reden.arpa-docs.ch Rektorats Reden © Prof. Schwinges
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Ueber Föhn und Eiszeit.

Rektoratsrede Stiftungsfeier der Hochschule in Bern, gehalten den 15 Nov. 1867

Prof Dr H, Wild.
Hochgeehrte Versammlung!

Wenn, wie bei der heutigen Feier, im Namen der Universität zu deren Gesammtheit und ihren Freunden gesprochen werden soll, so muss bei der Wahl eines Thema's die Rücksicht auf ein allgemeines Interesse wohl besonders schwer in die Wagschale fallen Ich hoffe daher, nicht fehlgegriffen zu haben, indem ich aus dem engem Kreise meiner Fachstudien den Föhn und die Eiszeit hiefür wählte. Beide sind gewisser Massen Kinder und Pfleglinge unseres Landes Veneta und Charpentier sind zuerst durch das Studium der Gletschererscheinungen und erratischen Blöcke in der Schweiz auf die Idee der Eiszeit geführt worden, und der Föhn, wenn er auch seiner etymologischen Abstammung nach mit dem lateinischen favonius zusammenhangen mag, repräsentirt einen ganz spezifischen Lokal-Wind unseres Alpenlandes. Schweizerische Gelehrte haben zuerst die Eiszeit oder vielmehr das Verschwinden derselben mit dem Föhn in Zusammenhang

gebracht, und seit vollends in der neuesten Zeit die Frage über den Ursprung des Föhns und damit dieser Zusammenhang zu einer eigentlichen Streitfrage geworden ist, dürfte auch das Interesse ferner Stehender geweckt sein.

In Folge der fortgesetzten geologischen Forschungen können wir gegenwärtig die Ansicht Venetz's und Charpentier's als bis zur Evidenz bewiesen betrachten, dass der grössere Theil der Schweiz in einem dem gegenwärtigen unmittelbar vorhergehenden Entwicklungsstadium unserer Erde mit Gletschern von grosser Mächtigkeit überdeckt war, welche einerseits in den Niederungen durch die sog Fündlinge und Morränen sich unverwüstliche Denksteine gesetzt, anderseits auch an den Felswänden unserer Hochgebirge unverkennbare Erinnerungszeichen zurückgelassen haben. In der Zeit aber, wo diese grosse Ausdehnung der Gletscher stattfand, muss das Klima unseres Landes nothwendig ein viel kühleres als gegenwärtig gewesen sein, und da ähnliche Erscheinungen in andern Theilen Europa's auf entsprechende Verhältnisse auch dort schliessen lassen, so hat man jene Zeit allgemein die Eiszeit genannt Die einzige Schwierigkeit, welche sich dieser Annahme einer Eiszeit entgegen stellt, ist die Auffindung von Ursachen für dieselbe. Alles weist nämlich sonst darauf hin, dass die Erdoberfläche in früherer Zeit wärmer als jetzt gewesen sein muss. Woher also auf einmal zwischen hinein diese Kälteperiode? Wir heben unter den hiefür gegebenen Erklärungen zunächst bloss diejenige heraus, welche unser berühmter Geologe Escher von der Linth im Jahr 1852 ausgesprochen hat. Dieselbe lautet ungefähr folgendermassen: Der in unsern Alpen-Thälern unter dem Namen Föhn bekannte warme und trockene Wind ist es, der weit mehr als die Sonnenstrahlen ein rasches Schmelzen des Schnee's

daselbst bewirkt. Jahrgange, in welchen der Föhn vorherrscht, sind daher durch ein Zurückweichen der Gletscher charakterisirt, und umgekehrt rücken dieselben in den Jahren vor, welche eine geringe Entwicklung des Föhns zeigen. Daraus folgt, dass, wenn der Föhnwind ganz ausbliebe, die Gletscher sich beständig vergrössern, unsere klimatischen Verhältnisse rauher, kurz Zustande in unserem Lande sich herstellen würden, wie wir sie zur Eiszeit gehabt haben. Als heisser und trockener Südwind kann aber der Föhn nur aus der Sandwüste Sahara stammen und würde aufhören, wenn dieselbe sich in ein Meer verwandelte, da ja Wasser sehr viel weniger stark erwarmt wird als trockener Sand und die von einer Wasserfläche aufsteigende warme Luft jedenfalls feucht wäre. Nun weisen in der That eine Reihe von Umstanden darauf hin, dass die Sahara in früherer Zeit ein Meer gewesen ist, damals kann also der Föhn nicht geweht haben, jene Zeit war somit fragliche Eiszeit. Diese Gletscherperiode wich dann allmälig dem gegenwärtigen mildern Klima, als jener Theil Afrika's aus den Meeresfluthen aufstieg, die Sahara, und damit der Föhn sich bildete. — Diess ist nun auch kurz zusammengefasst der Zusammenhang, in welchen Föhn und Eiszeit gebracht worden sind. Liesse sich zeigen, dass Föhn und Sahara in keinerlei Abhängigkeit von einander stehen, so würde damit offenbar auch diese ganze Erklärung der Eiszeit dahin fallen und wir müssten uns nach einer andern umsehen. Es erscheint daher geboten, vor Allem aus die Frage über den Ursprung und die Qualitäten des Föhns etwas genauer zu erörtern, und diess um so mehr, als dieselbe den eigentlich streitigen Punkt darstellt. Das Geschichtliche dieses Streites ist ausführlich genug in einer vor Kurzem erschienenen Schrift des bekannten Meteorologen und Akademikers Dove in Berlin, betitelt:

«Ueber Eiszeit, Föhn und Scirocco», enthalten. Indem wir zur Orientirung das Wesentlichste aus derselben entnehmen, wollen wir die dieser Schrift anhaftende Schärfe dadurch zu mildern suchen, dass wir in unserer Darstellung nicht, wie diese Dove thut, Stellen aus Werken wissenschaftlicher Autoritäten und Citate aus Flugschriften, Zeitungen und Dichtungen bunt durcheinander mengen, sondern nur die ersten berücksichtigen. Dove hat an einigen Stellen seiner Schrift zur Milderung der Schärfe des Streites die humoristische Darstellung gewählt; wir wollen ihm indessen auf diesem Wege nicht folgen, denn einmal trauen wir uns hiefür kein solches Geschick zu, wie diese unstreitig Dove besitzt, und anderseits ist es allgemeine Sitte, bei den humoristischen Darstellungen es mit den Thatsachen nicht so genau zu nehmen, wenn dadurch der Witz gewinnen kann. So harmlos aber diese Sitte im gewöhnlichen Leben sein mag, so verwerflich scheint sie uns im Gebiete der Wissenschaft.

Der von Escher von der Linth aufgestellten Theorie der Eiszeit stand theilweise wenigstens entgegen die von Dove im Jahr 1848 bestimmt ausgesprochene Ansicht: «Luft, welche über Afrika aufsteigt, trifft in Folge der Kugelgestalt der Erde und ihrer Rotation eher Asien als Europa, die Wiege unserer südlichen Winde ist aus diesem Grunde nicht die Sahara, sondern Westindien.» Ich sage, diese Ansichten standen sich nur theilweise entgegen, weil die Differenz mir in der That nicht so gross scheint, wie oft behauptet worden ist. Die oben angegebene Fassung der Dove'schen Ansicht zeigt nämlich deutlich, und diese wird auch durch spätere Aussprüche Dove's mehrfach bestätigt, dass der Letztere nicht sagen will, die Luft aus der Sahara gelange überhaupt nie nach Europa, sondern nur in ausnahmsweisen Fallen; und anderseits sind wir vollständig überzeugt, dass man schon

im Jahr 1852 wie heute in der wissenschaftlichen Welt der Schweiz nicht schlechtweg jeden südlichen Wind Föhn nannte, sondern sehr wohl zwischen Föhn, diesem spezifischen Lokalwind der Alpenthäler und östlichen Schweiz, und dem gewöhnlichen Süd-West- oder Regenwind zu unterscheiden wusste In diesem immerhin etwas unentschiedenen Stadium verblieb dann die Frage, bis eine im Jahr 1868 von Escher von der Linth, .Desor und Martins unternommene Reise nach der Sahara die Veranlassung gab, sie wieder genauem Erörterungen zu unterziehen. Die Reisenden fanden nämlich die überzeugendsten Beweise, dass die Sahara in der That noch in der quaternären Zeit vom Meere bedeckt gewesen sei, und diese verfehlte nicht, unsere Schweizer-Geologen neuerdings zu der Escher'schen Ansicht von der Eiszeit hinzudrängen, für die sich denn auch der englische Geologe Charles Lyell nunmehr entschieden erklärte An der Versammlung schweizerischer Naturforscher in Zürich im Jahr 1864, sowie zu Combe Varin bei Neuenburg im gastlichen Landhause Desor's wurde in Anwesenheit Dove's die Frage lebhaft besprochen, und dabei für die afrikanische Abstammung des Föhns hauptsächlich noch angeführt, dass derselbe nach der Aussage unserer Aelpler ein trockener Wind sei Dove hat darauf seine Ansichten über den Polin in einem Briefe an Desor vom 2 Januar 1865 resumirt. Es geht daraus hervor, dass derselbe nach wie vor daran festhalte, der Föhn stamme nicht aus der Sahara, sondern aus Westindien, und es sei daher die Escher'sche Theorie der Eiszeit unhaltbar. Freilich läugnet Dove auch hier nicht ganz die Möglichkeit, dass Luft aus der Sahara nach Europa gelange; er sagt nämlich darüber wörtlich Folgendes: «Nach meiner Annahme ergiesst sich in der Regel dieser obere trockene Passat, wenn im Sommer das Aufsteigen der Luft über

Sahara stattfindet, wegen der sich vermindernden Drehungsgeschwindigkeit der Erde nicht über Europa, sondern nach Asien hin, Afrika wirkt, um sich so auszudrücken, verwüstend auf Asien Kommt nun in vereinzelten Fällen dieser warme Wind im Sommer in Europa herab, so kann er allerdings als trockener Wind eine mächtige Schneeschmelze veranlassen, aber die Niederschläge wird er eher aufheben als 'veranlassen.» — In seiner im September 1865 erschienenen Schrift «Aus Sahara und Atlas» vertheidigte trotz dessen Desor auf's Neue die Escher'sche Theorie und den afrikanischen Ursprung des Föhns. Gegen die westindische oder Meeresabstammung des Letztem spricht ihm namentlich der Umstand, dass der Föhn kein feuchter sondern ein trockener Wind sei. «Die Trockenheit des Föhns, sagt Desor, sei so wohl bekannt, dass es keinem Aelpler aus. dem Glarner- oder St Galler-Land in den Sinn käme, den Namen Föhn einem Winde beizulegen, der nicht trocken wäre.»

Gegen dieses Hauptargument Desor's wendet nun in der erwähnten Schrift vom September dieses Jahres Dove zuerst seine Geschosse, indem er zu zeigen sucht, dass der Föhn kein trockener, sondern ein feuchter Wind sei. Wir wollen indessen diesen Theil der Schrift hier mit Stillschweigen übergehen da unsers Erachtens Hr. Professor Dove sich darin mehr als Pamphletist denn als Mann der Wissenschaft gerirt. Zum Beweise hiefür citire ich von vielen ähnlichen nur eine Stelle aus diesem Theil des fraglichen Werkes Sie lautet: «Nachdem ich das Februarheft der Schweizer. meteorolog. Beobachtungen durchblättert, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, weil ich nun erst erfuhr, was man in der Schweiz trocken nennt Die Pfötchen an den Worten «verbrosmen (von Heu)» und «verlechen (von Fässern)» sollen eben andeuten,

dass das mit fetter Schrift gedruckte trocken ebenfalls der Schweizer Mundart angehöre, in welcher ein Wind, der Schneetreiben hervorruft, trocken «und in des Worten verwegenster Bedeutung» sogar Schneefresser genannt wird. Das hatte ich eben nicht gewusst, dass das Schweizer Wort trocken sich zum deutschen Wort trocken so verhält, wie das italienische caldo zum deutschen kalt. Hat man sich diess ein für alle Mal eingeprägt, so scheint es dann vollkommen konsequent, dass ein Wind, welcher durch herabfallende Schneemassen alle Pässe unzugänglich macht, eben um den höchsten Grad der Trockenheit zu bezeichnen, das wilde Kind der Wüste Sahara genannt wird.»

Lassen Sie uns gleich zu dem letzten Theile der Dove'schen Schrift übergehen, worin dieser wenigstens mit etwas mehr Ruhe seine Ansichten über den Föhn darlegt. Wir wollen dieselben so kurz als möglich resumiren. Dove erklärt zunächst unsern Föhn als identisch mit dem Scirocco der Italiener und wie diesen als einen die Südküsten Europa's treffenden Sturm. Ihrer Entstehung und ihren Qualitäten nach unterscheidet er sodann viererlei solcher Sturmformen in Süd-Europa. Die erste derselben, die er Föhn oder Scirocco schlechtweg nennt, repräsentirt die in Süd-Europa auch unter dem Namen Aequinoctialstürme bekannten Winde. Während nämlich nach Dove die in der Calmenzone aufgestiegene feuchte und warme Luft, die in der Höhe der Atmosphäre auf unserer Halbkugel in. südwest-nordöstlicher Richtung gegen den Pol abfliesst, im Winter schon in Nord-Afrika, im Sommer erst in Mittel-Europa wieder bis zum Erdboden herunter gekommen ist, trifft sie beim Vor- und Rückgang in Süd-Europa zur Zeit der Aequinoctien den Boden. Dieses Herabkommen des sogen. obern Passats oder SW-Passats ist von starken Niederschlägen des

darin enthaltenen Wasserdampfes begleitet, und diese sind um so heftiger, je sturmartiger das Herabkommen erfolgt. In der That gehört Süd-Europa zur Zone der Frühling- und Herbst-Regen und der gewöhnliche Scirocco ist ein feuchter, von heftigen Regengüssen begleiteter Wind. Indem aber nach Dove der Scirocco am Südabhange der Alpen seinen Wasserdampf condensirt und als Regen herabschüttet, erscheint er dann in der Schweiz und in Deutschland als trockener und aufheiternder Wind, d. h. als Föhn. Merkwürdigerweise gibt hier Dove die Trockenheit des Föhns, die er ebenfalls im Vorhergehenden lebhaft bestritten hatte, zu, während er allerdings anderseits dabei verbleibt, dass er als Scirocco oder ursprünglich feuchter Wind nichts mit der Sahara zu schaffen habe, sondern aus West-Indien stamme. Auch dieser eigentliche Föhn oder Scirocco soll unter Umständen Staub und zwar amerikanischen mitführen. Als Stelle des Aufsteigens des Letztern betrachtet Dove die Llanos von Venezuela. Seiner Entstehung nach wäre also dieser Föhn besonders auf Frühling und Herbst beschränkt.

Die. zweite Form der Stürme Süd-Europa's sind die Ausläufer der Westindia Hurricanes, d. h. der grossen Wirbelstürme, welche von Zeit zu Zeit die westindischen Inseln verwüsten und bis zu den Westküsten Europa's sich fortpflanzen. Gewöhnlich treffen sie nur die Küsten der brittischen Inseln, in Ausnahmefällen indessen auch Süd-Europa. Dove nennt diese Stürme Wirbelföhn oder Scirocco turbinoso. Da in diesen Wirbeln die Luft entgegen der Bewegung eines Uhrzeigers kreise und dieselben Süd-Europa durchweg nur mit ihrer rechten resp. süd-östlichen Seite treffen, so müsse an einem Orte, der von diesem Wirbelföhn in der Art getroffen werde, der Wind mit südost bis südlicher Richtung beginnen und dann durch SW in west bis nord-westliche Richtung umschlagen.

Die Westindia Hurricanes aber und damit auch diese Ausläufer derselben entstehen nach der Ansicht von Dove dadurch, dass die im Sommer über Afrika, insbesondere der Sahara aufgestiegene heisse Luft in der Höhe zum Theil auch nach Westen abfliesst, dabei den obern oder SW-Passat veranlasst, als SO in den untern oder NO-Passat einzudringen und damit sich zu einem entgegen der Bewegung eines Uhrzeigers kreisenden Wirbel zusammenzusetzen. Die Luft in diesem Wirbel soll nun nach Dove bis zu ihrer. Ankunft in Europa jedenfalls vollständig jede Spur ihres Konfliktes mit dem afrikanischen Winde verloren haben; in der That ist sie in Wirklichkeit zwar sehr heiss, aber zugleich auch sehr feucht, so dass diese Stürme von heftigen Niederschlägen begleitet sind, die wegen ihrer Wärme wesentlich die Schmelzung des Schnee's fördern können. Mit dieser Theorie der Westindia Hurricanes von Dove stimmt die Thatsache überein, dass dieselben fast nur im Sommer auftreten. Es wäre also auch der Wirbelföhn auf den Sommer beschränkt und ein zwar heisser, aber durchaus feuchter Wind.

Die dritte Form der Stürme Süd-Europa's, der Leste-Föhn oder Leste-Scirocco, tritt nach Dove ein, wenn die von Afrika aus in der Höhe nach Westen abfliessende Luft nicht den obern Passat überwindet, sondern im Gegegentheil von diesem. überwältigt und nun in dessen Bahn mit fortgerissen wird. Da die von der Sahara aufsteigende Luft heiss, trocken und staubführend ist und vom obern Passat vor sich hergetrieben wird, so werden wir, wenn beide in unsern Breiten aus der Höhe als Aequatorialstrom zum. Erdboden herunterkommen, einen feuchten, regenbringenden SW-Wind mit trockenem Anfang und Staubfällen erhalten. Es unterscheidet sich hiernach der Leste-Föhn von dem eigentlichen Föhn, den

wir zuerst betrachtet haben, hauptsächlich durch den trockenen Anfang.

Als vierte Form fasst endlich Dove den Fall auf, wo immer neu andringende Winde aus der Sahara nicht mehr ganz vom obern Passat bewältigt, daher von diesem nicht vor sich hergestossen, sondern nur zur Seite gedrängt werden und nun an seiner süd-östlichen Seite mit ihm gegen Nord-Osten fliessen. Während dann der gewöhnliche feuchte Aequatorialstrom Mittel- und Nord-Europa überfluthet, wird der afrikanische Wind als trockener, auch wohl staubführender Sturm über Süd-Europa dahinbrausen. Diese letzte Form nennt Dove Landföhn oder Scirocco del paese. Ihrer Entstehung nach werden der Landföhn und Leste-Föhn entsprechend wie der Wirbelföhn sich vorzugsweise nur im Sommer bilden können, indem nach Dove im Winter die Sahara keinen aufsteigenden Luftstrom produziren, sondern dem Gebiet des Nord-Ost-Passats angehören soll.

Diese theoretischen Betrachtungen über die Entstehung und die Formen des Föhns, durch welche Dove, nach seinen eigenen Worten, die bodenlose Verwirrung, die in der Schweiz über den Föhn herrscht, endlich beseitigt zu haben wünscht, hat derselbe nur an drei Beispielen geprüft, indem er die Beobachtungen auf den seit dem Jahre 1864 funktionirenden schweizerischen meteorologischen Stationen mit denen der umliegenden Länder zusammenhielt. Es betrifft diese die Föhnstürme vom 17. Februar 1865, sodann vom 28. Februar und 23. September 1866 Die beiden erstem scheint Dove, er spricht sich nämlich nicht ganz bestimmt darüber aus, als Beispiele eines wahren Föhns zu betrachten, während er den Sturm vom 23. September als Scirocco del paese auffasst.

Vor Kurzem ist mir endlich eine Abhandlung von

Mühry in Göttingen «über den Föhnwind» zugekommen, worin derselbe in leidenschaftsloser Weise die meteorologischen Eigenschaften und den räumlichen Umfang des Föhns, gestützt auf die von den Jahren 1864—66 vorliegenden Beobachtungen der schweizerischen meteorologischen Stationen, zu bestimmen sucht Zwei Föhnstürme, nämlich vom 2.. und 3. Dez. 1863 und 28. Febr. 1866, werden von ihm etwas genauer untersucht, von einigen andern aus dem Jahr 1866 gibt er nur kurze Andeutungen. Die Schlüsse, zu denen Mühry an der Hand der Thatsachen gelangt, sind folgende: Der Föhn entsteht bei und in einem herrschenden Aequatorialstrom, und zwar ist er sehr wahrscheinlich nur eine lokalisirte Aenderung dieses allgemeinen SW-Windes, indem im Windschatten der Alpen ein Windfall, ein vertikales Herabstürzen der Luft und damit Trockenheit und höhere Temperatur eintritt; das Föhn-Gebiet aber umfasst am Nordabhange des Centralzuges der Alpen einen Halbkreis, der ungefähr von Brienz über Luzern, Zug, Glarus und Chur verläuft, zeitweise aber auch weiter sich ausdehnt. Dieses Resultat von Mühry's Betrachtungen stimmt also insofern mit dem Dove's überein, als er den Föhn ebenfalls mit dem gewöhnlichen feuchten, aus Westindien stammenden Aequatorialstrom identifizirt. Dagegen anerkennt er allgemeiner die Trockenheit des Föhns innerhalb des eigentlichen Föhngebiets.

Mühry findet in sehr bescheidener Weise selbst, dass seine kurzgefasste Untersuchung über den Föhn noch weit davon entfernt sei, die Frage über dessen Entstehung vollständig zu erledigen. , Wir müssen aber offen gestehen, dass die viel umfangreichere und mit viel mehr Prätension auftretende Schrift unsers Altmeisters der Meteorologie uns noch weniger befriedigt hat. Wir finden zwar in der Letztem eine sehr hübsche Theorie der

Stürme Süd-Europa's, eine Klassifikation derselben und und einige nicht eben klar und bestimmt ausgesprochene Ansichten über deren Zusammenhang mit dem Föhn, allein die für die Richtigkeit dieser Ideen beigebrachten thatsächlichen Belege sind doch wohl zu beschränkt, um den skeptischen Sinn eines .Naturforschers zu befriedigen. Aber. auch die bodenlose Verwirrung, welche nach Dove's Ansicht in der Schweiz über den Föhn besteht, dürfte beim besten. Willen der Leser seiner Schrift für dieser kaum vermindert worden sein. So habe ich denn in der Dove'schen Schrift eine Art Aufforderung an schweizerische Physiker oder Meteorologen gesehen, sich auch einmal ernstlicher mit dieser Frage zu befassen und die bereits dreijährigen vortrefflichen Beobachtungen unseres ausgedehnten schweizerischen Stationsnetzes in dieser Richtung zu. verwerthen. Wenn ich gerade geglaubt habe, dieser Aufforderung nachkommen zu müssen, so geschah diess nicht etwa desshalb, weil ich mich. dazu besonders befähigt. erachtete, sondern einzig und allein wegen des hohen Interesses,. welches mir persönlich die Beantwortung dieser Frage zu haben schien, ein Interesse, auf das ich übrigens schon bei mehreren Gelegenheiten hingewiesen habe.

Bei dieser Untersuchung glaubte ich, den in der Naturforschung hinlänglich erprobten .Weg der Induction nicht verlassen, mich also vom Besondern nach und nach zum Allgemeinen erheben zu müssen. Demgemäss suchte ich zuerst zu ermitteln, als was sich der Föhn da darstellt, wo dieser Name gewissermassen erfunden worden ist, und darauf das Gebiet zu bestimmen, innerhalb dessen er sich als solcher zeigt; sodann verglich ich damit die gleichzeitigen Witterungserscheinungen in den übrigen Theilen der Schweiz, die nicht vom eigentlichen Föhn betroffen werden, und endlich suchte ich, soweit es möglich

war, für ein noch viel grösseres Gebiet die Witterungsverhältnisse dieser Periode jeweilen festzustellen, um so zu bestimmteren Aufschlüssen über den nähern und fernern Ursprung des Föhns gelangen zu können.

Die Bezeichnung eines bestimmten Windes mit dem Namen «Föhn» stammt unstreitig aus den innern Thrillern am nordöstlichen Abhang unserer Alpen und hat sich erst von da aus in die Niederungen der Ostschweiz, dann auch in mehr westliche Thaler verbreitet. Wie dieser Name dort entstanden ist, hat für unsern Zweck keine Bedeutung. Wenn wir also wissen wollen, was der «Föhn» sei, so müssen wir unsers Erachtens weder den Schiller noch den Jeremias Gotthelf fragen, auch wohl nicht die Kölner-Zeitung oder den Ausspruch irgend einer Stimme aus St. Gallen zu Rathe ziehen und als massgebend betrachten, sondern vor Allem aus an die Quelle gehen. Fragen wir aber in den innern Thälern nach, fragen wir die Hirten und Sennen, so erhalten wir allerdings zur Antwort, was Escher und Desor angeben. Sie sagen, der Föhn sei ein heisser und trockener Wind, der im Winter den Schnee «wegfresse», die warmen Frühlingstage bringe, im Sommer das Heu auf den Alpen trockne und die Trauben in den Bündner Thälern ausreife. Glücklicher Weise brauchen wir uns aber gegenwärtig nicht mehr bloss auf solch' unbestimmte und auch wohl hie und da unsichere Angaben zu stützen. Unser schweizerisches meteorologisches Stationsnetz erstreckt sich auch in die innern Alpenthäler hinein; es ist also möglich, an der Hand von bestimmten Beobachtungen und Aufzeichnungen den Föhn meteorologisch zu definiren. Beim Durchgehen der gegenwärtig vollständig vorliegenden drei ersten Jahrgänge dieser Beobachtungen, nämlich vom 1. Dezember 1868 bis 30. November 1866, habe ich im Ganzen 37 entschiedene Föhnwinde von ein- oder

auch mehrtägiger Dauer gefunden. Die meteorologischen Stationen der innern Schweiz, die fast in allen diesen Fallen in ihren Aufzeichnungen von Föhn sprechen, sind: Glarus, Auen, Altdorf, Engelberg, Schwyz, Chur, Klosters. Wir wollen sie die eigentlichen Föhn-Stationen heissen. In zweiter Linie hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens des Föhns stehen: Churwalden, Marschlins, Sargans, Altstätten, Trogen, St. Gallen, Zug, Rigi, Andermatt, Einsiedeln, Grächen, Bex, Brienz, Grindelwald. Selten endlich wird Föhn (nicht Föhngewölk) .beobachtet in Beatenberg, Zürich, Muri, Rathhausen, Stanz, Castasegna, Zernetz, Stalla, Vuadens, Sion, Martigny, Gliss, Reckingen, Zermatt. Nun ist es offenbar am rationellsten, anzunehmen, dass die Beobachter der Stationen, wo am häufigsten der Föhn wahrgenommen wird, am: genausten dessen charakteristische Eigenschaften kennen und also am wenigsten andere ähnliche Winde damit verwechseln werden. Demzufolge werden wir die meteorologische Definition des Föhns: vorzugsweise aus den Beobachtungen der oben genannten eigentlichen Föhn-Stationen abzuleiten haben.

Eine Untersuchung der Art, ergibt nun, dass jedesmal, wenn bei diesen Stationen eintretender Föhn notirt ist, das Barometer fällt, das Thermometer steigt und das Hygrometer oder Psychrometer eine abnehmende Sättigung der Luft mit Wasserdampf anzeigt. Diese Erhöhung der Temperatur der Luft und Verminderung ihres Druckes und ihrer Feuchtigkeit sind im Allgemeinen um so bedeutender, je stürmischer der Föhn auftritt, und verschwinden wieder mehr oder minder schnell, sowie der Föhn in einen andern Wind übergeht. Am auffallendsten sind diese Veränderungen bei der Feuchtigkeit der Luft, indem bei angezeigtem stärkerm Föhn dieselbe um 40 bis 50 Prozent der Sättigung unter den normalen Werth

heruntergeht, und. zwar nicht bloss bei den eigentlichen Föhnstationen, sondern auch bei den meisten der genannten Föhnstationen im weitern Sinne des Wortes. Gewöhnlich dauert aber wie der Föhn dieser abnorme Zustand nur kürzere Zeit und macht dann meistens einer fast vollständigen Sättigung der Luft mit Wasserdampf Platz. Bei Eintritt des Föhns nimmt also in der That die Luft in den innern Alpenthälern einen ungewöhnlichen Grad von Trockenheit an. Es behalten also unsere Aelpler mit Escher und Desor Recht. Uebrigens wissen wir sehr wohl, dass man auch in Deutschland und Berlin eine Luft, die bloss zu 20 bis 30 Prozent mit Wasserdampf gesättigt ist, eine sehr trockene heisst; es muss also wohl Dove ganz allein mit dem deutschen Worte feucht einen .besondern Begriff verbinden, wahrscheinlich repräsentirt ihm dieses Wort den höchsten Grad der Trockenheit. Oder . sollte etwa die Meinung von Dove dahin gehen, dass trockene Luft, die wir eben vor uns haben, dann als feucht zu bezeichnen sei, wenn es einige Stunden oder Tage nachher regnet. Diese Logik, dass A, wenn es von B gefolgt wird, durchaus auch ein B sein müsse, wäre ebenfalls Dove ganz eigenthümlich. Zu derartigen Bemerkungen mehr wären wir vollständig berechtigt, wenn wir dem Beispiele, das Dove in seiner Schrift gegeben hat, folgen wollten. Allein wir würden damit die Erkenntniss des Föhns wenig fördern. Kehren wir daher lieber zu unserer Untersuchung zurück.

Wenn auch nach dem Vorigen die hohe Trockenheit der Luft im Thale zur Föhnzeit nicht zu bestreiten ist, so bemerken wir doch beim Blick in die Höhe Erscheinungen, welche eine entsprechende Trockenheit dort sehr in Frage stellen. Der Himmel ist bei Föhn zwar nie ganz, aber doch durchweg theilweise bewölkt, und gerade mit dem Eintritt des Föhns nach vorhergegangener

schöner Witterung beginnt die Condensation von Wasserdampf in der Luft, indem sich Cirrhi bis Cirrho-Cumuli bilden. Ich habe das Letztere einer gefälligen sehr verdankenswerthen Mittheilung des Hrn. Dr. Josua Oertli in Glarus über den Föhn entnommen, auf die ich noch mehrfach zurückkommen werde. Der Grad der Bewölkung ist zu verschiedenen Zeiten freilich sehr verschieden, und das eine Mal geht das Föhngewölk in eine vollständige Bedeckung mit Regen oder Schnee über, ein anderes Mal heitert sich auch der Himmel wieder auf. in dieser Hinsicht bestände also zwischen einzelnen Föhnwinden ein Unterschied, doch betrifft dieser Unterschied bei den eigentlichen Föhnstationen mehr die auf den Föhn folgende Witterung.

Wenn wir endlich noch genauer die dem Föhnwind eigenthümliche Richtung bestimmen wollen, so stossen wir auf eine Schwierigkeit, welche auf den ersten Anblick solche Bemühungen ganz illusorisch erscheinen lässt. Bekanntlich schmiegen sich nämlich in tiefen und schmalen Thälern die Winde durchweg dem Verlauf der Letztern an, so dass wir aus ihrer Richtung daselbst im Allgemeinen nicht auf diejenige in der freien Luft, resp. die ursprüngliche schliessen dürfen. Die eigentlichen Föhnthäler verlaufen nun entweder von SW nach NO oder von S nach N oder endlich von SO nach NW, und da finden wir denn auch, dass der Föhn meistens die Hauptrichtung des Thales einhält, also als SW, S oder SO auftritt. Bei näherer Betrachtung und unter Beiziehung der Beobachtungen aus dem weitern Föhngebiet finden wir aber bald, dass die eigentliche Richtung des Föhns eine süd-östliche bis südliche ist. Glarus liegt z. B. nahe an der Vereinigungsstelle des von SW nach NO verlaufenden Linth-Thales und des von SO nach NW gerichteten Sernf-Thales; es kann also SW und SO nach

Glarus gelangen, und in der That treffen wir auch da diese beiden, Winde Der Föhn tritt aber in Glarus durchweg als SO, seltener auch als S, so zu sagen nie als SW auf. Ein ähnliches Verhalten zeigt sich in Altdorf. In Churwalden, das in einem von S nach N gerichteten Hochthale liegt, kommt der Föhn meistens von SO; in dem ebenfalls hoch gelegenen Trogen weht er, eben so oft von S als SW, obschon das Thal nach SW offener ist als nach S. Auf Rigi-Kulm haben wir bei Föhn durchweg Südwind. In Brienz, an der Vereinigungsstelle des von SW nach NO verlaufenden Brienzer-See-Thals und des von O8O nach WNW gerichteten untern Hasle-Thals tritt der Föhn als OSO bis O und nicht als SW auf. Endlich ist nach den gefälligen Mittheilungen des Hrn. Dr. Oertli bei eintretendem Föhn der Wolkenzug in Glarus vorherrschend von SO nach NW gerichtet und der Föhn viel heftiger, wenn er aus dem Sernf-Thal, als wenn er aus dem Linth-Thal kömmt. Die Durchsichtigkeit der Luft ist ebenfalls beim Föhn vielfach in Betracht gezogen worden. Da indessen dieselbe nach Hrn. Oertli sich sehr verschieden erweist, indem die Luft das eine Mal bei Föhn sehr transparent ist, ein anderes Mal aber alle fernen Gegenstände wie in einen Schleier eingehüllt erscheinen, und da ferner bis zur Stunde über die Ursachen der grössern oder geringem Durchsichtigkeit der Luft nur Vermuthungen und keine positiven Thatsachen vorliegen, so wollen wir diesen Punkt hier übergehen.

Fassen wir also das Bisherige zusammen, erhalten wir folgende meteorologische Definition des Föhn. Der Föhn ist eine vorzugsweise süd-östliche bis südliche, durchweg stürmische Windströmung, welche die Temperatur der Luft bedeutend erhöht, den Druck derselben vermindert,

den Himmel zwar theilweise bewölkt, in den Thälern aber, wo er als solcher auftritt, die Luft stark austrocknet

Halten wir an dieser Definition fest, so finden wir zunächst, dass an manchen Punkten der Schweiz, wo der Name Föhn gar nicht bekannt ist, derselbe ganz mit seinen charakteristischen Eigenschaften auftritt Diess ist z. B. in Brienz sehr entschieden der Fall. Anderseits ergibt sich, dass man hie und da, namentlich an Orten, wo der Föhn nur selten erscheint, diesen Namen irrthümlich ganz andern Winden beilegt. So heisst man z. B. in den ebenen Theilen der Schweiz hie und da den gewöhnlichen Süd-West oder Aequatorialstrom. Föhn, da er die meisten der genannten Eigenschaften mit dem Föhn gemein hat, wenn er schon anderseits den Himmel gewöhnlich ganz bedeckt, insbesondere aber durch einen hohen Grad von Feuchtigkeit mit dem Föhn kontrastirt Es ist ferner Castasegna unweit Chiavenna die einzige schweizerische meteorologische Station am Südabhange der Alpen, deren Beobachter hie und da Föhn notirt. Das mir zu Gebote stehende Material reicht zwar zu einer genauem Definition dieses Lokalwindes nicht aus, so viel aber ergibt sich mit Sicherheit, dass der Wind, den man in Castasegna Föhn nennt, mit dem Föhn im eigentlichen Föhngebiet nichts gemein hat. Der Föhn daselbst ist nämlich ein Nord-Ost-Wind, der bei seinem Eintritt zwar auch die Sättigung der Luft mit Wasserdampf vermindert, dagegen das Barometer steigen macht und die Temperatur der Luft nur unerheblich erhöht. Zudem fallen nur zwei unter den sieben Malen, wo dieser Föhn in den letzten drei .Jahren in Castasegna beobachtet worden ist, mit Föhn-Erscheinungen im eigentlichen Föhngebiet zusammen. Darauf reduzirt sich so ziemlich die bodenlose Verwirrung, welche nach Dove in der Schweiz betreffend den Föhn besteht. .

An der Hand unserer Definition des Föhns und der schweizerischen meteorologischen Beobachtungen sind wir aber auch im Stande, das eigentliche Föhngebiet, innerhalb dessen derselbe häufiger auftritt und sich auch in den meisten der genannten 37 Fälle der drei letzten Jahre überall zeigte, genau zu bestimmen Es ergibt sich, dass dazu zu rechnen sind: der untere Theil des Vorderrhein-Thales, der Prättigau, das Rhein-Thal von Chur bis gegen Altstätten herunter, die Kantone Appenzell, Glarus, Uri, Schwyz, die östliche Hälfte von Unterwalden und theilweise das Berner-Oberland und obere Rhone-Thal. In seltenen Fallen werden auch das Engadin, St. Gallen, Theile von Thurgau und Zürich, Zug, Theile von Luzern, das Aar-Thal bis Bern herunter und das Rhone-Thal herunter bis nach Bex in das Föhngebiet aufgenommen, und noch seltener wird die westliche und nord-westliche Schweiz von föhnartigen Winden getroffen.

Was die Häufigkeit des Föhns im Föhngebiet betrifft, so würde aus der oben angeführten Gesammtzahl folgen, dass wir da durchschnittlich per Monat je einen entschiedenen Föhn zu gewärtigen haben. Wir finden indessen bei näherer Betrachtung, dass der Föhn sich auf die verschiedenen Jahreszeiten verschieden vertheilt. In den drei letzten Jahren fallen nämlich von den 37 Fällen 11 auf den Winter, wenn wir dazu wie üblich die Monate Dezember, Januar und Februar rechnen, sodann 10 auf den Frühling, 6 auf den Sommer und 11 wieder auf den Herbst Die eigentlichen Föhnzeiten sind also Herbst, Winter und Frühling und am seltensten erscheint der Föhn im Sommer. Zudem ist auch in dieser Jahreszeit seine Stärke und Ausdehnung am geringsten. Endlich ergibt sich, dass die Häufigkeit des Föhns in aufeinanderfolgenden Jahren sehr verschieden ist. Während in den Jahren 1864 und 1865 zusammen 20 Fälle von Föhn

vorkamen, zählen wir im Jahr 1866 allein deren 17. Ich füge hier gleich hinzu, dass das Jahr 1866 von den zwei frühern sich hauptsächlich durch eine unverhältnissmässig starke und lange Entwicklung des Aequatorialstroms unterscheidet.

Sehen wir jetzt zu, wie sich zur Zeit des Föhns im eigentlichen Föhngebiet die Witterung in der übrigen. Schweiz gestaltet. Auch darüber finden wir in den Publikationen unserer schweizerischen meteorologischen Beobachtungen genügenden Aufschluss Dove macht zwar an verschiedenen Stellen seiner Schrift den Letztem den Vorwurf einer gewissen Parteilichkeit, als ob man da absichtlich Manches verschweige und Anderes, das zu. Gunsten gewisser Ansichten spreche, allzu sehr heraushebe. Diesen Vorwurf muss ich des Entschiedensten am ungerechtfertigt zurückweisen Die Schweiz besitzt gegenwärtig unter allen Staaten: verhältnissmässig die grösste Zahl meteorologischer Stationen, beispielsweise über 10 Mal mehr als Preussen, es ist daher leicht begreiflich,. dass bei der Beschränktheit der der meteorologischen Kommission zugewiesenen Geldmittel die Beobachtungen. aller unserer Stationen nicht in extenso publizirt werden können. Es muss also die Centralanstalt in Zürich, welche unter der Direktion des Hrn. Professor Wolf diese Publikation besorgt, eine gewisse Auswahl treffen. Von einer einseitigen Tendenz kann dabei um so weniger die Rede sein, als noch jedes Jahr seit dem Bestande dieses Unternehmens der Publikations-Modus gewechselt hat, um eben diesen und jenen Wünschen gerecht zu werden. Fehlt also hie und da in diesen Publikationen einem Bearbeiter einer speziellen Erscheinung ein wünschenswerthes Datum; so ist daran nicht die Redaktion, sondern der Umstand schuld, dass gegenwärtig alle Staaten Europa's und so auch unser Land für Gewehre und Kanonen so

viel Mittel aufwenden müssen, dass für Zwecke der Wissenschaft fast nichts mehr übrig bleibt. Diesen Zustand aber hat jedenfalls die Schweiz nicht verschuldet.

Wenn wir zunachst die meteorologischen Beobachtungen aus demjenigen Theile der Schweiz, der nördlich und westlich vom eigentlichen Föhngebiet gelegen ist, durchgehen, so ergibt sich, dass auch da weitaus in den meisten Fällen, wo im Föhngebiet der Föhn sich zeigt, bei niedrigem Barometerstand und erhöhter Temperatur südliche Winde wehen, indessen mehr von südwestlicher als südöstlicher Richtung. Während der Sommermonate ist in der nordwestlichen Schweiz der Föhn fast ohne Ausnahme von Gewittern begleitet, die uns bekanntlich durch den Südwest zugeführt werden, in der übrigen Zeit haben wir da nahezu gleich oft entweder einen gewöhnlichen Aequatorialstrom, d. h. feuchten, Regen bringenden Süd-West, oder einen feuchten Süd-West mit trockenem Anfang, oder endlich schlechtweg trockenen Süd-West bis Süd-Ost. Den letztem Fall betrachte ich nach dem Frühern einfach als eine Fortsetzung des Föhns in diese Theile der Schweiz hinein. Haben wir endlich in den letztem nordöstliche Winde, wenn der Föhn im Föhngebiet weht, so ist zugleich die Luft feucht und der Himmel stark bewölkt, was auf einen Kampf nördlicher und südlicher Winde in diesen Gegenden hinweist. Dafür spricht auch, dass in der That hie und da ein Wolkenzug von SW nach NO beobachtet wird, in der Tiefe aber die Windfahne NO anzeigt, und dass das Barometer trotz dieses NO-Windes tief steht.

Während so der Jura und das Flachland der Schweiz zur Zeit des Föhns ein wechselndes Verhalten darbieten, treffen wir dagegen auf der BIldseite unserer Alpen und auf deren Kämmen und Pässen eine viel grössere Uebereinstimmung der Witterung. Feuchte Luft, heftige Regengüsse

und starke Schneefälle sind da die steten Begleiter des Föhns auf der Nordseite der Alpenkette, und nur in zwei Fallen zeigen sich stellenweise auch auf der Südseite und auf den Kämmen der Alpen Spuren einen trockenen Anfangs der die Niederschläge begleitenden südöstlichen bis süd-westlichen Winde. Während dieser drei Jahre ist auch bloss einer der Föhn-Schneefälle auf den Alpenpässen von einem Staubfall, der dem Schnee eine röthliche Färbung ertheilte, begleitet gewesen.

Was wir hiemit über die Natur, die räumliche und zeitliche Ausbreitung des Föhns und die gleichzeitigen Witterungserscheinungen in der übrigen Schweiz ermittelt haben, weist bereits des Entschiedensten auf einen innigen Zusammenhang desselben mit dem in unsern Breiten aus der Höhe herabkommenden Südwest-Passat oder Aequatorialstrom hin. Dieser Zusammenhang stellt sich aber als ganz sicher und unangreifbar heraus, sowie wir noch einen Schritt weiter gehen und die Witterungsverhältnisse ganz Europa's, insbesondere aber Frankreichs und italiens mit in den Kreis unserer Betrachtung ziehen. Ich habe hiezu die meteorologischen Bulletins der Pariser Sternwarte benutzt, welche Tag für Tag den gleichzeitigen Zustand der Witterung in ganz Europa mit Ausnahme Nord-Deutschlands und der Türkei übersichtlich darstellen. Aus diesen Bulletins hat sich schon früher ergeben, dass der Aequatorialstrom durchweg in Form von Wirbelstürmen vom atlantischen Ocean her in Europa anlangt und dass auch die Gewitter des Sommers nichts Anderes sind, als derartige Wirbelstürme von kleinerem Umfange. Meiner Vergleichung zufolge zeigt sich nun jedesmal im Föhngebiet der Föhn, wenn ein solcher Wirbelsturm oder Aequatorialstrom, sei es von Irland her oder aus dem Meerbusen von Gascogne oder endlich über Spanien hin, so in's Mittelmeer eindringt, dass wir

an den Küsten der Provence und in Oberitalien süd-östliche Winde erhalten. :.

Nachdem ich dieses Gesetz aus den Beobachtungen der Jahre 1864 und 1865 abgeleitet hatte, versuchte ich nach demselben bloss vermittelst der Pariser Bulletins die Tage des Jahres 1866 zu bestimmen, wo sich Föhn in der Schweiz gezeigt haben müsse. Beim Nachschlagen der schweizerischen Beobachtungen fand ich ohne eine einzige Ausnahme. alle diese Tage als Föhntage aufgeführt. Es ist diess gewiss der beste Beweis für die Richtigkeit unseres Gesetzes. Wir sind also nunmehr im Stande, aus den Bulletins der Pariser Sternwarte mit mindestens ebenso grosser 'Sicherheit das Eintreten, des Föhns in der Schweiz vorherzusagen, wie dasjenige der grossen Wirbelstürme des Winters und der kleinen Gewitterstürme des Sommers. Es ist sogar ,möglich den Verlauf des Föhns und seine begleitenden Umstände noch etwas genauer anzugeben, als es unsere obige einfache Regel gestattet. Wenn der Wirbelsturm Europa in .der Höhe von Irland angreift und sich dann von dort erst in's Mittelmeer herunterzieht, so ist der Föhnsturm in den Alpenthälern von einem die nord-westliche Schweiz überfluthenden feuchten Aequatorialstrom begleitet; fällt hingegen der Sturm direkt vom Ocean her in den Meerbusen von Gascogne ein und ergreift; er dann von da aus das Mittelmeer, so besitzt der zur Föhnzeit den Jura und die flache Schweiz durchziehende feuchte Aequatorialstrom meistens einen mehr oder minder trockenen Anfang. Dringt endlich der Aequatorialstrom mehr über Spanien hin direkt in's Mittelmeer ein, so dehnt sich der Föhn beinahe über die ganze Schweiz nördlich von der Alpenkette aus.

Damit also ein Föhn entstehe, ist es nothwendig, dass ein Aequatorialstrom oder Wirbelsturm in's Mittelmeer

eindringe und von da über die Alpen herüber zu uns gelange. Je nach der Art und Weise aber, wie das Eindringen desselben in's Mittelmeer erfolgte, erhalten wir dann in der nord-westlichen Schweiz die verschiedenartige, früher beschriebene Witterung als Begleiterin des Föhns im eigentlichen Föhngebiet. Diess ist in wenig Worten das Resultat einer bloss an der Hand von Thatsachen und nicht von Theorien fortgeschrittenen Untersuchung. Der Föhn ist hienach ein Stück Aequatorialstrom. Nun ist aber der Aequatorialstrom durchweg feucht, der Föhn dagegen trocken. Es tritt somit jetzt die Frage an uns heran, wie der gewöhnlich feuchte Aequatorialstrom als trockener Föhn erscheinen könne. Die meisten Forscher nehmen zur Erklärung dieser Trockenheit, und selbst Dove thut diese in dem Falle, wo er die Trockenheit. des Föhns nicht läugnen kann, ihre Zuflucht zur trockenen Sahara-Luft. Da die Letztere wegen der Drehung der Erde um ihre Axe und ihrer Kugelgestalt in der That nicht direkt zu uns gelangen kann, so soll diess indirekt dadurch geschehen, dass die nach West und Nord-West in der Höhe abfliessende trockene Sahara-Luft sich dem Aequatorialstrom, sei es in der. Nähe seines Ursprungs oder dann auf seinem Wege nach Europa, beimengt oder anschliesst und so, da sie die Reise zu uns nicht allein machen kann, durch diesen Compagnon uns zugeführt wird.

Es thut mir leid, diese schöne Illusion, insofern man daraus eine Erklärung für die Trockenheit des Föhns ableiten will, ein für alle Mal zerstören zu müssen. Der Föhn ist, wie wir gesehen haben, ohne Ausnahme von starken Niederschlägen auf der Südseite und auf den. Pässen und Kämmen der Alpen begleitet, also da noch kein Föhn, kein trockener Wind, er wird diess erst. beim Heruntersteigen in die Alpenthäler. Dass aber die trockene

Sahara-Luft gerade allein in die nördlichen Alpenthäler heruntersinke und die feuchte des eigentlichen Aequatorialstroms auf der Südseite zurückbleibe, dafür ist kein Grund vorhanden. Geradezu gegen diese Annahme spricht aber der Umstand, dass in den Fällen, wo der Föhn oder der betreffende Aequatorialstrom wirklich unverkennbare Spuren einer wenigstens theilweisen Abstammung aus trockenem Lande, sei es nun die Sahara oder die Llanos von Venezuela, hinterlässt, derselbe gerade die heftigsten Niederschläge auf den Alpenpässen und deren Südseite veranlasst. Der durch einen Staubfall in Rom und auf den östlichen Alpenpässen ausgezeichnete Föhnsturm vom 21. und 22. Februar .1864 war von mächtigen Schneefällen auf den Letztem und in den südlichen Alpenthälern begleitet, und der röthliche Schnee, der am 15. Januar dieses Jahres an verschiedenen Punkten des Bündner-Landes fiel, hing nicht nur mit keinerlei Föhnerscheinung zusammen, es war vielmehr die Luft in der ganzen Schweiz zu dieser Zeit sehr feucht. — Es. bleibt also für die Mehrzahl der Fälle nur die Annahme übrig, dass sich der. feuchte Aequatorialstrom wirklich in den trockenen Föhn verwandle. . ' ..

Ueber die Schwierigkeiten, welche dieser Annahme entgegenstehen, sucht sich Dove in seiner Schrift durch einen Witz. fortzuhelfen. Wie er nämlich von der Identität des eigentlichen Föhns mit dem feuchten Scirocco der Italiener spricht, sagt er in dieser Hinsicht wörtlich Folgendes: «Während diese Winde ihren Wasserdampf am Südabhange der Alpen condensiren, dort also Regen herabschütten, ist gewöhnlich .dann in Deutschland die Luft ungewöhnlich heiter und trocken. Die Schweizer verhalten sich dann wie Menschen, die während eines mit Süd aufziehenden Platzregens auf die Nordseite eines Hauses treten, um sich gegen den Regen zu schützen.

Bei solcher Gelegenheit erscheint dann eine Abhandlung über die Unhaltbarkeit von Dove's Hypothese über den Ursprung des Föhns, in welcher versichert wird, dass es nicht geregnet habe, überhaupt der Sohn der Wüste ein sehr trockener Geselle sei.» Hienach ist also Dove der Ansicht, dass ein Regenwind, der gegen die eine Wand eines Hauses trifft und. dieselbe benetzt, desshalb nachdem er um das. Haus herum auf dessen Rückseite gelangt ist,, dort als trockene Luft erscheinen werde, oder es soll mit andern Worten nach ihm feuchte Luft, die wegen erfolgter Abkühlung ihren überschüssigen Wasserdampf durch Condensation verloren hat, dadurch trocken geworden sein. Es wäre diese indessen . aus dem Munde eines Physikers und. Meteorologen eine so bedenkliche Aeusserung, dass wir der wissenschaftlichen Ehre. von Dove zu liebe. .eher annehmen wollen, es habe derselbe an dieser Stelle wie an so mancher andern seiner Schrift der . Schärfe des Witzes die bessere Erkenntniss geopfert.

Mühry gesteht ohne Weiteres die Schwierigkeit ein und wir konnten auf den ersten Anblick auch keinen Grund für diese eigenthümliche Veränderung erkennen. Eine nähere Ueberlegung und die Verfolgung einer zuerst von Hann im ersten Bande der Österreich. Zeitschrift für Meteorologie S. 257 ausgesprochenen Idee zeigten indessen, es sei nicht nur möglich, sondern nach bestimmten physikalischen Gesetzen sogar durchaus nothwendig, dass ein feuchter, die Alpen übersteigender Luftstrom jenseits in den Alpenthälern wenigstens für den Anfang als trockener Wind erscheine.

Es ist nämlich ein wichtiges, leider immer noch zu wenig berücksichtigtes Gesetz der Wärmelehre, dass jede Luftmasse bei einer stattfindenden Kompression sich erwärmt, dagegen sich abkühlt, wenn ihr Volumen vergrössert wird. Nach vorliegenden Bestimmungen genügt

z. B. eine Verkleinerung des ursprünglichen Volumens um 1/7 seiner Grösse, um die Temperatur sofort um 20° zu steigern. Wenden wir diess auf unsern Fall an und betrachten gleich einen speziellen Föhn, z. B. den vom 23. Sept. 1866, den Dove als trocken anerkennt. Der Aequatorialstrom lange am südlichen Fusse der Alpen an, z. B. in Faido, und sei bei der betreffenden Temperatur vollständig mit Wasserdampf gesättigt. Diess war nahe der Fall, indem es am obigen Tage in Faido ziemlich stark regnete. Da die Temperatur der Luft 14° war, so betrug die Spannkraft des darin vorhandenen Wasserdampfes circa 12mm. Nun bleibt derselben kein anderer Ausweg, als, durch die nachrückende Strömung gedrängt, der schiefen Ebene des Gebirges bis zu den Sätteln der Alpenpässe emporzusteigen. Wenn die Luft so von Faido bis zum Gipfelpunkt des Gotthardpasses sich erhebt, so gelangt sie dabei von einem Drucke von ungefähr 700 mm zu einem solchen von circa 600 mm, vergrössert somit. ihr Volumen im Verhältniss von 6 zu 7 und wird nach dem mitgetheilten Gesetz ihre Temperatur in Folge davon um 20° erniedrigen. In Wirklichkeit finden wir auf dem Gipfel des Gotthards zu dieser Zeit die Temperatur von 5°, also dieselbe bloss um 9° niedriger als die in Faido unten. Der Grund dieser geringem Abkühlung ist. hauptsächlich in der durch die beständige Condensation von Wasserdampf frei werdenden latenten Wärme zu suchen. Bei der Temperatur von 5° auf der Passhöhe vermag nämlich die Luft im Zustand der Sättigung nur noch Wasserdampf von 61/2 mm Spannung festzuhalten, es hat somit bis dahin eine Menge von Dampf als Regen oder Schnee ausgeschieden werden müssen. Daher also die starken Niederschläge bis zu den Gipfeln der Alpen herauf. Oben angelangt, braust nun der Strom ungehindert in der Höhe hin, und wenn er

nicht weiter steigt, so ist zunächst auch kein Grund zu weitern Condensationen des Wasserdampfs vorhanden. Wir sehen somit nur einzelne Wolken, vom Sturme fortgerissen, am Himmel dahinziehen. Es ist diess der dem Eintritt des Föhns im jenseitigen Thale unmittelbar vorhergehende Zustand, der sich auch nach Hrn. Oertli's Bericht durch ein unheimliches Tosen und Rauschen in den Bergen bemerkbar macht.

Dabei verbleibt es aber nicht. Einer weitern, gegenwärtig allgemein bekannten, weil bereits vielfach praktisch verwertheten Thatsache zufolge wird in einem oben offenen, sonst aber abgeschlossenen Raum jedesmal die Luft verdünnt, wenn ein kräftiger Luftstrom über den Rand der Oeffnung hinstreicht. Diess wird auch mit der in unsern innern Alpenthälern stets mehr oder minder abgeschlossenen Luft geschehen, wenn ein heftiger Sturm über die einschliessenden Gebirge hinbraust. Die Folge davon ist aber, dass dieser Luftstrom in den durch die entgegenstehende Gebirgswand vor ihm geschützten Raum hinein aspirirt wird, also der Sturm nach und nach auch in das Thal heruntersteigt. «Immer tiefer sinkt der Wind», sagt Hr. Oertli in seiner Beschreibung, «durchtobt dann zuerst mit einzelnen Stössen das Thal, bis er endlich in einen furchtbaren, Menschen und Thiere deprimirenden Sturm ausartet.» Das Heruntersteigen des Windes in's Thal ist also evident, aber auch die Verdünnung der Luft daselbst beim Beginn des Föhns als erste Ursache dieses Herabkommens ergibt sich ebenso entschieden. Während in unserm speziellen Falle am 22. und 23. Sept. beim Beginn des Föhns in Altdorf das Barometer 5 bis 6 Millimeter unter dem Monatsmittel steht, ist auf dem St Gotthard und in Faido der Luftdruck kaum um 1 Millimeter geringer, als der mittlere des Monats; wir haben also in der That im

Reuss-Thale eine lokale Verminderung des Luftdrucks, die auf eine Verdünnung der Luft hinweist. Luft, die von der Passhöhe des Gotthard bis nach Altdorf herabfällt, wird aber in Folge der dabei stattfindenden Compression um circa 24° erwärmt. In unserm Falle fand auf dem Gotthard die Temperatur von 5° statt, theoretisch sollte also in Altdorf dieselbe bis auf 29° steigen. Die Wirklichkeit entfernt sich davon nur wenig, indem wir in den Beobachtungen 26° als Maximum finden. Der auf dem Gotthard in der Luft bei 5° noch vorhandene ,Wasserdampf hatte daselbst theoretisch höchstens die Spannung von 61/2 Millimetern; mit diesem Wasserdampf gelangt die Luft in's Thal, könnte aber dort gemäss der Temperatur von 26° im Zustand der Sättigung Wasserdampf bis zu 25 mm Spannung enthalten; sie wird somit in Altdorf nur zu 25 Prozent mit Wasserdampf gesättigt, also sehr trocken sein, während sie auf der Höhe ganz feucht war. In unserm speziellen Fall war die Luft in Altdorf nicht einmal so trocken, sondern noch zu 45%mit Wasserdampf gesättigt. Es reicht also diese Theorie des Föhns mehr als aus, um die Trockenheit desselben ganz ungezwungen zu erklären. Werden später Theile des als Nebel und Wolken bereits condensirten Wasserdampfs auf der Südseite und den Kämmen — der sogen. Föhnmauer — mit herüber gerissen, so kann die Luft auch im Thale nach und nach feuchter werden.

Ich verzichte darauf, alle einzelnen, den Föhn begleitenden Erscheinungen aus dieser Theorie hier zu deduziren; es ergibt sich diese fast von selbst. Nur noch eine Konsequenz dieser Theorie sei mir vergönnt, mit der Erfahrung zu vergleichen. Wenn Aequatorialströme an den Westküsten Scandinaviens Europa treffen und dann von da über die Nordsee herunter mit der südlichen und

süd-östlichen Seite des Wirbels, also als feuchte Nord-West- und West-Stürme zu uns gelangen, so dringen sie dann wohl über die Alpen herüber nach Italien vor, und wir erhalten gerade das entgegengesetzte Verhalten wie beim Föhn. Ist unsere Föhn-Theorie richtig, so muss an diesen Fällen die Schweiz nördlich von Alpenkämmen und insbesondere die Alpenthäler und Alpenpässe von mächtigen Niederschlägen bei W- bis NW-Stürmen heimgesucht werden, während in den südlichen Alpenthälern warme und trockene nördliche Winde bei niedrigem Barometerstände, hellem oder höchstens mit Cirrhi überzogenem Himmel wehen werden; kurz wir müssen dort einen Wind erhalten, der nur durch die entgegengesetzte Richtung von unserm Föhn abweicht. Diese Folgerung aus unserer Theorie wird auf's Vollkommenste durch die Erfahrung bestätigt; bei einem nur flüchtigen Durchgehen der Beobachtungen der drei letzten Jahre habe ich bereits sechs solcher Nordföhne, wie wir diese Erscheinung nennen wollen, gefunden, die ganz genau die eben angegebenen Einzelheiten in ihrem Auftreten zeigen. Besonders deutlich trat dieser Nordföhn zur Zeit der heftigen Nordweststürme im November des Jahres 1866 auf. Die heftigen Regengüsse im Jura und Flachland der Schweiz und die mächtigen Schneefälle in den nördlichen Alpenthälern und auf den Alpenpässen kontrastiren da ebenso auffallend wie bei Föhn mit der excessiven Trockenheit und dem schwach bewölkten Himmel der südlichen Alpenthäler.

Dieser Nordföhn repräsentirt die eine der eigenthümlichen Modifikationen, welche das Hochgebirge der Schweiz am gewöhnlichen Aequatorialstrom hervorbringt, Wir erhalten sie, wenn der Letztere von Scandinavien und der Nordsee her zu uns gelangt und die Alpen von Nord nach Süd überschreitet.

Die zweite .Hauptmodifikation bildet der eigentliche oder Südföhn; sie entsteht, wenn der Aequatorialstrom vom Mittelmeer aus oder also von Süd nach Nord über die Alpenkämme herüberstürmt, zerfällt aber je nach dem Weg, den der Wirbelsturm vom atlantischen Ocean her zum Mittelmeer hin einschlägt, in drei mehr oder minder scharf geschiedene Erscheinungsweisen. Kommt der Sturm von England oder aus dem Kanal La Manche herunter, so wird er etwas früher oder auch gleichzeitig wie das Mittelmeer direkt die nordwestliche Schweiz mit der südöstlichen Seite des Wirbels treffen, also dieselbe als feuchter Süd-West überfluthen, während dann der in's Mittelmeer eingedrungene Theil mit der nordöstlichen Seite des Wirbels von Süden her an die Alpenkette anschlägt und so als Süd-Ost und Süd dieselbe unter Föhnbildung überschreitet. Der aus dem Meerbusen von Gascogne heranrückende Aequatorialstrom spaltet sich am Gebirgsstock der Meer- und Cottischen Alpen in zwei Theile, von welchen der eine nach Süden und gegen Italien hin sich wendet, um dann von dort, wie oben erörtert, als Föhn herüberzukommen, der andere, gegen Nord-Osten sich kehrend, direkt in. die Schweiz eindringt. Wir erhalten dann in der ebenen Schweiz den Aequatorialstrom mit trockenem Anfang. In. diesem Falle zeigt sich nämlich in der Ostschweiz häufig zuerst der Föhn als SO mit seinen charakteristischen Eigenschaften, der dann, wenn der unveränderte Aequatorialstrom durch das Flachland der Schweiz herangerückt ist, in SW mit Regen umschlägt. Wenn endlich der Wirbelsturm wesentlich über Spanien hin in's Mittelmeer eindringt, so stösst derselbe nur von der Südseite gegen die Alpen, und die ganze nördliche Schweiz wird dann mehr oder minder stark vom Föhn heimgesucht. In diesem Falle allein streicht wohl der Sturm so nahe an - Afrika

vorbei, dass er die von der Sahara aufgestiegene und gegen Nord-Westen abfliessende staubführende Luft in hinlänglicher Menge ergreift und uns zuführt. In der That kam der Sturm vom 21. und 22. Februar 1864 über Spanien her in's Mittelmeer und nach Italien und von da zu uns. Das Minimum des Barometerstandes fand nämlich nach den Angaben der Registrir-Instrumente am 21. Februar um 6 Uhr Vm. in Rom statt und trat erst um 8 Uhr 20 Minuten in Bern ein. *)

Diese Klassifikation der Föhnwinde, wenn wir sie überhaupt eine solche nennen können, da sie sich eigentlich nicht auf den Föhn als solchen, sondern auf die begleitenden Witterungserscheinungen ausserhalb des Föhngebiets bezieht, ist, wie wir sehen, ganz verschieden von der oben mitgetheilten, mehr theoretischen von Dove. Da die unserige aus der Erfahrung abgeleitet ist, so sehen wir uns nicht veranlasst, dieselbe wegen dieses Widerspruchs aufzugeben.

Das Endresultat unserer Untersuchung über den Föhn mit Rücksicht auf die obschwebende Streitfrage ist also folgendes: «Der Föhn ist zwar ein trockener Wind, hat aber trotz dessen direkt keine Beziehung zu der Sahara, sondern ist in nothwendiger Weise aus dem gewöhnlichen

feuchten Aequatorialstrom durch Herübersteigen desselben über die Alpen entstanden.»

Es bestätigt somit dieses Ergebniss die Behauptungen Escher's und Desor's, dass der Föhn trocken sei, zeigt aber auch zugleich, dass diese charakteristische Eigenschaft des Föhns nicht, wie diese Forscher glaubten annehmen zu müssen, auf einen Ursprung desselben aus der Sahara schliessen lässt. Wir finden vielmehr in dieser Hinsicht die Ansichten von Dove und Mühry, welche dem Föhn als einer blossen Modifikation des Aequatorialstroms einen atlantischen Ursprung vindiziren, der Wirklichkeit entsprechend. Dagegen hat Dove entschieden Unrecht, wenn er desshalb die Trockenheit des Föhns in Frage stellt und da, wo er dieselbe zugeben muss, dann behufs Erklärung derselben zur Sahara-Luft rekurirt. Er verfällt dabei merkwürdiger Weise in denselben Fehler, wie seine Gegner. Endlich finden wir Dove's Klassifikation und Erklärung der Stürme Süd-Europa's, insofern dieselbe auch den Föhn beschlagen soll, durch die Erfahrung nicht gerechtfertigt. *)

Ein nicht unwichtiges Resultat unserer Untersuchung scheint uns auch zu sein, dass die Staubfälle auf den :Alpenkämmen, welche dem Schnee eine gelbliche bis braunröthliche Färbung geben —wohl zu unterscheiden von der schön rothen Farbe, welche die Alge Protococus nivalis stellenweise dem Schnee ertheilt — keine charakteristische Eigenthümlichkeit des Föhns sind und daher auch über seinen Ursprung, wie ich früher selbst mit Andern glaubte, kein entscheidendes Wort mitzusprechen haben. Welches 4

also auch das Resultat der noch schwebenden mikroskopischen und chemischen Untersuchung des im Januar dieses Jahres in Bünden gefallenen Staubes sein mag, es wird dasselbe vorstehenden Entscheid der Föhnfrage nicht modifiziren können.

Man könnte nun glauben, dass. mit dem Nachweis eines atlantischen Ursprungs des Föhns auch die Escher'sche Theorie der Eiszeit dahinfalle, und in der That spricht sich auch Dove am Schlusse seiner Schrift ganz entschieden in diesem Sinne aus. Dem ist aber nicht so. Wenn wir auch nachgewiesen haben, dass der Föhn nicht direkt aus der Sahara abstamme, so ist damit noch lange nicht dargethan, dass derselbe auch indirekt in keinem Zusammenhange mit dieser Sandwüste stehe Der Einfluss, welchen gegenwärtig die Sahara auf die Witterungsverhältnisse Europa's überhaupt hat, ist noch so wenig sicher bestimmt, dass es verwegen wäre, diejenigen Aenderungen in den Letztem angeben zu wollen, die bei einer Rückverwandlung der Wüste in ein Meer entstanden. Die Möglichkeit aber, dass beim Eintritt einer solchen Katastrophe der Föhn ausbliebe, wenigstens anzudeuten, sei mir noch gestattet.

Wenn nach der von Dove aufgestellten, freilich noch nicht bewiesenen Theorie die Westindia Hurricanes durch das Einfallen der von der Sahara aufgestiegenen und in der Höhe nach Westen hin abfliessenden Luft in den obern Passat erzeugt werden, so wäre gedenkbar, dass überhaupt alle Europa treffenden Wirbelstürme durch das Einfallen von nach Westen und Nordwesten aus der Sahara wegströmender Luft in den Aequatorialstrom hervorgebracht werden. Nun ist aber, wie wir gesehen haben, die Entstehung des Föhns ganz an diese Wirbelstürme geknüpft, horte also die Existenz der Sahara als Sandwüste auf, so wäre auch kein Grund mehr vorhanden

für die Entstehung jener Wirbelstürme und mit diesen würde dann auch der Föhn verschwinden.

Ehe also gründlichere und umfassendere Untersuchungen über die meteorologische Bedeutung der Sahara vorliegen, ist es meines Erachtens nicht möglich, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Escher'schen Theorie der Eiszeit, die an ein Verschwinden des Föhns mit der Sahara als Sandwüste anknüpft, ein endgültiges Urtheil zu fällen.

Die Escher'sche Theorie der Eiszeit in der Schweiz repräsentirt im Grunde nur einen speziellen Fall einer allgemeinen Hypothese über die Ursachen der wechselnden wärmern und kältern Klimate kleinerer und grösserer Theile unserer Erdoberfläche in frühern geologischen Perioden, welche der englische Geologe Charles Lyell schon in seinen «Grundzügen der Geologie vom Jahre 1830» ausgesprochen hat und die also nicht Dove, wie er diese auf Seite 4 seiner Schrift meint, eigenthümlich ist. Lyell erklärt nämlich die Veränderung der Klimate und damit also auch die Eiszeiten sowohl in Europa wie in Nord-Amerika durch successive Wechsel in der Hohe, Gestalt und Ausdehnung des Landes im Verhältniss zur See in Polar- und Aequatorialbreiten, sowie durch hievon bedingte Wechsel im Verlaufe der Meeresströmungen und und anderer geographischer Bedingungen. So schwierig und gewagt es nun auch erscheinen mag, auf Grund unserer meteorologischen Kenntnisse der Gegenwart Schlüsse auf die durch solche geologischen Veränderungen bedingten Modifikationen der Witterungsverhältnisse zu ziehen, so besitzen wir doch einige bestimmte Anhaltspunkte, welche den Betrag derartiger Einflüsse abzuschätzen gestatten.

Die südliche Hälfte unserer Erdkugel besitzt gegenwärtig ihrer vorwiegenden Wasserbedeckung halber eine

um nahe 2°C. niedrigere Mitteltemperatur an ihrer Oberfläche als die nördliche Hälfte. Nun weisen geologische Phänomene bestimmt darauf hin, dass, um die sogen. Eiszeit herum bedeutende Hebungen 'und Senkungen. des Landes auf der nördlichen Erdhälfte stattfanden. Während einer solchen Periode der Senkung des Landes konnte also bloss in Folge der Zunahme der Wasserfläche das Klima bereits etwas rauher werden. Es werden aber ferner Senkungen des Landes an gewissen Stellen der Erdoberfläche. im Allgemeinen von entsprechenden Hebungen an nähern oder entferntern Punkten begleitet sein, und da mit der Erhebung über Meer ebenfalls die Temperatur abnimmt, so könnte neben allgemeiner Senkung die gleichzeitige Erhebung einzelner Gebirgsstöcke mit zu einer Vergrösserung der Gletscher auf den Letztem beigetragen haben.

Viel bedeutender dürfte indessen der Einfluss der durch eine andere Vertheilung von Land und Wasser bedingten Veränderungen in dem, Verlauf der Meeres- und Windströmungen gewesen sein. Während z. B. gegenwärtig in 70° nördlicher Breite die mittlere Jahrestemperatur von Alten in der Nähe des Nordkaps ± 1 °beträgt, ist diejenige von Boothia felix über Nordamerika -16 °. Wir haben also da in gleicher Breite einen Unterschied der Mitteltemperaturen von 17°, der sich sogar im Januar auf 27-28 ° steigert, und dieser bedeutende Temperatur-Unterschied wird allein dadurch bedingt, dass der warme Golfstrom und die äquatorialen Winde darüber sich vorzugsweise gegen die Nordwestküsten Europa's ergiessen, während die Nordostküsten Amerika's mehr vom arktischen Eisstrom und den kalten polaren Winden getroffen werden. Aber auch noch für niedrigere Breiten, z. B. diejenige von 50 °, bedingt der gegenwärtige Verlauf dieser Ströme Differenzen von über

10 ° im Jahresmittel der Temperatur zwischen Nord-Amerika und Europa. Es wäre also in der That möglich, dass in Folge einer andern Vertheilung des Festen und Flüssigen auf der nördlichen Erdhälfte während der Periode der Eiszeit die Temperatur Mittel-Europa's um etwa 10 ° niedriger gewesen wäre als bisher. Wenn ferner zu jener Zeit die Sahara ein Meer war, so konnte damals die über ihr aufsteigende warme Luft nicht trocken und staubführend sein und so auch nicht Asien verwüsten; dieses hatte also wohl damals kühlere Sommer und mag so ebenfalls weniger erwärmend auf Europa eingewirkt haben, als gegenwärtig. -

Fassen wir diess Alles zusammen, so erscheint es also allerdings möglich, dass durch geologische Veränderungen auf der Erdoberfläche die Mitteltemperatur Europa's um etwa 15° geringer werden könnte, was wohl zur Produktion einer Eiszeit genügend wäre. Diese Erklärung der Eiszeit wird indessen so lange auf .schwanken Füssen stehen, als nicht die fortgesetzten geologischen Forschungen genauere Aufschlüsse über die Vertheilung von Land und .Meer zu dieser Zeit gegeben - haben werden. Der Einwand aber gegen diese Theorie der Eiszeit, dass sie ungenügend sei, weil auch für Nord-Amerika eine solche vorausgesetzt werden müsse, ist desshalb nicht stichhaltig, weil noch keine bestimmten Thatsachen auf eine Gleichzeitigkeit der Gletscher-Perioden in Europa und Amerika hinweisen. —

Eine ganz andere Erklärung der Eiszeit sucht die Gründe derselben in im Laufe der Zeit veränderten kosmischen Verhältnissen der Erde. Die Astronomie lehrt nämlich, dass die Elemente der Bahn unseres Planeten um die Sonne nicht ganz unveränderlich sind, sondern Im Laufe grösserer Zeiträume die Neigung der Erdaxe -gegen die Ebene der Ekliptik, die Excentricität der elliptischen

Erdbahn und die Lage der Apsidenlinie der Letztern periodische Aenderungen erfahren. Hieraus müssen aber nothwendig in langem entsprechenden Perioden Veränderungen in den Temperatur-Verhältnissen unserer Erde resultiren, die also vielleicht auch die Eiszeit erklären könnten. Glücklicher Weise hat vor Kurzem Hr. Professor Hirsch in Neuenburg eine gründliche Untersuchung über diese kosmischen Ursachen der Aenderungen des Klima's angestellt (siehe Bulletin de la société des sciences naturelles de Neuchâtel, 10 Janvier 1867), die uns selbst einer solchen enthebt. Die Resultate der astronomisch-meteorologischen Betrachtungen des Hrn. Hirsch sind kurz folgende:

«Die säcularen Veränderungen der Bahn-Elemente unsers Planeten sind fast ohne Einfluss auf die ganze Warme der Erdkugel, ja sogar auf die Mitteltemperaturen ihrer verschiedenen Zonen. Die Veränderung der Schiefe der Ekliptik verändert die Mitteltemperatur unserer Gegenden kaum um 1 ° und diejenige der Polarregionen um 4°. Die Variation der Excentricität der Erdbahn kann die Mitteltemperatur unsers Planeten nur um einen Bruchtheil eines Grades modifiziren und die Lage der Apasidenlinie hat gar keinen Einfluss auf dieses Element. Man kann also sagen, dass alle physikalischen Erscheinungen auf der Erde, welche wesentlich von der mittlern Jahrestemperatur abhangen, durch diese kosmischen Ursachen nicht merklich beeinflusst werden, mit einziger Ausnahme der Polarregionen, wo die grössere Schiefe der Ekliptik die Mitteltemperatur genügend steigern kann, um theilweise die Vegetation, welche ehemals Island und Grönland bekleidet hat, zu erklären. Dagegen verändern sich die Vertheilung der Temperatur nach den verschiedenen Jahreszeiten und die Entfernung der Extrem-Temperaturen bedeutend mit den astronomischen Elementen.

der Erde. Die Veränderung der Schiefe der Ekliptik kann nämlich dem Kontrast der Sommer- und Wintertemperaturen unserer Gegenden um 2 bis 3 °vergrössern; die säculare Verstellung aber der Apsidenlinie kann in dieser Hinsicht selbst bei dem gegenwärtigen Werth der Excentricität einen drei Mal so grossen Effekt hervorbringen, und zu den Zeiten, wo die Excentricität ihren grössten Werth erreicht, muss die Coincidenz des Sommers-Solstitiums mit dem Perihel für die fragliche Erdhälfte sogar eine so bedeutende Temperaturdifferenz der extremen Jahreszeiten herbeiführen, dass sie die gegenwärtige um mehr als 30 ° übertrifft. Ungeachtet der sehr hohen Sommerhitze, welche daraus für unsere Gegenden und selbst für viel nördlichere Breiten entstehen würde, dürfte es doch unmöglich sein, aus dieser einzigen Ursache alle Differenzen der paläontologischen Klimate und insbesondere die Eiszeit zu erklären.»

Auch uns will es scheinen, dass blosse Veränderungen in der Differenz der jährlichen Temperatur-Extreme ohne gleichzeitige bedeutende Verminderung der Mitteltemperatur die Eiszeit nicht zu erklären vermöge, und so können also diese kosmischen Ursachen höchstens zur Bildung der Eiszeit beigetragen, jedenfalls aber ihren Eintritt nicht allein bewerkstelligt haben.

Schwankungen in der Temperatur der Erde können aber ausser durch Aenderungen ihrer Oberfläche oder ihrer Bahnverhältnisse auch noch durch Modifikationen der strahlenden Körper selbst bedingt werden. Würde die von der Sonne der Erde zugesandte Wärmemenge in Folge von Veränderungen der Erstem in der That einer Ab- und Zunahme unterliegen, so liesse sich allerdings der periodische Wechsel der Klimate auf der Erde leicht erklären. Die Erde empfängt aber nicht bloss von der Sonne, sondern auch von der Gesammtheit der übrigen

Fixsterne im Weltraum durch Strahlung merkbare Wärmemengen die sogar nach Pouillet 5/6 der Sonnenwarme betragen sollen Es konnten daher anderseits auch die Eiszeit und analoge geologische Epochen darauf beruhen, dass unser Sonnensystem auf seiner grossen Reise durch den Weltraum bald durch sonnenärmere, bald durch sonnenreichere Gegenden wanderte und so auch unsere Erde in langen Perioden bald mehr, bald weniger Wärme von aussen empfinge Diese Hypothese nimmt O. Heer in Zürich in seinem Vortrag «Ueber die Polar-Länder» vom 6 Dezember 1866 in Anspruch, um daraus nicht bloss die Eiszeit, sondern auch die durch seine ausgezeichneten Forschungen erschlossene üppige Vegetation der Polarländer in der miocenen Zeit zu erklären Ihre Zulässigkeit aber an der Hand der Erfahrung zu prüfen, erfordert jedenfalls mehr als ein Menschenalter

So sehen wir denn bei der Frage über die Eiszeit. die gesammten Naturwissenschaften beschäftigt und werden damit, wenigstens auf diesem Gebiete auf die Verknüpfung alles Wissens hingewiesen, die sich allgemeiner ja auch in unserer Universitas litterarum abspiegeln soll.