ÖSTERREICH
UND DIE BÜNDNISPOLITIK
DER KATHOLISCHEN ORTE
UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG FREIBURG I. UE.
FREIBURGER UNIVERSITÄTSREDEN
NEUE FOLGE Nr. 11
1951
UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG FREIBURG IN DER SCHWEIZ
ÖSTERREICH
UND DIE BÜNDNISPOLITIK
DER KATHOLISCHEN ORTE
1527-1529
REKTORATSREDE
ZUR FEIERLICHEN ERÖFFNUNG
DES STUDIENJAHRES
AM 15. NOVEMBER 1948
GEHALTEN VON
ABKÜRZUNGEN
AA = Regierungsarchiv Innsbruck, Ambraser Akten.
ARG = Archiv für die schweiz. Reformationsgeschichte III
(Solothurn 1876).
ASB = Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation
I-VI (Basel 1921-1951).
BAS = Aktensammlung zur Geschichte der Berner Reformation.
Bern 1923.
DRA = Deutsche Reichstagsakten, j. R. Bd. VII (1935-37).
EA = Eidgenössische Abschiede IV 1a und IV 1b.
EB = Stuttgart, Staatsarchiv, Eidgenossenbuch I (1523-30)
A 121 B 10.
ESCHER = H. ESCHER, Die Glaubensparteien in der Eidgenossenschaft
und ihre Beziehungen zum Ausland. Frauenfeld
1882.
Korrespondenz = Die Korrespondenz Ferdinand I., bearbeitet von
W. BAUER. 2 Bde. (Wien 1912-1938).
PA = Regierungsarchiv Innsbruck, Pestarchiv.
ROHRER = FRANZ ROHRER, Das christliche Burgrecht und die
christliche Vereinigung. Luzern 1876.
STRICKLER = JOH. STRICKLER, Actensammlung zur schweiz. Reformationsgeschichte
I-V (1878-1884).
ZSA = Staatsarchiv Zürich.
ZSG = Zeitschrift für schweizer. Geschichte.
ZSKG = Zeitschrift für schweiz. Kirchengeschichte.
1. Ueber das Verhältnis Oesterreichs
zur Eidgenossenschaft 1521-1526
Die eidgenössische Außenpolitik blieb auch nach dem
Abschluß des Bundes mit Frankreich vom 5. Mai 1521
weithin beherrscht vom Gegensatz des Kaisers zu Frankreich 1.
Immer wieder entzündete sich die Feindschaft
der beiden führenden Mächte Europas am Schicksal des
Herzogtums Mailand. Dieses blieb das maßgebende
Thema der eidgenössischen Außenpolitik. Man kennt
die ausschlaggebende Rolle Kardinal Schiners für die
Fortführung, aber auch das schmähliche Ende der päpstlichen
Bündnispolitik im Jahr 1521 zufolge der widerspruchsvollen
Haltung Papst Leo X., was Zwinglis Ideen
die Bahn allmählich freigab 2. Doch wenn Zürich den
Beitritt zum französischen Bündnis beharrlich ablehnte
und damit eine folgenreiche Sonderstellung bezog, wenn
es an diesem Entscheid trotz aller Gegenströmungen
festhielt, so war das nicht allein Zwingli zu verdanken 3.
Vielmehr ist der Kampf gegen die französische Politik
den päpstlichen und kaiserlichen Parteigängern und
Zwingli gemeinsam gewesen, mochte sie auch verschiedenen
Motiven entspringen. Daher war die Ablehnung
des französischen Bündnisses auch ein großer Erfolg der
kaiserlichen Diplomatie, die seit dem Abschluß des Bundes
mit Frankreich ununterbrochen alles einsetzte, um
Zürich vom Beitritt abzuhalten 4. Diesen Erfolg galt es
zu halten und wenn immer möglich auszubauen, über
Zürich hinaus. Österreich mochte hoffen, inmitten einer
starken Verwirrung unter den eidgenössischen Orten
doch noch einen franzosenfeindlichen Block aufrichten
zu können, als dessen Zentrum Zürich ausersehen war.
Die Allianz zwischen England, Kaiser und Papst sowie
dem Herzog von Mailand und die enge Zusammenarbeit
dieser Mächte mochten solche Hoffnungen durchaus
rechtfertigen 5.
Im Dienste solcher Pläne stand der kaiserliche Sekretär
Veit Suter. Seine Rolle als politischer Agent der österreichischen
Regierung und als Bote des Kaisers in den
Jahren 1521-1525 ist wenig bekannt 6 Er stand in enger
Verbindung mit dem Innsbrucker Hof und unterrichtete
diesen, wie auch die Regierung in Ensisheim und jene
in Stuttgart, über alle politischen und kirchlichen Vorgänge
in der Eidgenossenschaft. Er war tatsächlich
der Leiter des gesamten geheimen Nachrichtendienstes
aus der Schweiz nach Österreich. Auf seine Berichte
berief sich Erzherzog Ferdinand des öftern, wenn er
seinen Bruder, Kaiser Karl V., über die Lage in der
Eidgenossenschaft unterrichtete. Suter residierte vorerst
in Zürich, dem Zentrum auch der päpstlichen Diplomatie
7.
Zum ersten Mal tritt Suter 1520 in kaiserlichen Diensten
5
hervor. Damals wurde er einer wichtigen Gesandtschaft
als Diener beigegeben 8. Schon 1521 wird er
kaiserlicher Sekretär und ist seither immer wieder an
wichtigen Botschaften beteiligt 9. Den Rückschlag der
päpstlich-kaiserlichen Politik in der Eidgenossenschaft
im Spätjahr 1521 bekam auch Suter zu spüren. Die
heftige Feindschaft der französisch gesinnten Orte ließ
es ihm geraten erscheinen, der Tagsatzung in Luzern
vom 10.-11. Dezember 1521 fernzubleiben und seine
Mahnung im Namen des Kaisers um Rückszug der
Knechte aus französischen Diensten am 25. November
schriftlich einzureichen 10. Seine Vorsicht war mehr als
begründet. Sehr bald ereignete sich ein ernster Zwischenfall.
Suter war eine Abschrift vom 17. Dezember des
Abschiedes über alle Verhandlungen der Luzerner Tagsatzung
vom 10.-11. Dezember in die Hand gespielt
worden. Er beeilte sich, den Inhalt der Verhandlungen
auch dem Herzog von Mailand zu übermitteln und dringend
zur Besetzung der Pässe und Grenzen Mailands
aufzufordern, da, wie er nun wußte, ein neuer Auszug
schweizerischer Knechte zu erwarten war. Er und der
Sekretär Kardinal Schiners mahnten, der Herzog müsse
den Kaiser beschwören, ohne Säumen alle Abwehrmaßnahmen
zu treffen, ja dem Scheine nach die Eidgenossenschaft
sogar mit Krieg zu bedrohen; denn nur so könnte
diese zurückgehalten und die Stellung der kaiserlichen
Partei gefestigt werden 11. Doch jetzt geschah das Unerwartete.
Der Postbote nach Mailand wurde von Glarnern
niedergeworfen, der Briefschaften beraubt, der
Nachrichtendienst Suters aufgedeckt. Die französische
gesinnten Orte waren äußerst erbittert, vor allem Luzern,
das die Verhaftung Suters forderte. Doch versagte sich
diesem Begehren die Mehrheit der Orte. Der Luzerner
Stadtschreiber argwöhnte einen Vertrauensmißbrauch
seines Unterschreibers, der acht Jahre in seinem Dienst
gestanden und mit Suter das beste Verhältnis gepflogen
hatte. Der Unterschreiber hatte sich durch die Flucht
der Verantwortung entzogen 12.
Dieser Handel hatte für Suter ein peinliches Nachspiel.
Zürich wurde beauftragt, den kaiserlichen Sekretär
einer strengen Untersuchung zu unterziehen. Wohl willfahrte
es diesem Begehren, betonte aber gegenüber der
Tagsatzung, daß sich Suter mit seiner diplomatischen
Stellung rechtfertige. Zürich sah ihm wohl etwas durch
die Finger, bei aller Wahrung der Form, und mochte
wenig Lust zeigen, den Gegnern größere Zugeständnisse
zu machen und unliebsame Verwicklungen heraufzubeschwören
23. So nahm der Konflikt schließlich einen
glimpflichen Ausgang. Die Tagsatzung ließ die Dinge
auf sich beruhen. Sie durfte erwarten, daß die ihr widerwärtigen
Agenten auf die erteilten Warnungen hin das
Land selber verlassen würden. So zog Suter vorübergehend
aus Zürich weg, wahrscheinlich anfangs Februar
1522, um dieselbe Zeit wie Nuntius Filonardi die Stadt
heimlich verließ 14. Suter ging bald nach Konstanz, bald
wieder nach Zürich, auch etwa an Orte im Thurgau,
wo immer er sicheren Unterschlupf finden und die Kundschaften
ruhig abwarten konnte 15. Am 2. Mai 1522 bat
er Zürich um ein Geleite, da er dort im Namen des
Kaisers und in eigenen Geschäften zu handeln habe.
Er brachte das Erbeinungsgeld für die eidgenössischen
Orte, im Betrag von 2700 Gulden, die am 3. Mai fällig
gewesen wären und für welche der Zürcher Rat am
17. Juni quittierte 16. Wenige Monate später reiste er
nach Innsbruck; denn von hier aus schilderte er am
18. September 1522 Erzherzog Ferdinand seine augenblickliche
Lage 17. Dr. Jakob Stürzl hatte ihm vorgeschlagen,
nach Ensisheim zu kommen, falls er nicht
mehr in Zürich bleiben dürfte. Das behagte Suter gar
nicht. Er meinte, nicht ohne stolze Befriedigung, daß
er zu dieser Zeit sehr wohl in Zürich weilen könnte,
«dann mir daselbs von der oberkait unnd erbarkait alle
zucht unnd er bewisen unnd erpotten wirdet.» Jedoch
wollte er Zürich keine Ungelegenheiten bereiten. Da der
Rat die kaiserliche Partei noch immer halten und dem
französischen Bündnis nicht beitreten wollte, mußte
Zürich fast ständig Schmähungen und Angriffe seiner
Gegner erdulden. Deswegen hatte Suter hier schon
früher seinen Aufenthalt unterbrochen, sobald er
über die französischen Umtriebe Kundschaften besorgt
hatte 18
Suter wollte den Nachrichtendienst auch jetzt durchaus
persönlich leiten. Ensisheim lag ihm zu abseits.
Vierzehn deutsche Meilen betrage die Entfernung von
Zürich bis Ensisheim, betonte er, und daher wäre die
Gefahr, daß seine Agenten abgefangen würden, recht
groß. Auch seien seine Vertrauensleute zum Teil des
Lesens und Schreibens unkundig. Sie wohnten in Zürich
und anderen Orten. Er aber müsse sie in seiner Nähe
haben, er müsse sie kommen lassen, sie instruieren, bald
dahin, bald dorthin senden, bald mit mündlichem, bald
mit schriftlichem Bericht. Nur in Zürich oder an dessen
Grenzen könne er tätig sein. Er berechnete die Entfernung
von Zürich bis Konstanz auf sechs Meilen. In
der Nähe des Thurgaus besitze er überall Vertrauensleute.
Sicherheit und geringere Kosten waren Vorteile,
die offenbar auch Dr. Stürzl nicht verkannte. So ließ
ein Mandat aus Nürnberg vom 1. Oktober Suter freie
Hand, sich in Zürich oder an einem anderen, geeigneten
Ort aufzuhalten 19. Wirklich zog Suter nach Zürich. Am
14. Oktober berichtete er von hier aus dem Erzherzog
ausführlich über die politische Lage in der Eidgenossenschaft
20. Bald darauf begab er sich nach Konstanz, wo
er der Eidgenossenschaft nahe genug war, um hinreichend
mit Kundschaften versehen zu werden. Hier
durfte er sich sicher fühlen, hier traf er mit Nuntius
Filonardi und dem Mailänder Gesandten Stampa zusammen.
So übernahm Konstanz als Mittelpunkt der
kaiserlich-päpstlichen und mailändischen Diplomatie,
soweit diese die Eidgenossenschaft berührte, die Rolle
von Zürich 21. Im November 1522 wurde Suter eigens
beauftragt, auch den Herzog von Mailand mit Nachrichten
zu bedienen. Er hatte im Oktober für Pensionen
in der Eidgenossenschaft 6000 Gulden erhalten, 1200
blieben ihm übrig für seinen Unterhalt und tägliche
Kundschaften 22.
Ende 1522 wurde die Stellung der kaiserlichen Diplomatie
in Konstanz noch verstärkt. Dr. Wolfgang Prantner,
von Karl V. zur Gesandtschaft in die Eidgenossenschaft
bestimmt, ließ sich in Konstanz nieder, wo er
wenigstens bis Ende 1523 blieb 23. Prantner übernahm
besondere Aufgaben, Suter weilte nach wie vor zumeist
in Konstanz.
Die einstigen Beziehungen zu Zürich vergaß Suter
nicht so rasch. Am 20. April 1523 erinnerte er den
Zürcher Rat eindringlich an die ihm stets erwiesene
Freundschaft, als er ihn bat, den Verleumdungen seiner
Gegner keinen Glauben zu schenken 24, und am 14. Okt.
schrieb er dem Zürcher Rat über die Kriegslage und
die Unternehmungen der kaiserlichen Truppen, ja sogar
über Vorgänge bei der in Vorbereitung stehenden Papstwahl,
mit dem ausdrücklichen Versprechen, es auch inskünftig
an neuen Zeitungen nicht fehlen zu lassen 25
Bisher hatte Suter Frau und Tochter samt seiner
Haushabe in Zürich belassen: Noch hatte er sich für
keinen dauernden Wohnsitz entscheiden können. Wie
ihm aber seine Frau in Konstanz klagte, erregte ihre
Anwesenheit in Zürich in einigen Kreisen solchen Unwillen,
daß sie in Sorgen geriet, obgleich der Rat ihr
alle Ehre erwies. Trotzdem bat Suter den Zürcher Rat
am 10. November 1523, seine Frau über den Winter in
der Stadt belassen zu dürfen, bis er eine feste Wohnstätte
gefunden hätte. Aus dieser Bitte erwuchs Suter
eine arge Enttäuschung. Als er nämlich im Herbst 1525
in Geschäften für Erzherzog Ferdinand mit anderen
Boten nach Zürich kam und er seine Frau zur Rückkehr
anhielt, wies sie ihn zornig ab, wie er es in seinem
Schreiben an den Rat vom 24. November 1525 schilderte.
Seine Frau verweigerte ihm auch die Herausgabe
der Barschaft und der Haushabe. Das traf den
kaiserlichen Sekretär sehr hart, dachte er doch schon an
die Nöte des Alters. Suter ersuchte den Zürcher Rat
dafür zu sorgen, daß seine Frau wieder zu ihm käme oder
dann sich dem Urteil des geistlichen Gerichts unterziehe,
andernfalls sei sie auszuweisen. Dazu kam es wohl nicht.
Wir dürfen nämlich vermuten, daß Suters Frau mit ihrer
Tochter zum neuen Glauben übertrat; sie hatte nämlich
aus dem Gut ihres Gatten in Zürich ein eigenes Haus
gekauft 26. Seit dieser Zeit wird es still um den kaiserlichen
Sekretär. Wir wissen nicht, wohin er sich zunächst
wandte. Jedenfalls ist er 1529 als Kammerprokurator
der Vordem Lande tätig, in den kritischen
Jahren 1530 und 1531 tritt er in diesem Amte des
öftern hervor 27.
Der Aufenthalt in Konstanz war für Suter Ende 1525
kaum mehr tragbar geworden. Sein letzter Bericht aus
dieser Stadt datiert vom 10. September 1525 28. So
geschickt er sonst in allem sein mochte, was seinen
Nachrichtendienst näher berührte, fiel er doch im Frühjahr
1524 den Umtrieben seines Wirtes zum Opfer, der
offenbar unehrlich im Rate den Gegnern Suters alles
anzeigte, was dieser in zu großer Vertrauensseligkeit
verraten hatte 29.
Diese knappe Charakteristik Suters läßt einige wichtige
Schlußfolgerungen zu. Ein dauernder politischer
Umschwung zu Ungunsten der kaiserlichen Partei erfolgte
in Zürich sicher nicht vor Anfang 1523. Alle politischen
Entscheidungen Zürichs, selbst die Verbote der
Solddienste und der Pensionen vom 11. Januar und
15. November 1522 30, müssen gerade im Hinblick auf
das Verhältnis zu Frankreich von der unbestreitbaren
Tatsache aus gewürdigt werden, daß die kaiserliche
Diplomatie bis in das Jahr 1523 hinein einen bedeutenden
Einfluß ausübte. Dieser Umstand hat das Vordringen
Zwinglis in den Bezirk der städtischen Außenpolitik
wesentlich erleichtert, so wie bekanntlich die
politische Gegnerschaft Zürichs zu Frankreich den Gegensatz
zu den westlich orientierten Ständen vertieft und
die Ausbreitung der religiösen Ideen Zwinglis ohne Zweifel
gehemmt hat. Anders als der päpstliche Nuntius
Filonardi vermochte sich Suter in Zürich länger zu behaupten.
Er erhielt auch später noch das Geleite der
eidgenössischen Orte. Wie die römische Kurie, so setzte
auch Österreich noch lange besondere Hoffnungen auf
Zürich. Nur der enge Zusammenhang zwischen der
kaiserlichen und päpstlichen Politik läßt auch die Haltung
Filonardis und Roms gegenüber Zürich in den
Jahren 1522 und 1523 richtig verstehen. Man schonte
Zürich, weil man immer noch an die Möglichkeit eines
Umschwunges gegenüber der Politik Zwinglis glauben
konnte 31. Nach Zürich wurde 1523-1524 Konstanz tatsächlich
der Mittelpunkt der päpstlich-kaiserlichen und
mailändischen Diplomatie, bis Ende 1524 in der päpstlichen
Politik eine entscheidende Wendung zu Gunsten
Frankreichs eintrat 32.
Suter errang in der Eidgenossenschaft geringe Erfolge.
Allerdings fiel es Frankreich nicht leicht, die Widerstände
völlig zu überwinden, und vorübergehend bestand
für Österreich sichere Aussicht, seine Stellungen auszubauen,
zumal nach der Niederlage der französisch-eidgenössischen
Truppen bei Bicocca (27. April 1522).
Unterwalden und Schwyz verweigerten die Besiegelung
des französischen Bundes von Anfang an, da die Artikel
der Vereinigung ihren Forderungen nicht entsprachen 33.
Nidwalden lehnte das Bündnis nachträglich wieder ab,
der König selber hätte es an ihnen nicht gehalten.
Schwyz ermahnte Nidwalden, in dieser Haltung zu verharren.
Erst im Oktober 1522 gelang es den vereinten
Anstrengungen der französischen Gesandten und der
eidgenössischen Orte, die Zusage Nidwaldens wieder zu
erhalten, natürlich nicht ohne Geldopfer Frankreichs 34.
Noch immer ungünstig war die Stimmung für Frankreich
in Appenzell. Hier wurden Ende 1522 die französischen
Pensionenempfänger ehrlos erklärt und zur Erstattung
aller empfangenen Gelder verpflichtet. Eine
eidgenössische Intervention lehnte Appenzell rundweg
ab 35. Am bekanntesten ist der Widerstand in Schwyz.
Zwingli wandte sich ja in einem eigenen gedruckten
Manifest, seiner «Göttlichen Vermahnung» vom 16. Mai
1522, an Schwyz und forderte es in eindringlichen Worten
auf, dem fremden Sold- und Kriegsdienst abzuschwören,
was die Landsgemeinde am 18. Mai auch beschloß 36.
Indessen hatte Schwyz das französische Bündnis überhaupt
noch nicht angenommen. Auch Österreich bot
alles auf, um es bei diesem Widerstand zu erhalten.
Schwyz hielt an seinem Standpunkt bis anfangs 1523
fest 37. In vielen Orten, in denen eine betonte Zurückhaltung
oder auch vorübergehende Feindschaft gegen
Frankreich durchbrach, dürfte die Rücksicht auf den
mailändischen Herzog mit im Spiele gewesen sein. Die
mailändische Diplomatie blieb nicht untätig. So entbot
Herzog Franz Sforza am 14. Januar 1523 seinen Gesandten
Bernardo Moresini in die Orte Uri, Schwyz und
Unterwalden, nicht bloß um ihnen seine besondere
Freundschaft und gute Nachbarschaft zuzusichern, sondern
auch um über die öffentlichen Pensionen zu verhandeln
38 Ist es nicht bezeichnend, daß etliche Luzerner
und Schwyzer im Dezember 1522 das Wagnis
unternahmen, gegen 200 Ochsen nach Mailand zum
Verkauf zu schicken, um die Sicherheit des Handels zu
erproben? 39 Deswegen muß der Beschluß der Schwyzer
Landsgemeinde nicht allein auf Zwinglis Intervention
zurückgeführt werden. Einmal bekämpften die österreichische
und jedenfalls auch die päpstliche Diplomatie
Frankreich immer wieder, dann gebot auch die Rücksicht
auf Mailand Zurückhaltung gegenüber Frankreich.
Bei der politisch zerfahrenen inneren Lage und der
schwankenden Volksstimmung mochte die Absage an
den Fremdendienst im Sinne einer Neutralitätserklärung
die augenblicklich günstigste Lösung darstellen 40. So
versteht sich der baldige Umschwung weit besser. Er
erfolgte, sobald die Stellung Frankreichs in der Eidgenossenschaft
wieder gefestigt und die Wiederaufnahme
der französischen Politik auch für Schwyz vorteilhaft
erschien.
Die Vorgänge in Schwyz muß man mit ähnlichen
Entwicklungen in Graubünden zusammensehen 41. Hier
hatte einzig der Graue Bund das Bündnis mit Frankreich
besiegelt, der Gotteshausbund und der Zehngerichtebund
lehnten die Annahme ab. Österreich besaß
hier bedeutende Anhänger, an ihrer Spitze den
Bischof, dann den Vogt von Maienfeld, Martin Seger,
den geschicktesten und einflußreichsten Agenten Österreichs,
der seit Ende 1523 eine jährliche Pension von
100 Gulden erhielt und Innsbruck neben Hans v. Marmels,
dem Vogt in Castels, und Ulrich v. Schlandersberg
reichlich mit Nachrichten versorgte 42. Frankreich
war jedoch gewillt, sein Ziel um jeden Preis zu erreichen.
Daher entbot es jedenfalls um 1523 Geoffroy de Grangis
nach Chur, wo er fortan residierte und während der folgenden
Jahren Österreich ununterbrochen bekämpfte 43.
Zu Beginn 1523 kam es zum entscheidenden Ringen 44.
Die eidgenössischen Orte ließen alle Mittel spielen. Anfangs
Januar 1523 hatten sie im Engadin die Mehrheit
erlangt, neue Botschaften sollten den Sieg sicherstellen 45.
Am 5. Februar gelang es Frankreich schließlich nach
erbitterten Kämpfen, dank der eingesetzten Geldmittel
und der größeren Versprechungen, den Widerstand in
den beiden Bünden zu brechen und die Besiegelung der
Vereinigung mit Frankreich zu erreichen 46.
Mit diesem Mißerfolg in Graubünden endete der Versuch
Österreichs so ziemlich, eine franzosenfeindliche
Front zu errichten, die unter Führung Zürichs von
Schwyz nach Appenzell und Graubünden hinüber gereicht
und Frankreich im Osten die Beherrschung der
wichtigsten Alpenübergänge in die lombardische Ebene
während der kritischen Kämpfe um Oberitalien verunmöglicht
hätte. Die Stellung Österreichs wurde durch
das Vordringen der neuen Lehre je länger je mehr erschwert;
denn es war gegenüber der neuen Glaubensbewegung
mit einer anderen Verantwortung belastet
als Frankreich, das in seiner Außenpolitik von den religiösen
Gegensätzen noch kaum beeinflußt wurde.
Unter dem Eindruck der ersten, tiefen Konflikte zufolge
der kirchlichen Krise errang aber Österreich seinen
ersten Erfolg, den sogen. Waldshuter Vertrag vom
Oktober 1524, an dessen Zustandekommen Veit Suter
nahe beteiligt war, ist er doch für Anshelm in diesem
Zusammenhang «der bekant, gschwind schriber Vytt
Suter» 44.
In allen Kämpfen um das französische Bündnis und
um die Unterstützung der Kriegszüge König Franz I.
durch die Eidgenossen trat die Auseinandersetzung um
die österreichische Erbeinung stark hervor. Dieser Vertrag
bildete seit seiner Erneuerung von 1511 und der
Ratifikation von 1519 durch Kaiser Karl V. die staatsrechtliche
Grundlage der Beziehungen zwischen Österreich
und den eidgenössischen Orten 48, Alle Bemühungen
Habsburgs, in Berufung auf die Erbeinung zu
entscheidenden politischen Erfolgen zu gelangen, blieben
vergeblich, obgleich niemals bezweifelt werden kann,
daß das Bündnis mit Frankreich zufolge seiner Konsequenzen
in einigem Widerspruch zur Erbeinung stand 49.
Allerdings umfaßte sie das Herzogtum Mailand nicht,
wohl aber die Freigrafschaft. Da die Burgunderfrage
in den Kampf zwischen Karl V. und Franz I. stark
hineinspielte, bestand Gefahr, daß die Eidgenossenschaft
in eine widerspruchsvolle Lage geriet, ganz abgesehen
davon, daß jegliches Reislaufen zu Feinden Österreichs
in der Erbeinung verboten war 50. Die eidgenössischen
Orte erklärten freilich seit 1521 wiederholt, die Erbeinung
an der Freigrafschaft halten zu wollen, war es
doch das Prinzip Berns, auch im Norden Frieden zu
wahren 51. Jedoch mochten sie sonst wenig Lust empfinden,
der Erbeinung wegen auf ihre militärische Mitwirkung
an den italienischen Kriegen und die damit
verbundenen Vorteile zu verzichten. Sie konnten sich
auch darauf berufen, daß sich Österreich in der Bezahlung
der Erbeinungsgelder sehr nachlässig zeigte und
daher den Vertrag nicht erfüllte 52. Erzherzog Ferdinand
fühlte diese Gefahr, als er am 5. April 1524 an Margaretha
von Habsburg, seine Tante, schrieb, die Schweizer
würden bei Nichtbezahlung ohne Zweifel die Erbeinung
mit Burgund und Österreich brechen, eine Befürchtung,
die noch später auch Karl V. teilte. Doch Ferdinand
hatte alle Mühe, nach längerem Hin und Her die Regentin
Burgunds zur Übernahme auch nur eines Viertels
des Erbeinungsgeldes für zwei Jahre im Betrage von
5400 Gulden zu bewegen und mußte sie öfters mahnen
zu zahlen 34. Zahlungsort für das Erbeinungsgeld war
Zürich, doch nur bis 1525, da die eidgenössischen Orte
dies nicht mehr zulassen wollten, worüber sich die Stadt
später noch eigens beschwerte 54. Übrigens ließen sich
die materiellen Vorteile, die Österreich bot, in keiner
Weise mit den Leistungen Frankreichs vergleichen 55.
Der erste politische Zweck der Erbeinung war von
der Freigrafschaft abgesehen, die Neutralisierung der
53
Rheingrenzen. Nun spielten sich 1524 in rascher Folge
Ereignisse ab, welche die bisherigen Verhältnisse im
Norden der Eidgenossenschaft ernstlich bedrohten. «Der
südliche Schwarzwald, Hegau und Klettgau, war ein
Wetterwinkel des Reichs.» Tatsächlich hatte hier die
neue Lehre mehr und mehr Verbreitung gefunden, und
vor allem Waldshut unterhielt immer engere Beziehungen
mit Zürich 56. Der Konflikt Österreichs mit diesem
Städtchen nahm seit dem Sommer 1524 schärfere
Formen an, und der Ittinger Sturm vom Juli 1524
mahnte auch Österreich zum Aufsehen 57. Plötzlich leuchtete
die ernste Gefahr auf, daß auf religiöser Grundlage
eine Interessengemeinschaft über die Grenzen hinweg
entstand, die verhängnisvolle politische Konsequenzen
zeitigen konnte. Die Verfolgung der Häupter des Aufruhrs
in Waldshut durch Österreich, jener im Ittinger
Sturm durch die Eidgenossenschaft wurde aber dadurch
erschwert, daß den Flüchtenden der Schutz politisch
fremder Städte gewährt wurde. Hubmeier floh am
1. September nach Schaffhausen, Vogt Konrad Steffen
von Stein nach Konstanz, Erasmus Schmid nach Lindau,
zwei andere von Stein nach Waldshut 58.
Hatte die Tagsatzung noch ein Jahr früher ein Geleite
für die kaiserlichen Räte abgelehnt, so änderte sich jetzt
die Lage 59. Österreich wollte und mußte wissen, wie
sich die eidgenössischen Orte gegenüber Waldshut zu
verhalten gedächten, die Tagsatzung war niemals gewillt,
auf die Bestrafung der Urheber des Aufruhrs im
Thurgau zu verzichten, war aber dabei auf die Hilfe
Österreichs angewiesen. Schon am 23. Juli berief sich
Veit Suter auf den Rat einer angesehenen Persönlichkeit
aus der Eidgenossenschaft, als er dem Hofrat in
Innsbruck nahelegte, Erzherzog Ferdinand solle der
neuen Lehre wegen mit den Eidgenossen über ein besonderes
Abkommen verhandeln oder ihnen hierüber
schreiben lassen, wozu sie sich wohl ohne Kosten bewegen
ließen. Er fand es auch angezeigt, dem Landvogt,
nämlich Josef Amberg aus Schwyz, eine Verehrung
zukommen zu lassen, «dann er ist gar myn gütt fründ,
auch gonner unnd mocht allen gehaim von ihm gehaben»
60. Der Gedanke an eine solche Verständigung
kam bereits an der Tagsatzung vom 16.-21. August
deutlich zur Geltung, mochte man sich auch sonst noch
kühl gegenüberstehen. Suter verfolgte ihn mit allem
Eifer und erklärte bereits an der Tagsatzung vom
23.-24. September die Bereitschaft seiner Regierung 61.
Basel war freilich Gegner jeglichen Abkommens. Es
befürwortete unbedingte Zurückhaltung, ja Nichteinmischung
und hatte es dem kaiserlichen Sekretär nicht
vergessen, daß er einst die Verhandlungen der Tagsatzung
in Luzern den Gegnern Frankreichs verraten
hatte, eine geschickte Provokation der Gefühle der Abneigung
gegen Österreich auch bei katholischen Orten;
denn aus der entscheidenden Tagsatzung von Frauenfeld
vom 13. und 14. Oktober traten Glarus und Uri
aus 62. Jedoch der Verlauf der Ereignisse drängte die
politischen Gegner enger zusammen, zumal am 3. Oktober
Zürcher Freischaren den bedrängten Waldshutern Hilfe
gebracht hatten 63
Die Instruktion an Dr. Wilhelm von Reichenbach,
Vogt in Horb, und an Veit Suter vom 9. Oktober läßt
über die Sorgen der österreichischen Regierung keine
Zweifel aufkommen, auch nicht über die Beweggründe,
die zum sogen. Waldshuter Vertrag führten. Österreich
sicherte gemäß der Erbeinung Aufsehen zu, das bedeutete
hier Hilfe. Es fürchtete, daß die Leute von Hilzingen,
des Hegau und anderer Orte, die sich bereits
zusammentaten, sich auch anschickten, mit den Thurgauern
gemeinsame Sache zu machen. Im Hintergrund
stand überdies der ruhelose Herzog Ulrich von Würtemberg,
der mit protestantischen Städten geheime Verhandlungen
betrieb und eifrig bemüht war, die Feindschaft
gegen Habsburg unter den Bauern zu schüren.
Was Österreich nun wollte, das war die Verhinderung
jeden Versuchs zu einem gemeinsamen Bündnis zur
Errichtung einer Solidarität zwischen seinen und den
eidgenössischen Untertanen; was es wünschen mußte,
war das Verbot jeglicher eidgenössischer Hilfe an Herzog
Ulrich. Doch in allem war Österreich auf die Wahrung
der gegenseitigen Rechte bedacht, so sehr, daß es den
Gedanken aufgriff, die Schaffhauser sollten in ihren
Dörfern im Hegau «an dieselbigen ire hewser und hof
ire wappen slagen und hennckhen», damit nicht ihre
Leute als Unschuldige mit den Schuldigen bestraft würden.
Kein Zweifel, Österreich betonte die volle Achtung
der gegenseitigen Herrschaftsrechte. Umso entschiener
forderte darum Erzherzog Ferdinand die Beobachtung
der Erbeinung durch Zürich im Waldshuterhandel,
daß es den Aufständischen keine Hilfe leiste und die
Freischaren zurückrufe, auch daß die eidgenössischen
Orte gemäß der Erbeinung die österreichischen Untertanen
auslieferten. Daher nahm die Instruktion eine
eigene Gesandtschaft nach Zürich in Aussicht, da man
vermutete, es bestünde zwischen Zürich und Waldshut
ein geheimes Abkommen. Österreich wollte sich durchaus
gut nachbarlich verhalten 64 So waren schließlich
auch die eidgenössischen Orte an der Frauenfelder Tagsatzung
vom 13.-14. Oktober bereit, auf vorgängige Anforderung
hin, jedoch unter voller Wahrung der Gerechtigkeiten
beider Teile, das Begehren auf gegenseitige
Auslieferung der Flüchtlinge anzunehmen und entsprechend
der Zusage diesen Tagsatzungsbeschluß schriftlich
zu übermitteln. Mehr wurde nicht gehandelt. Auch
gibt es keinen eigenen Vertragstext 65.
Veit Suter aber, der wichtigste Mittelsmann in diesem
Geschäft, wurde von Österreich schließlich fallen gelassen.
Seine Regierung fühlte sehr wohl, daß er angesichts
seiner Vergangenheit manchen eidgenössischen
Orten mißliebig war 66. In Konstanz war ein Geschrei,
die Eidgenossen hätten Zürich geschrieben, Suter nicht
mehr in ihrer Stadt zu dulden, er sei ein verräterischer
Bösewicht 67. Und an der Luzerner Tagsatzung vom
8. November 1524 wurde erwogen, ob man den kaiserlichen
Gesandten auch ferner Geleite geben wolle, da
sie unter dem Mantel ihrer Sendung doch nur Umtriebe
machten und Unruhe stifteten. Das galt wohl in erster
Linie dem kaiserlichen Sekretär Veit Suter 68 Österreich
hielt dessen Entlassung für angezeigt, am 17. November
wurde er abberufen 69 Aber auch Wilhelm von
Reichenbach, der mit Suter entboten worden war, empfand
wenig Freude an eidgenössischen Dingen und fand
diesen Dienst undankbar. Als er sich bereits Ende
Oktober zurückzuziehen gedachte, bat ihn Innsbruck
dringend auszuharren, da Suter doch nicht mehr zu
gebrauchen sei. Reichenbach sollte, wenn er am Ende
aller Verhandlungen verreite, jemanden an Suters Stelle
als Berichterstatter bestimmen 70. Schließlich trat gelegentlich
wieder Ritter Wolf von Homburg hervor, der
schon seit Jahren in der Eidgenossenschaft tätig gewesen
war. Aber auch seine Mission leitete kein neues
Verhältnis Österreichs zur Eidgenossenschaft ein 71.
Immer wieder forderte dieses in der Folge die Beobachtung
der Erbeinung, ob es nun die Vermittlung der
Städte Zürich, Basel und Schaffhausen im Waldshuterhandel
ablehnte oder von der Unterstützung des Herzogs
von Würtemberg abmahnte 72. Als Zwingli in
seiner Schrift «Über die Gevatterschaft» zu scharfen
Ausfällen gegen Österreich überging und nicht ungeschickt
Zürichs einstige Beziehungen zur kaiserlichen
Partei, offenbar auch seine eigenen, in eine Anklage
gegen die Kaiserlichen wandelte, da verwahrte sich
Österreich eigens, laut Instruktion vom 31. Januar 1525
an Ritter Wolf v. Homburg, es hetze nicht gegen Zürich
und mache auch keine Umtriebe bei den IX Orten.
Es wünsche lediglich Wahrung der Erbeinung und verlange
Gehör, dann würde seine Unschuld bewiesen.
Habe Zürich Österreich viel Gutes erwiesen, so nicht
weniger Österreich Zürich 73. So stark wirkte die einstige
Freundschaft Zürichs mit Österreich noch nach.
Als Zürich das Verbot jeglichen Auszugs in den Dienst
Herzog Ulrichs von Würtemberg auf der Kanzel hatte
verlesen lassen, fand es Österreich nicht unter seiner
Würde, Zürich im Februar 1525 eigens zu danken, so
gut wie den Städten Bern, Freiburg, Basel und Schaffhausen
für das von ihnen erlassene Auszugsverbot 74.
Gewiß, Österreich hatte auch nach 1523 stets Interesse,
inmitten der Kämpfe um Mailand, die Eidgenossen
von jeder Hilfeleistung an Frankreich abzuhalten. Als
im Frühjahr 1524 Frankreich sich in peinlicher Geldverlegenheit
befand, die Eidgenossen die Zahlung aller
öffentlichen und privaten Pensionen forderten und bei
Nichtbezahlung drohten, die Siegel von den Bündnissen
abzureißen und alle Verhandlungen abzubrechen, da
erwachten beim Kaiser, angesichts dieser kritischen
Lage des französischen Königs, größere Hoffnungen 75.
Er wünschte, wie er am 25. Mai 1524 seinem Bruder
schrieb, eine Tagsatzung in Zürich, dachte an eine Gesandtschaft
aller verbündeten Mächte und erwartete
von einer solchen Intervention die Trennung der Eidgenossenschaft
von Frankreich und dadurch eine fühlbare
Schwächung des Gegners 76. Erzherzog Ferdinand
jedoch erkannte das entscheidende Hindernis für die
Verwirklichung derartiger Pläne. In der Instruktion
für seinen Gesandten an Karl vom 13. Juni 1524 schlug
Ferdinand vor, das Herzogtum Mailand dem Reich einzuverleiben
und seiner eigenen Regierung zu unterstellen.
Dann bestünde Hoffnung auf ein ewiges Bündnis
mit den eidgenössischen Orten; denn er könnte, machte
er geltend, Mailand weit besser gegen Angriffe verteidigen
und die Eidgenossen seien auf die Lebensmittelzufuhr
aus seinen Herrschaftsgebieten angewiesen 77.
Das zielte auf die inneren Orte, die an Mailand am
meisten interessiert und in Rücksicht auf Mailand dem
Kaiser abgeneigt blieben. Doch der Kaiser war hiefür
nicht zu gewinnen. Schon am 31.. Oktober gab er die
Hoffnung auf den Erfolg einer Tagsatzung preis und er
meinte resigniert, alles dafür verwendete Geld wäre doch
nur verschwendet 78.
Schon seit dem Herbst 1524 war Dr. J. Stürzl, kaiserlicher
Rat, der Vertrauensmann Österreichs in allen eidgenössischen
Fragen. Er übernahm eine ähnliche Aufgabe
wie vor ihm Veit Suter. Seine Stellung war kaum
zu beneiden. Sie wurde im Januar 1525 so schwierig,
daß die Tagsatzung ihm zu verstehen gab, er würde
besser tun abzureisen und zu Hause zu bleiben 79. Wohl
dachte der Kaiser nach seinem entscheidenden Sieg bei
Pavia vom 24. Februar 1525 noch einmal daran, Ferdinand
könnte die Schweizer für ein Bündnis gewinnen 80.
Der Versuch Dr. Stürzls blieb jedoch erfolglos, trotz des
Angebots, alle von Frankreich geschuldeten Gelder den
Eidgenossen zu zahlen. Das zu tun war der Kaiser noch
im Oktober 1526 bereit, obgleich die Tagsatzung im
Juni 1526 die Werbungen Dr. Stürzls erneut abgelehnt
hatte 81. Das Übergewicht, das Spanien und Österreich
nach dem Sieg bei Pavia in Italien erlangt hatten, der
chronische Mangel an Geldmitteln, das alles drängte
die eidgenössischen Orte wieder stärker in das Lager
Frankreichs, zumal nach dem Abschluß der Liga von
Cognac 82. So blieben die Beziehungen Österreichs zur
Eidgenossenschaft seit 1523 bis zu Ende des Jahres 1526
im wesentlichen unverändert. Trotz aller scheinbaren
Aussichten gelang es weder dem Kaiser noch Österreich,
mit der Eidgenossenschaft ein Bündnis zu
schließen.
Wer diesen Verlauf aller Verhandlungen zwischen
Österreich und den Eidgenossen noch einmal übersieht,
wird kaum leugnen wollen, daß die Deutung, die einst
Wilhelm Oechsli dem sogen. Waldshuter Vertrag gab,
völlig irrig ist 83. Nicht nur führte er, was bezeichnend
ist, für den Zusammenschluß der katholischen Orte an
ihrer Zusammenkunft in Beckenried vom 8. April 1524
den Begriff des katholischen Sonderbunds in die Geschichtschreibung
ein 84. Vielmehr deutete er in logischer
Fortführung seiner subjektiven Gedankengänge
den sogen. Waldshuter Vertrag als eine gleichsam verräterische
Verbindung der katholischen Orte mit Österreich,
die sich nun anschickten, gemeinsam gegen das
eidgenössische Interesse, Zürich mit Krieg zu überziehen
85, Es hatte bei solchen vorgefaßten Meinungen
kaum mehr etwas zu bedeuten, daß der Waldshuter
Vertrag auch die Billigung Berns fand, das doch konsequent
französische Politik betrieb. Für die Verurteilung
und Mißdeutung dieser Politik genügte es, daß
die Führung in der eidgenössischen Politik damals bei
den innerschweizerischen Orten lag, um derart abwegige
Schlußfolgerungen zu ziehen, und die alte Tatsache, daß
innerschweizerische Orte noch wenige Jahrzehnte früher
Österreich am stärksten abgeneigt waren, verblaßte vor
der neuen, daß sie jetzt Zürich aus religiösen Gründen
bekämpften 86. Deswegen mußten dem Waldshuter Vertrag
eindeutige Angriffsabsichten zugrundeliegen. Er
war kein Neutralisierungsversuch mehr, sondern ein
Angriffspakt, gleichsam ein Vorspiel zu einem ernstlich
ins Auge gefaßten Krieg gegen Zürich, weshalb, wie
Oechsli behauptete, Zwingli damals den Feldzugsplan
entwarf 87
Das alles genügte jedoch nicht! Der Waldshutervertrag
bezeichnete vielmehr den Anfang jener Politik, die
nach Österreich hin orientiert blieb und schließlich in
das enge Verhältnis einmündete, das seinen Ausdruck
in der Christlichen Vereinigung fand. Vom Waldshuter
Vertrag führte nach solchen Anschauungen eine sozusagen
gerade Linie zur Christlichen Vereinigung, dem
eigentlichen Bündnis der katholischen Orte mit Österreich
vom 22. April 1529. Ihre Begründung fand diese
Anschauung in der schlecht verhüllten Anklage gegen
die katholischen Orte, eine dem allgemeinen Landeswohl
abträgliche Politik verfolgt zu haben 88. Diese Grundauffassungen
schöpfte Oechsli ohne Zweifel aus dem
Ideenkreis, wie er sich aus der Zeit des Sonderbunds
und des Kulturkampfes herausgebildet hatte. Oechslis
Studie, zwar eine Früharbeit, wurde maßgebend für die
Darstellung Dierauers und auch übernommen von den
Bearbeitern der Werke Zwinglis. Unter dem Eindruck
der fast zum Schlagwort erhobenen Behauptung vom
Ende jeder selbständigen Außenpolitik der Eidgenossenschaft
nach der Niederlage bei Marignano fanden jedoch
die späteren wechselvollen Beziehungen der Eidgenossenschaft
zu Frankreich und Österreich im Kampfe um
Mailand zu wenig Beachtung.
In Wirklichkeit begründete auch der sogen. Waldshuter
Vertrag kein neues, außenpolitisches Verhältnis
der Eidgenossenschaft zu Österreich. Er ist im wesentlichen
nur aus der Grenzlage jener Gebiete zu verstehen,
in denen sich die sozial- und religionspolitisch folgenschweren
Ereignisse abspielten. Im einen Fall handelte
es sich um das Schicksal eines für Österreich bedeutenden
Brückenkopfes, einer österreichischen Landstadt,
deren neugläubige Partei einen zwar religiös motivierten,
doch auch politischen Charakter annehmenden Aufruhr
heraufbeschworen hatte, im andern Fall um einen damals
als äußerst gefährlich empfundenen Aufstand der
Bauernschaft einer gemeineidgenössischen Vogtei. Eine
Solidarität politisch fremder Untertanen sollte verhindert
werden. Diesem Ziel diente auch die gegenseitige
Verpflichtung zur Auslieferung sogen. Rädelsführer.
Diese sollten sich durch die Flucht in politisch fremde
Territorien oder Städte der gerichtlichen Verantwortung
nicht mehr entziehen können. Gegenseitige Sicherung
der Grenzgebiete, das war also das Ziel beider Teile.
So wie die Grenzgebiete durch die Erbeinung politisch
neutralisiert waren, sollten sie durch den sogen. Waldshuter
Vertrag religiös neutralisiert werden. Insofern erscheint
dieser wirklich als eine Ausweitung der Erbeinung,
die infolge einer bedrohlichen kirchlichen Entwicklung
dringend geboten erschien. Daß dadurch der
Fortgang der protestantischen Glaubensbewegung unterbunden
werden sollte, ist klar, kann aber in keiner Weise
überraschen und darf auch nicht zu weitergehenden
Schlußfolgerungen hinsichtlich der außenpolitischen Verhältnisse
der eidgenössischen Orte führen.
Die Religionspolitik der katholischen Orte zeigt bis
1526 einen eigenartigen, doppelten Charakter auf. Wohl
überließen sie auf eidgenössischem Boden die Führung
in theologischen und kirchlichen Fragen Generalvikar
Dr. Fabri, Joh. Eck und Thomas Murner. Das war verständlich,
fiel doch der Mangel an tüchtigen Theologen
in der Eidgenossenschaft auch dem päpstlichen Legaten
in Deutschland, Campegio, auf, der meinte, sie seien
selten wie weiße Raben 89 Insofern waren für die Verknüpfung
der katholischen Religionspolitik in der Eidgenossenschaft
mit der Reichspolitik im kirchlichen Bereich
mannigfache Voraussetzungen gegeben. Doch begaben
sich die katholischen Orte damit in keiner Hinsicht
ihrer selbständigen Entscheidung. Vor allem gilt
das für ihre Außenpolitik. Die katholischen Orte standen
immer noch zu Frankreich, allen militärpolitischen Krisen
zum Trotz. Diese Bindung an Frankreich verunmöglichte
ein militärisches Zusammengehen mit Österreich,
auch eine neue Bündnispolitik. Wann und wie
hierin die Wende eintrat, das soll in der uns gebotenen
Kürze aufgezeigt werden.
2. Innenpolitische Wandlungen
als Voraussetzung der katholischen
Bündnispolitik
Die Führung in der eidgenössischen Religionspolitik
lag bis in den Sommer 1526 hinein bei den innerschweizerischen
Orten. Doch hatten diese ihr Ziel, die Erhaltung
einer rein katholischen Eidgenossenschaft, nicht
erreichen können 1. Ihr dreifacher Versuch scheiterte:
es gelang ihnen in den Jahren 1522-1524 nicht, ihre Mitstände
zu einer einheitlichen Stellungnahme gegenüber
Zürich zusammenzuschließen und zu einer unbedingten
Ablehnung der neuen Lehre zu bewegen; erfolglos war
auch ihr zweiter Versuch, durch Verkündung eines umfassenden
Reformprogramms, unter Vorbehalt aller
Lehrentscheidungen durch ein späteres allgemeines
Konzil, im sogen. eidgenössischen Glaubenskonkordat
vom Januar 1525 die kirchliche Einheit zu retten 2.
Endlich hatten sie vergeblich gehofft, durch die Badener
Disputation vom Mai 1526 die Städte zur Preisgabe der
schriftgemäßen Predigt veranlassen und deren Anschluß
an ihre eigene Stellungnahme herbeiführen zu können.
Denn hier galt es, auf theologischem Wege die fatalen
Widersprüche in der Abendmahlslehre und anderen
Glaubensstücken nachzuweisen und damit die Unhaltbarkeit
des Schriftprinzips als Norm des Glaubens aufzudecken.
Nach der Disputation zu Baden war es offenkundig
geworden, daß die Städte den V Orten die Gefolgschaft
verweigerten 3. Seit dieser Zeit wechselten
Offensive und Defensive zwischen den beiden Lagern.
Jetzt handelte es sich nicht mehr darum, ob Zürich
isoliert und so die Glaubenskrise überwunden werden
könnte, sondern ob die innerschweizerischen Orte ihre
Stellungen in den gemeinen Vogteien behaupten, ja
letzten Endes, ob sie ihre eigene Autonomie in der Glaubensfrage
retten könnten.
Nun spielte gerade jetzt zwischen den beiden Glaubensparteien
Bern die maßgebende Rolle. Daß diese
Stadt für eine Umkehr nicht hatte gewonnen werden
können, kennzeichnet bereits die Schwäche in der Position
der katholischen Orte. Den katholischen Häuptern
entging dies nicht. Sie erstrebten nach der Badener
Disputation eine Sicherung gegen einen Glaubenswechsel
Berns. Sie unternahmen, wohl zum ersten Mal seit der
Glaubenskrise, den Versuch, das Recht der Untertanen
auf eine freie Entscheidung im Glauben in staatsrechtlich
bindender Form festzulegen, wenn nötig gegen den
Willen der städtischen Obrigkeit. Am Pfingstmontag
1526 verpflichtete sich Bern gegenüber den Boten der
V Orte, ohne Zustimmung der Ämter keine Änderung
des Glaubens vorzunehmen 4. Doch schon die Osterwahlen
von 1527 brachten den entscheidenden Wechsel
in der Regierung, die sich an solche Zusagen nicht mehr
gebunden fühlte. Der Übertritt der Stadt Bern vollzog
sich rasch. In der gesamteidgenössischen Lage war damit
eine ausschlaggebende Veränderung der Machtlage
eingetreten und der Übertritt Berns mußte daher allmählich
zu krisenhaften Erscheinungen führen. Bisher
hatte sich Zürich, selbst im eigenen Herrschaftsbereich,
etwelche Zurückhaltung auferlegt. Zwar war in der
Stadt der alte Kultus völlig unterdrückt, aber die dem
alten Glauben Treugebliebenen konnten die Messe immer
noch auswärts besuchen. Erst nach der Festigung der
eidgenössischen Lage, im Januar 1529, wurde der auswärtige
Messebesuch gänzlich verboten 5. Es ist klar:
nicht Toleranz, sondern Taktik, Rücksicht auf die eidgenössische
Lage war für solches Verhalten bestimmend 6.
4
Der Kampf um die gemeinen Vogteien war schon
lange entbrannt. Nicht sein bisheriger äußerer Verlauf
ist hier zu zeichnen, wohl aber ist zu zeigen, von welchen
maßgebenden Prinzipien er getragen erscheint. Blieb
das Syndikat der regierenden Orte in Glaubensangelegenheiten
zuständig, entschied also das Ständemehr,
dann konnten auf Grund der staatsrechtlichen Verhältnisse
die V Orte zum mindesten ein zu sicheres
und rasches Vordringen der neuen Lehre unterbinden.
Das Ständeprinzip war verankert in der genossenschaftlichen
Idee des eidgenössischen Bundes. Diese fand
ihren sinnvollen Ausdruck auch im gemeinsamen Anteil
der Stände an der Regierung über die Vogteien,
was dem Gedanken des Ausgleichs unter den Orten
entsprach 7. Übten die V Orte die Regierung im
Thurgau, in Sargans und im Rheintal während zehn
Jahren ununterbrochen aus, so konnte dagegen Zürich
mit Glarus, das noch nicht völlig protestantisiert war,
sie nur während vier Jahren beanspruchen. Hier lag
für Zürich, staatsrechtlich gesehen, ein auf legalem Wege
kaum zu überwindendes Hindernis vor 8.
Wie aber sollte nun die Verbreitung der neuen Lehre
in den gemeinen Vogteien trotzdem ermöglicht und ihre
Existenz dauernd gesichert werden? War der Durchbruch
der Ständemehrheit und damit des Übergewichts
der katholischen Orte in der Vogteiregierung nicht von
oben her zu erzwingen, so mußte er eben von unten her
erreicht werden. Dieses Ziel, das Zwingli stets im Auge
behielt, liegt den verschiedenen Bündnissen unter den
Städten zugrunde. Jedenfalls schloß Zürich schon das
erste Burgrecht mit Konstanz vom 25. Dezember 1527
nicht allein in Rücksicht auf die Expansion in den süddeutschen
Städten, wo Zwingli große Hoffnungen auf
Anerkennung seiner Lehre hegen durfte, sondern auch
im Hinblick auf die Sicherung seiner Stellung im Thurgau,
dessen nördliche Flanke damit gedeckt war 9. Die
Grundgedanken der städtischen Politik in den gemeinen
Vogteien sprach aber das Burgrecht Zürichs mit Bern
vom 25. Juni 1528 mit aller Deutlichkeit aus 10. Die
entscheidende Idee war das Mehrheitsprinzip, angewandt
auf die Kirchgemeinde. Zwar beriefen sich beide
Städte auf den von ihnen oft verkündeten Grundsatz,
daß der Glaube und das Heil der Seelen eine freie unverdiente
Gnade, eine Gabe Gottes sei und keinem
Zwange unterliege. Durch diesen Grundsatz entzog man
die Glaubensfrage der überlieferten staatlichen Ordnung
11. Deswegen war er auch unzureichend für die
Lösung des staatsrechtlichen Konflikts. Das Berner
Burgrecht bestimmte: Kirchgemeinden, welche mit
Mehrheit das Wort Gottes annähmen, sollten nicht mit
Gewalt von ihm abgedrängt werden. Allerdings setzte
es dieselbe Norm fest für Kirchgemeinden, welche mit
Mehrheit den alten Glauben behalten wollten. Trotzdem
blieb auch dann der Schutz der neugläubigen Prediger
und Untertanen bestehen, und beide Glaubensparteien
erhoben Anspruch auf alleinige Geltung ihres
Glaubens. Nirgends wurde festgelegt, daß das Mehren,
die Abstimmung über den Glauben, einmal angewendet,
nicht wiederholt werden dürfte. Es sollte vorerst bloß
äußere Gewalt gegen mehrheitlich altgläubige Gemeinden
vermieden werden. Indessen ließ sich auf dem Wege
fortdauernder Predigt, diplomatischer Interventionen
mit Drohungen und Versprechungen aller Art jedes Ergebnis
einer Abstimmung ein zweites oder drittes Mal
umstürzen und schließlich der Sieg der neuen Lehre
herbeiführen. Noch im Oktober 1528 forderten die
V Orte von Zürich eine eindeutige Erklärung, ob es
bereit wäre, inskünftig anzunehmen, was das Mehr
würde 12. Die Widersprüche sind klar. Letzten Endes
galt das Mehrheitsprinzip nur zugunsten des neuen
Glaubens. Der kraftvolle Dynamismus der Städte, die
ganze Wucht ihrer Aktion, ihr rücksichtsloser Offensivwille
nach dem Übertritt Berns kam in solchen Prinzipien
zum Ausdruck. Das Herrschaftsrecht der katholischen
Orte, ihr Ständemehr geriet zu diesem Mehrheitsprinzip
für die einzelne Gemeinde in einen unlösbaren
Widerspruch. Weil das Ständemehr gegen die
protestantischen Städte sprach, kämpfte man für das
Selbstbestimmungsrecht der Untertanen, indem man
die Freiheit des Glaubens von jeder staatlichen Bindung
verfocht, doch nur soweit und solange als bis der Sieg
der neuen Lehre gesichert war.
Wie aber sollten nun die katholischen Stände gegenüber
dem so statuierten und immer zielbewußter angewandten
Mehrheitsprinzip ihre Herrschaftsrechte behaupten?
Zwingli und seine Anhänger hatten noch
früher den Grundsatz verkündet, der Glaube betreffe
die Bünde nicht 13. Auch das kam einer Negation allen
historischen Rechtes gleich, sobald dieses mit den Ansprüchen
der Neuerer irgendwie in Widerspruch geriet.
Das durch geschichtliche Tradition geheiligte staatliche
Gefüge der Eidgenossenschaft war damit wirklich in
Frage gestellt. Es drohte zusammenzubrechen, wenn
das historische Recht auf so elementare Weise untergraben
und gänzlich beseitigt wurde.
Die Länderorte waren einst an die Städte gebunden
worden vor allem durch die Mitregierung über die gemeinen
Vogteien. In diesem Condominium fanden allmählich
überbordende popular-demokratische Bewegungen
ihre Grenzen. Die letzten Versuche zur Errichtung
einer politischen Solidarität der freien mit den
untertänigen Bauernschaften wurden durch das Stanser
Verkommnis von 1481 unterbunden. Die Gefahr einer
gegen die städtischen Obrigkeiten gerichteten Intervention
der Länderorte bei den städtischen Untertanen
sollte inskünftig ausgeschaltet, der absolute Herrschaftsanspruch
der Städte für immer gesichert und gewährleistet
sein. Dieser Gedanke war nicht weniger bedeutsam
als die Frage der Mehrheitsstellung der Länder, der
Sicherung ihrer überlieferten Stellung oder etwa als der
Plan einer stärkeren Zentralisation 14. Den Gedanken
der Intervention nahmen die V Orte 1528 zielbewußter
auf. So wie sie versucht hatten, die Entscheidung des
städtischen Rates in Bern an die Zustimmung der Untertanen
zu binden, strebten sie auch danach, durch den
Appel an die Landsgemeinden in Glarus und Appenzell
wiederholt bindende Zusagen zugunsten des alten Glaubens
zu erhalten 15. Nicht besser konnte die eigenmächtige
Politik der Städte durchkreuzt werden, als durch
den Kampf der Länderorte für das Selbstbestimmungsrecht
der Untertanen in den städtischen Territorien 16.
So lag ein eigentümliches Wechselverhältnis vor. Die
protestantischen Städte kämpften für den absoluten
Herrschaftsanspruch in ihrem Territorium, aber gegen
das Herrschaftsrecht der katholischen Stände in den gemeinen
Vogteien. Der Widerspruch springt in die Augen:
Die Souveränität der Städte in ihrem Territorium war
historisch begründet, ihr Kampf gegen die Herrschaftsrechte
der katholischen Orte ließ sich dagegen historisch
niemals rechtfertigen.
Seit dem Übertritt Berns hatte sich die strategische
Lage der katholischen Orte wesentlich verschlechtert.
Freiburg vor allem war völlig isoliert. War das Berner
Oberland einmal den Einflüssen der innerschweizerischen
Orte entzogen, blieb auch dem Wallis nur mehr
die Verbindung über die Furka. Die Ausgänge nach
Norden wurden den inneren Orten weitgehend verschlossen,
sobald Uznach protestantisch war und Luzern
mit Zug die Kontrolle über den Reußkorridor verlor 17.
Vollends war die Lage in der Ostschweiz äußerst bedrängt.
Nicht allein weil Zwingli gemäß seinem im
Feldzugsplan vom Frühjahr t526 entworfenen Programm
die Abteien und Gotteshäuser systematisch ihrer politischen
Rechte zu entsetzen bestrebt war, sondern es
drohte schon lange die Gefahr, daß der Vorstoß der neugläubigen
Partei längs des Wallensees nach der Sarganser
Landschaft getragen würde bis und über die Grenze des
Vorarlbergs hinaus; denn hier hatte die neue Lehre
schon ansehnlichen Boden gewonnen. Die ganze südöstliche
Flanke war ernstlich gefährdet 18. Die Lage im
Nordosten war wenn möglich noch kritischer geworden,
infolge der planmäßig betriebenen Eroberung des Thurgaus
und der Verbindung mit Konstanz und Lindau.
Der Abschluß des Burgrechts mit St. Gallen vom
17
3. November 1528 wirkte bedrohlich 19. Doch früher
schon, im September 1528, betrieb der Führer der Neugläubigen
im Rheintal, Ammann Hans Vogler, die Aufnahme
der Vogtei in das christliche Burgrecht, was den
Ausschluß der katholischen Orte von der Herrschaft
bedeutete 20. Sie waren gegen Ende 1528 tatsächlich in
eine Lage geraten, in der sie trotz höchster Anstrengungen
Gefahr liefen, aller Regierungsrechte in den gemeinen
Vogteien verlustig zu gehen und schließlich ihre
eigene Freiheit nicht mehr behaupten zu können. Niemals
waren sie jedoch bereit, anders als der äußersten
Gewalt zu weichen. Indessen war es fraglich geworden,
ob es ihnen noch gelang, sich der wachsenden Einkreisung
durch die protestantischen Städte zu entziehen.
Eine Verständigung erschien schon seit Beginn des
Jahres 1528 aussichtslos. Wenn der Krieg nicht früher
ausbrach, beweist das einzig die ungewöhnliche Tragkraft
des eidgenössischen Bundes. Diese ist erheblich
verstärkt worden durch die bundesrechtliche Stellung
der zuletzt aufgenommenen Glieder. Sie hatten keinen
Anteil an den gemeinen Vogteien und konnten deshalb
umso eher ihre vermittelnde Rolle spielen. Besonders
Basel entzog sich dieser Aufgabe nie, bis es zu Beginn
1529 den Bruch mit dem alten Glauben vollzog und sich
durch den Beitritt zum christlichen Burgrecht einseitig
auf die Politik der protestantischen Stände verpflichtete
21. Der Riß im Gefüge des eidgenössischen Staatswesens
ist dadurch erst recht erweitert worden.
Sollte das alte Recht nicht mehr gelten, dann war
es gegeben, daß die katholischen Orte zum Gegenschlag
dort ansetzten, wo in die Front der protestantischen
Stände mit Erfolg Breschen zu schlagen waren. Sie
rangen jetzt um die letzten Mittel zur Behauptung ihrer
eigenen Existenz, oder sie hätten der neuen Lehre die
Tore öffnen müssen. Eine solche offenkundige Kapitulation
schlugen sie beharrlich aus. Sie mußten daher
aus ihrer schier hoffnungslosen Lage einen Ausweg
suchen und finden. Zwei Lösungen boten sich ihnen
dar: entweder die Verbindung mit der untertänigen
Bauernschaft, deren Unzufriedenheit mit der obrigkeitlichen
Politik weithin aufloderte, oder dann Rückhalt in
einem neuen Bündnissystem. Obwaldner unternahmen
zuerst den bedeutsamen Versuch, sich mit den ihnen
wesensverwandten und tief unzufriedenen, schon im
Aufruhr begriffenen Untertanen im Berner Oberland
zusammenzuschließen, eine Aktionsgemeinschaft im Zeichen
des alten Glaubens aufzurichten 22. Ulrich von
Schlandersberg war noch im Juli 1528 überzeugt, daß
im Fall eines Krieges der größere Teil der Berner Landschaft
es mit den V Orten, zur Rettung des alten Glaubens,
halten würde 23.
Diese Intervention Obwaldens im Oktober 1528 in
fremdem Herrschaftsgebiet rief den bisher gefährlichsten
Konflikt hervor. Absoluter Herrschaftsanspruch auf der
einen, Selbstbestimmungsrecht der Untertanen in Sachen
des Glaubens auf der anderen Seite gerieten in schärfsten
Widerspruch Wohl mochte Bern sich auf das Stanser
Verkommnis berufen, um die Widerrechtlichkeit der
Intervention zu betonen. Obwalden griff zu den eigenen
Waffen des Gegners. Nicht von ungefähr kehrte es in
seiner Verteidigungsschrift den Grundsatz hervor, der
Glaube betreffe die Bünde nicht. Es leitete nun seinen
Anspruch auf Intervention aus seinem Glauben ab,
trotz des Widerspruchs zum Bundesrecht. Es negierte
hier das historische Recht, insoweit es sich auf die Autonomie
Berns bezog, genau wie die Gegner diesen Grundsatz
immer wieder zur Rechtfertigung ihrer Politik verkündet
hatten 24. So machte Obwalden den unhaltbaren
Gegensatz in der Politik seiner Gegner recht deutlich.
Bein konnte niemals verkennen, daß es dieselbe Autonomie
und denselben Herrschaftsanspruch den Untertanen
gegenüber, den es für sich forderte, den V Orten
niemals in so rücksichtsloser Weise, wie Zürich es wollte,
verweigern durfte, ohne nicht der bedenklichsten Inkonsequenz
bezichtigt zu werden. In dieser Auseinandersetzung
um den Berner Oberländer-Konflikt liegen wohl
die Wurzeln des sehr bald ausgebildeten Herrschaftsprinzips:
cuius regio eius et religio innerhalb der eidgenössischen
Stände. In ihr liegt auch die wichtigste
Erklärung dafür, daß Bern im 1. Kappeler Frieden, entgegen
Zwingli, die Autonomie der V Orte für ihr eigenes
Territorium wenigstens vorläufig anerkannt und von
einer erzwungenen Zulassung der neugläubigen Predigt
in den inneren Orten nichts wissen wollte. Hier erkennt
man die ungewöhnliche Wirkung des historischen Rechts
und die große Bedeutung der genossenschaftlichen Struktur
des eidgenössischen Bundes für den Verlauf des
Glaubensstreites 25. Zum Wesen der auf dem genossenschaftlichen
Gedanken aufgebauten Staatengemeinschaft
gehört ein durch Jahrhunderte hindurch erprobtes Gemeinschaftsgefühl,
das auf ethischen Grundlagen beruht
und natürliche Rücksichten gebot.
Obwalden mochte vielleicht vorzeitig, vielleicht auch
etwas eigenmächtig gehandelt haben. Es machte geltend,
die Intervention sei ohne Wissen der Obrigkeit
geschehen 26. Doch es wollte ohne Zweifel eine Idee
verwirklichen, welche die katholischen Orte sehr bald
gegenüber Österreich als letzten Ausweg aus ihrer Not
bezeichneten 27. Wenn alle Mittel zur Behauptung ihrer
Glaubensfreiheit versagten, gedachten sie nichts anderes
anzustreben, als eine Revolutionierung aller Untertanen
gegen die städtischen Obrigkeiten, auf dem Wege einer
solidarischen Verbindung zwischen den freien Bauernschaften
der innern Schweiz und der untertänigen Bauernschaft
der protestantischen Städte und der gemeinen
Vogteien. Der Schlag, den Obwalden im Berner Oberland
geführt hatte, konnte jederzeit auf eidgenössischem
Boden wiederholt werden. Im November 1528 sandten
die katholischen Orte überall Botschaften: an Bremgarten,
Mellingen, Baden, Frauenfeld, in das Rheintal
und Appenzell, aber sie beratschlagten fast gleichzeitig,
ob sie sich nicht auch an die Untertanen von Bern und
Zürich wenden wollten 28. Die Konsequenzen einer solchen
Politik wären unübersehbar gewesen: stete Revolution,
da im kleinen, dort im größeren Stil auf protestantischer
Seite, wäre plötzlich mit einer systematischen
die gesamte Herrschaftsstellung der Städte bedrohenden
Gegenrevolution beantwortet worden. Die katholischen
Häupter kannten die Anschauungswelt der Bauern.
Wohl in Erinnerung an die einstige Bauernerhebung
von 1525, die doch zu mancher kritischen Lage der
Städte geführt hatte, wollten die katholischen Orte die
wirtschaftspolitischen Begierden der Bauern, die Verweigerung
von Zinsen und Zehnten, zum Ausgangspunkt
ihrer Aktion machen. Nur so verstehen wir die ganze
Tragweite der Intervention Obwaldens, begreifen wir
es auch, daß sie für die Gestaltung der Berner Religionspolitik
so entscheidend wurde. Es war eine eindrucksvolle
Mahnung zur Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber
den Plänen Zwinglis, da doch der neue Glaube noch
wenig gefestigt war.
Weshalb die Krise trotz allem andauerte und sich vertiefte
und es nicht einfach zu einer Klärung des Konfliktes
in dem Sinne kam, daß jeder eidgenössische Ort
die Glaubensfrage für sein Territorium souverän entschied,
begreift sich allein aus der Sonderlage in den
gemeinen Vogteien. Die Herrschaft war zwischen den
beiden Glaubensparteien geteilt 29. Das Glaubensproblem
war hier niemals auf Grund des Herrschaftsrechtes
lösbar, wenn nicht auf Grund eines entscheidenden
Sieges der einen oder der anderen Glaubenspartei. Deswegen
war die Krise nicht gelöst. Überdies war Zwingli
niemals bereit, den V Orten ihre Souveränität auch nur
für ihr eigenes Territorium zu lassen. So nahmen die
V Orte vorerst zur zweiten Lösung, zu einem neuen
Bündnissystem, Zuflucht. Sie vollzogen dabei in ihrer
Außenpolitik eine fast plötzliche Wendung: den Anschluß
an Österreich.
3. Der Anschluss der katholischen
Orte an Oesterreich
In allen europäischen Kämpfen um Mailand hatten
sich bisher die V Orte den Verpflichtungen des Bundes
mit Frankreich zu keiner Zeit entzogen. Immer wieder
fochten ihre Truppen in Italien gegen die Kaiserlichen.
Nachdem König Franz I. im Sommer 1527 umfassende
Rüstungen betrieben hatte und seine Truppen zu Beginn
1528 erfolgreich vorstießen, rückte das politische Interesse
Österreichs an der Eidgenossenschaft stärker hervor
1. Zunächst drängten freilich andere Fragen.
Da war besonders das Burgrecht Zürichs mit Konstanz
vom 25. Dezember 1527, das neue Gefahren enthüllte.
Österreich hatte den Anschluß von Konstanz an Zürich
schon lange befürchtet 2. Es bezeichnete ihn als Abfall
vom Reich, eine Deutung, die ihm auch fremde Diplomaten
gaben, und gegenüber den eidgenössischen Orten
machte Österreich den Widerspruch zum Basler Frieden
von 1499 und zur Erbeinung nachdrücklich geltend 3.
Es war auch höchst fraglich, ob das Burgrecht reichsrechtlich
zulässig war; zudem stand Konstanz seit 1510
mit Österreich in einem besonderen Schirmvertrag 4.
Doch das alles kümmerte Zürich wenig; denn das neue
Bündnis stand im Zeichen der erstrebten Gemeinschaft
mit jenen süddeutschen Städten, in denen Zwingli auf
den Sieg seiner Lehre hoffte 5. Bemühungen zur Aufrichtung
einer protestantischen Front unter den Städten
diesseits und jenseits der Grenzen fehlten keineswegs,
und der Abschluß des Burgrechts zwischen Konstanz
und Bern vom 31. Januar 1528 ließ an dieser Politik
keine Zweifel mehr aufkommen 6. Solchen Gefahren
wollte Österreich um jeden Preis begegnen, hieß es doch
schon in Kreisen der Bauern, Konstanz würde die umliegenden
Dörfer in seinen Schutz aufnehmen und
nötigenfalls fände die Stadt die Hilfe der Eidgenossen.
Begreiflich, daß österreichische Vögte im Januar 1528
Übergriffe der Bodenseestadt befürchteten! 7 Österreich
mußte an entschiedene Abwehr denken. Innsbruck
hoffte, durch die Intervention des Reichstages Konstanz
zurückgewinnen zu können, ja es meinte gar, eine Acht
vermöchten die drei Städte nicht zu ertragen, da sie
auf die Zufuhr an Wein, Korn und Salz aus dem Reich
angewiesen seien. Doch erwies sich der Plan einer Achterklärung
kaum als durchführbar, sprach sich doch das
Reichsregiment offen dagegen aus, weil damit nur der
Krieg heraufbeschworen würde 8. So lagen vorerst die
Dinge jenseits der Grenzen.
Gemeinsame Befürchtungen um das Burgrecht schienen
sehr bald eine erste Annäherung der katholischen
Orte an Österreich zu bewirken. Die V Orte hatten bereits
am 15. April 1527 von den Verhandlungen Zürichs
mit Konstanz Kenntnis erhalten und befürchtet, Zürich
möchte den Thurgau besetzen, Konstanz ausliefern und
so die andern Orte hinterrücks aller Herrschaftsrechte
berauben. Bern suchte die V Orte über diese Verhandlungen
wohl hinwegzutäuschen, wenn es vorgab, nicht
daran glauben zu können. Zürichs Bote aber wollte
wissen, wer Zürich verklagt habe 9. Begreiflich, daß angesichts
solcher Pläne die protestantischen Städte die
Reaktion Österreichs voll Argwohn und Besorgnis verfolgten.
Sie schrieben im Mai 1527 König Ferdinand
nicht nur die Absicht zu, mit mächtigem Heer in den
Aargau und andere Orte der Eidgenossen einfallen zu
wollen, um die Anhänger des neuen Glaubens zu unterdrücken,
sondern sie beschuldigten bald die V Orte,
Freiburg und Solothurn, mit Ferdinand zur Durchführung
solcher Pläne in einem geheimen Einverständnis
zu stehen, eine Anschuldigung, welche die katholischen
Orte mit höchster Erbitterung zurückwiesen 10.
In Tat und Wahrheit konnte von einem Zusammengehen
der katholischen Orte mit Habsburg oder dem
Schwäbischen Bund noch keineswegs die Rede sein.
Allerdings beschloß der Bundestag auf Vortrag der
königlichen Räte Chr. Fuchs und Joh. Schad im Juni
1527, an die Orte sowie das Wallis und die Berner Landschaft
ein unverbindliches Schreiben zu richten, um sie
zu ermuntern, an ihren Beschlüssen zur Wahrung des
alten Glaubens unbedingt festzuhalten 11. Auch schrieb
Karl V. Ende Juli seinem Bruder Ferdinand, der Statthalter
von Mailand, Anton de Leyva, habe alle Vollmacht,
mit den Eidgenossen zu handeln, «au moins
qu'ils demeurent neutraulx», aber Leyva durfte ohne
Vorwissen des Kaisers keinerlei Abmachungen treffen.
Ferdinand selbst blieb gegenüber solchen Absichten voll
Skepsis, meinte er doch einmal mehr, ohne Geld sei bei
den Eidgenossen gar nichts zu erreichen 12. Erst nach
Abschluß des Burgrechts suchte König Ferdinand neue
Verhandlungen. Am 26. Januar instruierte er seine
Gesandten an die eidgenössischen Orte, wegen eines
Bündnisses gegen die protestantische Sekte sondieren
zu lassen 13. Indessen hatten die katholischen Orte schon
vorher den Versuch unternommen, unter Führung Luzerns,
alle VIII Orte in einem neuen Bündnis zur unbedingten
Wahrung des alten Glaubens zusammenzuschließen,
in einem Bündnis, das eine gegenseitige, vorbehaltlose
Garantie der Orte zugunsten des katholischen
Glaubens zur Grundlage hatte und soweit möglich auf
Zugewandte und Untertanen hätte ausgeweitet werden
sollen, um die propagandistische Wirkung der Burgrechte
mit Erfolg neutralisieren zu können. Man erkennt
sogleich den neuen Gedanken. Beabsichtigt war keine
einfache Erneuerung des einstigen Zusammenschlusses
nur der V Orte zu Beckenried von 1524, sondern jetzt
handelte es sich um die Erweiterung des Bundeskreises,
dann aber ganz besonders um die Sicherung der eigenen
Stellungen in den gemeinen Vogteien. Die Beratungen
setzten schon am 14. Januar ein, tags zuvor setzten die
VII Orte das Wallis vom geplanten Bündnis in Kenntnis.
Sie luden es zum Beitritt ein und schlugen auch die
Erneuerung des alten Burg- und Landrechtes vor 14.
Doch die Verhandlungen enthüllten bald unerwartete
Schwierigkeiten. Solothurn lehnte ein neues Bündnis
rundweg ab, ohne Zweifel aus Rücksicht auf Bern, und
trat für eine gütliche Beilegung des Burgrechthandels
ein. Uri und Schwyz enttäuschten Luzern aufs schwerste
durch ihre betonte Zurückhaltung und Scheu. Beide
Orte befürchteten neue Verwicklungen mit Zürich und
Bern. Deswegen war eine Einigung aller Orte kaum zu
erhoffen und es blieb schließlich am 6. Februar beim
Beschluß, den alten Glauben wahren zu wollen, ohne
daß hiefür ein neues, alle Orte strikte verpflichtendes
Bündnis geschlossen worden wäre 15 Am 5. Februar
erschienen auch die Gesandten Österreichs auf der Tagsatzung
zu Luzern mit dem Anerbieten gemeinschaftlichen
Vorgehens gegen die protestantischen Kreise.
Wie Dr. Jakob Stürzl, auf Grund einer Kundschaft aus
Luzern, am 14. Februar nach Innsbruck berichtete, hatte
der Landvogt von Schwaben, Hans von Fridingen, gegen
das Burgrecht Verwahrung eingelegt. Die Mehrheit der
Orte mißbilligte das Burgrecht, sechs Orte forderten
den Rücktritt der beiden Städte vom Burgrecht, Solothurn
war abwesend; niemand war jedoch bereit, deswegen
Krieg zu führen 16. Über den österreichischen
Bündnisvorschlag schweigt sich Dr. Stürzl aus. Immerhin
gab Luzern seine Bündnispläne nicht sogleich preis.
Es mochte sie nicht ohne geheime Rücksprachen mit
österreichischen Kreisen aufgenommen haben. Noch
am 27. Februar bat Innsbruck Bischof Hugo von Konstanz,
die Stimmung wegen eines gemeinsamen Bündnisses
bei den katholischen Orten zu erkunden 17. Tatsächlich
war der Stadtschreiber von Luzern, Hans Huber
in diesen Tagen beim Bischof von Konstanz in Meersburg
18. Dem ganzen Kreis um den Bischof von Konstanz
war ja ein Bündnis der katholischen Orte mit
Österreich durchaus erwünscht. Indessen blieben diese
Verhandlungen ohne jedes Ergebnis.
Die Interessen Österreichs und der V Orte widerstritten
sich zu Beginn 1528 in der Mailänder Frage zu
sehr. Noch im Januar galt ihnen eine Besetzung Mailands
durch den Kaiser als ihr Tod; denn einmal im
Besitz Mailands konnte der Kaiser die Eidgenossen und
Bündner vom Süden her bedrohen oder doch seine Stellung
zu gefährlichen Interventionen benützen. Deswegen
wollten die V Orte helfen, die traditionelle Herrschaft
der Sforza in Mailand zu erhalten, deswegen
standen sie auf Frankreichs Seite 19. Doch Österreich
wußte, was hier auf dem Spiele stand.
Habsburg suchte zuerst im Südosten der Eidgenossenschaft
Frankreich entgegenzuarbeiten. Eine nicht geringe
Gruppe von einflußreichen Persönlichkeiten Graubündens
wandte sich von Frankreich ab 20. Schon vor
1527 war Dietegen v. Salis, vielleicht der hervorragendste
Militär Graubündens in jener Zeit, in österreichische
Dienste getreten. Vor allem seinen Bemühungen war
es zu verdanken, daß es der kaiserlichen Partei gelang,
den im Stile eines bedenkenlosen, ränkevollen Condottiere
politisierenden und kriegerischen Bruder des späteren
Papstes Pius IV., Gian Giacomo de' Medici, auf
ihre Seite zu ziehen. Nachdem Medici 1525 die fast
uneinnehmbare Feste Musso am Comersee gewonnen
hatte, erstrebte er in unablässigem Kampf, im Dienste
bald dieser, bald jener Macht, die Errichtung einer unabhängigen
Herrschaft am Comersee. Er übte eine fast
unbeschränkte Kontrolle aus über alle Straßenzüge am
Comersee und über die Ausgänge der Straßen vom
Veltlin her. Er war in der Lage, unbezahlbare Dienste
in der Nachrichtenvermittlung zwischen Oberitalien
und Innsbruck zu leisten, er allein konnte durch umfangreiche
Lebensmittellieferungen die große Not der
kaiserlichen Truppen und Plätze in Oberitalien mildern.
Deswegen suchte der kaiserliche Statthalter von Mailand,
Anton de Leyva, Medici Frankreich abspenstig zu
machen, und er gewann ihn durch den verheißungsvollen
Vertrag vom 31. März 1528. Die Ratifikation
dieses Vertrags durch König Ferdinand sollte noch im
Herbst desselben Jahres erfolgen 21. So war die Stellung
der französischen Partei in Graubünden und auch in der
Eidgenossenschaft entscheidend geschwächt. Österreich
gewann größere Aussicht, allmählich auch die Öffnung
der so wichtigen Bündner Pässe zu erlangen, die es seit
Jahren vergeblich erstrebt hatte.
So rasch gedieh der politische Wandel in der Innerschweiz
nicht. Während der Krieg in Italien einen für
den Kaiser kritischen Verlauf nahm, der kaiserliche
Feldherr Georg Frundsberg schwer krank in Ferrara
lag, die Landsknechte zu meutern begannen, war die
Feindschaft unter den eidgenössischen Orten zu solcher
Schärfe gediehen, daß der Ausbruch des Krieges in
Schwyz im Februar 1528 nur mit Mühe verhindert werden
konnte 22. Bald erzwang die innere Lage ein Verbot
aller Auszüge. Wer sollte bei so gefahrvoller Lage seine
Knechte zuerst ausziehen lassen und das Land von den
Truppen entblößen? Die protestantischen Städte verboten
ohnehin jeden Kriegsdienst 23. So ließ Schwyz
am Sonntag, den 28. Juni, von allen Kanzeln das Verbot
jeglichen Auszugs verkünden, gleich ihm auch die
anderen katholischen Orte. Schon entwickelten sich
nämlich neue Konflikte. Die VII Orte machten Miene,
Toggenburg mit Krieg zu überziehen, doch Zürich versprach
ihm alle Hilfe. Die VII katholischen Orte bezeichneten
den Abfall Toggenburgs vom Glauben als
Bundesbruch 24. In Glarus war die Stellung der Katholiken
äußerst gefährdet. Neue Versuche zur Vermittlung
mußten unternommen werden 25. Das Auszugsverbot
der Obrigkeiten wurde freilich von alten Haudegen
kaum befolgt und gegen den Willen der Regierung
schoß noch manche wilde Flut von freien Söldnern über
die Grenzen 26 Aber unverkennbar erlitt die Politik
Frankreichs bei solcher Lage empfindliche Rückschläge.
Sein Begehren um Zuzug, wie es hieß von 12000 Knechten,
wurde im August nicht einmal in den Abschied genommen.
In Uri wurden kaum 1000 Mann gemustert 27.
Das Geld Frankreichs begann zu versiegen 28, Dieses
Frankreich hatte seit Jahren den Kampf gegen den
Kaiser in Italien in den Mittelpunkt seiner Politik gerückt.
Selbst noch wenig berührt von der Gefahr des
Protestantismus sah es über die Tragweite der religiösen
Kämpfe in der Eidgenossenschaft hinweg. In eigenem
Interesse erstrebte es stete Vermittlung zwischen
den Gegnern. Die V Orte aber mußten den Gefahren
eines vernichtenden Krieges begegnen. Sie mußten die
immer drohendere Einkreisung durch die protestantischen
Städte durchbrechen und deswegen einen ebenso
festen Ring von Bundesgenossen um die protestantischen
Städte schlagen. Nur so konnten sie das innere Gleichgewicht
der Kräfte wiederherstellen, nur so vielleicht
einen verängstigten Gegner zwingen, den Weg der Verhandlungen
weiterzugehen. So gewann Österreich allmählich
Aussicht, die katholischen Orte auf seine Seite
zu ziehen.
Trotzdem wäre es Habsburg vielleicht niemals gelungen,
diesen ungewöhnlichen Wandel zu erreichen,
hätte nicht das religiöse Anliegen bald alles beherrscht.
Anders als der so ungeheuer beanspruchte Kaiser, anders
als selbst dessen Bruder König Ferdinand waren die
österreichischen Räte in den Vordem Landen von
schwersten Sorgen ob der eidgenössischen Gefahr erfüllt:
daß die kirchliche Neuerung immer gefährlichere
Kreise zog und mehr und mehr auf die Nachbarlande
übergriff. Beim Innsbrucker Hof liefen jetzt die Fäden
eines ausgedehnteren Nachrichtendienstes aus der Eidgenossenschaft
zusammen, längs der Rheinlinie vom
Osten und vom Nordwesten her. Da waren im Osten
der Vorarlberger Landeshauptmann Mark Sittich von
Hohenems in Bregenz; Ulrich von Schlandersberg, Vogt
in Neuburg bei Götzis; Balthasar von Ramschwag,
Vogt in Gutenberg, in nächster Nähe von Sargans, der
nicht allein in Graubünden viele Beziehungen besaß,
sondern auch nicht selten sich mit dem Vogt von Sargans
beriet. Im Norden vermittelte besonders Dr. Jakob
Stürzl zahlreiche Kundschaften, die ab und zu über den
Landvogt von Baden liefen. Ihm zur Seite standen
noch manche andere Persönlichkeiten, an Gewicht alle
überragend Graf Rudolf von Sulz, Landgraf des Klettgau,
Herr zu Vaduz 29. Sie alle empfanden aus dem Erlebnis
der Grenze heraus die Vorgänge in der Eidgenossenschaft
ungemein lebendig. Immer wieder stellte
sich ihnen die Frage nach dem Schicksal ihrer eigenen
Lande. Dieser ganze Kreis der österreichischen Vögte
und Räte war stets in schweren Bedenken befangen, ob
nicht Unruhe und Empörung die Massen ihrer Untertanen
erfassen und sie zu neuer Auflehnung treiben
könnten, falls der protestantischen Glaubensbewegung
nicht Einhalt geboten würde, ähnlich wie die protestantischen
Städte seit 1.527 mehr als einmal eine bewaffnete
Intervention Österreichs befürchteten, selbst bei gerinsten
Truppenbewegungen in der Nähe der Grenzen.
Es ist kein Zufall, daß besonders der Vorarlberger
29
Landeshauptmann eine hervorstechende Rolle spielte 30.
Er hatte im Rheintal aus nächster Nähe erlebt, was die
kirchliche Umwälzung auch politisch bedeutete, er hatte
sich einst bei Pavia mit glänzendem Ruhme bedeckt
und dann die aufständischen Bauern mit erbarmungsloser
Konsequenz niedergeworfen. Er gehörte zu den
hervorragendsten kaiserlichen Feldherren in Italien.
Seine Persönlichkeit, gefürchtet und geliebt, war die
große Hoffnung vieler Kreise, die noch auf den Sieg des
Katholizismus warteten, auch dort, wo die Glaubenstreue
mit mächtiger Hand niedergehalten wurde. Im
Juni 1528 stand Mark Sittich in Oberitalien vor Lodi.
Seine Truppen wurden durch Hunger und Krankheit
arg mitgenommen 31. Zürich wollte schon damals von
Verhandlungen der V Orte mit Österreich, ja auch mit
Savoyen wissen 32. Ob über ein Bündnis? Wir wissen
es nicht. Es gab ohnehin manche andere Fragen, die
gemeinsam erörtert werden mußten: so noch immer das
Konstanzer Burgrecht, auch etwa die Arreste protestantischer
Städte auf Güter und Einkünfte geistlicher Stifte
im Reich 33. Und manches Treffen katholischer Häupter
wurde wohl heimlich vereinbart. Die Verhandlungen
über ein Bündnis wurden jedenfalls erst nach der Rückkehr
Mark Sittichs eifriger betrieben.
Ohne den Willen des Kaisers und des Königs konnte
indessen nichts Entscheidendes geschehen. Die Pläne
der katholischen Orte zu einem neuen, erweiterten
Bündnis hatten sich im Februar als undurchführbar erwiesen.
Fast gleichzeitig hatte sich Karl V. vergeblich
bemüht, die Eidgenossen für sich zu gewinnen oder doch
zur Neutralität zu bewegen, obgleich er die höchsten
Angebote zu unterbreiten gewillt war und die Eidgenossen
mit allen Mitteln den Franzosen hatte abspenstig
machen wollen 34. So verzichtete auch König Ferdinand
darauf, seine Gesandten an der Tagsatzung zu Luzern
vom 24. f. März den Bündnisvorschlag vorbringen zu
lassen 35. Am 29. Mai ließ er seinen Bruder, nicht ohne
Resignation, wissen, daß seine Gesandten in der Eidgenossenschaft
nichts erreicht hätten und gar keine Aussicht
auf irgendwelchen Erfolg bestünde, sofern man
das Geld nicht in der Hand hätte 36. Begreiflich war
34
es, daß diese Bestrebungen scheiterten. Noch immer
war das Interesse des Kaisers zu sehr an das Politische
gebunden. Deswegen gab die kritische Lage der Kaiserlichen
in Italien dem Bündnisgedanken auf Seiten Karls V.
neuen Auftrieb. Selbst nur Neutralität der Eidgenossen
hätte für den Kaiser einen großen Gewinn bedeutet.
Das zeigte sich wieder im Sommer 1528, als der Verlauf
der militärischen Ereignisse die kaiserlichen Truppen
in größte Bedrängnis brachte 37. Wieder setzten im
August 1528 die Agenten Frankreichs alles ein, um die
eidgenössischen Orte zu einem militärischen Auszug zu
bestimmen 38. Da durfte auch König Ferdinand nicht
untätig bleiben. Er selbst regte im August bei seinem
Bruder an, die Schweizer durch Geld für sich zu gewinnen
und Frankreich entschieden entgegenzuarbeiten 39.
Doch der Verlauf des Krieges in Italien brachte glückliche
Entlastung. Wie sehr hatte man sich gesorgt! Der
bayerische Kanzler Leonard Eck war überzeugt, ohne
den glänzenden Sieg der Kaiserlichen bei Neapel
(29. August) wären die protestantischen Städte zum
Angriff gegen Österreich übergegangen, oder sie hätten
wenigstens einen Aufstand des gemeinen Mannes entfesselt
40.
Inzwischen hatte sich aber auch der Hohenemser eingeschaltet.
Die katholischen Orte beschlossen im September
1528, auf seine Initiative hin, die Verhandlungen
über ein Bündnis in aller Stille aufzunehmen 41. Während
Mark Sittich und Graf Rudolf von Sulz auf diese Weise
ihren Einfluß bei den V Orten geltend gemacht hatten
und den Bündnisplan eifrig weiter verfolgten, instruierte
der Kaiser seinen Gesandten Wilhelm von Montfort am
8. Oktober. Der Kaiser wurde beim König erneut vorstellig,
daß er ja keine Bemühungen unterlasse, um die
Eidgenossen von jeglichem Auszug nach Italien abzuhalten.
Was er mindestens erhoffte, war die Neutralität
der eidgenössischen Orte. Wieder meinte er freilich,
ohne Geld sei bei den Schweizern kein Erfolg zu erwarten
42.
Wer weiß, ob die Einigung auf politischem Boden
möglich geworden wäre? Keine der vielen Erwartungen
war bisher in Erfüllung gegangen. Aber nun drängten
die Ereignisse in der Eidgenossenschaft bald weiter.
Der Aufstand im Berner Oberland vom Oktober 1528
erheischte rascheres Handeln 34. Noch hatte der kaiserliche
Gesandte seinen Auftrag nicht ausgeführt, als bereits
am 14. Oktober der Bischof von Konstanz, Graf
Rudolf von Sulz und der Vorarlberger Landeshauptmann
den V Orten militärische Hilfe mit Knechten,
Reitern und Geschütz in Aussicht gestellt hatten. Am
30. Oktober dankten die V Orte für dieses Versprechen,
nachdem sie noch am 21. Oktober auf einem Tag in
Brunnen sich über die Antwort nicht einig gewesen
waren 44. Doch jetzt war ihre Not aufs höchste gestiegen.
Das Schreiben an Mark Sittich von Hohenems
läßt sie grell aufleuchten 45. Sie wußten zu keiner Stunde,
wann sie aufbrechen müßten. Zwingli wollte die jähe
Intervention Obwaldens am liebsten als Vorwand zu
einem raschen und sicheren Krieg benützen, um den
Widerstand der V Orte gegen seine Lehre für immer
niederzuringen 46. Schon standen Zürich und Konstanz
in emsiger Rüstung. Zürich hob, wie eine Kundschaft
vom 2. November verlauten ließ, 5000 Mann aus, die
von St. Gallen 200. Die Schwyzer brachen mit dem
Hauptbanner auf 47. Die protestantischen Städte standen
in höchster Erregung. Bern versah sich bereits am
31. Oktober eines Überfalls Luzerns auf den Aargau,
falls es selbst ausrücke. Tags darauf schrieb Bern ins
Feld, wie hitzig und wütend die Leute der Stadt Luzern
wären, wie zurückhaltend jedoch die Leute der Landschaft,
besonders die Nachbaren Berns. Von allen Seiten
wurde Bern gewarnt, «wie all ort der Eydgnoschaft zur
paner ußzogen und also gerüst sitzen, deßglichen die
keyserischen ouch in großer kriegsrüstung stünd, und
aber niemands wüssen mag, wellichs furnemmens sy
syend, oder wider wen sy sich rüsten» 48. Die V Orte
waren entschlossen, jede Hilfe an Bern zu unterbinden.
Sie waren gewillt, mit Gottes und der Heiligen Hilfe
tapferen Widerstand zu leisten. Sie unterstrichen ihre
Bitte an Mark Sittich von Ems mit Nachdruck und
gaben den österreichischen Räten zu bedenken, daß
Zürich, sobald einmal der Sturm entfesselt wäre, auf
die Hilfe der Bauern im Klettgau und Schwarzwald
rechne. «Seht zu, welches auch euer Schicksal sein
wird, wenn jemals unsere Gegner, die auch euere Feinde
sind, den Sieg erlangen!» Beschwörend schlossen sie
den Brief mit dem ergreifenden Wunsch: «Hiemit sig
Got der herr und sin würdige muter, auch all lieb
beugen mit üch und uns und mit allen guten allten
cristen.»
Die V Orte steckten in einer wahrhaft dilemmatischen
Lage: Entweder galt es den Krieg oder dann den Bruch
des ganzen Bundessystems durch Aufwieglung der Untertanen.
Beide Lösungen der Krise eröffneten eine äußerst
gefährliche Perspektive für die Zukunft. Aus solchem
Zwiespalt konnte nur Österreich helfen, niemals Frankreich.
Jetzt hieß es handeln. Die V Orte blieben wahrlich
nicht untätig. Noch einmal wandten sie sich an
Zürich zu wissen, ob das Mehr zugunsten des alten
Glaubens bei ihm Anerkennung fände und ob es bereit
wäre, das Recht anzuerkennen 49. Überallhin schickten
sie in diesen Tagen ihre Botschaften. Überall wollten
sie Klarheit, ob die Untertanen gewillt wären, im Falle
des Krieges an ihnen die Bünde zu halten, mit dem
drohenden Nachsatz, daß sie sonst Ursache hätten,
fremde Hilfe zu suchen 50. Fremde Hilfe hieß Österreich.
Die österreichischen Räte standen an Eifer nicht
zurück. Rasch folgten sich ihre Berichte in Innsbruck
in den Tagen vom 2. zum 6. November. Mark Sittich
meinte am 2. November, der König habe nicht geringes
Interesse zu helfen, nicht allein wegen Österreich, sondern
auch wegen Mailand und anderen Orten 51. Graf
Rudolf von Sulz hielt mit der Schilderung der Gefahren
nicht zurück: Unterliegen die V Orte, dann ist zu ersorgen,
daß das ganze Reich in Aufruhr gerät. Der
Landvogt von Baden schrieb nach Kaiserstuhl, so berichtete
der Graf, die von der Tagsatzung ständen in
Harnisch und Wehr und die Tore der Stadt seien geschlossen.
Den Eifer und die Sorgen der V Orte suchte
der Graf freilich zu dämpfen. Er wüßte nichts von
einem Einverständnis der Bauern im Klettgau und im
Schwarzwald. Er versprach ihnen alles zu tun, um die
Bauern im Schwarzwald in Ruhe zu halten 52. Vogt
Balthasar von Ramschwag war auf Geheiß des Grafen
zum Landvogt von Sargans geritten, zur Erkundung
der Lage. Er beurteilte diese am 3. November ganz
ähnlich. Der Vogt war von den V Orten gebeten worden,
dem König zu schreiben, was dieser gemäß der Erbeinung
zu tun gedenke. Groß war die Gefahr, daß Zürich
und Bern bei Konstanz und Lindau und anderen Städten
um Hilfe bäten und diese die begehrte Hilfe gewährten.
Die V Orte erwarteten nicht, daß der König ihnen Truppen
ins Land schicke. Wohl aber sollte er als Statthalter
des Reichs die Städte im Reich zurückhalten und,
wie es die Erbeinung erheische, zur Neutralität verpflichten.
Dann wollten die katholischen Orte guter
Hoffnung bleiben, den Gegnern genügend gewachsen
zu sein. Gedanken des späteren Bündnissystems werden
geltend gemacht: Wallis und Freiburg halten die Berner
in Schach, die V Orte dagegen Zürich; denn vielsagend
meinten die V Orte: «so es dermaßen anganng, das vil
aus Zuricher und Perner piet, so sich bisheer nit regen
dürfen, von solicher verfuerischen sect ab unnd inen
zuefallen werden.» Der König solle Zürich und Bern
als Glieder des Reichs abmahnen und dafür besorgt
sein, daß ihnen aus dem Reich keine Hilfe werde. Ein
eilender Bote der V Orte ging an den Landvogt von
Sargans, damit dieser die Untertanen auffordere, beim
alten Glauben zu bleiben 53.
Österreich wollte jedoch von einer bewaffneten Intervention
nichts wissen. Sein gemeinsames Interesse mit
den katholischen Orten bestand darin, zu verhindern,
daß die protestantischen Reichsstädte sich in die eidgenössische
Krise einmischten. König Ferdinand selbst
war auch später stets von der Überlegung geleitet, die
eidgenössische Feindschaft könnte im Falle eines offenen
Krieges einen Reichskrieg auslösen, wenn nicht beide
Fronten diesseits und jenseits des Rheines klar geschieden
würden. Weder der Kaiser noch der König
konnten einen Reichskrieg wünschen, dessen Ausgang
unsicher erschien. Noch war im Reich der Entscheid
in der Religionsfrage nicht gefallen, noch waren die
Pläne des Kaisers nicht erfüllt: Beendigung des Krieges
in Italien, seine Krönung, Rückkehr nach Deutschland
und Eröffnung des Reichstags in Speier 54. Während
der Kaiser fern der deutschen Erde weilte, konnte es
niemals Aufgabe König Ferdinands sein, seinem Bruder
in die Arme zu fallen und seine Lage in Deutschland
mit dem unmeßbaren Wagnis einer bewaffneten Intervention
in der Eidgenossenschaft zu erschweren oder
gar den Erfolg des Reichstags in Frage zu stellen. Einzig
wenn Konstanz, Lindau und andere Städte Hilfe leisteten,
wenn die protestantischen Städte die Offensive ergriffen,
war die Ausgangslage völlig verändert, dann
wurde das Interesse des Reichs verletzt.
Es liegt auf der Hand: das Burgrecht der eidgenössischen
Städte mit Konstanz spielt in allem die maßgebliche
Rolle 55. Es bedingte überhaupt zum ersten Mal
eine Verkettung der schweizerischen Religionspolitik
mit der Reichspolitik und stand im Mittelpunkt aller
Erwägungen über ein Zusammengehen Österreichs
mit den katholischen Orten. Jetzt ging es nicht mehr,
wie einst zur Zeit der führenden Stellung der V Orte,
bloß um Zusammenarbeit auf kirchlichem Gebiet, etwa
54
zur Durchführung der Reform im Bewußtsein der universalen
katholischen Kirche, es ging auch nicht mehr
nur um Zusammenarbeit zur Lösung theologischer Probleme
mit Hilfe führender Theologen des Reichs, wie
etwa an der Disputation zu Baden. Jetzt handelte es
sich um wirkliche Politik, auf dem Hintergrund eines
drohenden Krieges, um einen entscheidenden Wandel der
außenpolitischen Beziehungen. Von einer praktischen
Anwendung des Burgrechts hing im Fall eines eidgenössischen
Bruderkrieges alles ab, vor allem ob Österreich
eingriff. Deswegen lehnte Mark Sittich von Ems jetzt
die Waffenhilfe ab. Er ließ seinen Entscheid in Innsbruck
schon am 4. November wissen 56. Er fällte ihn
ganz im Bewußtsein seiner Abhängigkeit vom Willen
des Königs. Der Landeshauptmann wäre wohl im Notfall
zu allem bereit gewesen; denn er wußte zu gut, was
alles an einem günstigen Ausgang der eidgenössischen
Krise gelegen war. Nicht umsonst mahnte er alle Vögte
jenseits des Arlbergs, bei Wehr und Harnisch gerüstet
zu sein und die Schlösser in guter Hut zu haben. Der
Militär wußte nicht nur, daß es galt rechtzeitig bereit
zu sein, sondern er kannte auch aus langer Erfahrung
die psychologischen Wirkungen solcher Maßnahmen auf
argwöhnische Gegner.
Nach dem Willen Zürichs hätte der Krieg keinen Aufschub
mehr ertragen. Doch Bern mahnte Zürich nicht
zu eilen. Es hoffte stark genug zu sein, um der Gegner
Herr zu werden, und fürchtete jetzt schon, im Fall eines
überstürzten Krieges infolge der Intervention Zürichs
könnten sofort Truppen aus dem Elsaß und Schwaben
ins Land rücken, weshalb nach der Annahme des Landvogts
von Baden die Zürcher mit dem Auszug nicht
eilen würden. Nicht ohne Spott meinte der Landvogt
auch, es genüge, um die Zürcher in Schrecken zu versetzen
und sie auf den Verhandlungsweg zurückzubringen,
wenn sich eine nur kleine Zahl von Pferden
im Hegau zeige 57. Uber den tatsächlichen Verlauf der
Verhandlungen waren die protestantischen Städte kaum
völlig unterrichtet, obgleich Bern in einem Schreiben an
Basel am 7. November frohlockte: «Nein, lieben fründ,
die fulen ansläg sind endeckt und liggen jetz am tag,
Gott hab lob.» Man blieb trotzdem in einer lähmenden
Ungewißheit stecken 58.
Der Landvogt von Baden ließ Graf Rudolf v. Sulz
nicht im Unklaren. Die katholischen Orte würden, falls
sie einmal Bern und Zürich nicht gewachsen wären, den
Thurgau und ihren Glauben nicht mehr behaupten
könnten, nicht nur die Thurgauer, sondern alle Untertanen
der protestantischen Städte zum Ungehorsam aufwiegeln.
Dann würden diese ihren Obrigkeiten weder
Zehnten, Renten noch Gülten entrichten. Wieder wird
mit dem Gedanken einer Gegenrevolution gespielt.
Österreich mußte dies wissen, auch die Umtriebe der
Bauern im Hegau, Klettgau und Schwarzwald zur Hilfeleistung
an Zürich und zur Entfesselung eines neuen
Aufruhrs. Schon liefen nämlich Verhandlungen der
Thurgauer mit Stein am Rhein über Gewährung freien,
gegenseitigen Durchzugs an die Bauern jenseits der
Grenze und an die Thurgauer selbst. Ein neuer, in Zusammenarbeit
der Grenznachbarn entfesselter Bauernaufstand
schien zu drohen. Der Adel sah sich vor und
er wollte am 11. November in Überlingen über die gemeinsame
Abwehr beraten. Eine Einladung zu diesen
Beratungen schlug der Graf ab 59. Er bewahrte in allem
ausgesprochene Zurückhaltung.
So kam es vorerst weder zu einer Intervention Österreichs
noch zu irgendeinem Ergebnis in der Bündnisfrage;
Österreich bedeutete eben zugleich das Reich,
und das Reich vertrug jetzt nur Frieden. Dieser Einsicht
mußten auch Mark Sittich von Hohenems und
Rudolf von Sulz folgen, obgleich dem Grafen in letzter
Stunde die Nachricht zugekommen war, daß die Eidgenossen
«noch wider aneinander ligen und al stund
ainer schlacht warten» 60. Die Regierung von Innsbruck
aber zog aus allen ihren Überlegungen, in einem
dem König am 9. November erstatteten Gutachten, die
Folgerung, es sei größte Zurückhaltung am Platz. Gewährte
sie den V Orten Hilfe, dann war zu befürchten,
daß bei einer raschen Einigung der eidgenössischen Orte
der Krieg auf die österreichischen Erblande übergreifen
und Frankreich und die protestantischen Städte sich
gegen Kaiser und König wenden würden. In allem dringt
der Gedanke durch, bei so gefahrvoller Lage treu an
der Erbeinung festzuhalten, zumal gegenüber den protestantischen
Städten als Nachbarn der österreichischen
Lande 61. So gab sie auch gleichzeitig Mark Sittich
deutlich zu verstehen, daß er als Diener des Königs
diesem verpflichtet sei und kein Recht habe, ohne dessen
Vorwissen und Willen den V Orten Geschütz oder irgend
welche Hilfe zukommen zu lassen. Niemand solle bei
hoher Strafe den Eidgenossen zuziehen, weder der einen
noch der andern Partei, aber jeder der Vögte gerüstet
und auf der Hut sein, damit man sich zur Rettung der
eigenen Lande bereit finde 62. Graf Rudolf von Sulz
aber wurde befohlen, etliche Bauern im Schwarzwald
und Klettgau zur Ruhe zu weisen 63. Im ganzen Umkreis
der Grenzen wurden die Vögte angehalten, gemäß
solchem Befehl für Ruhe zu sorgen und sich jeder Einmischung
strikte zu enthalten 64. Doch bedeutete diese
Verfügung keineswegs einen endgültigen Abbruch der
Verhandlungen.
Der Kaiser selbst ließ die Eidgenossen nicht aus dem
Auge. Für ihn stand in Italien zuviel auf dem Spiel.
Vor allem im Hinblick auf die Kämpfe um Mailand
konnte ihm die Haltung der eidgenössischen Orte durchaus
nicht gleichgültig sein. Aber ihn plagte wie immer
die Geldsorge. Noch in einer Instruktion für seinen Gesandten
von Montfort vom 28. November betonte er
das, und er meinte, das Geld sollte diesseits der Alpen
aufgebracht werden, um die Schweizer zu Hause festhalten
zu können 65. Und da König Ferdinand erwog,
es könnte Frankreich, das damals erneut die Vermittlung
unter den Eidgenossen anstrebte und Zahlung aller
Pensionen versprach, schließlich doch gelingen, die katholischen
Orte für sich zu gewinnen, wollte er das Gespräch
mit den V Orten keineswegs abbrechen 66 Bereits am
9. November stellte ihm der Kaiser für die Gesandten
an die eidgenössischen Stände die Beglaubigungsschreiben
aus und er ließ dem König freie Hand, falls dieser eine
Tagsatzung der katholischen Orte einberufen und ihnen,
gleichsam als symbolische Geste, eine kleine Geldsumme
zukommen lassen wollte, unter der Bedingung freilich,
daß er beim Kaiser keine finanzielle Unterstützung
fordere. Auch später hatte der Kaiser vor allem ein
Ziel im Auge, die Eidgenossen von einem Auszug zugunsten
Frankreichs abzuhalten 67. Es ist deutlich sichtbar:
hier, bei den Häuptern des Reichs drängt immer
noch die Sorge um die Politik Frankreichs in Italien und
die Stellung der katholischen Orte innerhalb der europäischen
Politik, dort, bei den österreichischen Räten
haften vor allem die schweren Bedenken ob der Gefährdung
der politischen und kirchlichen Ordnung in eigenen
Landen. Und obgleich König Ferdinand sich der Einsicht
in die Tragweite gerade dieser Gefahren keineswegs
verschloß, gebot doch die reale Lage seinem Handeln
fest umrissene Grenzen. Deswegen riet er noch
einmal am 14. November, in seiner Antwort auf das
Gutachten der Räte, von einer Unterstützung der
V Orte ab, solange diese ihn nicht wieder um Hilfe angehen
würden 68.
Noch war also das Verhältnis zwischen den beiden
Partnern keineswegs bereinigt. So sehr einerseits Gemeinschaft
in den religiös-kirchlichen Auffassungen
67
herrschte, so sehr klaffte noch ein Zwiespalt im Verhältnis
zu Frankreich. Und da dieser Gegensatz nicht
völlig beseitigt erschien, waren auch die letzten Schranken
des Mißtrauens nicht gefallen. Deswegen begannen
die katholischen Orte ihr Bündnissystem im Innern des
Landes aufzubauen. Das Bündnis mit Wallis stand
schon das ganze Jahr 1528 hindurch in Frage. Es war
die logische Folge des Übertritts Berns zur neuen Lehre;
denn dadurch entstand für das katholische Wallis eine
Quelle neuer Gefahren 69. Die V Orte aber hofften,
durch ein Bündnis mit Wallis die schwache Südflanke
Berns wirkungsvoll bedrohen zu können, zumal die Lage
im Berner Oberland noch durchaus unsicher erschien.
Die mächtige Republik sollte im Notfall zu einem verzehrenden
Zweifrontenkrieg gezwungen werden. Vorerst
schloß das Wallis am 1. Mai das Bündnis mit
Savoyen. Es war ein Neutralitäts- und Freundschaftsvertrag,
dessen Tragweite aber sichtbar wird im Hinblick
auf die Bündnisbestrebungen der katholischen Orte
im Westen des Landes 70. Nicht so rasch gelang die
Erneuerung des Burg- und Landrechts mit Uri, Unterwalden
und Luzern. Begreiflich; denn jetzt handelte
es sich um eine wichtige Ausweitung des Bundes auf
Freiburg, Zug und Schwyz, mit Einschluß auch der
Zenden Leuk und Raron 71. Der Entwurf lag bereits
am 25. November vor, die endgültige Ratifikation erfolgte
am 12. März 1529, durch die V Orte und Freiburg
72. Das Neue, durchaus Bestimmende dieses Bündnisses
gegenüber dem alten Land- und Burgrecht war
der gegenseitige Schutz des katholischen Glaubens. Im
Dezember 1528 trat der Herzog von Savoyen an die
V Orte mit Bündniswerbungen heran. Noch mißtraute
ihm wenigstens Freiburg: er sei geschwind und listig.
Nur um des Glaubens willen war es bereit, mit ihm in
ein Bündnis zu treten 73.
Doch entscheidender als der Westen war der Osten
des Landes. Bevor das Jahr 1528 zu Ende ging, begann
in der Eidgenossenschaft bereits ein fast unvorstellbarer
Nervenkrieg, der in der Stimmung des Volkes tiefe
Spuren hinterließ. Schon der Kaiser gab Anlaß dazu,
als er seinem Bruder im November den Rat gab, wenn
er selbst kein Heer für einen Angriff gegen Frankreich
aufzustellen vermöchte, zur Einschüchterung der Anhänger
Frankreichs an den Grenzen der Schweiz und
Venedigs das Gerücht über große Werbungen auszustreuen
74. So begannen sehr bald Reden von einem
bevorstehenden Überfall österreichischer Truppen zu
laufen, man wußte auch einiges von den Verhandlungen
der katholischen Orte mit Österreich. Bern warnte Zürich
am 25. November vor einem Einfall Österreichs in den
Thurgau zur Belagerung von Konstanz und es glaubte
zu wissen, «wie die Eidtgnossen den keyser oder die
Österryschen understandind in die Eidtgnoschaft ze
laden mit einem reyssigen zug» 75. Ein Berner brachte
heim, wie zu Luzern gegen Bern geredet wurde: «sy
syend ketzer; zü ußtagen wirt es gut; der bär werds
sich musen, und kü uff den bären stigen». Und ein
anderer sprach: «Ich welt, das die keyserschen har in
kemind ins land und ein stat von Bern schleiffte, und
es mich all min gutt kostetty.» Ende des Jahres
brachten Berner seltsame Reden von Luzern nach
Bern: 500 Mann seien bereit, das Haslital zu überfallen,
viel Hilfe von Freunden sei zu erwarten; von
Mark Sittich von Ems und vom Kastellan zu Musso
seien Uri und Unterwalden 1000 Büchsenschützen in
eigenen Kosten zugesagt 76. Solche Hoffnungen belebten
das Selbstvertrauen des einfachen Volkes, Angst und
Argwohn der Gegner fanden kaum mehr sichere Grenzen.
Gerüchte von einem drohenden Überfall Österreichs
drangen auch in die Ostschweiz. St. Gallen fand es
ratsam Zürich zu warnen 77.
Kein Zweifel, die Zeichen deuteten auf einen Bruch
der V Orte mit Frankreich und, entgegen aller Tradition,
auf ein Bündnis mit Österreich. Die Folge war
tiefste Bestürzung in den protestantischen Orten. Sie
glaubten plötzlich einer geschlossenen katholischen Front
gegenüberzustehen, die vom Bodensee bis nach Graubünden
reichte, wenn möglich in Süddeutschland alle
katholischen Häupter zusammenschloß und selbst im
Westen Savoyen umfaßte. So kam es Ende des Jahres
1528 in Graubünden zu einem gewaltigen Sturm, inmitten
der heftigsten Kämpfe um die Rettung des Bistums.
Hier plante Bischof Paul Ziegler die Resignation
seiner Regierung an den Bruder des Kastellans von
Musso, Giovan Angelo de' Medici, den späteren Papst
Pius IV 78. Während sich der Bischof mit solchen Absichten
trug, suchte der Kastellan von Musso bei den
Drei Bünden um ein Geleite für 120 Mann nach, das
ihm am 15. November gewährt wurde. Er wollte seine
Schwester deren Bräutigam Wolf Dietrich von Hohenems,
dem Sohn Mark Sittichs, nach Hohenems zuführen.
Plötzlich argwöhnte die protestantische Partei, dieser
Hochzeitszug diene keiner anderen Absicht, als dem
heimlichen Überfall der Stadt Chur, der Niedermetzelung
der Protestanten und der gewaltsamen Einsetzung
des neuen Bischofs. Zwingli selbst war überzeugt, Mark
Sittich stünde mit 1000 Mann an der Nordgrenze des
Landes, an der Luziensteig, bereit zum Einmarsch ins
Land. Wilde Gerüchte durcheilten die Täler Graubündens.
Ein Sturm wirbelte auf. Mit Not entrann der
Bischof im Dezember aus dem Schloß Fürstenburg, das
400 Bauern belagerten, nach dem Tirol, zahlreiche Domherren
flohen von Chur in die schützende Nachbarschaft,
nach Sargans oder Feldkirch. Der Abt von St. Luzi,
Theodul Schlegel, wurde dagegen als unbestrittener
Führer der Katholiken mitten in der Neujahrsnacht, in
nächtlicher Stille, verhaftet, Giovan Angelo de' Medici,
auf dem Wege nach Innsbruck begriffen, wurde wenige
Tage später bei Zuoz im Engadin festgehalten, der ihn
begleitende Hauptmann Dietegen von Salis, verhaßt als
Freund Mussos und Parteigänger Österreichs, gefangen
genommen. Georg Beli, ein Vetter des Abtes, Landeshauptmann
des Veltlins, wurde bezichtigt, den Kaiserlichen
die Pässe öffnen zu wollen. Auch er wurde gefangen
abgeführt. Alle diese Schläge richteten sich
gegen den Plan einer Restauration des Katholizismus
im Gotteshaus Chur, aber gleichzeitig galten sie Österreich.
Man war überzeugt, daß im Zuge einer großangelegten
Verschwörung aller Katholiken die Protestanten
im Lande, mit Hilfe Österreichs und des Kaisers,
gewaltsam niedergerungen werden sollten. Deswegen
fiel Abt Schlegel, nach grausamster Marter, am
23. Januar durch den Haß seiner Gegner dem Tode
anheim. Er hatte, allen Verboten des städtischen Rates
zum Trotz, täglich die Messe gelesen und weithin das
Beispiel eines unerschrockenen Glaubenseifers gegeben.
Deswegen wurde er beschuldigt, der Urheber all dieser
Pläne zu sein. Die französische Partei frohlockte mit
Venedig über die Niederlage der Gegner.
Weshalb dieser Argwohn und weshalb das furchtbare
Strafgericht gegen die Altgläubigen und die österreichische
Partei? Die Allianz zwischen Mark Sittich von
Hohenems und dem Kastellan von Musso war sichtbar
geworden in der Ehe des Sohnes und der Schwester von
zwei bedeutenden militärischen Führern. Sie enthüllte
plötzlich ungeheure Gefahren. Vom Süden und vom
Norden her rückten zwei gefürchtete Gegner zusammen,
über die Bündner Pässe ins Herz der rätischen Republik
hinein. So drohte ein doppelter Angriff auf die gesamte
Stellung des Protestantismus im Osten. Wäre Giovan
Angelo de' Medici wirklich Bischof von Chur geworden,
sein Bruder hätte aller Voraussicht nach jede Opposition
gegen die bischöfliche Kirche rücksichtslos niedergedrückt.
Argwohn und Angst vor dem ränkevollen
Kastellan wichen in protestantischen Kreisen noch lange
nicht. Man war überzeugt, daß in den Verhandlungen
über ein Bündnis mit Österreich mit Musso militärische
Pläne festgelegt würden. Manche Wochen später hieß
es: «Item so habent sy mit dem herren von Müß ouch
einen verstand gemacht, nämlich sich uff ein zal tusend
knechten zu versechen, und ob die Dry Pünt yemant
zu hilf ziechen, wöltint sy dieselben an jr landschaft
angryffen und so viel vexieren, damit sy ouch daheimen
blyben und ander lüth irer hilf beroubet sin müßtind» 79.
Tatsächlich hatte Österreich in Gian Giacomo de' Medici
gegen Graubünden ein wirksames Gegengewicht, sobald
die Bündner Protestanten Miene machten, den eidgenössischen
Städten zu Hilfe zu eilen, ein Gegengewicht
auch gegen Frankreich im Hinblick auf die Kämpfe um
Mailand. Anders war Musso jedoch nirgends beteiligt 80.
Überall verschärfte sich die Lage zu Ende des Jahres
1528. Nie war die Burgrechtsfrage gelöst worden, vielmehr
liefen damals intensivere Verhandlungen über ein
Burgrecht mit Straßburg. Das Gerede von einem allgemeinen
protestantischen Städtebund verstummte
nicht 81. Alle Vermittlungsversuche im Streit um das
Mehrheitsprinzip in den gemeinen Vogteien waren vergeblich
geblieben 82. Deswegen vollzog sich der entscheidende
Umschwung in katholischen Kreisen. Viele
erklärten sich jetzt bereit, mit Frankreich zu brechen
und ein ewiges Bündnis mit Österreich zu schließen,
mit dem Versprechen, nie mehr etwas gegen Österreich
und Mailand zu unternehmen, wenn nur Österreich
Hilfe gewähre 83. Am 19. Dezember ließ Dr. Stürzl
Innsbruck wissen, der Schultheiß von Luzern, Hans
Hug, sei überzeugt, ein Bündnis mit dem König zugunsten
des Glaubens begegne keinen Schwierigkeiten
mehr. Der Schultheiß schlage Beratungen vor. Stürzl
selbst griff die alten Gedanken wiederum auf: daß die
Länder verloren seien, wenn die Städte sich einigen
könnten. Dann aber gäbe es Unruhe, die Vordem Lande
würden mitgerissen und des Aufruhrs wäre kein Ende.
Und er betonte auch, weshalb von den Eidgenossen
keine Türkenhilfe zu fordern sei: ihre Not, daß die
Reichsstände selbst sie noch nicht bewilligt hätten, der
Verlust an Ansehen für den König im Weigerungsfall,
was wiederum Frankreichs Stellung stärken würde; das
alles spräche dagegen 84. So wurde der Weg für die Verhandlungen
frei.
Am 20. Dezember wurden die österreichischen Räte
auf den Dreikönigstag nach Innsbruck berufen zu beraten,
wie der weiteren Empörung in der Eidgenossenschaft
Einhalt zu gebieten wäre 85. Doch fanden die
Beratungen erst in den Tagen vom 12. bis zum
17. Januar 1529 statt 86.
Mit welcher Gründlichkeit wird die ganze Bündnisfrage
erörtert; vorerst die Lage der Eidgenossenschaft:
der Abfall Zürichs, sein Burgrecht mit Konstanz, die
Zerstörung der Klöster, die unter dem Schirm Habsburgs
standen, dann die innere Zwietracht unter den
eidgenössischen Orten! 87 Da ist durchaus der Gedanke
an das Reich und Österreich beherrschend. Über alles
wollten die geheimen Räte Klarheit gewinnen. Sie
kannten die Stärke und Schwäche der katholischen Orte.
Sie wußten, daß die Untertanen Berns die Hoffnung
auf eine Umkehr im Glauben nicht preisgeben wollten 88,
aber auch, daß Freiburg und Solothurn, bei aller Treue
zum Glauben, zögerten, unter Hintansetzung der alten
Bünde, ein neues Bündnis zu schließen. Doch schwerste
Bedenken erregte anderseits besonders der jüngste Vorstoß
der Protestanten in Basel, der in einem üblen
Tumult geendet hatte. Und die Gefährlichkeit der
Kampfmethoden der neugläubigen Orte ließ sich niemals
verkennen: die Folgen des Mehrens, vor allem in
Gemeinden längs der Grenzen, der Abschluß neuer Burgrechte
und die unausgesetzte Werbung der Städte 89.
Aus aller so eindringlich geschilderten Not gab es für
die V Orte einzig zwei rettende Auswege: entweder das
Bündnis oder dann die Aufwieglung der Untertanen.
Nun bot das neue Bündnis unerwartete Aussichten,
wenn es gelang, den Kaiser und den französischen König
zum Frieden zu bringen. Geschickt wird hier von den
katholischen Orten erneut der Zwiespalt in der Außenpolitik
ausgespielt. So bescheiden ihr Angebot auf Vermittlung
sich anhören mochte, der König mußte erkennen,
was auch für ihn auf dem Spiele stand, wenn
die Eidgenossen als Feinde Habsburgs ausschieden und
gewillt waren, für den Frieden mit Frankreich zu wirken.
Kein Zweifel, die katholischen Orte gaben jetzt dem
religiösen Anliegen in allem den Vorrang.
Doch wie fremd stand man sich gegenüber! Der
Schritt zum Bündnis fiel den Räten keineswegs leicht.
Mißtrauen herrschte. Alles, was dagegen sprach, wurde
geltend gemacht: der Mangel an Einigkeit unter den
katholischen Orten, ihre Schwäche gegenüber den Gegnern,
der Gedanke einer plötzlichen Einigung der eidgenössischen
Orte gegen Habsburg und endlich der Vorwurf
des Bruchs der Erbeinung durch das einseitige
Bündnis 90. Doch die gewichtigen Gründe für Annahme
des Vorschlags ließen sich nicht übersehen. Wieder wird
besonders das Reichsinteresse unterstrichen: im Gedanken
an die große Gefährdung des ganzen Oberrheingebietes
durch Basel und Straßburg, daß mehr und
mehr Reichsstädte im Abfall vom Glauben folgen könnten
und neuer Aufruhr der Untertanen drohen müßte.
Schließlich ließen sich die Einwände leicht widerlegen:
die Einigkeit der Orte im Glauben rechtfertigt das gegenseitige
Zutrauen. Die Schwäche der katholischen Orte
wird just durch das Bündnis ausgeglichen, sofern es auf
breitester Grundlage aufgebaut wird. Die Herzöge von
Savoyen und Lothringen werden dabei nicht fehlen, der
Bischof von Konstanz und viele Prälaten, Grafen und
Ritter in Schwaben und zahlreiche Reichsstädte sich
mit ihnen vereinen 91. Niemals läßt der Zwiespalt im
Glauben einen Zusammenschluß der feindlichen Eidgenossen
gegen Österreich zu 92. Auf die Erbeinung
kann sich der Gegner nicht berufen, behauptete er doch,
das Burgrecht berühre einzig den Glauben und unterstünde
keinem Bündnis, das Wort Gottes sei frei. Auch
war der Bruch der Erbeinung durch Zürich im Waldshuterhandel
und Burgrecht mit Konstanz unvergessen 93.
Trotzdem wollte Österreich in keinem Fall über ein
Defensivbündnis hinausgehen, es war einzig an die Abwehr
der Gewalt gedacht.
Die Räte wünschten auch keinen Krieg. Wohl aber
waren sie überzeugt, er würde nur durch das Bündnis
vermieden. Das war nämlich die große, gemeinsame
Hoffnung der österreichischen Häupter und der katholischen
Orte: daß die protestantischen Städte es sich
überlegen würden, den Krieg nach dem Abschluß des
Bundes zu beginnen, zumal wenn auch andere katholische
Mächte Hilfe gewährten. Um des Friedens willen
sollte das Bündnis geschlossen werden. War dieser gesichert,
dann konnte der König die Türken besser bekriegen
und hoffen, die Pässe nach Italien gewinnen und
den Zulauf zu den Franzosen abstellen zu können.
Man war weit davon entfernt, etwas verheimlichen
zu wollen, wenn einmal der Entscheid gefallen war. Vielmehr
sollten die Beschlüsse zur Ermutigung der Altgläubigen
überall angezeigt werden: in Ensisheim, Stuttgart
und Wien. Der protestantischen Werbung war
auch durch Verbreitung gedruckter Schriften energisch
entgegenzutreten 94.
In den Hauptverhandlungen vom 17. Januar kamen
erneut Bedenken zum Ausdruck, auch das Mißtrauen
gegen die Eidgenossen, die so viele Fürsten und Herren
betrogen hätten 95. Wenn die Gesamtheit der Boten,
nur zwei ausgenommen, gegenüber einer anfänglichen
Opposition (8: 28) doch zum Bündnis riet und eine
bloße Vermittlungsaktion bei der Tagsatzung ablehnte,
so war das vor allem der Sorge ob des Vordringens des
neuen Glaubens und der zerstörenden Wirkungen auf
den gemeinen Mann zu danken. Die Erinnerung an die
gewaltige Erhebung der Bauern von 1525 war unauslöschlich
haften geblieben, machte doch die Mehrheit
geltend, daß damals einzig der Schwäbische Bund die
Lage hatte retten können. Dem Reichstag schenkten
die Räte kein Vertrauen, war doch bisher jede Hoffnung,
auf eine Wendung zum Guten vergeblich gewesen. Nie
war die Aktion der Protestanten zum Stillstand gekommen,
«und sollte Teutscheland noch drew jar in der
irrung sten, so seie verwettet, man werd khein herrn
haben» 96. Auch eine Vermittlung des Schwäbischen
Bundes lehnte man ab. Auch auf ihn war kein Verlaß.
Deswegen war jede Verzögerung unmöglich. Hätte der
König nach der Disputation von Baden bei den Eidgenossen
eingegriffen, dann hätte Aussicht bestanden,
alle Orte von Zürich zu trennen. Handelt man jetzt
nicht, dann ist alles verloren, betonten noch einmal mit
Nachdruck die Vertreter der Vorderen Lande. Sie waren
es, die mehr als alle andern die Bedenken zerstreuten.
So fiel der Beschluß, beim König die Fortführung der
Verhandlungen mit den katholischen Orten zu beantragen
97.
Den Anstoß zu diesen Beratungen hatte besonders
der Luzerner Schultheiß, Hans Hug, gegeben 98. Luzern
behauptete jetzt auch gegenüber den IV Waldstätten
die unbedingte Führung. Das zeigt sein Vortrag an der
Tagung vom 17. Januar. Es lag Luzern alles daran,
seine Bundesgenossen für den Plan zu gewinnen. In der
Einschätzung der großen Gefahr, angesichts des sicheren
Abfalls der Stadt Basel, waren sich Österreich und
Luzern völlig einig. Doch nun drang das Mißtrauen bei
den IV Waldstätten durch. Luzern gab sich redlich
Mühe, sie zu überzeugen, «das da kein falsch noch
betrug» sei. Alles galt allein der Rettung des Glaubens,
bei voller Wahrung der alten Bünde. Es ist auffallend,
wie sehr Luzern die Aussicht auf einen Frieden zwischen
dem Kaiser und Frankreich herausstrich, wie es betonte,
daß die V Orte mehr Frieden und Ruhe und Rückhalt
hätten, wenn der Kaiser Herr zu Mailand bliebe. Selbst
dem französischen König gereiche das Bündnis zum
Vorteil, fördere es doch den Frieden mit dem Kaiser.
Die IV Waldstätte konnten die Gefahr unmöglich verkennen,
infolge des fortschreitenden Abfalls der Städte
und der gemeinen Vogteien, völlig eingekreist und der
protestantischen Macht bedingungslos preisgegeben zu
werden 99.
Da indessen die Boten ohne Instruktion waren, mußten
die Beratungen am 23. Januar noch einmal aufgenommen
werden 100. Neue Schwierigkeiten tauchten auf.
Der Rat von Zug hatte es nicht gewagt, eine endgültige
Zusage zu geben. Er glaubte, die Bündnisfrage vor die
Gemeinden bringen zu müssen. Immerhin wollte Zug
kein Spielverderber sein und seine Boten sahen schließlich
darüber hinweg, handelte es sich doch, wie deutlich
unterstrichen wurde, nicht um Beschlüsse, sondern allein
um Besprechungen, die geheim bleiben mußten. Schließlich
hatte ja der Zuger Landvogt im Thurgau durch sein
Schreiben an Mark Sittich von Ems den Stein ins Rollen
gebracht. So kam, nicht ohne große Mühe, der einstimmige
Beschluß zustande, die erwartete Tagung in Feldkirch
gemeinsam zu beschicken.
Noch vor diesen Beratungen hielt Ulrich Zwingli in
Zürich vor den zurückkehrenden Boten der Tagsatzung
zu Baden vom 4. und 5. Januar eine aufsehenerregende
Predigt, deren leitende Gedanken Ulrich von Schlandersberg
am 20. Januar 1529 nach Innsbruck meldete 101.
Zuerst fuhr er die Zürcher an: Was seid ihr von Zürich
für Leute! Hätte vor Zeiten einer geredet, eure Münze
sei ein Kuhplappart, so wäret ihr ausgezogen und hättet
es gerächt. So man euch Ketzer schilt, schweigt ihr
dazu und duldet es. Und weiter sprach er: «ich stegk
als duf ym kie dregk als ier, er weit an lain druy hundart
arschlahen, die wider uns sindt». Darnach schimpfte
er die eidgenössischen Boten aus: Sie seien Mörder und
böser als Mörder, da sie das Gotteswort unterdrücken
halfen und einen Frieden zu erreichen suchten und nichts
unternähmen, um den alten Glauben «mit gewalt ab
zü dün». Das werde Zwingli übel ausschlagen, urteilte
der Vogt.
Zwingli fühlte, daß der Glaubenskonflikt einer Entscheidung
entgegentrieb. Für ihn stand alles auf dem
Spiel. Politische Kompromisse durfte er als Führer
seiner Kirche niemals kennen. Anders als den verantwortlichen
Staatsmännern galt ihm sein religiöses Werk
alles. Gegenüber der geschichtlichen Überlieferung hatte
er stets nur Bedenken empfunden, wenn es darum ging,
das Interesse seines Werkes zu wahren. Er stellte sich
von jeher über politisch-historisches Recht, hatte er doch
schon am 11. Oktober 1525 gegenüber Vadian geäußert:
Ich will nämlich lieber ein Bündnis, welches der Glaube
erhält, als eines, das mit dem Pergament verdirbt, und
die Freundschaften sind glücklicher, denen der Glaube
Dauer verleiht, als jene, zu denen wir durch Verträge
gezwungen werden 102. Im Grundsatz, den er und seine
Anhänger verkündeten: der Glaube berühre die Bünde
nicht, klaffte der volle Gegensatz zu jenen politischen
Kreisen, denen Friede und Einigkeit mit den im Glauben
getrennten Bundesbrüdern doch irgendwie möglich erschien,
sofern das historische Recht nur einigermaßen
gewahrt blieb. Zwingli hat diesen Gegensatz nie anders
als in seinem eigenen Denken zu überbrücken vermocht,
wie auch der andere Grundsatz von der Gnade des Glaubens
und der Freiheit des Christen in der Entscheidung
des Glaubens kirchlich und staatspolitisch niemals lösbare
Gegensätze heraufbeschwor. Nur im Hinblick auf
den Willen zur totalen Vereinheitlichung der Eidgenossenschaft
in seinem Glauben ist der unbedingte,
schroff hervortretende Kriegswille Zwinglis zu verstehen.
Jetzt erschien der Plan Zwinglis, den er als seine Aufgabe
empfand, den Widerstand der katholischen Orte
zu brechen und die religiöse Einheit der Eidgenossenschaft
auf protestantischer Grundlage zu erzwingen,
durch Österreich ernsthaft bedroht. Der angstvolle
Gedanke, was nun werden sollte, wenn Habsburg den
Bund mit den Gegnern schloß, war umso drückender,
als man über die Vorgänge keine genügende Klarheit
gewann und allein in eindrucksvollen Drohungen das
Gerede an die Oberfläche drang, die V Orte seien bereit,
eher die Kaiserlichen ins Land zu lassen als den alten
Glauben preiszugeben 103. Die große Überraschung bezeugen
die Verse:
Mich macht graw, Wer hets gmeint?
das der pfaw die doch für war
und der stier, gar menge jar
ouch sunst vier gewäsen sind
sind vereint, recht erplich find 104,
Hatten die protestantischen Stände das Übergewicht
erobert, ohne Krieg und doch mit Gewalt, wurden nun
die katholischen Orte, gleichsam einem Grundgesetz eidgenössischen
Zusammenlebens folgend, dazu gedrängt,
den Ausgleich der Kräfte in einem Schutzbündnis mit
Österreich zu suchen.
Am 26. Januar, nur drei Tage nach den Beschlüssen
der V Orte in Luzern, wurden die Regierungen zu Ensisheim
und Stuttgart vom Innsbrucker Hof aufgefordert,
ihre Kommissäre nach Feldkirch zu entsenden und diese
auf Grund der übermittelten Instruktion über das Bündnis
beraten zu lassen 105. Am 14. Februar ritten die
Boten der V Orte in Feldkirch ein 106. Bereits hatte
Zürich Rudolf Collin als Spion in das Städtchen geschickt
107.
Anfangs herrschte große Freude, «unnd habend gar
ein guten mut mit trommen und pfiffen» 108. Man tagte
im Johanniterkloster so heimlich, daß niemand etwas
erfahren konnte, auch die Feldkircher Ratsmitglieder
nicht. Freiburg und Solothurn hielten sich fern. Man
beriet die ganze Woche hindurch, am Samstag verritten
die Boten. Bald hieß es in protestantischen Kreisen, es
sei den Eidgenossen nicht ganz nach ihrem Willen gegangen,
«sunder sy sient trurig und unmutig von einanderen
zerritten» 109. Mark Sittich von Ems warf ihnen
offen vor, bisher stets zu Frankreich gehalten und es
nicht geduldet zu haben, daß jemand zum Kaiser lief.
Zuletzt hätten die Boten geweint, «das inen die trecher
uber die baggen ab sind geloffen» 110. Da man jetzt die
genauen Bestimmungen des Bundes festsetzen mußte,
traten die Gegensätze erst recht hervor. Diese sind nur
mit Mühe überwunden worden, und erst am 22. April
1529 kam der Bund als «Christliche Vereinigung» in
Waldshut zum Abschluß 111.
Auf Seiten Österreichs bestand gar kein Wille zum
Krieg 112. Aus der Voraussetzung heraus: den Krieg
zu vermeiden und den Schutz des Glaubens doch zu
sichern, ergab sich der absolut defensive Charakter des
Bundes. Keiner der Partner sollte Ursache zu einem
Krieg geben noch eigenmächtig Krieg beginnen. Im
Fall eines Konflikts sollte jeder Versuch zur friedlichen
Schlichtung in gemeinsamer Beratung unternommen
werden. Und selbst wenn der Krieg schließlich unvermeidlich
wäre, durfte er ohne Vorwissen des Verbündeten
niemals begonnen werden. So wollte es Österreich.
Die V Orte aber fanden sich in einer äußerst gefahrvollen
Lage; die protestantischen Städte konnten sie
unversehens mit gewaltiger Macht überfallen. Deshalb
forderten sie die Erfüllung der Hilfspflicht auch im Notfall,
wenn sie zu plötzlicher Gegenwehr gezwungen
wären. Österreich gestand das in Waldshut zu 113. Der
defensive Charakter des Bundes ist auch in anderer Hinsicht
zu betonen. Der Übergriff auf österreichisches
Gebiet, ja die direkte Bedrohung besonders durch Konstanz
hatte Habsburg herausgefordert. Begreiflich, daß
die V Orte jetzt Österreich gegenüber Konstanz freie
Hand ließen und der Stadt ihren Schutz versagten 114.
Auch die Prinzipien des Burgrechts zwischen Zürich und
Bern waren durchaus offensiver Natur, zufolge der Aberkennung
des Ständeprinzips in der Regierung über
die gemeinen Vogteien und der einseitigen Anwendung
des Mehrheitsprinzips in den Gemeinden. Es hat daher
nichts Auffallendes an sich, wenn das Bündnis bestimmte
daß alle Eroberungen innerhalb der Eidgenossenschaft
den V Orten und ihren Verbündeten aus der Eidgenossenschaft
verbleiben sollten. Das zielt vor allem auf die
gemeinen Vogteien. Die Absicht mochte wohl sein,
Freiburg und Solothurn in die Mitregierung auf zunehmen,
falls sie dem Bündnis beitraten, um so die
Stellung der katholischen Orte zu stärken. Doch auch
das war einzig vorgesehen für den Fall, daß die protestantischen
Städte zuerst zum Krieg übergingen 115. Von
einer Gebietsverkleinerung der Städteorte ist keineswegs
die Rede 116. Vielmehr wollten sich die V Orte gegenüber
Österreich sichern, wie auch dieses von den V Orten
jeden Verzicht auf Gebietsausdehnung außerhalb der
Eidgenossenschaft forderte. Die Übergabe eroberten
Territoriums an die katholischen Orte hatte vor allem
den einen Sinn: diesen den Entscheid über die Glaubensfrage
in ihrem Sinn zuzuerkennen. Anders wäre ja der
Zweck des Bundes hinfällig gewesen.
Galt es nun, dem Abfall weiterer Gebiete in den gemeinen
Vogteien zu wehren und die eigene Existenz zu
retten, mußte auch der Anreiz der protestantischen
Propaganda auf das Volk bekämpft werden. Daher
wurde vereinbart, gemeinsam, unter Mitwirkung der
geistlichen Obern, über die Abstellung der Mißbräuche
zu beraten, unter Vorbehalt eines allgemeinen Konzils 117.
Im übrigen kann der gewaltige Eindruck des Bündnisses
nur in der allgemeinen Stimmung richtig erfaßt werden.
Während der Verhandlungen in Feldkirch war Ammann
Am Ort bereits drei Wochen im Wallis und in
Savoyen, um die endgültigen Vereinbarungen über ihr
Bündnis zu bereinigen. Den Eindruck dieser intensiv
betriebenen Diplomatie charakterisiert ein anonymer
Briefschreiber aus Luzern an einen Zürcher dahin: Und
ist der Anschlag, wie sie die Protestanten vom Wallis
her um Bern herum bis gegen Ensisheim und längs des
Rheines bis gegen Chur einkreisen wollen, damit Straßburg
und Basel und andere Reichsstädte keine Hilfe
leisten können 118. Es ist klar: Zweck des ganzen Bündnissystems,
in welchem Graubünden eine eigene Stellung
zukam, war die förmliche Einkreisung der protestantischen
Städte, so wie diese die Länderorte umklammert
hielten 119. Von überall her drang eine Stimmung durch,
die diesem Gedanken entsprach. Zürich vor allem wurde
von einem panischen Schrecken ergriffen. Es gab sich
sofort die größte Mühe, den Absichten der Gegner auf
die Spur zu kommen. Von Vogt Staub in Sargans hieß
es, ehe er sich mit Zürich des Glaubens halber verständigen
wolle, wolle er des Kaisers werden. Musso und die
V Orte unterstünden sich, die Zürcher zu bekriegen. In
Feldkirch wurde die Rede verbreitet: «es gange
seltzam zü, dann Schwytz weil Österrych unnd Österrych
Schwytz und also als eyn ding werden». Es ist erstaunlich,
mit welcher Schnelligkeit solche Auffassungen verbreitet
wurden: in Kaiserstuhl, in Schaffhausen, in
Appenzell und im Rheintal 120. In Sargans rechtfertigten
sich die V Orte, weil sie in Feldkirch waren. Es
diene dem Lande zum Frieden. Hier zeigte sich die
Wirkung des Bundes. Es erging das Mehr zugunsten
des alten Glaubens, ausgenommen in Wartau 121.
Am 7. März wurde im Wallis von allen Kanzeln ein
Brief der drei Orte Luzern, Uri und Unterwalden verlesen,
worin diese auf die schwere Gefährdung ihres
Glaubens hinwiesen. Man gebrauche mit ihnen soviel
Gewalt, daß zu befürchten sei, es würden noch etliche
der katholischen Orte mit Kriegsgewalt zum neuen
Glauben gezwungen. Es müsse Krieg geben, wenn nicht
Gott es verhüte. Darauf ging die Rede, man wolle aus
dem Wallis plötzlich ins Berner Land einfallen, sofort
auf die Stadt rücken und sie in Brand stecken; dann
käme es dazu, wie geweissagt sei, daß einer den andern
frage, «wo Bern sy gestandenn». Sie hofften, das ginge
noch dieses Jahr in Erfüllung. Wäre der plötzliche Einfall
nicht möglich, sollten die Walliser Bern von Savoyen
her abriegeln, daß keiner entrinnen möge, und die Eidgenossen
sollten sie von der andern Seite angreifen, «damit
sy also ingefangen syend». Eindrücklich wurde
gedroht, der Kaiser habe den Orten zugesagt, sobald
das Futter auf dem Feld erwachsen sei, werde er die
Zürcher über den Rhein her bekriegen. Bis dahin sollten
sie sich still verhalten 122. In der Tat, Ängste und Sorgen
verbreiteten sich in weiten protestantischen Kreisen,
ehe der Bund mit Österreich überhaupt vollendet war.
In jenen Tagen lebte in der inneren Schweiz ein tiefer,
religiöser Geist auf. In der Woche nach Mittfasten 1529
(8.-13. März) unternahmen die Schwyzer eine Landesprozession
«mit großer andacht zu der wirdigen mueter
und rainen jungkhfrawen Maria» nach Einsiedeln und
«alda gepeichtet und das hochwirdig sacrament empfangen
und darnach zichtigklich haimtzogen mit großer
andacht, daz am ediman da ist gewesen, der da gesagt
hat: sein tag habe er andechtigers wesen nie gesehen».
Als die übrigen Orte das sahen, folgten sie dem Beispiel
von Schwyz. Zürich schöpfte sofort Verdacht 123. Aber
Bürgermeister Diethelm Röist wußte nichts anderes zu
berichten, als daß sie Gott durch die Fürbitte der
Muttergottes um Gnade gebeten hatten, die Eidgenossenschaft
zu Einigkeit und Frieden gelangen zu lassen 124.
In der Tat, der Friedenswille des Volkes war tief. Am
21. Februar, am Sonntag Reminiscere, ließen die Luzerner
Gemeinden ihre Obrigkeit wissen, daß sie mit
niemandem des Glaubens wegen kriegen wollten. Die
Berner und Luzerner Bauern waren mit einander wohl
zufrieden, wenn sie zusammenkamen. Sie betonten unter
sich, sie wollten keinen Krieg mit einander haben, sondern
sich Liebe und alle Dienste erweisen. Würde man
sie aber des Glaubens wegen angreifen, so stünden sie
treu zur Stadt und zur Obrigkeit 125. In allem erkennt
man den Willen zum Frieden, aber auch zur Behauptung
des eigenen Glaubens.
Auch in Deutschland war der Eindruck des Bündnisses
bedeutsam. Bereits vor den Verhandlungen in
Feldkirch setzten Werbungen ein. Am 6. Februar vertrösteten
die Herzöge von Bayern, Wilhelm und Ludwig,
den König auf Besprechungen am Reichstag zu Speyer.
Kardinal Matthäus Lang, Erzbischof von Salzburg,
drängte bei ihnen auf eine Antwort 126. Doch Bayern
zeigte so wenig Neigung wie Salzburg und andere Herren
und Landschaften im süddeutschen Gebiet. Wohl gab
der König noch im Juni der Regierung von Ensisheim
den Befehl, auch mit Savoyen und Lothringen Verhandlungen
über den Beitritt zum Bündnis zu führen, doch
ohne großen Erfolg. König Ferdinand hatte im Grunde
genommen den Bund mit den katholischen Orten beinahe
widerwillig geschlossen. Schließlich waren die Verhandlungen
so weit gediehen, daß er nicht mehr ablehnen
konnte. Er mochte im Gedanken an den Schutz
des katholischen Glaubens wohl Genugtuung empfinden
und er hoffte, daß die Umtriebe von fremden Neugläubigen
in seinen Herrschaften inskünftig ausgeschaltet
blieben, damit auch die Ursache mancher Konflikte 127.
Er war auch später, angesichts des schwelenden Feuers
in der Eidgenossenschaft, stets von der ernsten Sorge
erfüllt, es könnte zu einem Zusammenschluß der eidgenössischen
Städte und der protestantischen Mächte
im Reich kommen und damit zu gefährlichen Übergriffen
auf seine eigenen Lande 128. Wohl hatte sein
Bruder, der Kaiser, das Bündnis mit anerkennenden
Worten gebilligt, aber Hilfe konnte er keine bieten und
die daraus erwachsenden Sorgen überließ der bedrängte
Kaiser seinem Bruder 129. Indessen durfte König Ferdinand
nicht ganz untätig bleiben, wollte er nicht nach
allem, was geschehen war, sich dem Spott preisgeben
und seine Bundesgenossen dem Gegner zutreiben. So
gab er bereits anfangs Mai allen Vögten des Vorarlbergs
und der Vordem Lande den strikten Befehl, sich zu
stärkster Hilfe für die V Orte bereit zu halten 130.
In weiten Kreisen des Reichs verfolgte man die Verhandlungen
der V Orte mit Österreich, aber auch den
Verlauf der eidgenössischen Krise nicht ohne Besorgnis.
Die Bestrebungen der Städte und Fürsten im Reich zu
einem Zusammenschluß aller habsburgfeindlichen Mächte
erhielten jetzt neuen Auftrieb 131. Doch auch diese
Pläne gewannen noch kaum klarere Form.
Die Ereignisse in der Eidgenossenschaft aber nahmen
ihren Lauf. Doch nicht ohne daß das österreichische
Bündnis einen bedeutsamen Einfluß gewonnen hätte.
Schon auf die Kunde von den Verhandlungen in Feldkirch
hin war Bern eifrig bemüht, den noch immer andauernden
Konflikt mit Unterwalden friedlich zu schlichten
182. Es war jetzt von Bedeutung, daß Freiburg und
Solothurn, die an der Regierung über die gemeinen Vogteien
unbeteiligt und dem Bündnis fern geblieben waren,
sich für die Vermittlung frei gehalten hatten. Bern
sah sich veranlaßt, Zürich immer wieder zu mahnen,
sich zurückhaltender zu zeigen und keinen Anlaß zum
Krieg zu geben 133. Es erklärte einmal Freiburg in jenen
Tagen, niemand wisse, welches die Haltung der Untertanen
im Fall eines Krieges wäre, hatten doch die Luzerner
gedroht, sie könnten jederzeit ein Feuer anzünden
und Unruhen machen, wenn nur der Rat es zuließe 134.
Inmitten aller Auseinandersetzungen beider Parteien
um die gemeinen Vogteien konnte der Krieg jeden Tag
ausbrechen. Bern scheute keine Mühe, den Frieden zu
retten. Zweimal, Ende März und im Mai schien der Ausgleich
zwischen Bern und Unterwalden gelungen, aber
Zürich, das im Hinblick auf den Reichstag zu Speier
erklärte, es fürchte seine Gegner auf keinen Fall, drängte
wirklich zum Krieg und war mit dem Vergleich Berns
höchst unzufrieden 135. Was sollte werden, wenn der
Krieg tatsächlich ausbrach? Bern konnte so wenig wie
andere das Ende voraussehen. Aber es mußte sich
Rechenschaft geben, daß es dann das ungeheure Wagnis
einer Erschütterung seines gesamten Staatswesens auf
sich nahm, falls seine kaum beruhigten Untertanen den
Gehorsam verweigerten. Zudem war die Lage für Bern
im Süden und Westen, gegenüber dem Wallis und
Savoyen, ganz unsicher geworden 136. Und daß der Befehl
des Königs zur Rüstung im Osten des Landes befolgt
worden war, war nicht zweifelhaft, dachte doch
Mark Sittich von Ems daran, sogar den im Bauernkrieg
aufständischen Bauern wieder das Recht des Waffentragens
zuzuerkennen, um auch sie bereit zu halten 137.
Der Berner Chronist Valerius Anshelm urteilt mit vollem
Recht, daß Österreich auf ein bewaffnetes Eingreifen
verzichtet hatte, weil den Orten ihre Autonomie im
1. Landfrieden erhalten blieb 138. Das große Problem,
die Glaubensfrage in den gemeinen Vogteien, war jedoch
damit nicht gelöst. Die Spannungen dauerten an. Immerhin
hatte Österreich durch den Abschluß des Bundes
für einmal geholfen, den Kriegseifer zu dämpfen und
die Parteien noch einmal auf den Weg der Vermittlung
zu weisen.
Auch die V Orte wünschten trotz des Bündnisses
keinen Krieg. Wohl aber hofften sie durch das Bündnis
zu retten, was sie immer gefordert hatten: ihre Freiheit
im Glauben und ihr Recht in der Regierung über die
gemeinen Vogteien 139. Sie kämpften für das Recht der
Minderheit. Daß sie sich als Minderheit behaupten
konnten, verdankten sie nicht zuletzt auch Österreich.
Sie stützten sich auf das historische Recht: auf die
Ständemehrheit. Noch war an dessen Stelle keine andere
für sie tragbare Lösung sichtbar geworden. Was wäre
wohl geschehen, wenn sie zum Verzicht gezwungen
worden wären? Vielleicht hätten sie doch noch, wie sie
immer gedroht hatten, die Revolution bei den Untertanen
entfesselt. Dann hätte niemand voraussagen können,
ob es schließlich gelungen wäre, auf friedlichem
Wege neue staatsrechtliche Grundlagen von Dauer zu
schaffen. Und selbst wenn anders die religiöse Einheit
auf protestantischer Grundlage errungen worden wäre,
hätte der Bund der eidgenössischen Orte eine fundamentale
Veränderung erfahren müssen.
Die katholischen Orte kämpften für ihr Selbstbestimmungsrecht,
das sie noch Jahrhunderte später stets
verteidigten. Nur insoweit sie sich als Minderheit behaupteten,
konnten sie schließlich das Ihre zum Wesen
des eidgenössischen Bundes beitragen: eine staatliche
Gemeinschaft auf ethischen Grundlagen zu sein, in der
niemals reine Mehrheit und Macht entschieden.
INHALTSÜBERSICHT
1. Über das Verhältnis Österreichs zur Eidgenossenschaft
1521-1526 5
Die Mailänderfrage 5. Veit Suter, österr. Agent 7.
Zürich und Konstanz 13. Österreich und Frankreich
16. Österr. Erbeinung 23. Waldshuter Vertrag
26. Österr. Diplomaten (1524-1526) 32. Kritik
Oechslis u. a. 36.
II. Innenpolitische Wandlungen als Voraussetzung
der katholischen Bündnispolitik . . . 42
Kath. Orte in Defensive 42. Gemeine Vogteien, protestantisches
Mehrheits- und kath. Ständeprinzip 45.
Revolution oder neues Bündnissystem ? 53.
III. Der Anschluß der katholischen Orte an
Österreich 59
Konstanzer Burgrecht 59. Erste Bündnisversuche 62.
Graubünden 67. Österr. Räte 70. Karl V. und Ferdinand
73. Österr. Räte und V Orte 75. Bündnis mit
Wallis 88. Sturm in Graubünden 89. Österr. Beratungen
in Innsbruck (Jan. 1529) 94. Stellungnahme
der V Orte 102. Predigt Zwinglis 103. Feldkircher
Verhandlungen 107. Christliche Vereinigung 108.
Innenpolitik der V Orte 111. Eindruck in Deutschland
115. Wirkung in der Eidgenossenschaft 117.