Sonne und Erde
Rektoratsrede von
Verlag Paul Haupt Bern 1982
Sonne und Erde
Rektoratsrede von Prof. Dr. Johannes Geiss
Fragen nach der Beziehung zwischen Sonne und Erde sind von unverminderter Aktualität. Die Sonne ist zwar ein recht gewöhnlicher Stern unter den hundert Milliarden Sternen der Milchstrasse, und diese Milchstrasse ist selbst wiederum nur eines von unzähligen Sternsystemen des Universums. Doch fur uns ist die Sonne von einzigartiger Bedeutung: Als Zentralstern ist sie Gravitationszentrum unseres Planetensystems, Energiequelle für Klima und Leben. Verlöre die Sonne nur zehn Prozent ihrer Leuchtkraft, so würden unsere Ozeane vereisen, und ganz ohne Sonnenstrahlen würde sogar noch die Luft gefrieren. Doch haben wir die Gewissheit, dass die Sonne morgen wieder scheinen wird, denn die Energie ihrer Strahlung stammt aus Kernreaktionen, deren Brennstoff noch für fünf Milliarden Jahre ausreicht, eine Ewigkeit im Vergleich zu der Zeitspanne, die wir geschichtlich überblicken. Ebenso sicher sind wir, dass der nächste Sommer kommen wird. Mit den Gesetzen der Mechanik können wir berechnen, dass die Sonne im Sommer 1983 am Himmel stehen wird wie 1982, nur um drei winzige Bogensekunden höher, das entspricht zwei Tausendsteln des Durchmessers der Sonnenscheibe. Aussagen wie diese über die Sonne erscheinen uns heute ganz einleuchtend und werden mit Recht als gesicherte Erkenntnisse akzeptiert. Und doch sind sie erst das Resultat einer Entwicklung unserer Naturerkenntnis. die sich über Jahrtausende zurückverfolgen lässt. Die Auseinandersetzung über die Stellung von Erde und Sonne im Kosmos begleitet die gesamte Kulturgeschichte des Menschen, ja sie stellt ein Kernstück dieser Kulturgeschichte dar. Die Entwicklung unserer Erkenntnisse über Erde und Sonne reflektiert die Wechselwirkung zwischen Religion und Wissenschaft. Sie ist vom Mystischen genauso geprägt wie vom Rationalen, und auch ökonomische und gesellschaftliche Einflüsse lassen sich deutlich erkennen.
Ich möchte versuchen, einige Stationen dieser Entwicklung aus der Sicht des Naturwissenschafters zu erläutern, und dann auf heutiges Wissen und offene Fragen eingehen. Denn es gibt noch ganz wesentliche Fragen über die Sonne und ihre Wirkungen auf der Erde, die wir nicht beantworten können. So wissen wir nicht einmal, wie rasch die Sonne wirklich rotiert, eine Wissenslücke, die erhebliche Unsicherheiten in unsere Berechnung des Aufbaus der Sonne bringt. Wir kennen zwar seit langer Zeit Sonnenflecken und Sonneneruptionen (Abb. 1), wissen aber nicht, ob sie einen merklichen Einfluss auf das Klima der Erde haben. Wir verfügen zwar über detaillierte Modelle unseres Klimasystems, verstehen aber immer noch nicht das charakteristische Phänomen unserer erdgeschichtlichen Epoche, den Wechsel zwischen Eiszeiten und Warmzeiten. Schliesslich kennen wir zwar im Detail die mehrstufigen Prozesse, mit
1926 geboren in Stolp (Polen)
1953 Promovierung zum Dr. rer. nat. an der Universität von Göttingen
1957 Habilitation an der Universität Bern
1953-1958 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Univorsitzen von Bern und Chicago
1958 Associate Professor of Ozeanography, University of Miami
1960 Extraordinarius an der Universität Bern
1964 Ordinarius an der Universität Bern, ab 1966 auch Direktor des Physik. Institutes
1961-1975 Längere Forschungsaufenthalte in den USA (Goddard Institute for Space Studies in New York und NASA Centro in Houston) und Frankreich (Université Paul Sabatier in Toulouse)
1970/1971 Dekan der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät
1973 NASA Medal for Exceptional Scientific Achievement
1978 Auswärtiges Mitglied der National Academy of Sciences, USA, und der American Academy of Arts and Sciences
1979 Ernennung zum Vorsitzenden der Kommission für Weltraumforschung der Fondation Européenne de la Science denen die Pflanzen die Sonnenenergie nutzen und die lebensnotwendigen organischen Moleküle herstellen 1, unsere Fähigkeit aber, die Sonnenenergie für die Ansprüche der Zivilisation zu nutzen, ist bisher bescheiden geblieben.
Die Sonne im Altertum
Die Sonne kann als Lichtquelle und damit als Ursache für den Tagesrhythmus unmittelbar erkannt werden, und auch die täglichen Temperaturschwankungen sind sicher bereits vom prähistorischen Menschen auf die Sonne zurückgeführt worden. Schwieriger ist es schon zu erkennen, dass die zyklischen klimatischen Veränderungen im Laufe eines Jahres — die Jahreszeiten — kausal vom Sonnenstand abhängen. Die wechselnde Gestalt des Mondes erweckte in den frühen Kulturen oft mehr Aufmerksamkeit als der Sonnenstand. Kalender, etwa bei den Sumerern, wurden primär auf die Mondphasen aufgebaut.
In Ägypten gab es vor der Errichtung des Assuandammes allerdings ein ausgeprägtes Ereignis, das jährlich regelmässig wiederkehrte: die Nilüberschwemmung. Diese brachte Wasser und Nährstoffe und bildete so die Grundlage der dortigen Zivilisation. Eine Vorhersage des Beginns der Überschwemmungen war deshalb im alten Ägypten ein überragendes ökonomisches Anliegen. Und schon im 4. Jahrtausend v. Chr. erkannten die Priesterastronomen, dass die Überschwemmungen bevorstanden, wenn der Sirius am Morgenhimmel wieder sichtbar wurde, das heisst wenn sich die Sonne auf ihrem jährlichen Gang
über den Fixsternenhimmel so weit von
diesem markanten Stern entfernt hatte,
dass er gerade noch vor Sonnenaufgang
erkannt werden konnte. So wurde die
Länge des Jahres schön 3000 v. Chr. zu
365 Tagen bestimmt. Nach weiteren Beobachtungen
wurde der erstaunlich genaue
Wert von 365 1/4 Tagen erreicht, ein
Wert, der von der exakten Länge des tropischen
Jahres nur um elf Minuten abweicht.
Das ägyptische Sonnenjahr von
365 1/4 Tagen bildete die Grundlage für
den Julianischen Kalender mit seinen
Schaltjahren, den Cäsar 47 v. Chr. im
römischen Reich einführte und der im
Abendland gültig blieb, bis er 1582
n. Chr. durch den Gregorianischen Kalender
ersetzt wurde.
Die Vorhersage des Zeitpunkts der Nilüberschwemmungen war zunächst nur eine empirische Aussage. Die Stellung der Sonne relativ zum Sirius diente als Zeitmarke. Der kausale Zusammenhang zwischen Sonnenstand und Nilpegel ist auch nicht leicht zu durchschauen, da das lokale Klima geradezu gegensätzlich verläuft: Im Sommer, zur Zeit des Nilhochwassers, gibt es in der Levante nämlich besonders wenig Niederschläge. Die Nilüberschwemmung in Ägypten folgt vielmehr der Regenzeit in den weit entfernten Quellgebieten des blauen Nil im äthiopischen Hochland. Diese sommerlichen Regen ergeben sich, wie die Monsunregen in Südasien und in der Sahelzone, durch die Verschiebung der intertropischen Konvergenzzone (Abb. 2), die der Sonne auf ihrem jährlichen Weg zwischen den Wendekreisen nachfolgt. Im alten Ägypten mussten die exakten Vorhersagen der Überschwemmungen wegen des Mangels an Einsicht in diese Zusammenhänge als Zauberei erscheinen, und die Astronomen konnten für sich göttliche Eingebung in Anspruch nehmen.
Abh. 1. Sonneneruption, photographiert vom NASA-Satelliten Skylab; Aufnahme im Ultraviolettlicht einer Spektrallinie des ionisierten Helium. Durch diese Aufnahmetechnik wird die heraufgeschleuderte heisse Materie deutlich sichtbar.Die damaligen Gelehrten wussten zwar den Zeitpunkt, nicht aber die Höhe der Nilüberschwemmungen künftiger Jahre vorauszusagen, und so war der biblische Pharao in dieser ökonomisch so wichtigen Frage auf die Traumdeutung Josephs angewiesen. Bis heute kann die Wissenschaft diese und ähnliche Fragen nicht beantworten. Wir können stochastische Prozesse von kausal bedingten Veränderungen des Klimas nicht sicher trennen und kennen zudem die Faktoren und Prozesse, die das Klima bestimmen, nicht gut genug, um Schwankungen im Zeitbereich einiger Jahre ursächlich zu verstehen, geschweige denn sie vorauszusagen 2. Eine geringe Verschiebung einer Klimazone kann in ihrem Randgebiet grosse Veränderungen bewirken. Die Quellen des blauen Nil und die Sahelzone liegen in einem solchen klimatischen Randgebiet 3.
Das heliozentrische Weltbild am Anfang der modernen Zeit
Bei der Erforschung der Sonne und ihrer Wirkung auf die Erde sind Grundlagenforschung und deren Anwendung eng verflochten. Während ein praktisches Problem die Ägypter auf die Entdeckung
Abb. 2. Durch die jahreszeitliche Verschiebung der intertropischen Konvergenzzone verlagert sich eine Wolken- und Regenzone von Süden im Winter (rechtes Bild) nach Norden im Sommer (linkes Bild). Die sommerlichen Regen in der Sahelzone und im Quellgebiet des blauen Nil hängen kritisch von dieser Verlagerung ab (Aufnahme des Satelliten METEOSAT der ESA).
der exakten Periodizität von Bewegungen am Himmel führte, standen im klassischen Altertum grundsätzliche Fragen über den Kosmos im Vordergrund. Es galt, für die scheinbar verwirrenden Bewegungen von Sonne und Planeten eine Ordnung zu finden. Dieses Problem fand seine Lösung erst zu Beginn der Neuzeit, aufgrund von neuen, präzisen Beobachtungen der Planetenbahnen. Das heliozentrische System setzte sich durch, und es gelang Newton, eine Dynamik zu formulieren, die Bewegungen am Himmel wie auf der Erde mit grosser Präzision zu beschreiben vermag. Dies war der erste Schritt in die moderne Naturwissenschaft, deren Hauptanliegen in der Suche nach möglichst umfassenden, nach universellen Naturgesetzen besteht. Die postulierte. Bezüglich der Bewegungen im Sonnensystem unterscheiden sich die Theorien von Newton und Einstein nur ganz wenig. (So berechneten die Computer die Mondfahrten mit Newtons Gleichungen und brachten die Astronauten problemlos ans Ziel.) Fundamentale Unterschiede ergeben sich erst bei der Anwendung auf kosmische Dimensionen: Man kann mit Newtons Gesetzen das expandierende Weltall nicht erfassen, wohl aber mit Einsteins Gravitationstheorie. Prüfen können wir Einsteins Theorie jedoch wieder am besten durch Analyse von Bewegungen im Kraftfeld der Sonne. Heute wird die geringe Krümmung des dreidimensionalen Raumes, die Einsteins Theorie in der Umgebung der Sonne postuliert, MERKUR Entwicklung der Technik in den folgenden Jahrhunderten beruhte auf der Kenntnis dieser allgemein gültigen Naturgesetze.
Sonne und Universum
Newtons Gesetze wurden als endgültig angesehen, bis Einstein eine neue Gravitationstheorie durch Vermessung der Bahnen von Planeten und Weltraumsonden mit grosser Präzision ausgelotet (Abb. 3).
Ein weiteres Beispiel dafür, wie Sonnenforschung noch heute zu Erkenntnissen über das Universum führt, sind die «Sonnensegel», die von den Astronauten zum Einfang von Sonnenwindteilchen auf dem Mond aufgestellt wurden (Abb. 4).
Abb. 3. Die Masse der Sonne bewirkt in ihrer Umgebung eine Krümmung des dreidimensionalen Raumes 4, die sich in der Bewegung von Planeten und Weltraumsonden schwach bemerkbar macht.Die Stärke der Raumkrümmung ist hier als Mulde in einer Ebene dargestellt, unter 1000facher Vergrösserung der Vertikalen.
Es gelang mit diesem Experiment, Isotopenverhältnisse in der solaren Materie zu bestimmen. Aufgrund der Ergebnisse konnten wir eine Lücke im Verständnis der Syntheseprozesse im frühen Universum schliessen 5.
Die Sonne, Energiequelle Für Klima und Leben
Die Dynamik Newtons hatte zwar das Problem der Planetenbewegungen gelöst. Über die Natur der Himmelskörper sagte sie aber nichts aus. Wilhelm Herschel, der bedeutendste Astronom seiner Zeit, beschreibt noch 1795 die Sonne als einen dunklen Körper, der von einer dicken, in ihren obersten Schichten leuchtenden Atmosphäre umgeben ist. Die Sonnenflecken sind Lücken in dieser Schicht, die gelegentlich einen Blick in die Tiefe gestatten. Auf Herschels Sonne gibt es günstige Lebensbedingungen, und er betrachtet es als sehr wahrscheinlich, dass die Sonne von Lebewesen bewohnt ist.
Man muss sich daran erinnern, dass damals der Zusammenhang zwischen Wärme und Energie noch unklar war. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte sich die Vorstellung der Sonne als einer heissen Gaskugel durchsetzen, in deren Innerem sich Gasdruck und Gravitation die Waage halten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde erkannt, dass wir auf eine Erdgeschichte von einigen Milliarden Jahren zurückblicken. Diese geologische Einsicht führte zur Entdeckung der Energiequelle der Sonne: Nur Kernreaktionen können es der Sonne ermöglichen, während so langer Zeit zu strahlen.
In diesen Kernreaktionen wird durch Fusion Wasserstoff zu Helium umgewandelt. Der Prozess spielt sich vornehmlich
Abh. 4. Mit der Methode des Einfangs von Sonnenwindteilchen auf dem Mond wurden Isotopenverhältnisse in der solaren Materie bestimmt (Aufnahme der Sonnenwindfolie durch die Apollo-15-Astronauten; im Hintergrund Mt. Hadley).im innersten Teil der Sonne ab, bei Dichten von über 100 g/cm² und Temperaturen von über zehn Millionen Grad, bei Bedingungen also, die für unsere Begriffe extrem sind. Aber trotzdem erfolgt der Energieumsatz nicht etwa heftig, sondern langsam und wahrscheinlich sehr gleichmässig. Ein Vergleich des Metabolismus von Mensch und Sonne mag dies veranschaulichen: Während der Mensch täglich 10000 Kilo-Joule umsetzt, beträgt der Energieumsatz in einem Stück Materie von 75 kg im Sonneninnern täglich nur 5 Kilo-Joule (Abb.5).
Dieser im Vergleich zum Energievorrat äusserst langsame Verbrauch ergibt eine Stabilität, die es der Sonne ermöglicht, während vielen Milliarden Jahren mit nur sehr langsam steigender Leuchtkraft zu strahlen. Hierauf konnte sich das Leben auf der Erde einstellen, Pflanzen konnten die komplexen mehrstufigen Prozesse 1 entwickeln, die zur Photosynthese von Kohlehydraten und Proteinen aus anorganischen Stoffen nötig sind.
Venus und Erde, die ungleichen Schwestern
Die Sonnenstrahlung ist die einzige
Energiequelle des Klimasystems der
Erde. Bestimmend für unser Klima sind
aber ebensosehr irdische Faktoren. Das
irdische Klima beruht auf einem subtilen
Gleichgewicht, das durch relativ geringe
Veränderungen der Sonnenstrahlung
oder irdischer Faktoren stark gestört
werden kann. So recht bewusst wird uns
dies, wenn wir die Erde mit den anderen
Planeten des Sonnensystems vergleichen.
Wir wissen heute, dass sich die
Planeten stark im Gehalt an flüchtigen
Elementen unterscheiden, die fest, flüssig
oder gasförmig vorkommen. Zum Teil
gehen diese Unterschiede auf Kondensations-
und Separationsprozesse vor und während der Bildung des Sonnensystems zurück 6 Zum Teil sind sie aber auch das Resultat einer Evolution, die bei den verschiedenen Planeten ganz verschieden verlaufen ist 7.
Besonders eindrücklich ist der Vergleich zwischen Venus und Erde. Obwohl die beiden Nachbarplaneten etwa gleiche Masse besitzen und von gleicher Grösse sind, unterscheiden sie sich enorm in ihren Atmosphären und bezüglich ihrer Oberflächentemperaturen (Abb. 6). Die Intensität der Sonnenstrahlung auf die Venus ist etwa doppelt so gross wie diejenige auf die Erde. Durch diesen Unterschied würde sich, bei gleichen optischen Eigenschaften der Atmosphären und Oberflächen, eine Temperaturdifferenz von etwa 60 Grad ergeben. Tatsächlich haben wir aber auf der Venus eine mittlere Oberflächentemperatur von 460 Grad Celsius 9, während diese auf der Erde nur 15 Grad Celsius beträgt.
Wie ist dieser grosse Unterschied zu verstehen? Unter irdischen Temperaturbedingungen ist das Kohlendioxyd in den Sedimentgesteinen stabil gebunden. Unsere
Abb. 6. Vergleich der Bedingungen auf der Oberfläche von Venus und Erde. Die dichte Atmosphäre der Venus besteht zu 96 Prozent aus Kohlendioxyd. Wasser liegt auf der Venus hauptsächlich dampfförmig vor, der Vorrat ist sehr klein, kondensiert würde er eine globale Ozeantiefe von nur 4 cm ergeben. Isotopenmessungen weisen darauf hin, dass der Wassergehalt der Venus früher wesentlich höher war 8
Atmosphäre enthält nur Spuren dieses Gases, die aber doch genügen, um zusammen mit dem Wasserdampf in der Luft einen «Treibhauseffekt» zu bewirken: Die mittlere Oberflächentemperatur der Erde ist um etwa 30 Grad Celsius höher, als sie bei einer wasser- und kohlendioxydfreien Atmosphäre wäre.
Die enorme Hitze auf der Venus ist selbsterhaltend: Bei den dort herrschenden Temperaturen sind Kohlendioxyd wie auch Schwefeloxyde flüchtig. Die Venus hat daher eine dichte Atmosphäre mit einer Wolkendecke, die zum grossen Teil aus konzentrierter Schwefelsäure man sich die Frage stellen, ob etwas Ähnliches auch auf der Erde passieren könnte. Wäre es möglich, dass natürliche oder gar anthropogene Veränderungen in der Atmosphäre einen katastrophalen Prozess, einen run-away process, auslösen, bei dem sich eine wasserdampf- und kohlendioxydreiche Atmosphäre bildet, die dann zu einem venusartigen Zustand führen würde?
Modellrechnungen 11 ergeben, dass die
Erde während ihrer Entwicklung vielleicht
nur recht knapp dem Schicksal der
Venus entgangen ist. Dies zeigt, wie eng
begrenzt die Bedingungen dafür sind,
besteht. Kohlendioxyd und Wasserdampf
der Atmosphäre erzeugen einen
Treibhauseffekt, der unvergleichlich
stärker ist als auf der Erde (Abb. 7). Die
resultierende hohe Bodentemperatur verhindert
die Bindung des Kohlendioxyd in
die Gesteine.
Angesichts der extremen atmosphärischen Bedingungen auf der Venus muss dass die Entstehung von Leben und die Entwicklung von höherem Leben auf einem Planeten überhaupt möglich ist. Das Leben hat sich auf der Erde entwickelt und dann entscheidend zur Bildung der Kalksteinsedimente beigetragen, die das Kohlendioxyd so fest binden, dass heute ein Übergang in den Venuszustand nicht zu befürchten ist.
Abb. 7. Temperaturverlauf in den Atmosphären von Venus und Erde. Der Temperaturanstieg zur Oberfläche des Planeten hin ist eine Folge des «Treibhauseffekts». Dieser ist auf der Venus wesentlich ausgeprägter als auf der Erde 10Ursachen für Klimavariationen
Dies bedeutet aber nicht, dass unser Klimasystem besonders stabil ist. Im Gegenteil, es reagiert sehr empfindlich auf Störungen. In einigen Fällen hat man schon Klimaänderungen mit externen Störungen in Zusammenhang bringen können.
Die Erdbahn und die Richtung der Erdachse werden durch die Gravitationskräfte der anderen Planeten periodisch verändert. Dies beeinflusst zwar nicht wesentlich die mittlere Bestrahlung auf die Erde, wohl aber deren zeitliche und geographische Verteilung 12, Es zeigt sich nun, dass der Wechsel zwischen Eiszeiten und Warmzeiten im späten Quartär ungefähr synchron mit diesen himmelsmechanischen Änderungen verläuft 13 Diese werden daher als auslösendes Element für den Eiszeitenzyklus angesehen. Eine eigentliche Theorie der Eiszeit, die auch die starken irdischen Sekundäreffekte berücksichtigt, gibt es jedoch noch nicht.
Einige kurzzeitige Klimaschwankungen hat man mit Vulkanausbrüchen in Verbindung bringen können 14. Im Gefolge dieser Ausbrüche bleiben feinste Staubteilchen ein bis zwei Jahre in der Stratosphäre und erhöhen den Anteil der Sonnenstrahlung, die ungenützt zurückgeworfen wird.
Beeinflussen Vorgänge auf der Sonne das Klima?
Die Frage, ob und in welchem Masse Veränderungen auf der Sonne selbst signifikante Klimaschwankungen hervorrufen, ist zurzeit noch umstritten. Nun ist die Sonne zwar, wie schon erwähnt, an sich ein sehr stabiles Gebilde. Dies heisst aber nicht, dass sie doch ein makelloses Gestirn im aristotelischen Sinne ist, absolut unveränderlich in ihrer Ausstrahlung. Zwar können wir annehmen, dass die Kernreaktionen im Sonneninnern über viele Jahrtausende mit grosser Konstanz ablaufen 15. Der Transport der Energie an die Sonnenoberfläche kann jedoch Schwankungen unterworfen sein, die zu Variationen der Ausstrahlung führen, und tatsächlich sind heute Schwankungen bezüglich Qualität und Quantität der Sonnenstrahlung bekannt.
Variationen der solaren Gesamtstrahlung, der sogenannten Solarkonstanten, lassen sich vom Boden aus nicht mit genügender Genauigkeit studieren, zu gross sind die atmosphärischen Störungen. Präzise Satellitenmessungen gibt es erst über weniger als ein Jahr. Sie ergaben eine bemerkenswerte Konstanz der Sonnenstrahlung mit gelegentlichen kurzzeitigen Schwankungen von ein oder zwei Zehntel Prozent (Abb. 8). Deren klimatische Wirkung ist sicher unbedeutend und geht ohnehin in den stochastischen Schwankungen unter. Ob es auch über längere Zeiten Veränderungen der Solarkonstanten von einigen Zehntel Prozent gibt, die dann klimatisch durchaus wirksam würden, kann wohl erst nach langjährigen Satellitenbeobachtungen entschieden werden.
Während also Variationen der Solarkonstanten bisher an der Grenze des Messbaren liegen, beobachten wir starke Schwankungen in den «harten» Komponenten der Sonnenstrahlung, das heisst im Sonnenwind und in dem kurzwelligen

Sonnenwind und Ultraviolettstrahlung
wirklich, dass der Zustand der oberen Schichten unserer Atmosphäre stark von der Sonnenaktivität und vom Sonnenwind beeinflusst wird. Ein recht spektakuläres Beispiel ist in Abbildung 10 wiedergegeben. Der Sonnenwind löst unter bestimmten Bedingungen magnetische Stürme aus 19, bei denen es zur Ausbildung starker elektrischer Felder und zum «Niederschlag» von Sonnenwindteilchen in die Atmosphäre kommt 20. Dieser Vorgang führt zur Anheizung und verstärkten Ionisation der obersten Schichten der Atmosphäre und erzeugt durch Anregung der Moleküle das in der Abbildung 10 sichtbare Aurora-Licht. Ob sich derartige Veränderungen der oberen Atmosphäre auf die untere Atmosphäre übertragen, deren Zustand unser Klima ausmacht, können wir noch nicht entscheiden. Sonnenwind und harte Ultraviolettstrahlung werden erst seit ein bis zwei Jahrzehnten beobachtet, eine Zeitspanne, die zu kurz ist, um Klimaeffekte statistisch einwandfrei nachzuweisen.
Für längere Zeiten, für mehrere Jahrhunderte
verfügen wir über die Beobachtung
von Sonnenflecken, die wir als Indikator
für die allgemeine Sonnenaktivität
benutzen können. Die Sonnenflecken
zeigt nicht nur den bekannten elfjährigen
Zyklus 21, sondern es gibt gelegentlich
Perioden von mehreren Jahrzehnten,
während denen die Sonnenfleckenzahl minimal bleibt 22. Das auffällige Zusammentreffen von solchen Perioden geringer Sonnenaktivität mit Kälteperioden auf der Erde hat zu der Vermutung geführt, dass hier ein kausaler Zusammenhang besteht. Eine genauere Analyse des Klimaverlaufs der letzten Jahrhunderte bestätigt diese Hypothese aber nur teilweise. Ein Zusammenwirken von Sonnenaktivität und erhöhter Vulkantätigkeit ist zurzeit die wahrscheinlichste Erklärung.
Die Rolle des Menschen
Von besonderer Aktualität ist heute der
Einfluss des Menschen auf das Klima.
Durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe
werden grosse Mengen von Kohlendioxyd
freigesetzt, und zwar so rasch,
dass die Aufnahme durch die Ozeane
nicht optimal ist 23. So ist der Gehalt an
Kohlendioxyd in unserer Atmosphäre
schon jetzt nachweislich um etwa zwanzig
Prozent gestiegen 24, und er wird in
den nächsten Jahrzehnten beschleunigt
weiter steigen. Die Erhöhung des Kohlendioxydgehalts
verstärkt den Treibhauseffekt,
aber Abschätzungen des zu
erwartenden Temperaturanstiegs sind
mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.
Eine solche Schätzung 25 ist in Abbildung
11 eingezeichnet und mit dem beobachteten
globalen Temperaturverlauf
verglichen. Beide Kurven ergeben einen
Anstieg von gleicher Grössenordnung,
etwa 0,5 Grad. Die besonders hohen Temperaturen zwischen etwa 1925 und 1950 können aber nicht auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückgeführt werden. Als mögliche Ursachen kommen verschiedene Faktoren in Frage, darunter auch Veränderungen in der Sonnenstrahlung von nur ein oder zwei Zehntel Prozent.
Die Abbildung 11 demonstriert eindrücklich, dass es nicht möglich ist, den Effekt der Verbrennung von fossilen Brennstoffen zu erkennen, solange wir die natürlichen klimabestimmenden Faktoren nicht besser verstehen. Bisher sind wir auf theoretische Schätzungen angewiesen, und diese besagen, dass eine Fortsetzung der Fossilverbrennung selbst bei nur bescheidener Steigerung in einigen Jahrzehnten gravierende Klimaänderungen ergeben wird, deren Sekundärwirkungen wir wiederum nicht richtig abschätzen können. Hier wird der enge Zusammenhang zwischen dem Problem anthropogener Klimaänderungen und der Suche nach Energiequellen für die Zukunft deutlich. Global einfach Öl durch Kohle zu ersetzen, wird nicht der richtige Weg in die Zukunft sein. Vielmehr ist Rückbesinnung auf unsere natürliche Licht- und Energiequelle, die Sonne, geboten. Auf sie müssen wir Architektur und Lebensgewohnheiten wieder einstellen, und wir müssen durch Forschen und Probieren die richtigen Wege finden, auf denen wir einen grösseren Anteil unseres Energiebedarfs aus dieser natürlichen Quelle decken können.
Wir wissen heute nicht, ob es in der Milchstrasse oder sonst irgendwo innerhalb unseres Horizonts im Universum einen anderen Stern gibt, dessen Strahlung auf einem seiner Planeten Leben ermöglicht. Von dort aus gesehen wäre dann unsere Sonne ein unscheinbarer Stern. Für uns aber ist sie heute wie im Altertum von zentraler Bedeutung, und in diesem Sinne sind wir Heliozentriker geblieben. Denn unsere Entwicklung stellt uns immer wieder vor neue Fragen und Probleme, die eine weitergehende Erforschung der Sonne, ihre Strahlungen und deren Wirkung auf die Erde erfordern. Vieles haben wir gelernt über die Beziehung zwischen Sonne und Erde, aber Wesentliches ist noch zu erforschen, und manches wird vielleicht immer rätselhaft bleiben.
Anmerkungen und Literaturhinweise
dahin angenommen. Diese reduzierte. Menge von Deuterium kann im Frühstadium des Universums (Urknall) produziert worden sein (J. Geiss, P. Eberhardt, F. Bühler, J. Meister und P. Signer, J. Geophys. Res. 75, 5972-5979, 1970. —J. Geiss und H. Reeves, Astron. Astrophys. 18, 126-132, 1972).