reden.arpa-docs.ch Rektorats Reden © Prof. Schwinges
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Gewalt und Gesetz

Wer heute als Jurist zum Verhältnis zwischen Gewalt und Gesetz sich äussern will, wird zweierlei vermeiden müssen: eine zu weit gehende Vereinfachung, zutage tretend in dem Vorschlag, nach einem schweren Terrorakt die Täter ohne lange währendes Verfahren mit dem Tode zu bestrafen, und eine übermässige Vervielfachung der Probleme, wie sie vorliegt, wo nach neuartigen und schwer zu erarbeitenden Normen landesrechtlicher und völkerrechtlicher Natur von zweifelhafter Wirksamkeit gerufen wird, bevor geklärt ist, ob der Gewalt zu einem guten Teil nicht mit den geltenden Gesetzen begegnet werden kann und was an wünschenswerter Fortbildung des Rechtes wirklich zu erreichen wäre.

1.

Zu einfach ist es, Gewalt und Gesetz nur als einen Gegensatz zu sehen. Das Rechtsgesetz ist zwar gewiss berufen, gegen die Gewalt zu wirken. Es bedarf jedoch, wenn es in wichtigen Bereichen nicht toter Buchstabe bleiben soll, selbst der Gewalt, nämlich der Staatsgewalt als der vom Rechte selbst geordneten Gewalt. Von ihr allein vermag das Recht zwar nicht zu leben. Wenn nicht in hohem Masse innere Gebundenheit an heteronomes und an autonomes Recht —für letzteres ist vor allem an die Verträge aller Art zu denken —die Bürger das Gebotene zu tun und das Verbotene zu lassen nötigt, ist eine freiheitliche Ordnung nicht zu halten. Ebenso unentbehrlich aber ist die Angst vor Zwangsvollstreckung. Wer würde Steuern und Bussen bezahlen, wenn nicht damit gerechnet werden müsste,

dass bei andauernder Renitenz die Staatsgewalt zu Pfändung und zu Pfandverwertung schreiten würde? Pharisäer ist, wer da behauptet, gerne Steuern zu entrichten, weil der Staat des Geldes für seine zugunsten des allgemeinen Wohlergehens erfolgenden Leistungen bedarf. Aber auch jeder Rechtsstreit vor Behörden der Justiz und der Verwaltung ist nur sinnvoll, weil der Entscheid, wenn es sich als notwendig erweist, durch staatliche Gewalt vollzogen werden wird.

Wo die Personen und ihre Freiheit als höchste Güter, die vom Recht zu schützen sind, betrachtet werden, bedarf der Zwang des Rechts, der damit in Widerspruch zu stehen scheint, der Legitimation. Weil Unrecht Verletzung dieser Werte ist, hat Immanuel Kant den mit dem Recht verbundenen Zwang als Hindernis eines Hindernisses der Freiheit zu rechtfertigen versucht und Georg Wilhelm Friedrich Hegel ihn, in allgemeinerer Formulierung, als Negation einer Negation des Rechts bezeichnet. Der im Unrecht liegende Zwang wird durch den Rechtszwang aufgehoben. Konziser lässt es sich kaum sagen.

Herbert Marcuse meint, im etablierten Vokabular sei «Gewalt» ein Wort, das nicht auf die Handlungen der Polizei und der Armee sich anwenden lässt, vielmehr von vornherein für den «Feind» der guten Ordnung reserviert erscheint. Er übersieht, dass im Vollstreckungsrecht seit jeher und auch heute durchaus von physischer Gewalt gesprochen wird, wie bei der immer öfter sich als notwendig erweisenden, durch Gewalt erfolgenden Vernichtung von vorschriftswidrig errichteten Gebäuden, aber auch bei der Verhaftung und bei jeder andern Anwendung von Gewalt durch Polizeiorgane oder —seit mehr als vierzig Jahren bei uns nicht mehr vorgekommen —durch das Militär. So «eindimensional», wie Marcuse den heutigen Menschen sieht, ist jedenfalls das Denken der Juristen nicht.

Zugelassen ist vom Gesetz nicht nur die staatliche, sondern auch etwa durch den Bürger ausgeübte physische Gewalt. Es erlaubt ihm bisweilen, mit Gewalt sich selbst zu helfen, und wenn Notwehr oder Notstand angerufen werden kann, bleibt die mit Gewalt begangene Handlung straflos. Unser Bundesgericht hat, mit Zustimmung der Gelehrten, auch übergesetzlichen Notstand als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Aber es muss das Gut, das in der Rangordnung der Werte höher stehen soll als das durch die Gewalt verletzte, unmittelbar gefährdet sein. So kann nicht jede die Gewalt bejahende «gewaltfreie Aktion» sich auf ein höheres Recht berufen. Und folgerichtig wäre es, auch den für die Ausübung der Staatsgewalt Verantwortlichen zuzugestehen, sich auf übergesetzlichen Notstand zu berufen, wenn sie vor dem Dilemma stehen, entweder schwer bedrohte Menschenleben zu retten oder die vom Gesetz gewollte Bestrafung nicht zu vereiteln.

Ein Grenzproblem für den Juristen ist im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der Gewalt und dem Gesetz die Frage nach der Legitimität der mit Gewalt erfolgenden Beseitigung der Staatsgewalt im Bemühen, als ungerecht empfundenes Recht durch gerechteres zu ersetzen. Es

geht um Tyrannenmord, um Revolution, um Krieg. Wo die Ermordung des Tyrannus usurpator, der unrechtmässig Gewalt an sich gezogen und unhaltbar erscheinende Gesetze erlassen und vollzogen hat, als erlaubt betrachtet und von «gerechtem» Krieg gesprochen wird, wenn er geführt wird, um den Feind begangenen Unrechts wegen zu bestrafen, sind für die Beurteilung des einzelnen Falles Wertungen vorausgesetzt, die nicht objektiv gegeben sind. Und dass man nach dem Attentat auf den Tyrannen entweder gehängt oder als Befreier des Volkes umjubelt wird, weil es entweder geglückt oder nicht geglückt ist, Gewalt mit Gewalt zu brechen, beweist, dass es hier, so bedauerlich es ist, nicht darauf ankommt, ob das geltende Gesetz als ungerecht oder als gerecht erscheint. Dasselbe gilt für die Revolution. Sie wird später je nach den Wertvorstellungen, an welchen man sie misst, als «glorreich» oder als verbrecherisch bezeichnet werden. Noch 150 Jahre nach der Französischen Revolution hat Léon Daudet, der Royalist, gerufen: «La démocratie c'est la canaille.» Als Tatsache aber ist hinzunehmen, dass alles Recht der es überwältigenden Macht gegenüber ohn-mächtig ist. Das klingt erfreulich oder schmerzlich, je nachdem, an welchen Umsturz man zurückdenkt und wie man das Recht, das er nach sich gezogen hat, bewertet.

2.

In ganz anderem Masse beschäftigen uns heute Terrorakte und Gewaltverbrechen, die uns nicht vor solche Grenzprobleme stellen. Auch hier ist manches nicht so einfach, wie es vorerst den Anschein erweckt. Wie anderswo, so wird auch in der Schweiz empfohlen, die Ursachen zu erforschen und nachher zu beseitigen. Das klingt plausibel, vermag indessen nicht zu überzeugen. Es liegen den in Frage stehenden Delikten Motive sehr verschiedener Art zugrunde. Von ehrlicher Sorge um das bedrängte Vaterland und von idealistisch geprägtem Drang nach Einsatz für eine gesellschaftliche Ordnung mit wahrer Freiheit und Gerechtigkeit reichen sie über religiösen Fanatismus, politische Intoleranz, Durst nach Rache, Bedürfnis, die Welt auf einen angeblich unerträglichen Zustand aufmerksam zu machen, bis zu der Absicht, sich zu bereichern oder mühelos die Mittel zu erlangen, um das Leben fristen zu können, oder sonst einen persönlichen Vorteil zu ergattern. Die Ursachen liegen also auf verschiedenen Ebenen. Sie sind zu einem guten Teil in Auseinandersetzungen zwischen fremden Völkern oder Gruppen eines Volkes und in staatlichen Ordnungen, die als ungerecht empfunden werden, zu suchen. Wie sollten wir da, auch wenn wir es wollten, erfolgreich an ihrer Beseitigung mittun können? Zudem besteht, wie Friedrich Hacker in seinem Buch über den Terror sagt, bei aller Rechtfertigung der Aggression doch wenigstens der Verdacht des «Etikettenschwindels», so dass wir uns über die wahren Beweggründe irren könnten. Mit der Forderung, im Kampfe gegen illegale Gewalt bei ihren Ursachen einzusetzen, wird jedenfalls für uns zu hoch gegriffen, und es fehlt nur noch der Ruf nach einer Gesamtkonzeption, damit ganz sicher bis auf weiteres nichts geschieht.

Auch wer, um den Erscheinungen auf den Grund zu gehen, die geistigen

Wurzeln von Gewalt und Terror blosslegen will, wird Simplifizierungen aus dem Wege gehen müssen. Nicht alle «Reflexionen über die Gewalt» sind als Aufforderung gemeint, solche auch tatsächlich zu üben; oft wollen sie sie nur beschreiben. Und wo man Theoretikern begegnet, die gemeinsam eine grundlegend andere Ordnung der Gesellschaft propagieren, ist näher abzuklären, ob alle auch in gleicher Weise die Gewalt als Mittel sehen, womit das Neue zu erkämpfen ist. Das trifft nicht zu auf die Vertreter der Frankfurter Schule. Adorno hat gegen die Gewalt sich ausgesprochen und nur geistige Waffen anerkannt, Horkheimer zunehmend diese Haltung eingenommen; einen Schritt weiter geht Habermas, der Demonstrationen, Protesten und Provokationen positiv gegenübersteht, nicht jedoch der Anwendung von Gewalt. Grundsätzlich anders ist Marcuse eingestellt. Er spricht von der Notwendigkeit des Ungehorsams und der Rebellion, und auf die Revolution ist nach ihm nur deswegen zu verzichten, weil sie zur Zeit als aussichtslos erscheint. Eine nicht leicht zu lösende Frage wäre schliesslich auch, in welchem Masse Theorien das Tun von Menschen wirklich determinieren.

Zu grosse Komplikationen aber bereiten wir uns selbst, wenn wir als eine wesentliche Voraussetzung der Bekämpfung von Gewaltverbrechen den Abschluss neuer internationaler Vereinbarungen über die Auslieferung von Delinquenten an den Staat, in dem die Tat begangen wurde, und über gleichartige Ahndung von immer wieder in ähnlicher Weise sich ereignenden Terrorakten durch alle Staaten sowie gross angelegte Ergänzungen des Straf- und Strafprozessrechtes betrachten. Bemühungen auf internationaler Ebene werden kaum erfolgreich sein. Die Staaten, die es angeht, werden gerade wegen des Terrors, den sie gar nicht ernsthaft verhindern wollen, keine Abkommen solcher Natur abschliessen. Selbst wenn sie es täten, bliebe es mehr als fraglich, ob sie sich je daran halten würden. Bei Auslieferungsverträgen besteht zudem die crux stets darin, dass alle Staaten sich vorbehalten, bei politischen Delikten die Auslieferung zu verweigern und im konkreten Fall allein darüber zu befinden, ob dieser Vorbehalt angerufen werden kann. In die Welt der Illusionen gehören erfahrungsgemäss auch Handels-, Verkehrs- und Touristenboykotte und die Einstellung von Lebensmittel- und Finanzhilfe an Staaten, die dem Terror nicht entgegentreten wollen. Und was die Verbesserung internen Rechts betrifft, so müsste wohl gefordert werden, dass zuerst versucht wird, das Problem zu meistern, indem die schon gegebenen Normen so angewendet werden, wie es ihr Wortlaut und ihr Sinn erlauben oder gar gebieten. Ich dringe mit den Bemerkungen, die ich mir hiezu erlaube, tief in das Gebiet des Strafrechts ein. Aber es ist schon immer das Privileg der mit Rechtsphilosophie sich befassenden Juristen gewesen, die Grenzen ihrer Kompetenz zu überschreiten.

lii.

Wo immer auch in letzter Zeit darauf verzichtet worden ist, Gewaltverbrecher zu bestrafen, wie das Gesetz es will, ist stets behauptet worden, es sei der Rechtsstaat in Gefahr. Wir sind, wie sich noch zeigen wird, infolge einiger Schwierigkeiten, die Terrorakte

mit sich bringen, vom Rechtsstaat aus gesehen zweifellos mit Fragen konfrontiert, die nicht so leicht zu lösen sind. Der Sachverhalt allein jedoch, dass auf gewisse Delinquenten das Strafgesetz nicht angewendet wird, hat mit dem Rechtsstaat nichts zu tun. Es geht um etwas bedeutend Primitiveres, nämlich um die Banalität, dass jener, der ein Gesetz erlassen hat, auch will, dass es vollzogen werde. Das hat schon immer zugetroffen, auch wo von Rechtsstaat keine Rede war. Wenn das Prinzip des Rechts-Staats unseren Staat von anderswie gearteten Staatswesen abheben soll, muss es mehr bedeuten. Und tatsächlich ist denn auch gemeint damit, dass einerseits der Bürger in seiner Freiheit und in seinem Eigentum durch die Gewalt des Staates nicht in höherem Masse, als das Gesetz es zulässt, beeinträchtigt, also nicht eingesperrt oder mit Abgaben belegt oder enteignet werde, wenn das Gesetz es nicht erlaubt, und dass andererseits der Staat, wo Leistungen an die Bürger vorgesehen sind, wie Renten aus einer Sozialversicherung, sie auch tatsächlich dem Gesetz gemäss erbringe. Es handelt sich, kurz, um den Schutz des Einzelnen vor überbordender staatlicher Gewalt, was nicht in Frage steht, wenn eine vom Gesetz gewollte Bestrafung nicht erfolgt. In diesem Falle wird ganz einfach von den Instanzen, die den Strafanspruch des Staates zur Geltung bringen sollten, eine elementare Pflicht verletzt.

Auch wenn im Zuge einer Demonstration sich Hunderte ein- und desselben Vergehens schuldig machen, z. B. einer schweren Nötigung, indem sie ein legales Tun verhindern, und von den hiezu berufenen Organen darauf verzichtet wird, die Strafverfolgung einzuleiten, weil es in ihrer Sicht unmöglich erscheint, sämtliche Täter zu erfassen, wird niemand durch die Staatsgewalt in einem subjektiven Recht verletzt. Hingegen ist es unerträglich, dass andere, die geringerer Vergehen wegen im Gefängnis sitzen, von solchem hören müssen. Sie werden sich wohl sagen: je schlimmer die Tat und je grösser die Anzahl von Delinquenten, um so grösser die Chance, nicht bestraft zu werden.

Wie schon gegebene Strafnormen vielfach genügen würden, zeigt sich, wenn die in Frage stehenden Tatbestände nicht vorschnell als etwas völlig Neues und noch nie Dagewesenes betrachtet werden, vielmehr versucht wird, sie unter allgemein gehaltene Rechtssätze zu subsumieren. Begreiflicherweise sagt das Gesetz nicht, wer ein Flugzeug entführe und es hernach in die Luft sprenge, werde bestraft. Es kann sich aber aus ihm ergeben, wie es für unser Strafgesetzbuch zutrifft, dass hiefür eine schwere Zuchthausstrafe ausgesprochen werden kann. Es liegen hier vor: Nötigung, Freiheitsberaubung, Gefährdung von Leben, wobei die Gefahren verschiedenster Natur sind und an sämtliche Insassen zu denken ist, schliesslich qualifizierte Sachbeschädigung. Unter Umständen sind weitere Tatbestände damit verbunden. Wird davon abgesehen, kann vorerst die Sachbeschädigung 5 Jahre Zuchthaus nach sich ziehen. Die Gefährdung von Leben könnte mit drei Jahren Zuchthaus, die Freiheitsberaubung und die Nötigung mit je drei Jahren Gefängnis geahndet werden, so dass die für die Sachbeschädigung ausgefällte Zuchthausstrafe erheblich zu

erhöhen wäre. Es handelt sich, im Ganzen gesehen, um ein Verbrechen schwerwiegender Natur.

Diese Kette von Vergehen und Verbrechen hat beispielsweise die palästinensische Flugzeugentführerin Leila Khaled verübt. Sie wurde hiefür selbstverständlich nicht bestraft. Viel schlimmer aber ist im Hinblick auf das für die Bekämpfung der Gewaltverbrechen bedeutungsvolle allgemeine Rechtsbewusstsein, dass solches, auch von unbeteiligter Seite aus, der Öffentlichkeit gegenüber nicht nur nicht beim Namen genannt, sondern sogar verharmlost, wenn nicht beschönigt wird. Eine in Deutschland erscheinende Illustrierte, die etwa 20 Millionen Leser zählen dürfte, hat Leila Khaled zum Gespräch empfangen und in ihrem Bericht darüber mit keiner Silbe angetönt, dass es, nach europäischem Sprachgebrauch, um eine Schwerverbrecherin geht.

Bei der Abklärung sowohl wie bei der Bestrafung von mit Gewalt verübten Vergehen und Verbrechen fällt sodann auf, dass aus dem Schuldprinzip, wie es in unserem Strafgesetzbuch zur Geltung kommt, nicht immer alle Folgerungen gezogen werden. Es kann der vollendete Versuch nach unserem Recht gleich scharf geahndet werden wie das vollendete Delikt. Von unserem Rechte aus gesehen ist daher der Attentäter, der wegen einer Reihe glücklicher Umstände erfolglos bleibt, kurzweg als Mörder zu bezeichnen, wie das schon Platon, der für ein reines Schuldstrafrecht plädierte, hervorgehoben hat. Es ist bedauerlich, dass, wenn für die Tat Sprengstoff verwendet worden ist, in unserem Bundesstaat aus rein verfahrensrechtlichen Gründen es dazu kommt, dass im Bewusstsein der Bevölkerung das gleichzeitig begangene Sprengstoffdelikt ein unverhältnismässig grösseres Gewicht erhält als der versuchte Mord. In Widerspruch zum Schuldprinzip steht auch, bei Schädigung des Vermögens mit Anwendung von Gewalt, was heute an der Tagesordnung ist, Rücksicht darauf zu nehmen, dass der Deliktsbetrag gering war. Man mag Verständnis dafür haben, dass ein vor kurzem ergangenes Urteil eines Strafgerichts, in dem es um fünf Einbruchdiebstähle, einen Raub und den militärstrafrechtlichen Tatbestand des Ausreissens ging, aus verschiedenen Gründen auffallend milde ausgefallen ist. Nicht zu begreifen ist jedoch, dass für die leichte Strafe auch ins Gewicht fiel, dass der Raub nur 40 Franken eintrug, weil die geplünderte Kasse zufälligerweise nicht mehr enthielt und eine zweite Kasse wegen Störung der Tat durch einen Dritten nicht mehr geleert werden konnte, und dass auch bei den Einbruchdiebstählen nicht sonderlich viel zu holen war. Was hat das mit der Schuld zu tun? Ob es nicht an der Zeit wäre, in solchen Fällen erneut auch an die Generalprävention zu denken —das allerdings nun gar nicht im Sinne Immanuel Kants —soll offen bleiben, weil das zu sehr umstritten ist. Aber geradezu in das Gegenteil zu verfallen, indem man für die Milde auch sprechen lässt, dass die Räuber vor der Tat Angst ausgestanden hätten, und damit ihre künftigen Kollegen ermuntert, vor Gericht dasselbe zu behaupten, ist wohl nicht unbedingt erforderlich. Kommt dann bei diesen noch die sprichwörtlich gewordene «freudlose Jugend» mit dazu, kann nicht mehr viel passieren. Auch

welchen Eindruck ein solches Urteil, als Emanation der Staatsgewalt, die uns zu schützen hat, auf die Geschädigten macht, z. B. auf den Beraubten, der festgehalten und mit grob ausgeübter Gewalt verhindert wurde, Hilfe herbeizurufen, scheint keine Frage mehr zu sein, obwohl zur innern Haltung dem Staate gegenüber heute bei jedem einzelnen Bürger Sorge getragen werden muss.

IV.

Mit diesen Fällen, die sich ereignet haben, ist, im Sinne kurzer Illustration, nur auf einen Teil von allem hingewiesen worden, das anzuführen wäre, um zu zeigen, wie das gegebene Recht, wenn es auch richtig angewendet wird und Verbrechen als das bezeichnet werden, was sie sind, zur wirksamen Bekämpfung von Gewalt und Terror schon mancherlei Handhabe bietet. Es ist nun aber nicht zu übersehen, dass die dem Gesetze widersprechende Gewalt auch Neuerungen notwendig macht. Der Bundesrat ist von den Räten eingeladen worden, für alles, was bei Geiselnahme und bei anderen Terrorakten zu geschehen pflegt, bedeutend schärfere Strafen vorzusehen. Das wird unschwer zu realisieren sein. Vereinzelte Sachverhalte haben auch erkennen lassen, dass mit den Kräften unserer Polizei, rein quantitativ genommen, in den betroffenen Kantonen nicht mehr in allen Situationen auszukommen ist. Ein Zusammenwirken von Kantonen ist nicht ganz einfach zu erreichen, und eine zu solchen Zwecken ausgebaute Bundespolizei ist auch nicht, was wir wünschen. Die Schwierigkeiten liegen —und das allein ist hier von grundsätzlicher Bedeutung —im ohnehin bedrohten Föderalismus.

Eine Verstärkung der Polizeigewalt ist uns wohl allen unsympathisch. Sie wird uns aber aufgezwungen durch jene, die mit Gewalt die Grenzen des Gesetzes überschreiten, und es bestätigt sich, dass Ausübung von Gewalt nur neue sogenannte Repression bewirkt, wie heute vielerorts, wo letztere verabscheut wird, Rebellion und Widerstand jedoch empfohlen werden, zu lesen ist.

Weniger von den Juristen als von den Technikern zu lösen ist die Frage, was vorzukehren wäre, damit Schwerverbrecher nicht weiterhin mit gefälschten Pässen und immer wieder anderem Aussehen etwa von Frankreich und von Spanien in die deutsche Bundesrepublik und von dort nach Österreich gelangen können. Die Technik der Entdeckung ist offenbar jener der Verfälschung noch nicht gewachsen. Dass das nicht leicht zu ändern ist, ist allerdings auch dem Laien klar.

Mit grösserer Sorge muss, vom Rechte aus gesehen, uns erfüllen, dass die Gewalttätigen den Gesetzgeber nötigen, Revisionen einzuleiten, die, wenn auch nicht in allzu hohem Masse, Grundsätze, die von der Idee des Rechtsstaats aus gefordert sind, berühren. Die Rechte und die Rechtsschutzbehelfe der Beschuldigten sind in den geltenden Gesetzen in einigen Beziehungen so gut ausgebaut, dass sie zu einer Beeinträchtigung nicht nur der Untersuchung, sondern der Rechtspflege als solcher führen können. Werden die Organe der Justiz durch zahlreiche Verfahren absorbiert, die eingeleitet werden durch Beschwerden aller Art, auch in Zivilprozessen, ausgehend immer von den

gleichen Leuten, die offenkundig Rechtsnormen zuwiderhandeln und nur versuchen, den Folgen möglichst lange zu entgehen, leiden darunter zwangsläufig andere rechtsuchende Bürger, die auf die Behandlung ihrer Rechtsbegehren dann zu lange warten müssen, sowie auch solche, die Anspruch darauf haben, alsbald zu wissen, ob sie Leistungen zu erbringen oder eine Strafe zu verbüssen haben. Wenn nun, im Sinne des Schutzes solcher Bürger, erwogen wird, gewissen Rechtsbegehren, z. B. auf Ausstand einzelner Richter oder ganzer Abteilungen oder Kammern von Gerichten, die aufschiebende Wirkung zu entziehen, tangiert das, wenn auch nur minimal, ein Prinzip des Rechtsstaats. Die Verwirklichung des Rechts kann auch behindert werden, wenn, wie es geschehen ist, monatelang zu prüfen ist, ob in gewisse Dokumente, deren Kenntnis gleich nach der Tat für die Verfolgung des Verbrechers vielleicht von entscheidender Bedeutung gewesen wäre, die untersuchende Behörde Einblick nehmen darf. Sodann kann auch die Verzögerung oder die Verweigerung einer Auslieferung eine gebotene Strafverfolgung beeinträchtigen oder unmöglich werden lassen. Es wird, auch in gewissen andern Staaten, nicht einfach sein, in solchen Beziehungen zu etwas grösserer Strenge zu gelangen. Man sieht hier eben alsbald den Rechtsstaat in Gefahr. Das war unlängst zu erleben, als eine Wochenzeitung den Bundesrat kritisierte, weil er, mit vollem Recht, feststellte, ein Auslieferungsentscheid des Bundesgerichts werde sofort vollstreckbar und eine an die in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehenen Rechtsschutzorgane gerichtete Beschwerde vermöge daran nichts zu ändern.

Die Beschränkung wirklich gegebener rechtsstaatlicher Garantien ist jedoch zweifellos ein Problem. Wo sie sich aufdrängt, um Gewaltverbrechen zu begegnen, wird man erwägen müssen, ob solche Garantien auch jenen bis zu den letzten Konsequenzen zukommen sollen, die selbst das Recht mit Füssen treten. Es erinnert dies an die damit verwandte Frage, ob die durch die Verfassung verbrieften Freiheiten anrufen kann, wer sie gebrauchen will, um die freiheitliche Ordnung zu zerstören. Diese Frage ist, so meine ich, zu verneinen.

Nichts Neues ist, geistesgeschichtlich betrachtet, dass es zur Staatsweisheit gehört, Prinzipien rechtlicher Gestaltung nicht zu überspannen. Das ist für Gleichheit und Demokratie mit berühmt gewordenen Formulierungen von Aristoteles und von Montesquieu verkündet worden, die nicht zuletzt aus diesem Grunde mein Lehrer Dietrich Schindler als die grössten Staatsdenker bewundert hat. Auch der Rechtsstaat scheint nicht bis in letzte Verästelungen realisierbar zu sein in einer Zeit, in der Gewalt die primitivsten Rechte, in welchen das Gesetz uns schützen will, bedroht.