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Medizinische Forschung im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft

Rektoratsrede gehalten an der Jahresfeier der Universität Basel

am 24. November 1989
Verlag Helbing &Lichtenhahn Basel 1989

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Pfaltz, Carl R.:
Medizinische Forschung im Spannungsfeld von
Staat und Gesellschaft: Rektoratsrede gehalten an d. Jahresfeier
d. Univ. Basel am 24. November 1989 /Carl Rudolf Pfaltz. —Basel:
Helbing u. Lichtenhahn, 1989
(Basler Universitätsreden; H. 83)
ISBN 3-7190-1094-5
NE: Universität <Basel>: Basler Universitätsreden

Das Werk, einschliesslich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Programmen und Systemen.

ISBN 3-7190-1094-5
Bestellnummer 2101094
© 1989 by Helbing &Lichtenhahn Verlag AG, Basel

Die medizinische Forschung nimmt insofern eine Sonderstellung unter den Wissenschaften ein, als sie den Menschen zum Gegenstand wissenschaftlicher Tätigkeit macht. Während die Biologie als «Realwissenschaft» bezeichnet werden kann, deren Fortschritte im wesentlichen auf der Anwendung einer naturwissenschaftlichen Denkweise beruhen (Carl Friedrich von Weizsäcker), stösst die medizinische Forschung an Grenzen, welche durch physikalische und chemische Untersuchungsmethoden nicht überschritten werden können. Diese liefern dem Forscher zwar messbare Daten, welche dann mittels einer naturwissenschaftlichen Kausalanalyse wichtige Hinweise auf Organfunktionen geben. Sie vermögen jedoch nicht die grossen Zusammenhänge, die «Regelkreise» des menschlichen Organismus zu erklären; denn diese beruhen auf wesentlich komplexeren Vorgängen, die mehrheitlich quantitativ nicht messbar sind und von psychischen sowie anderen zentral nervösen Faktoren gesteuert werden. Die Kybernetik ist ein Versuch, diese «psychosomatischen Prozesse» theoretisch auf eine naturwissenschaftlich-kausale Denkweise zu interpretieren. Carl Friedrich von Weizsäcker weist jedoch zu Recht auf das Dilemma hin, welches aus diesem Nebeneinander naturwissenschaftlich-kausaler und menschlich-verstehender, intuitiver Denkweise resultiert: «... Werden wir einerseits der Naturwissenschaft gerecht, wenn wir versuchen,

ihrem Erklärungsvermögen Grenzen zu setzen? Werden wir andererseits dem Menschen gerecht, wenn wir sein Leben nur auf kausal Erklärbares reduzieren?...» Auch Max Planck weist darauf hin, dass vom Standpunkt der exakten Wissenschaft aus eine unüberbrückbare Kluft zwischen phänomenologischer und metaphysisch-realer Welt besteht, dass diese eine Grenze bildet, welche die exakte Wissenschaft nicht zu überschreiten vermag. Wir befinden uns an der Grenze, an der Wissenschaft und Ethik nicht mehr getrennt werden können; denn «... sieht sich der Mensch nur noch als kompliziertes chemisch-physikalisches Laboratorium, so wird er zum Objekt chemisch-physikalischer Experimente, womit jede Verpflichtung eines ethischen Verhaltens ihm gegenüber wegfällt...» (Walter Heitler).

Die medizinische Forschung befindet sich daher in einer Situation, in welcher Konflikte ethischer und juristischer Natur vorprogrammiert sind, die ihren Stellenwert aus der Sicht von Gesellschaft und Staat herabsetzen, ja sogar die Freiheit wissenschaftlichen Denkens und Forschens in Frage stellen können. Diese Gefahr besteht sowohl für die medizinische Grundlagenforschung als auch für die klinische Forschung, von der in den folgenden Ausführungen die Rede sein soll.

1. Aufgaben und Voraussetzungen klinischer Forschung

Ausgangspunkt und Ziel klinischer Forschung ist der kranke Mensch. In der Sprechstunde, am Krankenbett, im Operationssaal, d.h. im unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten ergeben sich für den wissenschaftlich denkenden Arzt Fragestellungen, die weit über das rein praktisch orientierte diagnostische und therapeutische Denken oder Handeln hinausgehen. Sie betreffen Ursache und Verlauf einer Erkrankung, die Wirksamkeit therapeutischen Handelns und die Ursachen des Erfolges oder Misserfolges einer medizinischen oder chirurgischen Behandlungsmethode.

Klinische Forschung ist ein Vorgang, der sich ununterbrochen im Rahmen der klinischen Tätigkeit des Arztes abspielt. Sie setzt analytisches Denken voraus, Wissenschaftlichkeit in der Methodik und vor allem ein hohes ethisches Verantwortungsbewusstsein. Diese Erkenntnisse sind keineswegs neu; denn sie finden sich bereits in den Schriften der grossen Ärzte des Altertums. So hält Hippokrates (Epidemiarium VI 3.12) hinsichtlich Sammlung und Verarbeitung einzelner klinischer Beobachtungen fest, es handle sich dabei gewissermassen um die «... Zusammenfassung, die die Entstehung, den Ausgangspunkt, die feinsten Beobachtungen mit einbezieht» oder um «Überlegungen, ob die Abweichungen vom Gleichen unter sich gleich sind, damit aus allen Abweichungen sich eine einzige Gleichheit ergebe... So wird die Überprüfung des Richtigen, die Aufdeckung des Falschen möglich...» Auch Celsus (de medicina) macht darauf aufmerksam, dass die Medizin theoretische Überlegungen nötig habe, denn sie sei eine Wissenschaft der Hypothesen. Sehr oft entspreche weder die Hypothese den Erwartungen, noch die Erfahrung. Er hält daher die Medizin für eine Wissenschaft auf vorwiegend theoretischer Grundlage. Dennoch empfiehlt er dem Arzt, er solle die verborgenen Ursachen eines Leidens nicht aus seinen theoretischen Überlegungen verbannen, sich jedoch bei der praktischen Ausübung der Heilkunst von offenbaren Ursachen, d.h. nicht von spekulativen Überlegungen leiten lassen. Hippokrates (de articulis reponendis) nimmt zu Ziel und sittlicher Grundlage der klinischen Forschung deutlich Stellung: Auf die Frage «... Wozu soll man sich in denjenigen Fällen, die schon unheilbar geworden sind, auch noch auskennen?» antwortet er: «Aber so darf man sich ganz und gar nicht einstellen.» Hier warnt er zu Recht vor einer extremen Einstellung, die durch Begriffe wie wissenschaftlicher oder therapeutischer Nihilismus gekennzeichnet ist. Den Auftrag, welchen die klinische Forschung zu erfüllen hat, umschreibt er wie folgt: «... Es gehört zu derselben Wissenschaft,

auch diese Erscheinungen noch zu verstehen, die sich von den anderen nicht abtrennen lassen.» Er fordert auf, nicht nur die Symptome einer heilbaren Krankheit zu studieren und deren Ursachen zu erforschen, sondern auch diejenigen eines bis anhin als unheilbar geltenden Leidens: «... denn der Arzt muss dafür sorgen, dass das Heilbare nicht unheilbar werde; er muss wissen, wie man die Entwicklung zur Unheilbarkeit verändern kann.» Er schliesst seine Abhandlung über die Forschung ab mit der lapidaren Forderung: «Im Unheilbaren aber muss er sich auskennen, damit er nicht nutzlos quäle.» Dieses hippokratische Gebot bildet auch heute noch die sittliche Grundlage jeglichen ärztlichen Handelns, insbesondere im Hinblick auf die klinische Forschung.

In der klinischen Forschung wird der Wissenschafter nicht selten vor die Entscheidung gesetzt, im Laboratorium gewonnene Erkenntnisse auf den Menschen zu übertragen. Diese Methodik angewandter Forschung ist nicht ohne Risiko. Die logische Schlussfolgerung, dass eine Reihe von Problemen zweifellos am besten durch Untersuchungen am Menschen selbst gelöst werden können, stösst jedoch im hohen Masse auf Widerstand seitens der menschlichen Gesellschaft. Diese wehrt sich aus ethischen und juristischen Gründen dagegen, dass das einzelne Individuum zum medizinischen Forschungsobjekt gestempelt und als Bestandteil eines Forschungsprojektes psychisch und physisch in seinen Menschenrechten verletzt wird. Diese Problematik macht das Unbehagen über die derzeitige gesellschaftliche Situation der klinischen Forschung deutlich. Wir werden in der Folge darauf zurückkommen.

Ein weiterer Problemkreis, welcher die klinische Forschung beeinflusst, ist politischer Natur. Die Hauptaufgabe der klinischen Forschung besteht in der wissenschaftlichen Tätigkeit am Krankenbett. Dabei handelt es sich einerseits um die Übertragung klinischer Beobachtungen und experimentell gewonnener Erkenntnisse auf den kranken Menschen; eine Tätigkeit, welche

assoziatives und analytisches Denkvermögen voraussetzt und in erster Linie der Erforschung jener Faktoren dient, welche Ursachen und Verlaufsform einer Erkrankung bestimmen. Andererseits handelt es sich um die fortlaufende kritische Überprüfung der Wirksamkeit, aber auch der Nebenwirkungen medikamentöser oder chirurgischer Behandlungsmassnahmen, die sog. Qualitätskontrolle, welche nicht nur analytisches und assoziatives Denkvermögen, sondern ein grosses klinisches Erfahrungswissen erfordert. Das entscheidende Kriterium in der klinischen Forschung stellt jedoch die Wissenschaftlichkeit der Methode dar. Mit ihr steht und fällt die Qualität der klinischen Forschung; entscheidend ist das wissenschaftliche Konzept der methodologischen Durchführung eines klinischen Forschungsprojektes, wobei Wertmassstäbe wie Kreativität und Innovation bei der Planung eine massgebende Rolle spielen. Bei der Ausarbeitung des Projektes sowie bei dessen Durchführung werden jedoch in erster Linie der logische Aufbau und die saubere technische Gestaltung für die Qualität der Forschungsergebnisse ausschlaggebend sein.

Für die klinische Forschung ist die Wissenschaftlichkeit der Methode nur dann gewährleistet; wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

1. Es muss ein angemessenes klinisches Krankengut zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass das Einzugsgebiet der mit Forschungsaufgaben betrauten Universitätsklinik die Hospitalisation einer «kritischen Masse» von gleichartigen Krankheitsfällen über einen bestimmten Zeitraum hinweg garantiert.

2. Die Weiterbildung nach dem Staatsexamen muss die Voraussetzungen für ein sauberes wissenschaftliches Arbeiten schaffen. Nicht nur die leitenden Ärzte, sondern auch der Mittelbau und die Assistenten müssen mit den Problemen wissenschaftlicher Methodologie vertraut sein und über ein geschärftes analytisches Denkvermögen verfügen. Weiterbildung verlangt heute Erfahrungswissen auf dem Gebiet medizinisch-biologischer

Grundlagenforschung. Dieses muss durch ein intensives Zusatzstudium einschliesslich selbständiger experimenteller Arbeit im Laboratorium erworben werden, wenn möglich integriert in das Medizinstudium. Kliniker und Grundlagenforscher sind aufeinander angewiesen; die Qualität ihrer Arbeit wird durch gegenseitigen Informationsaustausch gefördert. Dies bedingt, dass beide dieselbe wissenschaftliche Sprache sprechen, damit durch exakte Fragestellungen die entsprechenden Lösungen gemeinsam erarbeitet werden können.

3. Die personelle Infrastruktur an einem Universitätsspital darf sich keinesfalls nur nach den Bedürfnissen des medizinischen Dienstleistungsauftrages ausrichten. Sie muss so geplant sein, dass auch der universitäre Auftrag von Lehre und Forschung erfüllt werden kann. Sonst besteht die Gefahr, dass die klinische Forschung zunehmend unter den Druck reiner Dienstleistungsaufgaben gerät und schliesslich zu einer reinen akademischen Alibi-Übung wird, welche durch wissenschaftlichen Dilettantismus gekennzeichnet ist.

4. Der wissenschaftliche Nachwuchs in der klinischen Medizin muss in vermehrtem Masse gefördert werden:

— einerseits durch eine gezielte Weiterbildung an anerkannten Forschungszentren. Hierfür hat der Schweizerische Nationalfonds durch ein grosszügiges Stipendienwesen die materiellen Voraussetzungen geschaffen.

— andererseits durch eine temporäre Freistellung der mit klinischen Forschungsaufgaben betrauten Ärzte von Dienstleistungsaufgaben, wodurch die Möglichkeit zur ungestörten klinisch-angewandten Forschungstätigkeit gewährleistet wird.

Die Erfüllung dieser Forderungen hängt im wesentlichen von folgenden Faktoren ab: einerseits von der wissenschafts- und forschungspolitischen Einstellung der für Bildung und Wissenschaft verantwortlichen politischen Behörden; andererseits von

der finanzpolitischen Situation des für den Betrieb eines Universitätsspitals verantwortlichen Kantons.

Die wechselseitigen Beziehungen zwischen klinischer Forschung und Krankenversorgung sind leicht zu erkennen, ebenso die engen Beziehungen zwischen Forschung und moderner medizinischer Technologie, die z.T. mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden sind. Ein weiterer Gesichtspunkt in der Beziehung zwischen klinischer Forschung und Krankenversorgung, der von manchen Politikern zu wenig beachtet wird, ist derjenige der engen Wechselwirkungen zwischen Qualität der Dienstleistung einerseits und der Qualität von Lehre und Forschung andererseits. Entscheidend ist nicht allein die Erarbeitung klinischen Wissens, sondern auch der wissenschaftliche Denkprozess in der Forschung, der das analytische Denken des Arztes schärft und seine Kritikfähigkeit wachhält. Durch die Einheit von Lehre und Forschung zwingt die Lehrtätigkeit den Forscher zur ständigen kritischen Auseinandersetzung mit den aktuellen Lehrmeinungen und zur fortwährenden Überprüfung und Ergänzung seines Fachwissens. Der universitäre Auftrag «Lehre und Forschung» kann jedoch nur erfüllt werden, wenn an unseren Universitätsspitälern die bildungs- und wissenschaftspolitischen Anstrengungen durch den Staat gefördert werden. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der klinischen Medizin und Förderung der Weiterbildung von Klinikern sind heute dringliche Postulate; denn der «Markt» an Klinikern, die nicht nur über ein grosses Erfahrungswissen sondern auch über ein eigenes, überdurchschnittliches Forschungspotential verfügen, ist gegenwärtig in unserem Land «ausgetrocknet». Wir können diese Lücke aus eigenen Reihen nur dann schliessen, wenn an den Universitätsspitälern die klinische Forschung wieder eine grössere Attraktivität erlangt. Die Tendenz, aus finanzpolitischen Überlegungen Universitätskliniken in reine Dienstleistungsbetriebe umzufunktionieren, ist aus der Sicht des Finanzträgers verständlich, jedoch bereits mittelfristig als eine

kurzsichtige Notlösung zu betrachten. Dadurch würde nicht nur die klinische Forschung empfindlich getroffen, sondern in der Folge auch die gesamte biomedizinische Grundlagenforschung. Im Hinblick auf die gesamteuropäische Lage nach 1992 und unsere Beziehungen zur europäischen Gemeinschaft würde eine solche Entwicklung nicht ohne nachteilige Folgen bleiben, da auf diese Weise unsere Konkurrenzfähigkeit auf dem Sektor Forschung und Entwicklung herabgesetzt wird.

2. Freie oder gezielte Forschung?

Für den reinen Wissenschafter — es betrifft dies in erster Linie den Grundlagenforscher —ist der Erkenntniswert seiner Arbeiten das einzige massgebende Element für die Beurteilung seiner Forschungsergebnisse. Wir finden ihn daher fast ausschliesslich in den universitären Forschungsinstituten. Für den Wissenschafter, der in einem Industrielaboratorium arbeitet, bildet trotz eines gewissen Freiraums, der ihm gewährt wird, die wissenschaftliche Realisierbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse den Massstab, mit dem er auf lange Sicht gemessen wird. Für den klinischen Forscher, dessen wissenschaftliche Tätigkeit patientengebunden ist, kommen zwei weitere Faktoren hinzu, welche Planung und Durchführung seines Forschungsprojektes massgebend beeinflussen: die Achtung ethischer Grundsätze und die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens, d.h. personeller, technischer und finanzieller Aufwand in Relation zum erwarteten Erkenntniswert, welcher aus den Forschungsergebnissen hervorgehen soll. Der Freiheitsgrad industrieller und klinischer Forschung ist somit zum vornherein begrenzt.

Wenden wir uns zunächst dem wichtigsten Problem zu, nämlich demjenigen der medizinischen Ethik:

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat unter Leitung ihres früheren Präsidenten Aurelio

Cerletti und des Vorsitzenden der zentralen ethischen Kommission der Akademie, Bernard Courvoisier, medizinisch-ethische Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen aufgestellt, welche Ärzten und ihren Mitarbeitern, die klinische Forschung betreiben, die sich stellenden grundsätzlichen Fragen bewusst machen. Es handelt sich dabei nicht um verbindliche Verpflichtungen, sondern um Richtlinien, die keinesfalls von einer persönlichen, beruflichen, zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Verantwortung entbinden. Sie stützen sich im wesentlichen auf die sog. «Deklaration von Helsinki», die vom Weltärztebund abgegeben worden ist. Diese «Recommendations guiding physicians in biomedical research, involving human subjects» sind 1983 in einer bereinigten Auflage erschienen. Die folgenden wichtigen Postulate seien herausgegriffen und kommentiert:

Bei der Planung eines patientengebundenen biomedizinischen, d.h. klinischen Forschungsprojektes müssen voraussagbare Risiken für den Patienten sorgfältig bestimmt und in Beziehung zu voraussehbaren (medizinischen) Vorteilen gebracht werden. Von einem klinischen Forschungsprojekt muss Abstand genommen werden, solange der verantwortliche Forscher nicht überzeugt ist, dass die möglichen Risiken voraussagbar sind.

In den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften ist dies einfacher und prägnanter formuliert:

«Forschungsuntersuchungen am Menschen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn die Wichtigkeit des Zwecks in einem ärztlich vertretbaren Verhältnis zu den einzugehenden Risiken steht.»

Ferner wird in den Richtlinien des Weltärztebundes festgehalten: «Jeder in einem klinischen Forschungsprojekt einbezogene Patient muss angemessen aufgeklärt werden über Ziel, Methode, potentielle Vor- und Nachteile der Studie und die daraus resultierenden möglichen Unannehmlichkeiten.» Der verantwortliche Projektleiter muss ausserdem im Besitz sein einer freiwillig abgegeben Zustimmungserklärung des Patienten nach

vorausgegangener umfassender ärztlicher Information (sog. «informed consent»).

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften stellt folgende Richtlinien auf:

«Eine nach vorheriger Aufklärung freiwillig abgegebene rechtsgültige Zustimmung der zu untersuchenden Versuchsperson bzw. ihres gesetzlichen Vertreters ist eine wesentliche Voraussetzung für eine wissenschaftliche Forschungsuntersuchung am Menschen».

Auf den ersten Blick erscheinen diese Richtlinien als sinnvolle Vorschriften, welche den Patienten vor einer Verletzung seiner körperlichen und seelischen Integrität unter dem Vorwand notwendiger medizinischer Massnahmen schützen. Bei näherem Zusehen werden jedoch einige Schwachstellen in diesen ethischen Grundsätzen sichtbar, welche für Patient, Forscher und Forschung neue Probleme aufwerfen. Aus juristischer Sicht ist der Begriff des «informed consent» fragwürdig und entbehrt einer exakt definierbaren rechtlichen Grundlage (Roger Ormrod, 1972).

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist diejenige, wie weit die Information des Patienten gehen soll. Nach der Deklaration von Helsinki muss davon ausgegangen werden, dass Risiken voraussagbar sein müssen. Wer voraussagbare Risiken dem Patienten gegenüber verschweigt, verstösst gegen die Richtlinien der Deklaration von Helsinki. Handelte es sich nicht um eine Richtlinie, sondern um eine gesetzliche Bestimmung, so würde derjenige, der sie umgeht, straffällig. Erhielten die Deklaration von Helsinki und die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften Gesetzgültigkeit, so wäre die klinische Forschung in Frage gestellt. Die folgenden beiden Beispiele mögen dies illustrieren:

An der Universität von Rochester führte der Leiter des Pharmakologischen Instituts eine klinische Studie durch, welche die Zustimmungserklärung der im voraus aufgeklärten Versuchsperson zur Voraussetzung hatte, d.h. auf dem «informed consent»

beruhte. Die Prüfsubstanz war Aspirin und den Versuchspersonen wurde nicht die offizielle Bezeichnung des Medikamentes bekanntgegeben, sondern vorerst nur sämtliche in der einschlägigen Literatur veröffentlichten potentiellen toxischen Reaktionen. Nahezu 100% der Probanden lehnten darauf eine Mitwirkung am Forschungsprojekt ab, da sie infolge der vollständigen, jedoch zu weit gehenden Aufklärung völlig verunsichert waren und das Risiko einer toxischen Nebenwirkung der Prüfsubstanz als zu hoch einschätzten (Gilman, 1972).

1936, anlässlich einer wissenschaftlichen Tagung der ruhmreichen «Société médicale des hôpitaux de Paris», hielt ein angesehenes Mitglied dieser Gesellschaft einen Vortrag über eine neue kardiologische Untersuchungsmethode. Er schlug vor, über die Armgefässe eine Sonde einzuführen und diese bis ins Herz hinein zu leiten, um auf diese Weise die Blutgasanalyse in Herzvorhof und -kammer zu ermöglichen. Die erwähnte wissenschaftliche Gesellschaft lehnte diese Arbeitshypothese entrüstet als zu riskant und daher als eine unmoralische ärztliche Handlung ab und verbot die Publikation des Berichtes. Nur wenige Jahre später führte Forssmann dieses Experiment an sich selbst durch und konnte dessen Ungefährlichkeit beweisen. Seine Pionierarbeit, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, öffnete den Weg zur modernen Diagnostik und Chirurgie der Herzkrankheiten (Jean Bernard, 1988).

Diese Beispiele zeigen die Fragwürdigkeit auf, Forschung im allgemeinen und klinische Forschung im besonderen durch ein engmaschiges Paragraphennetz auf Gesetzesebene zu reglementieren. An einer Klausurtagung des Schweizerischen Wissenschaftsrates wurde das Thema «Freiheit und Begrenzung für den Zugriff zum Leben» von Hans Ruh (1985) eingehend behandelt. Als eines der wichtigsten Probleme kam das Zusammenwirken von Ethik und Wissenschaft zur Sprache. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage gestellt nach den Möglichkeiten einer staatlichen Begrenzung der Forschungsfreiheit. Eine solche wurde

vom Referenten nur dann als sinnvoll erachtet, wenn ihre Durchsetzung vom Staat kontrolliert werden kann und wenn das paragraphiert wird, was konsens- und mehrheitsfähig ist. Der Autor kommt jedoch zum Schluss, dass bestimmte ethische Grundsätze, gerade wenn sie differenziert sind, nicht als justiziabel beurteilt werden können. Somit müsse sich die Gesetzgebung konzentrieren auf Beschränkungen, die eindeutig negative Folgen verhindern sollen und die offensichtlich dem Moralempfinden deutlich entsprechen. Letzten Endes gehe es in erster Linie darum, Missbräuche gesetzlich zu verhindern.

Die Freiheit der Forschung ist in den meisten Universitätsgesetzen erwähnt oder wird stillschweigend vorausgesetzt, garantiert ist sie jedoch nicht. So ist sie auch nicht in unserer Bundesverfassung rechtlich verankert. Forschungsfreiheit steht in engen Wechselbeziehungen zu Kommunikationsfreiheit; denn jegliche Forschung würde zu einem sterilen Unterfangen, wenn ihre Ergebnisse der Gesellschaft nicht zugänglich gemacht werden könnten. «Wenn ein Staat sich anschickt, bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen zu verpönen oder die Publikation gewisser Forschungsergebnisse zu verbieten, dann greift er in die Kommunikationsfreiheit ein. Eine Reglementierung der Forschung nach dem Gesichtspunkt zulässiger und unzulässiger Fragestellungen und Forschungsergebnisse würde auf eine staatliche Zensur, d.h. eine eigentliche Forschungszensur hinauslaufen. Sie ist in einem pluralistischen Staatswesen undenkbar.» (Christian Brückner, 1989) Die Freiheit der Forschung ist somit eng verbunden mit der Informationsfreiheit.

3. Informationsprobleme und «Image» des Forschers

Die ablehnende Haltung der Gesellschaft gegenüber der klinischen Forschung mit ihren ominösen Plazebo- und Doppelblindversuchen ist zum mindesten teilweise einer unzureichenden

sachlichen Information der Öffentlichkeit durch die Forschenden selbst zuzuschreiben. Anstelle sachlicher Information tritt eine pseudowissenschaftliche, sensationell aufgemachte Berichterstattung über bestimmte emotional belastete Forschungsprojekte in gewissen Medien und vertieft das Misstrauen zwischen Gesellschaft und Forscher.

Gehen wir von den Berichten der Massenmedien aus, welche durch sensationsgeladene Artikel die Emotionen des Publikums schüren, so verstehen wir, warum der Forscher im allgemeinen und der klinische Forscher im besonderen sich in die Defensive gedrängt fühlen von einer Gesellschaft, die ihrer Forschungsarbeit misstrauisch und bis zu einem gewissen Grade sogar feindseelig gegenübersteht. Im Grunde genommen handelt es sich hier um ein Informationsproblem. Jeanne Hersch (1972) erhebt gegenüber gewissen Forschungsgruppen den Vorwurf, sie priesen dem Publikum ihre Forschung an mit dem schleierhaften Versprechen, bei moralischer und finanzieller Unterstützung ihrer wissenschaftlichen Arbeit würden sie eines Tages ein Mittel gegen den Krebs oder ein ähnliches schweres Leiden finden. Populär ausgedrückt ein Werbeslogan, der die Gesellschaft zu Spendefreudigkeit und Freigebigkeit anspornen soll.

Die heutige Gesellschaft betrachtet sich als mündig und verlangt, nicht mit Halbwahrheiten und emotionell wirksamen beschönigenden Motiven abgespiesen zu werden. Sie fordert auch von seiten der Vertreter von Forschung und Wissenschaft mehr Transparenz hinsichtlich der Respektierung ethischer Normen und in bezug auf die Verwendung der von der Allgemeinheit aufgebrachten finanziellen Mittel. Der Forscher von heute sitzt im Glashaus; für den klinischen Forscher, der patientengebundene Forschung betreibt, trifft dies in ganz besonderem Masse zu. Gerade er ist der Gefahr ausgesetzt, seine Forschung unter Anwendung gefühlsbetonter Druckmittel zu «verkaufen» —denken wir an Krebs, Hochdruck, Herzleiden und AIDS. Tut er dies, so bleibt ihm früher oder später der Vorwurf nicht erspart, seine

Forschung diene in erster Linie der Förderung seines persönlichen Ansehens, zeitgemäss ausgedrückt der «Pflege seines Images». Der klinische Forscher muss daher heute bereit sein, der Öffentlichkeit, d.h. dem Laien, in verständlicher Sprache die hängigen Probleme seines Fach- und Forschungsgebietes darzulegen, welche im Interesse des Allgemeinwohles eine Lösung verlangen. Anstelle leerer Versprechungen muss er wissenschaftlich fundierte Lösungsversuche anbieten und auf die Schwierigkeiten hinweisen, mit denen sie verbunden sind. Arnold Burgen (1972) hat auf die Notwendigkeit der sachlichen Information der Öffentlichkeit durch den Forscher hingewiesen und vor allem auch auf die Wichtigkeit, wissenschaftliche Ideen dem Laien verständlich zu machen. Dies nicht zu tun ist eine Unterlassungssünde, welche wesentlich zum Misstrauen und zur Wissenschaftsfeindlichkeit der Gesellschaft beiträgt. Es ist daher notwendig, durch vermehrte Öffentlichkeitsarbeit, d.h. durch eine sachliche Aufklärung seitens der Wissenschafter der Gesellschaft begreiflich zu machen, dass nicht allein die Gemeinschaft als Kollektiv, sondern der Einzelne persönlich für das Gesundheitswesen und damit auch für den Fortschritt in der Medizin mitverantwortlich ist. Zwischen der Öffentlichkeit, d.h. dem Laienpublikum, und den Wissenschaftsgremien muss ein Informationsfluss bestehen, damit sachliche Information aus berufenem Munde und keine Desinformation durch sensationell aufgebauschte Halbwahrheiten erfolgt. Aus Gründen der Transparenz wird es jedoch dem Forscher nicht erspart bleiben, neben einer allgemeinen Information über das Ziel seines wissenschaftlichen Projekts und die Durchführung desselben auch eine hypothetische Kosten-Nutzen-Analyse seines Vorhabens vorzunehmen und deren provisorische Ergebnisse zu erwähnen. Damit sind wir bei einem weiteren Teilaspekt des Hauptproblems angelangt.

4. Prioritätensetzung in der medizinischen Forschung

Es handelt sich hier um ein sehr komplexes Problem, welches nicht nur wirtschaftliche Fragen beinhaltet, sondern vor allem ethische Grundsätze und nicht zuletzt die Freiheit der Forschung berührt.

Jahrzehnte vor der Einführung des staatlichen Gesundheitsdienstes in Grossbritannien schrieb George Bernard Shaw eines seiner bekanntesten sozialkritischen Schauspiele: The Doctor's Dilemma (1906). Er betrachtete durch seine Brille die Ärzteschaft jener Zeit als eine Berufsgenossenschaft mit «antisozialen Interessen am Gesundheitswesen», eine professionelle Verschwörung mit dem Ziel, das Vertrauen der Gesellschaft und menschliches Leiden zum eigenen Vorteil auszubeuten. Er hielt den hippokratischen Eid für ein heuchlerisches Lippenbekenntnis der medizinischen Kaste und widerrief vehement die These, dass die medizinische Heilkunde im wesentlichen durch wissenschaftliche Erkenntnisse gesteuert werde. Er ging so weit, die Behauptung aufzustellen, es handle sich dabei lediglich um das Problem von Bedarf und Nachfrage. Für ihn war es eine unumstössliche Tatsache, dass auch die wissenschaftlich fundierteste Behandlungsmethode ihren Marktwert nicht halten könnte, wenn nicht eine entsprechende Nachfrage bestehe; umgekehrt könne jede Quacksalberei, falls Bedarf vorhanden, ihre Stellung halten. Die Behauptungen G.B. Shaw's sind sehr apodiktisch formuliert und zu einer Zeit aufgestellt worden, in der die klinische Medizin noch vorwiegend nach empirischen Grundsätzen betrieben wurde und die angewandte, klinische Forschung in den Kinderschuhen steckte. Aber bereits in jener Epoche mussten in der medizinischen Forschung Prioritäten gesetzt werden. Diese wurden in erster Linie bestimmt durch die Forderungen der Gesellschaft selbst: Senkung der hohen Kindersterblichkeit —Bekämpfung der mit einer hohen Mortalität belasteten Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Diphtherie, Cholera, Typhus, Malaria

und Streptokokkeninfektionen. Bedenken wir, dass um die Jahrhundertwende die Säuglingssterblichkeit 147 Todesfälle auf 1000 Lebendgeburten aufwies und dass die mittlere Lebenserwartung zu jener Zeit für beide Geschlechter 49,3 Jahre betrug. Heute beträgt die Säuglingssterblichkeit weniger als 10 Todesfälle auf 1000 Lebendgeburten, und die mittlere Lebenserwartung für Frauen liegt bei 79,1 Jahren, für Männer bei 72,4 Jahren. 1910 wurden noch 226,2 Tuberkulose-Sterbefälle auf 100000 Einwohner gezählt, 1986 war die Tbc.-Mortalität auf 1,4 Fälle abgesunken. Was Morbidität und Mortalität anbelangt, so haben sich die Verhältnisse im Gesundheitswesen ganz wesentlich verbessert, seitdem G.B. Shaw das erwähnte Theaterstück geschrieben hatte. Dieser Durchbruch in der Medizin ist allein der Grundlagen- und klinischen Forschung zu verdanken, welche in den vergangenen 50 Jahren einen ungeheuren Aufschwung miterlebt hat. G.B. Shaw müsste daher heute sein Urteil über die Ärzteschaft revidieren.

Diese völlig veränderte Situation zwingt in der klinischen Forschung zum Umdenken; denn wir sind heute an einem Punkt angelangt, wo die Prioritätensetzung hinsichtlich der Ausführung von Forschungsprojekten nach völlig neuen Kriterien erfolgen muss, wiederum weitgehend von den Forderungen unserer Gesellschaft bestimmt. Betrug die Weltbevölkerung um die Jahrhundertwende noch ca. 1,5 Milliarden, so hat sie sich heute mehr als verdreifacht. Aus dem Anstieg der mittleren Lebenserwartung resultiert eine rasch fortschreitende Veränderung der Altersstruktur unserer Bevölkerung, und als Folge davon sind tiefgreifende Änderungen im Krankheitsgeschehen bzw. in der rein zahlenmässigen Verteilung der wichtigsten Erkrankungen eingetreten. 1940 betrug der Anteil an Todesfällen für Herz- und Kreislaufkrankheiten ca. 30%, heute ist er auf 40%angestiegen. Eine ansteigende Kurve ist in derselben Zeitspanne auch für die Krebs-Todesfälle zu verzeichnen (1940 13%, 1986 25%). Auf der anderen Seite sind die durch Infektionskrankheiten bedingten Todesfälle von 12% (1940) auf 2% (1986) zurückgegangen. Mit

dem bereits erwähnten Anstieg der mittleren Lebenserwartung rücken mehr und mehr die mit dem Alterungsprozess zusammenhängenden Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Zentralnervensystems sowie der Sinnesorgane in den Vordergrund des medizinischen Interesses. Auf dem Gebiet der geriatrischen Erkrankungen besteht aber auch seitens der Gesellschaft eine erhöhte Nachfrage im Hinblick auf die Verbesserung der Behandlungs- und Rehabilitationsmassnahmen, d.h. die klinische Forschung muss in diesen Sektoren intensiviert werden. Es geht heute nicht mehr allein darum, das Leben zu verlängern, sondern auch seine Qualität zu erhalten.

Neben der wissenschaftlichen Ergründung altersbedingter Krankheitszustände — mit dem Ziel einer adäquaten Prävention und Behandlung —steht nach wie vor die Erforschung des Krebsleidens sowie der Herz- und Kreislauferkrankungen in der ersten Dringlichkeitsstufe medizinischer Forschungstätigkeit. Diese Krankheiten befallen nicht nur die oberen Altersklassen, sondern treten bereits im jugendlichen und mittleren Alter auf. Ihre Prävention und erfolgreiche Behandlung sind daher dringliche Postulate auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. In neuester Zeit sind auch die schädigenden Einwirkungen von Umweltfaktoren auf die Gesundheit des Menschen in die Forschungsprojekte erster Dringlichkeit aufgenommen worden. So befasst sich ein nationales Forschungsprogramm des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (NFP 26) mit der «Gesundheit des Menschen in seiner heutigen Umwelt».

Alle aufgeführten Forschungsprojekte sind aus medizinischer Sicht als dringlich zu bezeichnen — ihre Realisierung würde jedoch mit einem gewaltigen Kostenaufwand verbunden sein, welcher den Finanzrahmen auf kantonaler und eidgenössischer Ebene sprengen müsste. Es stellt sich somit die Frage, ob die Prioritätensetzung in erster Linie nach wirtschaftlichen, gesundheitspolitischen, wissenschaftspolitischen oder medizinisch-ethischen Gesichtspunkten vorgenommen werden muss.

4.1. Finanz- und wissenschaftspolitische Aspekte

Die wirtschaftliche Seite der medizinischen Forschung können wir uns veranschaulichen, wenn wir den Finanzétat des National Institute of Health (NIH) in den U.S.A. näher betrachten. Dieser belief sich für das Jahr 1987 auf 6,18 Milliarden Dollar. Diese in Bethesda (Maryland) beheimatete Institution umfasst das Clinical Centre mit einem 540 Betten-Spital, das grösste Forschungskrankenhaus der Welt, wo Krankenstationen und Labortrakte Flur an Flur liegen. Jährlich werden ca. 9000 stationäre und 150000 ambulante Patienten untersucht und behandelt. 15000 Menschen arbeiten in diesem klinischen Forschungszentrum, darunter 3500 Wissenschafter, mehrheitlich Ärzte und Biologen. Von diesen sind 40% Gastforscher aus 72 Ländern.

Vergleichsweise hat der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung an die schweizerischen Hochschulen für die Periode 1982-1986 Beiträge in der Höhe von Fr. 136,5 Millionen geleistet, die ausschliesslich der Unterstützung von Forschungsprojekten auf dem Gebiet der medizinischen Grundlagenwissenschaften, der klinischen sowie der Sozial- und Präventivmedizin dienten, und 1988 wurden 85.9 Millionen Franken für die Förderung der biologisch-medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt. Die Zahl der eingegangenen Forschungsgesuche hat in den vergangenen Jahren beinahe exponentiell zugenommen, so dass eine Kürzung der Forschungsbeiträge unvermeidlich geworden ist. Es stellt sich somit die Frage, nach welchen Grundsätzen die notwendige Kürzung der Forschungsbeiträge vorgenommen werden soll:

global —d.h. Ausrichtung gekürzter Beiträge nach dem Giesskannenprinzip —oder

punktuell —d.h. gezielte Unterstützung von Forschungsschwerpunkten.

Weder die kantonalen Finanzträger unserer Universitäten noch der Bund können es sich heute noch leisten, die Forschung in unserem Land global ausreichend zu subventionieren. Daher ist es unumgänglich, an unseren kantonalen und eidgenössischen Hochschulen einerseits Forschungsschwerpunkte auszubauen — dies erfordert eine fortlaufende kritische Evaluation der Forschungsergebnisse —andererseits ist es dringend notwendig, Bildung und Förderung von Forschungsschwerpunkten in unserem Land zu koordinieren. Dies bedeutet die Einflussnahme einer eidgenössischen Wissenschaftspolitik auf unsere kantonalen Hochschul-Forschungszentren. Erste Ansätze dazu finden sich bereits in den neuen ETH- und Hochschulförderungsgesetzen, welche gegenwärtig in den zuständigen parlamentarischen Kommissionen durchberaten werden. Es wird daher Aufgabe des Wissenschaftsrates, der Hochschulkonferenz und der Hochschulrektorenkonferenz sein, dazu beizutragen, dass eine sinnvolle und politisch realisierbare Lösung der gesamtschweizerischen Forschungskoordination geschaffen wird, welche einerseits die Freiheit der Forschung an unseren Hochschulen garantiert, andererseits verhütet, dass aus politischen Gründen neue Forschungszentren auf Kosten bereits bestehender Forschungsschwerpunkte geschaffen werden, wodurch finanziell nicht mehr verantwortbare Doppelspurigkeiten entstünden.

4.2. Gesundheitspolitische Aspekte

Wenden wir uns als nächstes den gesundheitspolitischen Aspekten der Prioritätensetzung in der medizinischen Forschung zu.

Der Schweizerische Nationalfonds hat im Rahmen der sog. nationalen Forschungsprogramme drei medizinische Forschungsschwerpunkte gesetzt:

Das erste Projekt betrifft die Prophylaxe der Herz- und Kreislauferkrankungen,

das zweite die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit im schweizerischen Gesundheitswesen und das dritte und letzte die Gesundheit des Menschen in seiner heutigen Umwelt. Alle drei Forschungsprogramme behandeln Probleme von nationalem Interesse und sind Ausdruck eines Bedürfnisses unserer Gesellschaft, komplexe Gesundheitsprobleme wissenschaftlich breitgefächert zu bearbeiten. Die drei Hauptaspekte der Projekt-Skizze für das NFP 26 «Gesundheit des Menschen in seiner heutigen Umwelt» zeigen deutlich, dass in der Prioritätensetzung sozialmedizinische Kriterien einen ganz bedeutenden Stellenwert aufweisen. Gesundheit und physische Umwelt, Gesundheit und psychosoziale Umwelt sowie psychosoziale Aspekte der AIDS-Problematik stehen vordringlich zur Diskussion.

Interessierte Kreise an diesen nationalen Forschungsprogrammen sind Gesundheits- und Umweltschutzbehörden, die Kostenträger des Gesundheitswesens, die medizinischen Versorgungssysteme und schliesslich die Betroffenen selbst. Daraus geht hervor, wie vielschichtig im Grunde genommen die Problematik der Prioritätensetzung in der medizinischen Forschung heute geworden ist und welchen Einfluss die Gesellschaft ausübt.

4.3. Wissenschaftspolitische Aspekte

Bei der Diskussion des Prioritätenproblems in der medizinischen Forschung wurde einleitend festgehalten, dass heute nicht mehr allein die Verlängerung, sondern gleichzeitig die Erhaltung der Qualität des Lebens gefordert wird. Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften hat den Begriff der Lebensqualität definiert als Freiheit zu Erfüllung der folgenden Bedürfnisse:

— Physiologische Funktion (Ernährung, Bewegung, Schlaf, Fortpflanzung)

— Informationsaustausch

— Psychische Verarbeitung

— Materielle Sicherheit

— Gesellschaftliche Bedeutung und Anerkennung

— Selbstachtung und Selbstentfaltung.

Die Medizin befasst sich mit der Prävention, Diagnose und Behandlung von Störungen physiologischer Funktionen. Dazu gehört auch die Überwachung der Lebensqualität (Qualitätskontrolle), mit dem Ziel der Früherfassung von ernsthaften Erkrankungen. Die Qualitätskontrolle beinhaltet auch die Konfrontation des einzelnen Individuums mit Leitbildern und Idealgestalten, welche sich unter der ständigen Einwirkung von Reklame und Medien unbewusst entwickeln und das Bewusstsein anatomischer und physiologischer Zulänglichkeiten wachrufen; diese werden dann an sich selbst oder bei anderen als störend empfunden, z.B. entwickelt sich dadurch eine ablehnende Einstellung gegenüber dem Altern, ein Prozess, der einem Verlust an Lebensqualität gleichgesetzt wird.

Die Ansprüche auf eine Verbesserung der Lebensqualität auf physiologischem Gebiet scheinen mit wachsendem materiellen Wohlstand zuzunehmen. Es ist daher verständlich, dass vom Leitungsausschuss des Projektes «Forschungspolitische Früherkennung» des Schweizerischen Wissenschaftsrates nun im Rahmen der Erarbeitung notwendiger Grundlagen für das forschungspolitische Handeln des Bundes, der Kantone, der Hochschulen sowie anderer Bereiche, der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften der Auftrag erteilt wurde, das Problem der Kontrolle der Lebensqualität in der Medizin zu behandeln. Die Problematik dieses Forschungsauftrags berührt sämtliche Bereiche der klinischen Medizin. Es wurden jedoch willkürlich nur vier Gebiete ausgewählt, welche als repräsentative Modelle für die Beantwortung der Fragestellung betrachtet werden können. Es handelt sich um die Altersdemenz, die nicht

entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, um den Brustkrebs und die pränatale Diagnostik.

Die ersten beiden Themen —Altersdemenz und rheumatische Krankheiten —betreffen einen wachsenden Anteil unserer überalterten Bevölkerung, stehen aber noch nicht im Rampenlicht der medizinischen Forschung.

Bei der Altersdemenz wird die Entscheidungsfähigkeit des Patienten betroffen. Er ist nicht mehr in der Lage, seine Lebenssituation zu beurteilen und entsprechend zu steuern, vor allem im Hinblick auf die Erhaltung einer angemessenen Lebensqualität. So läuft er Gefahr, zu verwahrlosen. Diese Änderung seiner Persönlichkeitsstruktur stellt seine Umgebung vor schwerwiegende Entscheide.

Die Altersdemenz umfasst im wesentlichen zwei Krankheitsbilder: einerseits die zahlenmässig überwiegende Alzheimer'sche Krankheit, andererseits die vaskuläre oder Multiinfarkt-Demenz, welche auf empfindliche Störungen des Gehirnkreislaufes zurückzuführen ist. Beide hirnorganischen Krankheiten sind vorläufig nicht heilbar. Die Eingriffe des Arztes werden daher vorrangig auf die Behebung körperlicher und seelischer Begleitstörungen und auf die Verbesserung der äusseren Lebensbedingungen des Patienten hinzielen. Sie dienen ausschliesslich der Verbesserung der Lebensqualität. Die Forschung hingegen muss sich auf dem Gebiete der Grundlagenwissenschaften langfristigen Forschungsprogrammen widmen können. Sie umfasst die Probleme der Ätiologie oder Krankheitsursachen (Immunschwäche, Vererbung, Virusinfekte, Belastung mit Schwermetallen); ferner befasst sie sich mit der Neurochemie (Erfassung der Zusammenhänge zwischen Gewebsstruktur und Konzentration von Neurotransmittern), mit der Neuropathologie (Untersuchungen der charakteristischen krankheitsbedingten Veränderungen des Hirngewebes) und mit der Suche nach biologischen Indikatoren, die eine frühzeitige Erkennung der Krankheit erlauben.

Daneben beinhaltet die klinische Forschung zur Altersdemenz Schwerpunkte auf folgenden Gebieten: Epidemiologie (Erhebung von Häufigkeiten und Verlaufsformen, mit dem Ziel, Aufschluss über mögliche Ursachen zu erhalten und die Früherkennung zu fördern); Semiologie (Feinanalyse der Krankheitssymptome, vor allem im Frühstadium); Entwicklung neuer diagnostischer Techniken (computergestützte bildgebende Verfahren), mit dem Ziel der Verbesserung der Früherkennung und der Erfassung des Krankheitsverlaufes; Therapie: Neuropharmakologische Behandlungsmethoden und Rehabilitationsmassnahmen. Zuletzt sei die an Bedeutung hinter den oben erwähnten Forschungszweigen keinesfalls zurückstehende sozialmedizinische Forschung genannt, die darauf hinzielt wo, wann und welche Sozialhilfe vorrangig angesetzt werden muss.

Bei den nicht entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist die Urteilskraft des Patienten nicht betroffen, hingegen seine Lebensqualität primär durch rein physische Einschränkungen beeinflusst.

Innerhalb der Rheumatologie, dem zweiten Forschungsmodell, hat sich eine erhebliche Verlagerung der Forschungsschwerpunkte vollzogen. Während sich die rheumatologische Forschung in den vergangenen 20 Jahren vorwiegend mit entzündlichen Gelenkerkrankungen befasst hat, welche jedoch nur 5% aller rheumatischer Erkrankungen ausmachen, wendet sich heute das Interesse den 95% vorwiegend degenerativen Gelenks-, Wirbelsäulen- und Weichteilerkrankungen zu. Diesen wurde lange Zeit nicht genügend Beachtung geschenkt, obwohl sie volksgesundheitlich wie wirtschaftlich wesentlich stärker ins Gewicht fallen. Hier drängt sich eine koordinierte interdisziplinäre Forschung auf, welche der dringend notwendigen Abklärung von Entstehungs- und Bewältigungsbedingungen rheumatischer Erkrankungen dienen soll. Neben der Grundlagen- und klinischen Forschung (Einflüsse von Ernährung, Bewegung und Sport, Beeinflussung des Gewebestoffwechsels in Knochen und

Knorpel) beinhaltet das Problem der nichtentzündlichen rheumatischen Erkrankungen auch die Schaffung neuer Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität körperlich behinderter Patienten. Hier stellen sich daher neue Aufgaben auf dem Gebiete der Architektur und der technischen Entwicklung von Transportmitteln, um die Schaffung vermeidbarer Hindernisse in gebauter Umwelt und im örtlichen Verkehr zu verhüten.

Krebserkrankungen nehmen heute in gewissem Sinne den Platz eines «Morbus Sacer», d.h. einer «heiligen» Krankheit ein. Diese emotionale Seite des Problems kommt vor allem beim Brustkrebs, der häufigsten Krebserkrankung der Frau, zum Ausdruck. Angst vor körperlicher Entstellung und symbolhaftem Verlust ihrer Weiblichkeit, ihres Selbstwertes als begehrenswerte Frau, beeinflussen die Entscheide in bezug auf Abklärung, Behandlung und Verarbeitung des Krankheitserlebnisses in hohem Masse. Art und Erfolg der körperlichen und seelischen Bewältigung werden daher für die Lebensqualität einer an Brustkrebs erkrankten Frau von ausschlaggebender Bedeutung sein. Hier stehen noch zahlreiche Fragen offen, vor allem solche psycho-sozialer Natur, deren Beantwortung eine gründliche wissenschaftliche Bearbeitung erfordert; abgesehen davon muss sich die klinische Forschung weiterhin mit der Verbesserung der chirurgischen und radio-onkologischen Behandlungsmethoden befassen.

4.4. Medizinisch-ethische Aspekte

Wie kein anderes der vorher besprochenen Themen beinhaltet das vierte Modell des Forschungsprojektes, welches im Dienste der Kontrolle der Lebensqualität steht, die ganze Problematik der ethischen und juristischen Aspekte und der darin vorprogrammierten Konflikte: die Wechselbeziehungen zwischen pränataler Diagnostik und Kontrolle der Lebensqualität. Fortschritte

in der Biochemie und in der Molekularbiologie haben zu differenzierterer Diagnostik und zu neuen Behandlungsmöglichkeiten der Erbkrankheiten verholfen. Damit ist das Bedürfnis nach Entwicklung einer pränatalen Diagnostik wachgerufen bzw. verstärkt worden. Deren Ziel ist es, bestimmte genetische Defekte und intrauterine Schädigungen auszuschliessen und den Eltern den Kinderwunsch trotz eines erhöhten Erbrisikos zu erfüllen.

Hier stösst die medizinische Forschung in ein Gebiet vor, wo sie einerseits im Auftrag der Gesellschaft nach Mitteln und Wegen suchen soll, die Lebensqualität zu kontrollieren und zu fördern —wo sie jedoch andererseits dem Widerstand einer sensibilisierten Bevölkerungsgruppe begegnet, die aus Glaubens- und Gewissensgründen die Pränataldiagnose und die mit ihr verbundene Forschung konsequent ablehnt. Im Gegensatz zur Diagnostik nach der Geburt öffnet die Pränataldiagnose nicht den Weg zu alternativen therapeutischen Massnahmen. Das Ergebnis der pränatalen Diagnose beinhaltet einzig und allein den Entscheid: Austragung oder Unterbrechung der Schwangerschaft.

Da mit Ausnahme gewisser Stoffwechselerkrankungen eine erfolgreiche Behandlung der Erbkrankheiten nur in seltenen Fällen möglich ist, stehen wir hier vor dem Dilemma des Wissens und des Nicht-helfen-Könnens, und es erheben sich aus ethischer Sicht berechtigte Zweifel am sittlichen Wert der pränatalen Diagnostik. Solange keine therapeutischen Möglichkeiten anzubieten sind, solange sei Nichtwissen besser als Wissen und Nichthelfen-Können. Aus philosophisch-ethischer Sicht ist eine solche Überlegung ein Kurzschluss (Franz Böckle, 1988). «Man darf die diagnostischen Methoden nicht isoliert betrachten. Eine ethische Wertung verlangt deren Einordnung in das Gesamt sowohl der humangenetischen Beratung wie der gynäkologischen Schwangerschaftsüberwachung. Da bei mehr als 97% der auf Grund ihres Alters untersuchten schwangeren Risikopatientinnen der Verdacht auf Vorliegen einer Missbildung des Foetus

positiv ausgeräumt werden kann, bringt die pränatale Diagnostik für den Grossteil der ratsuchenden Eltern eine ganz erhebliche seelische Entlastung mit sich.» Andererseits hat es Böckle nicht unterlassen, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass hier eine diagnostische Methode praktiziert wird, die in Ermangelung therapeutischer Möglichkeiten die Tötung des kranken Foetus ins Auge fasst, um diesen selbst und andere vor drohenden Leiden zu bewahren. Er muss daher von seinem ethischphilosophischen Standpunkt aus klar zum Ausdruck bringen, «... dass die Krankheit eines Kindes niemals Grund sein kann für seine Tötung...».

So verständlich die Gründe auch sein mögen, die das einzelne Individuum veranlassen, die pränatale Diagnostik zu bejahen oder abzulehnen, so darf die ethische Konfliktsituation des Einzelnen nicht dazu führen, dass daraus eine gesellschaftspolitische Bewegung entsteht, welche nach staatlicher Intervention ruft und nicht mehr mit sachlichen Argumenten, sondern mittels emotionell gefärbter Polemiken verallgemeinernd der medizinischen Forschung auf dem Gebiet der Genetik Einhalt zu gebieten versucht.

Schlussfolgerungen

Die medizinische Forschung spielt sich in einem Spannungsfeld ab, in dem sie sich mit den Interessen der Gesellschaft und den politischen Zielvorstellungen des Staates auseinandersetzen muss. Dieser Prozess ist fliessend und hat zur Folge, dass durch die ständige gegenseitige Beeinflussung sich neue Entwicklungen anbahnen. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass die medizinische Forschung nicht mehr die Lebensdauer allein zu verlängern sucht, sondern mehr Gewicht darauf legt, die Lebensqualität zu erhalten bzw. zu steigern. Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber der medizinisch-biologischen Forschung

ist ambivalent. Dieselbe Gesellschaft, welche die Forderung nach Steigerung der Lebensqualität erhebt, nimmt eine wissenschaftsfeindliche Haltung ein, wenn sie sich in ihren Hoffnungen enttäuscht sieht oder wenn sich der Einzelne in seinen Persönlichkeitsrechten bedroht fühlt. Sobald er das Risiko-Nutzenverhältnis eines Forschungsprojektes nicht mehr beurteilen kann, da ihm hierfür die notwendigen Voraussetzungen fehlen, fühlt er sich manipuliert und reagiert emotionell negativ. Hier handelt es sich im Grunde genommen primär um ein Problem der sachlichen Information. Dieses kann weitgehend gelöst werden durch eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Wissenschaftern und Öffentlichkeit. Durch adäquate Information wird es möglich sein, dass der Gesellschaft die Angst vor dem Manipuliertwerden durch den Wissenschafter genommen wird, so dass der Einzelne über die individuelle Gesundheit hinaus seine Mitverantwortung für die Gesundheit der Gemeinschaft begreift und mitzutragen bereit ist.

Der Staat wiederum versucht der Forderung der Gesellschaft nach Respektierung der Persönlichkeitsrechte durch den medizinischen Forscher (und die Forschung an sich) auf gesetzgeberischem Wege mehr Achtung zu verschaffen. Daneben erfolgt eine zunehmende wissenschafts- und forschungspolitische, gesundheits- und finanzpolitische Einflussnahme durch den Staat, wodurch er die medizinische Forschung zu steuern versucht. Eine solche Entwicklung in Richtung eines staatlichen Interventionismus kann dann gefährlich werden, wenn durch gesetzgeberische Massnahmen die Freiheit der Forschung in Frage gestellt wird. Wir müssen eingestehen, dass wir uns in einem Zwiespalt befinden; denn es stehen uns keine unbeschränkten Mittel zur Verfügung zur Bewältigung anstehender Forschungsaufgaben. Daher müssen in der Zielsetzung der Forschungsplanung Prioritäten gesetzt werden. Offenkundig bestehende soziale Notwendigkeiten müssen in der Prioritätensetzung berücksichtigt werden. Es muss jedoch nach wie vor den verantwortlichen Vertretern

der medizinischen Wissenschaft vorbehalten sein, diese Prioritätensetzung zu planen und durchzuführen, im Einvernehmen mit Gesellschaft und Staat. In diesem Zusammenhang muss auf die Notwendigkeit langfristiger Koordination von Forschungsvorhaben an den verschiedenen medizinischen Forschungszentren unseres Landes hingewiesen werden. Nur auf diese Weise wird es gelingen, die vorhandenen Mittel sinnvoll und gezielt einzusetzen und Forschungsschwerpunkte auszubauen bzw. neu zu entwickeln.

Die Verantwortung für Planung und Durchführung der medizinisch-klinischen Forschung trägt letzten Endes der Arzt. Sie ist persönlich und kann ihm nicht von einem Kollektiv im Sinne einer ethischen Kommission abgenommen werden. Voraussetzungen für die Erfüllung seines Forschungsauftrages sind einerseits die entsprechende fachliche Aus- und Weiterbildung in praktisch-klinischer Medizin, in medizinisch-biologischer Grundlagen-sowie in klinisch-angewandter Forschung, andererseits die geistige Schulung, welche ein wissenschaftliches Denken entwickelt, das von hohem sittlichem Verantwortungsbewusstsein getragen wird.

Dieses Verantwortungsbewusstsein hat Antoine de Saint-Exupéry in seinem «Pilote de guerre» klar zum Ausdruck gebracht: «Etre homme, c'est précisément être responsable. Chacun est responsable de tous. Chacun est seul responsable. Chacun est seul responsable de tous.»

Literaturhinweise