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SIEBZIG JAHRE SCHWEIZERISCHES ZIVILGESETZBUCH

Festvortrag, gehalten am Dies academicus der Universität Freiburg Schweiz

am 15. November 1982
1983
UNIVERSITÄTSVERLAG FREIBURG SCHWEIZ

Veröffentlicht mir Unterstützung des Hochschulrates der Universität Freiburg Schweiz

© 1983 by Universitätsverlag Freiburg Schweiz
Paulusdruckerei Freiburg Schweiz
ISBN 3-7278-O3O2-9)

I

Es ist akademischer Brauch, daß ein Rektor am Dies über sein Fachgebiet spricht. Diese Sitte droht im Zeitalter der beinahe hauptamtlichen Rektorate unterzugehen. Die Gunst der Stunde will es, daß der Hauptgegenstand meiner Lehr- und Forschungstätigkeit, das Schweizerische Zivilgesetzbuch, heuer ein Jubiläum feiert. So liegt es denn nahe, daß ich diesem Festkind ein paar Gedanken widme. Sie sind vom Fachmann zu mehrheitlich Nicht-Fachleuten gesprochen, mit dem doppelten Risiko, vom Laien nicht verstanden und vom Fachmann als banal empfunden zu werden.

Man mag sich darüber streiten, ob das Schweizerische Zivilgesetzbuch nunmehr siebzig- oder fünfundsiebzigjährig ist. Die eidgenössischen Räte haben es am 10. Dezember 1907, vor fünfundsiebzig Jahren, einstimmig angenommen. Es ist am 1. Januar 1912, vor siebzig Jahren, in Kraft getreten. Wenn auch schweizerische Gesetze im offiziellen Titel das Datum der Annahme durch das

Parlament tragen, so hat sich in der Rechtswissenschaft und im Bewußtsein der Rechtsgenossen für das Schweizerische Zivilgesetzbuch doch der 1. Januar 1912 als die eigentliche Geburtsstunde eingebürgert. Die Zeitschrift für schweizerisches Recht hat ihre Jubiläumsschrift «50 Jahre Schweizerisches Zivilgesetzbuch» 1962 herausgegeben. Damals fand auch die Jubiläumsausstellung in der Landesbibliothek zu Bern statt. Für alle übergangsrechtlichen Fragen (gilt altes oder neues Recht?) ist das Jahr 1912 entscheidend. Das zeigt sich vor allem im Sachenrecht. Als Walliser-Notare mußten wir für jene Grundstücke, welche in Gemeinden lagen, die das eidgenössische Grundbuch noch nicht eingeführt hatten, jeweils die Herkunft angeben. Lag indessen diese Herkunft des Eigentumstitels in der Zeit vor 1912, so genügte der Hinweis: «vor 1912». Dieses Datum war denn auch meinen Klienten noch durchaus geläufig.

So wollen wir denn siebzig Jahre Schweizerisches Zivilgesetzbuch feiern. In vierfacher Weise sei des Jubilaren gedacht: Vorerst gedenken wir der Entstehung des Gesetzes. Alsdann sei den Abänderungen seit 1912 unsere Aufmerksamkeit gewidmet. Danach gilt es sich zu fragen, inwiefern das Gesetz durch Lehre und Praxis fortentwickelt worden ist. Schließlich seien einige Überlegungen der Zukunft gewidmet.

Der guten Ordnung halber sei hier festgehalten, daß ich unter Schweizerischem Zivilgesetzbuch in dieser Rede das Schweizerische Zivilgesetzbuch im engeren Sinne des Wortes verstehe, jenes Gesetz also, das in der Adventszeit 1907 von den eidgenössischen Räten verabschiedet worden ist. Es ist das Gesetzbuch, welches neben einer kurzen Einleitung das Personenrecht, das Familienrecht, das Erbrecht und das Sachenrecht umfaßt. Das Schweizerische Obligationenrecht, welches in diesen Jahren sein hundertstes Jubiläum feiert, gilt seit 1912 als fünfter Teil des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Indessen ist dieser Teil derart selbständig, daß er im täglichen Sprachgebrauch nicht als fünfter Teil des Zivilgesetzbuches geläufig ist. Im übrigen erlaube man mir, statt vom Schweizerischen Zivilgesetzbuch regelmäßig vom ZGB zu sprechen.

II

Als im neunzehnten Jahrhundert in den meisten schweizerischen Kantonen Privatrechtsgesetzbücher geschaffen wurden, stand jeweils eine Persönlichkeit im Vordergrund. Dies war denn auch so bei der Schaffung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Jedermann weiß, daß Eugen Huber zu Recht als Schöpfer des ZGB gilt. Dies mag in

einem Lande, welches sich als Muster-Demokratie versteht, Verwunderung erregen. Es war nur möglich, weil Eugen Huber in ungewöhnlich hohem Maße jene Eigenschaften in sich vereinigt hat, die ihn zum Gesetzesschöpfer prädestinierten.

Am heutigen Stiftungsfest einer Hochschule sei zunächst der Tatsache gedacht, daß der Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuches ein Hochschullehrer gewesen ist. Mit der Wahl eines Hochschullehrers wurden demnach bereits vor hundert Jahren Weichen gestellt für Entwicklungen, die weit über den engen Bereich der Hochschule hinausgehen. Der Berner Professor Theo Guhl erzählt, daß Eugen Huber bei seiner ersten rechtsgeschichtlichen Vorlesung als Privatdozent im Sommersemester 1873 an der Universität Zürich keinen einzigen Hörer anzulocken vermochte, und daß er ein ganzes Leben lang dem ersten Kolleg im Semester und besonders der Eröffnung einer neugeschaffenen Vorlesung mit einer gewissen Unruhe entgegensah. Dies mag für manchen Dozenten tröstlich sein.

Vorerst schien allerdings Eugen Hubers akademische Laufbahn in keiner Weise gesichert. Die Berner Regierung wählte im Jahre 1875 an Stelle des von der Fakultät einstimmig und primo loco vorgeschlagenen Eugen Huber einen hierzulande unbekannten Privatdozenten. Huber wurde Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung. Bald nachher

tauschte er sein fürstliches Salär von zehntausend Franken gegen dreitausend Franken ein, um als Verhörrichter und Polizeidirektor im Kanton Appenzell Außerrhoden Rechtspraxis zu erleben. Dreieinhalb Jahre später erhielt er einen Ruf der Basler Regierung: Zuerst als außerordentlicher und dann als ordentlicher Professor für schweizerisches Zivilrecht, schweizerische Rechtsgeschichte und schweizerisches Bundesstaatsrecht. Theo Guhl bemerkt dazu: «Diese Berufung stellt ein bleibendes Verdienst der Basler Universitätsbehörden dar und beweist zugleich ... den Segen einer Mehrzahl von schweizerischen Universitäten: Was Zürich als Heimatkanton seinem Mitbürger, was Bern dem Zürcher versagte, holte Basel in geschickter Weise und in klarer Erkenntnis der Begabung Hubers nach»1. So kommt denn der Berner Regierung das Verdienst zu, Eugen Huber zur Praxis gezwungen, der Basler jedoch, ihn wieder für die Wissenschaft zurückgewonnen zu haben.

Eugen Huber war aber namentlich deshalb zum Gesetzgeber geeignet, weil er weit mehr war als ein Norm-Interpret. Er war Rechtshistoriker; seine Geschichte des schweizerischen Privatrechts wird als sein schönstes Werk empfunden. Er war Rechtsphilosoph; sein Werk «Recht und Rechtsverwirklichung» 2 trägt den Untertitel «Probleme der Gesetzgebung und der Rechtsphilosophie» 3.

Huber kannte wie kein Zweiter die kantonalen Rechte. Er war also das, was man heute einen Komparatisten, einen Spezialisten in Rechtsvergleichung, nennen würde. Wer die dritte Abteilung «Recht und Rechtsverwirklichung» 4 liest, spürt, wie sehr Eugen Huber Rechtssoziologe gewesen ist. Die Realien der Gesetzgebung sind für ihn «das Material, womit jedes Recht aufgebaut werden muß» 5. Sie setzen für die Gestaltung wie für die Anwendung des Rechts «gewisse Bedingungen ..., die weder von der Gesetzgebung noch vom Richter übersehen werden dürfen» 6. Eugen Huber war getragen von einem hohen Rechtsethos, nach einem, der ihn kannte, «ein mit beharrlicher Begeisterung wirkender Kämpfer der Menschlichkeit» 7. Er besaß die Gabe der Integration. Er konnte verständlich und prägnant formulieren. All dies weiß man. Wir wollen uns am heutigen Tage aber vor allem darüber freuen, daß dieser gleiche Eugen Huber, der als Gesetzes-Schöpfer im Nationalrat sein Werk mit Erfolg verfochten hat, dabei im Tiefsten Hochschullehrer geblieben ist. Nach dem Zeugnis eines Schülers war seine Lehrtätigkeit, seine Begegnung mit den Studenten stets von einem Leuchten begleitet und freute ihn das Lehren bis zum Schwinden seiner Kräfte 8.

III

Doch nun zurück zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch. Was ist mit den neunhundertsiebenundsiebzig Artikeln, welche in der Neujahrsnacht 1911/12 Gesetz geworden sind, bis heute geschehen? Vorerst sei gefragt, ob sie denn noch alle in Kraft seien. Das gilt für die Mehrzahl von ihnen. Außer auf dem Gebiete des bäuerlichen Rechtes ist bis in die Mitte der Sechzigerjahre am Schweizerischen Zivilgesetzbuch nur wenig gerüttelt worden. Es mag paradox erscheinen, daß ausgerechnet im bäuerlichen Privatrecht, in einem von Natur aus konservativen Bereich also, am meisten geändert worden ist. Das hängt indessen damit zusammen, daß in diesem Teil des Privatrechtes der Zusammenhang mit der Politik besonders eng ist. Wir haben es hier mit einem Sachgebiet zu tun, in welchem das Privatrecht mehr als sonst üblich gestaltend eingreift und nicht nur präzisierend wiedergibt, was ohnehin als gerecht empfunden wird.

Wichtige Abänderungen wurden am 19. Dezember 1963 und am 19. März 1965 auf dem Gebiete des Sachenrechtes vorgenommen. Im Vordergrund steht dabei die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums. Aus dogmatischen und praktischen Gründen hat das ZGB die Möglichkeit

der Begründung neuen Stockwerkeigentums ab 1912 nicht mehr gestattet. Die Rechtsgenossen suchten mit der Zeit nach Ersatzformen, die aber nicht zu befriedigen vermochten. Im Ausland feierte das Stockwerkeigentum in mannigfacher Ausgestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Urständ. Aber auch in unseren Gauen war das Stockwerkeigentum nicht ausgestorben. Das vor 1912 begründete konnte weiterbestehen, wenn nur nicht eines Tages das Gebäude in einer Hand vereinigt war. Ja, bei manchen Eidgenossen, namentlich im Wallis (dort war das Stockwerkeigentum mehr verbreitet als sonstwo) war bis in die sechziger Jahre die Abschaffung des Stockwerkeigentums noch nicht ins Rechtsbewußtsein eingedrungen. Notarsklienten wollten es uns nicht glauben, wenn wir sie bei einer Erbteilung darauf aufmerksam machten, daß eine Aufteilung des Gebäudes in Stockwerke nicht möglich sei. Die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums hat sich zweifellos bewährt. Vielleicht wurde in die Neuordnung zuviel Hoffnung investiert. Doch sind immerhin —wie Liver 9 bemerkt — mancherorts Bauten mit verhältnismäßig billigen Eigentumswohnungen erstellt worden.

Am meisten in Bewegung geraten ist indessen das Familienrecht. Hier haben uns die letzten zehn Jahre eine mittelgroße, eine bedeutende und eine kleinere Revision beschert.

Am 1. April 1973 ist das neue Adoptionsrecht vom 30. Juni 1972 in Kraft getreten. Es hat im wesentlichen die bis zur Revision geltende mittelstarke Adoption durch die Voll-Adoption ersetzt. Nach bisherigem Recht behielt das Kind Rechtsbeziehungen zu seinen leiblichen Eltern und war die Kindesannahme grundsätzlich aufhebbar. Nach neuem Recht nun steht das Kind zu seinen Adoptiveltern im gleichen Verhältnis wie ein Kind zu seinen Eltern. Die Beziehungen zu den leiblichen Eltern erlöschen. Als Leitbild schwebt dem Gesetzgeber die Unmündigen-, insbesondere die Kleinkinder-Adoption vor. Das Kindeswohl ist der leitende Grundsatz der Revision; die Berücksichtigung der Elternrechte kommt in maßvoller Zurückhaltung zum Zuge. Das neue Recht hat sich jedenfalls insofern bewährt, als viele alte, schwache Adoptionen dem neuen Recht unterstellt worden sind und als die Zahl der Adoptionen zugenommen hat. Wenn auch die Adoptionspsychologie in neuester Zeit gewisse Probleme bei Adoptivkindern aufgezeigt hat, so vermag dies meines Erachtens die grundsätzliche Richtigkeit des gesetzgeberischen Entscheides nicht zu erschüttern.

Die wichtigste Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches brachte das Bundesgesetz vom 25. Juli 1976, in Kraft seit 1. Januar 1978. Es ging um das erst damals so genannte Kindesrecht. Hier

wie beim Adoptionsrecht war oberste Leitlinie das Kindeswohl. Die Revision hat Lücken gefüllt — etwa im Unterhaltsrecht, hat die vormundschaftsrechtliche Betreuung verwahrloster Kinder durch neue Kindesschutzmaßnahmen verbessert, hat Rechtssprechung in Gesetzesform übertragen. All dies verblaßt aber vor dem grundsätzlichen Entscheid, das außereheliche Kind im Rahmen des Möglichen seine Außerehelichkeit nicht entgelten zu lassen. Sachbearbeiter, Expertenkommission, Departement, Bundesrat und eidgenössische Räte haben wohl jeweils nach anfänglichem Zögern aufgrund der Abwägung aller Für und Wider sich für eine recht radikale Lösung entschlossen. Die Vaterschaft mit beschränkter Haftung wurde eliminiert. Das Wort «außerehelich» verschwand aus dem Gesetzestext. Diese radikale Lösung bedeutet unzweifelhaft und greifbar eine Besserstellung des faktisch außerehelichen Kindes. Dabei hat der Gesetzgeber versucht, der Ehe nach Möglichkeit ihre Leitbildfunktion zu belassen.

Eine kleinere Revision ist im Gefolge des Beitritts der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention zustandegekommen. Die vormundschaftlichen Maßnahmen sind durch die fürsorgerische Freiheitsentziehung ergänzt worden. Dieser seit 1. Januar 1981 in Kraft stehende Abschnitt des Vormundschaftsrechtes umschreibt die Voraussetzungen und die Verfahrensvorschriften

für die Anstaltseinweisung aus fürsorgerischen Gründen. Es galt dabei, in einem heiklen Gebiet den Ausgleich zu finden zwischen dem Schutz der Freiheit und der Betreuung von Schwachen.

IV

Ist aber das ZGB 1982, von den gesetzgeberischen Änderungen abgesehen, noch jenes von 1912? Wer immer Kenntnis hat vom Einfluß der Lehre und Rechtsprechung auf die Auslegung und Fortentwicklung einer Kodifikation, wird das nicht vollumfänglich bejahen. Bedeutende Teile des Schweizerischen Zivilgesetzbuches kann man nur kennen, wenn Lehre und Rechtsprechung, aber auch Praxis anderer als gerichtlicher Instanzen wie der Zivilstandsbeamten, der vormundschaftlichen Behörden, der Grundbuchbeamten, der Notare, ja auch der Banken bekannt sind. Das gilt für das ZGB wie für jedes ähnliche Gesetzbuch. Es gilt für das ZGB mehr als für andere, weil im Schweizerischen Zivilgesetzbuch gewisse Formulierungen bewußt offen gestaltet worden sind und mithin den Rechtsanwender zur sachgerechten Rechtsgestaltung geradezu herausgefordert haben. Man denke etwa an das Recht des Persönlichkeitsschutzes. Anderseits haben gerade diese, im Zivilgesetzbuch

recht häufigen allgemeinen Formulierungen dem Rechtsanwender die Möglichkeit gegeben, gesetzestreu zu bleiben. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß die zeitliche Distanz zur Entstehung des Gesetzes dem Rechtsanwender gelegentlich mehr Mut zu freierer Auslegung gegeben hat.

Hier ist auf eine wichtige Frage kurz einzugehen: Der berühmte Artikel 1, Absatz 2, letzter Teil des ZGB hat dem Richter Recht und Pflicht aufgebürdet, beim Fehlen von Antworten des Gesetzes und des Gewohnheitsrechtes nach der Weise des Gesetzgebers, modo legislatoris, solche Lücken auszufüllen. Hat diese mutige Formulierung weittragende Konsequenzen gehabt? Hat sie gar die bundesstaatliche Gewaltenteilungsordnung, wonach der Richter eben nicht Gesetzgeber ist, über den Haufen geworfen? Das kann mit Fug verneint werden. Es fällt gar nicht leicht, in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Anwendungsfälle solcher richterlichen Gesetzgebung zu finden. Allerdings täuscht der Wortlaut der publizierten Entscheide. Der schweizerische Richter empfindet nach einem Wort von Arthur Meier-Hayoz die ihm aufgetragene Freiheit eher als Last, denn als Lust 10. So wird er im Zweifel sagen, er lege aus, auch wenn er neues Recht schafft. Doch auch angesichts dieser Scheu des Richters zum Eingeständnis der Lückenfüllung ist die Rechtsprechung

zum ZGB —nehmt alles nur in allem — recht gesetzestreu geblieben.

V

Das ZGB ist nunmehr siebzig Jahre in Kraft. Es ist in Teilen revidiert und durch Lehre und Rechtsprechung fortentwickelt worden. Soll es damit sein Bewenden haben? Das ist nicht der Fall. Wichtige Revisionen stehen bevor. Andere sind in absehbarer Zeit zu erwarten.

Gegenwärtig liegt vor den Räten die Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Ehegüterrecht und Erbrecht) vom 11. Juli 1979. Die Botschaft und der ihr beigefügte Entwurf sehen eine durchgreifende Revision der Artikel 159-251 ZGB vor, mithin der Wirkungen der Ehe im allgemeinen und des ehelichen Güterrechts. Abgeändert wird auch zum Teil das Erbrecht, namentlich das Erbrecht des überlebenden Ehegatten. Zur Zeit ist der Gesetzesentwurf vom Ständerat durchberaten und seit längerer Zeit von der nationalrätlichen Kommission im Hinblick auf die Beratungen im Zweit-Rat behandelt worden.

Im wesentlichen geht es um die gesetzgeberischen Schritte zur «Verwirklichung des gleichberechtigten

und gleichverpflichteten Zusammenwirkens von Mann und Frau zum Wohle der Gemeinschaft» 11. Anders gesagt: es geht um eine Gesetzesrevision, welcher die Partnerschaft als Leitbild der Ehe vorschwebt. Im Falle der Annahme der Vorlage würde der schweizerische Gesetzgeber hier nachvollziehen, was in modernen Gesetzgebungen der meisten europäischen Länder bereits besteht. Entscheidend ist indessen für unsern Gesetzgeber ja nicht die zwar auch wichtige Übereinstimmung mit dem europäischen Recht insgesamt. Es geht ganz einfach um die Frage der richtigen Gestaltung des — in seinen Auswirkungen allerdings beschränkten — Familienrechtes für die jetzige und die kommende Generation.

Eine kleinere Revision ist auf dem Gebiete des Persönlichkeitsschutzes spruchreif geworden. Gemäß einer Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 5. Mai 1982 soll im Rahmen des Privatrechtes der Schutz der Persönlichkeit im allgemeinen und gegen Verletzung durch die Medien im besondern verstärkt werden. Dabei wird die für die damalige Zeit geniale Lösung des Persönlichkeitsschutzes gemäß der allgemeinen Formulierung in Artikel 28 ZGB nicht in Frage gestellt. Das Ganze soll aber aussagekräftiger und für jedermann verständlich werden und insbesondere die Möglichkeiten für den

Einzelnen verbessern, seine Rechtsansprüche durchzusetzen.

In der Expertenkommission vor einigen Jahren bereits behandelt, aber noch nicht zur Botschaftsreife gebracht ist eine Revision des Scheidungsrechtes. Scheidungsgründe und Scheidungsfolgen, aber auch das Scheidungsverfahren würden bei einer solchen Revision einer gründlichen Prüfung unterzogen. Bevor es zu dieser Revision kommt, wird wohl vorerst das Schicksal der vorhin genannten Eherechtsrevision abgewartet und sollte insbesondere ermittelt werden, wie sich neues Scheidungsrecht in unsern Nachbarländern ausgewirkt hat.

Gemäß bundesrätlichen Richtlinien sollte in mittlerer Frist auch das Vormundschaftsrecht einer Gesamtrevision unterzogen werden. Hier ginge es darum, aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen unter Berücksichtigung moderner Erkenntnisse der Psychologie und Sozialarbeit sachgerechte Betreuungsformen für Schwache zu finden.

Weniger ausgeprägt, wenn überhaupt vorhanden sind Revisionsbestrebungen auf dem Gebiete des Erbrechtes — vom Zusammenhang mit dem Eherecht abgesehen — und des Sachenrechtes. Nicht als ob diese Sachgebiete durch die moderne Rechtsentwicklung unberührt geblieben wären. Sie sind aber weit mehr betroffen durch Revisionen

anderer Gesetze, insbesondere des öffentlichen Rechtes. So wird zwar an den Gesetzestexten von heute auf morgen sich kaum viel andern. In der Sache selber hat sich aber aufgrund außerrechtlicher und nebenrechtlicher Entwicklung schon Vieles geändert.

VI

Das Schweizerische Zivilgesetzbuch galt zur Zeit seiner Entstehung als ein volkstümliches Recht. Die Zeitgenossen haben die Schaffung des ZGB bewußt als einen Akt nationaler Rechtsbesinnung und Rechtsschöpfung erfahren. So hat denn auch Peter Tuor, der damals als Professor an unserer Universität lehrte und dessen 25. Todestag wir an Allerheiligen dieses Jahres begangen haben, sein Buch über das Schweizerische Zivilgesetzbuch ganz einfach mit «Das neue Recht» 12 betitelt. Es wäre verwegen zu behaupten, daß auch heute noch das ZGB gewissermaßen als das Recht schlechthin gilt. Und doch gibt es wohl kein schweizerisches Gesetz, dessen Normen so vielen Rechtsgenossen so präsent sind wie beim Schweizerischen Zivilgesetzbuch. Für den Sprechenden ist dieses Buch natürlich viel mehr. Es ist eines jener Bücher, die sein Leben gestaltet haben. Auf die Frage an einen klugen Mann, welchen Büchern er am meisten

verdanke, antwortete der Angesprochene: dem Kochbuch meiner Mutter und dem Checkbuch meines Vaters. Auf die gleiche Frage könnte ich zwar das Kochbuch meiner Mutter anführen, würde dann aber an die Stelle des bei uns zuhause unbekannten Checkbuches das Schweizerische Zivilgesetzbuch erwähnen.

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