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Morphologische Probleme in der Agrikulturchemie

Rektoratsrede
gehalten am 13. November 1948 an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule von
Prof. Dr. Hans Pallmann
Polygraphischer Verlag A.-G. Zürich • 1949

mi Jahre 1945 hat Prof. Virtanen in Helsinki den Nobelpreis erhalten für seine Untersuchungen und Erfindungen in der Agrikulturchemie, besonders für seine Futtermittelkonservierungsmethode. 1945 wurde erstmals ein Agrikulturchemiker mit diesem höchsten akademischen Preis geehrt. Die Agrikulturchemie ist offensichtlich hoffähig geworden.

Die vergangene Kriegszeit hatte die Anerkennungsbereitschaft stark gefördert. Mangel- und Notzeiten machten aufmerksam und hellhörig; dem Eisen der Pflugschar wurde gewissermaßen Edelmetallcharakter zugesprochen.

In der heutigen Agrikulturchemie lassen sich vier große Spezialgebiete abgrenzen:

die Bodenkunde,

die Pflanzenernährungslehre,

die Tierernährungslehre,

die Chemie landwirtschaftlicher Rohstoffe und ihrer technischen Veredelungsprodukte.

Der Bodenkundler studiert die Bodenbildung und Bodenumformung in Abhängigkeit von der Umwelt. Die Grundfrage ist hier: Woraus und wie ist der Boden entstanden, und in welcher Richtung entwickelt er sich weiter? Man frägt ferner nach den speziellen Bodeneigenschaften: nach Nährstoff- und Humusgehalt, nach Wasser- und Gasregime, nach der biologischen Aktivität des Bodens. Probleme der Bodenverbesserung werden erforscht: Entwässerung versumpfter Böden, Bewässerung in Trockengebieten, Entsalzung ander Böden und solcher an brackigen Meeresküsten, Festigung des Bodens gegen Verblasung, gegen Wegspülung und Rutschung, Erhöhung der Feinerdeschicht des ufernahen kiesigen Jungbodens durch Schlamm zugeleiteter Flüsse. Zahlreich sind die Berührungspunkte mit den Geologen, Mineralogen, Biologen und Kulturingenieuren.

Ein zweites großes Spezialgebiet beschlägt die Pflanzenernährung. Der Agrikulturchemiker forscht hier im Verein mit Pflanzenphysiologen,

Pflanzenbauern und düngerfabrizierenden Technologen. Es wird nach Gehalt und Art der Nährstoffe gefragt, die im Boden aufgespeichert sind und den Wurzeln zugänglich sein sollten. Wie stark ist die Bindung der Nährstoffe? Sind sie im engen Kristallgitter eingeschlossen oder an zugänglichen Grenzflächen sorbiert? Das Resorptionsvermögen dieser oder jener Pflanzen ist von Bedeutung. Wie nimmt die Pflanzenwurzel die Nährstoffionen vom Bodenteilchen weg? Zwischen der Pflanzenwurzel und dem Bodenteilchen herrscht ein ständiges Geben und Nehmen. Von besonderer Bedeutung sind die vielen Probleme der Düngung. Hier spielen Fragen der Wirtschaftlichkeit mit: lohnt sich der Aufwand, wird die Ernte genügend gesteigert oder qualitativ verbessert?

Das dritte Spezialgebiet der Agrikulturchemie befaßt sich mit der Tierernährung. Auf der einen Seite steht das Futtermittel, verschieden in seiner chemischen Zusammensetzung und Gestalt, auf der andern Seite steht das Tier mit seinem individuellen und arteigenen Verhalten. Nahrungsbedarf und Nährwert sind Kardinalfragen der Fütterungslehre, sie erstrebt die quantitative Messung dieser Größen. Die Forschung richtet ihr Augenmerk auch auf den speziellen Stoffwechsel. Dient eine bestimmte Nährstoffmolekel vor allem der Synthese neuer tiereigener Verbindungen, oder fungiert sie lediglich als Träger umsetzbarer Kalorien? Welche Stoffe oder Molekelbausteine sind biologisch wichtig und unersetzlich? Die Wirtschaftlichkeit der Fütterung mit Hinsicht auf speziell gewünschte tierische Leistungen (Milch, Fleisch, Fett oder Arbeitsleistungen) darf vom praktisch ausgerichteten Fütterungsforscher nicht außer acht gelassen werden.

Das vierte Spezialgebiet der Agrikulturchemie befaßt sich mit der Erforschung landwirtschaftlicher Rohstoffe und ihrer technischen Veredelungsprodukte: Milch- und Milchprodukte, Müllereiprodukte, Obstprodukte und Getränke; man interessiert sich an der Zuckerfabrikation, an der Brauerei, am Gärungsgewerbe, an der Nahrungsmittelchemie und Konservierungstechnik.

Die Untersuchungsobjekte sind mannigfachster Art. Sie sind zum Teil von rein wissenschaftlichem Interesse, mit dem ganzen Reiz behaftet, der nicht zweckgebundener Forschung anhaften kann. Zum

Großteil liegen die Probleme aber auf jener Ebene, von der aus man rasch in die praktische Nutzanwendung kommt, so zum Beispiel vom Boden über die Pflanze zum täglichen Brot, von der Konservierungsmethode des Grases zur duftenden Milch, von der Koagulation der Milchfetteilchen zur süßen Butter, oder von der Strömungsoptik der Pektinstoffe zum Fruchtgelee. Einer der großen Reize der Agrikulturchemie liegt in der großen Spanne der Probleme. Sie reicht von der Architektonik der Makromolekel und der Kristallstruktur der Tone bis zur Maschine des technischen Betriebes. Vorn verwitternden Gestein bis zum Tier und zur Pflanze.

Der große Chemiker Justus von Liebig hat vor 100 Jahren die wissenschaftliche Agrikulturchemie begründet. Er erweckte eine neue Industrie zum Leben, die Kunstdüngerindustrie, und schuf damit —im Verein mit den Pflanzenzüchtern —die Voraussetzungen für die ungeahnte Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge, die notwendig ist im Hinblick auf die rasche Bevölkerungsvermehrung der Erde.

Diese Lebensnähe zahlreicher Forschungsprobleme der Agrikulturchemie mag Justus von Liebig bewogen haben, seinem Freunde Wöhler, dem großen Chemiker, zu schreiben:

«Alles, was wir tun und treiben, schaffen und entdecken, scheint mir unbedeutend, gegen das gehalten, was der Landwirt erzielen kann. Unsere Fortschritte in Kunst und Wissenschaft vermehren nicht die Bedingung der Existenz der Menschen, und wenn auch ein kleiner Bruchteil der menschlichen Gesellschaft an geistigen und materiellen Lebensgenüssen gewinnt, so bleibt doch die Summe des Elendes in der großen Masse die nämliche. Ein Hungernder geht nicht in die Kirche, und ohne ein Stück Brot geht kein Kind in die Schule. Der Fortschritt des Landwirts hingegen lindert die Not und die Sorge der Menschen und macht sie empfindungsfähig und empfänglich für das Gute und Schöne, was Kunst und Wissenschaft erworben, und gibt unseren Fortschritten erst den Boden und den rechten Segen.»

Die Äußerung Liebigs ist mit dem biblischen Wort: «Der Mensch lebt nicht von Brot allein», auch heute und in den vergangenen Jahren gültig geblieben.

Die Agrikulturchemie bezieht ihre Untersuchungsobjekte aus der gesamten Landwirtschaft und zunehmend auch aus der Forstwirtschaft.

Die Komplexität ihrer Untersuchungsobjekte, «Boden», «Pflanze» und «Fleisch», verlangt zu ihrer Kennzeichnung und vollen Erfassung nicht nur chemische Methoden. Je komplexer das Untersuchungsobjekt ist, umso stärker wird auch der Zwang, es morphologisch zu behandeln. Die stärkere Betonung morphologischer Prinzipien ist geradezu kennzeichnend auch für andere, sogenannte exakte Naturwissenschaften, ganz besonders für die heutige Physik.

Morphologie ist die Lehre von der Form, von der Gestalt der Objekte. Sie stellt zunächst statische Sachverhalte dar. Beim morphologischen Vergleich gesellt sich aber zur bloß statischen Betrachtung ein dynamisches Element, das auf die Formentstehung und die Form- und Gestaltswandlung hinweist. Die Morphologie führt heute noch bei vielen Untersuchungsobjekten oft weit über die von Chemie und Physik lieferbaren Feststellungen hinaus.

An einigen Beispielen soi1 nun auf morphologische Probleme der Agrikulturchemie hingewiesen werden.

Die erste morphologische Hauptfrage lautet: «Wie groß ist das betrachtete Objekt?» Es ist dies die Frage nach dem äußern Zerteilungsgrad, nach der äußern spezifischen Oberfläche.

Die zweite Frage heißt: «Welche Form hat das Objekt?»

Die dritte Hauptfrage läßt sich formulieren: «Wie sieht es im Teilchen-Innern aus?» Dies ist die Frage nach dein Feinbau, der Innenarchitektur, nach den innern Dispersitäten.

Diese drei Fragen stellen sich hei verschiedensten morphologischen Einheiten.

Die niederste Einheit ist das morphologische Einzelteilchen, sei es Ion, Molekel, Ultramikron oder größerer Einkristall. Diese Einzelteilchen sind morphologische Individuen, deren Bausteine durch starke Kräfte zusammengehalten werden. Die höhere Einheit ist der sogenannte morphologische Verband mehrerer bis vieler Einzelteilchen. Über dem Primitivverband kommen die höheren Einheiten bis zum morphologischen Vollobjekt.

Mit dem Anstieg zu den höhern morphologischen Einheiten wird die Mannigfaltigkeit, und bei zahlreichen Objekten der Agrikulturchemie,

zum Beispiel beim Boden, auch das Umformungsbestreben größer.

Verweilen wir für kurze Zeit bei der ersten Frage: Wie groß ist das Teilchen, und wie weit ist seine spezifische äußere Oberfläche? Der Zerteilungsgrad oder Dispersitätsgrad ist ein Maß für die Kleinheit eines diskreten Teilchens, Ion, Molekel, Ultramikron oder gröberes Partikel. Seine Dimension ist cm -1, der Zerteilungsgrad ist damit dimensionsidentisch mit der sogenannten spezifischen Oberfläche, das heißt der Oberfläche bezogen auf den Kubikzentimeter. Ein Quarzwürfel von 1 cm Kantenlänge werde zunehmend unterteilt. Er besitzt zunächst eine spezifische Oberfläche von 6 cm2/cm3. Sein Dispersitätsgrad = 6 cm -1. Schneidet man aus diesem Würfel kleine Kuben von 10 -3 cm Kantenlänge, dann resultieren 1 Milliarde mit einer spezifischen Oberfläche von 6'000 cm2/cm3. Schneidet man diese Würfelchen noch feiner, auf eine Kantenlänge von 10 -6 cm, dann resultieren aus dein ursprünglichen Ausgangskubus eine Trillion (10 18 ) kolloiddisperse Würfelchen, und die Summe ihrer Oberflächen steigt auf 6'000'000 cm2 an. — Ein solches Würfelchensystem mit dieser großen spezifischen Oberfläche finden wir heim frischgekeimten kolloiden Gold.

Besserer Übersicht halber ist es angezeigt, die gleitende Skala von Dispersitätsgraden in verschiedene Zerteilungsklassen abzugrenzen:

Man spricht von angströmdispersen Systemen, wenn die Einzelteilchen Durchmesser von der Größe 10-8 bis 10-7 cm besitzen. Hieher gehören die gewöhnlichen Ionen der anorganischen Chemie, ebenso die Molekel der niedermolekularen Verbindungen. Mit dem kurzwelligen Röntgenlicht kann man in diesem Dimensionsbereich genau messen.

Die nächst gröbere Zerteilungsklasse wird kolloiddispers genannt; die Teilchendurchmesser liegen zwischen 10-7 und 10-5 cm. Hier findet sich die Großzahl hochmolekularer Kunst- und Naturstoffe, Eiweiße, Stärke, Glykogen, dann die wichtigen Aggregationskolloide des Bodens (Kieselsäure, Sesquioxydhydrate, Humusstoffe) und vielfach auch die mannigfachen Tone. Röntgen- und Elektronenstrahlen werden zur Ausmessung genommen, auch das Ultramikroskop gehört zum Instrumentarium des Kolloidforschers.

In Richtung nach den gröbern Dispersitäten schließt sich die Klasse der sog. feindispersen Systeme an, die bereits mit dem gewöhnlichen Lichtmikroskop erforschbar

werden. Feinsand, mechanisch zermalmtes Gesteinsmehl des Gletscherbaches, Milchfetttröpfchen gehören hieher.

Schließlich folgt bei Kornabmessungen größer als 10-2 cm die Klasse sogenannter grobdisperser Zerteilungen; Grobsand, Kies und Blockmaterial sind als Beispiele zu nennen. Der äußere Dispersitätsgrad der fein, und grobdispersen Körper kann statistisch aus der Sedimentationsgeschwindigkeit oder direkt optisch ermittelt werden.

Diese Dispersitätsbetrachtungen sind in der Bodenkunde wichtig. Bei der Betrachtung eines frischen Granitstückes und einer Scholle mürber Ackererde fällt der morphologische Unterschied sofort auf. Auch der grundsätzliche Unterschied zwischen Felsstück und Boden liegt nicht etwa im Bauschchemismus der anorganischen Komponenten, sondern im speziellen Dispersitätszustand, in den Besonderheiten der Grenzflächenentwicklung.

Je feiner die Körnung, je höher der Dispersitätsgrad und die Oberflächenentwicklung sind, umso schwerer liegt der Boden am Pfluge, umso fester wird das Wasser festgehalten, und umso sorgfältiger muß der Zeitpunkt für die Bearbeitung gewählt werden. Der Ackerbauer bestellt mit Vorteil den mittelkörnigen, mittelschweren Boden; die schweren Böden tragen eher die Naturwissen; extrem grobdisperse Böden werden dem Walde überlassen.

Der Anteil feindisperser Bodenteilchen entscheidet häufig, ob ein Boden überhaupt zur günstigen Krümelung fähig sein kann, denn für die innere Fixierung des Gefüges sind vor allem die kolloiddispersen Einzelteilchen wichtig. Sie bestimmen zum Teil die Erosionsbereitschaft des Bodens. Sie wirken dank ihrer großen haftenden Oberflächen als Kleb- und Kittstoffe.

Durch die extreme Monokultur im amerikanischen Mittelwesten schwanden die hochdispersen Humuskitte dahin das ursprünglich in sich verbundene Bodengefüge wurde labil, und der dahinbrausende Präriesturm fand statt des gefestigten Bodens nur lose Bodenkörner, die, vom Winde verweht, ehemals fruchtbares Land zur Sandwüste werden ließen.

Es sind die feinstdispersen Komponenten, die im Boden verlagert werden und das Bodenprofil in Horizonte scheiden. Sind die Wanderteilchen feiner als das Bodenfilter, so können sie das ganze Profil

durchlaufen und unter humiden Klimaten total ausgewaschen werden. Ist das Bodenfilter in einem Profilabschnitt aber feiner, oder werden die Wanderteilchen auf ihrem Wege gefleckt, so werden sie am betreffenden Ort abfiltriert und angereichert. So entsteht die dichte Pflugsohle unserer Ackerböden durch mechanische Abfiltrierung der durchgeschlämmten Tone, der Ortsteinhorizont der Heideböden durch Koagulation der Eisen- und Aluminiumoxydhydrate, der Kalkflaumhorizont der Steppenböden durch Auskristallisation des Kalziumkarbonates aus der Bodenlösung.

Diese Filtrationsverlagerungen, bzw. Perkolationsvorgänge, spielen in der Bodenbildung eine wichtige Rolle. Die Systematik der Böden stellt auf das ganze Perkolationssystem ab: auf Dispersität und chemische Art der Wanderteilchen, auf Dispersität und chemische Art des Filterkörpers und schließlich auf die Richtung des Perkolationsstromes.

Hier liegen zahlreiche morphologische, noch ungelöste Probleme. Hier stehen die morphologischen Grundbegriffe wie «Größe», «Form» und «Feinbau», die «speziellen Dispersitätszustände» im Vordergrund der Forschung, die dann in die Fragen weitergehen: Welche chemisch-physikalischen Voraussetzungen sind für das Zustandekommen oder die Stabilität des so gestaltigen Objektes notwendig?

Es wurde bisher nur mit Beispielen aus der Bodenkunde argumentiert. Sehen wir uns nach den übrigen agrikulturchemischen Spezialgebieten um! Fragen wir nach den Bewertungsgrundsätzen künstlicher Düngemittel! Wertvolle Nährstoffe (K, P, N) werden durch die Sickerwässer oder mit der Ernte dem Boden weggenommen. Die Düngung muß das Fehlende ersetzen. Durch chemische Analyse wurde z. B. in der Thomasschlacke — ein Abfallprodukt der Eisenindustrie — 18 % Phosphorsäure festgestellt. Diese ist nur in Säuren löslich; sie kann von Pflanzenwurzeln nur dann in nützlicher Frist erschlossen werden, wenn die Thomasschlacke durch intensive Mahlung zum feinen Thomasmehl geworden ist, mit großer angreifbarer Oberfläche. Das gleiche gilt von allen andern

wasserunlöslichen Dünge- und chemischen Bodenverbesserungsmitteln.

Die Ernten werden nicht mir durch Unwetter bedroht auch Pilze, Bakterien und Viren sind vereint mit ungezählten tierischen Schädlingen in der Offensive. Die Gegenoffensive des Landwirts wird mit den modernen Waffen chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel vorgetragen. Die Wirksamkeit der chemischen Abwehr- und Kampfmittel ist indessen nicht nur von der chemischen Art und der Menge des Gifts abhängig: der Dispersitätsgrad des Giftpräparates spielt gewaltig mit. In der Schädlingsbekämpfung wird mit oberflächenreichen Stauben, Nebeln und Schäumen operiert. Ein kupferhaltiges Präparat z. B. muß in feiner Zerteilung auf die Pflanzenteile kommen, damit das Gift gut haftet. Die Haftfestigkeit geht unter vergleichbaren Umständen dem Dispersitätsgrad parallel. Je feiner die Teilchen, umso vollkommener wird auch die Oberfläche der Pflanze bedeckt und vor Insekten geschützt. Dieses Prinzip gilt nicht nur fur kupfer- und arsenhaltige Mittel, sondern auch für das moderne, weltweit angewandte Kontaktgift, das DDT, dessen insektizide Wirkung vom diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin, Dr. Paul Müller (Firma Geigy in Basel) entdeckt worden ist. Der allmähliche Rückgang der giftigen Kontaktwirkung des DDT kann oft (z. B. an regengeschützten Orten) nur morphologisch gedeutet werden: die feinen DDT-Partikelchen werden durch den Staub aus der Luft abgedeckt und eingehüllt; ein harmloser Belag schützt den Fuß des Insektes vor dem gefährlichen Gift.

Kann ein guter Bäcker aus Weizenmehl stets ein knusperiges Brot backen? Diese Frage läßt sich durch die chemische Mehlanalyse allein nicht entscheiden. Für die Backfähigkeit des Mehls ist vor allem der Kleber, das sind die Mehleiweiße, verantwortlich, der nur ein gutes Zehntel des Gesamtmehls ausmacht. Im Kleber sind zwei wichtige Eiweißarten vertreten: das Gliadin und das Glutenin. Der Klebergehalt beeinflußt wohl die Konsistenz des Brotes. Ausschlaggebend für die Backgüte ist hingegen die Kleberqualität, und

diese Qualität wird hauptsächlich durch den molekularen Zustand dieser Eiweißmakromoleküle bestimmt. Die Form der Moleküle ist hier grundsätzlich wichtig — es sind Fadenmoleküle —, sie ist in unserem Beispiel aber gegeben. Was in der Molekülarchitektur des Klebereiweißes vor allem variiert und die Backgüte bestimmt, ist die Größe, die Fadenlänge, das statistische Molekulargewicht. Dieser Dispersitätsgrad ist verschieden je nach Getreidesorte; er wechselt nach Klima und Reifezustand des Kornes; er ist auch abhängig von der Lagerung des Getreides im Speicher. Die Eiweißketten können behn Lagern durch korneigene Fermente abgebaut werden; die berüchtigte Getreidewanze scheidet spezifische Fermente aus, die die Eiweißketten kürzen und das Mehl backuntauglicher machen. Eine befriedigende Bewertung der Mehlqualität ist daher durch rein chemische Analysen nicht möglich; die Morphologie des Eiweißes spielt sehr stark mit. Auch praktisch wird erst durch die Formbetrachtung des Versuchsbrotes die Backtauglichkeit bündig abgeklärt.

Die Milch ist ein recht kompliziertes Gemenge, bietet der chemischen Erfassung der Hauptkomponenten aber ebenfalls wenig Schwierigkeiten.

Im schweizerischen Mittel finden sich in 1000 g Milch:

873 g Wasser
38 g Milchfett
25 g Kaseineiweiß
7 g Albumin- und Globulineiweiß
48 g Milchzucker
2 g Zitronensäure

7 g Mineralstoffe, Asche (neben einigen noch geringer-wichtigen Substanzen).

Einem jungen Chemiker, voller Lust an Synthesen, könnte es einfallen, die Milch durch Mischung ihrer isolierten eben aufgezählten Komponenten herzustellen. Der kleinste Säugling würde indessen sofort reklamieren, weil er spürt, daß diese Milch und rechte Milch

sich gehörig unterscheiden: nicht im Chemismus, sondern im Dispersitätszustand der Milchkonstituenten!

Georg Wiegner*, unvergeßner Freund und Meister, hat vor 35 Jahren die Milch dispersoidchemisch untersucht. Das Milchfett ist in mikroskopischen Tröpfchen im Milchserum zerteilt. Je größer die Fetttröpfchen sind, umso rascher rahmen sie auf. Die großen städtischen Milchzentralen suchen durch Kühlung, oder aktiv durch Dispergierung mittels besonderer Maschinen das Milchfett in höchster Zerteilung zu halten. Die rasche Bildung einer dicken Aufrahmschicht ist nicht immer ein Zeichen besonderer Milchgüte. Das Kaseineiweiß bildet kleine und relativ wenig gequollene (wenig hydratisierte) kolloide Teilchen von kaum 2.16-6 cm Durchmesser. Albumin- und Globulineiweiß zeigen sich ebenfalls in Form von kolloiden Makromolekülen; sie sind aber feiner als das Kasein und tragen viele Wassermoleküle auf sich. Während die wenig hydratisierten Kaseinteilchen allein schon durch Wasserstoffionen aus dem angesäuerten Serum ausgeflockt werden, müssen die hydratisierteren und damit fester im Serum verankerten Albumin- und Globulinteilchen nicht nur elektrisch entladen (durch H+-Ionen), sondern durch Erhitzen dehydratisiert werden, ehe sie sich zu größern Aggregaten zusammenlegen. Im sauren Magensaft bleiben die Milchalbumine hochdispers und für die Fermente leicht zugänglich, im Gegensatz dazu flockt das Kasein rasch zum gröbern Gerinnsel aus und wird damit etwas langsamer verdaulich. Der Milchzucker hingegen ist niedermolekular im Serum echt gelöst, die Moleküle niessen kaum den hundertsten Teil der kleinsten Eiweißmoleküle; die Zitronensäure ist von ebensolcher Feinheit, teils echt gelöst, zinn Teil wie Stacheln den Eiweißteilchen aufgesteckt.

Georg Wiegner hat seinerzeit die Regel entdeckt, daß die fütterungs- und haltungsbedingten Gehaltsschwankungen bei den gröbstdispersen Komponenten der Milch am größten sind — also beim Milchfett —, und mit feinerwerdender Dispersität der verschiedenen Anteile kleiner werden.

Im letzten Jahrzehnt ist die sog. Tiefkühlkonservierung von Lebensmitteln bekannt geworden. Frisco- und Byrds-Eye-Produkte werden der Hausfrau als Tiefkühlkonserven angeboten. Bei diesem Konservierungsverfahren werden hochwertige Lebens- und Genußmittel sehr rasch auf -20 bis -30° C abgekühlt. Kühltempo und Kühltemperatur sind je nach dem zu konservierenden Gute verschieden. Diese Tiefkühlung bremst unerwünschten fermentativen Abbau, und sie führt vor allem — und dies ist für unsere Ausführung wesentlich — zur Bildung eines feinkristallinen Eises in den Geweben. Das hochdisperse Eiskriställchen vermag die Zellen nicht zu sprengen; beim Auftauen bleibt die Zellstruktur der Konserve intakt erhalten. Gewöhnliches Langsamgefrieren hingegen führt zur Bildung großer, sprengender Eiskristalle; die Konserve wird beim Erwärmen unansehnlich und bekommt schmierige Konsistenz.

Die hohe Dispersität des beim raschen Tiefkühlen sich bildenden Eises verletzt die biologische Feinstruktur selbst lebender Mikro-Organismen nicht. In der Mikrobiologie werden heute vielfach Reinkulturen rasch tiefgekühlt und bei der Tieftemperatur im Vakuum getrocknet. Diese Trockenkonserven behalten jahrelang ihre funktionellen Eigenschaften unverändert hei — ein großer Vorzug dieses neuen Verfahrens gegenüber den alten üblichen Naßkulturen.

Die unmittelbare Bedeutung der Größe, des Dispersitätsgrades morphologischer Einzelteilchen ließe sich an vielen weitern Beispielen zeigen.

Nicht nur die Größe, die Dispersität, sondern auch die Form des morphologischen Einzelteilchens wirkt sich auf deren physikalischchemischen und selbst biologischen Eigenschaften aus. Man unterscheidet zunächst recht summarisch:

korpuskulare = körnige Teilchen,
laminare = blättrige Teilchen und
fibrillare = fadenförmige Teilchen.

Bei den fibrillaren Teilchen kommt es darauf an, ob sie gestreckt

vorliegen oder geknäuelt, oder gar nach einem ganz bestimmten Plan in sich verfaltet sind.

Diese Formgruppen gelten für morphologische Einzelteilchen im gesamten Dispersitätsbereich. Wir finden sic vertreten hei den Ionen und Molekeln, wir finden sie hinauf bis zu den makroskopischen Objekten und gar bei lebenden Organismen.

Die verschiedenen Humusformen z. B. sind wichtige Indikatoren für stattgehabte Bodenbildungsprozesse, für die biologische Bodenaktivität; sie sind typisch für bestimmte dem Boden zugehörige Pflanzengesellschaften. Die Humusformen werden unterschieden nach der Form der vorherrschenden Humusteilchen. Körnigen Mullhumus findet man in biologisch aktiven Braunerden des Eichen-Hagenbuchenwaldes; blättriger Rohhumus ist kennzeichnend für Laubwaldgesellschaften auf versauerten, degradierten Braunerden; fibrillarer Rohhumus liegt auf biologisch flachgründigen Bleicherdeböden des Alpenrosen-Arven-Lärchenwaldes der subalpinen Stufe.

Das Gefüge des Bodens (Raumerfüllung, gesamtes Porenvolumen und Anteil der verschiedenen Porengrößen und Porenformen) und die Stabilität des Gefüges hangen nicht bloß von der Größe der einzelnen Bodenteilchen ab, sondern maßgeblich auch von deren Form. Das stabilste Gefüge wird — bei sonst gleichbleibenden Bedingungen — bei der Zusammenlagerung von anisodiametrischen — also nicht kugeligen bzw. nicht körnigen — Teilchen gebildet. Diese Stabilität wird noch erhöht, wenn die Teilchen voneinander stark abweichende Größen besitzen (polydisperses System).

Auch in der Chemie der Makromoleküle ist der Formfaktor neben dem Dispersitätsfaktor als wichtig erkannt worden. Es ist Hermann Staudinger, der frühere Ordinarius für organische Chemie an der ETH, der wohl zuerst mit größtem Nachdruck auf diesen Formfaktor hingewiesen hat.

Man betrachte die landwirtschaftlich, physiologisch und auch

technisch wichtigen hochpolymeren Kohlehydrate: die Zellulose, die Stärke, dann zum Vergleich auch noch das Glykogen. Alle drei können durch Wasserstoffionen oder spezielle Fermente zum gleichen Baustein, zum Traubenzucker abgebaut werden. Die Traubenzuckermoleküle gliedern sich kettenförmig in hundert- und tausendfacher Wiederholung zur langen unverzweigten Fadenmolekel der Zellulose. Die Traubenzuckermolekel vereinigen sich in ebenfalls hundert- und tausendfacher Wiederholung zur Stärke, die z. B. das Getreidekorn und die Kartoffelknolle füllt. Eine kleine architektonische Verschiebung in der innern Anordnung der Traubenzuckermoleküle bedingt nun aber, daß diese sich großteils zu vielfach verzweigten Polymerisaten verknüpfen und ein Stärkemolekül aufbauen, das die Form tics Ellipsoids besitzt. Beim Glykogen — der tierischen Stärke — ist diese Verzweigungspolymerisation extrem ausgeprägt. Das Glykogen, das sich z. B. in der Leber findet und im Kohlehydratstoffwechsel seine Funktion erfüllt, besitzt Kugelform.

Diese verschiedenen Formen der Makromolekel beeinflussen deren physikalisch-chemisches und auch biologisches Verhalten und auch die Eignung für die technische Verwertung. Lösungen fadenförmiger Makromolekel sind hochviskos, also zähflüssig; kugelförmige Makromolekel ergeben — bei gleichen Konzentrationen — dünnflüssige Lösungen. Fadenförmige Molekel lassen sich zu Fäden spinnen, zu Filmen verfilzen, kugelförmige Molekel sind hiezu ungeeignet.

Die Fadenform der Makromoleküle ist Voraussetzung für die Spinnbarkeit ihrer Lösungen, gleichgültig ob es sich um Zellulose der Kunstseidefabriken, künstliche Polyamide der modernen Nylongewebe oder aber um das Wunder des Eiweißfadens handelt, den die Bombyxraupe als natürliche Seide spinnt. Die Länge der linearen Makromolekel ist auch für die Reißfestigkeit und sogar für die Elastizität der daraus hervorgegangenen Fäden und Gewebe wichtig. Lösungen fadenförmiger Makromolekel können in kleinen Konzentrationen gelieren, wie beispielsweise das Pektin der Früchte. Je länger die Molekel, umso fester wird das Gelee. Besonders bei den Eiweißen spielen die bestimmten Feinheiten im speziellen Faltungszustand

der Kettenmolekel für das Zustandekommen spezifischer Reaktionen (Antikörperwirkung, Fermentwirkung ) eine ausschlaggebende Rolle.

Die Form der kolloiddispersen Makromoleküle interessiert uns auch bei bestimmten weinchemischen Problemen. Wenn das Studentenlied erklingt:

«Bringt mir Blut der edlen Reben,
Bringt mir Wein;
Wie ein Frühlingsvogel in den Lüften will ich schweben
Bei dem Wein, bei dem Wein»,

denkt wohl keiner der fröhlichen Sänger an den Chemismus des besungenen Edeltropfens. Er spürt aber, daß der Wein mehr ist als die Summe seiner chemischen Komponenten. Der Wein wird auch mit dem Auge getrunken, die Brillanz seiner Farbe wird mitgenossen, und das lustige Perlen der feinen Kohlensäurebläschen ist Augen- und Gaumenfreude; es ist aber auch Ausdruck des Weines innerer physikalisch-chemischen Verfassung. Wein lebt, reift, ermüdet und kann krank werden. Eine solche Erkrankung zeigt sich beim linden Wein. Der Wein schleicht sich lahm ins Glas, und auf der Zunge wirkt er lahm. Was ist geschehen? Weineigene, normalerweise recht erwünschte Mikroorganismen haben aus unbekannten Gründen ihre normalen Funktionen umgestellt; sie sind «abwegig» geworden. Statt starke Säuren in milde umzuwandeln, beginnen sie, fädige hochmolekulare Kohlehydratschleime abzusondern. In der im Keller ruhenden Flasche durchzieht ein feines Gitterwerk von Riesenmolekeln den ganzen Wein, es sind oft nur Hundertstel Gramm pro Liter. Im Maschenwerk dieses lockersten Molekelnetzes (Retikularsol) wird die Weinflüssigkeit ganz lose eingesponnen. Ihr Fließverhalten wird verändert, der Wein fließt gehemmt, ölig, und nicht mehr fröhlich plätschernd in das Glas. Der kranke Wein kann sich auf dem Lager wieder erholen, nur braucht es Zeit! Der Kellermeister weiß die Erholungszeit zu kürzen. Er gießt entweder die Flaschen zurück ins Faß, oder er bringt sie auf den Schütteltisch. Bei dieser mechanischen Behandlung

wird das feine Molekelnetz im linden Wein zerrissen, die Maschen lösen sich, der Wein wird frei. Aus den langgestreckten Wein-Hemizelluloseketten werden befreite Molekelknäuel, die langsam als Depot wegsedimentieren.

Größe und äußere Form sind morphologische Grundelemente, die uns vor allein beim Einzelteilchen interessieren. Ein drittes Element schiebt sich bei den höhern morphologischen Einheiten — in denen sich viele Einzelteilchen zum Verband vereinen — verstärkt in den Vordergrund: Es ist dies der Feinbau, die Innenarchitektur des Teilchenverbandes.

Aus Atomen, Ionen oder Molekeln wächst der Kristall heran. Symmetrie und Raumfüllung sind hier beherrschende Prinzipien. In der Agrikulturchemie finden sich viele Probleme, bei denen der Kristall-Feinbau entscheidend ist. Unsere Böden haben meist noch größere Gehalte chemisch unverwitterter, wenn auch oft feiner Gesteinskristalltrümmer. In deren feinmaschigen Kristallgittern sind oft die Hauptmengen der chemisch feststellbaren Pflanzennährstoffe für die Zukunft aufbewahrt; sie werden erst durch die Verwitterung erschlossen.

Die Eigenschaften der bodenkundlich und technisch wichtigen Tone hängen großteils vom Bauplan der Schichtebenengitter der hochdispersen Kriställchen ab. Die Schichtebenen der Tonkristalle können —abgesehen von deren chemischen Eigenarten — eng aufeinanderliegen (Kaolinitgruppe), oder weite Leerräume zwischen sich frei lassen (Montmorillonite). Diese letztgenannten Lockergitter zeigen innerkristalline Quellung: die Schichtebenen des Kristalls weichen bei Wasserzutritt weit auseinander und schließen sich beim Wasserentzug wiederum enger zusammen.

In diesen Zwischenschichträumen spielen sich gehemmt oder ziemlich frei — je nach der Raumfüllung — die Oberflächenreaktionen ab: Adsorptionen, Umtauschreaktionen, Hydratationen. Die an den innern Oberflächen sorbierten austauschbaren Ionen wirken ihrerseits zurück auf Quellbarkeit und plastisches Verhalten.

Neben der speziellen Eigenart wird auch das Ausmaß dieser Reaktionen und Eigenschaften durch den Feinbau weitgehend bestimmt.

Viele Objekte des Agrikulturchemikers sind nun von nicht periodischem, nicht kristallinem Bau. Hier kann man nicht mehr nach Symmetrien fragen, man frägt vermehrt nach den innern Dispersitäten. Die Frage nach der Raumfüllung dominiert. Bei solchen morphologischen Gebilden hat man äußere von innerer Dispersität zu unterscheiden. Zur Aussenoberfläche kommt die Innenoberfläche neu ins Spiel. Sind die Innenoberflächen für Wasserdipole, gelöste Ionen oder gar feinste Ultramikronen zugänglich, oder versperrt ein zu kompakter Bau deren Eintritt?

Wie in der Biologie die morphologische Einheit der Zelle der höhern Einheit dem Gewebe und dieses dem Organ untergeordnet ist und die Organe zusammen schließlich den Pflanzen- und Tierkörper bilden, so geht die morphologische Entwicklung in der Bodenkunde zunächst vorn Einzelteilchen zum feinen Koagulat und Krümel, weiter dann zum Krümelaggregat und schließlich zum Bodenhorizont. Die Bodenhorizonte bilden zusammen das eigentliche Bodenprofil.

Aus der morphologischen Betrachtung des Einzelprofils hat sich die vergleichende Bodenmorphologie entwickelt. Ihr verdankt man zum großen Teil die Kenntnisse von der Umwandlungsfähigkeit des Bodens, und sie vermittelt — zusammen mit chemischen und physikalischen Daten — die Grundlagen der modernen Bodensystematik.

Wir bezeichnen mit Georg Wiegner den Boden als polydisperses System. Der Boden ist von einem Netz von Poren und Kapillaren grober bis kolloider Dimensionen reich durchzogen; eine Riesenoberfläche bietet sich den chemischen Reaktionen dar. Polydispers ist der Boden in bezug auf seine Einzelteilchen: angströmdisperse, kolloide, fein- und grobdisperse Teilchen sind an seinem Aufbau beteiligt. Polydispers ist der Boden aber auch in der innern Architektur des Profils. Die Art, wie diese Einzelteilchen zusammengelagert

sind zum mehr oder weniger stabilen Bodengefüge, d. h. der Innenarchitektur des ganzen Profils oder auch nur eines Horizontes, ist entscheidend für Luft- und Wasserhaushalt des Bodens. Von der Packung des Bodengefüges ist auch die Zugänglichkeit der Oberfläche der Einzelteilchen abhängig, an der sich verschiedene chemische, physikalisch-chemische und biologisch-chemische Reaktionen abspielen. An deren Oberfläche sitzen die verschiedenen austauschbaren Ionen (H, Na, K, Mg, Ca, Mn, Al, Fe; Phosphat-, Sulfat-, Nitrat-, Chlorid- und OH-Ionen) mit wechselnder Haftfestigkeit und in verschiedener Menge. Die spezielle Zusammensetzung dieser lonengarnituren und die Zugänglichkeit zu ihnen entscheiden weitgehend über den Nährstoffzustand des Bodens und auch über die Art der Stabilität des Bodengefüges. Von der Innendispersität des Bodens hangen auch seine biologische Aktivität und seine Bearbeitbarkeit ab.

Die meisten Nahrungs- und Futtermittel sind komplizierte Gemische chemischer Verbindungen, und diese chemisch variablen Gemische sind in vielen Fällen nur am spezifischen Gewebecharakter — also morphologisch — in ihrer Herkunft und vielfach auch in ihrer Qualität bestimmbar. Die Bekömmlichkeit, die Appetitlichkeit, die Haltbarkeit und auch die Verdaulichkeit werden nicht nur durch die chemische Zusammensetzung entschieden, sondern sie hangen vielfältig von der räumlichen Verteilungsart der Nahrungskomponenten ab. Isolierte freigelegte Zellulose wird vom Pferd rascher verdaut als jene, die im Zellverband des Haferstrohs von Lignin- und Hemizellulosekitten umhüllt und eingeschlossen ist.

Bei der Fabrikation des Rübenzuckers besteht ein Teil der technischen Kunst darin, die auszulaugenden Rübenschnitzelchen mit möglichst großer Oberfläche und dennoch so formfest herzustellen, daß sie heim Diffusionsprozeß nicht zum Brei zerfallen.

Gleich Proteus können die meisten Objekte, die uns fachlich interessieren, ihre Gestalt verwandeln. Dieser Gestaltenwandel ist oft sichtbarer Ausdruck für ein unsichtbares und analytisch schwer- oder noch unfaßbares physikalisches, chemisches und biologisches Geschehen.

Dispersitätsgrad, äußere Form und innerer Feinbau sind morphologische Elemente, die in der Agrikulturchemie und in der Biologie oft nur den Charakter statistischer und darum noch veränderlicher Größen besitzen und sich häufig mir schwer einem klaren Wortbild fügen.

Der gute Morphologe braucht, außer dem wissenschaftlichen Rüstzeug und der Zahl und dem fixierenden Wort, beinahe ein künstlerisches Schauen!