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Über die akademische Freiheit im Zeitalter der Technik

Rektoratsrede, gehalten am 19. November 1960 an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule
Polygraphischer Verlag AG. Zürich 1961

Nach weitverbreiteter Ansicht genießen die Universitäten größere akademische Freiheit als die Technischen Hochschulen. Es wird geltend gemacht, daß nur die Fakultäten der Universität die Lehr- und Lernfreiheit hochhielten, während jene eines Polytechnikums Fachschulen mit einem straffen Lehrprogramm seien. Da diese These aus dem letzten Jahrhundert stammt, soll sie entsprechend den veränderten Gegebenheiten einer näheren Prüfung unterzogen werden. Die medizinischen und naturwissenschaftlichen Universitätsfakultäten sind nämlich im Laufe der Zeit zu ebensolchen «Fachschulen» geworden wie die verpönten Abteilungen einer Technischen Hochschule. Sie haben obligatorische Laboratorien, Übergangsexamen sowie Abschlußprüfungen eingeführt und stellen Fachdiplome aus wie irgendeine Ingenieur- oder Forstschule. Dies äußert sich besonders im französischen und angelsächsischen Sprachgebrauch, wo man statt Fakultät häufig Bezeichnungen wie Ecole de Médecine, Ecole de Pharmacie, School of Dental Surgery, School of Chemistry usw. verwendet.

Alle diese Institutionen haben neben einer Allgemeinbildung technische Fertigkeiten zu vermitteln, und zwar ganz unabhängig davon, ob die «Schulen» einer Universität oder einer Technischen Hochschule angegliedert sind. Ein Gegensatz, wenn man einen solchen überhaupt konstruieren will, besteht daher nicht zwischen den beiden Hochschultypen, sondern in der Art des zu vermittelnden Bildungsgutes, nämlich ob es sich um geisteswissenschaftliche oder (im weitesten Sinne) naturwissenschaftliche Studien handelt. Diese beiden Richtungen haben sich im Rahmen der Philosophischen Fakultät voneinander getrennt. Ihr Unterschied besteht darin, daß die Naturwissenschaften für ihre Erkenntnis ausschließlich durch unseren Verstand erfaßbare Gesetzmäßigkeiten anerkennen, während die Geisteswissenschaften nicht an diese Einschränkung gebunden sind. Die Hartnäckigkeit, mit der man die Bezeichnungen Philosophische Fakultät I und II beibehalten hat, ist indessen ein Anzeichen dafür, daß es nicht gelingt, die Sphären des Geistes von jener der Natur scharf

zu trennen, indem die Vertreter der Philosophischen Fakultät II fühlen, daß ihr Verstandeswerk durchgeistigt werden muß.

Für die Geisteswissenschaften liefert die Maturität das notwendige Rüstzeug, welches erlaubt, unmittelbar mit dem Studium der Theologie, der Rechte oder der verschiedenen Fächer der Philosophischen Fakultät I zu beginnen. Für die naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen, zu denen ich auch die Medizin rechne, folgt vorerst als Propädeutikum eine weitere Ausbildung in zwei bis drei der Grundlagenfächer Mathematik, Physik, Chemie und Biologie, welche die Mittelschule nur in ihren Anfangsgründen vermitteln kann. Es ist ein Grundfehler, diese Disziplinen von technischer Seite als Hilfswissenschaften oder von geisteswissenschaftlicher Seite als Nebenwissenschaften zu bezeichnen. Denn ihre Erkenntnisse formen unser heutiges Weltbild und liefern wichtige Fundamente für die Philosophie. Gewiß ist es unerläßlich, bereits in der Mittelschule Fragen über das Wesen des Raumes, der Zeit, der Wahrscheinlichkeit, der Elektrizität, der Materie, der Energie und der Entropie, sowie Probleme der Physiologie, der Evolution und der Vererbung zu behandeln. Aber für die Bildung eines eigenen, selbständigen Urteils über solche Fragen und deren mathematische Behandlung ist eine nachträgliche Vertiefung über die Maturität hinaus unerläßlich.

Auf Grund dieser Verhältnisse kann es sich ein Professor der Geschichte oder der Literatur leisten, mit dem Hinweis auf Bücher, die das Fehlende enthalten, jedes Semester andere Ausschnitte und Teilgebiete seiner Disziplin darzustellen, während die experimentellen naturwissenschaftlichen Grundlagen alljährlich unterrichtet werden müssen. Deshalb erscheint die Lehrfreiheit durch die Verfolgung eines speziellen Lehrzieles beschränkt. Aber dies ist wiederum kein besonderes Merkmal der Technischen Hochschule, denn das gleiche gilt für die naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universität. Umgekehrt ist die akademische Lehr- und Lernfreiheit an unserer Philosophisch-staatswissenschaftlichen Abteilung, wo kein spezielles Lehrziel verfolgt, sondern ausschließlich allgemeine Bildung vermittelt wird, durch keinerlei Pflichtfächer und Examensreglemente eingeschränkt, so daß sie in dieser Institution der ETH in ihrer reinsten Form erhalten und verwirklicht ist 1.

Für die meisten akademischen Studienrichtungen besteht ein dreifaches Ziel: 1. in der Erwerbung einer gründlichen Allgemeinbildung; 2. in der Beherrschung einer spezifischen Grundlagenwissenschaft über das Niveau des Propädeutikums hinaus, z. B. für die Mediziner in Physiologie, die Pharmazeuten in Chemie, die Bauingenieure in Statik, die Maschineningenieure in Thermodynamik usw.; und erst in 3. Linie in der Erlernung von Fachfertigkeiten. Es gibt nur wenige Richtungen, welche die dritte Stufe weglassen können, und wo dies früher geschah, wie in den Fakultäten der Theologie und der Rechtskunde, wurde dies von vielen ihrer Absolventen in ihrem späteren Beruf als Mangel empfunden. Niemals darf die berufliche Fachausbildung jedoch auf Kosten der Grundlagen und der Allgemeinbildung ausgebaut werden, da sonst anstelle eines Akademikers ein Techniker (Zahntechniker, Elektrotechniker usw.) herangebildet wird, der zwar das Wie beherrscht, aber die Zusammenhänge des Warum nicht zu übersehen vermag. Diese Überlegungen gelten wiederum nicht nur für die Technische Hochschule, sondern ebensosehr für die Universitäten. Bei Diskussionen über die akademischen Lehrziele und Lehrfreiheit ist daher die Gegenüberstellung Historische Universität —Technische Universität falsch. Denn das Problem besteht in der richtigen Abgewogenheit der Vermittlung von Grundwissenschaft und angewandter Wissenschaft, und dieses Verhältnis kann an der klassischen Universität ebensowohl wie an der Technischen Hochschule verzerrt sein.

Die Lernfreiheit der Studierenden ist an den naturwissenschaftlichen und technischen Fakultäten und Abteilungen dadurch gewährleistet, daß sie sich den zu bewältigenden Stoff nicht unbedingt in den Vorlesungen aneignen müssen, sondern ihn auch aus Büchern erarbeiten können; nur der Besuch von Übungen und Laboratorien, in denen die notwendigen Arbeits- und Forschungsmethoden praktisch vermittelt werden, ist unerläßlich. Auch kann jeder seinen Stundenplan nach eigenem Gutdünken zusammenstellen, wenn er den in der Regel damit verbundenen Zeitverlust in Kauf nehmen will.

Während für den Dozenten naturwissenschaftlicher Fächer hinsichtlich der Stoffauswahl die Beschränkung besteht, daß nicht Spezialfragen besprochen werden können, bevor die hiezu notwendigen Grundkenntnisse erarbeitet sind, ist er in der Art und Weise, wie er diese Grundlagen vermitteln will, vollkommen frei. In dieser Hinsicht wird dem Hochschullehrer, im Gegensatz zu den Verhältnissen an den Volks- und Mittelschulen, ein unbegrenztes Vertrauen entgegengebracht. Didaktische oder weltanschauliche Vorschriften werden von den Behörden keine gemacht; höchstens wird sich die öffentliche Kritik mit offenkundigen Unzulänglichkeiten befassen. Wie die Geschichte lehrt, kann diese Kritik allerdings ein weites Feld beschlagen, von sarkastischen Bemerkungen wie z. B. jene von Jean Paul, es gebe Professoren, die ihre Vorlesungen nicht am Anfang begännen, «sondern noch früher», bis zur Durchsetzung der Abberufung eines akademischen Lehrers wie 1839 als Folge des «Straußenhandels» an der Universität Zürich.

Die Stellung eines Akademikers an der Hochschule ist gegenüber jener des Akademikers in der Wirtschaft oder in der Industrie dadurch privilegiert, daß er die Gebiete seines Interesses und die Probleme für seine Untersuchungen nach freiem Ermessen selbst wählen kann. Von niemandem hat er hiefür Vorschläge oder Anträge entgegenzunehmen. Dieses großartigen Freiheitsrechtes sind wir uns jedoch vielfach zu wenig bewußt, und viele sind ohne weiteres bereit, es gewissermaßen zu verkaufen. Die Forschung verlangt nämlich große und immer größere Mittel, die oft nur zu beschaffen sind, wenn man zweckgebundene Forschung treibt. Der Rektor des Imperial College in London warnt eindringlich davor 2, und ein holländischer Kollege sagte mir bei einer Diskussion über das Problem der Atomkredite, die heute in den naturwissenschaftlichen Fakultäten aller westlichen Länder große Umstellungen bedingen: «Die Forschung ist nur wirklich frei, wenn sie nichts kostet.» Bevor ich jedoch auf die Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit durch die unumgänglich notwendig gewordene Mittelbeschaffung eintrete, möchte ich als besonders wichtiges akademisches Freiheitsgut die Autonomie der Hochschulen nennen.

Seit dem Mittelalter ist die stolze Autonomie der Universitäten einem ständigen Schrumpfungsprozesse unterworfen. Ihre eigene Rechtsprechung ist schon längst verschwunden. Ihre ökonomische Selbständigkeit ging mit der Übernahme durch den Staat verloren 3 oder war, wenn die Hochschule vom Staate gegründet wurde, überhaupt nie vorhanden 4. Nur wenige selbständig gebliebene und dadurch besonders berühmte Universitäten der westlichen Welt sind in dieser Hinsicht wirklich frei. Alle anderen werden in administrativer Hinsicht vom Staate überwacht.

Auf dem wichtigsten Sektor, nämlich auf kulturellem Gebiete, vermochte die westliche Hochschule jedoch ihre Autonomie bis heute zu bewahren. Sie regelt ihre inneren Angelegenheiten im Rahmen ihres Gründungsstatutes selbst. Sie hält sich daher frei von politischen und in der Regel auch von konfessionellen Einflüssen. Sie befindet durch ihre Fakultäten über die Wünschbarkeit der Schaffung neuer Lehrstühle. Sie verleiht Diplome, Titel und Ehrungen. Sie hat sich auch ihre charakteristische Struktur gegeben, deren Besonderheit viel zu wenig bekannt ist und, wie gezeigt werden soll, von gewissen Seiten völlig verkannt wird. Es handelt sich nämlich bei dieser Struktur um eine Organisation von unten nach oben, und nicht etwa wie beim Militär, bei einer Verwaltung oder bei der Direktion eines Unternehmens um eine Organisation von oben nach unten. Das heißt, die Stufenleiter Assistent, Dozent, Professor, Dekan, Rektor ist keine echte, sondern eine Scheinhierarchie. Die Seele der Organisation bilden nämlich die Inhaber der Lehrstühle und nicht die Spitzen der Rangfolge. Der Dekan ordnet nicht Dinge an, welche die Fakultätsmitglieder auszuführen haben, sondern er führt ihre Beschlüsse aus. Und der Rektor bedeutet seinen Kollegen höchstens, was sie auf Grund der Reglemente nicht tun können, niemals aber, was sie tun sollen. Er ist nur ein temporärer Primus inter pares.

Eine demokratischere Institution als die Organisation einer Universität, die diesen Namen verdient, kann man sich kaum vorstellen.

Diese Demokratie ist stark, weil sie aus Gliedern besteht, die ein welscher Erziehungsdirektor als «de fortes personnalités» bezeichnet hat, und ihre Ausstrahlung ist um so größer, je mehr Selbständigkeit man ihnen zubilligt. Bei der Gründung der Technischen Hochschulen wurde getrachtet, dieses extrem demokratische System durch die Ernennung eines Direktors abzuschwächen, um die Organisation von oben her zu lenken. Aber dieses Verfahren hat sich nicht bewährt, und das System der klassischen Universitäten hat an allen Technischen Hochschulen der westlichen Welt Eingang gefunden.

Die Lehrstuhlinhaber, welche die Träger der geistigen Macht einer Hochschule verkörpern, sind auf dem Sektor der naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen zugleich Vorsteher von Instituten und Laboratorien. In dieser Eigenschaft genießen sie eine fast unbeschränkte Entscheidungskompetenz und tragen dadurch eine große Verantwortung. Im Rahmen des ihnen zugebilligten Budgets befinden sie über alle Anschaffungen von Apparaten, Material und Literatur; sie schlagen ihre wissenschaftlichen und technischen Assistenten nach eigenem Gutdünken zur Wahl vor und umschreiben ihren Arbeitskreis. Sie bestimmen die im Laboratorium zu verfolgende Arbeitsrichtung und sind völlig frei in der Annahme von sogenannten «Postgraduates », d. h. von diplomierten Mitarbeitern, für die sie in der Regel um Forschungskredite einkommen müssen. Diese Wahlfreiheit ist besonders wichtig bei der Aufnahme von Doktoranden in ein Institut. Da die Beziehung des Dissertanden zum Doktorvater ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler voraussetzt, muß hier der Institutsvorsteher nach persönlichen (Eignung, Charakter) und materiellen Gesichtspunkten (Platzfrage, Finanzierung) frei entscheiden können. Dieses Vorrecht ist unabdingbar, denn die Forschergruppe unter seiner Leitung bildet eine Arbeitsgemeinschaft, in welche der Doktorand für zwei bis drei Jahre eingegliedert wird. Sie besteht aus einigen Diplomanden, Assistenten, Mitarbeitern und technischen Hilfskräften; auch werden mit Vorteil eine Anzahl Ausländer in sie aufgenommen. Der Arbeitsgeist und das «Klima» in einem solchen Team sind oft entscheidend für eine erfolgreiche Forschung. Seine Mitglieder sehen sich täglich, sie diskutieren ihre wissenschaftlichen Probleme und ihre technischen

Schwierigkeiten, sie teilen ihre Ergebnisse in Kolloquien mit, sie trinken zusammen Tee, sie organisieren Exkursionen und Fabrikbesuche, aber auch Skiausflüge über das Wochenende oder Ferienwanderungen. Bei solchen Gelegenheiten verläßt das Gespräch das Gebiet der reinen Wissenschaft und befaßt sich mit allen möglichen anderen Fragen und Problemen. Es ergibt sich so eine vorübergehende Gemeinschaft wechselseitiger Belehrung, Kritik und Hilfeleistung sowie gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung der einzelnen Persönlichkeiten.

Man kann sagen, daß eine solche Arbeitsgemeinschaft unter günstigen Umständen dem antiken Ideal einer Gelehrtenschule in bescheidener Weise nahekommt. Diese Feststellung erscheint deshalb paradox, weil es ausgerechnet den verpönten technisch-naturwissenschaftlichen Fachschulen gelungen ist, im Anschluß an das Fachstudium einen Typus der persönlich individuellen Vermittlung der Wissenschaft zu schaffen, der seit je von den Geisteswissenschaften als das Privileg ihres Hochschulunterrichtes betrachtet worden ist, der aber durch die heutige Überfüllung der philologischen und rechtswissenschaftlichen Seminarien nicht mehr in altgewohnter Weise funktionieren kann. Für unsere technischen Wissenschaften ergibt sich hieraus die Mahnung, die Forschungsinstitute in einem Rahmen zu halten, daß sie die oben skizzierten Aufgaben erfüllen können. Sie dürfen nicht zu klein sein, weil sich sonst keine Tradition in der Arbeitsgemeinschaft aufbauen kann; sie dürfen aber auch nicht zu groß werden, weil sonst der Kontakt mit dem Lehrstuhlinhaber oder den von ihm eingesetzten Abteilungsleitern verlorengeht und sich der gefürchtete Fabrikbetrieb einstellt.

Nach der Schilderung der Struktur und der Autonomie unserer Hochschulen im allgemeinen und der Arbeitsweise an den naturwissenschaftlich-technischen Institutionen im besonderen, möchte ich mich nun den Strömungen zuwenden, die sich als Ergebnis der ungeheuren Erfolge der modernen Technik abzuzeichnen beginnen.

In erster Linie ist ein vermehrtes Interesse des Staates an den Hochschulen festzustellen. Solange die Universität vor allem eine geistige Macht darstellte, war er bereit, ihre Autonomie anzuerkennen; seit sie jedoch imstande ist, auch seine materielle Macht zu fördern, und

geradezu zur Grundlage seiner Machtentfaltung geworden ist, versucht er mit allen Mitteln, sie unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Auf dem größeren Teil der Erde ist ihm dies auch gelungen.

In den Oststaaten ist die Universität solcherweise von einer Stätte freier Meinungsbildung zu einem Werkzeug des Staates entmündigt worden. Das Staatssekretariat ernennt nicht nur die Rektoren, sondern oft auch die Dekane und Prodekane. Der Rektor oder sein Stellvertreter entbindet Kollegen von ihrem Amte als Fachrichtungsleiter und ernennt kommissarische Institutsleiter 5. Akademische Preise werden auf Vorschlag des Ministerrates durch den Staatspräsidenten verliehen 6, und falls eine östliche Akademie einen Wissenschafter im Auslande auszeichnen will, erfolgt dessen Ehrung in den Räumen der politischen Botschaft des betreffenden Landes!

Die Organisation jener Universitäten ist ein hierarchisches System mit steigender Ballung der Kompetenzen nach oben. Das westliche Ideal der Hochschul-Demokratie mit selbständigen, souveränen Lehrstuhlinhabern ist verschwunden. Die Geisteswissenschaften sind durch eine Einheitsdoktrin auf eine Schablone ausgerichtet, die Lehren der Philosophie zu einem Dogma erstarrt. Dadurch werden Kräfte für die technischen Wissenschaften frei, die im Auftrage des Staates rasch ein Heer von Technikern heranbilden. Die Formung möglichst vieler selbständiger Persönlichkeiten wird durch die zu große Zahl der Studierenden verunmöglicht. Sie ist auch nicht nötig, denn das technische Volk wird von den Behörden wie in einem Ameisenstaate nutzbringend eingesetzt.

Auch in den jungen Ländern unterliegt das Hochschulwesen einer straffen staatlichen Lenkung. Diese neuen, nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit strebenden Staaten haben erkannt, daß sie ihre völlige Selbständigkeit nur mit Hilfe eigener Akademiker erreichen können. In aller Eile werden daher bestehende Institutionen ausgebaut und neue Universitäten gegründet, oft unter Vernachlässigung des zur Zeit noch viel wichtigeren Aufbaues eines tragfähigen dezentralisierten Mittelschulsystems, das imstande wäre, die fähigen

Köpfe des Landes ausfindig zu machen und bis zur Studienreife vorzubereiten.

Es ist verständlich, daß eine rasche Neuschöpfung akademischer Institutionen nur durch eine hierarchische zentralistische Organisation, die von oben nach unten arbeitet, verwirklicht werden kann. An der Spitze steht ein Staatsminister, der nicht nur für den Unterhalt der Universität, sondern auch für ihr Funktionieren, ihr geistiges Klima und ihre Entwicklung verantwortlich ist. Eine Hochschulautonomie nach westlichem Muster könnte höchstens für die Zukunft in Aussicht genommen werden, wenn das ganze System einmal ausgebaut und funktionsfähig ist. In Indien spielt zurzeit die Frage «freedom from state control as prerequisit for academic freedom» eine entscheidende Rolle 7.

Die Gefahr ist jedoch groß, daß die staatliche Bevormundung des Hochschulwesens in den jungen Ländern für alle Zeit bestehen bleibt, indem die Universität nach dem Vorbild der Oststaaten nicht als eigener Organismus, sondern als Organ des Staates betrachtet und für wirtschaftliche und politische Zwecke manipuliert wird.

Während unsere Beziehungen zum Hochschulwesen der Oststaaten unbedeutend sind, entwickeln sich die Kontakte mit den jungen Ländern in recht lebhafter Weise. Dabei läuft aber der ganze Verkehr über staatliche Organe. Kein Rektor jener Hochschulen bringt das Selbstbewußtsein auf, mit seinen Anliegen direkt an unsere Hochschulbehörden zu gelangen. Er muß sich vielmehr der Krücke des diplomatischen Verkehrs bedienen. Die Botschafter von Übersee in Bern vermitteln durch unser Politisches Departement Hochschulbesuche, regen Dozentenaustausch an, verlangen die Kontrolle von Stipendiaten oder sogar Auskünfte über Angehörige des betreffenden Staates, die aus eigenen Mitteln studieren. Ein mittelöstlicher Staat unterhält bei seiner Botschaft in Bern eine Mission scolaire mit einem Attaché culturel an der Spitze, der die Stipendiaten seines Landes in der Schweiz betreut. Diese Stelle unterbreitete uns eine Liste mit

70 Themen für ebenso viele, vorerst anonym bleibende Doktorkandidaten ihres Landes, mit der Bitte, das Rektorat möge entsprechende Doktorväter vermitteln. Es war unmöglich, diesem Abgeordneten begreiflich zu machen, daß die Promotion ein Vertrauensverhältnis zwischen Professor und Schüler voraussetzt und die Annahme solcher Kandidaten daher nicht von oben angeordnet werden kann, daß vielmehr die Vertreter der entsprechenden Fachgebiete seiner eigenen Hochschulen besonders gut ausgewiesene Absolventen den Inhabern unserer Lehrstühle vorzuschlagen hätten, damit sich feststellen lasse, ob allenfalls Diplomingenieure in unseren Laboratorien als Doktoranden untergebracht werden könnten. Dieses im Verkehr zwischen den westlichen Hochschulen allgemein befolgte Verfahren ist den Vertretern und Leitern des Hochschulwesens junger Länder völlig unbekannt und dann auch fremd, denn sie können nicht verstehen, warum es keine zentrale Stelle gibt, mit welcher man in Hochschulangelegenheiten wie bei Verhandlungen über Handelsverträge markten kann und die dann die Durchführung des Verhandlungsergebnisses verfügt. Die Idee, daß alles von oben disponiert und gelenkt werden müsse, ist bei den Vertretern der neuen Länder so verwurzelt, daß sie sich die Funktionsfähigkeit einer demokratischen Organisation mit autonomer Entscheidungsbefugnis scheinbar «untergeordneter» Gremien überhaupt nicht vorstellen können.

Ihre Einstellung wird dadurch unterstützt, daß die politischen Instanzen der westlichen Staaten im Zuge der Hilfe für Entwicklungsgebiete nicht nur wirtschaftliche und technische Unterstützung, sondern auch Ausbildungsgelegenheiten vermitteln möchten. Es besteht daher in jenen Ländern die unrichtige Vorstellung, das Hochschulwesen unterstehe der Politik, und es ist daher begreiflich, wenn sie ihre Hochschulkandidaten unseren Botschaftern antragen und dabei Zusagen für möglichst viele Studienplätze anstreben. Leider sind jedoch die Aufnahmemöglichkeiten bei der gegenwärtigen Überfüllung der schweizerischen Hochschulen beschränkt, und die Weisung, man solle die würdigsten unter den zu Vermittelnden durch strenge Selektion auslesen, ist problematisch, denn es ist ein bitterer Entscheid, wenn ein hoher Prozentsatz der von fernen Teilen der Welt hergereisten Jünglinge wegen mangelnder Sprachkenntnisse

oder wegen einer nicht bestandenen Zulassungsprüfung wieder heimgeschickt werden muß. An allen schweizerischen Hochschulen besteht der feste und überzeugte Wille, im Rahmen ihrer Möglichkeiten am internationalen Ausbildungsprogramm mitzuwirken. Aber wir müssen davor warnen, daß in der weiten Welt gut gemeinte Versprechen abgegeben werden, die wir nicht ohne Schaden für unsere Institutionen einlösen können.

Eine weitere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit unserer Hochschulbehörden droht durch die angestrebte Installierung wissenschaftlicher Attachés bei unseren wichtigsten Botschaften. Entsprechend den Handels- und Militärattachés hat ein solcher Funktionär die nationalen Interessen auf dem Gebiete der durch die technische Entwicklung nun politisch wichtig gewordenen Wissenschaften zu betreuen. Für die Hochschule ist die Wissenschaft indessen international und nirgends an Landes- und Blockgrenzen gebunden. Erscheinungen, wie sie z. B. in den Schlagworten «Atomgeheimnis», «Atomspionage» und dergleichen zum Ausdruck kommen, haben wirtschaftlich ihre Berechtigung und sind politisch eine bittere Notwendigkeit; aber wir müssen uns bewußt sein, daß sie dem Wesen des nach Erkenntnis und Wahrheit suchenden Geistes der Wissenschaft und damit der akademischen Freiheit ins Gesicht schlagen.

Unter den Obliegenheiten eines wissenschaftlichen Attachés 8 bei einer Botschaft, die ja wie erwähnt nur national wirtschaftliche und politische Bereiche beschlagen können, wird an erster Stelle aufgeführt: «Berichterstattung über die wissenschaftliche Forschung des Gastlandes aus eigener Initiative zuhanden von Wissenschaftern». Diese Formulierung schließt eine aktive Beratung der Hochschulen bzw. ihrer Lehrstuhlinhaber und damit eine mögliche Einflußnahme auf die Universitäten ein. Eine derartige Beratung kann sehr wertvoll und nützlich sein, wenn sie auf Wunsch der Hochschule erfolgt; doch sind Schwierigkeiten vorauszusehen, wenn solche Attachés sich berufen fühlen sollten, sich bei der Diskussion über Universitätsangelegenheiten «aus eigener Initiative» einzuschalten.

In ähnlicher Weise tangiert die Außenpolitik unsere Angelegenheiten, wenn sie, wie dies kürzlich durch ein Zirkular geschah, die Meldung der mit Bundesmitteln ins Ausland reisenden Hochschulwissenschafter bei der betreffenden Botschaft verlangt, um über unsere Gegenwart und unsere Tätigkeit im betreffenden Lande orientiert zu sein. Einem solchen Wunsche wird sicher gerne nachgekommen, denn der Kontakt mit unseren Auslandsvertretern gehört gewöhnlich zu den angenehmsten und aufschlußreichsten Reiseerlebnissen; doch muß man sich bewußt sein, daß eine derartige Meldepflicht nicht dem Geiste der akademischen Freiheit entspricht.

Die erwähnten Beeinträchtigungen der akademischen Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit scheinen unbedeutend und nicht der Rede wert. Und man könnte auch ohne weiteres darüber hinweggehen, wenn es nicht Symptome wären, die erkennen lassen, wie die Politik unbewußt Einfluß auf die Hochschule zu gewinnen trachtet, weil gewisse Teilwissenschaften durch die Technik zu einem Politikon geworden sind. Die politisch wichtigen wissenschaftlichen Belange sollten jedoch nicht den Hochschulen, sondern zweckgebundenen Staatsinstitutionen übertragen werden.

Eine weitere Einflußnahme auf die Tätigkeit der Hochschule geht von der Wirtschaft aus. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an das Nachwuchsproblem erinnern. Den offensichtlichen Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftern trachtete die Wirtschaft durch Lenkung der öffentlichen Meinung zu bekämpfen und durch Empfehlungen an die Hochschulen, innert nützlicher Frist bedeutend mehr, wenn immer möglich doppelt so viele Techniker auszubilden wie bisher. Dabei übersah sie, daß entsprechend den geburtenschwachen Jahrgängen vor 20 Jahren auch in den meisten anderen, so vor allem auch in den geisteswissenschaftlichen Berufen ein erschreckender Nachwuchsmangel herrscht, daß in unserem Lande nur ein bescheidenes unausgeschöpftes Reservoir an technisch begabten, hochschulfähigen Jünglingen vorhanden ist und daß auf Grund der Überlegungen von Herrn Alt-Rektor Schmid ein wesentlicher Zuwachs an Studierenden aus demographischen Gründen nicht sofort erzwungen werden kann, sondern erst in den nächsten Jahren zu erwarten ist.

Im gleichen Zuge stellt die Wirtschaft widerspruchsvolle Forderungen an die Hochschule. Einerseits sollen nach dem Qualitätsprinzip charaktervolle, selbständige Persönlichkeiten von unabhängigem Urteil für leitende Posten herangebildet, andererseits aber nach dem Quantitätsprinzip möglichst viele Ingenieure produziert werden. Diese zwei Prinzipien sind unvereinbar, und das zweite ist für eine richtige Hochschule undurchführbar. Denn das Ingenium, das eigentlich den Ingenieur beseelen sollte, ist eine relativ seltene Begabung. Die Anzahl in dieser Richtung begnadeter Vertreter einer Population ist genetisch bedingt und läßt sich sowenig wie bei Musikern und anderen Künstlern beliebig vergrößern. Der Ingenieur soll, wie sein Name sagt, schöpferisch tätig sein, während der Techniker in erster Linie reproduktiv arbeitet. Normalerweise sollte ein Ingenieur ständig Arbeit für zahlreiche Techniker schaffen. Es ist darum unzweckmäßig, von der Hochschule gleichzeitig die Vermittlung eines Qualitäts- und eines Massenunterrichtes zu verlangen. Aus diesem Grunde sind die erfolgreichen Bestrebungen, in unserem Lande eine größere Anzahl technischer Mittelschulen zur Ausbildung von Technikern zu errichten, sehr zu begrüßen.

Die akademische Freiheit einer Technischen Hochschule wird jedoch nicht nur durch die Einflußnahme von seiten der Politik und der Wirtschaft beeinträchtigt, sondern sie ist vor allem auch von uns selber bedroht. Wenn wir eine materielle Gleichstellung mit leitenden Wissenschaftern der Privatwirtschaft anstreben, wird unbemerkt unser Ideal der freien Problemwahl und der freien Arbeitsgestaltung darunter leiden müssen. Oder wenn wir uns beklagen, die Presse schenke unseren Erfolgen weniger Aufmerksamkeit als der Tätigkeit von Sportgrößen, Künstlern und Politikern, so übersehen wir die Gefahr, daß solche Publizität beim Laien Hoffnungen erweckt und einer ungewollten öffentlichen Kontrolle ruft, die unserer Arbeitsfreiheit abträglich ist; wir müssen deshalb im Gegenteil die Zurückhaltung unserer Presse schätzen und ihr dankbar dafür sein, daß sie hierzulande nicht Situationen wie bei den verunglückten Raketenversuchen in den USA schafft.

In die gleiche Richtung mit umgekehrtem Vorzeichen gehört das Bestreben gewisser Nobelpreisträger, durch Erklärungen in der

Presse Einfluß auf die Politik der Westmächte zu gewinnen, indem sie sich für eine einseitige Atomabrüstung aussprechen. Dadurch maßen sich die Unterzeichner solcher Manifeste als Koryphäen der Wissenschaft kraft ihrer Auszeichnung die Befugnis an, kompetenter über eine Schicksalsfrage zu urteilen als andere Bürger, aus deren Gesamtwillen sich die zu befolgende Politik ergeben muß. Dies dürfte indessen ein Trugschluß sein, indem ja die intuitiv idealistischen Geistesgaben, die in der Regel den erfolgreichen Forscher bestimmen, nur ausnahmsweise mit der nüchtern realistischen Geistesverfassung eines vorausschauenden Politikers genetisch gekoppelt sind. Ich möchte damit nicht der mit Recht oft getadelten Interesselosigkeit vieler Akademiker gegenüber politischen Problemen das Wort reden, denn ihre Meinung ist sehr wichtig. Aber alle Bürger sollten diese im Rahmen der politischen Parteien äußern und nicht als Gremien hervorragender Künstler, ausgezeichneter Wissenschafter oder erfolgreicher Militärführer zu solchen Fragen Stellung nehmen, um ihr auf ganz anderen Gebieten erworbenes Ansehen politisch auszunützen.

Zu den Gefahren für die akademische Freiheit gehören vor allem auch die Bestrebungen gewisser Kreise der Studierenden, ein sogenanntes Présalaire einzuführen, um damit auf Staatskosten zu studieren. Es ist richtig, daß eine Minderheit der Studenten einer derartigen Hilfe unbedingt bedarf. Aber es wäre verheerend, wenn es nicht gelänge, dieser Notlage durch zweckmäßigen Ausbau des Stipendienwesens zu begegnen, und die Mehrheit der Studentenschaft, die für ihre Ausbildung selbst aufzukommen vermag, gezwungen würde, ihre Studienfreiheit an den Staat zu verkaufen. Als Napoleon an seiner Ecole polytechnique das Studium auf Staatskosten einführte, geschah dies in der Absicht, dem Staate verpflichtete Offiziere und Ingenieure für seine Armee zu gewinnen. Das gleiche gilt auch heute für alle Länder, die das Gratisstudium eingeführt haben. Lesen wir z. B. nach, wie das Studium als Staatsmonopol im aufstrebenden Lande Afghanistan geregelt ist 9: «Die Regierung trägt alle Kosten für die Erziehung eines jeden Studenten,

einschließlich Nahrung, Unterkunft, Kleidung und Taschengeld. Dafür beschließt sie, in welche Fakultät sich der afghanische Studierende einzutragen hat, und verpflichtet ihn, nach seinem Studium der Regierung 13 Jahre auf dem ihm von einer Zentralstelle zugewiesenen Posten zu dienen.» Das Présalaire kann somit von der studentischen Freiheit direkt zum militärischen Dienstzwang führen!

Wie wir sehen, dreht sich die Diskussion über die akademische Freiheit in der freien Welt in erster Linie um Finanzierungsfragen. Da die Hochschulen heute von der Allgemeinheit getragen werden müssen, steht es dem Staate offen, ihre Freiheiten nach seinen Maximen zu dosieren. In der Schweiz dürfen wir uns rühmen, in dieser Hinsicht in den Parlamenten das größtmögliche Entgegenkommen zu finden. Zusätzliche Gelder werden durch den großartig und weitsichtig konzipierten Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt, deren Gebrauch nur die Verpflichtung zu freier schöpferischer Arbeit, nicht aber zu vertraglichen Gegenleistungen mit sich bringt. Die Kommission für Atomwissenschaft, die aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gründen ins Leben gerufen wurde und die über größere Mittel als der Nationalfonds verfügt, konnte dieser Organisation beigeordnet und dadurch der akademischen Sphäre angenähert werden, indem auch sie ihre Entscheidungen autonom und möglichst frei vom Augenblicksdruck politischer und wirtschaftlicher Gezeiten trifft. Wie wichtig die freie Forschung neben der zweckgebundenen Forschung der Wirtschaft, des Militärs und anderer Institutionen ist, beweist die Tatsache, daß die Industrie und andere Wirtschaftskreise der Hochschule in großzügiger Weise immer wieder Mittel zu freier Verwendung zur Verfügung stellen. Hier darf ich dankbar an die Gründungen des Jubiläumsfonds 1930 und des Zentenarfonds 1955 erinnern. Durch das der ETH damit bewiesene Vertrauen fühlen wir uns ganz besonders verpflichtet. Solche durch Private oder durch den Staat gespiesene Fonds ohne spezielle Zweckbestimmung sind übrigens auch die Quellen, aus denen die letzten freien Universitäten in den angelsächsischen Ländern ihre die Vermögenserträge in wachsendem Maße übersteigenden Ausgaben decken.

So wäre es also mit der akademischen Freiheit auf diesem so entscheidenden Sektor theoretisch zum besten bestellt, wenn wir sie nicht auch hier in die Defensive versetzt sähen. Die Ansprüche an den Staat und an die Wirtschaft werden zufolge des Ausmaßes, der Raffiniertheit und der Kurzlebigkeit der für die Forschung unentbehrlichen Apparate und Maschinen sowie durch das kostspielige Bedienungspersonal von Jahr zu Jahr größer, und die notwendigen Summen erreichen schließlich Beträge, die den Hochschulen von den Parlamenten kaum mehr unbesehen zur Verfügung gestellt werden können. Dazu kommt, daß auf weiten Gebieten der Welt die Hochschulen wie erwähnt bereits als Werkzeug des Staates und Instrument der Wirtschaft betrieben werden.

In Ostdeutschland und Rußland brauchen sich die tüchtigen Wissenschafter als Leiter von Forschungsinstituten kaum zu beklagen. Ein Finanzproblem gibt es in solchen Laboratorien nicht. Das Personal kann, soweit es zur Verfügung steht, nach Bedarf beliebig vermehrt werden, und für Anschaffungskosten gibt es keine Limite, sofern ein vom Staate anerkanntes und gutgeheißenes Ziel wirksam verfolgt wird. Materiell läßt sich die Stellung solcher Akademiker mit der unseren kaum vergleichen; sie beziehen ein astronomisches Gehalt, und der Staat stellt ihnen prunkvolle Wohngelegenheiten und Autos mit Chauffeuren zu persönlichem Gebrauche unentgeltlich zur Verfügung. Kurz, sie genießen auf staatswirtschaftlicher Ebene ähnliche Privilegien, wie sie Bürger der kapitalistischen Länder in der von den Volksdemokratien so demagogisch kritisierten Privatwirtschaft zu erringen vermögen; woraus erneut hervorgeht, daß Revolutionen die Grundeinstellung des Menschen zu den Gütern der Welt nicht prinzipiell ändern, sondern nur die Vorrechte von einer sozialen Schicht auf eine andere zu verschieben vermögen. Jetzt ist also der erfolgreiche Akademiker der technischen Wissenschaften im Begriffe, als oberste staatsnotwendige Spitzenklasse emporzutauchen. Im Idealfalle sind seine Leistungen phänomenal. Er braucht seine Zeit nicht mit Kreditbeschaffung und Personalfragen zu verlieren. Theoretisch ist alles da. Er braucht nur zu disponieren, und sein schöpferischer Geist wird nicht durch administrative Arbeit oder materielle Sorgen behindert, so daß in vielen verbürgten Fällen

mit diesem System bisher ganz erstaunliche wissenschaftliche Leistungen vollbracht worden sind.

Es erhebt sich nun die Frage: Sollen wir diesen Musterzustand erfolgreicher und nutzbringender akademischer Betätigung, die einen nach Aussagen von Gewährsleuten den Verlust der akademischen Freiheiten leicht verschmerzen läßt, anstreben? Wer von den Vorteilen einer überlegen diktatorisch gelenkten, über alle Mittel selbstherrlich verfügenden Staatsherrschaft mit ihrer wohldurchdachten Rationalisierung und Ausgeklügeltheit überzeugt ist, wird diese Frage bejahen. Wer dagegen die mit diesem System verbundene Bürokratisierung und Korruptionsgefahr fürchtet und, durch die Geschichte belehrt, weiß, wie gefährlich geballte Macht in einer Hand ist und wie die weltweite Verwirklichung von extremen Idealen immer wieder an den Unzulänglichkeiten des Menschen scheitert, muß zum Schlusse kommen, daß das Wohl der Menschheit besser bei kleineren, übersehbaren, föderativ zusammengeschlossenen autonomen Einheiten aufgehoben ist. Da zu diesen selbständigen Gebilden neben den politischen und wirtschaftlichen Einheiten, als geistige Zentren auch die Hochschulen gehören, gilt es, ihre Autonomie überzeugt zu verteidigen.

Wie ich zu zeigen versucht habe, gibt es bei uns allerlei Symptome, die auf eine meist unbedeutende und vor allem auch ungewollte Beeinträchtigung unserer akademischen Freiheiten hinweisen. Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Vorboten an der Eidgenössischen Technischen Hochschule als Bundesanstalt mit technischen Interessen früher registriert werden als an den kantonalen Universitäten, wo man keinerlei Gefahr wittert. Es konnte sich so die eigenartige Situation ergeben, daß, als an einer schweizerischen Rektorenkonferenz die Frage besprochen wurde, ob das Politische Departement um finanzielle Unterstützung für Auslandreisen der Hochschulprofessoren angegangen werden solle, nur der Vertreter der Technischen Hochschule sich dagegen wandte, während die Universitätsrektoren gerne unter Umgehung des Departementes des Innern, dem wir verpflichtet sind, etwas von ihrer akademischen Freiheit gegen die Möglichkeit von Auslandrepräsentationen unter politischer Flagge vertauscht hätten. Erstaunlich war, daß Kreise, die sonst so großes

Gewicht auf die saubere Trennung der Gewalten im Staate legen, nicht zu merken schienen, daß sie die den Hochschulen zugewiesene Sphäre verlassen, wenn sie mit dem Repräsentationswesen des Politischen Departementes liebäugeln. Der Chef des Politischen Departementes hat denn auch diese Eingabe dem Departement des Innern überwiesen und in feiner Weise darauf geantwortet, er wolle gerne auf die Frage eintreten, soweit sie mit der Autonomie der Hochschulen vereinbar sei («sans porter atteinte à l'autonomie des universités»)!

Ich möchte mich seiner Argumentation anschließen und davor warnen, auf dem Gebiete des Hochschulwesens unsere historische Eigenständigkeit mit politischen Aufgaben zu vermischen, weil dadurch unsere Stellung als unabhängige Kulturträger geschwächt wird und früher oder später freiheitsbeschränkende Einmischungen in unsere Angelegenheiten zu befürchten sind.

Videant rectores, ne academiarum extinguatur libertas!