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Rede zur Feier des fünfundzwanzigsten Jahrestages Hochschule Bern,

Gehalten in der Heil. Geistkirche, den 15. November 1859. von
Prof. Dr. Ris
d. Z. Rector.
Bern.
Druck der Haller'schen Buchdruckerei (B, F. Haller). 1859 .

Hochverehrte Versammlung!

In feierlicher Stimmung sind wir heute, am 25jährigen Stiftungstage unsrer Hochschule, wieder an dieser Stätte versammelt, um ernste Rückschau zu halten über das Bestehen, den Fortgang und das Wirken der Anstalt während des abgelaufenen Vierteljahrhunderts. Wem fällt in diesem Augenblicke nicht der Wandel menschlicher Dinge schwer auf's Herz? Die Gründer der Hochschule, die Mitglieder des Erziehungsdepartements, sind bis auf Einen alle ihrem Vorstande, dem edeln und muthigen Neuhaus, in's Grab gefolgt; ja, die edelsten Geister, die trefflichsten Arbeiter, die Zierden und Stützen der Facultäten und der Hochschule, wir suchen sie vergebens in den Reihen der Feiernden, und im Herzen der zurückgebliebenen Freunde regt sich auf's Neue der Schmerz über den unersetzlichen Verlust; aber sind uns nur liebe Freunde, sind nicht auch die begeisterten Hoffnungen, die vor 25 Jahren an dieser nämlichen Stätte kaum Worte finden konnten, zu Grabe getragen worden? Die Antwort auf diese Frage wird sich von selbst ergeben, wenn ich mich des ehrenvollen Auftrages entledige, den mir der akademische Senat ertheilt hat: bei der heutigen Feier des 25jährigen Bestandes der Bernerhochschule vor Ihnen ein Bild der Vergangenheit dieser Anstalt zu entrollen, ihren geschichtlichen Entwicklungsgang von Anbeginn bis auf die Gegenwart zu verfolgen.

Indem ich unverweilt zur Lösung dieser umfang- und inhaltreichen Aufgabe schreite, habe ich vor Allem auf die Thatsache hinzuweisen, dass die Gründung der jetzigen Hochschule nur eine Reform der frühern Akademie ist, bei welcher zu dieser kein eigentlich neuer Bestandtheil hinzugefügt wurde. Wenn wir hiemit daran erinnert

werden, dass unsere Anstalt die gemeinschaftliche Frucht der edeln Bestrebungen aller gebildeten und warmen Vaterlandsfreunde ist vom Anfang dieses Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag: so kann diess unsere festliche Stimmung nur steigern; und indem wir die Verdienste uni die heilige Sache unserer Volksbildung gerechter Weise in ihrem vollen Umfange anerkennen, erweitern und verstärken wir die freudige Theilnahme an derselben und sichern uns das treue Zusammenwirken aller Guten zur Erhaltung unserer Anstalt durch weitere zeitgemässe Entwicklung.

Die vorangestellte Thatsache nöthigt mich aber zugleich, von den Mängeln der frühern Akademie zu sprechen, welche sich in ihrer Entwicklung zur Hochschule aufheben sollten; und indem ich den geschichtlichen Gang der letztern verfolge, treten mir zum Theil gerade dieselben Mängel entgegen, die zwar zu ihrer Stiftung gedrängt, aber sich aus der frühern Gestalt der Akademie in die neue der Hochschule fortgepflanzt haben. Ein solcher Gegenstand der Betrachtung scheint freilich von vorn herein wenig zu einer Jubelfeier zu passen. Aber der Wahrheit gebührt vor Allem die Ehre, und die Wahrheit wird die ihr erwiesene Ehre wie immer so auch in dem vorliegenden Falle lohnen. Der Hinblick auf die Ursachen jener Mängel und des durch sie zeitweise herbeigeführten Verfalls unserer Hochschule wird uns stärken in dem Vertrauen aus ihren fernern Bestand und ihr ferneres Emporblühen; denn es wird sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass jene Mängel und Gefahren unmöglich in dem Grade hätten überwunden werden können, wie diess wirklich der Fall gewesen ist wenn unserer Hochschule nicht eine gewaltige Lebenskraft innewohnte, wenn ihre Berechtigung nicht vollgültig, das Bedürfniss ihres Daseins nicht tief und fest begründet wäre. So werfen wir denn auf der Schwelle eines neuen Vierteljahrhunderts noch einen unbefangenen Blick zurück auf die zurückgelegten 25 Jahre, —und dann strecken wir uns muthig nach dem, was vorn ist.

Seit der Reformation war das höhere wissenschaftliche Schulwesen als "obere und untere Schule" in starrer Einseitigkeit ausschliesslich der Bildung von Geistlichen gewidmet. Erst am Ende des vorigen Jahrhunderts vermochte die Einsicht und das Bedürfniss durchzudringen, dass durch eine umfassende Reorganisation der bestehenden Schulanstalten dem Gemeinwesen neuer Geist und neue Kraft müsse eingepflanzt werden. Noch unter dem Wetterleuchten des im letzten Jahrzehnt aus Frankreich herannahenden Sturmes arbeitete Jth, lange Zeit als Professor der Philosophie thätig, dann oberster Dekan, und die Seele aller Verbesserungen auf dem Gebiete des höhern Schulwesens, an einer neuen Schulordnung, die zwar noch im Jahr 1797 dem Rathe eingereicht, aber damals mit diesem zugleich von den Trümmern der alten Ordnung der Dinge verschüttet ward. Die beharrlichen Bestrebungen des edeln und wahrhaft freisinnigen Mannes brachen sich nichts desto weniger Bahn. Kaum hatte die Mediationsakte dem Lande wieder Ruhe geschenkt, so schritt auch die neue Regierung sofort zu einer durchgreifenden Umgestaltung des höhern Schulwesens. Unter dem vielvermögenden Einflusse des energischen Rathsherrn und nachherigen Kanzlers von Mutach und der einsichtsvollen Mitwirkung des Dekans Jth trat 1805 die neue Akademie in's Leben. Der schon damals gefallene Vorschlag, eine Anstalt nach dem Muster deutscher Universitäten zu errichten, hatte noch nicht durchzudringen vermocht.

Die untere Abtheilung der frühern "obern Schule", nämlich die Eloquenz und Philosophie, ward ausgeschieden und als philosophische Facultät, die höhere oder im engern Sinne theologische Abtheilung als theologische Facultät aufgestellt; das frühere "politische Institut", welches im Jahr 1787, und das "medicinische Institut", welches im Jahr 1798 unabhängig neben der Schule errichtet worden war, in eine juridische und medicinische Facultät umgewandelt. So hatte die Akademie die hergebrachten vier Facultäten deutscher Universitäten gewonnen. Als Grundlage und zur unentbehrlichen Vorbildung auf die Akademie ward die frühere

"untere Schule" zu der "grünen Schule" mit einem untern und obern Gymnasium in 7 Klassen umgeschaffen.

Am 2. November 1805 fand die feierliche Einweihung der Akademie und der neuen Schule statt. Ein Zeitgenosse berichtet uns: "Jedermann fühlte mit dem Kanzler, dass dieser Tag in der Bildungsgeschichte des Freistaates Bern vielleicht der merkwürdigste sei, der in Jahrhunderten erlebt worden."

Die Privatanstalten hörten auf. Es traten sogleich in die öffentliche Schule über 180 Schüler von Stadt und Land, die nach und nach bis auf 284 sich mehrten; die Zahl der Studirenden der Akademie stieg ebenfalls bald von 82 auf 168. Die Stadtbibliothek ward den Lehrern und Studirenden der Akademie zu freier Benutzung geöffnet, dagegen aus dem Staatsärar ein jährlicher Beitrag von 1600 alten Franken geleistet zum Ankauf von Büchern, wobei vorzugsweise auf die Wünsche und Vorschläge der Professoren sollte Rücksicht genommen werden; auch die Subsidiaranstalten wurden ansehnlich bereichert; mit grossen Kosten ein Kunstsaal, eine Schwimmanstalt nebst einem Turnplatz für Sommer und Winter hergerichtet, —lauter untrügliche Zeichen, dass man in Bern dem Wehen des neuen Geistes auf dem Gebiete der Jugenderziehung sich nicht verschlossen und, wenn gleich vieles nicht vergessen, doch auch vieles gelernt hatte.

Jede Fakultät erfreute sich einzelner ausgezeichneter Lehrer, welche es verstanden, die Jugend zu wissenschaftlichem Streben zu entflammen. Während der Dauer zweier Verwaltungen der Mediation und der Restauration, volle 25 Jahre, wirkte die Anstalt ungestört fort und bereitete die geistigen Kräfte vor, durch welche im Anfang des dritten Decenniums die neue Ordnung der Dinge begründet werden sollte. Denn fast sämmtliche hervorragenden und einflussreichen Männer dieser Periode, sowie die Begründer und Beförderer der Hochschule, verdankten ihre Bildung, wenn nicht ganz, doch zum guten Theil der Akademie.

Wir dürfen uns indessen nicht verwundern, dass die gesammte

Anlage der Akademie noch sehr mangelhaft, die Ausstattung an Lehrmitteln und Lehrkräften auf's Nothwendigste beschränkt war.

Der kirchliche Einfluss in der obersten Leitung war zwar beseitigt, aber die theologische Richtung, früher der ausschliessliche Charakter, blieb auch jetzt noch der weit überwiegende der Akademie. Nur von dem angehenden Theologen ward eine eigentliche Gymnasialprüfung verlangt und von dem Ergebniss derselben der Eintritt in die Akademie abhängig gemacht; den künftigen Rechtsgelehrten, Staatsmännern und Medicinern war der Eintritt ohne Examen gestattet. Der angehende Geistliche ward ferner zu einem dreijährigen philosophischen oder philologischen Curriculum, welchem alle Stufenfolge der Vorträge fehlte, angehalten, zur Vorbereitung bloss auf die theologischen Studien, während der künftige Jurist um Mediciner schon im fünfzehnten Jahre unmittelbar zu seinen Facultätsstudien übergehen durfte. Bei den Studirenden der Jurisprudenz und Medicin ward daher nur zu oft die unentbehrlichste Vorbildung vermisst, ein Uebelstand, der für das ganze Gedeihen ihrer Studien vom grössten Nachtheil sein musste. Die philosophische Fakultät, so zur blossen Dienerin der Theologie herabgewürdigt, für die Mediciner bloss von Seiten des naturwissenschaftlichen Unterrichts, für die Juristen gar nicht vorhanden, musste sich daher die vorherrschend theologische Richtung gefallen lassen, —und diese machte sich an der Anstalt so sehr geltend, dass nicht nur während des philosophischen Curriculums stets exegetische Voträge über das neue Testament gehalten wurden, sondern dass vom Jahr 1823 an selbst schon im obern Gymnasium, also noch mitten in den Elementen des classischen Griechischen, wöchentlich eine Stunde der Lectur eines griechischen Evangeliums gewidmet werden musste. Es ward ferner strenge darüber gewacht, dass keine Disciplin von mehr als einem Lehrer vorgetragen ward, und der Studirende war unter strengem Collegienzwang angehalten, im philosophischen, wie im theologischen Curriculum die Vorträge des bezeichneten Lehrers anzuhören.

Die Anstalt war so in der That nur ein Nebeneinander von

drei Specialschulen zur Bildung von praktischen Geistlichen, praktischen Aerzten, praktischen Advocaten und Notarien; die Sorge für höhere Bildung war jedem selbst überlassen. Verzichtend auf umfassendere und tiefere Wissenschaft, und beherrscht ausschliesslich vom Prinzip der unmittelbaren Nützlichkeit, stand die Akademie nicht sowohl im Dienste der Wissenschaft, als im Dienste des Staates, angelegt zu einer Bildungsschule von praktischen Berufsmännern mit möglichster Beschränkung auf die nothwendigen Bedürfnisse eines kleinen Gemeinwesens.

Im Oktober 1831 ward die neue verfassungsmässige Staatsverwaltung mit ihren Behörden eingesetzt. Mit weiser Einsicht in das Eine, was einem jungen Freistaate Noth thut, und mit wahrer Begeisterung schritt das Erziehungsdepartement mit Neuhaus an der Spitze sofort an die grosse Aufgabe, das gesammte Erziehungs- und Unterrichtswesen des Kantons von Grund aus neu aufzubauen. Noch im Dezember 1831 wurden von den Regierungsstatthaltern, Schulkommissionen, Pfarrgemeinden "über den dermaligen Bestand und Zustand der Schulen, ihre Mängel und die Mittel zur Verbesserung des Schulwesens" Berichte eingeholt, die Errichtung von zwei Lehrerseminarien beschlossen und sofort bis zur Herstellung der nöthigen Lokalitäten vorläufig zu Hofwyl im Sommer 1832 ein Unterrichtskurs mit 100 Lehrern abgehalten unter Leitung des bereits erwählten Seminardirektors Langhans, — die Reorganisation der bestehenden und Gründung neuer Mittelschulen im ganzen Kanton vorbereitet, und zur durchgreifenden und umfassenden Umgestaltung der Akademie und des Gymnasiums schon am 9. Januar 1832 zuerst eine akademische Kommission, bestehend aus 8 Mitgliedern, und an deren Stelle später am 3. Juli eine akademische Specialkommission eingesetzt, bestehend aus 3 Mitgliedern, den Professoren Lutz, B. Studer und Usteri, welche in Hinsicht auf reinen Eifer für die Wissenschaft, auf Sachkenntniss und Thätigkeit unstreitig die ersten und besten Männer des Landes waren.

Ohne aber erst die wirkliche Ausführung dieser Reform der Akademie abzuwarten, ward sogleich den dringenden Bedürfnissen des wissenschaftlichen Unterrichts entsprochen. Es wurden sofort theils neue Lehrstühle errichtet, theils die vacant gewordenen in allen Facultäten neu besetzt, und zwar mit ausgezeichneten Lehrkräften, sämmtliche Subsidiaranstalten bereichert und ergänzt, um Erweiterung und zweckmässigere Einrichtung des botanischen Gartens mühselige Verhandlungen mit der Stadtbehörde geführt, der Bau eines neuen Anatomiegebäudes, sowie die Erweiterung desjenigen der Akademie beschlossen und mit Herrn Klias eifrig unterhandelt über Gründung einer grossartigen gymnastischen Anstalt mit Vereinigung des Turn-, Reit- und Schwimmunterrichts, zum Gebrauch sowohl der sämmtlichen Schulen, als der Garnison.

Wahrlich der vernünftige und sittliche Gehalt jener politischen Umgestaltung und die Reife zu einer freien Staatsverfassung konnte sich aus keine überzeugendere und erhebendere Weise beurkunden, als durch diese bewunderungswürdige Thätigkeit und Opferbereitheit der Behörden und des Volks für die grosse Sache der Jugenderziehung.

Noch während Bern in voller Arbeit begriffen war, in Verbindung mit dem ganzen Schulwesen seine Akademie zu reformiren, beschloss der Grosse Rath des Kantons Waadt am 5. Juni 1832, den eidgenössischen Ständen die Errichtung einer gemeineidgenössischen Hochschule vorzuschlagen. Die ordentliche Tagsatzung, welche am 17. Juli Revision der Bundesverfassung beschlossen hatte, setzte eine Kommission nieder, die hinsichtlich der Errichtung einer eidgenössischen Hochschule Anträge bearbeiten sollte. Bern ertheilte seinem Gesandten die Weisung, den Beitritt zu erklären, zugleich aber darauf zu bestehen, dass die eidgenössische Hochschule nach Bern verlegt werde: Bern, im Gegensatz zu Wälschburgund oder der jetzigen französischen Schweiz einst auch Deutschburgund genannt, und von jeher auf's engste mit der geschichtlichen Entwicklung der französischen Schweiz verflochten, sei der schicklichste Vereinigungspunkt zwischen der deutschen und französischen Schweiz; in Bern, der Hauptstadt eines paritätischen und zum Theil

französischen Kantons, existire neben dem reformirten der katholische Kultus, auch sei neben der deutschen die französische Sprache mehr als in irgend einer andern deutschen Schweizerstadt eingebürgert; die grosse Bevölkerung des Kantons Bern biete die beste Garantie für eine fortwährende Frequenz der Hochschule; die zahlreichen Subsidiaranstalten und darunter besonders die ausgezeichneten Spitäler seien für den künftigen Mediciner, nicht minder der oberste Gerichtshof in Bern, der bei der grossen Bevölkerung eine Menge interessanter Rechtsfälle darbiete, für die praktische Ausbildung des angehenden Juristen von grosser Bedeutung; und endlich liege es in dem wohlverstandenen Interesse der Eidgenossenschaft selbst, dass gerade im Kanton Bern, der die östliche von der westlichen Schweiz trenne und vom nördlichen bis fast zum südlichen Rand die Schweiz durchschneide, ein Feuerherd von Licht und Wissenschaft sich bilde; endlich sollte auf den Fall, dass die eidgenössische Hochschule anderswohin verlegt werde, die Erklärung abgegeben werden; Bern werde nie und nimmer seine Akademie mit den trefflichen Subsidiaranstalten aufgeben.

Diese wichtige Frage des Sitzes der eidgenössischen Hochschule suchte Zürich dadurch zu seinen Gunsten zu entscheiden, dass es sich beeilte, dem Entwurf der neuen Bundesverfassung, welcher die Errichtung einer eidgenössischen Hochschule vorsah, durch eine Thatsache zu entsprechen. Bereits am 28. September 1832 beschloss der Grosse Rath des Kantons Zürich die Errichtung einer Hochschule, am 20. Oktober wurden die Lehrerstellen ausgeschrieben, am 3. Januar 1833 die Professoren ernannt und mit dem Sommersemester 1833 die Hochschule eröffnet. Allein mit der Verwerfung des Bundesverfassungsentwurfs fiel vor der Hand auch die Errichtung einer eidgenössischen Hochschule dahin.

Unterdessen hatte die akademische Specialkommission unentwegt an ihrer Aufgabe gearbeitet und reichte noch am Ende des Jahres 1832 ihren reif durchdachten Entwurf einer durchgreifenden Reform der Akademie und der Gründung eines höhern Gymnasiums dem Erziehungsdepartemente ein. In diesem Entwurf tritt die frühere

vorherrschende theologische Richtung zurück, die philosophische Facultät ist aus ihrem Zustande einer blossen Dienerin der Theologie herausgehoben und den übrigen Facultäten coordinirt, sämmtliche Facultäten auf die ihrem Begriff entsprechende wissenschaftliche Höhe gestellt, durch das höhere Gymnasium, welches aus den zwei untern Klassen der frühern philosophischen Facultät und der obersten des höhern Gymnasiums gebildet ward, eine für die Studirenden sämmtlicher Fakultäten gleiche unentbehrliche Vorbildung begründet, für Lehrer und Studirende der Grundsatz völliger Lehr- und Lernfreiheit aufgestellt, und indem so durch Beseitigung der Mängel der frühern Akademie für die neue Anstalt die wesentlichen Eigenschaften einer Hochschule oder Universität gewinnen waren, mit Recht auch dieser Name für dieselbe beansprucht. Dass dieser Entwurf, nachdem er aus der stillen Werkstätte der akademischen Specialkommission in die Hände der Staatsbehörden übergegangen war, noch so geraume Zeit bedurfte, um Gesetz und Wirklichkeit zu werden, darüber kann Niemand sich verwundern, der die unaufhörlichen Wirren, Unruhen, Conflicte nach innen und aussen vor Augen hat, welche die ganze Aufmerksamkeit und Thätigkeit der Staatslenker in Anspruch nahmen.

Am 5. März 1834 endlich fasste der Grosse Rath mit allen Stimmen gegen zwei, die bloss hinsichtlich des Namens abwichen, den grossen Entschluss: "Es soll ein höheres Gymnasium zu Bern errichtet und die bisher unter dem Namen Akademie bestandene Lehranstalt in eine Hochschule umgewandelt werden." Diess geschah unter feierlicher Erklärung: dass es Pflicht des Staates sei, für die gründliche Ausbildung und Befähigung seiner Bürger zu jedem wissenschaftlichen Berufe hinlänglich zu sorgen, dass es der Pflicht und Ehre des Staates angemessen sei, alles dasjenige zu thun, was in seinen Kräften steht, um die Wissenschaft zu fördern.

Am 15. November 1834 ward die Errichtung der bernischen Hochschule an dieser nämlichen Stätte gefeiert. Neuhaus, Präsident des Erziehungsdepartements, eröffnete die Feier mit einer begeisterten

Rede; der erste Rector, Professor Wilhelm Snell, empfieng aus der Hand des Präsidenten des Erziehungsdepartements die Stiftungsurkunde der Hochschule, und Professor Troxler vollendete die Feierlichkeit durch eine Rede über "Idee und Wesen der Universität in der Republik." Auch jetzt glaubte Jedermann mit Neuhaus, dass dieser Tag für die Bildungsgeschichte des Freistaates Bern von unabsehbaren Folgen sein werde. Sofort wurden auch die Collegien, 90 an der Zahl, mit 187 Studirenden eröffnet.

Wir wissen jetzt Alle nur zu gut, wie wenig der wirkliche Fortgang diesen begeisterten Hoffnungen entsprochen hat. Fragen wir daher gleich hier nach den Ursachen, welche vom ersten Anfang an das glückliche Gedeihen der neuen, von den Gründern weise angelegten, vom Staate reichlich ausgestatteten Anstalt hemmten, auf die das Vaterland so schöne Hoffnungen gründete: so erhalten wir zur Antwort; Mangel an wissenschaftlicher Vorbildung, vorherrschende Richtung auf praktische Ausübung eines wissenschaftlichen Berufes und unmittelbare Verflechtung in die Kämpfe der politischen Parteien.

So lange da demokratische Staatsprinzip noch leidlich einig mit sich und überwiegend auf Bekämpfung des innern und äussern Gegners gerichtet ist, sehen wir eifriges Streben nach Hebung des Unterrichtswesens und Blüthe der Hochschule. Wie aber das demokratische Princip in entschiedenen Widerspruch mit sich selbst geräth, über die Gestalt der Einunddreissigerverfassung hinausdrängt zur vollständigen Entwicklung seines Inhalts und seiner Form im engern und weitern Vaterlande und einen neuen noch heftigeren Entwicklungsprocess heraufführt, geräth das gesammte Erziehungswesen in Stillstand, und die Hochschule in fast gänzlichen Verfall, aus dem diese sich erst dann wieder aufzurichten anfängt, als mit dem geschlachteten Parteikampf sich auch das Herz der Gesammtheit wieder der heiligen Angelegenheit des Erziehungswesens zuwendet.

Die ganze Anlage der Hochschule zielte auf wahre Wissenschaftlichkeit sämmtlicher Facultäten. Das höhere Gymnasium sollte der gesammten studirenden Jugend die unentbehrliche Befähigung zu

philosophischen Studien und Lust an denselben einpflanzen; die philosophische Facultät sollte sämmtlichen Studirenden eröffnet werden, alle sollten durch das freie Studium der alten Klassiker, der Geschichte, der Naturwissenschaften und der Philosophie nicht bloss der Theologie, sondern auch der Jurisprudenz und Medicin eine gediegene allgemeine Bildung zubringen, als nothwendige Voraussetzung einer gründlichen und umfassenden Fachbildung. Das war die Absicht der weisen Gründer der Hochschule, diess die Voraussetzung auf welche der §. 28 des Hochschulgesetzes vom 14. März 1834 sich stützt: "Die Vorträge sollen von dem wissenschaftlichen Standpunkt der Gymnasialstudien ausgehen, für welche ein Zeugniss der Reife ertheilt wird." Allein das Erziehungsdepartement, bewogen durch den allgemeinen Bildungsstand des Volkes, erlässt unter dem 18. Oktober 1834 ein Reglement über die Bedingungen des Eintritts in die Hochschule, welches in §. 2 bestimmt: "Kantonsangehörige erhalten die Matrikel auf Vorweisung eines Gymnasialzeugnisses der Reife oder eines Zeugnisses der sonst genossenen Vorbildung." Durch diese letztere Bestimmung war der eigentliche Kardinalpunkt des Fortschritts, um den sich die Gründung der Hochschule drehte, wieder beeinträchtigt, und die Hochschule zum Voraus auf dem Standpunkte der Akademie festgehalten. Das höhere Gymnasium mit seiner wissenschaftlichen Vorbildung, ohne welche der zukünftige Geistliche selbstverständlich beim Studium der Theologie keinen Schritt vorwärts thun kann, war also, wie unter der Akademie, wieder nur für die Theologen vorhanden, den Studirenden der Jurisprudenz und Medicin, d. h. sechs Siebenteln der Studentenschaft, war mit der "sonst genossenen Vorbildung" ein breites und bequemes Geleise um das Gymnasium herum gebaut aus der Primarschule und der Schreibstube unmittelbar in die Hörsäle der Jurisprudenz und der Medicin, gerade wie auf der Akademie, nur mit dem unerheblichen Unterschiede, dass jetzt das zurückgelegte achtzehnte Altersjahr, statt des frühern fünfzehnten festgesetzt ward. Allerdings sprachen gewichtige Umstände für die Massregel,

deren Nothwendigkeit wir hier nicht näher beleuchten wollen. Allein das steht fest: der letzte, höchste Zweck der Hochschule, eine gediegene allgemeine Bildung der wissenschaftlichen Berufsarten, war dadurch aufgegeben und die Hochschule wieder auf die Bestimmung der frühern Akademie zurückgeführt, praktische Berufsmänner zu bilden.

Denn die Rücksicht auf den Mangel an Vorbildung bei der grossen Mehrzahl der Zuhörer muss nothwendig die strenge Wissenschaftlichkeit der Vorträge herabdrücken; der Mangel an aller literarischer Vorbildung verschliesst dem studirenden Jünglinge auch einen weitern Gesichtskreis und das Interesse für jedes andere als das Brotstudium, für andere als die vom Patentexamen geforderten Kenntnisse, gestattet kein Urtheil über den Gehalt der Vorträge, beraubt ihn der Fähigkeit zu selbstständigem häuslichem Studium und Fleiss, macht ihn ganz abhängig vom mündlichen Unterricht des Lehrers und mehr als geneigt zum jurare in verba magistri, und bei der Unlust zur edeln Beschäftigung mit der Wissenschaft bedürftig und begierig nach unwissenschaftlichem, nur zu oft unwürdigem Zeitvertreib.

Nicht minder beklagenswerth wirkt dieser Mangel an gehöriger Vorbildung auf das Verhältniss der Studirenden unter sich. Die Hochschule erhält so zwei Klassen von Studirenden. Die eine ist durch die enge Pforte eines strengen Gymnasialexamens zur Hochschule eingegangen, die andere durch die weite und bequeme Pforte des zurückgelegten achtzehnten Altersjahres. Was Wunder, wenn jene sich fühlen gegenüber diesen, wenn umgekehrt diese jenen gegenüber von einer unbehaglichen Scheu, von Misstrauen und Entfremdung beschlichen werden; und fühlen jene durch die Unwissenheit und nicht selten auch durch die Rohheit des Betragens sich vom Umgang mit den letztern zurückgestossen, so erträgt hinwieder von diesen mancher Jüngling vom Lande im Bewusstsein seiner frischen Geisteskraft und seines eisernen Fleisses nur mit Widerwillen die Selbstgefälligkeit oder wohl gar Ueberhebung des nicht selten blasierten Mehrwissens jener. So ward durch den Bildungsunterschied, den die reglementarische Bestimmung sanctionirte, in die eine republikanische

Jugend der Keim zu Spaltungen gelegt, der bald eine tiefere Bedeutung und grössere Dimensionen annehmen sollte.

Fassen wir ferner den Zeitpunkt der Gründung unserer Hochschule ins Auge, so hätte dieselbe wohl kaum unter ungünstigern Auspicien das Licht des Tages erblicken können. Es war gerade der Zeitpunkt, in welchem die verhängnissvolle Spaltung in der bisher einigen liberalen Partei entstand.

Aus den Nachbarstaaten rings um unser Vaterland herum hatten politische Erschütterungen zahlreiche Flüchtlinge aus aller Herren Ländern, Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen in unser Land getrieben zu einer Zeit, da unsere eigene politische Umbildung im heftigsten Kampfe lag mit ihren immer noch mächtigen einheimischen Gegnern. Im überschwänglichen Gefühle der Gemeinsamkeit der Bestrebungen wurden diese Flüchtlinge gerade von den Häuptern der Liberalen, welche zugleich die einflussreichsten Mitglieder der neu eingesetzten Räthe waren, mit offenen Armen aufgenommen. Der haut goût der Flüchtlingschaft war eine Zeit lang die beste Empfehlung zu jeglicher Anstellung in der Administration so gut, wie an niedern und höhern Schulen. Ermuthigt durch solche Aufnahme standen diese Flüchtlinge, bald in geheime Gesellschaften geordnet, als "junges Europa" mit seinen Zweigen, nicht lange an, aus dem neutralen Boden des schweizerischen Asyls das archimedische zu machen zum Umsturze aller Throne Europas.

In Bern hatten die entdeckte Verschwörung von 1832, die Unruhen im Jura, die Baslerwirren, der Sarnerbund, der geheimnissvolle Einmarsch der Polen und seine Nachwehen, der Landfriedensbruch in Küssnacht und einige Tage darauf der abermalige blutige Zusammenstoss der Parteien in Basel die Parteileidenschaft auf den höchsten Grad gesteigert. So fanden denn die Theilnehmer am Savoyerzug, der Anfangs Februar 1834 unternommen, aber gescheitert, die Schweiz in ernsthafte Verwicklungen mit den Nachbarstaaten bringen musste, bei den Häuptern der bernischen Liberalen Schutz und Vorschub; die Stimme des besonneneren Vororts und der grossen

Mehrheit der Stände aber, die in Behandlung der Theilnehmer an jenem Zuge sowohl als am Steinhölzliauftritte den völkerrechtlichen Forderungen der Nachbarstaaten billige Rechnung tragen wollten, von Seiten Berns nur trotzigen und beharrlichen Widerstand. Die auswärtigen Mächte, von jeher geneigt, an wirkliches oder vermeintliches Unrecht der Schweiz und an wirkliches oder scheinbares Recht zu Einmischung weiter greifenden und ungebührlichen Einfluss zu knüpfen, suchten durch eine drohende Haltung ihren Willen hinsichtlich der Flüchtlinge durchzusetzen. Dieser neue Druck von aussen erbitterte um so mehr, als schon die Verwerfung der neuen Bundesverfassung zum grossen Theil diplomatischen Umtrieben zugeschrieben ward. Es fanden sich daher im Laufe dieses Jahres an verschiedenen Orten warme und einsichtsvolle Freunde des Vaterlandes zusammen, um über die Lage desselben zu berathen. Aus diesen Versammlungen erwuchs dann der sogenannte Nationalverein, der Anfangs noch sämmtliche Liberale in sich schloss und sich Fortentwicklung der kantonalen und eidgenössischen Verhältnisse, insbesondere eine neue Bundesverfassung durch einen schweizerischen Verfassungsrath und energische Wahrung schweizerischer Unabhängigkeit von fremdem Einfluss zur Aufgabe stellte. Man setzte grosse Hoffnung auf Bern, das bisher an der äussersten Spitze der Liberalen gestanden und auf das mit dem Jahr 1835 der Vorort übergehen sollte. Allein sei es, weil stutzig und misstrauisch gemacht durch die allmälig sich enthüllenden Pläne der Flüchtlinge, sei es im ängstlichen Bestreben, den diplomatischen Bann, der von den Mächten über die Regierung des Kantons Bern verhängt worden, noch bei Zeiten vom Vorort Bern abzuwenden, — genug, Bern lenkte noch im letzten Viertel des Jahres in seiner äussern Politik ein und erkaufte die Wiederherstellung eines leidlichen diplomatischen Verkehrs mit Concessionen besonders hinsichtlich der Flüchtlinge, die viel demüthigender waren, als die am 22. Juni vom Vorort beantragte und von der Tagsatzung nahezu einstimmig genehmigte Antwort an die Mächte enthalten hatte. So verscherzte Bern den schmeichelhaften

Namen des "moralischen Vororts" noch bevor es wirklicher Vorort ward.

Von da an zunehmende Entzweiung und endlich Spaltung der Liberalen in zwei Lager. Auf der einen Seite die Stifter und Lenker der Schutzvereine, auf der andern Seite die Stifter und Lenker des Nationalvereins; jene wollten nur noch mit sorgfältiger Vermeidung jeglichen Anstosses nach aussen das im Jahr 1831 nach innen Gewonnene sicher erhalten; diese wollten Fortentwickelung der kantonalen und der eidgenössischen Verfassung und energische Abwehr fremder Einmischung, nur leider nicht ebenso energische Enthaltung von eigner Einmischung in fremde Angelegenheiten; jene stolz auf ihr grosses Verdienst um die neue Ordnung der Dinge, getragen vom Vertrauen des Volkes und noch allmächtig in den Räthen Berns; diese zur Zeit noch eine kleine Minderheit, aber getragen von der Ueberlegenheit ihres Geistes und voll Vertrauen auf die Vernünftigkeit und Folgerichtigkeit ihrer Bestrebungen, hatten als Lehrer der Hochschule nur erst die Jugend, aber in dieser die Zukunft für sich. Ihr Programm ward im Jahr 1546 durch Annahme der neuen Kantonsverfassung, im Jahr 1848 durch Annahme der neuen Bundesverfassung von der grossen Mehrheit des Schweizervolks gebilligt und verwirklicht.

So hat denn die Geschichte selbst die Rechtfertigung des so hart angefeindeten Wirkens jener Männer übernommen und auch bereits die heftigsten Gegner theils versöhnt, theils zu ruhiger Ergebung gestimmt.

In diesen thätigsten Häuptern der nationalen Opposition, die zu gleich die gefeiertsten Lehrer der Hochschule waren, trat gewissermassen die Hochschule selbst als Streiterin auf in dem neuen leidenschaftlichen Parteikampf, der sich jetzt innerhalb der liberalen Partei so zu sagen vom Tage der Eröffnung unserer Hochschule an in der Presse, in Vereinen, in den Räthen zu entspinnen begann. Viele der früher eifrigsten Beförderer der Hochschule bereuten es schon jetzt, zur Errichtung der kaum errichteten Anstalt die Hand geboten zu haben . Noch war kein halbes Jahr seit ihrer Eröffnung abgelaufen,

so ward schon am 8. Mai 1885 im grossen Rathe angetragen auf jährliche Bestätigung oder periodische Anstellung der Professoren der Hochschule, ein Antrag, der, zum Gesetz erhoben, ein tödtlicher Schlag für die Anstalt gewesen wäre. Vertheidigt ward der Antrag auf's lebhafteste von den Leitern der Schutz-Vereine, auf's ausgezeichnetste bekämpft besonders von Neuhaus, der scharfsinnig und schlagend zeigte, dass die Lehrer der Hochschule nicht unter die "bürgerlichen Stellen" gezählt werden können, und mit höchstem Nachdruck geltend machte: die Lehrfreiheit der Hochschule allein vermöge einer retrograden Regierung die Wage zu halten; der Antrag vernichte aber die Lehrfreiheit und lege die Lehrer der Hochschule zu den Füssen der jeweiligen Regierung. Mit 85 gegen 43 Stimmen ward der Antrag verworfen.

Beruhigt durch diesen Ausgang und vom Beginn des Sommersemesters 1835 an mit vollzähliger Lehrerschaft ausgestattet, wirkte nun fortan die Hochschule ein volles Jahrzehnt ohne äussere Störung fort. Die Lehrerschaft war zahlreich und wies in allen Facultäten ausgezeichnete Lehrer und im In- und Auslande berühmte Namen auf. Die theologische Facultät zählte drei ordentliche und 3 ausserordentliche Professoren nebst einem Docenten der alttestamentlichen Exegese; die juridische Facultät 3 ordentliche, 5 ausserordentliche Professoren und 4 Docenten, nämlich die juridische Facultät im engern Sinn 3 ordentliche Professoren, darunter ein französischer für das französische Recht, so wie zu Vorträgen über französische Literatur, zu welchen schon im folgenden Jahre noch 2 ausserordentliche Professoren hinzukamen, und die staatswissenschaftliche Section drei ausserordentliche Professoren; von den 4 Docenten hielten 2 in deutscher, 2 in französischer Sprache Vorträge. Die medicinische Facultät zählte 4 ordentliche und 6 ausserordentliche Professoren nebst 5 Privatdocenten, die Thierheilkunde 4 Lehrer; die philosophische Facultät in ihren verschiedenen Sectionen 5 ordentliche, 12 ausserordentliche, darunter je einer für französische Sprache, für Forst- und Militärwissenschaft und Kunst, und 9 Privatdocenten für alte und neuere

Sprachen, Mathematik, Erdkunde, Musik. Im Ganzen arbeiteten in den ersten Jahren der Hochschule 64 Lehrer, darunter neben reifen und gewieften Lehrern viele junge Kräfte, die mit jugendlicher Begeisterung an dem guten Werke Hand anlegten.

Die Behörden waren fortwährend bemüht, die bereits vorhandenen zahlreichen und zum Theil trefflichen Subsidiar-Anstalten weiter zu entwickeln und mit neuen zu vervollständigen; der Bau des Anatomiegebäudes ward möglichst beschleunigt, an der Herstellung eines entsprechenden botanischen Gartens viel gearbeitet. Bei der Berathung des Hochschulgesetzes ward der Antrag, eine eigene Universitätsbibliothek zu gründen, vom grossen Rathe erheblich erklärt, und zur Begutachtung eine Commission niedergesetzt. Allein die Schwierigkeit der Sache erschien zu gross, und man begnügte sich mit der Benutzung der Stadtbibliothek in der bisherigen Weise. Der an theologischen, philologischen, geschichtlichen und philosophischen Werken sehr reichen und werthvollen Studentenbibliothek ward der bisherige Betrag von 200 auf 300 alte Franken erhöht unter der Bedingung, dass künftig auch für Jurisprudenz gesorgt werde, für welche bis dahin keine besondere Bibliothek bestand; ebenso flossen den übrigen Bibliotheken, der Prediger-, der medicinischen und militärischen Bibliothek die jährlichen Beiträge zu.

Die Gährung, welche die Zeit in die Geister gebracht, die allen Talenten eröffnete freie Laufbahn, welche den edlen Ehrgeiz der begabten Jünglinge entflammte, die vervielfältigten und gesteigerten geistigen Einflüsse, welche die erweiterte Anstalt den Studirenden zuführte, die ausgezeichneten Lehrtalente, deren sich jede Facultät erfreute, erweckten in der studirenden Jugend einen geistigen Schwung und erhöhtes wissenschaftliches Leben, das ein volles Decennium vorhielt; die schönsten Früchte brachte und das Vaterland zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Von durchschnittlich 120 angekündigten Vorlesungen wurden stets 90 bis 100 wirklich abgehalten; die Zahl der Studirenden wuchs während dieser Periode von 180 auf 250; besonders gross war der Zudrang zu der juridischen Facultät, die

stets nahezu so viel Studenten zählte, als die theologische und medicinische zusammengenommen, ein Verhältniss, das sich jedoch in den folgenden Jahrzehnten ziemlich ausglich. Ueber Fleiss und Betragen der Studenten ist mit wenigen Ausnahmen nur ein Lob. Die zur Erweckung wissenschaftlichen Eifers und Arbeitens gestellten Preisaufgaben wurden Jahr um Jahr in erfreulicher Zahl beantwortet, und die für alle Facultäten ausserordentlich gesteigerten Staats- oder Patentexamen in der Regel befriedigend, sehr häufig auch ausgezeichnet bestanden.

Die Hochschule lieferte dem Staate trefflich geschulte Fachmänner, Geistliche, Fürsprecher, Aerzte, verlieh ihren Jüngern Doctorgrade und leistete insofern unstreitig weit mehr als die frühere Akademie. Dennoch wirkte selbst in dieser ersten Periode des Aufschwungs die von der geschichtlichen Basis der Akademie ererbte vorherrschend praktische Richtung nur zu hemmend nach. Der anerkennenswerthen Fachtüchtigkeit fehlte die allgemeine humane Bildung. Das Studium der alten Klassiker blieb die ganze Zeit, das der Philosophie abwechselnd, das der Geschichte vom Abgange Kostüms an bis in die letzten Jahre vernachlässigt; Die Naturwissenschaften waren mit wenigen rühmlichen Ausnahmen fast nur für die Mediciner da; ja selbst die staatswissenschaftlichen Kollegien, Anfangs doch von drei Professoren vorgetragen, wurden stets von nur höchst wenigen Studenten besucht. Der Mangel einer tüchtigen literarischen Vorbildung und in Folge dessen das fehlende Bedürfniss nach allgemeiner humaner und philosophischer Bildung prägte sich an der grossen Mehrzahl der Studenten, die stets den Geist der Gesammtheit bestimmt, in der überwiegenden Richtung auf's Brotstudium aus. Dass der wissenschaftliche Unterricht in der medicinischen Facultät, der von den ersten Anfängen an durch die sinnliche Anschauung unterstützt wird, diesen Mangel weniger empfand, dass es in der juridischen Facultät der bewunderungswürdigen Lehrgabe und der begeisternden Anregung, die selbst von den heftigsten Gegnern einem Wilhelm Snell nachgerühmt wird, dennoch gelang, ausgezeichnete Talente, gepaart mit feurigem

Eifer und eisernem Fleiss trotz allem Mangel an allgemeiner wissenschaftlicher Bildung zu einem ausgezeichneten Staatsexamen zu befähigen, ändert wahrlich am Verhältniss hinsichtlich der grossen Mehrzahl der Studenten nichts.

Die Frequenz war stets noch im Zunehmen begriffen, Der Bestand der Lehrerschaft fing aber bereits von Anfang der Vierzigerjahre an in Rückgang zu gerathen. Schon im Jahr 1885 war Dr. Hugo Mohl, Professor der Physiologie und Botanik, einem Rufe nach Tübingen gefolgt, für Botanik zwar sofort durch Dr. Wydler, für Physiologie erst im Jahr 1836 durch Prof. Valentin ersetzt worden. Die Flüchtlingshetze hatte im Jahr 1836 auch das Gebiet unserer Hochschule gestreift und ihr mehrere Lehrer entrissen, darunter Dr. Ludwig Snell, Professor der Staatswissenschaften, dessen Stelle unbesetzt blieb. Im Jahr 1839 erlitt die Hochschule einen schweren Verlust an Dr. Kortüm, Professor der Geschichte, der einem Rufe nach Heidelberg folgte und erst nach drei Jahren durch Dr. Henne ersetzt ward, nachdem Dahlmann die Wahl, deren Annahme er erst zugesagt, dann doch ausgeschlagen hatte. Im Jahr 1843 verlangte Prof. Samuel Schnell, seit der Gründung der Akademie vier Decennien hindurch eine Säule dieser sowohl als der Hochschule, seine Entlassung vom Katheder des bernischen Civilrechts, das dann fünf Jahre lang auf Wiederbesetzung harrte. Im gleichen Jahre ward Herzog, Professor der Staatswissenschaften, abberufen, doch sogleich durch Prof. Stettler ersetzt. Im darauf folgenden Jahre nahmen die Professoren Kasthofer und Lohbauer ihre Entlassung, ohne ersetzt zu werden. Im Herbst 1845 ward mit der theologischen Facultät die Hochschule und die gesammte bernerische Kirche von einem unersetzlichen Verluste betroffen durch den Tod des Prof. Lutz. Der bisherige Professor der praktischen Theologie, Zyro, trat von seiner Stelle zurück, ebenso die Docenten der Mathematik und Musik, Volmar und Pursch. Dagegen machte die medicinische Facultät einen grossen Gewinn an Dr. Miescher, proc. honor. der vergleichenden Anatomie. Im folgenden Jahr 1845 ward Prof. Wilhelm Snell

von der Regierung kraft ihres Abberufungsrechts von seiner Stelle entfernt und aus dem Kanton gewiesen, angeblich aus Gründen, die eben so gut schon 10 Jahre vorher von seiner Berufung hätten abhalten können, in der That aus ohnmächtiger Nothwehr gegen dessen oppositionelle Agitation.

Diese Abberufung stellt uns die verderbliche Mitleidenschaft mit den politischen Parteikämpfen, in welche die Hochschule vom ersten Tage ihrer Existenz an hinein verflochten war, auf's klarste vor Augen und bezeichnet zugleich den Wendepunkt des Verfalls, aus dem sich die Anstalt erst seit kurzer Zeit wieder zu erheben angefangen hat.

Die grosse Mehrzahl der Hochschullehrer hatte sich in der Ueberzeugung, dass ihre Bestimmung und Aufgabe sei, mittelbar durch wissenschaftliche Bildung der Jugend auf das Volk zu wirken, von der nationalen Opposition gegen die Regierung fern gehalten. Trotzdem konnten sie es nicht vermeiden, innerhalb der Hochschule in vielen Fällen in Opposition gegen jene nationale Opposition zu gerathen; die Leidenschaftlichkeit auf der einen rief die Leidenschaftlichkeit auf der andern Seite hervor, und so finden wir bald auch innerhalb der Hochschule die zwei einander schroff gegenüber stehenden Parteien, wie ausserhalb derselben zuerst in den Räthen, später im ganzen Volke. Das Gesetz der Kollegialität, die Ansicht des Kollegen als freie redliche Ueberzeugung zu achten, ward nur zu sehr bei Seite gesetzt; freie redliche Ueberzeugung gestand einer dem andern nur zu, wenn er mit ihm übereinstimmte; eine abweichende Ansicht ward aus irgend einem selbstsüchtigen Beweggrund hergeleitet. Die aus vollster Ueberzeugung hervorgehende Opposition ward als politische Turbulenz, als Ehrgeiz und Herrschsucht, die Abneigung gegen die Mittel und das Verfahren der Opposition als Servilität gegen die Regierung, als Rückläufigkeit gebrandmarkt. Das kollegialische Leben und Zusammenwirken litt schwer unter dieser Spaltung, die erst intra parietes zu Zerwürfnissen und ärgerlichen Auftritten führte, gegen das Ende dieser Periode aber auch zu gegenseitigen gehässigen Anfeindungen und Verunglimpfungen in der Presse überging. Mit

tiefem Unwillen hörte das Publikum diese Anklagen von der einen Seite: über den unwissenschaftlichen Sinn und das wüste, rohe Treiben, das bei einem grossen Theil der Studirenden herrsche, über das ausschliessliche Brotstudium ohne wissenschaftlichen Eifer, über die Halbbildung ohne sichern Grund, was alles auf Rechnung einzelner Hochschullehrer gesetzt ward; von der andern Seite: die Mehrzahl des Senats habe sich der Regierung bei der Verfolgung Wilhelm Snell's und seiner freien Lehre willfährig gezeigt, der Senat nehme eine unterthänige, servile Stellung ein, Zerwürfnisse und Intriguen seien in der Hochschule zum Schaden der Anstalt an der Tagesordnung, viele Lücken seien unausgefüllt geblieben, die Hochschule gehe dem gänzlichen Verfall entgegen.

Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, dass trotz ihren unläugbaren grossen Leistungen und Verdiensten doch Aller Herzen sich von unserer Hochschule abwandten. Beide Parteien waren gleichmässig erbost über die Hochschule, die Konservativen, weil sie die Hochschule für das trojanische Ross ansahen, aus dessen Bauch die geharnischten Männer der "jungen Schule" ausgeschlüpft seien zum Umsturz der bestehenden Ordnung; die Radicalen, weil sie die Anstalt für baar an allem republikanischen Sinn und für den Sitz politischer Rückläufigkeit hielten. Der Wechsel der ausschliesslichen Herrschaft zuerst der einen, dann der andern Partei von 1846 bis 1854 brachte der Anstalt wirklich eine Periode völligen Verfalls. Zuerst verschwanden die Lehrkräfte, dann die Studirenden. Von 1845 bis 1854 hörte man fortwährend nur vom Verfall der Hochschule und von der Nothwendigkeit einer Reorganisation sprechen, und zugleich ward die Anstalt von beiden Verwaltungen stets im Verfall und in der Reorganisationsbedürftigkeit erhalten. Zwar wurden im Jahr 1847 und 1851 Hochschulcommissionen niedergesetzt, leider aber nur um Veränderungen zu berathen, wo Veränderungen am wenigsten nöthig waren, am Hochschulgesetz; die dringend nothwendige Wiederherstellung der Lehrkräfte und Lehrmittel ward unterlassen. Die Hochschule theilte in verstärktem Masse das Schicksal des gesammten

Erziehungs- und Unterrichtswesens, das während dieser Zeit von 1846 bis 1854 in völligem Stillstand und Rückstand verblieb.

Man muss indessen gestehen, Zeit und Umstände waren nicht angethan zu segensreichem Wirken auf dem Felde des Erziehungswesens. Die Sechsundvierzigerregierung hatte nicht nur eine neue kantonale Verfassung in die Staatsverwaltung und in's Leben des Volkes einzuführen, sondern zugleich als eidgenössischer Vorort den Sonderbundskrieg auszufechten und die grosse Umgestaltung des alten eidgenössischen Staatenbundes in einen Bundesstaat zu leiten, — wahrlich für eine Periode von vier Jahren ausserordentliche Aufgaben, die sie mit bewunderungswürdiger Energie und Thätigkeit und mit eben so viel Geschick als Glück löste. Und wenn die Männer der Fünfzigerregierung vom Jahr 1846 an nicht gewusst, ob die Regierung eine Partei oder eine Partei Regierung sei, so war nun der Zweifel nur zu gut gelöst, indem die Regierung von 1850 bis 1854 so zu sagen nichts anderes thun konnte, als der Partei gegenüber sich selbst als Partei am Ruder zu erhalten. Ueberdiess hatte jede der zwei Regierungen innerhalb ihrer vier Jahre zwei Erziehungsdirektoren, von denen selbstverständlich keiner auch nur die Zeit gehabt hätte, im Erziehungswesen etwas Erkleckliches durchzuführen.

Der wirkliche Verfall der Hochschule ward eingeleitet durch den §. 9 des Uebergangsgesetzes der Verfassung von 1846. Zwar lautete der §. 15 dieser Verfassung: "Keine öffentliche Stelle mit Ausnahme der geistlichen und Lehrerstellen kann auf Lebenszeit vergeben werden." Zur ursprünglichen Fassung des Entwurfs: "Keine öffentliche Stelle kann auf Lebenszeit vergeben werden," hatte Fürsprecher Stämpfli mit richtiger Einsicht und Würdigung der Sache im Verfassungsrathe den Zusatz "mit Ausnahme der geistlichen und Lehrerstellen" vorgeschlagen und durchgesetzt, mit der ausdrücklichen Erklärung: "Ich möchte die Geistlichen und Lehrer nicht in den Stand der Politik hineinziehen, sondern sie in dem Wirkungskreise behalten, welcher ihnen ihrer Stellung und Aufgabe gemäss gebührt." Auch die übrigen hervorragendsten Mitglieder des Verfassungsrathes

sprachen sich für den Grundsatz oel Lebenslänglichkeit aus; nur wollte man eine bindende Bestimmung über diese Stellen, die nicht zum eigentlichen Staatsorganismus gehörten, nicht in die Verfassung aufnehmen, sondern der Gesetzgebung überlassen. Indem aber geistliche und Lehrerstellen unter der Kategorie von öffentlichen Stellen befasst blieben, fielen sie auch unter den §. 9 des Uebergangsgesetzes: "Alle öffentlichen Stellen unterliegen in Folge der Einführung der neuen Verfassung der Wiederbestätigung." Diese Wiederbestätigung erfolgte aber weder in dieser, noch in der folgenden Verwaltungsperiode, und die Hochschullehrer verblieben ein volles Jahrzehnt unter das Damoklesschwert einer provisorischen Anstellung gestellt. Sofort nach Einsetzung der neuen verfassungsmässigen Behörde, noch am Ende dieses Jahres, erhielt der Erziehungsdirektor den Auftrag, die Hochschule zu reorganisieren. Ob diese Reorganisation der Anstalt Leben oder Tod bringen werde, konnte der Natur der Sache nach schon damals nicht zweifelhaft sein. Wir wissen jetzt, dass die Reorganisation, am 12. November 1846 auch über das Seminar verhängt, im Jahr 1852 auf's Neue über dasselbe hereingebrochen ist. Zur Anbahnung dieser Reorganisation ward schon im Januar 1847 eine Hochschulkommission niedergesetzt.

Noch während diese an einem neuen Hochschulgesetz arbeitete, verbreitete sich in Folge der Berufung des Dr. Zeller (14. Jan. 1847) im Volke die Angst der Religionsgefahr. Zwar hatte sich der junge Gelehrte noch durch kein grösseres theologisches Werk öffentlich ausgesprochen, sondern sich erst theils als Privatdocent an der Universität Tübingen durch seine ausgezeichneten Vorträge, theils durch Aufsätze und Kritiken in Zeitschriften einen bedeutenden Ruf erworben. Allerdings gehörte derselbe einer in theologischer Wissenschaft am weitesten vorgeschrittenen Schule an, aber in vollem Bewusstsein auf wissenschaftlich erprobtem Grunde noch innerhalb der christlichen Kirche zu stehen, dabei von durchaus ernstem Streben einzig nach wissenschaftlicher Wahrheit. Nun stellt aber das Hochschulgesetz vom Jahr 1884 im §. 2 Lehrfreiheit und im §. 1 neben Bildung zu wissenschaftlichen

Berufsarten ausdrücklich auch "Förderung der Wissenschaft" als Bestimmung der Hochschule auf. So durch das Gesetz selbst von der ausschliesslichen Berücksichtigung des bloss kirchlichen Bedürfnisses entbunden, war die Regierung sowohl vollkommen berechtigt zu dieser Wahl, als auch hätte diese in wissenschaftlicher Hinsicht nicht glücklicher sein können. Allein der Ruf theologischer Freisinnigkeit, dem Dr. Zeller seine Berufung verdankte, rief andererseits religiöse Besorgnisse wach und Protestation gegen dieselbe hervor. Zwar beobachtete mit wenigen Ausnahmen die gesammte Geistlichkeit der bernerischen Kirche, im festen Vertrauen auf die Sache Gottes, eine gesetzte und ruhige Haltung. Desto thätiger war die evangelische Gesellschaft. Diese "glaubte eine Darstellung des Zeller'schen Unglaubens veröffentlichen zu müssen; denn auch unter den Geistlichen gehe die Unwissenheit darüber weit. Da ihr aber zu einer autentischen Darstellung die Materialien abgiengen," wandte sich ein Mitglied derselben an einen der heftigsten Gegner des Berufenen, an den Mitherausgeber der "süddeutschen Warte", eines Tagblattes, das wegen seines schroffen Pietismus und fanatischen Hasses gegen Andersdenkende selbst unter den würtembergischen Pietisten berüchtigt war, mit der Bitte: "er möchte ihr diese Handreichung der Liebe thun und ihr eine Zusammenstellung der flagrantesten Stellen aus den Zeller'schen Schriften zusenden." Mittelst dieser Schrift des schwäbischen Zeloten, die, mit einem kurzen Eingang und Schluss versehen, in's Volk geworfen worden, ward dann gegen Dr. Zeller's Berufung eine höchst erfolgreiche Agitation in's Werk gesetzt, die zum Sturz der Regierung und zu einer gänzlichen Revolution ausschlagen zu wollen schien. Mitten in der höchsten Aufregung des Volks versammelte sich am 24. März 1847 der Grosse Rath, um über die Petitionen zu Rathe zu sitzen, welche für Abberufung Dr. Zeller's eingegangen waren. Nach vierzehnstündigen, stürmischen Debatten beschloss der Grosse Rath: die Berufung aufrecht zu halten. Dieser Ausgang der denkwürdigen Sitzung schlug dann auch sofort die ganze Bewegung nieder. Wenn die Gegner meinten; "Ein Feuer ist dadurch angezündet, wie weit

es brennt — der Herr weiss es", so erlosch das künstliche Feuer zugleich mit den Lichtern, welche den Debatten geleuchtet hatten. Dr. Zeller lehrte ungehindert mit ausserordentlichem Erfolg und widerlegte durch die That die Befürchtungen seiner Gegner, von denen manche edel genug waren, in der Folge offen zu gestehen, dass sie sich in dem Manne geirrt und ihm Unrecht gethan haben.

Dieser für die Kirche nicht minder, als für den Staat glücklich vorübergezogene Sturm hatte aber bei der herrschenden Partei das Ansehen der Hochschule noch mehr erschüttert. Es ward ihr bitter vorgeworfen: dass die erste Denunciation in der Presse von einem Hochschullehrer ausgegangen, dass der Senat nicht gewagt habe für die gefährdete Lehrfreiheit einzustehen, und dass von der theologischen Facultät ein Gutachten über die Berufung ausgestellt worden sei, auf das sich im Grossen Rathe beide, die Vertheidiger der Berufung so gut, als die Gegner, haben berufen können.

Diese gesteigerte Verstimmung gegen die Hochschule fand denn auch bei der Behandlung des mittlerweile aus der Hochschulcommission hervorgegangenen Entwurfs eines neuen Hochschulgesetzes bald genug Gelegenheit sich Luft zu machen. Das Gesetzproject kam noch im Laufe des Juli zur Berathung des Regierungsraths. Zwar trat die Hochschulfrage vor dem herrannahenden Sturm des Sonderbundskrieges in den Hintergrund. Kaum aber war der Kriegslärm verstummt, so nahm auch der Grosse Rath schon im Januar 1848 die Hochschulfrage in Berathung und verwarf entgegen den eindringlichsten Vorstellungen der einsichtsvollsten Mitglieder, eines Dr. Schneider, der Fürsprecher Niggeler und Mathys u. s. w. mit grosser Mehrheit die Lebenslänglichkeit der Lehrerstellen an der Hochschule.

Jedoch der Gesetzesentwurf gelangte nicht zur zweiten Berathung im Grossen Rathe. Sogleich nach glücklich beendigtem Sonderbundskrieg trat die Frage einer neuen Bundesverfassung und mit dieser die Errichtung einer eidgenössischen Hochschule in den Vordergrund. Schon im Laufe des Monats Mai kam der Entwurf einer

neuen Bundesverfassung vor den Grossen Rath, der dem §. 22, "die Eidgenossenschaft wird für Errichtung einer schweizerischen Universität, einer polytechnischen Schule und für Lehrerseminarien sorgen," am 10. Mai mit grosser Mehrheit beistimmte. Nach der Annahme dieser Bundesverfassung von Seiten der grossen Mehrheit des Schweizervolks entspann sich vorzüglich zwischen Zürich und Bern ein lebhafter Wettstreit um den Bundessitz. Zur leichtern Schlichtung desselben ward die eidgenössische Hochschule als Gegengewicht aufgeführt und schon in einer der ersten Sitzungen der Bundesversammlung der Antrag der Errichtung derselben gestellt und erheblich erklärt, so dass, wenn der Bundessitz in die eine der vorörtlichen Städte, dann die Hochschule in die andere verlegt werden müsse. Die Konstituirung der Bundesbehörden erforderte aber sofortige Entscheidung über den Bundessitz, der dann am 9. November 1848 von der Bundesversammlung Bern zugetheit ward. Die eidgenössische Hochschule, deren definitive Errichtung noch von der Ordnung der Bundesfinanzen abhieng und daher noch der Zukunft anheim fiel, war somit zum voraus Zürich vorbehalten auf den Fall, dass die Bundesversammlung später die wirkliche Gründung beschliessen sollte. In Erwartung des Entscheides über diese Frage kam dann selbstverständlich die Reorganisation unsrer Hochschule im Grossen Rathe nicht mehr zur Sprache, und eben so wenig erfolgte die Wiederbesetzung der Lehrerstellen der Hochschule. Welch niederschlagende verderbliche Wirkung dieses andauernde Provisorium, an dessen Ziel nichts anderes, als gänzliche Aufhebung voraus zu sehen war; auf die Anstalt üben musste, darüber befrage man die eigenen Staatsverwaltungsberichte der Regierungen.

Unter der Hochschullehrerschaft, die schon seit einer Reihe von Jahren im Abnehmen begriffen war, erwachte jetzt um so lebhafter das Gefühl der Unsicherheit ihrer Stellung; die Losung sauve qui peut ward immer allgemeiner. Im Jahr 1847 nimmt Professor Trechsel seine Entlassung von dem Katheder der Physik, wird erst drei Jahre nachher wieder ersetzt; Dr. Hundeshagen, Professor der

Theologie, folgt einem Rufe nach Heidelberg, Dr. Müller, Professor der Philologie, nach Rudolstadt; der einzige noch übrige Docent der französischen Sprache und Literatur, Professor Richard, nimmt ebenfalls seine Entlassung. Im Jahr 1848 entreisst uns der Tod den Dr. Schneckenburger, Professor der Theologie, ein unersetzlicher Verlust für die Hochschule nicht minder; als für die theologische Facultät; der sehr gelehrte und viel versprechende Docent der Theologie; Rüetschi, zieht den sichern Wirkungskreis einer Landpfarrer der angebotenen Professur vor; von den zwei noch übrigen Lehrern der Staatswissenschaft wird Professor Stettler abberufen, und Professor Rheinwald nimmt seine Entlassung, und die Lehrstufe der Staatswissenschaft bleiben verwaist bis ins Jahr 1856; Professor Renaud folgt einem Rufe nach Giessen; und selbst Professor Zeller eilt, im lebhaften Gefühle seiner unsichern Stellung, den eisten besten Ruf an eine auswärtige Universität anzunehmen. Im Wintersemester 1848-49 fand die juridische Section von den frühern 5 Professoren noch 2, die staatswissenschaftliche Section gar keinen Professor mehr; die theologische Facultät im Anfang des Wintersemesters statt der frühern 5 Professoren für die wissenschaftliche Theologie noch einen einzigen Professor vor, der vielen übrigen vacanten Lehrstühle nicht zu gedenken. Endlich im Winter 1849-50 ward der Lehrstuhl des bernerischen Civilrechts nach fünfjähriger Erledigung wieder besetzt, Professor Wilhelm Snell in seine frühere Stelle wieder eingesetzt, ebenso Dr. Herzog als Professor ordinarius der Staatswissenschaft, der aber schon nach einem Jahre wieder von seiner Stelle entlassen werden musste; dann noch im Januar 1850 die zwei theologischen Lehrstellen der Dogmatik und der alttestamentlichen Exegese durch zwei Professoren besetzt und der Physik wieder ein Professor geschenkt, drei Wahlen, die der Behörde Ehre machten, indem dieselben nicht den mindesten Verdacht zuliessen, dass sie aus Rücksicht auf irgend etwas anderes als auf wissenschaftliche Tüchtigkeit getroffen worden seien.

Auch das Verhältniss der Studirenden unter sich finden wir während dieser Periode wesentlich verändert. Bisher hatten sich die Zerwürfnisse und Spaltungen aus politischen Gegensätzen innerhalb der Lehrerschaft gehalten. Neben speciell wissenschaftlichen und daher nach den Facultäten gesonderten Vereinen bestand hier nur der allgemeine Studenten- oder Zofingerverein, der, bei dem letzten zürcherischen Reformationsjubiläum im Jahr 1819 gestiftet, nach und nach um die grosse Mehrzahl der Studirenden sämmtlicher schweizerischen Hochschulen und Akademien beider Confessionen das Band der Freundschaft geschlungen hatte. Von jeher hatte dieser Verein die extremsten Gegensätze in seiner Mitte enthalten und platzten die Geister viel und oft auf einander, dass Funken stoben; die weitherzige frische Jugendkraft vermochte aber stets diese streitenden Gegensätze in brüderlichem Vertrauen, in gegenseitiger Achtung und Freundschaft zu erhalten und so ein oft tief bewegtes, höchst anregendes und fruchtbares Studentenleben zu erzeugen. Jetzt aber ergriff die Entzweiung der Alten auch diesen schönen Jugendverein. Im Jahr 1847 trat ein grosser Theil der Mitglieder aus dem Zofingervereine aus und bildete den Verein der Helvetia mit der ganz gleichen Bestimmung, welcher von jeher der Zofingerverein gewidmet war. Wie viel zu dieser Spaltung der Bildungsunterschied der Studirenden beitragen musste, ist oben angedeutet worden. Die gegenseitige Einwirkung der Parteien auf einander war damit abgeschnitten, dieselben standen sich in getrennten Vereinen gegenüber und wurden erst jetzt in dieser äusserlichen vermittlungslosen Entgegensetzung jede das, wozu sie die Gegenpartei machte, hier Conservative mit überwiegend städtischen, dort Radikale mit vorherrschend ländlichen Elementen. Beide Vereine wurden Rekrutendepots für die Parteien der Alten. Natürlich ging diese Entgegensetzung bald in feindselige Spannung und Thätlichkeiten über, von Prügelscenen kam es zu Duellen, und diese nahmen so überhand, dass es im Wintersemester 1848/49 in der Woche doppelt so viele Duelle gab als Tage. Gelang es auch einmal den Bemühungen des Senats und der Intervention des Erziehungsdirektors,

Waffenstillstand unter die Kämpfenden zu bringen, so war das immer nur ein kurzes Athemholen, und Hand um entbrannte der Kampf auf's Neue. Die leidenschaftliche Spaltung sprengte das Studentencorps und riss nicht nur die ganze Studentenschaft, sondern sogar auch das Gymnasium in zwei feindselige Parteien aus einander. Statt im Studirzimmer und im Auditorium hielt man sich auf dem Fechtboden auf, und das Hauptstudium war dem Rapier und dem Säbel gewidmet. Dieser Zustand dauerte bis in die Mitte der Fünfzigerjahre, da es denn endlich unter eifriger Mitwirkung einzelner Hochschullehrer den Bemühungen der besonnensten und einflussreichsten Häupter beider Vereine gelang, die erbitterten Gemüther in dem Neuzofingervereine wieder zur Einheit zurückzuführen.

So an Lehrkräften decimirt, überdiess durch innere Spaltung in ihrer Wirksamkeit gelähmt, von aussen mehr als gefährdet in ihrer Existenz, erreichte die Hochschule den Regierungswechsel im Jahr 1850, Was unter der frühern Verwaltung zur ecclesia pressa gehört hatte, fand sich jetzt plötzlich wieder, wie vor 1846, in der ecclesia triumphans, und umgekehrt; ein Wechsel, der theilweise sogar in den collegialischen Verhältnissen der Hochschullehrer sich auf eine bedauerliche Weise geltend machte. In der That hatte sich die Hochschule als solche dieses Regierungswechsels wenig zu getrösten. Der erste Gruss von Seiten der an's Staatsruder gelangten Konservativen war jene Losung des Oberländeranzeigers: "Hochschule fort!" Zwar hielten die besonnenen Führer an sich und liessen sich zu keinen voreiligen Schritten gegen die Hochschule hinreissen. Die Regierung befand sich gegenüber derselben in der günstigsten Stellung, sie hatte ganz freie Hand. Sie fand ja die Anstalt in einem von ihren Vorgängern über sie verhängten Provisorium, und die Aussicht auf eine eidgenössische Hochschule, über welche der Entscheid der Bundesversammlung erst noch zu erwarten stand, erlaubte ihr ruhig zuzuwarten und selbst die "Maikäfer" frei fliegen und summen zu lassen. Nichts desto weniger ward die Aussicht auf ihren Fortbestand von Tag zu Tag trüber. Das Sturmsignal gegen die Hochschule,

das von oben genanntem Blatte gegeben worden, rief in der regierungsfreundlichen Presse eine lebhafte Debatte hinsichtlich der Hochschule hervor. Viele wollten dieselbe geradezu aufheben, andere nur die Lehrfächer und Professoren vermindern und die Anstalt auf den Stand der Akademie vor 1834 zurückführen, noch andere von den vier Facultäten allein die philosophische ganz, von den übrigen nur die Lehrstellen der praktischen Theologie und des bernerischen Civilrechts beibehalten, — ein naiver Vorschlag, mittelst dessen bis auf einige Aerzte sämmtliche Bernerprofessoren in ihren Stellen erhalten und nur die fremden Professoren über Bord geworfen worden wären. Man sah mit schmerzlichem Erstaunen, dass auch der Mehrzahl der Konservativen über dem politischen Fanatismus die Würdigung einer Hochschule und das Herz für die von ihnen selbst in den Jahren 1805 und 1834 gegründete Anstalt fast gänzlich abhanden gekommen war. Doch muss zur Steuer der Wahrheit gesagt werden, dass neben dem Erziehungsdirektor Mochard viele der einflussreichsten und gebildetsten Männer, wie Blösch, Kurz, Lauterburg u. A. die Hochschule ernstlich zu erhalten wünschten und daran mahnten, das in Verfall Gerathene wieder in den frühern Stand herzustellen. Indessen konnte die Regierung selbstverständlich vor dem Entscheid über die eidgenössische Hochschule weder auf eine Erneuerung unserer Hochschule, noch auf die obigen Vorschläge eingehen. Denn eine theilweise so gut wie gänzliche Aufhebung der hiesigen Anstalt hätte unmittelbar ein Gewicht mehr in die Wagschale gelegt für die eidgenössische Hochschule in Zürich. Dieser aber irgend welchen Vorschub thun, das wollte die Regierung nicht. Vielmehr stimmten in jener entscheidenden Abstimmung der Bundesversammlung über die eidgenössische Hochschule sämmtliche radicalen Bern. Mitglieder für, sämmtliche conservativen gegen die eidgenössische Hochschule und retteten dadurch, so viel an ihnen, die eigene heimische Anstalt.

Indessen auch nach der Verwerfung der eidgenössischen Hochschule von Seiten der Bundesversammlung ward weder zu einer Reorganisation der Hochschule geschritten, noch erfolgte die Wiederbesetzung

der Lehrstellen an derselben, und so trug die Hochschule das Kreuz des Provisoriums aus dieser Verwaltungsperiode in diejenige von 1854 hinüber.

Der Bestand der Lehrerschaft erlitt während dieser Zeit noch drei schwere Verluste. Zwei trafen die medicinische Facultät, die bis dahin noch von jeglichem Verluste verschont, überhaupt auf fast wunderbare Weise von allen Wechselfällen der Hochschule unberührt und unentwegt bis auf den heutigen Tag fortgefahren hat, mit ihren ausgezeichneten und unverminderten Lehrkräften den alten Ruhm der Berner medicinischen Facultät aufrecht zu erhalten. Professor Miescher folgte jui Jahr 1851 einem Rufe nach Basel, Prof. Theile, der ausgezeichnete Lehrer der Anatomie, zog sich, gekränkt durch die lange Zurücksetzung, als praktischer Arzt nach Weimar, und Prof. Troxler nach der Feier seines Doctorjubiläums in den Ruhestand zurück. Den Unterricht in der Anatomie übernahm Prof. Valentin mit Hülfe der zwei neugewählten Professoren, Rüttimann und von Goumoens, die aber; ersterer auf einen Ruf nach Basel, ihre Stellen bald wieder aufgaben. Zu ausserordentlichen Professoren wurden ferner gewählt die bisherigen Privatdocenten der Mathematik, Schläfli und Wolf, zum professor honorarius Dr. Karl Emmert. Auch traten wieder mehrere Privatdocenten auf: in der Jurisprudenz Dr. Lerch, für Botanik Dr. Fischer, für deutsche und englische Literatur die Dr. Eckardt und Hahn.

Die Lehrer, des Trostes eines collegialischen Zusammenlebens fast ganz entbehrend, thaten in gedrückter Stimmung jeder für sich seine Pflicht, und die Hochschule fuhr fort, dem Staate gutgeschulte Geistliche, Juristen und Aerzte abzuliefern. Die Frequenz der Hochschule war bis gegen das Jahr 1850 noch stets im Zunehmen begriffen, und von 1846 bis 1850 stand die Zahl der Studirenden noch stets über 200, im Wintersemester 1848/50 auf 251, und noch das Sommersemester 1850 ward mit 219 eröffnet. Von da an nahm aber die Zahl der Studirenden auf erschreckende Weise ab, fiel im Wintersemester 1852/53 auf 143 und erhielt sich auch in den folgenden

Jahren nur in der mittlern Zahl von 165, also ungesühnt in der Höhe der frühern Akademie.

Den sämmtlichen Subsidiaranstalten floss nur noch eine namhaft geschmälerte Unterstützung von Seiten des Staates zu; an Erweiterung war gar nicht zu denken. Vielmehr ward der Staatsbeitrag von 1600 alten Franken an die Stadtbibliothek vom Jahre 1849 an auf 1000 alte Franken beschränkt, zu einer Zeit, da die fortgeschrittenen Bedürfnisse eher eine Erhöhung dieses frühern Beitrages erheischten.

So bot der Verfall der Hochschule, wie der gänzliche Rückstand des gesammten Erziehungswesens, während des verflossenen Decenniums ein schlagendes Beispiel dar, wie sehr unter andauerndem Parteifanatismus nach und nach das Interesse für die wesentlichsten Aufgaben des Staates erstickt wird, und wie durch ihn die heiligsten Angelegenheiten eines Volkes zu Grunde gehen müssen. Das fühlte man nachgerade allgemein. Zudem musste man auf der einen Seite zur Einsicht gekommen sein, welch' schwere Aufgabe es sei, unter einer radikalen Verfassung anders als radikal zu regieren, und der andern die Frage sich aufdrängen: wozu doch eine noch so freie Verfassung, wenn durch dieselbe nicht auch die Anlagen und Kräfte des Volkes zu wirklicher Entwicklung befreit, und das Volk nicht seiner sittlichen Bestimmung näher geführt wird; wenn vielmehr innere widerstrebende Mächte auf jeglichem Gebiete des Volkslebens jeglichen Fortschritt bannen? So kam zu Stande, was man Fusion genannt hat. Mag Jeder davon halten, was er will. Die durchaus unfruchtbare, starre Negation der einen Partei gegen die andere ward dadurch allerdings aufgehoben, dem Geiste beider Seiten die Richtung auf die Sache gegeben und der Versuch angebahnt, an dieser mit vereinten Kräften zu arbeiten.

Dessen hatte sich nun vor allem aus das Erziehungswesen zu freuen. Wie wenn ein böser Zauber, der bisher auf diesem Gebiete alle Kräfte und Thätigkeiten darnieder gehalten, plötzlich gelöst worden wäre, so fasste der Regierungsrath schon im Oktober 1854 hinsichtlich der Hochschule die durchgreifendsten Beschlüsse: Aufhebung des

Provisoriums; Hebung der Hochschule auf Grundlage des bestehenden Gesetzes; Bestätigung der vorhandenen Lehrerschaft und Wiederbesetzung der erledigten Stellen; strengere Forderung hinsichtlich der zur Aufnahme an die Hochschule nöthigen Vorbildung; Forderung von Gymnasial- und philosophischen Studien für die Staatsprüfungen, — lauter Beschlüsse, die bis in den innersten Lebensquell der Anstalt dringen.

Während so seit langer Zeit zum ersten Male das Wohlwollen der Regierung sich wieder der Hochschule zuwandte, stiegen am aufgeheiterten Horizont unerwartet wieder drohende Wolken von Religionsgefahr auf. Die theologische Facultät ward plötzlich Gegenstand ernster öffentlicher Anklagen.

Schon im Mai 1854 hatte der Pastoralverein des Simmenthals in Erwartung einer Reorganisation der Hochschule, von der blossen, durch keinen einzigen Beweis begründeten Voraussetzung aus, "dass die kirchliche und rein evangelische Richtung in der Exegese und Dogmatik an unserer Hochschule nicht vertreten werde, wie zu wünschen sei," den kirchlichen Synodalausschuss durch eine Petition aufgefordert: "dafür zu sorgen, dass in genannten Disciplinen neben der jetzt vertretenen Richtung auch die reine evangelische durch Anstellung eines wahrhaft an Christum gläubigen Lehrers vertreten werde."

Diese Befürchtungen des simmenthalischen Pastoralvereins schienen durch befriedigende Erklärungen längst beruhigt; da wirft plötzlich Herr von Wattenwyl-de-Portes öffentlich drei Fragen auf, die ganz geeignet waren, in der Kirche neue Angst vor Religionsgefahr heraufzubeschwören: "Ist es wahr, dass die theologische Facultät diejenigen, die sie gläubig empfängt, zum Unglauben verführt? Ist es wahr, dass da gelehrt wird, die evangelische Geschichte sei zum guten Theil ein Mythus, d. h. eitel Betrug? Ist es wahr, dass da der Schriftglaube der Reformatoren als blinder Köhlerglaube belächelt wird?" Trotz der eben so gediegenen als geharnischten Erwiderung, durch welche die theologischen Professoren die in obigen Fragen liegenden

Anklagen zurückwiesen, richteten im Februar 1856 einige Prismen, zum Theil Mitglieder der evangelischen Gesellschaft und in inniger Verbindung mit Herrn von Wattenwyl eine Petition an die Erziehungsdirektion, in welcher sie mit dem Anerbieten, die nöthigen Finanzopfer zu übernehmen, darum ersuchen: dem Dr. Fabri die venia docendi mit dem Titel eines Professors honorarius zu ertheilen. Motivirt ward das Gesuch mit der Erklärung: "Weil wir mit Bedauern gesehen, dass der wichtige und heilige Grundsatz der unbedingten Autorität der heiligen Schrift, wie wir sie verstehen, und wie sie in den symbolischen Büchern unserer Kirche ausgesprochen ist, an hiesiger Hochschule deutscher Zunge keine genügende Vertretung hat," — also mit der nämlichen Anklage gegen die theologische Facultät, die in den drei Fragen des Herrn von Wattenwyl enthalten war.

Wie die wenigen Privaten die unbedingte Autorität der heiligen Schrift auffassen, das musste eine Landesregierung doch wohl dahin gestellt sein lassen; dass hingegen diese Autorität, wie sie in den symbolischen Büchern, unserer Kirche, in der confessio Helvetica, ausgesprochen ist, nämlich mit der ausdrücklichen Erklärung: "denique meliora ex verbo Dei docentibus et cedere et obsequi in Deo," an unserer Hochschule nicht genügend vertreten sei, dafür war ausser der Berufung auf den Zeitungskampf des Herrn von Wattenwyl gegen die theologische Facultät kein einziger Beweis beigebracht worden. Das Urtheil eines Separatisten aber, der offenbar der theologischen Wissenschaft, d. h. eben den meliora ex verbo Dei docentibus seit der Zeit der Reformation, seit vierthalbhundert Jahren, Stillstand gebietet, konnte nun doch unmöglich massgebend sein für die oberste Erziehungsbehörde. So ward denn das Gesuch, dessen Gewährung selbstverständlich eine Bestätigung obiger Anklagen und ein Misstrauensvotum der Behörde gegen die theologische Facultät enthalten hätte, abschlägig beschieden.

Diese Anfechtungen hatten für die theologische Facultät ausser der heilsamen Gemüthsbewegung nur die gute Folge; dass dem dringenden

Bedürfniss einer Vermehrung der Lehrkräfte in letzter Zeit endlich einiges Genüge geleistet ward.

Mittlerweile war die Erziehungsdirektion in der Reorganisation des gesammten Schulwesens und der höhern und niedern Bildungsanstalten des Kantons energisch vorgeschritten. Schon im Sommer 1856 erliess auf ihren Antrag der Grosse Rath die drei bezüglichen Gesetze, das neu durchgearbeitete, wesentlich verbesserte und vervollständigte Primarschulgesetz, das neue Gesetz für die Sekundarschulen und Progymnasien und für die neu gegründete Kantonsschule.

So war dem Kanton allererst im Zusammenhang mit dem bereits bestehenden Hochschulgesetz ein alle Bildungsbedürfnisse, alle Zweige und Stufen des öffentlichen Unterrichts umfassendes Ganzes von Schulgesetzgebung geschaffen und dem gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesen von der Primarschule an durch alle Stufen bis zur Hochschule und zum Polytechnikum ein wohlgefügter einheitlicher Organismus gegeben.

Jetzt erst mit dieser allgemeinen Hebung der stufenweise aufsteigenden Volksbildung und der darin sicher angelegten wissenschaftlichen Vorbildung der studirenden Jugend erhielt auch die Hochschule die unentbehrliche Grundlage und Bedingung einer segensreichen Wirksamkeit. Jetzt erst durfte der Regierungsrath es wagen, und wagte im verflossenen Jahre auch wirklich, für die Studirenden sämmtlicher Facultäten den Eintritt in die Hochschule an das Zeugniss gewonnener Gymnasialreife zu knüpfen. Und um diese wissenschaftliche Vorbildung zu Stadt und Land zu erleichtern und zu sichern, ward ebenfalls im verflossenen Jahre an unserer Hochschule ein philologisches Seminar errichtet. zur Heranbildung eines tüchtigen einheimischen Literarlehrerstandes.

Die Hochschule erhob sich wieder zu neuem Leben und neuer Thätigkeit; Beweis davon war auch die freudige Bereitwilligkeit, mit welcher sie, dem ausgesprochenen Wunsche und Bedürfnisse des Publikums entgegen kommend, die öffentlichen Vorträge auf dem Rathhause eröffnete, die fortan unter grosser Theilnahme des gebildeten

Publikums jeden Winter ihren ununterbrochenen Fortgang haben. Auch die gelichteten Reihen der Hochschullehrerschaft sämmtlicher Fakultäten stillten sich von Jahr zu Jahr mehr. Die theologische Fakultät gewann zwei Privatdocenten, die juridische zwei Professoren für Staatswissenschaft und französisches Recht, neben welchen ein höchst talentvolles junger Mann als Privatdozent auftrat; die medizinische Fakultät, welche an Prof. Fueter und dem so viel versprechenden Dr. Belmont zwei empfindliche Verluste erlitten hatte, erhielt sofort durch Anstellung von zwei Professoren trefflichen Ersatz. Nicht minder erfreute sich die philosophische Fakultät theils neuen Zuwachses, theils ungesäumtes Wiederbesetzung erledigter Stellen. Der durch Prof. Henne erledigte Lehrstuhl der Geschichte ward sofort wieder besetzt, ebenso der Lehrstuhl der Physik, der innerhalb weniger Jahre erst durch Prof. Brunner, Sohn, dann durch Prof. Beetz vakant geworden. Das älteste Mitglied der Fakultät, Prof. Jahn, der volle fünf Decennien hindurch an den bernischen Gelehrtenschulen gewirkt hatte, ward durch den Tod abgerufen. Die durch dessen Hinscheid entstandenen Lücken wurden vortrefflich ausgefüllt durch die Professoren Pabst für die deutsche uno Ribbeck für die alte classische Literatur; zur wohlverdienten Anerkennung seiner vieljährigen gewissenhaften Arbeit ward Prof. Rettig zum professor ordinarius befördert; auch an Privatdocenten erfreute sich die Fakultät neuen Zuwachses, indem deren zwei, die Doktoren Hebler und Trächsel in der Philosophie und Dr. Hugo Schiff in der organischen Chemie als Docenten auftraten.

Wie der Bestand der Lehrkräfte, so wächst auch wieder die Frequenz der Hochschule bis diesen Tag in höchst erfreulicher Weise. Auch die sämmtlichen Subsidiaranstalten erfreuen sich wieder reichlicherem Zuflüsse von Seiten des Staates. So ward der Staatsbeitrag für die Benutzung der Stadtbibliothek wieder auf 2000 neue Franken erhöht, die zwar immer noch zu wenig mehr als zur Fortsetzung bereits angekauften Werke ausreichen.

Hochverehrte Versammlung!

Dieser kurze Rückblick hat niemanden etwas weder zu Lieb noch zu Leid sagen, sondern lediglich vor Augen stellen wollen, aus welchen Ursachen unsre Hochschule bis jetzt ihre Aufgabe nicht vollständig hat lösen können. Der frühere mangelhafte Zustand unsers gesammten Schulwesens nicht minder, als die politischen Parteikämpfe unter denen unsre Hochschule so schwer gelitten, sind nothwendige Durchgangspuncte unseres Kultur- und politischen Entwicklungsprozesses. Was sind aber 25 Jahre im Leben eines Volkes? Ein flüchtiger Augenblick! Was hat uns dieser Augenblick gebracht? Allerdings den grössten und schwersten politischen Entwicklungsprocess, den unser Volk jemals durchgekämpft hat; aber auch als reife Frucht im nähern und weitern Vaterlande den gesicherten Stand eines freien Volkslebens, wie ihn vor einem Menschenalter auch der Kühnste nicht zu träumen gewagt hätte. Und welch unberechenbaren Antheil mittelbar gerade unsere Hochschule an diesem grossen Erfolge gehabt hat, wer wollte das verkennen? Jetzt sehen wir auch das ganze Volk mit seinen Vertretern sich der Pflege der höhern geistigen Güter zuwenden, die durch eine freie Staatsverfassung bedingt sind, um derentwillen die politische Freiheit allein Werth, und an denen diese hinwieder ihren einzig sichern Grund hat. Bleiben wir nur nicht stehen im Anschauen des Einzelnen, sondern behalten männlich das Allgemeine im Auge, dann haben wir heute wahrlich nichts zu klagen, geschweige anzuklagen. Worauf jetzt alles ankommt, ist vorerst das klare Bewusstsein, dass die bisher noch unvollkommene Erreichung des höchsten Zieles weder unsrer Anstalt zum Vorwurf gemacht werden, noch weniger die hohe Bedeutung und den unendlichen Werth einer Hochschule für den Freistaat verdunkeln darf; — sodann der feste Entschluss, jetzt unter den in jeder Hinsicht günstigeren Verhältnissen mit vereinten Kräften und mit höchster Anstrengung das auf dem Gebiete der Kultur Versäumte nachzuholen.

Die Hochschule feiert heute in der That und Wahrheit den Morgen eines neuen glücklichen Tages, fast möchte ich sagen, den

wahren Anfang. Die innern und äussern Bedingungen, unter denen allein eine Hochschule ihre Bestimmung wahrhaft erfüllen kann, sie sind heute verwirklicht. Die leidenschaftlichen Verfassungskämpfe im engern und weitern Vaterlande sind ausgefochten. Die kantonale Verfassung von 1846 ist und hat die Sanction ihrer Dauer von Seiten des Volkes nicht sowohl im Jahr 1846, als vielmehr in den Jahren 1850 bis 1854 erhalten. Die Bundesverfassung, im Jahr 1848 von der grossen Mehrheit des Schweizervolkes sanctionirt, hat bereits tiefe Wurzeln geschlagen im Herzen der ganzen Nation. Wenn im Jahr 1856 im neuen Bundesstaate eine Einigkeit und Einheit des nationalen Gefühls an den Tag trat, wie sie in der ganzen frühern Geschichte der Eidgenossenschaft noch nicht da gewesen: so hat in diesem Jahre die Bundesleitung in Wahrung der Interessen unsers Vaterlandes eine Energie und Besonnenheit bewährt, die ihr das Vertrauen der Nation und die Achtung von ganz Europa gewonnen hat. Unser theures Vaterland steht jetzt durch die nach innen geeinigte und weise geleitete Kraft dem Auslande gegenüber in einer Unabhängigkeit und ehrenvollen Stellung da, wie noch nie. Weder in unsern kantonalen, noch in unsern Bundesverhältnissen findet der Fortschritt zum Bessern eine so starre Schranke, dass es nur durch leidenschaftliche Umwälzung, nicht durch gesetzliche Entwicklung erreicht werden könnte. So sind wir auf einer Entwicklungsstufe angelangt, da Sinn und Herz des Volkes und seiner Leiter sich vorzugsweise der Pflege des physischen und geistigen Wohls, den Aufgaben einer immer höhern Kultur der Nation zuwenden.

Unverkennbar regt sich auch in unserm Kanton ein neues Leben; Würdigung und Bedürfniss höherer Bildung verbreiten sich immer mehr im Volke. Die Gemeinden wetteifern in Hebung und Verbesserung ihrer Schulen in einem Grade, wie noch nie, und getragen von dieser Gesinnung des Volks legt auch der Grosse Rath für höhere Bildungszwecke eine Opferbereitheit an den Tag, wie sie selbst der schöne Aufschwung der Dreissiger-Jahre nicht zu wecken vermochte. Auch ist die gesammte Schule des Kantons durch alle Stufen in

höchst erfreulichem Fortschritt begriffen. Die Klassen der Kantonsschule, der Vorbildungsanstalt für die Hochschule, schwellen von Jahr zu Jahr unter dem Zuwachs vom Lande immer mehr an und verdoppeln sich. In wenigen Jahren wird die Kantonsschule, die nun für die Studirenden sämmtlicher Fakultäten obligatorisch wird, reiche Zuflüsse trefflich vorgebildeten einheimischer Jünglinge an die Hochschule abgeben. Der gleiche Standpunct einer gediegenen wissenschaftlichen Vorbildung wird das allgemeine Streben nach gründlicher Wissenschaftlichkeit und einen edeln Wetteifer des Fleisses unter den Studirenden hervorrufen, ihren Geist vom blossen Brotstudium ab- und auf ein würdigeres Ziel hinleiten, ihre Gesittung läutern und heben, einen edlen Gemeingeist, wie es Jüngern der Wissenschaft und künftigen Lehrern und Leitern des Volkes ziemt, unter ihnen pflanzen, und dieser edle Geist ein immer innigeres Band der gegenseitigen Achtung und Freundschaft um sie schlingen. Wächst so ein höheres geistiges Selbstbewusstsein des Volkes von unten auf und aus der Wurzel hervor und bringt der Hochschule jetzt erst die nothwendigen Bedingungen einer vollen und segensreichen Wirksamkeit: sollte es da nicht auch wieder an der Zeit sein, in neuem Aufschwung wie wir ihn im Jahr 1805 und 1834 erlebt haben, durch reichere Ausstattung an Lehrkräften und Lehrmitteln die Hochschule in Stand zu setzen, ihre hohe Aufgabe an der allgemeinern und höhern Befähigung, an dem reinern und edlern Streben unserer Jugend auch vollkommener erfüllen zu können? Der Stand der Subsidiaranstalten ist lange nicht, wie er sein sollte, genug vorgeschritten, und derjenige der Lehrkräfte weit unter demjenigen der Dreissigerjahre. Ich will hier die Lücken, die bereits angedeutet worden, nicht noch einzeln aufzählen. Es finden sich deren in allen Fakultäten, die meisten in der philosophischen, wo seit langem sogar ein Lehrstuhl für französische Sprache und Literatur fehlt, für italienische nie einer bestanden hat, und das Englische nur vorübergehend durch Privatdocenten gelehrt ward. Es ziemte sich doch wohl, dass auf einer Hochschule am Bundessitz wenigstens die Sprachen des weitern Vaterlandes vertreten

seien. Zur Stunde erreicht das Budget der Hochschule lange nicht dasjenige der Dreissigerjahre, während im Laufe eines Vierteljahrhunderts die Forderungen gestiegen sind. Unsere Zeit darf nur dann glauben, auf der Höhe von 1834 zu stehen, wenn sie, in ihrer Sorge für die wissenschaftliche Bildung ihrer Jugend mit den höhern Bedürfnissen und Forderungen der Zeit Schritt haltend, so weit über 1834 hinausgeht, als 1834 über 1805. Je reiner ein Volk die demokratische Staatsverfassung durchbohrt, desto vollkommener hat es auch die Bestimmung des Staates, d. h. die Freiheit durch die Herrschaft der Vernunft und Sittlichkeit, zu verwirklichen. Es ist daher der Demokratie erste und heiligste Angelegenheit, dass Vernunft und Sittlichkeit sowol in ihrer reinen Wahrheit ohne Rückhalt und Vorbehalt entwickelt, als auch so viel als möglich in allen Gliedern des Volkes verbreitet und sicher gepflanzt werden. Darauf beruht ihre Selbsterhaltung, ihre Freiheit nach innen und aussen. Der ursprüngliche naturwüchsige Freiheitstrieb unserer Vorfahren ist längst der Civilisation gewichen. Diese beleckt unser Land und Volk bis an die Gletscher hinauf und weckt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Einzel- und Sonderinteressen an Erwerb und Lebensgenuss. Welch nothwendiger und mächtiger Hebel zu fortschreitender Kultur sie auch sein mag, die blosse Civilisation, das lehrt uns die Geschichte auf jedem Blatte, macht auch den Menschen nur zu genügt, über den Mitteln zur Erhaltung den wahren Zweck des Lebens aus dem Auge zu lassen, propter vitam vivendi perdere causas. Auf die materiellen Interessen, die sich bald einmal abzufinden wissen, ist wahrlich für unsere Freiheit kein Verlass. Wir müssen sie auf festern Grund stellen, auf das ewig eine und einigende allgemeine Interesse des freien Geistes an sich selbst, auf die entwickelte Vernunft und Sittlichkeit der Nation den einzig wahren und sichern Hort nationaler Einheit und Freiheit. Die geweihte Werkstätte der sich zum reinsten Selbstbewusstsein durcharbeitenden Vernunft unsers Volkes ist aber eben die Hochschule. Diese hat das reine Gold des Wahren, des Guten um Schönen aus dem tiefen Schacht des Geistes und der Natur herauf

zu schaffen und zunächst mittelst der Schulen in unzähligen Kanälen dem Geiste und Herzen des Volkes zuzuführen. Die Hochschule ist so in That und Wahrheit der Altar; auf welchem das heilige Feuer der Idealität und der selbstbewussten nationalen Freiheit des Volkes unterhalten wird.

Dieses Feuer aus allen Kräften zu pflegen, ist Bern jetzt auf sich selbst allein angewiesen. Die hohe Bundesversammlung hat sich mit der Errichtung einer polytechnischen Schule begnügt. Auf eine eidgenössische Hochschule ist nicht mehr zu hoffen. Denn was aus der Natur beider Anstalten vorauszusehen war, dass eine Hochschule mit ihrer überwiegend idealistischen Richtung im engern Verband mit einer polytechnischen Schule nicht gedeihen kann, hat bereits die Erfahrung weniger Jahre bestätigt.

So ist Bern wieder ins Jahr 1832 zurückversetzt, in jene Zeit, da es den grossherzigen und weisen Entschluss fasste, seine Akademie zu einer Hochschule zu entwickeln, um den Samen eines wahrhaft freien Volksgeistes in die tiefen und sichern Furchen einer gründlichen wissenschaftlichen Bildung seiner Jugend zu streuen. Soll ein freies Volksleben immer neu blühen, so muss es sich geistig immer neu und höher entwickeln, und jene Aufgabe steht immer aufs neue vor uns, wie vor 25, so nach 25 weitern Jahren. Die Erklärung, welche der Berner Grosse Rath in jener denkwürdigen Sitzung am 5. März 1834 gethan: dass es der Pflicht und Ehre des Staates angemessen sei, alles dasjenige zu thun, was in seinen Kräften liegt, um die Wissenschaft zu fördern, ist heute noch eben so wahr, und nicht minder nothwendig, wie damals der Akademie, so heute der Hochschule neue Kräfte zuzuführen, neues Leben einzuhauchen. Und wenn Bern in der treuen Sorge für seine eigene höchste Angelegenheit zugleich auch diejenige des gesammten Vaterlandes fördert: so beweist es damit nur, wie ernst es ihm noch heute ist mit jener Erklärung an die Tagsatzung im Jahr 1832: es liege im Interesse der Eidgenossenschaft, "dass im Kanton Bern ein Feuerheerd des Lichtes und der Wissenschaft sich bilde" , und wie tief es heute

fühlt, was die Ehre des Bundessitzes von ihm erheischt. Und wo es das Wohl des gesammten Vaterlandes galt, hat Bern nie weder sein Gut, noch sein Blut gespart.

So möge denn, wenn nach einem Vierteljahrhundert dieser Jubeltag wiederkehrt, unser theures Bern nichts zu bereuen haben, weder was es an seiner Hochschule gethan, noch weniger, was es zu thun versäumt hat!