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BACHOFEN ALS SCHRIFTSTELLER

Rektoratsrede

gehalten am 25. November 1949
von
Walter Muschg
Verlag Helbing &Lichtenhahn — Basel 1949

Druck von Friedrich Reinhardt AG., Basel

Hochansehnliche Versammlung!

Das zu Ende gehende Jahr hat unsere Universität um einen weitern Schritt von der Unsicherheit der Kriegsjahre entfernt. Die fast unlösbaren Probleme des Wiederaufbaus einer zerstörten Welt werfen allerdings ihre Schatten immer stärker auch in unser Land herein. Europa ist erfüllt von den Auseinandersetzungen über sie. Wie nach dem ersten Weltkrieg werden alle Einrichtungen und Überlieferungen in Frage gestellt; man sucht auch die Aufgabe der Hochschulen neu zu bestimmen und diskutiert über Vorschläge zur internationalen Organisation der Wissenschaft. Aber auch die Werke des Friedens, die eine Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft schlagen, können heute wieder in größerer Ruhe geschaffen werden. Auf diese, nicht auf die Sorgen des Tages, möchte ich Sie in dieser Stunde hinweisen.

I.

Sieht man sich in Basel nach solchen Werken um, so fällt der Blick auch auf die Gesamtausgabe der Schriften Johann Jakob Bachofens, die Karl Meuli in Verbindung mit einer Reihe von Gelehrten herausgibt. Die lange vergessenen Schriften dieses Forschers werden in kritisch gereinigter Form neu gedruckt und mit den notwendigen

Erläuterungen ausgestattet. Das Urteil über ihn erhält durch neue Materialien eine bessere Grundlage. Nach der Veröffentlichung der Briefe wird auch der Mensch Bachofen wenn auch keine vertraute oder gar populäre, so doch eine geschichtliche Gestalt geworden sein.

Damit schließt ein denkwürdiges Kapitel der modernen Literatur, zu dem auch der Literarhistoriker ein Wort zu sagen hat. Denn es waren junge Dichter und Literaten — unter ihnen Karl Wolfskehl, Stefan George und Ludwig Klages —, die um die Jahrhundertwende in München das "Mutterrecht"aufstöberten und als eine Offenbarung bewunderten. Wie so oft in der Literaturgeschichte — etwa bei der Entdeckung Jeremias Gotthelfs durch die Berliner Presse des Vormärz —gab ein Irrtum den Anstoß zu einer großen Entdeckung. Jene Schwabinger Freundesrunde berauschte sich an Bachofens Sprache und hörte aus ihr die Verherrlichung urzeitlicher Anarchie, den Ruf Nietzsches nach der verlorenen heidnischen Sinnlichkeit und Naivität. Der Basler Patrizier wurde als eine heilig rasende Sibylle angestaunt, aus deren Mund Urwissen redete. Diese Ansicht, die sich bald darauf ähnlich auch in der Verehrung des wahnsinnigen Hölderlin durchsetzte, entsprach einer Zeitstimmung und war die Brille, durch die Bachofen nun lange betrachtet wurde. Man entdeckte ihn auch im marxistischen Lager und nahm ihn wegen seiner Darstellung der Urgeschichte als einen Klassiker der kommunistischen Gesellschaftslehre in Anspruch. Erst Alfred Bäumler räumte in seiner Einleitung zu einer 1926 erschienenen Bachofen-Auswahl mit diesen Mißverständnissen auf, indem er Bachofens Zusammenhang mit der deutschen Romantik aufdeckte. Walther Rehm hat diese Abklärung durch literaturgeschichtliche Hinweise ergänzt. Wenn ich es unternehme, über Bachofen als

Schriftsteller zu sprechen, so liegt mir daran, das Grundsätzliche an seiner merkwürdigen posthumen Auferstehung hervorzuheben und zu erklären, was hier eigentlich geschehen ist.

Bachofen ist ein Schriftsteller hohen Ranges und gehört wie jeder bedeutende Historiker auch der Literaturgeschichte an. Seine Prosa hat ein einzigartiges Gepräge: durch ihren sprachlichen Reichtum, ihre stellenweise gewaltige Ausdruckskraft und eine glänzende Terminologie. Aber auch charakteristische Schwächen und Defekte haften diesem Schriftsteller an. Seine Hauptwerke sind sehr unvollkommen gestaltet, sie haben etwas Formloses und Improvisiertes. Nur einige kleinere Stücke sind überzeugend aus einem Guß geformt: die ausgearbeiteten Kapitel des Tagebuches von der Reise durch Griechenland, die kurze Selbstbiographie, die Vorreden zum "Mutterrecht" und zur "Sage von Tanaquil", das Büchlein über das lykische Volk und die knapp gefaßte, aber in einem unmöglichen Format publizierte "Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie". Die großen Werke leiden an einer Breite und maßlosen Überladenheit mit Zitaten und Verweisen, die sie auf weite Strecken fast unlesbar machen. Dieser Übelstand wird durch die mangelhafte Gliederung noch verschlimmert. In den acht gedruckten Kapiteln der "Griechischen Reise"findet sich ein einziges Alinea. Das "Mutterrecht" besteht aus 164 Paragraphen ohne Überschriften, und sein Titel ist im Grund irreführend. Am nachteiligsten wirkt das Fehlen eines klaren inneren Aufbaus, der mit Bachofens Arbeitsweise zusammenhängt. Meuli schildert anschaulich, wie das "Mutterrecht"durch immer neue Zusätze, Einschiebsel und Exkurse zu seiner jetzigen monströsen Mißgestalt aufgeschwellt wurde. Bachofen schrieb noch während des Druckes an ihm weiter und benützte

sogar das Register als Notdach für die letzten Nachträge. Er wurde mit seinem Thema nicht fertig; sein letztes Werk ist eine Umarbeitung des "Mutterrechts" auf einer riesig erweiterten Grundlage, die nicht mehr vollendet und nur bruchstückweise veröffentlicht wurde.

Diese Mängel der Form erklären für sich allein zur Genüge, warum Bachofen in Vergessenheit geriet. Es hat mit ihnen aber eine besondere Bewandtnis. Man darf sie schon deshalb nicht einfach negativ bewerten, weil sie seinen heutigen Ruhm mitbegründet haben. Sie gehören in das Bild seiner Persönlichkeit und müssen wie seine literarischen Vorzüge als ein Ausdruck seines Geistes verstanden werden.

II.

Diese Formlosigkeit ist zunächst romantisch; sie entspricht dem Gegenstand von Bachofens Forschungen, der gleichfalls romantisch ist. Er gehört zu den Männern, die der klassischen Auffassung des Altertums eine romantische Sicht gegenübergestellt haben. Seine Herkunft von Görres und Schelling, Creuzer und Karl Otfried Müller, Savigny und Jacob Grimm ist heute offenkundig. Man weiß auch, daß sich diese romantische Antike von der Lessings, Winckelmanns, Humboldts und des klassischen Goethe durch die Hervorhebung der "Nachtseite"am Griechentum unterscheidet. Der romantische Sinn für das Religiöse, Mysteriöse, Gestaltlose und Sprachlose bemächtigte sich auch der klassischen Ueberlieferung. Die antiken Tempel und Statuen, in denen man seit der Renaissance den alle Zerstörung überdauernden Sieg der Schönheit gesehen hatte, wurden in romantischen Augen wie die mittelalterlichen Ruinen zu Sinnbildern einer transzendenten

Wahrheit, die nur vom frommen Gefühl erfaßt werden konnte.

Für diese neue Anschauung des Altertums entstand seit der fünften Nachthymne des Novalis, seit Hölderlins "Archipelagus", seit Kleists "Amphitryon" und Goethes "Pandora"eine Sprache. Sie trat auch im zweiten Teil des "Faust", besonders im Helena-Akt und in der Mütterszene, hervor und beherrschte die ganze spätromantische Dichtung und Malerei. In der letzten romantischen Generation, die sich noch einmal vergeblich gegen den kritischen Geist der modernen Zeit auflehnte und durch den Gang der Weltereignisse in Untergangsstimmung und Todesmystik hineingetrieben wurde, steigerte sich diese Vision der Antike zu einer wunderbaren neuen Blüte. Mörikes letztes großes Gedicht, "Erinna an Sappho", ist ein Beispiel dafür.

In diesem Zeichen unternahm Bachofen 1851 seine Reise nach Griechenland. Der Bericht über seine strapazenreichen Ritte durch den Peloponnes atmet die gründliche Ruhe und Emphase der biedermeierlichen Epoche, die Bachofen nie abgelegt hat, und ist voller Ausfälle gegen den Ungeist der Gegenwart mit seinen verkehrten Begriffen von Freiheit, Fortschritt und Größe. Auf den Mauern von Mykene überwältigt den Fünfunddreißigjährigen das Rätsel der Vorzeit so sehr, daß er sein Antlitz verhüllen möchte vor Scham über sich und seine Zeit. Hier erlebt er das "Altertum des Altertums", das was jenseits aller Geschichte liegt, den Mythus. Wie für alle Romantiker ist ihm der Weg zurück in die Vergangenheit der Weg in Wunder und Geheimnis, in die verlorene Gottnähe einer reineren Menschheit. Er erkennt in der Urzeit, die "noch nicht aus der Harmonie der Schöpfung gewichen" ist, das unwiederbringlich Versunkene, das ihn mit einem

Schauder berührt. Er kommt zu der Ueberzeugung, daß nur der in jene archaische Ferne eindringen könne, der imstande sei, das moderne Denken von sich abzutun. "Wir müssen uns selbst aufgeben, um in sie zurückzukehren", versichert er. "Die Aneignung der Geschichte alter Zeit ist keine Verstandesoperation... Denn es steht mit solchen sprachlosen Resten der ältesten Zeit wie mit dem Sehen im Finstern: wer sich da zu sehr anstrengt, verliert am Ende ganz das Gesicht."

Diese Ergriffenheit war eine echt romantische Mischung aus dichterischem und religiösem Gefühl. Alle romantische Wissenschaft — man denke an den Naturforscher Goethe —hat diesen dichterisch-religiösen Zug, da sie ein "offenbares Geheimnis"aussprechen will. In der kurz darauf für Savigny verfaßten Selbstbiographie ruft Bachofen aus: "Wie wenige von unsern Grundanschauungen lassen sich aussprechen!", und er hat dieses Bekenntnis später wiederholt. Dieses Unaussprechliche, das ihn an den prähistorischen Denkmälern erschütterte, gibt seinen Aufzeichnungen eine dichterische Färbung. In der Selbstbiographie schreibt er: "Es gibt zwei Wege zu jeder Erkenntnis, den weitern, langsameren, mühsameren verständiger Kombination und den kürzern, der mit der Kraft und Schnelligkeit der Elektrizität durchschritten wird, den Weg der Phantasie, welche von dem Anblick und der unmittelbaren Berührung der alten Reste angeregt, ohne Mittelglieder das Wahre wie mit einem Schlage erfaßt. An Leben und Farbe ist das auf dem zweiten Wege Erworbene den Verstandesprodukten mächtig überlegen". Damit ist fraglos dasselbe gemeint, was Goethe das Sehen mit "Augen des Geistes"nannte, jenes intuitive Schauen mit allen Erkenntniskräften zugleich, nicht nur mit dem rechnenden Intellekt, das im Besondern das Allgemeine findet. Bachofen

verfährt als Archäologe ähnlich wie Goethe als Naturforscher. In der Vorrede zum "Mutterrecht"sagt er dann geradezu: "Die gynaikokratische Weltperiode ist in der Tat die Poesie der Geschichte".

Die erste reife Frucht dieses Schauens ist die Kunst der historischen Landschaftsschilderung, über die sich Bachofen in der "Griechischen Reise" und in seinen Beiträgen zu Gerlachs "Geschichte der Römer" ausweist. Die Natur interessiert ihn nur dort, wo sie Schauplatz weltgeschichtlicher, d. h. vorzeitlicher Erinnerungen ist, dort aber trifft sie ihn mit der Wucht einer Vision. Er sieht alles unter dem Gegensatz von Zeit und Ewigkeit. Das Ewige steht in den antiken Trümmern sichtbar vor ihm da und erregt in ihm eine verzehrende Sehnsucht, ein unstillbares Heimweh nach dem Ursprung. Es ist das Nichtmehrsein der alten Völker, was ihn am tiefsten ergreift. Dieses Geheimnis spricht zu ihm aus den Gräbern, aus der dunklen Erde, aus dem Reich des Todes. Er hat einen ihm ganz eigentümlichen Hang zum Tod, zu den Toten, hinter dem sich das noch ungelöste Rätsel seiner Person verbirgt. Darauf weist er selbst hin: "Die Reste vergangener Größe sprechen lauter zu Herz und Gemüt als die Herrlichkeit bestehender Macht, und ich glaube kaum, daß Korinth in all seiner Pracht meine Erwartung höher gespannt haben würde als das jetzige Städtchen mit seinen zweitausend Seelen und seinen schlechten hölzernen Wohnungen."

Das Mysterium des Todes liegt allem zugrunde, wenn Bachofen in einer Landschaft das Geheimnis der Jahrtausende darstellt. Die Natur verdunkelt sich wie in einem schwarzen Spiegel, ohne sich aber ins Krankhafte oder Dämonische zu verzerren, wie es bei den Romantikern so oft geschieht. "Alles Verhältnis der Dinge scheint umgekehrt.

Das Tote ist voll Leben, und was leben sollte, dem Tode ähnlich." Die Gegenwart erlischt zum nichtssagenden Vordergrund, der Mensch verschwindet, in magischen Farben strahlt der verborgene Sinn des Lebens auf dieser Erde auf. Wie in der romantischen Malerei wird der Standpunkt so gewählt, daß dieser Anblick der Unendlichkeit des "Ganzen", sagt Bachofen — möglichst wirkungsvoll zur Geltung kommt: vor dem Meereshorizont, vor dem Sonnenuntergang oder auf einem Berggipfel wie in der Schilderung der Rundsicht vom Monte Cavo auf die Campagna und die Sabinerberge.

Das schönste Beispiel dieser Stimmungsmalerei ist in der "Griechischen Reise"die Beschreibung des Besuches von Argos. Bachofen betritt die Argolis mit ihren urältesten Burghügeln in der Empfindung, als kehre er, wie Orestes, nach langer Irrfahrt in seine Heimat zurück. "Eine einzige Stunde in ihren Ruinen ist hinreichend, einem aufrichtigen Geiste die Richtung der heutigen Geschichtsforschung zum Ekel zu machen." Hier überfällt ihn das Ungeheure der Vorzeit wie nirgends. Im Untergang der Sonne über dieser Landschaft wird ihm das ewige Gesetz der Geschichte und seine eigene Berufung zum Geschichtschreiber klar. "Je tiefer die Sonne sank, desto zauberhafter gestaltete sich die große Ebene, die vor mir lag. Schatten und Licht verteilten sich in großen Partien, so daß ihr Gegensatz mächtig in die Augen fiel. Denn die Bergwand des Westens und Larissas hohe Burg lagen in tiefem Dunkel, während die Strahlen des sinkenden Gestirns mit dem Gold des Abends den ganzen Höhenzug von Mykene bis zum Felsen des Palamed übergossen. Und das gleiche Schauspiel bot die in der Mitte liegende Ebene. Denn groß und immer größer deckten die Schatten der Berge den westlichen Saum des Landes

und malten mit mächtigen, nirgends unterbrochenen Linien ihre Umrisse auf die schöne Fläche. Es ist eines der großartigsten Schauspiele, die schlanken Linien südlicher Gebirge unter den Schatten des Abends gleichsam ins Unendliche sich verlängern zu sehn. Immer mächtiger wurde die schwarze, immer schmäler die lichte Seite des weiten Planes. Es schien, als jagten die Schatten der Nacht die fliehenden Trümmer des Lichts siegreich vor sich her, wie der Orkan das flüchtige Gewölk, wenn bald der Regen losbricht. Aber durch die tiefen Einschnitte der westlichen Wand drang das Licht des unsichtbaren Gestirns immer noch in mächtigen Strahlenbündeln hervor und warf in das Dunkel der Ebene glänzende Streifen mitten hinein, ja bis hinüber auf den untersten Fuß des östlichen Gebirgs. So traf Tirynths niedern Hügel noch einmal der leuchtende Strahl. Die Ruinen erglühten für einen Augenblick und sanken dann, schnell wie die tauchende Möwe im Wasser verschwindet, in den Schoß der Finsternis, die alles begrub."

Man hat diese Schilderungen mit den griechischen Landschaften verglichen, die ungefähr gleichzeitig von Carl Rottmann zur Ausschmückung der Neuen Pinakothek in München gemalt wurden. Aber Bachofen gestaltet nicht historische Stimmungen und Reflexionen, sondern ein religiöses Erlebnis. Näher liegt der Hinweis auf die Landschaftskunst des jungen Adalbert Stifter: auf seine Beschreibung der Wiener Katakomben, die Bachofens Gräbermystik auch sachlich sehr nahe steht, oder die der totalen Sonnenfinsternis von 1842, deren Höhepunkt von Stifter so dargestellt wird: "Draußen weit über das Marchfeld hin lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide gräßlich gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnatürlich blau gesäumt; es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphäre, aber nie schien ein Licht so wenig irdisch

und so furchtbar... Hatte uns die frühere Eintönigkeit verödet, so waren wir jetzt erdrückt von Kraft und Glanz und Massen — unsere eigenen Gestalten hafteten darinnen wie schwarze, hohle Gespenster, die keine Tiefe haben; das Phantom der Stephanskirche hing in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles Rasseln hatte aufgehört, über die Brücke war keine Bewegung mehr; denn jeder Wagen und Reiter stand, und jedes Auge schaute zum Himmel — nie, nie werde ich jene zwei Minuten vergessen — es war die Ohnmacht eines Riesenkörpers, unserer Erde. Die Luft wurde kalt, empfindlich kalt, es fiel Tau, daß Kleider und Instrumente feucht waren — die Tiere entsetzten sich; was ist das schrecklichste Gewitter, es ist ein lärmender Trödel gegen diese todesstille Majestät —aber auch eine solche Erhabenheit, ich möchte sagen Gottesnähe war in der Erscheinung dieser zwei Minuten, daß dem Herzen nicht anders war, als er müsse irgendwo stehen."

III.

Bachofen ist Romantiker, aber sein Standort ist damit nicht genügend bestimmt. Er ist kein enthusiastisch Berauschter wie Görres oder Brentano, kein Träumer wie Novalis, kein Geisterseher wie Hoffmann. Er ist ein Geist von der Art Savignys und Jacob Grimms, deren andächtige Hingabe an die Dinge sie befähigte, als Forscher Großes zu leisten, aus der Spekulation zur Erkenntnis zu gelangen. Das lebenslange Nachsinnen über die antiken Gräber, dem sich Bachofen seit der Heimkehr aus Griechenland weihte, ist am ehesten mit Jacob Grimms ausdauernder Versenkung in die Spuren des germanischen Altertums zu vergleichen. Man muß die von 1854 datierte

Vorrede zum "Deutschen Wörterbuch" gelesen und sein Titelblatt betrachtet haben, auf dem ein Genius mit der Fackel die Inschrift "Im Anfang war das Wort" hält, um Bachofens Auftreten als Archäologe im richtigen Licht zu sehen. Grimm war eine priesterliche Natur, ein gläubig Schauender, der in jener Vorrede wie der Hüter eines Tempels zu den Völkern deutscher Zunge spricht. Auch dieser sakrale Anspruch ist romantisches Erbe. Aber nur Wenige verkörpern ihn so rein wie Grimm und Bachofen.

Auch in diesem bildete sich das Bewußtsein einer höheren Berufung aus, seitdem er —wie Jacob Grimm — von der Jurisprudenz zur Altertumswissenschaft übergegangen war. Er leugnete konsequent den Gegensatz von Glauben und Wissen, auf den die moderne Wissenschaft festgelegt ist, verteidigte den Glauben als eine unersetzliche Quelle der Erkenntnis und behandelte den Mythus, dieses Produkt des Glaubens, als ein unschätzbares Überlieferungsgut. Die Methoden der kritischen Geschichtswissenschaft, die davon nichts mehr wissen wollte, wurden von ihm bekämpft, und er warf ihren Meistern Niebuhr und Mommsen bürgerliche Beschränktheit und unfruchtbaren Skeptizismus vor, der den wesentlichen Inhalt der historischen Quellen nicht mehr zu fassen vermöge. Diese Gegnerschaft wurde ihm zum Schicksal. Ähnlich wie der Forscher Goethe, der ebenso unbeirrbar daran festhielt, daß der Glaube vom Wissen untrennbar sei, setzte er 'sich damit der Ablehnung durch die Fachwelt aus, aber auch gefährlichen Trugschlüssen in seinem eigensten Bezirk. Sein Werk ist, wie das Jacob Grimms und Goethes, aus Wahrheit und Irrtum gemischt. Aber auch in ihm war eine schauende Kraft, die ihn hellsichtig machte.

In diesem Werdegang spielte das Revolutionsjahr 1848 eine entscheidende Rolle. Bachofen dachte als Politiker ebenso reaktionär wie als Archäologe und stand seiner ganzen Zeit schroff ablehnend gegenüber. Nach seiner Überzeugung verdiente nur eine von Gott eingesetzte, vor Gott verantwortliche Regierung ihren Namen. Die Lehre von der Souveränität des Volkes und die andern bürgerlichen Ideale erschienen ihm als Absurditäten. Die allgemeine Volkswahl nennt er die "große Posse moderner Staatsweisheit", die Demokratie das Ende alles Guten. "Weil ich die Freiheit liebe, hasse ich die Demokratie." Die Verfassung von 1848 war ihm der Leichenstein auf dem Grab der Eidgenossenschaft, der Sieg der bösen Mächte über das Schweizervolk. "Auf dem Ruin des Herkommens in Staat und Leben erbaut der Radikalismus sein Reich." Die heilige Unantastbarkeit der Gesetze und Einrichtungen sei verloren, die Unbeständigkeit aller Dinge werde zum obersten Prinzip; der einzig mögliche Abschluß dieser Entwicklung sei der Cäsarismus, denn Politik heiße fortan Beherrschung der Masse. "Nur wer dieses Zauberwort besitzt, kann heute noch mit Erfolg das Staatssteuer lenken. Sollten ernstliche Angriffe die Diktatur bedrohen, so wird die große Masse losgelassen und der Bestie die Kette gelöst. Wer das verkennt, wird es erfahren und die verheerende Flut mit blinder Wut hereinbrechen sehen."

Anfänglich ließ er sich zum Kampf gegen die Sintflut hinreißen, indem er in Zeitungsartikeln zu einzelnen Ereignissen der Revolution Stellung nahm. "Wer es vermag, der erhebe seine Stimme, während es noch Zeit ist, und verteidige das Recht mit derselben Kraft, welche Tausende dem Unrechte widmen", erklärte er im Ton eines Rufers in der Wüste. Aber bald mußte er bekennen:

"Den Einbruch des ganzen Verhängnisses aufzuhalten, bedurfte es der politischen und sittlichen Regeneration Europas. Nie war man allgemeiner hievon überzeugt, nie weniger zum Werk entschlossen. Der Pessimismus ist das einzige, was noch Berechtigung hat."Zu diesem auf lange Sicht unternommenen Werk der sittlichen Erneuerung entschloß er sich nun. Die "Politischen Betrachtungen über das Staatsleben des römischen Volkes", in denen er nach dem Vorbild der Macchiavellischen "Discorsi"einige Grundbegriffe des antiken römischen Lebens den Begriffen der Revolution gegenübersteht, bilden den Übergang aus dem Journalismus in die Geschichtschreibung. Dieser machtvoll geschriebene, straff gebaute Traktat enthält sein politisches Bekenntnis in geschichtlicher Formulierung. Er beansprucht hier für sich das Recht, das Altertum "zu einer andern als zu enter rein gelehrten Unterhaltung"herbeizuziehen, nämlich zur "Darstellung der großen ewigen Grundlagen aller menschlichen Gesellschaft".

In der Selbstbiographie stellt Bachofen seinen zweiten Aufenthalt in Rom, der mit dem Ausbruch der Revolution zusammenfiel, als eine eigentliche Bekehrung dar. Seine bisherigen Studien seien ihm als wertlos erschienen, als eine zu geringe Nahrung für die Seele; das dringende Bedürfnis sei erwacht, durch die Schale hindurch zum Kern der Dinge zu kommen. Damals sei er in großer Gefahr gewesen, denn leicht hätte er "auf metaphysische Abwege geraten und die rechte Leuchte für immer aus dem Auge verlieren können". Die Erkenntnis der religiösen Grundlagen des antiken Lebens habe ihn aber auf den rechten Weg geführt. Seither ruhe er auf Zeiten und Dingen aus, "welche die Stille von Jahrtausenden umgibt". Im Hinblick auf die Zukunft der Universitäten

schreibt er da, es dürfte, "wenn die materielle Richtung, welche die Welt nimmt, zur Herrschaft gelangt, die Wissenschaft wieder ein Priestertum werden, das, staatlicher Unterstützung entbehrend, zu Privatmitteln und Privattätigkeit jeder Art seine Zuflucht nehmen muß".

Noch deutlicher wird er im Nachruf auf seinen 1857 verstorbenen Jugendfreund Wilhelm Streuber, der vielsagende Schlüsse auf ihn selbst zuläßt. "In den entscheidenden Augenblicken unseres Lebens handeln wir selten mit freier Selbstbestimmung", heißt es darin. "Was unser Werk zu sein scheint, ist in seinem letzten Grunde höhere Leitung. Wir glauben, unsern Beruf zu wählen, und werden in der Tat von ihm erwählt." Er spricht von der falschen Wissenschaft, von der Streuber sich voll Abscheu abgekehrt habe, nämlich jener, die sich für die höchsten Gegenstände nur insoweit interessiert, "als sie Stoff zur Anzweiflung, geistreicher Untersuchung und müßiger Dialektik liefern, der an allen Dingen der Rost besser gefällt als das edle Metall, die nicht die Sache, sondern nur sich selbst sucht". Als Zeichen der wahren Wissenschaft rühmt er dagegen das Ringen nach positiver Objektivität, das Zurücktreten der Person hinter die Sache, den Verzicht auf ehrgeizige Manieren, von denen allerdings das, "was wir Karriere nennen", meistens abhänge. Bei Streuber habe das Stückwerk des Wissens im Glauben seine Vollendung gefunden. Die schönste Frucht der Gelehrsamkeit, die Erkenntnis Gottes, sei ihm zuteil geworden. "Die schriftstellerische Tätigkeit", sagt er weiter, "findet ihre Rechtfertigung und ihre Bedeutung nicht allein und gar nicht hauptsächlich in der Wirkung, die sie nach außen hervorbringt; sie ist ein notwendiges Mittel eigener Vervollkommnung und durch nichts zu ersetzen. Die Vergänglichkeit literarischer Schöpfungen,

das kurze Gedächtnis, das auch den bedeutendsten unter ihnen beschieden ist, wären wohl geeignet, dem Gelehrten bei seiner Arbeit die Freudigkeit, bei seiner Mühe allen Trost zu rauben, läge nicht in der Vervollkommnung des eigenen Geistes das höchste, alle anderen überragende Ziel."

In den•Kunstgesprächen von Stifters gleichzeitig entstandenem "Nachsommer" wird der Sinn des künstlerischen Schaffens genau so umschrieben: der Künstler bringt sein Werk nicht für den allgemeinen Nutzen hervor, sondern zu Gottes Ehre und zu seiner eigenen Vervollkommnung. Auch Stifter war ein priesterlicher Geist, der seine Kunst als einen Gottesdienst auffaßte. Bachofens religiöse Erklärung des antiken Lebens war keine gelehrte Schrulle, sondern die Voraussetzung seiner wissenschaftlichen Arbeit. Das Priesterliche erscheint bei ihm wie bei Stifter nicht als äußerliche Gebärde, sondern in der Verhaltenheit, die der bürgerlichen Atmosphäre des neunzehnten Jahrhunderts und dem Lebensstil eines Basler Aristokraten entspricht. In dieser Verhüllung aber findet man bei ihm die wesentlichen Merkmale dieses zeitlosen geistigen Typus: den Glauben an eine unantastbare göttliche Weltordnung, die sich symbolisch in heiligen Bildern, Bräuchen und Einrichtungen darstellt; den gehorsamen Dienst an dieser ewigen Ordnung; die Trennung der Menschen in Geweihte und Ungeweihte. Der priesterliche Mensch handelt nicht aus seiner Person, sondern aus seinem höheren Auftrag. Ihm bringt er jedes Opfer; er lebt einsam und verkannt, wenn es sein muß, verzichtet auf ephemere Erfolge und strebt nach dauernder Wirkung über seinen Tod hinaus. Diese Unzeitgemäßheit ist es, die einem in der Vorrede zum "Mutterrecht"und in den andern großen Texten Bachofens entgegentritt.

Er hat den späten Ruhm, der ihm zuteil geworden ist, gewollt und bewußt vorbereitet; auch in diesem Punkt gleicht er stark einigen großen Dichtern seiner Zeit — Grillparzer, Stifter, Stendhal —, die in voller Absicht für die Nachwelt geschrieben haben. In der "Unsterblichkeitslehre" preist er mit Worten, die einem Bekenntnis gleichkommen, die pythagoräische Abkehr von den "mit Trug und Torheit erfüllten Menschen", die Verachtung des "törichten Haufens, der das Höchste nicht zu fassen vermag", die Liebe zur Schweigsamkeit und Verborgenheit, das Ringen um Reinheit und Vollendung.

Es war der Irrtum der Münchner Schwarmgeister, die Bachofen wieder entdeckten, daß sie ihn für einen ihresgleichen nahmen. Er ist kein Prophet, kein gottgesandter Empörer, sondern der Hüter überlieferter Heiligtümer. Die Geringschätzung, mit der er auf den tiefen Fall seiner Zeitgenossen blickt, ist frei von Hochmut und Fanatismus; sie ist die Überlegenheit des entsagenden, bewahrenden Priesters. Daß er die "Geburt der Tragödie"hochschätzte, mit welcher der junge Nietzsche seine Prophetenlaufbahn antrat, ist glaubhaft, aber ebenso glaubhaft sein späterer Bruch mit ihrem Verfasser.

Priesterliche Naturen sind sittliche Naturen. Sie urteilen moralisch, beziehen alles auf eine absolut gültige ethische Norm. Bachofen nennt die Geschichte den "Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen". In der "Griechischen Reise"bemerkt er, die einzig wertvolle, für alle Völker und Zeiten gültige Philosophie der Geschichte liege im Gegensatz zwischen der Herrschaft der bösen Lust und der Unterordnung unter ein göttliches Gesetz. Der Sieg Roms über alle Völker war in seinen Augen der Sieg einer höheren, sittlichen Idee: des Geistes über die Natur, des Vatertums über das Muttertum. Noch in der

Vorrede zur "Sage von Tanaquil"behauptet er, nur unter diesem Gesichtspunkt sei der Gang der Weltgeschichte vollständig zu würdigen. Die Ruinen Karthagos, Etruriens und Asiens verkündeten "den Untergang eines verurteilten Weltalters". Auch das glänzende Genie Griechenlands sei durch die sittliche Größe des römischen Charakters überwunden worden.

Zur priesterlichen Haltung gehört zu allen Zeiten, daß auch die Kunst dem Prinzip der Moral untergeordnet wird. Bachofen hält es für einen Vorzug des römischen Volkes, daß es fast keine dichterische, aber desto mehr religiöse Phantasie besessen habe. Die Betonung des Ästhetischen war für ihn ein Zeichen der Zerfallsepochen, die rein künstlerische Erklärung der antiken Denkmäler eine typisch moderne Unzulänglichkeit. Er spricht von der "Überschätzung untergeordneter Gesichtspunkte, zu welcher der Verkehr mit Kunstdenkmälern so leicht verführt". Daß die Sinnbilder des Altertums für uns "nur noch Poesie" seien, nicht mehr Offenbarung, darin sieht er die eigentliche Verirrung der kritischen Wissenschaft. Er selbst untersucht ja fast ausschließlich die religiöse Bedeutung der Werke und scheint für ihre Schönheit blind zu sein. Die Vase von Canosa, die er in der "Unsterblichkeitslehre" deutet, entlockt ihm den Satz: "Die Kunst hat weit vollkommenere Werke ins Dasein gerufen, aber höher als die Kunst stehen Reinheit und Tiefe des Geistes."

Ein solches Wort enthält den Schlüssel zum Verständnis der seltsamen Verbindung von Genialität und Versagen in seiner eigenen Schriftstellerei. Form und Stil eines Autors sind nichts schlechthin Gegebenes, sondern immer geistig bedingt; sie weisen über sich selbst hinaus und können deshalb nicht rein ästhetisch erfaßt werden.

Bei Bachofen liegt der Schwerpunkt des Schaffens im sittlich-religiösen Bewußtsein. Man muß die Schönheitsfehler seiner Bücher so betrachten, wie er die Vase von Canosa betrachtet: "Alle diese unleugbaren Unvollkommenheiten sind für uns ebenso viele Beweise, daß ein anderer als der künstlerische Gedanke die Anfertigung und Schmückung des Grabgefäßes bestimmte, daß mithin auch die Interpretation den Schlüssel des Verständnisses unmöglich in ästhetischen Rücksichten suchen darf."

Daran muß man sich auch erinnern, wenn man das Verhältnis zwischen Bachofen und Jacob Burckhardt sachlich würdigen will. Auch Burckhardt sagt in seinen autobiographischen Notizen, es habe sich bei ihm schon früh der Eindruck von der großen Hinfälligkeit und Unsicherheit alles Irdischen geltend gemacht und seine Auffassung der Dinge bestimmt. Aber seinem durchaus weltlichen, urbanen, männlichen Geist lag Bachofens Todesfeierlichkeit sehr fern. Er muß sie als zu wenig differenziert, als pfäffisch empfunden haben, während Bachofen ihm umgekehrt mit dem Mißtrauen des religiösen gegenüber dem ästhetischen Menschen begegnete. Er meide Burckhardts Vorlesungen, schreibt er 1858 einem Freund, weil es ihm rein unmöglich sei, ästhetische Ergüsse über Bauten und Landschaften über sich ergehen zu lassen.

Daß seine eigenen Bücher als Kunstwerke so weit hinter denen Burckhardts zurückstehen, ist die Folge dieses Wesensunterschieds, nicht eines Mehr oder Minder an literarischer Begabung. An seinen Werken fasziniert in erster Linie nicht der Glanz einer reich ausgebildeten, sich originell auslebenden Persönlichkeit — auch die Briefe werden davon viel weniger enthalten als etwa die Briefe Burckhardts oder Gottfried Kellers —, sondern der Tonfall seiner Stimme. Es ist der unpersönliche Ton

der Ergriffenheit, getragen vom Selbstgefühl eines einsamen Entdeckers. Bachofens Stimme bewegt sich in verschiedenen Tonlagen und Stärkegraden, ist aber im Grund immer dieselbe und besitzt einen geheimnisvollen Zauber, wie er keiner andern deutschen Prosa eigen ist.

In der Ruhelage schreibt Bachofen kurze Sätze, die oft aphoristisch zugeschliffen sind. Feststellung reiht sich an Feststellung, jeder Satz ist ein Gedanke. "Nenne die Gottheit, wie du willst. Sie bleibt immer anonym. Worauf es allein ankommt, ist daß der Topf sich beuge vor dem Töpfer, das Gemächte vor dem Schöpfer." Dieser lapidare Stil ist offenbar an antiken Vorbildern geschult, er erstrebt "jene Verbindung der höchsten Fülle mit dem höchsten Maße", die Bachofen an der Kunst des Altertums bewunderte. "Einfachheit, Größe, Gepräge der Ewigkeit, das sind die Kennzeichen, welche den Werken ältester Zeit aufgedrückt sind", sagt er in der "Griechischen Reise". Sein Wille zu absoluten Wertsetzungen verrät sich in den vielen sentenzenartigen Verallgemeinerungen und in der Vorliebe für apodiktische Aussagen, beispielsweise für jene gehäuften, meist dreifachen Negationen mit Nichts, Nirgends oder Niemand, denen man in seinen frühen und späten Schriften begegnet: "Nirgends läßt sich das System der Revolution besser verfolgen, nirgends ihr stufenweiser Fortschritt sicherer beurteilen, nirgends endlich liegen die Mittel des Umsturzes so unverhüllt vor unsern Augen." Unverkennbar ist auch die Neigung zu Superlativen, die durch Wiederholung noch gesteigert werden: "Auf den tiefsten, düstersten Stufen des menschlichen Daseins bildet die Liebe, welche die Mutter mit den Geburten ihres Leibes verbindet, den Lichtpunkt des Lebens, die einzige Erhellung der moralischen Finsternis, die einzige Wonne inmitten des tiefen Elends."

Dieser Monumentalstil behauptet sich aber nie lange, er geht immer wieder unmerklich in einen ganz andern über, den man Bachofens romantischen oder begeisterten Stil nennen kann. Er hat ausgesprochen musikalischen, lyrischen Charakter. Die Aussagen folgen sich hier nicht nach dem Gesetz des sachlichen Zusammenhangs oder der logischen Ableitung, sondern nach den Regeln der pathetischen Deklamation. Alle Mittel des hohen Pathos werden wirkungsvoll verwendet: die rein gefühlsmäßige Anordnung der Satzteile, die steigernde Wiederholung, verdeutlichende Parallelen, rhetorische Ausrufe und Fragen. Die starke musikalische Wirkung hängt mit dem Rhythmus und der Melodie der überlang gebauten, un. erschöpflich nachdrängenden Sätze zusammen. Diese Melodie fällt gleichmäßig und langsam gegen die Satzenden ab; ihre immer wiederkehrende Kadenz bringt die schwermütige Monotonie von Bachofens Prosa hervor, die der Ausdruck seiner Ergriffenheit ist. Oft tönt sie wie eine gesungene Litanei. "Unsicher, ein Wahn von kurzer Dauer ist alles menschliche Glück, ohne Wandel und Wanken nur allein die göttliche Liebe. Darum, o Sterblicher, vertraue Aphroditen, wie Adonis ihr vertraut. Eine erbarmungsreiche Mutter, im Tode eine feste Stütze wird sie dir sein." Die Wirkung dieses Tons wird noch verstärkt, wenn er sich mit dem Stilmittel der Wiederholung verbindet. "An das Weib knüpft sich die erste Erhebung des Menschengeschlechts, der erste Fortschritt zur Gesittung und zu einem geregelten Dasein, vorzüglich die erste religiöse Erziehung, an das Weib mithin der Genuß jedes höhern Gutes an. Sein Werk ist die ganze Gesittung, welche auf die erste Barbarei folgt; seine Gabe, wie das Leben, so auch alles, was dessen Wonne bildet; sein die erste Kenntnis der Naturkräfte, sein die Ahnung

und Zusicherung der den Todesschmerz besiegenden Hoffnung."

Schlechthin genial entfaltet sich Bachofens Sprache, wenn er religiöse Erscheinungen der Urzeit beschreibt. Seine schönsten Seiten sind den Stufen der mutterrechtlichen Frömmigkeit gewidmet: dem sinnlich wuchernden primitiven Hetärismus, der hehren Stille und Erhabenheit der demetrischen Mutterkulte und dem "heißen Tigerleben" der Dionysosreligion. Da trifft man eine erstaunliche Fülle neuer Wortbildungen, besonders zusammengesetzter Substantive und Adjektive von teilweise großer Schönheit; auch Gleichnisse und Metaphern fließen ihm sehr reich und eigenartig zu. Auch auf diesen Höhepunkten ist seine Sprache aber nicht episch-gegenständlich, sondern von gelehrter Abstraktion. Schon die vielen wissenschaftlichen Fremdwörter, ganz abgesehen von den formwidrigen Zitaten, bringen einen sehr starken rationalen Zug hinein. Auf weite Strecken sinkt die Darstellung in die graue Eintönigkeit antiquarischer Erörterungen ab, wo Bachofen sich in endlose Exkurse verliert und nichts mehr davon weiß, daß es eine Schönheit des Wortes gibt. Hört man jedoch genau hin, so vernimmt man auch in diesen ermüdend weitschweifigen, mit einem unendlichen Stoff kämpfenden Partien den Unterton, der verrät, daß hier ein von seiner Vision Erfüllter spricht. An den polemischen Stellen verfügt er über einen treffsicheren Hohn, wie ihn nur die große geistige Leidenschaft aufbringt. Immer kreist er um eine a priori gegebene Wahrheit, die im Grund nicht bewiesen, nur verkündet werden kann. Er will das Geheimnis des Daseins selbst aussprechen, woran Burckhardt auch in den "Weltgeschichtlichen Betrachtungen"nie gedacht hat.

IV.

Dagegen gibt es andere Schriftsteller, denen Bachofen darin gleicht und mit denen man ihn vergleichen muß. Sie finden sich nicht zuletzt in der schweizerischen Literatur. Die Unterordnung des Ästhetischen unter das Ethische ist ja der hervorstechende Charakterzug einiger ihrer großen Gestalten, die deshalb einen ebenso zweideutigen Ruhm genießen wie der Außenseiter Bachofen.

Ein Schriftsteller, der seine ganze Energie mit der Hingabe des Apostels der Rettung der Menschheit widmet, der besessen schreibend ein uferloses Lebenswerk produziert, ohne je ein einzelnes Buch von makelloser Gestalt hervorzubringen, so daß sich die Nachwelt den Gehalt seiner Schriften in Anthologien zugänglich machen muß: ein solcher Autor ist auch Pestalozzi — er zwar nicht konservativer Priester, sondern fanatischer Prophet, aber als solcher eben auch predigender Moralist. Der Gegensatz dieser beiden Personen könnte nicht größer sein, aber in ihrem Unvermögen, die Selbstherrlichkeit der Kunst anzuerkennen, stimmen sie überein. Das trifft auch für Jeremias Gotthelf zu, bei dem der Pfarrer dem Künstler oft so auffallend im Wege steht. Auch er will schreibend der Arzt seiner Zeit sein, auch er ist überzeugt, daß die Vergötterung der Kunst der Aberglaube einer zum Untergang reifen Epoche sei. So kommt es, daß er von den einen neben Homer gestellt, von den andern als Dilettant belächelt wird. Bei Beiden, Pestalozzi und Gotthelf, finden sich Anzeichen einer literarischen Unkultur, die den Herausgeber ihrer Werke vor ähnlich schwierige Fragen stellt wie den Herausgeber Bachofens.

Die Verwandtschaft besteht aber nicht nur in der Form, sondern auch im Inhalt ihres Lebenswerks. Bachofens

Forschung hat ein Grundthema, das sie als ihr Orgelpunkt ebenso vernehmlich durchzieht wie jener Grundton seine Prosa. Es ist die Idee des Muttertums. Er hat die Religion der Mütterlichkeit — von ihren dämonischen Ursprüngen bis zu den dekadenten Schwärmereien um den "Frauengott" Dionysos — als einen ganzen vergessenen Mythus des Weiblichen ans Licht gezogen und dargestellt, und er war ohne Zweifel dazu nur deshalb imstande, weil das weibliche, mütterliche Empfinden in ihm eine Macht war. Dasselbe ist von Pestalozzi schon oft gesagt worden. Dieser hat nicht nur in seiner Gertrud ein unvergängliches Mutterbild geschaffen, sondern in der Liebe der Mutter zum Kinde die Grundkraft der Erziehung, die Grundlage der Kultur gesehen und selbst das Leben einer sich opfernden Mutter geführt. Die dichterische Gestaltung dieses Gedankens hat Gotthelf vollendet. Wohl kein Dichter feiert die Mutter so wie er. Gotthelfs Frauengestalten stellen das Weibliche in unzähligen Schattierungen von der Hexe bis zur Heiligen dar, aber immer hat er das Mütterliche des Weibes im Auge. Ihm verdankt man so einzigartige Figuren wie Anne Bäbi Jowäger oder die Großmutter Käthi, in denen sich Bachofens Mutterreligion mit ihrem Licht und Dunkel noch einmal verkörpert zu haben scheint.

Bachofen und Gotthelf stehen sich nicht nur in diesem Grundthema nahe. Der Berner deckt sich ja auch in seinem politischen Denken ganz mit dem erzkonservativen Basler. Noch mehr: jener Sinn für das "Ozeanische"des Lebens, der Bachofens Einstellung zur Geschichte bestimmt, macht auch Gotthelfs Größe als Dichter aus und äußert sich bei Beiden oft überraschend ähnlich. Die Vorrede zur "Sage von Tanaquil"gipfelt in der Feststellung, daß in der Vergangenheit nichts isoliert betrachtet werden dürfe, "weil

auf Erden nichts in Isolierung besteht noch je zu bestehen vermochte, alles aus dem Zusammenhang mit der übrigen Menschheit Herausgerissene notwendig verkümmert und es in der Geschichte überhaupt nichts Absolutes, sondern nur Relatives gibt und geben kann". Im "Anne Bäbi Jowäger" erklärt Gotthelf, "daß es auf Erden kein System gibt, weder ein geistliches noch ein medizinisches, das absolut genommen einen Kreuzer wert ist, daß auf Erden alles relativ ist, das heißt sich modem muß nach Natur und Lebensweise, nach Kraft und Schwäche, nach Wärme und Kälte, nach Fleisch und Erdäpfeln, nach Milch und Wein, nach hunderterlei andern Dingen noch".

Vor allem ist Gotthelf ja ein letztes großes Beispiel sakralen Dichtertums in einem ganz undogmatischen Sinn. Seine Erzählungen dienen der Seelsorge, er hat sie zur geistlichen Erbauung der Menschen, um ihres Seelenheils willen geschrieben und die Schönheit oft genug dieser Absicht aufgeopfert. Den sakralen Charakter seiner Kunst zeigt unter allen seinen Werken wohl die Erzählung "Geld und Geist" am reinsten, jene große religiöse Dichtung, die sich als Verherrlichung der Mutterliebe wie eine dichterische Erfüllung neben Bachofens Gedankenwelt stellt. Im "Mutterrecht"heißt es von Demeter und ihrer Verbindung mit. einem sterblichen Mann: "Die Mutter ist früher als der Sohn ... Das Weib geht voran, der Mann folgt; das Weib ist früher, der Mann steht zu ihr im Sohnesverhältnis; das Weib ist das Gegebene, der Mann das aus ihr erst Gewordene. Er gehört der sichtbaren, aber stets wechselnden Schöpfung an; er kommt nur in sterblicher Gestalt zum Dasein. Von Anfang an vorhanden, gegeben, unwandelbar ist nur das Weib; geworden, und darum stetem Untergang verfallen, der Mann."In "Geld und Geist"steht über das Verhältnis der Geschlechter: "Das ist ein Eigentümliches,

daß der Mann so einfach und meist in eigenem Zeuge von den Füßen bis an den Hut dahergeht, während das Weib so manchen Neutaler am Leibe trägt, dunkel daherkommt in Guttuch, der Mann in hellem Halblein prangt oder höchstens in hellem Mitteltuche. Es ist, als ob das Weib der dunkle Grund wäre, auf dem im Vordergrunde der helle Mann hin- und hergeht, aber vom dunkeln Grunde gehoben und getragen." Das Sohnesverhältnis des Mannes zum Weibe, das Gotthelfs ganzer Anschauung der Menschenwelt zugrunde liegt, steht als Liebe zwischen Mutter und Sohn im Mittelpunkt von "Geld und Geist". Die von Bachofen betonte Verbindung des Muttertums mit dem Todesgedanken erscheint am Schluß des Romans, wo die Bäuerin Änneli in der Herbstfeier des Bettags von Todesahnung überschattet zur Kirche geht und Gotthelf die Menschheit als eine große Heeressäule schildert, die dem Grab entgegenwandert.

Ludwig Klages und nach ihm Andere haben in Bachofen einen paradoxen Widerspruch zwischen seinem Verständnis für das Heidnische und seinem Bekenntnis zum Christentum zu finden geglaubt. Bachofen läßt keinen Zweifel daran übrig, daß das heidnische Muttertum schließlich zu Recht dem römischen Vatertum und der christlichen Geistigkeit unterlegen sei. Ähnlich äußert sich Jacob Grimm über die Christianisierung der Germanen, und auch ihm gegenüber wurde der Vorwurf der Inkonsequenz erhoben. Schon Bäumler hat dagegen festgestellt, das Verständnis Bachofens werde sich immer daran erweisen, wie es diesen scheinbaren Bruch zwischen protestantischer Gläubigkeit und heidnischem Forschungsobjekt aufhebe. Was damit gemeint ist, zeigt am besten wieder Gotthelf. Auch bei ihm springt dieser Gegensatz in die Augen. Er ist nicht der naive Naturbursche, als

den ihn einst die Jungdeutschen auf den Schild erhoben, um ihn wieder fallen zu lassen, als sie sein Christentum entdeckten. Seine Größe liegt vielmehr darin, daß und wie er die Spannung zwischen elementarer Sinnlichkeit und christlicher Innerlichkeit auszugleichen vermochte. Diese "Versöhnung"ist das Thema von "Geld und Geist". Jener stille Sonntagnachmittag vor Pfingsten, wo Anneli im Glanz des Frühlings erkennt, daß alle Schönheit der Welt und alles menschliche Glück aus der Vereinigung von Himmel und Erde stamme, wo die schlichte Bäuerin aus dieser Erkenntnis die Kraft zur Überwindung des Unfriedens in ihrem Hause schöpft — diese Szene ist erfüllt von einer wahrhaft urchristlichen Stimmung, von einer Sehnsucht nach Heiligung, die auch aus Bachofens Beschreibung und Erklärung der antiken Mysterien spricht. Auch bei ihm muß man ein überaus fruchtbares inneres Kräftespiel zwischen seiner sinnlichen und seiner geistigen, seiner mütterlichen und seiner väterlichen Wesenshälfte vermuten. Vielleicht ist es so, daß überhaupt nur ein gläubiger Christ imstande war, sich so wie er in die archaische Frömmigkeit zurückzutasten. Einen Anhaltspunkt dafür bietet Gotthelfs "Schwarze Spinne", die wir deshalb für ein Meisterwerk halten, weil sie das Heidnische und das Christliche überzeugend zur Einheit bindet, den Dämon befreit, aber ihn auch wieder bezwingt.

Mit einer andern bedeutenden Gestalt der schweizerischen Literatur, mit Conrad Ferdinand Meyer, teilt Bachofen die patrizische Abkunft. Der Zürcher Dichter hat pathologische Züge, die Bachofen durchaus fehlen. Sieht man aber auf die Gründe seiner schweren Jugendkrise, die bei Bachofen nur angedeutet ist, und auf die Konflikte, die ihn als Mann beschäftigten, so stößt man auch hier auf Berührungen, die geeignet sind, auf Bachofens

Inneres ein Licht zu werfen. Meyer besaß dieselbe hochempfindliche, zur Melancholie neigende Art des vornehmen Spätlings wie sein Basler Zeitgenosse. Wie dieser verheiratete er sich erst als Fünfzigjähriger, weil die Mutter ihn seelisch beherrschte, blieb aber in der Rolle des einsamen Sonderlings, weil sein Künstlertum ihn dauernd von den Menschen entfernte. Der Gegensatz zwischen seiner Phantasiewelt und seinem äußeren Leben als Angehöriger der aristokratischen Gesellschaft war wie bei Bachofen fast unbegreiflich groß. Zehn Jahre nach diesem, 1858, erlebte Meyer in den römischen Museen vor Michelangelo und den Malereien der Renaissance die Erschütterung durch die klassische Kunst, die den Dichter in ihm weckte: den Sinn für Größe, für das Monumentale im Gegensatz zum Bürgerlichen, für den Abstand zwischen heroischer und profaner Existenz. Seither wuchs er in ein priesterliches Bewußtsein der Unzeitgemäßheit hinein, das nicht wie bei Gotthelf kämpferisch-volkstümlich, sondern wie bei Bachofen und Stifter auf Resignation gestimmt war. Jene Strophen, in denen er sein Künstlertum mit dem Dienst der Vestalin vergleicht, die als Wächterin der heiligen Flamme bestellt ist, enthalten nicht nur ein stimmungsvolles Gleichnis, sondern eine Wahrheit von furchtbarem Ernst, der sich in der Folge an ihm bestätigte:

Und ich hüte sie mit heilger Scheue,
Daß sie brenne rein und ungekränkt;
Denn ich weiß, es wird der ungetreue
Wächter lebend in die Gruft versenkt.

Meyers Priestertum galt der reinen Kunst, die Bachofen nicht gelten ließ, und auch die Todesgefahr, mit der es für diesen Dichter verbunden war, scheint der Gelehrte nicht zu kennen. Aber gerade der alles verdunkelnde

Ernst des Todesgedankens ist Beiden gemeinsam, und er ist ohne Zweifel notwendig mit ihrer priesterlichen Haltung verbunden. Bei Meyer entwickelte sich aus dem Schönheitsglauben eine Spannung zwischen heidnischem und christlichem Denken, aus der er als Dichter seine ganze Kraft zog. Auch er sieht einen Kampf zwischen chthonischen und uranischen Göttern, zwischen der dämonischen Unterwelt und dem olympischen Lichtreich. Als frommer Calvinist schildert er das zügellose, verbrecherische Menschentum der Renaissance, wie Bachofen die orgiastischen Wonnen und Schmerzen der "in die Realität des Lebens versenkten dionysischen Sinnlichkeit", und konfrontiert es wie dieser mit dem Ideal der Askese. Immer wieder gestaltet er den Glanz des todgeweihten Lebens, seine Hybris und seinen Sturz ins Dunkel, aus dem der "Chor der Toten"herübertönt.

Jene Vestalin ist eine Figur aus dem Bereich des antiken Kultlebens, dem Bachofens Lebensarbeit gilt. Die Antike liegt am Rand von Meyers dichterischer Gestaltenwelt. Aber in der Gruppe seiner antikisierenden Gedichte, dem Niederschlag seiner Begegnung mit dem heidnischen Rom, steht man den Gedanken, Bildern und Stimmungen Bachofens so nahe wie vielleicht nirgends. Denn auch Meyer sieht als frommer Christ das Altertum vorwiegend in der Perspektive der Mysterien, der Todesahnung und der Erlösungssehnsucht. Wie bei Bachofen klingen "des Todes Schlummerflöten"in das Bacchusfest der bekränzten Lebenslust, wie dort erscheint die "Gegeißelte Psyche"als das Sinnbild der Läuterung zur Unsterblichkeit. Das Gedicht "Der tote Achill"beschreibt ein marmornes Sarkophagrelief im Vatikan: Thetis fährt, mit dem Haupt des toten Sohnes im Schoß, durchs Meer; den Muschelwagen begleiten Tritonen, Delphine und Nereiden, die mit

den Waffen des Helden spielen, und der Dichter befragt diesen:

Pelide, sprich! Was ist der Tod? Wohin die Fahrt?

Alle Antworten, die er dem Toten in den Mund legt, genügen ihm nicht, das Rätsel des Lebens bleibt ungelöst:

Er schweigt! Er schweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläst Sein Muschelhorn, daß leis und dumpf der Marmor schallt.

Diese Szene stellt Meyers Todespoesie so vollendet dar, daß der klügste aller seiner Kommentatoren, Baumgarten, behauptet, das Relief sei eine Erfindung von Meyers Phantasie. Es handelt sich aber offenbar um einen der Nereidenzüge, die Bachofen in der "Unsterblichkeitslehre" als Darstellungen der Seligkeit ausführlich beschreibt. Auch das Titelblatt des "Mutterrechts" schmückt die Wiedergabe eines Reliefs, auf dem Thetis mit den Waffen des Achill, über den Tod ihres Sohnes trauernd, dargestellt ist und das Bachofen als den vollständigen Ausdruck mutterrechtlichen Denkens bezeichnet.

Noch manche andere Gestalt aus der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, nicht nur der deutschen, wäre als Beweis dafür zu nennen, daß er mit seiner Vision des Altertums in der modernen Geistesgeschichte nicht allein steht. Daß dabei Dichter eine wesentliche Rolle spielen, bestätigt den intuitiven Grundzug seines Forschens, zeigt aber auch, daß seine Bedeutung, wie einst die Winckelmanns, weit über die Grenzen der Archäologie hinausreicht. Hier in. Basel drängt sich, wenn sein Name genannt wird, zuerst und zuletzt der Gedanke an Jacob Burckhardt auf und damit die Erkenntnis, daß jeder Große einzigartig ist. Diese beiden erlesenen Geister stehen sich im engen Raum ihrer Stadt so fremd gegenüber, daß man sich scheut, ihre Namen in einem Atemzug zu nennen.

Welche Antipoden sie sind, ermißt man daran, daß dieselbe Generation, die Bachofens Bedeutung zuerst erkannt hat, Burckhardt als Repräsentanten einer überlebten Bürgerlichkeit abzutun versucht. Die Wagschale des Historikers stieg automatisch, als die des Mythologen sich senkte. Es ist dasselbe Wechselspiel des Ruhmes wie zwischen Schiller und Goethe, Rembrandt und Rubens. In Wahrheit sind sie sich ebenbürtig, denn jeder stellt eine Grundform menschlichen Erkennens dar. Das Maß, mit dem Bachofen gemessen sein will, hat er selbst in dem echt romantischen, echt priesterlichen Wort angegeben, das er einmal über seine "Gräbersymbolik"schrieb: "Nicht nach dem Resultat, sondern nach dem Streben möchte ich gerichtet sein."