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Technik, Geist und Ungeist

Rektoratsrede, gehalten am 18. November 1961 an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule

Hochansehnliche Festversammlung!

Als ich mir bereits im Sommer überlegte, worüber ich am ETH-Tag zu Ihnen sprechen wolle, da sagte ich mir, daß wohl viele unter Ihnen —und vielleicht vor allem Sie, meine lieben Studenten —den geheimen Wunsch hegen könnten, der Rektor möge nicht einen Fachvortrag halten, sondern bei der Wahl des Themas die Situation vor Augen haben, in der das Abendland heute ist. Der wissenschaftliche Fachunterricht bietet nur selten Ansatzpunkte, über Fragen zu sprechen, die allem Fachlichen übergeordnet sind und die gerade die Besten unter unseren Studierenden ohne Zweifel sehr beschäftigen. Deshalb glaubte ich, am Fest unserer Hochschule, das zugleich ein Anlaß zur Besinnung sein soll, die Ingenieurwissenschaft für einmal beiseitelegen zu sollen, um einige Gedanken zu äußern über Dinge, über die wir Wissenschaftler sonst in der Regel so beharrlich schweigen.

Im alten Europa, der Wiege und Heimat von Naturwissenschaft und Technik, ist die Zeit, da man die technische Entwicklung schlechthin als den Fortschritt bezeichnete und sie damit vorbehaltlos bejahte, längst vorüber. Zu tief sind die Erschütterungen und Nöte, die uns das 20. Jahrhundert gebracht hat, und wenn die Technik dafür nicht allein verantwortlich zu machen ist, so gehört sie doch mit zu den wesentlichsten Ursachen. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade Menschen, deren Denken nicht an der Oberfläche bleibt, zu einer kritischen Haltung gegenüber der Technik gelangen und sie teilweise schroff ablehnen. Zwischen diesen Kritikern der Technik und den vielen, die an ihrem Bau mithelfen oder auch nur eine positive Einstellung zu ihr haben, besteht heute eine tiefe Kluft. Ihre Überbrückung gelingt von beiden Seiten aus nur wenigen.

Vorweg muß man leider festhalten, daß die Antworten, welche von uns Technikern auf die Kritik der Gegenseite gegeben wurden, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, nicht sehr in die Tiefe gingen. Dies gilt insbesondere von solchen Darstellungen, die etwa das menschheitsgeschichtlich völlig Neuartige dieser Entwicklung nicht

sehen wollen. Die Vorstellung, vom primitiven Werkzeug bis zum Radargerät und zum Atomreaktor führe ein einziger gerader und mehr oder weniger zwangläufiger Weg, ist von einer unverständlichen Oberflächlichkeit. Allerdings gelingt es nicht, eine genaue Grenze zu ziehen, wo die eigentliche Technik im modernen Sinne dieses Wortes anfängt. Nichtsdestoweniger sind die Unterschiede gegenüber allem früheren augenfällig. Man denke nur an die Verknüpfung unseres technischen Schaffens mit der Naturwissenschaft. Sehr bedeutsam für das ganze Lebensgefühl unseres Zeitalters scheint mir die Existenz so vieler technischer Gebilde zu sein, die von selbst gehen und damit vortäuschen, so etwas wie künstliche Lebewesen zu sein; häufig dienen sie ja auch tatsächlich zum Ersatz von Lebewesen. Dahinter steckt ein völlig anderer Geist und Wille als etwa hinter dem Handwerk und der Baukunst vergangener Zeiten. Die Meinung, Technik habe es immer gegeben, wird den Tatsachen nicht gerecht, denn das, was wir heute Technik nennen und was uns zum Problem geworden ist, hat es menschheitsgeschichtlich noch nie gegeben!

In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle liefen die Argumente, die von uns Ingenieuren zur Verteidigung unseres Werkes vorgebracht wurden, auf die Behauptung hinaus, es sei nur der schlechte Gebrauch der Technik, der Leiden und Unglück unter die Menschen gebracht habe. Die Technik wird dabei als ein an und für sich neutrales Instrument angesehen, das uns hilft und bereichert, wenn es in der Hand verantwortungsbewußter Menschen liegt, und das uns gegenteiligenfalls zum Verhängnis wird. Mit diesem Hinweis auf den Mißbrauch der Technik glauben viele das Problem erschöpfend beantwortet zu haben. Nun ist mit dieser Feststellung ohne Zweifel etwas Richtiges ausgesagt, aber dies ist keineswegs die ganze Wahrheit.

Schon die Frage, wo uns nun eigentlich dieser Mißbrauch entgegentritt, läßt keine einfache Antwort zu. Naheliegenderweise würde man hier zunächst vielleicht an die Kriegstechnik denken. In der Tat ist ohne Zweifel die Zerstörung menschlichen Lebens und die Vernichtung der Kulturgüter an sich sinnlos und den Forderungen der Ethik widersprechend. Die Technik tut hier das genaue Gegenteil dessen, was eigentlich ihre Bestimmung wäre. Anstatt dem Menschen zu helfen, zerstört sie und fügt ihm Leiden zu. So klar diese Tatsachen

an und für sich sind, so komplex wird das Problem, sobald wir die Situation in Betracht ziehen, in der wir nun einmal leben. Es braucht nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was geschehen würde, wenn etwa die freie Welt sich entschlösse, auf alle Waffen zu verzichten, um künftig die Technik in keiner Weise mehr zu mißbrauchen. Vor allem wäre es dann um die Sache des Geistes geschehen. Er würde vernichtet oder könnte bestenfalls noch ein Katakombendasein führen. Welches auch immer die Fehler waren, die wir in der Vergangenheit begingen, was man auch immer hätte tun oder unterlassen sollen, so ist an der Tatsache nichts zu ändern, daß der Fortbestand der Freiheit und damit das Leben des Geistes ohne eine außerordentlich hochentwickelte Waffentechnik im gegenwärtigen Augenblick nicht gewährleistet werden kann. Allerdings genügen die Waffen allein keinesfalls. Wichtigste Voraussetzung ist die sittliche Haltung der freien Menschen.

Wir berühren hier ein uraltes Problem, dessen Schwere und Tragweite durch die moderne Entwicklung eine ungeheure Steigerung erfahren hat, ohne daß es sich dabei grundsätzlich geändert hätte. Fein geartete Naturen finden sich nicht leichthin bereit, hinzunehmen, daß es der Gewalt bedürfen könne, um das Recht zu schützen. Bei dem Recht, um das es uns hier geht, steht die Würde des einzelnen Menschen, die Achtung vor seinem Gewissen im Mittelpunkt. Gewaltanwendung läuft diesem unserem Credo schnurgerade zuwider. Es ist daher verständlich, wenn Menschen, von hohem sittlichem Verantwortungsbewußtsein getragen, zum völligen Verzicht auf Gewalt aufrufen. (Nicht in allen Fällen liegt allerdings dieses Verantwortungsbewußtsein vor, und nur zu oft sind andere Hintergründe zu erkennen!) Ginge es nicht um das Recht im eben angedeuteten Sinne, sondern nur um einzelne Rechte, um die Luxusgüter der Kultur, um den Bestand von Dingen, die wir schätzen, dann könnte es unsere sittliche Pflicht sein, um nicht Gewalt anwenden zu müssen, einen vielleicht außerordentlich schmerzlichen Verzicht zu leisten. Aber es geht darum, daß man die sittliche Persönlichkeit vernichten will. Wir sollen unserem Gewissen nicht mehr gehorchen dürfen. Man will uns zu Lügnern und Verrätern machen. Wir sollen die Befehle von Verbrechern kriecherisch ausführen und die, die wir lieben,

der Verzweiflung überlassen. Wo man uns mit Gewalt zu solchem zwingen will, ist der Verzicht auf Gewaltanwendung unsererseits sittlich nicht verantwortbar. Daran ändert sich auch im Zeitalter der Nuklearwaffen nichts. Edle Naturen, die aus achtbaren Gründen die freie Welt zum vorbehaltlosen Verzicht auf Kernwaffen aufrufen, werden an diesem Punkte von ihrer Kraft zur Wahrhaftigkeit im Stiche gelassen. Sie flüchten sich vor der Erkenntnis, daß unsere Lage eine derart schreckliche sein könne. Konnte man solchen Gewissenszwang zu Beginn unseres Jahrhunderts vielleicht für nicht mehr denkbar halten, so hat uns das zwanzigste Jahrhundert leider eine bittere Lehre erteilt. Wir wissen heute, daß es das absolut Böse in dieser Welt gibt, und wir sollten wissen, daß es niemals durch Kompromisse entgiftet werden kann.

Man mag es als ungereimt empfinden, daß ich am Fest unserer Hochschule auf solche Dinge eingehe. Wenn man aber heute über die Technik spricht und nicht an einem entscheidenden Punkt im Unverbindlichen stehen bleiben will, kann man es nicht vermeiden, denn dies ist der Hintergrund, vor dem sich unser Leben abspielt, ob wir es sehen wollen oder nicht.

Obwohl gerade die furchtbare Zerstörungskraft der modernen Kriegstechnik das Dasein des heutigen Menschen bedroht, können wir zur Verteidigung des Rechtes und der Menschlichkeit ihrer nicht entbehren, was allein schon zeigt, wie wenig das einfache Schema vom guten und schlechten Gebrauch der Technik der Wirklichkeit unserer Zeit angemessen ist. Allerdings dürfen wir in diesem Falle immer noch geltend machen, daß die Ursache der Bedrohung keineswegs im Bereiche des Technischen, sondern im Geistig-Sittlichen liegt, genauer gesagt in der Verneinung des Geistig-Sittlichen durch den Kommunismus. Man kann aber objektiverweise auch diejenigen Gefahren nicht übersehen, welche die Technik als solche in sich trägt, die nicht gebannt wären, selbst wenn man sie überall nur zu sogenannten friedlichen Zwecken anwenden würde.

Allein schon das Wort «friedlich» will schlecht passen zu dem hektischen Getriebe unseres modernen Lebens. Ein verhängnisvoller Einfluß der technisierten Umwelt auf die geistige Haltung einer sehr großen Anzahl von Menschen ist unverkennbar. Diese Welt suggeriert

uns ein Lebensgefühl, das uns veranlaßt, uns als die wirklich Herrschenden und Schaltenden zu begreifen. Wir vermögen mit einer ungeheuren Macht in alle Gegebenheiten, in alles Naturgeschehen einzugreifen. Wir erleben uns als die Herren der Natur, nicht etwa als die Herren der Schöpfung, denn diese Natur ist uns eben nicht mehr Schöpfung. Wir sehen in ihr nicht mehr das unergründliche Wunder, sondern lediglich das Gegebene, mit dem wir nach Belieben verfahren. Eine gewisse Stumpfheit und Herzensroheit ist charakteristisch für das Verhältnis vieler moderner Menschen zur Natur.

Hier darf man allerdings wohl beifügen, daß gerade unter denjenigen, die in der vordersten Front die Forschung vorantreiben, die also führende Wissenschaftler und Ingenieure sind, dieses Gefühl, willkürlich vorgehen zu können, weniger vorhanden ist als bei den vielen, die auswerten und verwenden, was die Geistesarbeit der führenden Männer errungen hat. Wer nämlich ständig mit den technischen und wissenschaftlichen Problemen in Berührung ist, fühlt sehr genau, wie wenig wir in Wirklichkeit Herrscher sind. Die Natur behält immer recht, und eine außerordentlich mühsame Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten ihrer Gesetze ist die Voraussetzung für das Gelingen irgendeines technischen Werkes. Diese Redlichkeit, zu der wir in unserer Arbeit gezwungen sind, gehört zum Wertvollsten an unserem Beruf.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Technik weithin dieses Lebensgefühl verbreitet, das sich in der genannten Brutalität des Vorgehens äußert. Es ist nicht verwunderlich, wenn so eingestellte Menschen schließlich dazu übergehen, auch in ihren Mitmenschen nichts anderes als verfügbares Material zu sehen, was konsequenterweise schließlich zu den enthumanisierten Lebensformen führt, die im Kommunismus bewußt zum System erhoben werden.

Man kann nur mit Beklemmung beobachten, wie vieles bei uns geschieht und gar als Fortschritt betrachtet wird, was ausgezeichnet in einen kommunistischen Ameisenstaat passen würde. Die Tendenz zur Überbetonung —um nicht zu sagen Vergötterung —der Organisation, durch welche die freie Initiative und die Entfaltung der Persönlichkeit zurückgedrängt werden, ist eine Erscheinung, die zum Aufsehen mahnt. Selbstverständlich können wir nicht ohne Organisation

auskommen, und die organisatorischen Probleme müssen sorgfältig durchdacht werden. Wir erleben es aber bisweilen, daß die Organisation über den Menschen gestellt wird, und dies ist mehr als nur eine Mode, über die man lächeln könnte. Man muß darin vielmehr den Ausdruck einer antihumanistischen Geisteshaltung sehen. Nicht einzelne Menschen sollen durch ihre persönlichen Qualitäten den Gang der Dinge bestimmen, sondern das Ganze soll wie ein Mechanismus ablaufen, wobei jeder nur unpersönlicher Funktionär ist. Man fühlt hinter allem eine gewisse zynische Genugtuung darüber, daß es auch ohne den Menschen in seiner Ganzheit geht, daß man eigentlich nur Roboter braucht. —Es fragt sich nur, wie lange dies geht und wohin es führt. —

Welche Anmaßung liegt doch z. B. in einem Vorschlag wie etwa dem, die Beschlußfassung in der Führung eines Unternehmens einer elektronischen Rechenmaschine zu überlassen! Welche Konzeption einer Unternehmensführung liegt einem solchen Vorschlag zugrunde? Offenbar stellt man sich nicht vor, die Führung müsse in der Hand reifer Menschen liegen, die sich in harter Arbeit Wissen, Können und menschliches Verstehen angeeignet haben und denen sittliche Verantwortung die selbstverständliche Basis alles Entscheidens ist. Man stellt sich den leitenden Mann vielmehr als einen geistig simplen, keine höhere Verantwortung kennenden Funktionär vor, als eine menschliche Null, sonst könnte ihm nicht die elektronische Rechenmaschine eine so wesentliche Funktion abnehmen wie das Fassen von Beschlüssen.

Es gibt einen modernen Menschentyp — man ginge zu weit, wenn man ihn als ,den modernen Menschen' schlechthin bezeichnen würde —der eine merkwürdige Kombination von Hochmut und Selbstverzicht darstellt. Er greift nach den Sternen und verzichtet gleichzeitig gerne darauf, sich als vernünftig, verantwortlich und frei entscheidendes Wesen zu betrachten. Er verzichtet also auf das, was den Menschen recht eigentlich ausmacht. —Solcher Ungeist ist zwar nicht eine unvermeidliche Folge der Technik. Wir würden aber doch unsere Augen vor der Wahrheit verschließen, wenn wir nicht zugeben wollten, daß der Technik die Tendenz innewohnt, uns zu solchem zu verleiten. Darin liegt eine große Gefahr, denn aller Ungeist ist

tyrannisch; er verlangt sein Recht, nämlich das Recht auf Gemeinheit.

Wer ohne Vorurteil in unsere moderne Welt blickt, kann denn auch den sogenannten hohen Lebensstandard, den uns die Technik gewährt, keineswegs vorbehaltlos bejahen. Von vielen unserer «Errungenschaften» geht eine ungeheure Verführungskraft aus. Sie verleiten uns zur Veräußerlichung und damit zur Sinnentleerung unseres Lebens, sofern wir uns nicht bewußt dagegen zur Wehr setzen. Manchmal will uns doch das ganze Treiben, die ganze Unterordnung des Menschen unter die von ihm geschaffenen Dinge vorkommen wie ein wahrer Kult der Dummheit.

Die Abwehr der in der Technik liegenden Versuchungen ist aufs äußerste erschwert durch ihre naturgemäß sehr enge Verknüpfung mit der Wirtschaft, denn dieser letzteren kommt das Verführerische gerade gelegen. Man macht sich wohl keiner Übertreibung schuldig, wenn man feststellt, daß die treibenden Kräfte in der Wirtschaft in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle einer über das rein Kommerzielle hinausgehenden Verantwortung nicht viel Raum lassen. — In einer Beziehung darf man allerdings gegenüber den Verhältnissen, wie sie noch vor einigen Jahrzehnten herrschten, bereits einen wesentlichen Unterschied feststellen. Das Element der sozialen Verantwortung ist unserer Wirtschaft keineswegs mehr fremd. Man anerkennt heute das Recht jedes Einzelnen auf wirtschaftliche Sicherung seiner Existenz. Das ist nicht zuletzt eine der Auswirkungen der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Soziale Verantwortung ist aber unserer Wirtschaft nachträglich als eine Art Korrektur beigefügt worden. Sie macht nicht einen ursprünglichen und von vornherein gegebenen Teil unseres Wirtschaftsdenkens aus, und vor allem sind wir weit davon entfernt, in der Wirtschaft eine höhere menschliche Verantwortung gelten zu lassen. Die Wirtschaft fragt primär nicht darnach, was sinnvoll und was gesamthaft betrachtet zu verantworten sei. Sie fragt vielmehr zunächst nur nach dem kommerziellen Erfolg. Für ihr Vorgehen ist daher weithin eine gewisse Unwahrhaftigkeit typisch. Man sucht Bedürfnisse künstlich zu schaffen, die an und für sich weder wünschbar noch sinnvoll sind, ja deren schädliche Auswirkungen vorausgesehen werden können. Das ganze Propagandawesen

ist eine Art der Beeinflussung der Menschen, bei der auf Wahrheit und Unwahrheit, Wert und Unwert weiter nicht geachtet wird. Es ist klar, daß das Instrument der Technik mit seiner ungeheuren Macht in der Hand einer solchen Wirtschaft wahre Verheerungen anrichten muß.

Oft macht man den Ingenieuren zum Vorwurf, sie seien einseitige Spezialisten, was sich z. B. an ihrer Verständnislosigkeit gegenüber den wirtschaftlichen Problemen zeige. Wenn Teilnahmslosigkeit und Interesselosigkeit gegenüber allem Nichttechnischen tatsächlich unter Technikern ein weitverbreitetes Übel ist, so darf man doch auch viele unter ihnen gegenüber diesem Vorwurf mit gutem Gewissen in Schutz nehmen. Oft liegt gerade in Bezug auf wirtschaftliche Fragen keineswegs etwa Interesselosigkeit im eigentlichen Sinne vor. Vielmehr ist mancher Techniker ganz einfach nicht bereit, die fundamentale Unwahrhaftigkeit, die ihm in der Wirtschaft auf Schritt und Tritt begegnet, hinzunehmen und zu bejahen.

Den Kommunismus mit seiner wirklichkeitsfremden Planerei müßte man allerdings noch viel mehr ablehnen. Während unsere Wirtschaft die Wahrhaftigkeit an sich nicht ausschließt und außerdem nicht notwendig mit einer engstirnigen Weltanschauung verquickt wird, ist der Kommunismus mit der Wahrhaftigkeit unvereinbar, und zwar in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Mit instinktsicherem Haß gegen alles Geistige sucht er den Wahrheitsbegriff als solchen auszuhöhlen und zu zerstören, indem er unumwunden aussagt, es sei die Partei, die die Wahrheit nach ihrem Gutdünken schaffe. Allein dadurch schon weist sich der Kommunismus als die vollkommenste Verwirklichung des Bösen in unserem Jahrhundert aus.

Was wir Ingenieure — und sicher nicht nur wir — so gerne sehen würden, wäre eine freie Wirtschaft, in welcher der Mensch an Stelle des Geldes zum Maß der Dinge erhoben würde und in der man das freie Spiel der Kräfte nicht mit dem freien Spiel der Egoismen verwechseln würde. Man mag mir vorwerfen, ich verlasse mit solchen Vorstellungen den Boden der rauhen Wirklichkeit. Dagegen möchte ich folgendes zu bedenken geben. Die Realisten unseres Wirtschaftslebens rechnen ganz offensichtlich so, als ob die Geschäftemacherei auch in Zukunft ungestört immer weiter gehen, ja ein immer größeres

Ausmaß annehmen würde. Immer größere Produktion, immer größerer Verbrauch, immer höherer Lebensstandard, dies ist ihr Bild der Zukunft. Wie man so etwas glauben kann, wie man annehmen kann, ein sinnentleertes, verantwortungsloses Treiben führe nicht zu einer Katastrophe, ist mir unverständlich. Wenn wir der Katastrophe entgehen wollen, so bleibt nichts anderes übrig, als eine höhere Verantwortung auch im Bereich des Wirtschaftlichen anzuerkennen und dementsprechend zu handeln.

Nachdem wir von der Gefährdung des Menschen durch die Technik gesprochen haben — und zwar von einer geistigen Gefährdung, die bis zu einem gewissen Grade ihre Wurzeln in der Technik selbst hat —, dürfen wir dem auch die positiven Aspekte gegenüberstellen. Wir sind gerne bereit, die Größe vergangener Kulturepochen zu bewundern, und die Fragwürdigkeit unserer eigenen Welt mag uns dazu verleiten, in die Vergangenheit zurückzuschauen wie in ein verlorenes Paradies. Gegen die Verwurzelung des Geistes in seiner Geschichte soll nichts gesagt werden; sie ist einer seiner größten Reichtümer. Nur dürfen wir darüber die Objektivität nicht vergessen. Wir versuchen wohl viel zu wenig, uns vorzustellen, wie in früheren Zeitaltern das Leben des weitaus größten Teils der Menschen ausgesehen haben mag. Gemessen an unseren modernen Begriffen von der Freiheit des Individuums und seinem Anrecht, an den Gütern teilzuhaben, muß uns das Leben weitester Bevölkerungsteile früherer Epochen als ein Sklavendasein erscheinen. Die Gründe, warum das nicht anders sein konnte, waren primär technischer Art. Ein differenziertes Kulturleben einer dünnen Oberschicht hatte ein hartes, entbehrungsreiches Dasein der Vielen zur Voraussetzung. Ohne Technik ist soziale Ungerechtigkeit eine notwendige Bedingung für das Leben des Geistes.

Man könnte versucht sein, anzunehmen, die eigentliche ethische Aufgabe der Technik, nämlich die Befreiung des Menschen von Mühsal und Bedrängnis, sei längst gelöst. Was jetzt noch weiter komme, sei überflüssig und somit schädlich. Dies wäre aber doch wohl etwas vorschnell. Man braucht sich nur vorzustellen, jemand hätte vor hundert oder zweihundert Jahren eine Liste all dessen aufstellen müssen, was wünschbar wäre, um die Menschen von drückender Last und Mühsal zu befreien. Es ist gar nicht absehbar, wie vieles, was wir

heute kennen und als wahre Wohltat für den Menschen empfinden, in dieser Liste sicher nicht figuriert hätte, ganz einfach weil es nicht voraussehbar war und auch die kühnste Phantasie es nicht hätte erahnen können. Daß wir auch heute noch weit davon entfernt sind, alles ersonnen und verwirklicht zu haben, was dem Menschen helfen kann, mag folgendes Beispiel zeigen.

Ein Ingenieur, der vor einiger Zeit ein Kohlenbergwerk besichtigte, äußerte hernach, er sei erschüttert darüber, daß heute noch in der freien Welt Menschen zugemutet wird, unter solchen Bedingungen ihr Tagwerk zu verrichten, und zog den Schluß: ,Da gibt es nichts anderes als Kernenergie.' Wenn auch die Bergleute subjektiv ihre Arbeit sicher nicht so empfinden wie jener Ingenieur, so kann doch die Tatsache nicht wegdiskutiert werden, daß solche Menschen für uns ein außerordentliches Opfer bringen. Es ist daher ein Gebot der Solidarität, das Mögliche zu tun, um Abhilfe zu schaffen, und das muß in diesem Beispiel, wie auch in vielen anderen, durch die Weiterentwicklung der Technik geschehen.

Wir Ingenieure haben sicher das Recht, auf die wirkliche Hilfe hinzuweisen, die unsere Technik den Menschen gebracht hat, doch können wir das ehrlicherweise nur im Sinne einer nachträglichen Verteidigung tun. Denn wir können nicht behaupten, unsere Werke geschaffen zu haben, weil wir Wohltäter der Menschheit sein wollten. Nichtsdestoweniger entspringt unser Werk aus reinen Quellen. Dies dürfen wir für uns in Anspruch nehmen. Mußten wir einerseits erkennen, daß die Technik dem Ungeist Vorschub leistet, so wissen wir Ingenieure andererseits auch, daß sie im Geiste ihren Ursprung hat. Ich bin mir bewußt, gerade mit dieser Aussage bei manchen hervorragenden Vertretern des Geisteslebens wenig Verständnis zu finden. Man darf ihnen daraus keinen allzu großen Vorwurf machen, denn es ist für den Außenstehenden nicht leicht, eine Vorstellung darüber zu gewinnen, von welcher Art die geistigen Prozesse sind, die der Schaffung eines technischen Werkes vorausgehen.

Daß es für das Erfinden, Forschen und Konstruieren im Bereiche des Technischen Intelligenz braucht, bestreitet niemand. Trotzdem könnte dies alles vom Geiste völlig unberührt sein, und manch einer stellt es sich ohne Zweifel so vor. Man denkt sich etwa, die Arbeit

des Ingenieurs sei sinngemäße Anwendung bekannter Naturgesetze; sie bestehe ferner in der Durchführung komplizierter Rechnungen und Versuche. Alles dies müsse einmal sorgfältig erlernt werden und erfordere ein nicht geringes Maß an Intelligenz, sei aber nichtsdestoweniger völlig ungeistig. Diese Vorstellung entspricht der Wirklichkeit in gar keiner Weise. Was vielmehr immer wieder geschieht, sind schöpferische Akte im wahren und ehrfurchtgebietenden Sinne dieses Wortes. Man hat daher oft schon darauf hingewiesen, daß die Arbeit des Ingenieurs, gleichgültig, ob er Konstrukteur sei oder Forscher, etwas mit dem Wirken des Künstlers gemein habe. Dabei muß man sich allerdings sofort der begrenzten Gültigkeit dieses Vergleiches bewußt sein. Von einem Kunstwerk werden wir ja immer eine Aussage erwarten, die allerdings in dürren Worten nicht formuliert werden könnte. Es hat den Charakter eines Symbols oder eines Zeugnisses. Etwas derartiges wird im technischen Werk keineswegs zu finden sein. Trotzdem tritt uns auch bei der Arbeit des Ingenieurs oft der schöpferische Geistesprozeß in seiner ganzen Rätselhaftigkeit und Wunderbarkeit entgegen.

Der Konstrukteur, der nach einer Lösung eines Konstruktionsproblems sucht, wie z. B. auch der Theoretiker, der sich um die einwandfreie Schau eines verwickelten und noch unerforschten Zusammenhangs bemüht, begeben sich auf die Suche nach der richtigen Lösung. Diese richtige Lösung ist an sich nirgends vorgezeichnet, und doch erkennt der Suchende, daß die vielen Lösungen, die vor seinem geistigen Auge vorüberziehen, nicht diese «richtige» sind, bis er sie schließlich entdeckt und als solche erkennt. Hat er sie erkannt, so erscheint sie ihm in ihrer Richtigkeit und Ausgewogenheit in eigentümlicher Weise vertraut. Fast möchte man sagen, er habe sie wiedererkannt, obwohl sie noch nie und nirgends existiert hat. Wir lauschen den Eingebungen unserer Einbildungskraft, und niemand weiß im Grunde selber, wie er es gemacht hat, daß ihm gerade diese oder jene Idee gekommen ist.

Typisch für das ganze Denken, das sich hierbei abspielt, ist auch das eigentümliche Vereinigtsein von großer Freiheit und strenger Bindung. Wir können ja nicht völlig Beliebiges ersinnen, sondern nur, was innerhalb der Naturgesetze möglich ist. Dies bedeutet aber keineswegs

eine lästige Einschränkung unseres Gedankenfluges, sondern das ganze Überlegen erhält seine Substanz und Spannung ja erst dadurch, daß es sich im Rahmen dieser strengen Gesetze zu bewegen hat. Diese Gesetze ihrerseits stellen in ihrer Gesamtheit einen außerordentlich kunstreichen Gedankenbau dar, den wir nicht etwa in der Natur fertig vorgezeichnet finden, sondern den wir schaffen und der in großartiger Weise die Beobachtungen zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenfügt. Immer wieder begegnen wir in der Wissenschaft, und zwar in der reinen wie auch in der sogenannten angewandten Wissenschaft, bis hinüber zum schöpferischen Konstruieren auf wissenschaftlicher Basis, dem Zwingenden. Dieses Zwingende wird nicht als eine Beschränkung der Freiheit erlebt, sondern es hat etwas Beglückendes an sich. Der Geist findet sich in ihm bestätigt.

Alles dies sind nur mehr oder weniger mühsame Umschreibungen dessen, was beim schöpferischen Arbeiten auch in der Technik geschieht und erlebt wird. Niemandem, der dieser Art des Schaffens völlig fernsteht, kann man dies so zutreffend beschreiben, daß er es wirklich nachempfinden könnte. Die Ingenieure und Forscher wissen indessen, was gemeint ist, und sie werden, auf diese Seite unseres Berufslebens blickend, vorbehaltlos zustimmen, daß wir einen herrlichen Beruf haben.

Wenn wir Ingenieure in unsere heutige Welt blicken, so können uns ja sehr ernste Zweifel darüber kommen, ob unsere Arbeit überhaupt sinnvoll sei. Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, die der Wirklichkeit unseres Berufslebens gerecht wird, stellen wir uns am besten die weitere Frage: ,Warum lieben wir unseren Beruf?' Wir lieben ihn, weil uns dieses Schaffen als solches beglückt. Dieses schöpferische Wirken dürfen wir als sinnvoll in sich betrachten, wenn auch daraus kein Recht auf Verantwortungslosigkeit bezüglich der Auswirkungen in der Welt abgeleitet werden darf. —Mit der Frage nach dem Sinn menschlichen Tuns begibt man sich ja aufs Glatteis, da sie hinter jeder Antwort neu auftaucht. Darin liegt die heillose Versuchung, die Frage überhaupt als unwesentlich oder gegenstandslos abzutun, dem Unechten und Verlogenen das selbe Recht einzuräumen wie dem Echten und Wahrhaftigen und damit die Menschenwürde

zu zerstören. Wir müssen die Demut und Größe haben, nicht wissend um letzten Sinn, das Wahrhaftige und nur das Wahrhaftige als sinnvoll zu bejahen. — In solcher Haltung dürfen wir uns auch unserem Ingenieurberuf hingeben.

Wenn wir nun das Gesagte überblicken, so ergibt sich eine ungemein komplexe Situation, die offensichtlich einer wahren und erschütternden Tragik nicht entbehrt. Die Technik, deren Wurzeln in den schöpferischen Geisteskräften des Menschen liegen, die also sehr wohl als eine Frucht des Geistes gelten darf, hat einerseits die hohe Mission, den Menschen aus drückender Not und Mühsal zu befreien und damit den Weg zu sozialer Gerechtigkeit freizulegen. Zugleich tritt sie uns entgegen als Wegbereiterin und Verbündete des Ungeistes, der Herrschaftsansprüche erhebt, die unser Menschsein bedrohen.

Es wäre müßig, diese Ausführungen so abschließen zu wollen, daß nun rasch noch ein Rezept angegeben würde, wie wir diese fatale Situation meistern können. Dies bedeutet nicht, daß wir die Dinge auf sich beruhen lassen sollen. Wir müssen vielmehr unser Bestes versuchen, um die Versöhnung zwischen Geist und Technik herbeizuführen, was doch sicher gelingen kann, da die Technik aus dem Geiste kommt. Dieses Ziel kann aber in keinem Fall durch irgendwelche Maßnahmen erreicht werden, die man auf organisatorischem Wege treffen könnte. Allem Geschehen geht voraus die Gesinnung. Die Wandlung der Gesinnung ist das, worauf letzten Endes alles ankommt. Die eingangs erwähnte Kluft zwischen denen, die wir kurz die Vertreter des Geistes nennen wollen —und zwar bewußt im Sinne eines Ausdruckes der Achtung —, und den Technikern muß überbrückt werden. Es kann dies nicht so geschehen, daß wir immer wieder auf die hervorragende Bedeutung der Technik im modernen Leben hinweisen und die Gegenseite auffordern, uns endlich einmal die uns zukommende Anerkennung zu zollen. Es ist vielmehr an uns, den Primat des Geistes vorbehaltlos anzuerkennen. In der geistigen Auseinandersetzung gibt es kein Recht des Stärkeren. Damit, daß wir heute die Mächtigen sind (oder uns für die Mächtigen halten!), ist für diese Auseinandersetzung nichts entschieden, denn dort behält immer die Wahrheit recht, ob sie anerkannt wird oder nicht.

Wenn auch im Bereiche des Geistes nichts organisiert werden kann, so ist es uns doch möglich, bewußt auf ein Ziel hinzuwirken. Eine sehr wichtige und hohe Aufgabe kommt in dieser Beziehung den Schulen zu, und zwar vor allem den Mittelschulen. Sie beeinflussen die Formung der Persönlichkeit des jungen Menschen nachhaltiger als die Hochschulen. Es wäre verhängnisvoll, wenn die Mittelschulen versuchen würden, ihre Schüler bereits sehr einseitig auf bestimmte Berufsgruppen hin vorzubereiten und ihnen möglichst viel einschlägiges Sachwissen aufzubürden. Allergünstigstenfalls würde auf diese Weise eine gute Ausbildung erreicht, wogegen die Bildung völlig ins Hintertreffen käme. Niemals dürfen jene Lehrgebiete zurückgedrängt werden, bei denen es weniger auf die Vermittlung von Wissen als auf die Weckung derjenigen Geisteskräfte ankommt, die aus dem Sachwissen erst geistiges Leben werden lassen. Nebenbei bemerkt, werden auch wir an der ETH den Belangen unserer Philosophischen und Staatswissenschaftlichen Abteilung mehr Beachtung schenken müssen. Der Student darf nicht dazu gedrängt werden, diesen Teil seines Studiums zu vernachlässigen.

Gerne möchte man solche Betrachtungen schließen mit einigen Gedankengängen, aus denen wir sichere Zuversicht schöpfen könnten in Bezug auf die Zukunft, die uns erwartet. Wir möchten die Gewißheit haben, daß am Ende der Entwicklung, in der wir jetzt stehen und für die es in der Geschichte keine Parallele gibt, ein Reich der Menschlichkeit sein wird. Ein Wort, aus welchem solche Zuversicht spräche, möchten sicher vor allem Sie, meine lieben Studenten, hören. Ja, selbst wenn das gute Ende gewiß wäre, so wären Sie — und wir alle —noch nicht beruhigt, denn wir wollen noch mehr! Wir möchten dieses unser eines Leben in Menschenwürde und sinnerfüllt leben können. Man hat nicht das Recht, jemanden einen Egoisten zu schelten, wenn sein eigenes Lebensschicksal Gegenstand seiner Sorge ist. —Aber Sie wissen, daß mit Gedankenkonstruktionen, die uns die Zukunft in hellem Licht erscheinen lassen, nichts gewonnen wäre, denn wir würden damit die Tatsachen nicht verändern. Sicherheit gegen drohendes Unheil können wir nicht in der uns umgebenden Welt finden, und wir können sie auch nicht organisieren. Wir müssen selber in unserem Geiste, in unserer sittlichen Haltung größer sein als

jedes Geschick, das uns treffen mag. Dies haben wir in unserer Hand. Wirkliche, unangreifbare Zuversicht ist in dieser unserer Lage wohl nur dem gläubigen Menschen geschenkt.