Heiligen Allianz bei.

Was für eine Funktion Metternich der neutralen Schweiz in dem neuen Europa zuwies, erhellt aus seinen Instruktionen an den österreichischen Minister in Bern. Die Eidgenossenschaft sollte einen Puffer bilden zwischen Frankreich und Oesterreich; sie sollte ferner Zentraleuropa von dem französischen und italienischen Bazillenherd

der Revolution abriegeln, lauter friedenerhaltende, gleichgewichtswahrende Aufgaben. Diesen und andern Pflichten konnte nun aber die Schweiz nicht in voller Unabhängigkeit nachkommen, wie sie nach den Wiener Deklarationen zu hoffen berechtigt gewesen wäre. Sie mußte zum erstenmal die Erfahrung machen —die sich im zwanzigsten Jahrhundert wiederholen sollte —, daß in einem völlig geeinten, ausgeglichenen Europa für sie die Gefahr der Einschränkung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität bestand. Denn nicht völlig entspannte Machtgleichheit, sondern spannungsvolles Gleichgewicht, das heißt das Vorhandensein bloß annähernd gleichstarker Gruppen, die sich gegenseitig binden, schafft die Luft, in der die schweizerische Neutralität gedeiht. Das auf eine einzige Tonart abgestimmte Konzert der Großmächte erlaubte der Schweiz unter Metternichs Dirigentenstab keinen andersartigen Klang; vielmehr begannen die unter sich einigen Mächte, den Hauptzweck neutraler Politik, die Aufrechterhaltung staatlicher Selbständigkeit, zu verletzen. Metternich war der Meinung, am solidesten könne das neue Europa untermauert werden durch Schaffung von Ordnungsstaaten, die mit Hilfe der alten Gewalten fähig seien, Autorität zu entwickeln; indem er so die romantische Staatslehre mit seiner Europakonzeption verband, postulierte er für die kleinen Staaten die Pflicht, diese neue Ordnung stützen zu helfen; komme die Schweiz ihrer Schuldigkeit gegenüber Europa nicht nach, so verliere sie ihre Neutralität.

Dieser für die Eidgenossenschaft unerträgliche Druck der Bevormundung ließ erst nach, als Europa sich wieder in einen Westmächteblock und einen Ostmächteblock aufspaltete. Nun streifte die Schweiz die lästige, ihr von den Kontinentalmächten angelegte Fessel des Preß- und

Fremdenconclusums ab, ohne daß das durch Uneinigkeit geschwächte Europa dagegen Einspruch erhob. In dem Gleichgewicht zwischen liberalen Weststaaten und konservativen Oststaaten, wo die Reibungen nicht fehlten, erholte sich die schweizerische Neutralität rasch so weit, daß Alexandre Vinet öffentlich schreiben durfte, die Schweiz könnte im Geiste einer energischen Neutralität, durch entschiedene Parteinahme zwischen den beiden Mächtegruppen, die Schicksalswaage Europas nach der einen oder andern Seite senken. Die bewegte Jahrhundertmitte ist eine der lehrreichsten Episoden für die Kenntnis des Zusammenspiels von europäischem Gleichgewicht und schweizerischer Neutralität. Man darf sich durch das Tatsachendickicht der dreißiger und vierziger Jahre den Blick für die entscheidenden Ereignisse nicht trüben lassen: Erst als Frankreich unter dem alternden Louis Philippe und unter Guizot seine Wendung von England weg zu Oesterreich hin vollzog, verschob sich das europäische Gleichgewicht zu Gunsten der Kontinentalmächte, wodurch die Schweiz in deren konservativen Blockadering geriet. In der andern Waagschale war jetzt nur noch das liberale Großbritannien, und auf diese englische Karte setzten die Radikalen im Sonderbundskrieg alles —bekanntlich mit durchschlagendem Erfolg. Wie geschickt sie es verstanden, die jeweilige europäische Machtkonstellation den Interessen der schweizerischen Neutralität dienstbar zu machen, vermag die Forschung bis in alle Einzelheiten aufzuzeigen. Ochsenbein sagte in seiner berüchtigten Rede an der Julitagsatzung von 1847: "Außerdem liegt ein Sporn zur Achtung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft in dem sorgfältig gehegten europäischen Friedensprinzip als der sichersten Garantie für die ungestörte Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes." Und auch das Haupt des Sonderbundes,

Constantin Siegwart, wies in einer Denkschrift an Metternich darauf hin, die Mächte wünschten die Erhaltung der neutralen Eidgenossenschaft "im doppelten Interesse des europäischen Gleichgewichts und des allgemeinen Friedens".

In ähnlicher Ausnützung der europäischen Machtverteilung löste der junge Bundesstaat seine außenpolitischen Konflikte. Zum größten unter ihnen, dem Neuenburger Streitfall, bemerkte der Bundesrat in seiner Denkschrift ausdrücklich, die schweizerische Neutralität setze das europäische Gleichgewicht voraus, und das britische Kabinett operierte mit ähnlichen Argumenten. Im Savoyer Handel äußerte Anton Philipp von Segesser die Ueberzeugung, die Großmächte betrachteten die schweizerische Neutralität als eine Stütze des europäischen Gleichgewichtes. Aus der Einstellung der Schweiz zum Gleichgewichtsgedanken lassen sich zum Teil ihre Sympathien für die Parteien in den auswärtigen Nationalkriegen ableiten: "Déjà les succès inouis des armes prussiennes, en détruisant l'équilibre politique et en établissant l'hégémonie d'une formidable puissance militaire au centre de l'Europe, menaçaient trop directement l'indépendance de tous ses voisins et surtout des petits états, pour ne pas exciter de sérieuses inquiéudes en Suisse..."

Daß das europäische Uebergewicht des deutschen Reiches zeitweise wirklich eine Bedrohung der schweizerischen Neutralität darstellte, erfuhr man im Konflikt mit Bismarck. Er selber warf die Frage nach der weiteren Respektierung der eidgenössischen Neutralität auf. Dagegen blieb diese im sogenannten Zeitalter des Imperialismus verhältnismäßig unbehelligt, obgleich sie von den fremden Generalstäben recht unbekümmert in ihre Pläne einbezogen wurde. Wie die Schweiz ihre Neutralität durch die

beiden großen Gleichgewichtskrisen unseres Jahrhunderts hindurchrettete, ist uns allen so eindrücklich demonstriert worden, daß deren akademische Vergegenwärtigung sich erübrigt. Der Sieg und damit das Uebergewicht der einen Partei nach dem ersten Weltkrieg sowie der Versuch einer einheitlichen Weltorganisation auf der Basis materieller Machtgleichheit brachte der Schweiz den Abstieg auf die differentielle Neutralität, von der sie erst, als Europa wieder in zwei Lager getrennt war, und die alte Gleichgewichtspolitik, jetzt mehr auf universaler als bloß auf europäischer Grundlage, zu spielen begann, zur absoluten Neutralität zurückfand.

Das Wechselspiel von europäischem Gleichgewicht und schweizerischer Neutralität gehört zu den Konstanten eidgenössischer Entwicklung. Auch durch die ganze Geschichte Europas zieht sich das Gleichgewichtsprinzip als eine bleibende Regel des politischen Denkens und Handelns. Indessen hat sich die Gleichgewichtsauffassung nicht nur im Laufe der Zeiten verändert, sondern auch von Volk zu Volk, gemäß ihren verschiedenartigen Existenzbedingungen; in Frankreich, England, Deutschland zum Beispiel bedeutete sie nicht immer dasselbe. Frankreich bediente sich ihrer vorerst zur Niederhaltung des mit ihm rivalisierenden Kaisertums und dann vor allem, um seine sinkende Macht zu stützen sowie um das Erreichte zu behaupten. Die Engländer trieben Gleichgewichtspolitik zunächst zum Schutze ihrer Insel, dann aber auch, um auf dem Kontinent Einfluß zu gewinnen, der sich oft bis zum Schiedsrichteramt steigerte, worauf schon der bekannte Spruch auf einer Denkmünze Heinrichs VIII. deutet: "cui adhaereo praeest". Mit der Gleichgewichtspolitik haben sich die Engländer ihr Weltreich geschaffen; ihre imperiale Politik hängt aufs innigste

mit der Handhabung der Balance of Power zusammen, was sich vielfach zum Vorteil der Kleinstaaten auswirkte. Deutschland dagegen sah das Gleichgewicht in einer europäischen Rechtsorganisation, deren starke, bestimmende Mitte es selber ausfülle, und von wo aus es die Führungsaufgabe für den ganzen Erdkreis übernehme. Dieses natürliche Gleichgewicht, bei dem nicht die Quadratmetergröße der Bodenfläche, sondern das Volkstum den Wertmesser abgebe, werde das sogenannte europäische Gleichgewicht, bisher dargestellt durch die europäischen Flügelmächte, ablösen. In dieser Auffassung Neu-Deutschlands als einer "europäischen Ordnungsmacht" wirkte ein unvertilgbares Gedenken an das Heldenalter des mittelalterlichen Kaisertums nach, das heißt die unverstandene Erinnerung an diese von so ganz anderen Rechtsbegriffen erfüllte Epoche.

Für die Eidgenossenschaft bedeutete das europäische Gleichgewicht immer Förderung ihrer individuellen Lebensmöglichkeit und damit beste Grundvoraussetzung ihrer Neutralität. Ob das außerkontinentale, planetarische Gleichgewicht, das Aequilibrium nicht mehr in europäischen, sondern in Weltdimensionen, wie es sich heute abzuzeichnen beginnt, der Entfaltung schweizerischer Neutralitätspolitik ebenso günstig sein wird, ist eine große Frage; ihre Erörterung gehört aber nicht mehr in den wissenschaftlich-historischen Aufgabenkreis. Denen, die für unsere Politik verantwortlich sind, letztlich demnach uns allen als Staatsbürgern, ist geboten zu wachen, damit keine echte Möglichkeit in dieser Richtung ungenutzt bleibt.

Anmerkungen

Wir geben nur die Quellenbelege für die Zitate:

Zu Seite 3

Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrg. von Albert Oeri, Gesamtausgabe Bd. 7, 1927, S. 9: «Das wahrste Studium der vaterländischen Geschichte wird dasjenige sein, welches die Heimat in Parallele und Zusammenhang mit dem Weitgeschichtlichen und seinen Gesetzen betrachtet, als Teil des großen Weltganzen, bestrahlt von denselben Gestirnen, die auch anderen Zeiten und Völkern geleuchtet haben, und bedroht von denselben Abgründen und einst heimfallend derselben ewigen Macht und demselben Fortleben in der großen allgemeinen Ueberlieferung.»

Zu Seite 5

Friedrich von Gentz: Fragmente aus der neuesten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa, 1806; Ausgewählte Schriften, hrg. von Wilderich Weick, Bd. 4, 1838, S. 39.

Encyclopaedia Britannica, volume 2, 1936, S 953.

Zu Seite 6

Discours au Roy Henry III sur les moyens de diminuer I'Espagnol, du 24 avril 1584; Mémoires de la Ligue, Bd. 1, 1758, S. 598.

Zu Seite 7

Friedrich Schiller: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte; Historische Schriften hrg. von Edgar Bonjour, Bd. 1, 1945, S. 45: «... wenn das verworrene Chaos sich sondern und die streitenden Mächte des Staats in dem gesegneten Gleichgewicht ruhen sollen, wovon unsere jetzige Muße der Preis ist.»

Zu Seite 10

Emer de Vattel: Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains, 1758, Liv. III, Chapitre III, § 47, Bd. 2, S. 40.

Leopold von Ranke: Die großen Mächte; sämtl. Werke, Bd. 24, 1872, S. 11

Zu Seite 12

Oliver Flemings Instruktionen für seine Rückkehr in die Schweiz im Oktober 1632. Foreign Office; Switzerland, Miscellaneous Papers Nr. 3, 1630-1634; Public Record Office, London: «To this end we refer to their serions consideration this observation in the general, as most proper for their state and for the tyme. They are invironed — as we see — with the three potent countries of Germania, France and Italie and may justly feare danger from anie of their that shal grow great above rest. lt concerns them therefore to indevor by all means to keep the balance equal.»

Zu Seite 13

D. Wolfgang Meyer: Die geistliche Bad-cur, Dadurch der Alte Mensch kan abgewäschen, in eine Newe Creatur verwandlet und mit Christo krefftiglich vereiniget werden, 1649, S. 60: «Warum wollen wir uns dann scheuhen / ihr gerechte sach / mit Worten und Schriften / vor der gantzen Welt zu verthädigen? und uns vor dem usurpirten Gewalt / den diese Irrgeister an sich gerissen haben / so sehr entsetzen / daß wir umb alle Liebe / die wir unseren Mitbrüdern zu erzeigen schuldig sind / wollen sinken lassen? Soll dann das Monstrum / welches die heutigen Politici Raison d'Estat zu nennen pflegen / mehr bey uns gelten / als der Befehl Gottes?»

Zu Seite 16

Memoriale, so der Holländische Herr Envoyé Valkenier an die gesambte Versamblung einer Löblichen Eydgnosschaft übergeben in Baden, den 26. Julii 1702.

Des Hoch-Edlen, Gestrengen Herren, H. Petri Valkeniers, Ihrer Hochmögenden der Herren General Staaten der Vereinigten Niederlanden Extraordinari Envoyé, an die Dreyzehen, wie auch Zugewandte Orth der Löblichen Eydgnosschaft in Baden versamlet Mündlich geführte Klage über die vielfältige Französische Contraventiones des mit der Eydgnosschaft habenden Bunds, und über den stätigen Mißbrauch der Eydgnössischen Völker wider die sämtliche Hohe Allierten. Samt der darauf begehrter gebührender Remedur, Baden, den 8. Martii St. N. Anno 1693.

Zu Seite 17

Des Holländischen Extraordinari Envoyé Herrn Valkeniers an die Dreyzehen wie auch Zugewandte Orth der Löblichen Eydgnosschaft in Baden versamlet übergebenes Memoriale, worinnen die von der Eydgnosschaft gegen dero schuldigen Neutralität vielfältig und stets hin unternommene Proceduren klärlich vor Augen gestellt werden; Baden der 10. Julii 1692.

Zu Seite 18

Das entlarvte Schweitzer-Landt, von Petrus Valkenier, 1679.

Ob die Eydtgnoschaft recht daran seye, indeme sie bey jetzigen Kriegs-Conjuncturen den Frid verlangt, und sich Neutral zu halten entschlossen. Diesere Eydtgnössische Resolution vermeint ein Politicus in einem erdichten Sendschreiben seye widerlegt auß disem Grund, namblichen: Das wahre Interesse aller Gekrönten Häupter und Potentaten von gantz Europa seye dermahlen sich gegen Frankreich zu declarieren. Solle hiermit in Gegenwärtigkeit erdauret werden, ob dieser Satz neben der Eydtgnoschaft Grund bestehen möge; 1689.

Zu Seite 19

Memoriale so der Holländische Herr Envoyé Valkenier an die gesambte Versamblung einer Löblichen Eydtgnosschaft übergeben in Baden den 26. Julii 1702.

Le Suisse desintéressé à l'assemblée de Baden. Der Unpartheyische Schweitzer auf der angesetzten Tagsatzung zu Baden 1678.

Zu Seite 20

Bürgermeister Samuel Merian an die Miträte und an den Obervogt in Riehen, Johann Ulrich Schnell, 9 Oktober 1756; Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Politisches X, 1.

Zu Seite 22

Barthélemy ans Direktorium, 15. Dezember 1796; Paris, Archives des Affaires Etrangères, Suisse, Bd. 454, S. 244.

Der österreichische Gesandte Greiffenegg an den Minister, Basel, 30. Dezember 1797; Wiener Staatsarchiv f. 201.

Zu Seite 23

Aus der Rede des ersten Consuls vor dem Fünferausschuß der schweizerischen Deputation, St Cloud, 12. Dezember 1802: «Votre neutralité est plus assurée que jamais. La France a le Simplon, l'Autriche le Tyrol. Vous êtes en sûreté entre ces puissances qui sont en équilibre; vous êtes tranquilles, même dans les moments d'oscillation, parce que vous tenez le milieu des bras de la balance. Maintenez votre tranquillité, vos lois, vos moeurs, votre industrie, et votre partage sera encore assez beau.» Aktensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik, Bd. IX, S. 882.

Zu Seite 26

Alexandre Vinet schrieb am 20. Oktober 1841 in der Pariser Zeitschrift «Semeur» anläßlich des Aargauer Klosterstreites: «On ne dit plus: c'est une tempête dans un verre d'eau, car elle agite toute la Confédération suisse, c'est-à-dire une population de deux millions d'âmes, qui, dans l'esprit d'une énergique neutralité, ou d'un choix énergique entre les partis européens, si cette neutralité était violée par l'un d'eux, peut faire pencher d'un côté ou d'un autre la balance des destinées.» OEuvres d'Alexandre Vinet, 1. Abtg., Bd. 7, 1932, S. 265.

Ulrich Ochsenbeins Rede ist abgedruckt im Abschied 1847, I Beilage B.

Zu Seite 27

Constantin Siegwarts Brief an den österreichischen Gesandten Freiherrn von Kaisersfeld — eigentlich eine Denkschrift an Metternich — ist wiedergegeben in Siegwarts Werk: Der Sieg der Gewalt über das Recht, Altdorf 1866, S. 946.

Bericht des österreichischen Gesandten nach Wien, Bern, 17. Sept. 1870; Copie im Eidgenössischen Bundesarchiv.