Rückblick — Abschied — Kurzschlüsse
1. Rückblick
Auch wenn man glaubt, etwas ganz besonders gut gemacht zu
haben, gibt es doch immer mindestens einen, der gar nicht dieser
Auffassung ist. Mit diesem kleinen Stossseufzer, der hier nicht
weiter zu begründen ist, beginne ich meinen Rückblick auf das
abgelaufene Jahr.
Von besonderer Bedeutung war zweifellos, dass sich erstmals im
vergangenen Wintersemester nach einjähriger gemeinsamer Grundstufe
die Studenten des neuen volljuristischen Lehrganges von den
Wirtschafts- und Staatswissenschaftern getrennt haben. Etwa 70
Studenten haben sich für den neuen Lehrgang entschieden. Unsere
Juristenausbildung, welche mindestens so anspruchsvoll ist wie diejenige
an den traditionellen juristischen Fakultäten, ist damit auf
das erwartete Echo gestossen. Dankbar sind wir für die verschiedenartigste
Unterstützung, die wir von der Zürcher Fakultät bekommen.
Wir hoffen natürlich, dass sich der Jurist der HSG, der in
stärkerem Masse in den wirtschaftlich relevanten Rechtsfächern und
zusätzlich in den Wirtschaftswissenschaften ausgebildet wird als der
herkömmliche Jurist, dereinst in der Praxis ganz besonders bewähren
wird.
Vorerst allerdings geht es noch darum, die Studienpläne für den
neuen Lehrgang und für die neugestalteten übrigen Lehrgänge auch
für die noch folgenden vier Semester bis zum Lizentiat in die Tat
umzusetzen. Das erfordert von den Dozenten und Abteilungen noch
beträchtliche Anstrengungen, denn die Studenten sind heutzutage
nicht leicht zufriedenzustellen. Zwar ist keine Spur von Rebellion
und kaum ein Hauch harter Kritik zu spüren, aber die heutige
Studentengeneration scheint einerseits verwöhnt, anderseits ausgesprochen
nutzenorientiert zu sein. Verwöhnt insofern, als der Stoff
in leicht verdaulichen Häppchen und halbwegs unterhaltend dargeboten
werden muss — etwa nach dem Muster der Fernsehunterhaltung.
Nutzenorientiert anderseits, indem alles, was nicht direkt
prüfungsrelevant ist, kaum zur Kenntnis genommen wird. So besteht
die Gefahr, dass mit steigender Studentenzahl in den Vorlesungen,
die für ganze Jahrgänge obligatorisch sind, zunehmend
Elemente des Show-Business den Stil prägen.
Steter Aufmerksamkeit bedarf die Finanzierung der Hochschulinstitute.
Die Entwicklung im letzten Jahr hat gezeigt, dass wir unsere
Bestrebungen, einen zunehmenden Teil der Institutsaufwendungen
über das Hochschulbudget zu finanzieren, fortsetzen müssen.
Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit haben wir unsere bisherigen Anstrengungen
weitergeführt. Ich denke etwa an die Vortragszyklen
«Hochschule in der Region», die in wechselnden Teilen des Kantons
durchgeführt werden, an unsern Referentendienst, wo sich Dozenten
der HSG gemeinnützigen Organisationen unentgeltlich zur Verfügung
stellen, an unsere Aulavorträge, die Referenten von internationalem
Rang nach St. Gallen bringen, und an die regelmässig
erscheinenden Hochschulpublikationen. Schliesslich haben wir auf
Initiative der Kulturwissenschaftlichen Abteilung erstmals einige
öffentliche Vorlesungen auf den Vormittag bzw. Nachmittag angesetzt
und führen sie im Stadtzentrum durch. Damit schaffen wir ein zusätzliches
Angebot im Bereich der Erwachsenenbildung, das insbesondere
auch für ältere Mitbürger gedacht ist.
In unserer Studentenschaft haben zeitweise Auseinandersetzungen
zwischen Studentenparlament und Studentenschaftsvorstand und
innerhalb des Vorstandes den grössten Teil der Energie beansprucht,
was zweifellos auf Kosten sachbezogener Initiativen ging. Allerdings
hatte die Studentenpolitik im Laufe der Jahre immer wieder mit
solchen Schwierigkeiten zu kämpfen, und schliesslich sind ähnliche
Erscheinungen auch in Organisationen festzustellen, die von
Erwachsenen fortgeschritteneren Alters dominiert werden. Ich denke
etwa an die Streitigkeiten, Pressepolemiken und Schismen, die sich
bei Fussballklubs (Entlassung des Trainers), in Sportverbänden (dramatische
Rücktritte oder Abwahlen), in Parteien und Regierungskoalitionen
ergeben.
Das hochschulpolitische Klima ist im Kanton St. Gallen gegenwärtig
gekennzeichnet durch eine gewisse Häufung von Hochschulvorlagen,
insbesondere Beitritt zur Vereinbarung über Hochschulbeiträge,
Schaffung der Medizinischen Akademie und Ergänzungsbau unserer
Hochschule. Was unsern Ergänzungsbau betrifft, so sind bisher
dessen Notwendigkeit und das bewusst bescheidene Raumprogramm
nicht bestritten worden.
Die Führung einer Hochschule ist weit weniger eine Einmannveranstaltung,
als es bei repräsentativen Anlässen etwa scheinen mag.
Ich möchte deshalb den vielen Persönlichkeiten und Gremien herzlich
danken, welche im vergangenen Jahr massgebend zur Lösung
unserer vielfältigen Probleme beigetragen haben:
- den Hochschulträgern und dem Hochschulrat
— dem Senat und dem Senatsausschuss
— der Hochschulverwaltung und allen ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, besonders Herrn Verwaltungsdirektor Walter Aeberli
— und schliesslich meinen Kollegen im Rektorat, den Herren Prorektoren
Professor Dr. Riklin und Professor Dr. Kaspar.
Alle diese vielen Instrumentalisten haben zusammen die HSG-Symphonie
1979/80 gespielt, wobei ein gelegentlicher schriller Flötenpfiff
oder ein einsamer Paukenschlag die notwendigen Kontraste zu
den harmonischen Klängen darstellten.
2. Abschied
Im April dieses Jahres sind kurz hintereinander die beiden ältesten
noch lebenden ehemaligen Rektoren unserer Hochschule verstorben:
Herr Professor Dr. Walther Hug Rektor von 1938 bis 1944, und Herr
Professor Dr. Theo Keller, Rektor von 1944 bis 1951.
Unter Rektor Hug wurde erstmals ein kantonales Gesetz über die
damalige Handelshochschule erlassen, welches aus der vormaligen
Stiftung des Privatrechtes eine selbständige öffentliche Anstalt machte
und ihr das Promotionsrecht verlieh. Gestützt darauf wurde eine
Promotionsordnung erlassen; formell hatte damit die Hochschule
die Gleichstellung mit den Universitäten erreicht. Es folgten dann
grundsätzliche Überlegungen über die Strukturierung des Studiums,
die man bewusst weiter treiben wollte, als das an den Universitäten
der Fall war, und schliesslich wurden die einzelnen Studiengänge
ausgearbeitet. Um den Praxisbezug sicherzustellen, wurde insbesondere
den Übungen und Seminaren breiter Raum gewährt und auf
die Fallmethode erhebliches Gewicht gelegt.
Dass sich dieses Konzept eindeutig durchsetzte, ist neben seiner
Zweckmässigkeit vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass Professor
Hug selber der geborene akademische Lehrer war. In seine
Amtszeit fielen auch die von ihm massgeblich geförderte Gründung
des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschafts-, Struktur- und
Marktforschung und weitere Institutsgründungen.
Rückblickend dürfen wir feststellen, dass Rektor Hug die entscheidende
Grundlage schuf für die spätere erfolgreiche Entwicklung.
Durch seine kraftvolle Persönlichkeit prägte er wesentliche Züge der
Hochschule, die bis heute erhalten geblieben sind. Soweit einzelnen
Individuen überhaupt bestimmte Entwicklungen oder Durchbrüche
zugeschrieben werden können, wird er für immer als eine der massgebenden
Persönlichkeiten in der Geschichte der Hochschule gelten.
Rektor Keller, sein Nachfolger, konnte die Leitung übernehmen,
nachdem wesentliche Weichen schon gestellt waren. Er setzte in
verschiedener Hinsicht das Werk von Professor Hug fort: es erfolgten
ein weiterer personeller Ausbau und die Gründung neuer Institute.
Einen ganz ungewöhnlichen Teil seiner Zeit widmete Rektor
Keller der Studien- und Berufsberatung der Studenten. Vielen verschaffte
er Praktikumsstellen, Stipendien und schliesslich dauernde
Anstellungen nach dem Studienabschluss.
Unter Rektor Keller wurden die Aulavorträge eingeführt, die wir vor
zwei Jahren wieder aufleben liessen. So las damals Thomas Mann
aus dem noch nicht veröffentlichten «Doktor Faustus», was 700 Zuhörer
anzog, so dass der Vortrag in die Tonhalle verlegt werden
musste. Es fanden ausserdem zahlreiche Besuche bei deutschen Universitäten
—Freiburg i. Br., München, Mannheim, Mainz, Darmstadt,
Frankfurt — statt und deren Gegenbesuche in St. Gallen. Diese
Begegnungen waren — kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges
— für beide Seiten von wesentlicher Bedeutung.
Schliesslich fällt in die Amtszeit von Rektor Keller — im Jahre
1949 — die 50-Jahr-Feier der Hochschule, die in ausgesprochen feierlichem
Rahmen durchgeführt wurde und vom bereits erfreulichen
Ansehen der Hochschule zeugte. Erstmals wurden bei diesem Anlass
auch Ehrenpromotionen vorgenommen. Schliesslich widmete
Rektor Keller dem Problem eines Hochschulneubaus viel Zeit
und Energie, ohne dass sich allerdings eine Lösung abzeichnete.
Wir sind auch ihm dankbar für alles, was er im Dienste der Hochschule
geleistet hat, und stellen fest, dass sich einer Hochschule bei
allem Wechsel der Personen und Umstände dieselben hauptsächlichen
Probleme immer wieder neu stellen.
3. Kurzschlüsse
Kurzschlüsse entstehen durch schadhaft gewordene Isolation oder
durch Schaltfehler in elektrischen Stromkreisen bzw. Anlagen. Der
anfängliche Strom-Stoss kann wegen seiner Stärke erhebliche Zerstörungen
verursachen. Der darauf folgende Dauer-Kurzschluss-Strom
weist zwar viel geringere Stärke auf, kann aber die Leitungen und
Wicklungen so stark erwärmen, dass Brände entstehen und Anlagenteile
zerstört werden.
In einem verhältnismässig komplizierten Gebilde, wie es eine moderne
Hochschule darstellt, ereignen sich von Zeit zu Zeit interne
Kurzschlüsse. Davon will ich jetzt nicht sprechen, denn wir verfügen
einigermassen über die Mittel, um sie zu verhindern oder
rasch zu beheben.
Befassen möchte ich mich jedoch mit den Kurzschlüssen, die sich
zwischen Hochschule und Umwelt ergeben können.
Wenn wir in einer Umfrage in der Stadt St. Gallen vereinzelt Meinungen
erheben, wonach
— an der HSG 100 Studenten studieren, während es in Wirklichkeit
1900 sind;
— bei uns neben Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und
Recht auch Medizin und Agronomie studiert werden können,
wovon selbstverständlich keine Rede ist;
— wir auch Elektrofeinmechaniker und Maurerpoliere ausbilden, was
entschieden nicht der Fall ist;
— vier von fünf Studenten Ausländer seien, wogegen nur einer von
vieren aus dem Ausland stammt;
— 40 % der Studenten weiblichen Geschlechts seien, während es nur
11 %sind,
dann haben offensichtlich Kurzschlüsse stattgefunden. Entweder ist
irgendwo eine Isolation schadhaft geworden und eine missverständliche
Teilinformation nach aussen gedrungen, oder es sind irgendwo
Schaltfehler aufgetreten.
Über manche, besonders abwegige Kurzschlüsse kann man herzlich
lachen. Andere dagegen machen uns sehr zu schaffen. Als öffentlich-rechtliche
Anstalt, die durch Steuergelder finanziert wird, sind
wir immer auf das Verständnis der Öffentlichkeit angewiesen, ganz besonders
aber wenn innere oder äussere Verbesserungen beabsichtigt
sind.
Wenn behauptet wird:
— unsere Studenten und Dozenten seien extrem links oder rechts
in ihrer politischen Einstellung, während sie tatsächlich das ganze
politische Spektrum umfassen;
- die HSG sei ein Zuchtstall für gewinnsüchtige Manager, wogegen
wir bemüht sind, die Unternehmung in ihrer vielfältigen Verflechtung
zu zeigen;
- wir bildeten zu viele oder zu wenige Soziologen aus, während
wir überhaupt keine Hauptfachsoziologen ausbilden;
— wir würden immer nur dann Öffentlichkeitsarbeit treiben, wenn
wir etwas vom Steuerzahler wollten, während wir diese Aktivitäten
seit Jahren konstant betreiben,
dann ist wiederum irgendwo eine Isolation schadhaft geworden oder
sind Schaltfehler aufgetreten.
Es ist einzuräumen, dass die Möglichkeit von Missverständnissen
gross ist. Ich würde deshalb nicht behaupten, wer eine der erwähnten
falschen Meinungen äussere, der lüge (selbst wenn es sich um eine
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens oder einen Vertreter der
Massenmedien handelt, die eigentlich informiert sein sollten). Aber
ganz sicher leben solche Meinungsäusserer auf der falschen Seite
der Fakten.
Wie gesagt, auch bei allerseits gutem Willen ist die Möglichkeit
von Missverständnissen gross. Um das anschaulich zu machen, wollen
wir einmal der Phantasie freien Lauf lassen und vier besonders
absurde Kurzschlüsse selber produzieren.
Erstens könnte einer behaupten, hier auf dem Rosenberg befinde
sich gar keine Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften,
sondern die Kultstätte eines antiken Mysteriums. Tatsächlich sind
einige Merkmale eines Mysteriums gegeben:
— feierliche Prozession mit spezifischen Funktionsträgern (denken
Sie an unsern heutigen Einzug in die Aula);
- Initiationsübungen und -prüfungen (denken Sie an unser ausgedehntes
System von Zwischen- und Schlussprüfungen mit feierlicher
Übergabe von Urkunden);
— Stufengang der Weihen (denken Sie an die für den Aussenstehenden
kaum transparente Hierarchie von Lehrbeauftragten, vollamtlichen
Dozenten, Privatdozenten, Assistenz-, ausserordentlichen
und ordentlichen Professoren);
— Geheimlehren (welcher Wissenschaftszweig wäre frei von solchen
Elementen).
Also: Hochschule als antikes Mysterium — was zu beweisen war.
Stellen Sie sich nun weiter vor, die Gegend hier würde durch Naturkatastrophe
oder Krieg verwüstet und es kämen 2000 Jahre später
Archäologen. Im Zuge ihrer Ausgrabungen würden die verschiedensten
Hypothesen aufgestellt, was hier einmal existiert habe.
Einer ersten Theorie zufolge befand sich hier einmal ein Orakel,
demjenigen von Delphi vergleichbar, wofür folgende Beweise erbracht
werden:
— Beim Eingang in den heiligen Bezirk stand in Delphi ein bronzener
Stier. bei uns — dort unten im Park — ein bronzenes Pferd
mit Amazone.
— Der Teich vor unserm Haupteingang gleicht der kastalischen
Quelle, in der die Pythia in Delphi ihr Bad nahm.
— Die Aula hier entspricht dem Apollotempel, wobei besonders
umstritten die Bedeutung des geheimnisvollen Deckenreliefs ist.
— Dagegen besteht kein Zweifel, dass der paritätische Andachtsraum
unter der Aula dem tiefer gelegenen Teil des Apollotempels
entspricht, in dem die Pythia im Dreifuss sitzend weissagte.
— Die kleine Figur von Giacometti in unserer Bibliothek ist offensichtlich
die Weihgabe eines Orakelbesuchers.
Archäologe Nummer zwei dagegen glaubt, eine landwirtschaftliche
Versuchsanstalt gefunden zu haben. Beweise:
— ein versteinerter Karpfen aus unserm Fischteich
— das Mosaik von Braque, das einen Vogel darstellt, als besonderer
Erfolg unserer Geflügelzucht
— die Überreste der braunen Wandbilder von Tàpies in der Bibliothek
als Pläne für den Ackerbau
— und die bereits erwähnte, äusserst magere Figur von Giacometti
als Erinnerung an eine Hungersnot, welche der landwirtschaftlichen
Forschung neuen Auftrieb gab.
Und schliesslich käme auch noch der Archäologe Nummer drei, der
messerscharf folgert, dass hier auf dem Rosenberg einmal die von
Hermann Hesse beschriebenen Glasperlenspiele aufgeführt worden
seien, wofür er folgende Argumentationskette vorlegt: Das Glasperlenspiel
beruhte auf einer Kombination musikalischer Elemente
(Reste des Flügels) und mathematischer Grundlagen (Reste des
Computers), wobei die Regeln des Spiels eine Art hochentwickelte
Geheimsprache darstellten (wie etwa der Keramikfries von Miró in
der Haupthalle). Schliesslich ist bei Hesse nachzulesen, dass die
allerersten Versuche mit dem Spiel auf einer Art Zählrahmen mit
Glasperlen durchgeführt wurden: Scherben der farbigen Glasfenster
hier in der Aula werden als solche Glasperlen identifiziert.
Diese Beispiele zeigen, wohin zügellose Phantasie und unbekümmerte
Kombinationslust führen, wie sie bei modernen, sogenannten
«Rechercheuren» manchmal anzutreffen sind. Wer bloss einige wenige
Aspekte zufällig herausgreift, kann zu jedem Schluss gelangen,
der ihm beliebt; er kann jedes denkbare Vorurteil bestätigt finden.
Wer nur aufgrund des zufälligerweise am besten Sichtbaren, des
Äusseren schliesst, geht in die Irre. Gerade das Gewöhnliche, Alltägliche,
Normale hinterlässt die geringsten Spuren — und doch
macht es im Grunde wesentlich das Leben aus.
So sollen auch im antiken Delphi Glück und Erfolg, Eheprobleme,
berufliches Fortkommen und juristische Streitereien den Grossteil
der Fragen ausgemacht haben, und darauf seien auch klare Antworten
gegeben worden. Geschichtlich überliefert sind aber fast nur
die mehrdeutigen, geheimnisvollen Orakelsprüche, bei denen es um
das Schicksal von Dynastien und Königreichen ging.
Die Hochschule St. Gallen nun ist kein antikes Mysterium, kein
Orakel, keine landwirtschaftliche Versuchsanstalt und keine Stätte
des Glasperlenspiels.
Nach Art. 1 des Hochschulstatutes hat sie vielmehr die folgenden
Aufgaben:
— Sie setzt sich besonders mit den gegenwärtigen und zukünftigen
Problemen von Wirtschaft und Gesellschaft auseinander.
- Sie fördert in Lehre und Forschung das Verantwortungsbewusstsein
der Hochschulangehörigen.
— Sie bereitet die Studierenden darauf vor, in Wirtschaft, öffentlichem
Leben, Schule und Forschung nach wissenschaftlichen
Methoden und Erkenntnissen tätig zu werden.
- Sie widmet sich der Forschung, um neue Erkenntnisse auf dem
Gebiet der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu gewinnen
und weiterzuvermitteln.
Man kann nun ohne weiteres und mit gutem Recht feststellen,
dass sie diese Aufgaben erfüllt. So werden 30 % aller Studierenden,
die in der Schweiz einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften
machen, in St. Gallen ausgebildet. Diese Absolventen der HSG werden
in der Praxis gut aufgenommen. Sie finden leichter eine Stelle
als die Wirtschaftswissenschafter mancher anderer Hochschulen.
Aufschlussreich ist auch ein Blick auf die finanzielle Seite. 1978
hat die Hochschule im engeren Sinne 13,3 Millionen Franken ausgegeben,
wovon weniger als eine Million an die 14 Hochschulinstitute
geflossen ist. Diese haben jedoch allein aus Kursgebühren
sowie Gutachten und Expertisen rund 5,7 Millionen Franken eingenommen
und damit den grössten Teil ihrer Ausgaben selber finanziert.
Diese Zahlen zeigen, dass die HSG die kostengünstigste Hochschule
der Schweiz ist und dass die Ausbildungs- und Expertentätigkeit
der Institute offenbar praxisrelevant ist.
Der wenig spektakuläre Hochschulalltag — ohne Kurzschlüsse dargestellt
— besteht also darin,
— dass wir in unserm Bereich mehr Studenten ausbilden als irgendeine
andere Hochschule in der Schweiz,
— dass wir Ausbildungs- und Expertentätigkeit leisten, die Abnehmer
findet und kostendeckend ist,
— und dass das alles die öffentliche Hand weniger belastet, als es
die Aktivitäten irgendeiner andern schweizerischen Hochschule
tun.
Aber Hand aufs Herz wäre das alles denn so erstrebenswert,
wenn nicht auch ein wenig Mysterium, Orakel und Glasperlenspiel
dabei wäre, wenn nicht die Quellen dieser wissenschaftlichen Tätigkeit
auch aus dem Irrationalen fliessen und die Resultate auch ins
Irrationale einmünden würden. Und sollten wir nicht darauf bedacht
sein, dass auch beim geplanten Ergänzungsbau der Hochschule wiederum
Kunstwerke diesen Gegensatz und Zusammenhang zwischen
Rationalem und Irrationalem darstellen, so wie sie es beim bestehenden
Gebäude tun?