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Probleme der Bibelübersetzung

Rektoratsrede

von Prof. Dr. A. E. Rüthy
VERLAG PAUL HAUPT BERN 1959

Printed in Switzerland
Copyright 1959 by Paul Haupt, Berne
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Paul Haupt, Bern

Probleme der Bibelübersetzung

Rektoratsrede 1958

Die grosse Mehrzahl der Bibelleser liest die Heilige Schrift in einer Übersetzung. Das bedeutet, dass für sie an die Stelle des einen Urtextes eine Vielzahl von Übersetzungstexten getreten ist, nicht nur deshalb, weil der Sprachen so viele sind, in denen die Bibel gelesen wird, sondern auch weil innerhalb der wichtigeren Kultursprachen eine oft beträchtliche Auswahl an Übersetzungen besteht, die sich ständig vermehrt. Eine praktische Einschränkung geschieht allerdings dadurch, dass für die Angehörigen weiter Konfessions- und Sprachgebiete eine bestimmte Übersetzung den Vorrang hat, sei es aus historischen Gründen oder durch kirchenamtliche Verfügung. So ist für den überwiegenden Teil des deutschsprachigen Protestantismus die Übersetzung Martin Luthers die «deutsche Bibel» schlechthin, während die Anglikaner ihre «Authorized Version», die niederländischen Reformierten ihre «Statenbijbel» besitzen, wozu indessen gleich anzumerken ist, dass diese Übersetzungen heute nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt gedruckt und gelesen werden, sondern in zum Teil mehrfach revidierter Fassung. Dabei wurden zum Beispiel in der Lutherbibel nicht nur veraltete Schreibungen und Wortformen modernisiert und unverständlich gewordene Ausdrücke ersetzt, sondern auch manche als unrichtig erkannten Wiedergaben des Urtextes korrigiert.

Dem Bibelleser stellt sich nun die Frage: Welches ist denn die richtige Übersetzung unter den vielen, die angeboten werden?

Und diese Frage hat hier ihre ganz besondere Dringlichkeit, handelt es sich doch bei der Heiligen Schrift nicht bloss um ein Werk der schönen Literatur, an dessen Genuss auch der der Ursprache Unkundige eben durch das Mittel der Übersetzung seinen Anteil bekommen soll. Für den Gläubigen ist sie ein verpflichtender Text, den er nicht in freier Nachgestaltung, sondern in möglichst getreuer Wiedergabe vor sich haben will. Mit einer noch so genialen Nachdichtung biblischer Texte ist ihm nicht geholfen, mögen auch manche Teile der Bibel, wie etwa die Psalmen oder das Buch Hiob, noch so sehr dazu anreizen. Was er wünscht, ist eine Übersetzung, die jedes Wort genau und richtig wiedergibt, gewissermassen eine Photographie des Urtextes, die diesen auch in gewechseltem Sprachgewand bis ins Einzelne sichtbar macht.

Ist aber eine solche Übersetzung überhaupt möglich? Da müssen wir gleich die Frage angehen: wie kommt eigentlich eine Bibelübersetzung zustande? Das Rezept scheint einfach zu sein: man nehme ein Wörterbuch und schlage nach, ein Wort ums andere. Allein bei solchem Zusammensetzspiel können wir bald in Verlegenheit geraten, beispielsweise wenn uns das Lexikon zu einer seltenen hebräischen Vokabel die wenig hilfreiche Auskunft bietet: «unerklärt». Das zeigt uns, vor allem in Hinsicht auf den Wortschatz des Alten Testaments, wie mangelhaft unsere Kenntnisse hier trotz aller gelehrten Bemühung noch sind

Woher kennen wir überhaupt die Bedeutung der einzelnen Wörter zum Beispiel des hebräischen Urtextes? Die Wörterbücher sind ja hierfür keine eigentlichen Quellen, sondern bloss eine Registratur unserer Kenntnisse und vielfach auch unserer blossen Vermutungen. Die Mehrzahl der Vokabeln kommt allerdings häufig genug vor, um an ihrer Bedeutung keinen Zweifel übrig zu lassen. Viele von ihnen könnten auch

ohne weiteres aus den anderen semitischen Sprachen erschlossen werden. Anders liegen die Dinge bei sich selten oder gar nur einmal vorfindenden Wörtern. Für manche von diesen liegt freilich eine zuverlässige Übersetzungstradition vor, die wir noch heute gelten lassen können. Bei anderen waren schon die ältesten Bibelübersetzer unsicher und wußten mit ihnen nichts Rechtes anzufangen. In manchen Fällen haben dies die Schöpfer der noch in vorchristliche Zeit zurückreichenden griechischen Übertragung des Alten Testaments, der Septuaginta offen eingestanden, indem sie auf eine Übersetzung verzichteten und einfach das hebräische Wort, mit griechischen Buchstaben geschrieben, im Text stehen liessen.

Nun kann es ja den meisten Bibellesern recht unwichtig vorkommen, was für ein Mineral zum Beispiel der nach der Beschreibung der vier Paradiesflüsse in Gen. 2, 12 im Lande Hawila zu findende Schoham-Stein sei, und sie werden die Auseinandersetzung darüber getrost einigen Spezialisten überlassen. Vielfach trägt aber doch die genaue Erfassung solcher Realien einiges bei zum Verständnis des Bibelwortes, und damit ist der Übersetzer auch in derartigen Einzelheiten zu möglichster Präzision gehalten.

An den beiden Stellen Ps. 83, 14 und Jes. 17, 13 lesen wir in ganz ähnlichem Zusammenhang das hebräische Wort galgal. Das eine Mal heißt es: «Mein Gott, mache sie (die Feinde Gottes) wie den galgal, wie Stoppeln vor dem Winde» —und das andere Mal: «Sie (die Völker) werden gejagt wie Spreu auf den Bergen vor dem Winde und wie ein galgal vor dem Sturm.» Galgal bedeutet sonst das Rad, und so gibt es auch die Septuaginta mit wieder. Der griechische Übersetzer des Jesaja-Buches hat aber gemerkt, dass «wie ein Rad vor dem Sturm» keinen rechten Sinn gibt, und so schrieb er erläuternd «wie Staub eines Rades» und dachte offenbar

dabei an den von einem Wagenrade aufgewirbelten Staub. Die Vulgata folgt in Ps. 83 der Septuaginta, in Jes. 17 aber sagt sie mit abweichender Deutung von galgal: sicut turbo coram tempestate «wie, ein Wirbel vor dem Sturm», womit anscheinend ein Luftwirbel gemeint ist. In Wirklichkeit handelt es sich aber um eine charakteristische Erscheinung aus dem Pflanzenleben Palästinas, nämlich um sogenannte Windhexen oder Rollpflanzen, die sich kugelig zusammenrollen und dann vom Winde fortgetrieben werden, wofür vor allem die Distelart Gundelia Tournefortii in Frage kommt. So gewinnt das Bild beträchtlich an Anschaulichkeit und erhält zugleich sein Lokalkolorit.

Nun kann man natürlich in eine Bibelübersetzung keine wissenschaftlichen Pflanzennamen einführen und etwa übersetzen «wie eine Gundelia vor dem Sturm». Besser ist es, dafür einen umschreibenden Ausdruck einzusetzen wie «Radkraut» (Gunkel) oder «Räderpflanzen» (Procksch). Nicht vorkommen dürfte es aber, dass das eine und selbe Wort galgal an den beiden genannten Stellen verschieden wiedergegeben wird. Dass dies in Bibelwerken geschieht, an denen mehrere Übersetzer beteiligt sind, ist noch entschuldbar. So etwa in der von Kautzsch-Bertholet herausgegebenen «Heiligen Schrift des Alten Testaments», wo wir in Jes. 17 lesen «wie (Pflanzen-)Räder vor der Windsbraut» (Guthe), in Ps. 83 aber «wie rollend Laub» (Bertholet); oder in der katholischen Echter-Bibel hier «wie rollendes Laub vor dem Sturm» (Ziegler) und dort «wie wirbelnden Staub» (Nötscher). Bedauerlicher ist es, wenn derlei Unstimmigkeiten auch dort vorkommen, wo ein einziger Übersetzer am Werke ist, selbst in sonst so hervorragenden Übertragungen wie der Zürcher Bibel oder derjenigen des bekannten Philologen Hermann Menge. In der ersteren steht an der Jesaja-Stelle «wie ein Staubwirbel vor der Windsbraut» neben «wie Spreu» in Ps. 83; bei letzterem «wie wirbelnder

Staub vor dem Sturm» neben «gleich dem verwehten Laub». Es ist merkwürdig, wie der schon in der Septuaginta festgestellte Unterschied in der Wiedergabe von galgal bis in die modernen Übersetzungen nachwirkt.

Wenn wir bei dem eben angeführten Beispiel fordern mussten dass derselbe Ausdruck auch stets gleich wiedergegeben werde, so fragt es sich nun: ist dieser Grundsatz so zu verallgemeinern, dass demselben Wort des Urtextes immer und überall dasselbe Übersetzungswort zu entsprechen hat? Das Ergebnis wäre dann die sogenannte konkordante Übersetzung. Sie böte den Vorteil größter Durchsichtigkeit gegenüber dem Urtext, indem aus ihr genau abgelesen werden könnte, welches hebräische bzw. griechische Wort jeweilen dahinter steht. Darüber hat Prof. Wilhelm Michaelis in seiner interessanten Schrift «Übersetzungen, Konkordanzen und konkordante Übersetzung des Neuen Testaments» ausführlich gehandelt. Für das Alte Testament stellen sich natürlich dieselben Fragen, nur dass sie wegen der grösseren sprachlichen Distanz zwischen Urtext und Übersetzung noch schwieriger werden.

Einer praktischen Anwendung solcher Übersetzungsmethode begegnen wir bereits im 2. Jahrhundert nach Christus. Da hat ein jüdischer Proselyt namens Aquila eine neue griechische Übersetzung des Alten Testaments geschaffen, bei der er streng darauf hielt, dass jedem hebräischen Wort, selbst jeder Partikel, immer das gleiche griechische Wort entsprach. Darüber hinaus führte er aber auch das etymologische Prinzip ein, wie schon Hieronymus festgestellt hat: «Non solum verba, sed etymologias quoque verborum transferre conatus est» (Ep. ad Pamm. 11). Das heisst: er suchte alle hebräischen Vokabeln, die von derselben Wurzel abgeleitet sind, auch durch Wörter von der gleichen griechischen Wurzel wiederzugeben. Das Resultat dieser mit größter Akribie durchgeführten, uns allerdings

nur fragmentarisch erhaltenen Arbeit war nun ein in ganz unmöglichem Griechisch abgefaßter Übersetzungstext, der nur dem Kenner des Hebräischen verständlich ist. Statt mich hier auf Einzelnes einzulassen, verweise ich auf die bereits erwähnte Schrift von Prof. Michaelis, der ich manche Anregung für die vorliegende Arbeit verdanke.

Die strikte Durchführung einer solchen punktuellen Übersetzungsmethode würde bedeuten, dass man zunächst für jede im Urtext vorkommende Vokabel das entsprechende Übersetzungswort ein für alle Male festlegen und daraus mosaikartig den Übersetzungstext bilden würde. Dem stellt sich aber zweierlei entgegen. Erstens einmal müsste dann die Voraussetzung gelten, dass der Bedeutungsbereich des Grundwortes und des Übersetzungswortes immer derselbe sei. Wie aber schon das einfache Beispiel des französischen Wortes homme zeigt, das bald durch «Mann», bald durch «Mensch» wiederzugeben ist, ist das keineswegs der Fall. Die Bedeutungsbereiche der Wörter in der einen und in der anderen Sprache entsprechen durchaus nicht immer zwei sich deckenden Kreisen; ja, sie gleichen nicht einmal immer zwei konzentrischen Kreisen, von denen der eine enger, der andere weiter ist. Oft ist auch der Mittelpunkt der beiden Kreise anders gelegen, so dass sie sich überschneiden und in den Sinnbereich eines andern Wortes übergreifen. Es ist demnach die Bedeutungsmöglichkeit eines Wortes des Urtextes zuerst genau zu untersuchen und festzustellen, in welchem Umfange ihr das zu wählende Übersetzungswort zu entsprechen vermag.

Dabei ist auch zu bedenken, dass die Bibel nicht das Werk eines einzigen Schriftstellers mit seinem spezifischen Sprachgebrauch ist. Das biblische Schrifttum umfaßt eine Zeitspanne von rund einem Jahrtausend, und eine lange Reihe von Verfassern, Ergänzern und Bearbeitern ist an ihm tätig gewesen.

Innerhalb dieses Zeitraumes wirkt sich nicht nur die sprachliche Individualität der verschiedenen Autoren aus, sondern es vollzieht sich auch ein Wandel der Wortbedeutungen und der Begriffe.

Zweitens darf nicht vergessen werden, dass jeder Text nicht bloss aus aneinander gereihten Wörtern, sondern aus Sätzen besteht. Wir wollen uns nicht in den Streit der Sprachtheoretiker einlassen, ob am Anfang der Sprache das Wort oder der Satz stehe. In der Festschrift zum 70. Geburtstag Albert Debrunners, des leider so bald darauf von uns Gegangenen, eines der bedeutendsten Gelehrten, die an unserer Universität gewirkt haben und dem gerade die Bibelwissenschaft viel zu verdanken hat, sagt Prof. Walter Henzen, in dem Streit um den Primat von Wort oder Satz liege anscheinend die Huhn-Ei-Situation vor 1. So viel ist indessen gewiß, dass jede Aussage den Satz verlangt. Ein Wort kann man wohl aussprechen, aber aussagen kann man nur in einem wenn auch noch so kurzen und einfachen Satz.

Das Wort «Gnade» zum Beispiel enthält wohl einen Begriff, aber noch keine Aussage. Lesen wir aber im Buche Jesaja (54, 10) den Satz: «Meine Gnade soll nicht von dir weichen», so ist das Wort Gnade nicht bloss ausgesprochen, sondern eingespannt in eine Aussage von allergrösster Tragweite. Nicht von irgendeiner Gnade ist da die Rede, sondern von Gottes Gnade, das heisst von der Gnade, von der letztlich alles abhängt. Mit dem «von dir» wird sodann die Beziehung zu dem angeredeten Israel hergestellt: es geht um sein Verhältnis zu Gott. Aber nun tut sich eine erschreckende Perspektive auf: «von dir weichen» könnte Gottes Gnade, Israel könnte in den

Abgrund der Gottverlassenheit versinken. Erst durch die Negation, die hier ein entscheidendes Glied des Satzes ist, wird diese schlimmste aller Ängste behoben: «meine Gnade soll nicht von dir weichen», diese Selbstaussage Gottes erhält ihr Gewicht durch die zwischen den einzelnen Satzgliedern herrschende Spannung und deren endliche Lösung, die sie zu einer über alles tröstlichen Zusage macht.

Aufgabe einer Übersetzung ist es also, Sätze und nicht bloss Wörter wiederzugeben. Dabei muss der Übersetzer bald inne werden, dass jede Sprache ihr eigenes Leben führt und dass eine strikt wörtliche Wiedergabe in der Übersetzungssprache oft einen unverständlichen oder missverständlichen Text ergibt. Nirgends muss es sich aber fataler auswirken, wenn die Aussage des Urtextes in der Übersetzung verfälscht wird, als gerade in der Bibel.

Die angestellten Erwägungen sollen nun durch einige Beispiele illustriert werden, die ich meinem Fach entsprechend dem Alten Testament entnehme. Natürlich kann dabei nur eine eng begrenzte Auswahl von Übersetzungen berücksichtigt werden, unter denen diejenige der beiden jüdischen Gelehrten Martin Buber und Franz Rosenzweig sich von unseren Gesichtspunkten aus als besonders interessant erweisen wird. Sie erscheint gegenwärtig in einer zweiten Bearbeitung durch Buber, nachdem Rosenzweig schon während des Erscheinens der ersten Ausgabe verstorben ist. Ihre Verfasser suchen sich möglichst frei und selbständig zu halten gegenüber der bei allen Verschiedenheiten im Einzelnen doch deutlich erkennbaren, von der Septuaginta über die Vulgata des Hieronymus zu Luther und zu den meisten neueren Übersetzungen laufenden Tradition. Dabei sind sie bemüht, den hebräischen Sprachcharakter auch in der deutschen Übertragung so viel als möglich durchscheinen zu lassen. Wenn immer tunlich, suchen sie

das nämliche Wort des Urtextes auch durch dasselbe deutsche Wort wiederzugeben und zugleich dem etymologischen Prinzip weiteste Geltung zu verschaffen. Wie weit und wie gut ihnen das von Fall zu Fall gelingt, wird sich an einigen Stichproben zu erweisen haben. Im ganzen muss aber vorweg zugestanden werden, dass hier eine zwar recht eigenwillige, aber kraftvolle und von hohem sprachlichem Gestaltungsvermögen zeugende Übersetzung zustande gekommen ist.

Nicht immer erscheint jedoch Wortnähe der Übersetzung mit wirklichem Können des Übersetzers gepaart. Im Jahre 1466, also noch in vorlutherischer Zeit, brachte Johannes Mentel (oder Mentelin) in Straßburg die erste in deutscher Sprache gedruckte Vollbibel heraus. Ihr Text stammt aber aus wesentlich früherer Zeit und ist um mindestens anderthalb Jahrhunderte eher anzusetzen, so dass er überhaupt die älteste deutsche Übersetzung der ganzen Bibel darstellt. Sie gibt freilich nicht den Urtext, sondern den lateinischen wieder, ist also eine sekundäre oder Tochterübersetzung. Wenn hier zum Beispiel die in der Schöpfungsgeschichte wiederholt vorkommende Formel «und es geschah also» übersetzt wird mit «und es wart getan also», so ist das eine zwar genaue, aber ungeschickte Wiedergabe des lateinischen «et factum est ita». Ebenso, wenn unser Übersetzer von den Gestirnen statt der uns von Luther her geläufigen Wendung, dass sie «den Tag und die Nacht regierten», schreibt, dass sie «vorweren dem tag und der nacht» (= lat. et praeessent diei ac nocti); oder von der Erschaffung der Meertiere: «die wasser für furent kriechende dinge einer lebendigen sele» (=producant aquae reptils animae viventis).

Seltsam mutet uns die Übersetzung von Gen. 1, 11 an: «das öphelbaumin holtze mach wuocher nach seim geschlecht», und wir wundern uns, warum gerade das Holz des Apfelbaumes eine besondere Erwähnung in der Schöpfungsgeschichte

finden müsse. Tatsächlich liegt eine freilich ungeschickte wörtliche Wiedergabe des Vulgata-Textes vor: «lignum pomiferum faciens fructum iuxta genus suum.» Der mittelhochdeutsche Übersetzer nimmt lignum in der hier unzutreffenden Bedeutung von «Holz» anstatt von «Baum» und denkt bei pomiferum an die zum Beispiel im Französischen pomme vorliegende speziellere Bedeutung von pomum, «Apfel», während es im Lateinischen jede Baumfrucht überhaupt und lignum pomiferum den Obstbaum im allgemeinen bedeutet.

Noch seltsamer kommt uns der Satz am Anfang von Gen. 3 vor: «Wan auch der schlang was listiger allen seligen dingen der erde», wofür es richtig heissen sollte, daß die Schlange listiger war als alle Tiere der Erde. Auch da ist das Lateinische zwar sehr wörtlich, aber falsch übersetzt. «Allen seligen dingen der erde» steht für «cunctis animantibus terrae», womit Hieronymus das hebräische kol chajjat hassende (alle Tiere, eigentlich «Lebewesen» des Feldes) annähernd richtig wiedergibt. Unserm Übersetzer passiert überdies das nicht seltene Mißverständnis, dass er das Adjektiv «selig» von «Seele» ableitet; also eine falsche Anwendung des etymologischen Prinzips. So sind aus den animantia, den beseelten, das heisst lebendigen Wesen die «seligen Dinge» geworden, unter denen die Schlange sich etwas merkwürdig ausnimmt.

Diese und andere Fehlgriffe des allerdings nicht besonders geschickten Übersetzers weisen einerseits auf die Fragwürdigkeit einer allzu wörtlichen Übersetzung hin. Andererseits sind sie nur möglich, weil er nicht auf Grund des Urtextes arbeitet. Sehen wir nun aber zu, wie die beiden genannten jüdischen Übersetzer mit der Aufgabe fertig werden, die sie sich gestellt haben, nämlich das besondere Gepräge des hebräischen Textes auch im Deutschen so gut als möglich fassbar zu machen. Anstatt

lange in der Bibel zu blättern, wählen wir unsere Beispiele zunächst aus deren allerersten Sätzen.

Da stoßen wir gleich auf das bekannte tohu wabohu, das in schon lautlich eindrücklicher Weise den noch ungeordneten Zustand der neugeschaffenen Erde beschreibt. «Die Erde war wüst und leer» — diese Übersetzung, von Luther her uns vertraut, gibt den Sinn des Urtextes an sich nicht schlecht wieder. Den Absichten Bubers und Rosenzweigs vermag sie aber in doppelter Hinsicht nicht zu entsprechen. Einmal ersetzt sie die beiden Substantiva tohu und bohu durch Adjectiva, was zwar an sich nicht so sehr verfehlt wäre, da das Hebräische sehr oft adjektivische Begriffe durch Substantiva umschreibt; zum Beispiel heisst har haqqodesch wörtlich «Berg der Heiligkeit», bedeutet aber so viel wie «heiliger Berg». Vor allem ist aber bei Luthers «wüst und leer» von dem so eindrücklichen Wortreim des Hebräischen nichts mehr zu hören.

In der ersten Ausgabe ihrer Übersetzung geben Buber und Rosenzweig tohu wabohu mit «Wirrnis und Wüste» wieder, setzen also auch im Deutschen Substantiva ein und suchen dem Klange des Urtextes wenigstens soweit Genüge zu tun, dass sie zwar nicht einen Endreim wie in diesem, aber dafür einen Stabreim mit dem dumpfen w eintreten lassen. Bald musste sich indes zeigen, dass die einmal gewählten Übersetzungswörter nicht überall anwendbar waren. So liess sich in der Ankündigung des göttlichen Strafgerichtes über Edom in Jes. 34, 11 nicht sagen: «Er streckt daran die Messschnur der Wildnis und das Senkblei der Wüste.» Unsere Übersetzer schreiben dafür: «die Messschnur des Urirrsals und die Lotsteine des Urwirrsals». Für das häufiger vorkommende alleinige tohu finden wir zweimal (Deut. 32, 10; Ps. 107, 40) «Wildnis», an den übrigen Stellen «Irrsal», und in Jer. 4, 23 für das Wortpaar tohu wabohu «Irrsal und Wirrsal». Damit ist nun

die überall brauchbare Übersetzung gefunden, die Buber dann in der zweiten Ausgabe konsequent durchführt, also auch in Gen. 1, 2: «Die Erde war Irrsal und Wirrsal.» Nebst der allgemeinen Verwendbarkeit ist damit auch lautlich eine größere Nähe zum Urtext erreicht, indem sich nun die beiden Glieder des Wortpaares gerade wie im Hebräischen nur durch den Anlaut unterscheiden.

Wenn hier das Suchen nach dem treffendsten und überall anwendbaren Übersetzungswort schliesslich zu einem guten Ergebnis geführt hat, so liegen die Dinge schon schwieriger bei dem im selben zweiten Vers der Bibel stehenden Worte tehom («Finsternis war über der tehom»). Blicken wir zunächst in die alten Übersetzungen, so scheint die Sache recht einfach zu sein. Die Septuaginta setzt für tehom fast überall «Abgrund» (eigentlich «ohne Grund», «unergründlich»), was die Vulgata als Fremdwort ins Lateinische übernimmt. Weiter ist davon abhängig Luther: «Es war finster auf der Tiefe», und auch Buber und Rosenzweig bleiben vorerst auf diesem Geleise: «Finsternis allüber Abgrund.» Geht man aber den Stellen mit tehom nach, so erkennt man bald das Unzulängliche dieser Wiedergabe. So in Ez. 26, 19, wo Gott der Stadt Tyrus ankündigt: «Wenn ich die tehom über dich heraufführe und dich die grossen Wasser bedecken.» Die Übersetzung «wenn ich den Abgrund (oder die Tiefe) über dich heraufführen gäbe hier keinen rechten Sinn. Ebenso steht es in Ps. 42, 8: «tehom ruft der tehom beim Tosen deiner Wasserstürze» oder in Ps. 104, 6: «tehom deckte sie wie ein Kleid, über den Bergen standen die Wasser», und ähnlich an einer Reihe anderer Stellen. Die gewählten Beispiele lassen erkennen, dass tehom gar nicht einen Raum (wie «Abrund», «Tiefe») bezeichnet, sondern das, was ihn erfüllt, nämlich eine Wasserflut. Daher sehen sich Buber und Rosenzweig hier und öfter

veranlaßt, statt dem blossen «Abgrund» zu schreiben «Abgrundflut».

So ist es nötig, den Bedeutungsbereich von tehom abzuschreiten. Es hat seinen Platz vor allem im Rahmen des altorientalischen Weltbildes, wo es den grossen Ozean bezeichnet, der die Erdscheibe nicht nur rings umgibt, sondern sich auch unter ihr erstreckt, und aus dem das Grundwasser und die Quellen aufsteigen. Sehr anschaulich wird das in der Sintflutgeschichte, wo es heisst: «An diesem Tage brachen alle Brunnen der grossen tehom auf, und die Fenster des Himmels öffneten sich.» Von unten und von oben brechen die Wassermassen herein und erzeugen so eine Katastrophe kosmischen Ausmasses.

Das Wort hat auch noch einen mythologischen Hintergrund. Gewiß nicht ohne Berechtigung stellt man es mit der Tiamat im babylonischen Schöpfungsepos Enuma elisch zusammen. Am Anfang der Kosmogonie, die dort zugleich Theogonie ist, stehen ein männliches und ein weibliches Urwesen, Apsu (der Süßwasserozean) und Tiamat (das Salzmeer), die ihre Wasser vermischen und woraus dann eine Reihe von Göttern hervorgeht. Einer der jüngeren Götter, der siegreiche Marduk, kämpft gegen Tiamat und spaltet sie in zwei Hälften, aus denen er Himmel und Erde schafft.

Von diesem Weltschöpfungsmythos ist allerdings der Schöpfungsbericht von Gen. 1, ein erstaunliches Werk systematischen und begrifflichen Denkens, himmelweit entfernt. Aber gewisse Vorstellungen sind doch von dort entlehnt wie die des am Anfang stehenden Urmeeres. Dafür ist «Tiefe» oder «Abgrund» eine unzulängliche Übersetzung, und die Zürcher Bibel sagt weit zutreffender: «die Urflut».

An anderen Stellen meint tehom aber nicht diese Urflut oder den Weltozean, sondern in abgeschwächter Bedeutung

eine stosse Wassermenge, so an der schon zitierten Stelle Ps. 42, 8, die in der Zürcher Bibel gut wiedergegeben wird mit «Flut ruft der Flut beim Tosen deiner Wasserstürze».

Einer besonderen Anwendung von tehom begegnen wir in Deut. 8, 7, wo das verheissene Land Kanaan beschrieben wird als «ein schönes Land, ein Land mit Wasserbächen, Quellen und tehomot, die in den Tälern und an den Bergen hervorspringen». Luther übersetzte hier: «ein land da beche und brünnen und tieffen innen sind, die an den Bergen und in den Awen fließen.» In den Ausgaben seit 1541 ersetzte er aber das hier unpassende «tieffen» durch «seen», was sich in das liebliche Bild des Gelobten Landes besser einfügte. Richtig ist es allerdings auch nicht, denn in Wirklichkeit bezeichnet tehomot hier das Grundwasser, das in den Quellen ans Licht tritt und seinerseits mit der grossen tehom, dem unterirdischen Ozean, zusammenhängt. Merkwürdig ist es aber, dass Luthers «Seen» sich bis in neueste Übersetzungen hinein, wie diejenige von Junker in der Echter-Bibel, gehalten hat.

Martin Buber hat in der 1954 erschienenen Neubearbeitung seiner Übersetzung das unzulängliche «Abgrund» bzw. «Abgrundflut» ausgemerzt, aber es ist ihm nicht gelungen, ein einheitliches Übersetzungswort für tehom zu finden. Er schwankt zwischen «Wirbel», «Urwirbel», «Flutwirbel», «Wirbelflut», «Urflut», «Grundflut», «Abgrundflut» und «Abgründe». Demgegenüber kommt die Zürcher Bibel mit «Flut» oder «Urflut» an der Mehrzahl der Stellen recht gut aus. Wenn sie im Schöpfungsbericht sagt: «Finsternis lag auf der Urflut», so ist das auf alle Fälle für den Bibelleser faßlicher als Bubers «Finsternis über Urwirbels Antlitz».

Was die Anwendung des etymologischen Prinzips betrifft, so tritt sie dort am auffälligsten in Erscheinung, wo es sich um paronomastische Verbindungen handelt, insbesondere um den

im Hebräischen sehr beliebten paronomastischen Akkusativ, bei dem das Verbum mit einem vom gleichen Stamme abgeleiteten Objektsnomen verbunden ist. Das deutsche Stilgefühl wehrt sich gegen derartige Verbindungen wie «einen Schlag schlagen» oder «ein Opfer opfern». Getreu ihren Grundsätzen geben aber Buber und Rosenzweig solche Wendungen auch im Deutschen mit Absicht genau wieder. Schon im Schöpfungsbericht lesen wir von einem «Kraut, das Samen samt» oder von der Erde, die «Gesproß sprießen lasse». Sind zwar solche Übersetzungen völlig wort- und wurzelgetreu, so ist ihre Wirkung doch ganz anders als die des Urtextes. Im Hebräischen sind eben derartige Verbindungen etwas durchaus Geläufiges; im Deutschen aber wirken sie ungewohnt und gesucht.

Gehen wir einem Beispiel dieser Art noch etwas weiter nach. Von dem hebräischen Verbalstamm schama «hören» sind mehrere Substantiva abgeleitet, die häufig in paronomastischer Verbindung auftreten, so schema schemu'a, schoma' und noch andere seltener vorkommende. Sie bezeichnen alle als sogenanntes «effiziertes Objekt» (Brockelmann, Hebräische Syntax, 1956, S. 81) den Gegenstand des Hörens, das, was man zu hören bekommt. Luther verwendet dafür vorzugsweise die Übersetzungswörter «Gerücht» oder «Geschrei», letzteres für uns in diesem Sinne allerdings veraltet und ungebräuchlich geworden. Buber und Rosenzweig suchen auch hier die Paronomasie, soweit eine solche vorliegt, beizubehalten. Dabei stellen sich aber gewisse Schwierigkeiten ein. Der Septuaginta stand das griechische und Hieronymus das lateinische auditus zur Verfügung, und sie können etwa Jer. 49, 14 übersetzen: bzw. «auditum audivi a Domino». Im Deutschen fehlt uns aber ein entsprechendes, von «hören» abgeleitetes Substantiv; das Wort «Gehör» hat ja einen andern Sinn. So sehen sich Buber und Rosenzweig zu einem Umweg

genötigt. Entweder ersetzen sie «hören» durch «vernehmen» und schreiben beispielsweise in Hab. 3, 2 «Vernehmen vernahm ich von dir» oder in Jos. 9, 9 «sein Vernehmen haben wir vernommen»; oder dann erweitern sie das «Hören» zum «Hörensagen», wie in 1. Sam. 2, 24 «nicht gut ist das Hörensagen, das ich höre», oder an der vorhin zitierten Stelle Jos. 9, 9 in der zweiten Auflage «das Hörensagen von ihm haben wir gehört». Noch einen Schritt weiter gehen sie bei der Wiedergabe von 1. Kön. 10, 7: «die Sage, die ich sagen hörte». Damit wird nicht mehr, wie im Grundtext, das Gehörte, sondern das Gesagte genannt, und zugleich tritt eine Verschiebung des Subjektes ein, denn das Subjekt des Hörens ist ein anderes als das des Sagens. Wir erkennen, wie prekär in solchen Fällen das Festhalten an der Paronomasie im Deutschen wird, abgesehen davon, dass Wendungen wie «ein Vernehmen vernehmen» oder «ein Hörensagen hören» schwerlich als gutes Deutsch angesprochen werden können.

Da wir schon bei den Ableitungen vom Stamme schama' stehen, wollen wir uns noch einigen solcher Stellen zuwenden, die Übersetzungsprobleme eigener Art aufgeben. An der entscheidenden Stelle des Buches Hiob, wo dieser seine Unterwerfung unter das souveräne Walten Gottes ausspricht (Hiob 42, 5), steht die Wendung leschema' ozen, «nach Hören des Ohres», das heisst so viel als «vom Hörensagen». Luther hat den Vers so übersetzt: «Ich habe dich mit den Ohren gehört, und mein Auge siehet dich auch nu.» Damit kommt aber das, was Hiob sagen will, nur recht ungenügend zum Ausdruck. Denn so gelesen, würden seine Worte bedeuten: Bis anhin konnte ich dich hören; jetzt aber ist mir darüber hinaus ein Mehreres gegeben: ich kann dich auch sehen. Das wäre eine geradlinige Steigerung, das Hinzukommen eines Plus an Gotteserfahrung. In Wirklichkeit enthält Hiobs Aussage einen Gegensatz: Früher

kannte ich Gott nur nach dem, was man von ihm so sagen hört, jetzt aber bin ich dem lebendigen Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Es geht also durchaus nicht bloss um ein tröstliches Näherkommen zu Gott, wie es nach Luthers Übersetzung den Anschein hat. Wer das Buch Hiob kennt, der weiss, dass die Begegnung Hiobs mit Gott ihn durch alle Tiefen des Leidens und verzweifelter Auflehnung hindurch trieb, bevor er sich zur völligen Ergebung durchrang. Darum hat man denn auch in der revidierten Lutherbibel den Vers geändert, und er lautet nun: «Ich hatte dich mit den Ohren gehört; aber nun hat mein Auge dich gesehen.» Noch schärfer ist Hiobs Anliegen in einer der neuesten Übersetzungen des Buches, derjenigen von Fridolin Stier, gefaßt: «Vom Hörensagen ich hörte von dir, doch jetzt mein Auge dich schaute.» Dies als Beispiel dafür, wie sehr es darauf ankommt, nicht nur die einzelnen Wörter, sondern den ganzen Satz in seiner Aussage präzis zu erfassen.

Eine weitere Ableitung vom Stamme schama ist mischma'at, ein Wort, das seine eigene Bedeutungsentwicklung hat. Von «Gehör» zu «Gehorsam» übergehend, bezeichnet es sodann als Kollektivbegriff eine Gruppe von zum Gehorsam Verpflichteten, zunächst in allgemeinem Sinne, dann aber als Benennung einer besonderen Körperschaft, nämlich der Leibwache eines Königs. An diesem Endpunkt der Entwicklung angelangt, bleibt die Herkunft des Wortes kaum mehr bewusst, und auch Buber und Rosenzweig setzen in 2. Sam. 23, 23 den sachlich zutreffenden Ausdruck «Leibwache» ein, obwohl damit das etymologische Prinzip aufgegeben ist: «David setzte ihn (nämlich Benaja) über seine Leibwache.»

In der Lutherbibel dagegen lesen wir: «David machte ihn zum heimlichen Rat.» Wie kommt wohl Luther zu dieser ältesten Erwähnung eines «Geheimrats»? Die Frage beantwortet sich durch einen Blick in die Vulgata. Dort heisst es: «fecitque

eum sibi David auricularium», mit welchem Wort Hieronymus das hebräische mischma'at von seiner Etymologie her wiederzugeben versucht. Da es ihm aber zu wenig verständlich erschien, fügte er interpretierend hinzu: «a secreto» und meinte mit dem «auricularius a secreto» einen vertrauten Berater. Daraus ist dann Luthers «heimlicher Rat» geworden. Auch die Septuaginta hat nach der Etymologie übersetzt Aber bereits der Urheber der Lukianischen Rezension hat das Richtige erkannt, und so heisst es in den ihr zugehörigen Septuaginta-Handschriften

Besondere Umsicht ist bei der Übertragung solcher hebräischer Ausdrücke anzuwenden, hinter denen ein von dem unsrigen verschiedenes Denken steht. Hierher gehört der Begriff Seele. Das hebräische Wort nephesch bezeichnet ursprünglich wie das akkadische napischtu die Kehle, wie in Ps. 69, 2, wo nicht zu übersetzen ist: «Das Wasser geht mir bis an die Seele», sondern «bis an die Kehle (oder den Hals)». So sagt denn auch die neue, vom Päpstlichen Bibelinstitut herausgegebene lateinische Psalmenübersetzung «usque ad collum» gegen «usque ad animam meam» der Vulgata.

Sodann ist nephesch der aus der Kehle fahrende Odem, wie in der etwas phantastischen Schilderung des Krokodils Hi. 41, 13, wo dies bereits Hieronymus, der störte aller Übersetzer des Altertums, erkannt hat: «Halitus ejus prunas ardescere facit» — «sein Odem macht Kohlen glühen», während die Septuaginta ein unverständliches — «seine Seele ist (wie) Kohlen» bietet. Im Odem aber ist das Leben, und so bedeutet nephesch weiterhin das, was den Menschen wie das Tier zum lebenden Wesen macht. Das ist nun aber nicht die Seele in unserm Sinne als die bessere und edlere Hälfte des Menschen, die wir als die immaterielle, «geistige»

und landläufig als unsterblich gedachte Komponente des menschlichen Wesens gegenüber dem materiellen und sterblichen Leibe ansehen.

Die Septuaginta hat, indem sie für nephesch fast durchgehend das griechische einsetzte, zugleich das vom alttestamentlichen wesentlich abweichende griechische Seelenverständnis in die Bibel eingeführt, wodurch viele Stellen ganz mißverständlich werden. Sehr oft bedeutet nephesch geradezu «Leben», zwar nicht das Leben an sich, sondern in seiner Begrenzung auf das einzelne Individuum. «Einem nach der nephesch trachten» heisst nicht ihm nach der Seele, sondern nach dem Leben trachten. Nephesch chajja bezeichnet das Tier, seltener auch den Menschen, als Lebewesen. Auf den Menschen angewendet, meint nephesch öfters die Persönlichkeit, das Ich oder das Du, das die Leiblichkeit durchaus mit einschließt. Wenn sich der Dichter des 103. Psalms aufmuntert: «Lobe den Herrn, meine nephesch!» — so will er nicht sagen, dass das Gotteslob ein rein innerlicher, sich im Schosse der Seele vollziehender Vorgang sein solle. Nein, sein ganzes Ich ist daran beteiligt, auch Mund und Hände. Wir dürfen also geradezu übersetzen: «Lobe, mein Ich (oder «meine Person»), den Herrn!»

Häufig dient dann nephesch, besonders in Verbindung mit einem Pronomen suffixum, lediglich zur Verstärkung des Personalpronomens. Wenn Isaak zu Esau sagt: «auf dass dich meine nephesch (naphschi) segne», so meint das wiederum nicht: «Meine Seele soll dich segnen», sondern «ich will dich segnen», und zwar auch mit dem Munde, der die Segensworte ausspricht.

Gewiß ist andrerseits in vielen Fällen die Wiedergabe von nephesch mit «Seele» durchaus am Platz, nämlich wo es sich um diese als Sitz und Träger von Empfindungen handelt. Aber

es ist immer sorgfältig auf den Zusammenhang der Aussage zu achten, in dem das Wort steht, und ein Standardwert, das den ganzen Bedeutungsbereich von nephesch erfassen würde, haben wir im Deutschen schlechterdings nicht.

Recht schwierig ist auch die Übersetzung des hebräischen Wortes chesed. Weder Luthers Wiedergabe mit «Güte» oder «Gnade», noch «misericordia» in der Vulgata, noch auch das von Buber und Rosenzweig gewählte «Huld» vermögen den Gehalt des Wortes hinlänglich zum Ausdruck zu bringen. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass chesed eng mit dem Bundesgedanken des Alten Testaments zusammenhängt. Unter Menschen bezeichnet das Wort ein Verhalten, das auf einer Solidaritätspflicht begründet ist, sei es infolge natürlicher Verbundenheit oder auf Grund einer eingegangenen Verpflichtung. Gottes chesed aber beruht vor allem auf seinem Bunde mit dem Volke Israel, dem er unwandelbare Treue hält, selbst wenn Israel seinerseits die Treue bricht. So wird chesed etwa bestimmt als solidarisches Verhalten, als treue Verbundenheit, als gemeinschaftsgemäße Handlungsweise.

Versuchen wir aber von hier aus das Wort chesed im Bibeltext wiederzugeben, so ergibt sich bald, dass wir an den genannten Ausdrücken zwar gute Begriffsbestimmungen, aber keine geeigneten Übersetzungswörter haben. Wir können zum Beispiel den im 136. Psalm immer wiederkehrenden Refrain nicht wiedergeben mit «Ja, seine Solidarität» — oder gar «seine gemeinschaftsgemäße Handlungsweise — währet ewig». Auch die in Köhlers Lexikon vorgeschlagene Übersetzung «seine Verbundenheit währt ewig» klänge dem Bibelleser befremdlich und wäre ihm ohne Erläuterung auch kaum genügend verständlich. Dem Übersetzer bleibt schließlich nicht viel anderes übrig, als zu der traditionellen und dem Leser vertrauten Übertragung «seine Güte währet ewig» zurückzukehren.

Man sagt zwar nicht ohne Berechtigung, eine gute Übersetzung sei der beste Kommentar. In manchen Fällen aber kann man doch nicht ohne eine zusätzliche Erläuterung der biblischen Begriffe auskommen, dann eben, wenn die Übersetzungssprache keinen dem Wort der Grundsprache völlig entsprechenden Ausdruck zur Verfügung hat.

Ein anderer bedeutsamer Begriff ist im Alten Testament der des kabod. Das Wort bezeichnet zunächst eine materielle Eigenschaft, nämlich die der Schwere. Übertragen bedeutet es das Gewicht, das einer Person eigen ist, sei es durch Reichtum oder durch Ansehen, aber auch die Ehre, die man einem Menschen oder Gott erweist. Sodann ist es die Ehre, die Gott innewohnt, auch unabhängig von jeder menschlichen Ehrerweisung, seine Herrlichkeit, die von ihm ausstrahlt. «Sein kabod erfüllt die ganze Erde» rufen die Seraphen in der Berufungsvision Jesajas (Jes. 6, 3). In späteren Schichten des Alten Testaments wird kabod zu einem in bestimmte theologische Anschauungen eingeordneten Begriff und bezeichnet die Erscheinungsform des sich selbst offenbarenden Jahwe. So am Sinai bei der Kundgebung des Gesetzes; im «Zelt der Begegnung» oder noch genauer lokalisiert über der Bundeslade, und wieder in etwas anderer Weise in der prophetischen Vision des Ezechiel («Thronwagenvision» Kap. 1).

So entfernt sich das Wort in seiner Bedeutungsentwicklung völlig von seinem Ursinn der Schwere, und eine daran anknüpfende etymologisierende Übersetzung ist nicht mehr angängig. Auch Buber und Rosenzweig benötigen eine ganze Skala von Übersetzungswörtern, um der Bedeutung von kabod in den verschiedenen Zusammenhängen gerecht zu werden, nämlich: Gewicht, Gewichtigkeit, Ehre, Ehrenschein, Erscheinung.

Die griechischen Übersetzer des Alten Testaments haben kabod meistens durch wiedergegeben. Dadurch kommt

nun dieses Wort zu einem Reichtum des Inhaltes, den es im außerbiblischen Sprachgebrauch durchaus nicht aufweist. Es erscheint dort, ganz untheologisch gebraucht, im Sinne von «Meinung»; und zwar ist es die Meinung, die Ansicht, die man über etwas hat, oder die Meinung, die andere über einen haben, das Ansehen, die Ehre. Von seiner Verwendung als Übersetzungswort für das alttestamentliche kabod her tritt es dann in die Sprache des Neuen Testaments ein, bereichert durch eine Bedeutungsfülle, die ihm in der profanen Gräzität keineswegs zukommt 2. In Christus ist die die Herrlichkeit Gottes, in ihrer ganzen Fülle erschienen, womit die durch die alttestamentlichen Aussagen über den kebod Jahwe gehende Linie zu ihrem Endpunkte geführt ist. «Er offenbarte seine und seine Jünger glaubten an ihn» (Joh. 2, 11).

Wir könnten der Beispiele noch hunderte vornehmen, an denen sich die Eigenart, die Vorzüge und die Schwächen der verschiedenen Übersetzer wie auch die Probleme, mit denen sie sich auseinanderzusetzen haben, aufweisen lassen. Aber wir müssen zum Schluss kommen. Kein Buch ist so oft und in so viele Sprachen übersetzt worden wie die Bibel. Begabte und weniger begabte, gewissenhafte und leichtfertige Übersetzer sind dabei am Werke gewesen und werden es auch früherhin sein; solche, die sich mit allem Ernst darum bemühen, die Botschaft der Schrift in aller Treue wiederzugeben und sich so zu ihrem Diener zu machen, neben anderen, die bewußt oder unbewußt ihr eigenes Denken in das Bibelwort eintragen oder sich gar zum Herrn über die Schrift setzen, indem sie sie keck zum Träger ihrer eigenen Botschaft zu machen suchen.

Wo aber ernst zu nehmende Übersetzerarbeit vorliegt, da zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab. Die erste besteht darin, den Urtext auch in der Übersetzung Wort für Wort möglichst nah greifbar zu machen, und das konnte im extremen Falle zu der unmöglichen und oft unverständlichen Wörtlichkeit eines Aquila führen; es können aber auch so eindrückliche Übertragungen ans Licht treten wie diejenige Bubers und Rosenzweigs. Sie klingt freilich da und dort dem deutschen Ohre befremdlich; ja, an manchen Stellen kann man ihren deutschen Text nur wirklich verstehen, wenn man auch den hebräischen kennt.

Damit stossen wir an die Grenze der hier versuchten Übersetzungstechnik, und man fragt sich, ob nicht auch die andere Möglichkeit ihre Vorzüge habe, nämlich das Bestreben, vor allem eine in der Übersetzungssprache gut lesbare, wenn auch nicht streng wörtliche Wiedergabe zu bieten. Das Extrem in dieser Richtung bedeutet dann die freie Paraphrase, die überhaupt nicht mehr Wort für Wort vorgeht, sondern den Sinngehalt des Urtextes umschreibend darzustellen sucht, wie das teilweise schon bei den aramäischen Targumen, aber auch in gewissen Partien der Septuaginta der Fall ist. Bei solchem Vorgehen ist allerdings die Gefahr des Eintragens eigener und bibelfremder Gedanken besonders gross.

Innerhalb dieses Bereiches verläuft der Weg eines jeden Bibelübersetzers, sich bald dem einen, bald dem andern Pole nähernd. Nie wird er es sich aber versagen dürfen, den biblischen Wortschatz und die Ausdrucksweisen der biblischen Ursprachen aufs Gründlichste zu studieren. So legt die Geschichte der Bibelübersetzung Zeugnis ab von einem unablässigen Bemühen, das Schriftwort immer besser zu erfassen und wiederzugeben. Dieses Bemühen wird allerdings nie zu einem Ende kommen, und es wird auch nie eine Übersetzung

geben, welche die absolut beste und endgültige wäre. Darin liegt aber viel mehr ein Segen als eine Not, werden wir doch so zu stets neuer Auseinandersetzung mit dem Schriftwort und der in ihm gefaßten biblischen Botschaft gezwungen; und daher gehört auch das vergleichende Studium verschiedener Bibelübersetzungen zu den lehrreichsten Beschäftigungen und bringt uns in immer engem Kontakt mit dem Bibelwort selbst.