STELLUNG UND AUFGABEN DER
VETERINÄR-MEDIZIN
JAHRESBERICHT 1957/58
Druck: Art. Institut Orell Füssli AG, Zürich
INHALTSVERZEICHNIS Seite
I. Rektoratsrede 3
II. Ständige Ehrengäste der Universität 25
III. Die Rektorenkette der Universität Zürich 26
IV. Jahresbericht 30
a) Hochschulkommission 30
b) Dozentenschaft 30
c) Organisation und Unterricht 37
d) Feierlichkeiten und Konferenzen 53
e) Ehrendoktoren und Ständige Ehrengäste . . . . 55
f) Studierende 56
g) Prüfungen 58
h) Preisaufgaben 59
i) Stiftungen, Fonds und Stipendien 61
k) Kranken- und Unfallkasse der Universität . . . . 65
l) Witwen-, Waisen- und Pensionskasse der Professoren
der Universität Zürich 66
m) Stiftung zur Förderung der Fürsorgeeinrichtungen
für die Professoren der Universität Zürich (SFF). . 67
n) Zürcher Hochschul-Verein 68
o) Stiftung für wissenschaftliche Forschung an der
Universität Zürich 72
p) Jubiläumsspende für die Universität Zürich . . . 76
q) Julius Klaus-Stiftung 78
V. Vergabungen 82
VI. Nekrologe . 87
I.
FESTREDE
DES REKTORS PROFESSOR DR. J. ANDRES
gehalten an der 125. Stiftungsfeier der Universität Zurich
am 29. April 1958
Stellung und Aufgaben der Veterinärmedizin
Würde man die Tierheilkunde definieren als die auf das Tier
übertragene Humanmedizin, dann wäre diese Umschreibung
nicht nur unvollständig, sondern in verschiedenen Beziehungen
auch unrichtig. Unvollständig deshalb, weil sich die tierärztliche
Berufsarbeit nicht nur auf das kranke Tier beschränkt und sich
bemüht, Krankheiten zu heilen und zu verhindern, sondern
darüber hinaus sich auf das gesamte Gebiet der Tierwirtschaft
erstreckt und dadurch mit verschiedenen Zweigen des Handels
und des landwirtschaftlichen Gewerbes in Beziehung tritt. Wohl
widmet sich der auf dem Lande und in der Stadt praktizierende
Tierarzt vor allem dem kranken und verunfallten Nutz- und
Haustier, zusätzlich aber kommen ihm — gemäß der Stellung
unserer Tiere im ganzen Wirtschaftsleben —noch andere mannigfaltige
Aufgaben zu. Wenn wir uns vergegenwärtigen, in welch
hohem Maße das Tier den menschlichen Belangen dient, wird
ohne weiteres klar, daß wir das allergrößte Interesse daran haben,
einen gesunden und dadurch leistungsfähigen Tierbestand zu
besitzen. Die tierischen Produkte zählen zu den wertvollsten und
im allgemeinen auch zu den begehrtesten Nahrungsmitteln; aber
auch der reinste Vegetarier, der — was ja sicher selten ist —nicht
nur auf das Fleisch, sondern auch auf alle tierischen Produkte in
seiner Nahrung, also auch auf tierisches Fett, Milch, Eier usw.
verzichtet, kommt im täglichen Leben stets in Berührung mit
tierischen Produkten. Wohl haben die synthetischen Werkstoffe
der modernen Chemie viele von der Natur —also auch vom Tier —
gebotenen Produkte verdrängt oder doch weitgehend zurückgedämmt.
Fern sind die Zeiten, wenigstens bei uns, da Blasinstrumente
und Waffen aus Knochen resp. aus Zähnen hergestellt
und der Wein aus Hörnern getrunken wurde, fern ist
auch die Zeit, da sich die Menschen in rohe oder doch wenig präparierte
Tierhäute hüllten. Und doch kleidet man sich auch heute
noch gerne in Felle; es gibt viele Tierarten, von den gewöhnlichen
einheimischen und den fremden Nagern bis zu den Ohrrobben
und den jüngsten Karakullämmern, die ihr sehr feines,
glattes oder dicht gelocktes Haarkleid mitsamt der Haut als
begehrte Pelze liefern. Auch das Elfenbein wird kaum je ganz
verdrängt werden und ebenso wenig Leder, Seide und Wolle.
Aber auch die Medizin, und damit der kranke Mensch, profitiert
vom Tier. Trotz der großen Errungenschaften der Chemie wäre
zum Beispiel die moderne Hormontherapie ohne das Tier, das
uns im Leben oder nach seinem Tode verschiedene dieser Stoffe
liefert, kaum zu denken.
Ein Teil der wildlebenden und alle Haustiere sind unentbehrliche
Helfer des Menschen und werden damit zu Nutztieren.
Auch der treue Freund des Menschen, der Hund, ist ein Nutztier,
und zwar nicht nur dann, wenn er als Wach-, Lawinen-, Kriegs-
oder Polizeihund oder als Blindenführer eine direkte, genau umschriebene
Funktion erfüllt, sondern auch, wenn er als Spielgefährte
und Begleiter des einsamen Menschen ein mehr beschauliches
Dasein fristet. Das gleiche gilt für die Katze, auch
wenn sie der erwünschten Mäusejagd nicht frönt. Denn zum
Leben gehören nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch
Freundschaft und Freude. Auch das Tier im Zoologischen Garten
ist nützlich, dient es doch unserer Belehrung und der wissenschaftlichen
Forschung in verschiedenen Richtungen. Das Tier
kann auf den Menschen voll verzichten, jedoch nie der Mensch
auf das Tier!
So eröffnen sich dem Veterinärmediziner weite Gebiete, die
alle auf ein gemeinsames Ziel hinleiten, nämlich über die Gesunderhaltung
und Leistungsverbesserung der Nutztiere dem
Menschen in materieller, hygienischer und ethischer Beziehung
zu dienen. Neben der Betreuung des kranken Tieres hat er in der
Seuchenbekämpfung inkl. Erkrankungen durch Parasiten im
engem Sinne, in der Kontrolle der tierischen Produkte, in der
Tierzucht und im Tierschutz wichtige Aufgaben zu erfüllen.
Die Tiermedizin ist so wenig wie die Menschenheilkunde eine
Errungenschaft der historischen Zeit, sondern sie reicht ebenfalls
zurück in die vorgeschichtliche Epoche. Menschen- und Tiermedizin
waren ursprünglich Teile der nämlichen Heilkunst. Zu
der Zeit, als der Mensch Tiere zu domestizieren und wirtschaftlich
zu nutzen begann, erwachte auch das Interesse an der
Gesunderhaltung und Heilung seiner Hausgenossen, der Haustiere.
Neben dem wirtschaftlichen Interesse zum Schutze seines
Eigentums war jedoch mitbestimmend die ethische Einstellung
zum Tier, mit dem er sich in einer Art Schicksalsgemeinschaft
verbunden fühlte. In den verschiedenen Epochen des Altertums
und bei den verschiedenen Völkerstämmen bestanden zum Teil
recht große Differenzen bezüglich der Entwicklung der Menschen-
und der Tiermedizin, sowie im Hinblick auf die Personen, welche
die eine oder andere Kunst ausübten; ferner darin, wie ihr Ansehen
und ihre soziale Stellung waren. Diese Unterschiede wurden
bedingt durch die jeweilige Wertung des Tieres —nicht so sehr in
materieller Hinsicht, als vielmehr in religiöser und philosophischer
Betrachtung (vgl. Froehner 1).
Die wohl ältesten Hinweise auf Tierkrankheiten und Tierärzte
finden sich im Codex Hammurabi im 2. Jahrtausend v. Chr. aus
dem Babylonischen Reich. Diese Gesetzgebung regelte u. a. die
Pflichten von Ärzten und Tierärzten. Die babylonisch-assyrische
Kultur besaß ein wohl entwickeltes sideral-medizinisches System;
eine Tafel besagt zum Beispiel: «Es tritt ein Viehsterben auf, wenn
Mars und Jupiter in Konjunktion treten». Im nämlichen Kulturkreise
wurden die Tiere als Träger göttlicher Kräfte verehrt, und
in Ägypten waren in der gleichen Zeitepoche die Menschen noch
nicht geschieden von Göttern und Tieren. Deshalb wurde ebenso
große Sorgfalt auf die tierische wie auf die menschliche Heilkunst
verwendet. Die anfangs rein empirische Medizin hatte einen
großen Heilmittelschatz, geriet jedoch später unter mystischen
Einfluß. Das älteste Literaturdenkmal der Tierheilkunde wurde
vor 100 Jahren im Wüstensande der Stadt Kahun gefunden. Es
stammt aus der 12. Ägyptischen Dynastie und ist somit ca.
4000 Jahre alt; ein Papyrus mit Beschreibung von Tierkrankheiten,
mit dessen Übersetzung und Interpretation sich verschiedene
Ägyptologen, Orientalisten, Papyrologen, Ärzte und
Tierärzte befaßt haben.
In Griechenland findet man die ältesten Angaben über die
medizinische Kunst im 13. Jahrhundert vor unserer Zeit; ihr
Hauptvertreter war Asklepios. Sie befaßte sich sowohl mit dem
Menschen als auch mit dem Tier; die Anatomie wurde ausschließlich
am Tier studiert. Bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. blieb in
Hellas die Heilkunde eng verbunden mit der Philosophie;
Pythagoras und die Pythagoräer waren Ärzte und Philosophen,
erst Demokritos machte die Heilkunde von der spekulativen
Philosophie unabhängig. Im 4. Jahrhundert kam die Medizin
unter den Einfluß der Lehre von Plato, nach dessen Philosophie
das Menschentum strikte vom Tiertum geschieden wurde. Der
Mensch wurde gottähnlich, beinahe göttergleich gesetzt, das Tier
jedoch war eine Sache und somit seelenlos, an ihm durfte die
heere Kunst der Heilung nicht versucht werden. Hippokrates
sowie seine Schüler wagten kaum, vom Tier gewonnene Beobachtungen
für die Menschenheilkunde zu verwerten. Wie der
Platonismus, lehnte auch das Christentum im allgemeinen das
Tier als seelenloses Geschöpf ab. Bei den Christen war wohl das
Hauptmotiv, dadurch den heidnischen Tierkultus auszuschalten.
Plutarch und seine Schule erklärten im 1. und 2. Jahrhundert
n. Chr. die Tiere für beseelt, woraus sich Tierschonung, Tierachtung
und -liebe, aber auch Verzicht auf Nahrung tierischen
Ursprungs entwickelten.
Tierschutz um des Mitleids willen, um die Reinheit der Welt
zu fördern, lehrte allerdings schon ein halbes Jahrtausend zuvor
Buddha in Indien. Der Buddhismus verbietet den Fleischgenuß
und lehnt das Tieropfer der Brahmanen ab. Doch auch schon
Brahma hatte dem Tier, als einem Teil der Allseele Schonung und
Schutz gewährt, denn die indische Philosophie reihte das Tier
fast auf die Stufe des Menschen ein; jeder Äußerung des Lebens
wurde Ehrfurcht entgegengebracht. Es lag daher nahe, daß die
Inder den kranken Tieren fast die gleiche Sorge angedeihen
ließen, wie den Menschen. Schon im Altertum war dort die Heilkunst
beim Elefanten, dem Reittier der Helden und Könige, auf
einer beachtlichen Höhe.
In Palästina betrachtete man zur Zeit von Moses Krankheiten
und Seuchen als Strafe Gottes. Sie mußten ohne einen Versuch
von Vorbeuge oder Heilung hingenommen werden. Es scheint
jedoch sicher zu sein, daß Moses die Trichinenkrankheit des
Menschen kannte, denn er verbot den Genuß des Fleisches vom
Schwein, Kaninchen und Hasen und diese Tiere sind ja Finnenwirte,
also Überträger dieser Krankheit auf den Menschen.
Wie schon mehr als 100 Jahre zuvor bei Asklepios und später
bei Hippokrates stammte auch Galens Anatomie ausschließlich
von Studien an Tieren, wobei er seine gewonnenen Kenntnisse
auf den Menschen übertrug. Im spätem Altertum betrieben deshalb
oft die gleichen Fachleute Heilkunst bei Mensch und Tier.
Beim Studium der antiken Literatur und der bildenden Kunst
stößt man auf verschiedene Hinweise über Krankheiten beim
Menschen und beim Tier und ebenso ist bekannt, daß einige
chirurgische Eingriffe schon im Altertum durchgeführt wurden.
Aus Assyrien und Babylon sind Keilschrift-Tontafeln erhalten
über Pferdekrankheiten und -heilmittel. Starrkrampf und Tollwut
wurden schon im 2. Jahrtausend v. Ohr. beobachtet. Thukydides
beschrieb im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Seuche, die in
Athen bei Menschen, Haus- und Wildtieren beobachtet wurde.
Es handelte sich um Milzbrand. Die Israeliten kannten schon den
Kaiserschnitt und eine einfache Art von Embryotomie bei Tieren.
In Griechenland waren an veterinärchirurgischen Eingriffen bekannt:
Aderlaß, Brennen, Wundnaht, verschiedene Kastrationsmethoden
und Bauchoperationen.
Mit dem Untergang des weströmischen Reiches verfiel die
gesamte Medizin in einen trostlosen Zustand; Aberglaube,
Zauberei traten anstelle der gewissenhaften Naturbeobachtungen.
Die Kirche verbot die anatomische Zergliederung der menschlichen
Leiche; das Ebenbild Gottes durfte nicht zerstört werden.
Die Heilkunde beim Menschen lag vielfach in den Händen des
Klerus. In den Klöstern wurden allerdings die aus dem Altertum
übernommenen Schriften der Nachwelt erhalten, doch durch
willkürliche Zutaten oft wesentlich verändert wiedergegeben. Die
Tierheilkunde entbehrte in den ersten 5 bis 6 Jahrhunderten des
Mittelalters eines besondern Berufsstandes und wurde das
pfuscherhafte Nebengewerbe unwissender Schäfer, Hirten, Scharfrichter
und Schmiede (Theodor Kitt 1). Eine Änderung zeigte sich
erst im 13. Jahrhundert; aus dieser Epoche sind verschiedene
literarische Werke von Tierärzten aus Italien überliefert, so von
Jordanus Rufus, der am Hofe Kaiser Friedrich II., dem damaligen
Mittelpunkte des erwachenden Geisteslebens wirkte, sowie
von Bonifacius von Calabrien; ein Jahrhundert später von
Laurentius Rusius in Rom und von Dinus in Florenz. Allmählich
wurde auch das Verbot der anatomischen Forschung beim Menschen
gelockert; doch blieben solche Sektionen immer noch ein
seltenes Ereignis, so daß auch Leonardo da Vinci seine berühmten
anatomischen Zeichnungen nur in aller Heimlichkeit ausführen
konnte. Im 15. und 16. Jahrhundert mehrten sich die Schriften
über Tieranatomie und Tierheilkunde, ausgehend vor allem von
Tierärzten und Stallmeistern an italienischen und spanischen
Fürstenhöfen, wo die Reitkunst zu hoher Blüte kam. Das erste
berühmt gewordene Werk über Anatomie und Krankheiten des
Pferdes erschien im Jahre 1598. Als Verfasser zeichnet eine bezüglich
Herkunft und Stellung im übrigen unbekannte Persönlichkeit,
namens Carlo Ruini. Das Werk enthält 62 prächtige
Kupferstiche, gezeichnet von einem Schüler Michelangelos.
Mit Beginn der Neuzeit fanden die zum Teil schon im Altertum,
vor allem aber im Mittelalter bekannten und verheerenden
Tierseuchen — wie auch die Menschenseuchen immer größere
Verbreitung. Der frühere Fatalismus und die Passivität gegen
diese Ereignisse wurden allmählich aufgegeben. Die seit der
Renaissance neu belebte und vielerorts reich unterstützte Forschung
bemühte sich, Mittel und Wege zu finden, um zum Beispiel
die sehr gefürchtete Rinderpest, die den Viehbestand Europas
von Zeit zu Zeit fast völlig vernichtete, zu bekämpfen. Diese,
wie andere Seuchen, Milzbrand, Rotz der Pferde, Tollwut,
Schafpocken, Lungenseuche des Rindes, Maul- und Klauenseuche
usw., sowie das Bedürfnis, für die damals noch ausschließlich
hippomobilen Armeen tüchtige Pferdärzte zu gewinnen,
gaben im 18. Jahrhundert den Anstoß zur Errichtung tierärztlicher
Lehranstalten. Die erste Ecole vétérinaire wurde durch
Claude Bourgelat im Jahre 1762 in Lyon gegründet. Ihr folgten
in den nächsten Jahrzehnten bis hinein in die neueste Zeit weitere
entsprechende Gründungen in allen europäischen und außereuropäischen
Staaten. Anfänglich reine Berufsschulen, erhielten
diese Lehrstätten allmählich Mittelschulcharakter und wurden
schließlich zu tierärztlichen Hochschulen oder zu Universitätsfakultäten
erhoben. Obwohl in einigen Ländern schon vor ca.
100 Jahren für den Besuch dieser Bildungsstätten Universitätsreife
verlangt wurde, trat eine entscheidende Wendung erst zu
Beginn des 20. Jahrhunderts ein. In der Schweiz wurden 1805 in
Bern und 1820 in Zürich Tierarzneischulen geschaffen. Als erste
selbständige veterinärmedizinische Fakultät der Welt wurde die
Berner Schule im Jahre 1900 der Universität angegliedert. Ein
Jahr später folgte die gleiche Umwandlung in Zürich.
Die gewaltigen Fortschritte, Entdeckungen und Erfindungen
in der Medizin und in der gesamten Biologie der letzten 100 bis
150 Jahre sind allgemein bekannt. Wesentliche Marksteine sind
zum Beispiel: Semmelweis und Lister für Asepsis und Antisepsis;
Schleich für die Narkose; Robert Koch, Louis Pasteur, Behring in
der Bakteriologie und Serologie; Röntgen in der Diagnostik.
Jung und von den meisten von uns miterlebt ist die Schaffung
der modernen Medikamente, besonders der Sulfonamide und der
Antibiotika.
Die Medizin war der Tierheilkunde stets Vorbild, insofern diese
sich mit der Heilung von Krankheiten befaßte; darüber hinaus
aber ging die Veterinärmedizin oft eigene Wege und hat auch
der Humanmedizin wertvolle Anregungen und Erkenntnisse
gegeben. Es geziemt sich, an dieser Stelle auf einige Namen von
Tierärzten hinzuweisen, die in der Neuzeit wesentlichen Anteil
am Gesamtausbau der Veterinärmedizin haben, nämlich: Bang,
Bourgelat, Gerlach, Leclainche, von Ostertag, Schütz, Stang,
Theiler, Zschokke. Der 1867 geborene und 1936 verstorbene
Schweizer Forscher Arnold Theiler ist nach dem allgemeinen
Urteil seiner Fachkollegen der größte Vertreter der Veterinär-Medizin
seiner Zeit; sein Wirkungskreis war Südafrika, wohin er
mit 24 Jahren ausgewandert war. Sein Biograph, Max Küpfer 1,
schreibt: «Theilers Errungenschaften werfen eine Flut von Licht
der Erkenntnis auf die Art der Entstehung, der Ausbruchs- und
Ausbreitungsmöglichkeiten, sowie der Bekämpfung von Tierkrankheiten,
die durch die verschiedensten Blut-, Gewebe- und
Organparasiten verursacht werden oder im Anschluß an die
Schäden von Ektoparasiten, Pflanzengiften, ultravisiblen Virusarten
und Stoffwechselstörungen entstehen.»
Als Hüter der menschlichen Gesundheit tritt der Tierarzt vor
allem in seiner Tätigkeit als Überwacher von Nahrungsmitteln,
die von Tieren stammen, deutlich in Erscheinung. Die Notwendigkeit
einer solchen Überwachung ist evident, wenn man
sich vergegenwärtigt, daß verschiedene Infektions- und Invasionskrankheiten
vom Tier auf den Menschen übertragbar sind,
zum Beispiel Milzbrand, Rotz, Psittakose (d. i. die sog. Papageienkrankheit),
Tollwut, Brucellose, Pocken, Rotlauf, Räude,
Trichophytie, ansteckende Blutarmut, Tuberkulose, Tularaemie
sowie verschiedene Parasiten und deren Entwicklungsstadien.
Einige dieser Krankheiten können auch durch Genuß von
Fleisch und Milch sowie von Milchprodukten auf den Menschen
gelangen. Dazu kommen die Fleischvergiftungs-Erreger, deren
Hauptquelle das kranke Tier darstellt, in dessen Fleisch unter
begünstigenden Umständen solche Erreger angereichert werden.
Es handelt sich hier hauptsächlich um Tiere, die an schweren
Krankheiten des Verdauungsapparates leiden sowie um solche
mit septischen Geburtsfolgen. Diese Tatsachen erfordern, daß
die Tiere, deren Fleisch zu menschlichem Genuß bestimmt ist,
auch im lebenden Zustand untersucht werden müssen. Dadurch
wird nicht nur der haupt- oder nebenamtlich mit Fleischbeschau
beschäftigte Tierarzt, sondern jeder Großtierpraktiker zum
Hüter der Volksgesundheit 1. Oskar Bürgi 2 hat an dieser Stelle in
seiner Rektoratsrede vor 21 Jahren darauf hingewiesen, daß die
früher gefürchteten und relativ häufigen Fleischvergiftungen,
gestützt auf die tierärztliche Verwertung der modernen Forschungsergebnisse
in Verbindung mit gesetzlicher Regelung und
Handhabung der Fleischbeschau, im Laufe der Jahre glücklicherweise
sehr selten geworden sind.
Gesunderhaltung ist wichtiger als Heilung und nach diesem
Gesichtspunkt hat sich die Veterinärmedizin auch weitgehend in
die Tierzucht und -haltung einzuschalten. Die Grundlagen hiefür
werden dem Studierenden in besondern Vorlesungen und Demonstrationen
gegeben — in Zürich nicht nur durch veterinär-medizinisch
ausgebildete Fachleute, sondern auch durch Dozenten
resp. Absolventen der Abteilung für Landwirtschaft an der Eidgenössischen
Technischen Hochschule. Der praktizierende Tierarzt
lernt in Ausübung seines Berufes die örtlich gegebenen Verhältnisse
kennen. Er gewinnt Einsicht in die Art und Weise der
Zucht und der Aufzucht, in Haltung und Fütterung der Tiere,
in Bodenbeschaffenheit und Klima. Er verfolgt Fortschritt und
Rückgang in der Leistung der Tiere und lernt Vor- und Nachteile
einer bestehenden Zuchtrichtung zu beurteilen. Er ist imstande,
eine Reihe von Krankheitserscheinungen als haltungs- und
leistungsbedingt zu erkennen. Nicht Spitzenleistungen,
sondern gute Dauerleistungen müssen angestrebt werden; es
sollte gelingen durch Selektion bei vernünftiger Nutzung und
ausreichender Fütterung und Haltung widerstandsfähige Herden
und Rassen zu gewinnen, W. Frei 3 schrieb im Jahre 1921 in
seinem Werke «Prophylaxis der Tierseuchen» im Abschnitte
«Tuberkulose»: «Es ist aber nicht völlig ausgeschlossen, daß mit
unseren heutigen Hilfsmitteln eine Resistenzerhöhung erzielt
werden kann, wenn man versuchen würde, die Immunität ganz
langsam im Verlaufe von Generationen zu steigern», und weiter
«Es ist doch zu konstatieren, daß heute die Auswahl der Zuchttiere
nach ganz anderen Gesichtspunkten geschieht als nach
denen der Tuberkuloseresistenz. Man züchtet auf Form, Milch-
und Fleischleistungen. Die Spezialisierung der Leistungen und
die Hochzüchtung ist vielfach ohne Rücksicht auf die Resistenz
der Tiere gegenüber Krankheiten geschehen.» Ferrando 1 von der
Ecole Nationale Vétérinaire Alfort hat jüngst in seinem Referat
die Frage gestellt: «Haben wir krankheitsresistente Rassen gezüchtet?».
Seine Antwort lautet: Nein. Er sagt: «Wir haben
nach klassischen Methoden die Parasiten, Mikroben und Viren
direkt bekämpft, aber wir haben uns nicht bemüht, den Tieren
eine natürliche, absolute Immunität zu verschaffen.» W. Frei 2
wies vor Jahresfrist darauf hin, daß es wohl gelungen sei durch
Selektion an Versuchstieren (Mäusen, Hühnern) Sippen mit sehr
hoher Infektionsresistenz herauszuzüchten, allerdings immer nur
gegen eine Infektionskrankheit und daß die Heranzüchtung von
Resistenz gegen mehrere Infektionskrankheiten enorm schwierig
sei. Zum nämlichen Problem äußerte sich in seinem Hannoveraner
Festvortrag vor wenigen Jahren auch K. F. Meyer 3. Er betont,
daß in der präventiven Medizin die Abhängigkeit von Gesundheit
von einer komplexen Reihe von Vorgängen und Funktionen nicht
außeracht gelassen werden dürfe. Es sollen neben den ursächlichen
Faktoren die dominanten Einflüsse, wie Erblichkeit, Aufzucht,
Ernährung und Lebensgewohnheiten der Tiere gebührend
beobachtet werden. Er sagt: «Theoretisch scheint es zuweilen möglich,
durch Zuchtauswahl die Todesverluste gewisser Tierkrankheiten
zu vermindern. Ob sich dies aber auf einer praktischen
Grundlage durchführen läßt, wurde nie bewiesen, weil bis jetzt
noch kein einziges Experiment in dieser Hinsicht bis zum Punkt
einer praktischen Anwendungsmöglichkeit durchgeführt werden
konnte. Zwar ererbt ein Tier verschiedene Faktoren, die seine
Vitalität stärken, unabhängig von der Krankheitsresistenz oder
von der Fähigkeit zur Entwicklung einer Immunität gegen Ansteckungen,
jedoch kann es infolge unzureichender oder unpassender
Nahrung, ungesunder Umwelt, Übermüdung oder
Herabsetzung seiner Vitalität jederzeit wieder krankheitsanfällig
werden.»
Obwohl die Tierheilkunde, vor allem in der kurativen Tätigkeit,
sich weitgehend an die Humanmedizin anlehnt, ihre Medikamente
und Methoden übernimmt, ihr technisches Vorgehen
mutatis mutandis anwendet, bestehen sehr tiefgreifende Unterschiede
zwischen Human- und Veterinärmedizin. In manchen
Belangen kann, muß oder darf der Tierarzt weitergehen als
der Arzt; in andern hat er sich ganz wesentlich einzuschränken.
Der Grund für diese Ausweitungen oder Einschränkungen
liegt vor allem in der Stellung des Tieres in unserm gesamten
Leben, besonders im Wirtschaftsleben, denn — rein juristisch
gesehen — wird das Tier auch heute noch als eine Ware, eine
Sache bewertet. «Menschenleben sind unschätzbar, Tiere sind
Wertgegenstände» sagt Schmaltz 1. Beim Menschen muß in allererster
Linie das Leben erhalten werden, selbst zum Preise einer
langen, schrecklichen und nicht zu erleichternden Leidenszeit.
Für das Tier kommt eine solche Einstellung nur ausnahmsweise
in Frage. Auch wenn sich der Tierarzt eben mit dem Tier beschäftigt
und in seinem Handeln sich fast stets durch ökonomische
Überlegungen leiten lassen muß, ist der oft gemachte
Vorwurf, er sei vorwiegend materialistisch eingestellt, nicht
berechtigt, denn das Einzeltier wird zum Individuum, es ist ein
Lebewesen und als solches von seinen Artgenossen oft merklich
unterschieden. Es reagiert auf seine Umgebung auf ganz individuelle
Art. Diesen Besonderheiten hat sich der Tierarzt in
seiner Berufsausübung anzupassen, wenn er erfolgreich sein will.
Für die Wahl des tierärztlichen Berufes braucht es eine ganz
besondere Neigung, Veranlagung und Eignung. Nicht die reine
«Tierliebe», sondern vielmehr das Verständnis für das Tier und
die richtige Wertung dessen Stellung gegenüber dem Menschen
in der Volkswirtschaft, ferner die biologischen, besonders die
medizinischen Neigungen, verbunden mit manueller Geschicklichkeit
und körperlicher Eignung prädisponieren für den tierärztlichen
Beruf. Sofern er als selbständiger Praktiker oder in
irgendeiner andern Tätigkeit in der Veterinärmedizin leitend mit
der Praxis in Verbindung steht, hat für ihn nicht die rein medizinische
Wissenschaft das Primat, sondern er muß medizinisch
gut gerüsteter Volkswirtschafter sein! Materialistische Überlegungen
führen kaum je zur tierärztlichen Berufswahl, wenn man
bedenkt, welche Strapazen oft zu ertragen sind, wieviel Nachtruhe
geopfert werden muß, auch wenn eine Gegenleistung, bedingt
durch den Wert des Objektes, in keinem richtigen Verhältnis
zum Aufwand steht. Da braucht es oft viel Idealismus —
da hat Materialismus keinen Platz!
Das Tier steht im Dienste des Menschen, sowohl in gesunden,
als in kranken Tagen. Einerseits bestehen mannigfaltige Wechselbeziehungen
zwischen Mensch und Tier, anderseits ist es möglich,
zahlreiche Schutz- und Heilstoffe für den Menschen vom Tier zu
gewinnen; somit können viele Krankheiten des Menschen geklärt
und den kranken Menschen Hilfe gebracht werden. Schon
im Mittelalter führte das Verbot der Sezierung menschlicher
Leichen zwangsläufig zur Tierbeobachtung und zum Tierexperiment.
Fast alle großen Entdeckungen wurden zunächst am Tier
gemacht (Valentin Horn 1).
Über den Tierversuch als Mittel medizinischer Forschung hat
sich W. Frei 2 vom wissenschaftlichen und vom ethischen Gesichtspunkt
aus geäußert. Der Zweck des Tierversuches, sagt er,
ist «die Erforschung der normalen und krankhaften Körperfunktionen
des Menschen und der Tiere, mit der letzten Endabsicht,
die Entstehung von Krankheiten zu verstehen und
Mittel und Wege zu ihrer Verhütung und Heilung zu finden.»
Er dient der Erforschung normaler Organ- und Gewebsfunktionen.
Unsere heutigen Kenntnisse über Vitamine und Hormone,
deren richtiger Einsatz bei Mensch und Tier von überragender
Bedeutung in der vorbeugenden und in der heilenden Medizin
ist, wäre ohne Versuche am Tier — Fütterungsversuche sowie
Studien der Ausfallerscheinungen nach Entfernen innersekretorischer
Drüsen —undenkbar. Weiter dient der Tierversuch der
Ausprobung von Medikamenten, der Diagnostik und der Erforschung
der Schutz- und Heilbehandlung der Infektionskrankheiten.
Wir sollten, wenn Bedeutung und Berechtigung des
Tierversuches in Frage gestellt werden, nie vergessen, daß zum
Beispiel das von Pasteur ausgearbeitete Immunisierungsverfahren
gegen die Tollwut dem Tierversuch zu verdanken ist. Wir
sollten uns immer vergegenwärtigen, daß für die Herstellung der
Sera, die bei Mensch und Tier oft die einzig wirksamen Waffen
bei verschiedenen Infektionskrankheiten sind, dauernd Tiere,
vor allem auch Pferde, gebraucht werden, in deren Körper das
Antitoxin in verhältnismäßig großen Mengen produziert wird.
Die für den Unterricht unumgänglich notwendigen Versuche
werden übrigens heute nicht immer und immer wiederholt,
sondern können bedeutend instruktiver und auch einem größern
Hörerkreis zugänglich im Lichtbild und im Film gezeigt werden —
darüber hinaus noch mit dem nicht zu unterschätzenden Vorteil,
daß ein solcher Versuch nie mißlingen kann!
Bei voller Würdigung der Ablehnung unnötiger Experimente
kann niemals der Tierversuch gänzlich verboten werden. Dies
käme gleich einem Verbot, Krankheiten zu bekämpfen und zu
heilen.
Es wurde darauf hingewiesen, daß die Veterinärmedizin sowohl
in der Krankheitsverhinderung wie auch in der Heilbehandlung
sich der allgemein anerkannten Methoden der gesamten
Medizin bedient, daß aber vor allem die wirtschaftliche
Bedeutung des Tieres in der Anwendung der medizinischen
Mittel Einschränkungen notwendig und Ausweitungen möglich
macht.
In der kurativen Tätigkeit werden dem Tierarzt mancherlei Beschränkungen
auferlegt, die der Humanmediziner nicht oder
doch viel weniger berücksichtigen muß, während zum Beispiel
in der Seuchenprophylaxe und -bekämpfung in der Regel viel
einschneidendere Maßnahmen durchgeführt werden können, als
dies bei den Seuchen des Menschen möglich ist.
Diese Tatsache soll an einigen Beispielen beleuchtet werden:
Im Kampfe gegen bakterielle Schädigungen bei äußern oder
innern Verletzungen, wie bei Affektionen innerer Organe, sind
im Prinzip bei Mensch und Tier die gleichen Medikamente wirksam.
Ihre Dosierung ist jedoch fast stets in direkter Beziehung zu
der Größe resp. zum Gewicht des Patienten. Somit müssen bei
unsern großen Nutztieren meist die 5 bis 10fachen Dosen angewendet
werden, als sie beim Menschen vorgeschrieben sind. Da
bei den reinen Nutztieren stets ökonomische Erwägungen beim
Einsatz einer Therapie maßgebend sind, ist es möglich, daß die
Kosten des Präparates für dessen Anwendung beim Tier prohibitiv
wirken. So war dies zum Beispiel anfänglich bei den
Antibiotika der Fall. Nachdem jedoch diese hervorragenden
bakteriostatischen und bakterioziden Mittel ganz wesentlich
billiger geliefert werden können, als dies noch vor 10 Jahren der
Fall war, sind sie —und dies gilt besonders für das Penicillin —auch
in der Tierheilkunde täglich in Anwendung. Es gibt aber heute
noch Länder, in denen die meisten Antibiotika als teure Mangelware
in der Veterinärmedizin verboten sind und für die Humanmedizin
reserviert bleiben müssen.
Ferner darf bei den Nutztieren, deren Fleisch für den Konsum
bestimmt ist, der Tierarzt auch an und für sich wirksame Medikamente
dann nicht verwenden, wenn sie im Fleisch eine Giftwirkung
oder einen besondern Geruch oder Geschmack hinterlassen;
denn in vielen Fällen ist nach kurzer Behandlung die
Notschlachtung aus wirtschaftlichen Gründen angezeigt und, um
in diesem Fall den Schaden nach Möglichkeit zu verringern,
muß wenigstens die Fleischverwertung sichergestellt werden.
Oft ist auf eine Therapie zu verzichten, auch wenn sie medizinisch
durchaus möglich wäre, wenn die Krankheit eine derart
lange oder kostspielige Behandlung erfordert, daß der nachmalige
Wert des Objektes in keinem tragbaren Verhältnis zum
Aufwand steht. Zudem hat der Tierarzt die Möglichkeit, das
Recht und meistens auch die Pflicht, bei unheilbaren Leiden das
Tier zu töten um es so von seinen Schmerzen zu erlösen.
Auch dem tierärztlichen Chirurgen werden verschiedene
Grenzen in der Wahl und der Anwendung seiner Methoden gesetzt.
Schon das Problem der sachdienlichen Immobilisierung des
Patienten für eine Operation beschäftigt ihn in einem Ausmaße,
das dem Humanchirurgen unbekannt ist. Allerdings wurden in
den letzten Dezennien die Narkose und die Anästhesie soweit
ausgebaut, daß heute bei jeder Haustierart die notwendigen
chirurgischen Eingriffe schmerzlos durchgeführt werden können.
Der Erfolg technisch absolut gelungener Operationen wird aber
oft in Frage gestellt durch die Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit,
dem Tier nach der Operation das richtige Verhalten aufzuzwingen.
Aus diesem Grunde vor allem sind zum Beispiel
schwerere oder komplizierte Knochenfrakturen der Gliedmaßen
bei den großen Haustieren praktisch unheilbar.
Operative Eingriffe dürfen bei den Tieren auch keine Verstümmelungen
hinterlassen. Deshalb kommen zum Beispiel
Amputationen von Gliedmaßen kaum je in Frage, trotzdem dies
besonders bei kleinen Haustieren medizinisch-technisch möglich
ist und der Beweis, daß die Tiere wohl auf eine Gliedmaße verzichten
können, wiederholt erbracht wurde. Auch bei großen
Haustieren wurden schon solche Operationen vorgenommen und
auch Prothesen konstruiert; im allgemeinen beschränkt sich
jedoch die Gliedmaßenamputation auf die Entfernung einer
Klaue beim paarzehigen Rind, wodurch das Tier kaum verunstaltet
und für den Gebrauch nicht beeinträchtigt wird. Anderseits
können im Kopfgebiet, auch im Gesichtsteil, wesentliche Eingriffe,
wie zum Beispiel Trepanationen vorgenommen werden, da
das Haarkleid die Narben nachträglich wieder völlig verdeckt.
Der Nutz- und Zuchtwert mancher Haustiere wirkt sich auch
auf die Wahl verschiedener Methoden in der geburtshilflichen
Chirurgie aus. In der Humanmedizin hat immer die Erhaltung
des Lebens von Mutter und Kind das Primat. Deshalb hat dort
stets bei Unmöglichkeit einer Geburt per vias naturales die
Schnittentbindung (der sogenannte Kaiserschnitt) gegenüber der
Embryotomie, der Zerstückelung der Frucht, den Vorzug. Heute
ist dank der Fortschritte in der chirurgischen Technik in Verbindung
mit Narkose und Anästhesie und besonders mit Hilfe der
modernen Medikamente auch bei allen Haus-Säugetieren die
Schnittentbindung praxisreif geworden und wird nicht nur in
Tierspitälern sondern auch in der Landpraxis durchgeführt.
Trotzdem wird besonders beim Rind, vor allem —aber nicht nur —
bei toten Früchten, die Embryotomie oft dem Kaiserschnitt vorgezogen,
da bei sorgfältiger, schonender Ausführung das Muttertier
nicht verletzt, seine Milchleistung somit erhalten und auch
die künftige Fruchtbarkeit —im Gegensatz zu den Beobachtungen,
die nach Kaiserschnitt gemacht werden —nicht in Frage gestellt
wird.
In der Tierseuchenprophylaxe und -bekämpfung stehen der
Veterinärmedizin nicht nur die im Kampfe gegen die menschlichen
Seuchen üblichen Mittel und Methoden zur Verfügung, wie
allgemeine Hygiene, Desinfektion, Schutz- und Heilimpfungen,
Quarantäne, Absonderung und Vernichtung der gegebenenfalls
den Erreger beherbergenden und übertragenden Insekten,
Zecken, Nagetiere und kleine Raubtiere, sondern in der vorbeugenden
Veterinärmedizin kann auch die Tötung ganzer Tierbestände
sich aufdrängen. Dieses Radikalverfahren wird in
vielen Ländern, besonders bei den schwersten akuten Seuchen
des Rindes, wie Rinderpest, Lungenseuche, Maul- und Klauenseuche,
aber auch bei chronischen Infektionskrankheiten, wie
Tuberkulose und Brucellose, gewählt, stets in Verbindung mit
hygienischen, oft auch mit Schutzimpfungs-Maßnahmen. Dem
Uneingeweihten erscheint eine solche tiefgreifende Methode oft
als ein Eingeständnis der veterinärmedizinischen Wissenschaft,
keine genügend wirksamen, aber weniger einschneidenden Mittel
zur Bekämpfung zu kennen oder als ein Eingeständnis der Ohnmacht,
solche Krankheiten heilen zu können. Diese Annahmen
werden den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Schon
seit längerer Zeit kennt man sehr gut wirkende Schutzimpfungen,
zum Beispiel bei den genannten akuten Rinderseuchen, und auch
die klinische Ausheilung mit zum Teil bleibender Immunität ist
unter anderem mit der Serumtherapie möglich. Doch werden
solche Tiere meist zufolge der durch die Erreger gesetzten
Schädigungen derart unwirtschaftlich, daß sie nach kürzerer Zeit
beseitigt werden müssen. Das lediglich angesteckte und das nur
kurzzeitig kranke Tier hat fast stets einen größeren Schlachtwert
als dies nach Überstehen der Krankheit nach längerer Rekonvaleszenz
der Fall ist. Der Hauptzweck jedoch bei der Tötung
aller infizierten und erkrankten Tiere ist die sofortige Vernichtung
und die Verhinderung jeglicher Vermehrung der Krankheitskeime.
Nur auf diese Weise gelang es zum Beispiel, Zentraleuropa
seit mehr als einem halben Jahrhundert frei von Lungenseuche
der Rinder und von Rinderpest zu halten. Nur so gelang es,
Rotz und Tollwut weitgehend zu tilgen und vor allem mit dieser
Methode wird in der Schweiz eine eingeschleppte Maul- und
Klauenseuche in ihrer Ausbreitung behindert, auf ein kleines
Gebiet lokalisiert und zum Erlöschen gebracht. Eine sehr wirksame
Hilfe hiezu ist allerdings die gezielte Schutzimpfung mit
Vakzine. Schutz- und Heilimpfungen allein, ohne Eliminierung
der Seuchenherde jedoch, könnten wohl die wirtschaftlichen
Schäden mildern; die totale Tilgung einer Tierseuche ist auf diese
Weise jedoch noch nie gelungen. Ein größerer Erfolg wäre nur zu
erwarten, wenn Schutzimpfungen aller anfälligen Tiere stets und
ohne Unterbruch durchgeführt werden könnten. Ein voller Erfolg
wäre aber gerade bei der Maul- und Klauenseuche trotzdem
nicht zu erwarten, da bei dieser Seuche das Virus in einer großen
Anzahl von Variationen auftritt, die niemals, auch nicht bei
kombinierter Schutzimpfung mit multivalenter Vakzine in ihrer
Gesamtheit erfaßt werden könnten. Deshalb hat sich auch das
Radikalverfahren überall, wo es angewendet werden kann, als
wirksamste und wirtschaftlichste Methode erwiesen.
Warum wird bei der Bekämpfung der Rindertuberkulose nicht,
wie beim Menschen, die gezielte Schutzimpfung, zum Beispiel
mit BCG oder mit ähnlichen Mitteln eingesetzt, ist eine Frage,
die oft gestellt wird. Die Antwort lautet: Beim Menschen können
trotz der Schutzimpfung Ansteckungen mit anschließender Erkrankung
erfolgen. Durch den mit der Impfung gesetzten, bemerkenswerten,
aber nicht absolut festen Schutz, verläuft die
Krankheit jedoch in der Regel viel milder und kann durch die
klinische Untersuchung, vor allem auch durch die Röntgendiagnostik,
jederzeit kontrolliert und in Schranken gehalten werden.
Auch schutzgeimpfte Tiere können an Tuberkulose erkranken,
solange deren Umgebung nicht tuberkulosefrei ist. Eine
Kontrolle mittels Röntgenstrahlen ist jedoch zum Beispiel beim
Rind nicht möglich. Das einzige zuverlässige diagnostische
Mittel, das wir heute besitzen, ist die Tuberkulinprobe. Schutzgeimpfte
Tiere aber reagieren positiv, so daß es nicht mehr
möglich wird, zu entscheiden, ob die Reaktion einzig auf die
Schutzimpfung zurückzuführen ist, oder ob bereits eine zusätzliche
Infektion erfolgte. Wohl können mit der Schutzimpfung der
Tiere gegen Tuberkulose die wirtschaftlichen Schäden gemildert
werden; eine Ausrottung der Krankheit ist jedoch nicht möglich.
Kein Land, welches die Rindertuberkulose getilgt hat — und
heute sind schon eine große Anzahl von Ländern frei und andere,
wie auch die Schweiz, werden es in absehbarer Zeit sein —konnte
diesen Erfolg mit Schutzimpfung erreichen. In jedem Fall gelang
die endgültige Tilgung nur durch Tötung aller infizierten Tiere,
ohne Rücksicht auf den Grad der Erkrankung. Das gleiche Problem,
nämlich Bekämpfung mit oder ohne Schutzimpfung, drängt
sich heute auch bei der Bangschen Krankheit des Rindes auf.
Jeder tierärztliche Praktiker und mit ihm die Kantonstierärzte,
die endgültig entscheiden müssen, wissen, wie unangenehm
störend sich die Schutzimpfung für eine definitive Stellungnahme
sowohl im Handel mit Tieren als auch für die Tilgung der Seuche
in einem Bestande auswirken kann.
Im Verlaufe der Jahre ist eine merkliche Umwertung der
einzelnen Disziplinen in der Veterinärmedizin eingetreten, indem
das Schwergewicht in zunehmendem Maße auf die Krankheitsverhütung
anstelle der Krankheitsheilung und auf die Seuchenprophylaxe
anstelle der Bekämpfung nach Ausbruch gelegt wird.
K. F. Meyer schreibt (Festvortrag Hannover, 1953): «Das Ideal
der Medizin ist die Krankheitsverhütung und die Notwendigkeit
der Heilbehandlung ist ein stillschweigendes Bekenntnis ihres
Mißerfolges» und weiter: «Die Idee der Prophylaxe muß den
angehenden Tierarzt durch sein ganzes medizinisches Studium
begleiten. Dabei dürfen wir die Ausbildung in der präventiven
Veterinärmedizin nicht identifizieren oder gar verwechseln mit
der herkömmlichen in der Hygiene, die im wesentlichen eine umweltliche
Gesundheitspflege darstellt.» Schließlich weist K. F.
Meyer darauf hin, daß kein Plan der Verwirklichung einer präventiven
Veterinärmedizin vollständig wäre, wenn er nicht auch
die Möglichkeit der Forschung vorsehen und zulassen würde. In
der Praxis sei die vorbeugende Tierheilkunde klar zu trennen vom
öffentlichen Tiergesundheitsdienst, welcher eine unpersönliche
Verwaltungstätigkeit darstellt, der gegenüber die präventive
Tierheilkunde als etwas spezifisch Persönliches auf dem sachlich
klaren Einvernehmen zwischen Tierarzt und Tierbesitzer beruht,
in Zusammenarbeit mit der Medizin, mit den Naturwissenschaften
und mit der Landwirtschaft.
Selbstverständlich wird die Heilbehandlung in allen medizinischen
Gebieten stets eine wichtige Rolle spielen, denn trotz
der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, trotz der Kenntnisse
zweckmäßiger Ernährung und Haltung unter Berücksichtigung
aller durch Bodenverhältnisse, Klima usw. das Leben
und die Gesundheit modifizierender Einflüsse, werden immer
Fehler passieren, denn die meisten Forschungsergebnisse brauchen
eine sehr große Anlaufzeit, bis sie auch nur einigermaßen Allgemeingut
werden. Ganz abgesehen davon, sind viele gesundheitliche
Störungen im praktischen Leben einfach nicht vermeidbar,
denken wir zum Beispiel an alle Unfallgefahren, an die Tatsache,
daß oft ganz geringfügige traumatische Schädigungen von
außen oder im Innern des Körpers zu schweren und langwierigen
Störungen führen können. Auch Geburtskomplikationen mit den
meisten ihrer Folgen lassen sich prophylaktisch kaum beeinflussen.
Die Sicherstellung genügender und qualitativ hochstehender
Nahrungsmittel ist heute ein die ganze Welt interessierendes,
äußerst brennendes Problem, denn die Menschheit wächst zu rasch.
Nach dem vor kurzem veröffentlichten demographischen Jahrbuch
der UNO hat sich die Weltbevölkerung in 12 Monaten um
43 Millionen Menschen vermehrt, so daß — sofern dieses Tempo
anhält — sieh die Bevölkerungszahl der Erde auf Ende des Jahrhunderts
verdoppelt haben wird. Diese starke, in der Geschichte
der Menschheit bisher nie beobachtete Steigerung ist einerseits
zurückzuführen auf einen enormen Geburtenanstieg nach dem
letzten Krieg, der im Durchschnitt 1,7 % beträgt, mit einer
Spitze von 4,4%in Lateinamerika und mit 4%in Afrika und in
Süd-West-Asien, während vor dem zweiten Weltkrieg die 1 %-
Grenze im Durchschnitt nie erreicht wurde; und anderseits durch
das Absinken der Sterblichkeitsrate zufolge der modernen Gesundheitsmaßnahmen.
Anstieg der Geburts- und Rückgang der
Sterblichkeitsquoten zeigen sich vor allem in den sogenannten
unterentwickelten Gebieten, in welchen ohnehin die Ernährungslage
immer mangelhaft war. Nach Ansicht von Fachexperten
steht die Wissenschaft vor der Aufgabe, u. a. die Produktion von
Fetten um 34%, von Fleisch um 46%und von Milch um 100%
zu steigern.
An die Lösung dieser schweren Aufgabe muß vor allem auch
die präventive Veterinärmedizin beitragen. Hiezu sind Forscher
und Forschungsstätten notwendig. Viele grundlegende Erkenntnisse
besitzen wir schon heute, doch muß die Forschung noch
intensiviert werden. Kurz umrissen stellen sich besonders folgende
Probleme in Hinsicht auf Leistungssteigerung unter Wahrung der
physiologischen Grenze: Physiologie und Pathologie des Blutes,
des Kreislaufes, der Atmung, der Fortpflanzung, des Stoffwechsels
und der Ernährung; Untersuchungen über Futterschädlichkeiten,
besonders durch chemische Gifte, die heute, da
sich die Chemie in hohem Maße in die Landwirtschaft und Industrie
eingeschaltet hat, eine sehr große Rolle spielen; Verfolgung
der Auswirkungen durch Beimischung von Antibiotika und
andern Medikamenten zum Futter; Untersuchungen über Erbleiden
und Letalfaktoren —Aufgaben, die dem Physiologen, dem
Pathologen, dem Pharmakologen und dem Tierzüchter zufallen.
Ferner Seuchenprophylaxe, -diagnostik und -bekämpfung, unter
Einbezug der parasitären Krankheiten, Untersuchungen über
Infektions-Resistenz —Gebiete, die vor allem vom Bakteriologen,
Pathologen und Parasitologen bearbeitet werden müssen. Eine
weitere wichtige Aufgabe ist der Ausbau der Fleischforschung,
nicht nur in bakteriologisch-hygienischer Richtung, sondern auch
in technologischer und histologischer Hinsicht zur Unterstützung
der Lebensmittelkontrolle und zur Beratung der Fleischwarenindustrie.
Darüber hat u. a. vor zwei Jahren in klarer, offener
Weise der Zürcher Stadttierarzt Allenspach gesprochen 1. Er betont,
daß dieses Forschungs- und Arbeitsgebiet der Tierärzte
bisher in der Schweiz stiefmütterlich behandelt und nur in einigen
Instituts- und Schlachthof-Laboratorien fallsweise gepflegt werde.
Allenspach befürwortet eine programmatisch durchzuführende
Zuweisung der verschiedenen Forschungsprobleme an alle Institute,
die sich dafür interessieren, wobei sich dann jedes einzelne
Zentrum für einen bestimmten Aufgabenkreis spezialisieren kann.
Trotzdem heute, wie deutlich aus der gesamten tierärztlichen
Literatur hervorgeht, die präventive Veterinärmedizin im Brennpunkt
der Interessen steht und sicher eine dringende Notwendigkeit
darstellt, behauptet die reine individuelle Heilkunde immer
ihre wichtige und bedeutungsvolle Daseinsberechtigung. Auch
auf diesem Gebiete ist weitere Forschung nötig, sowohl in der
Chirurgie —hier besonders auch für den weitern Ausbau und die
Verbesserung der Narkose — als auch in der internen Veterinärmedizin
und in der Pharmakologie.
Ich möchte meine Betrachtungen nicht schließen, ohne noch
auf zwei Probleme hinzuweisen, die einerseits sämtliche Hochschulen
und Forschungsstätten der Schweiz, anderseits die Universität
Zürich und besonders die Veterinär-medizinische Fakultät
interessieren.
Das eine Problem ist das Bestreben des Forschungsrates des
Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen
Forschung um eine Erhöhung des Nationalfonds-Kredites.
Der Forschungsrat beabsichtigt, die Leistungen — neben einer
Erhöhung — auch zu erweitern durch Beiträge an die Hochschulen,
um sowohl die Mitglieder des Lehrkörpers vorübergehend
zu entlasten und ihnen so in vermehrtem Maße die Durchführung
von Forschungen zu erleichtern, als auch durch Besoldung
selbständiger Forscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter
die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Das zweite Problem, das besonders die Veterinär-medizinische
Fakultät und mit ihr die Universität beschäftigt, ist die baldige
Verwirklichung des äußerst dringenden Bauvorhabens der Fakultät.
Ich möchte ausdrücklich betonen, daß sich unsere Lehr- und
Forschungsstätte glücklich schätzt, der Universität anzugehören,
denn die enge Verbindung mit verschiedenen andern Fakultäten
wirkt sich gegenseitig äußerst fruchtbar aus.
Nicht nur ein neues Tierspital soll gebaut werden, sondern das
heute baureif vorliegende Projekt berücksichtigt, entsprechend
den vielfältigen Aufgaben der Veterinärmedizin, auch die Räume
und Einrichtungen, die für Lehre, Untersuchung und Forschung
unbedingt notwendig sind.
Ich schließe mit dem Wunsche, daß es gelingen möge, durch
die erwähnte finanzielle Beihilfe des Bundes die Forschung auch
in unserem Lande auf allen Wissensgebieten zu intensivieren,
damit wir noch mehr wissenschaftliche Erkenntnisse «exportieren»
können, anstatt hilflos zusehen zu müssen, wie unsere
bestausgewiesenen jungen Wissenschafter ins Ausland abwandern
und ferner, daß die Einsicht Platz greife, daß auch die jüngste
Fakultät der alma mater turicensis endlich über Räumlichkeiten
und Arbeitsbedingungen verfügen muß, die der Zürcher Universität
würdig sind.