Ökonomie und Politik:
Über die Schwierigkeit
der wirtschaftspolitischen
Beratung
Basler Universitätsreden 92. Heft
Rektoratsrede gehalten an der Jahresfeier der Universität Basel
am 29. November 1996
Verlag Helbing &Lichtenhahn
Basel 1996
Hochansehnliche Festversammlung!
Vor 60 Jahren, mitten in der grossen Krise der Dreissigerjahre, ist
die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes
von John Maynard Keynes erschienen. Dieses Werk gilt als das vielleicht
bedeutendste Werk der Nationalökonomie unseres Jahrhunderts.
Es zeigte den politisch Verantwortlichen einen Ausweg aus der
Massenarbeitslosigkeit, und zwar durch eine neue Problemdiagnose
und darauf aufbauend eine neue wirtschaftspolitische Konzeption.
Statt am Ausgleich des staatlichen Budgets festzuhalten, empfahl
Keynes, durch Budgetdefizite die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu
stimulieren und auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen. Umgekehrt
sollten in Phasen konjunktureller Überhitzung Budgetüberschüsse
geplant und dadurch die Inflation bekämpft werden.
Heute leiden wir glücklicherweise weder unter Massenarbeitslosigkeit
noch unter Inflation. Wirtschaftlich gesehen ist jedoch bei
weitem nicht alles zum besten bestellt. Daher suchen auch heute die
Verantwortlichen der Wirtschaftspolitik Hilfe bei der Wissenschaft.
Was kann und soll die Nationalbank tun, um Arbeitsplätze zu erhalten?
Wie könnte der Finanzausgleich wirksamer gemacht werden?
Wie lassen sich durch den Bau von Strassen und sonstigen Infrastruktureinrichtungen
regionalpolitische Ziele verwirklichen? Drängt
sich bei Post und Telekommunikation eine Deregulierung auf? Wie
kann die Altersvorsorge auch im nächsten Jahrhundert gesichert
werden? Die Beantwortung solcher Fragen bedingt jeweils erstens
eine Bestandesaufnahme, zweitens die theoretische Durchdringung
der betreffenden Problemstellung, drittens die Erarbeitung von
Lösungsalternativen, viertens die Analyse ihrer Auswirkungen und
fünftens die Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile als Grundlage
für politische Entscheidungen.
Für die Beschäftigung mit praktischen Fragen kann sich die
Wirtschaftswissenschaft auf ein ausgefeiltes, konsistentes Gedankengebäude
stützen. Mit dem neoklassischen Paradigma verfügt sie über
eine gemeinsame Denkweise, ein gemeinsames Analyseinstrumentarium
und eine gemeinsame Sprache. Allerdings muss der Vorteil
des weltweit einheitlichen Theorieansatzes mit einem gewichtigen
Nachteil bezahlt werden: jenem der hohen Abstraktion und der
Vernachlässigung institutioneller Besonderheiten. Konnte Walter
Heller 1968 noch vom "Zeitalter der Ökonomen" sprechen, ist
deren Präsenz in der praktischen Wirtschaftspolitik seither zurückgegangen.
Theorie und Praxis haben sich auseinander entwickelt. Vor
fünfzig Jahren hätten viele in der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft
und Statistik oder in der American Economic Review
erschienene Aufsätze auch Regierungs- oder Verwaltungsberichte
sein können. Und umgekehrt wurden Regierungs- und Verwaltungsberichte
auch in wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften publiziert.
Heute haben die Beiträge in unseren Fachzeitschriften in der
Regel nur noch geringe Ähnlichkeit mit typischen Arbeiten von praktischen
Ökonomen.
Warum dies der Fall ist, welches die Schwierigkeiten der wirtschaftspolitischen
Beratung, aber auch welches ihre Chancen sind,
ist der Gegenstand meiner folgenden Überlegungen. Es geht mir um
die wirtschaftspolitische Beratung als Bindeglied zwischen Wirtschaftstheorie
und Wirtschaftspolitik, zwischen wissenschaftlicher
Ökonomie und praktischer Ökonomie.
I.
Die Ökonomie befasst sich mit der Herstellung, Verteilung und
Verwendung von knappen Gütern. Dies kann zunächst einmal
beschreibend und erklärend geschehen. So untersucht die Wirtschaftstheorie
beispielsweise, wie sich die Konsumentinnen und
Unternehmer verhalten und zu welchen Ergebnissen hinsichtlich
Güterversorgung, Beschäftigung, Wohlstand und Einkommensverteilung
dieses Verhalten führt. Ähnlich wird im Rahmen der Neuen
Politischen Ökonomie der Frage nachgegangen, wie sich die politischen
Akteure verhalten und wie sie Güterversorgung, Beschäftigung,
Wohlstand und Einkommensverteilung beeinflussen. Die Theorie der
Wirtschaftspolitik geht weiter: Sie untersucht die normative Frage,
welche Ziele wie am besten erreicht werden können. Dabei geht es
nicht nur um wirtschaftliche Ziele im engen Sinn wie den optimalen
Einsatz der Produktionsfaktoren, Vollbeschäftigung, Preisstabilität
oder Wirtschaftswachstum. Untersucht werden auch Anliegen
wie soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und nachhaltiges Wachstum.
Auf eine Wissenschaftsdisziplin, die sich erklärtermassen mit der
Lösung der drängenden Wirtschafts- und Gesellschaftsprobleme
beschäftigt, werden verständlicherweise grosse Hoffnungen gesetzt
—Hoffnungen, die kaum erfüllt werden können.
Die Schwierigkeiten der wirtschaftspolitischen Beratung durch
Ökonomen lassen sich in drei Kritikpunkte verdichten:
—Kritik 1: Die Empfehlungen der Ökonomen sind oft nicht eindeutig.
—Kritik 2: Die Empfehlungen der Ökonomen sind selten objektiv,
sondern enthalten unbewusst oder bewusst eigene Wertungen.
—Kritik 3: Die Empfehlungen der Ökonomen sind häufig unbrauchbar,
weil sie die Schwierigkeiten der Umsetzung vernachlässigen.
Ökonomen, die diese drei Kritiken ernst nehmen, neigen leicht
zur Resignation und zum Rückzug in den Elfenbeinturm der Theorie.
Doch was ist von den drei Kritikpunkten zu halten? Und welche
Folgerungen lassen sich daraus für die wirtschaftswissenschaftliche
Politikberatung ableiten?
II.
Zur ersten Kritik: Die Empfehlungen der Ökonomen seien nicht
eindeutig. Wenn man drei Ökonomen um Rat angehe, so bekomme
man drei Antworten. Angesichts der typisch wirtschaftswissenschaftlichen
Argumentation "on the one hand, on the other hand"forderte
der amerikanische Präsident Truman daher Ökonomen mit nur
einem Arm.
Der Vorwurf mangelnder Eindeutigkeit ist meines Erachtens richtig.
Er widerspiegelt jedoch die Tatsache, dass wirtschaftliche Tatbestände
äusserst komplex sind und guten Gewissens unterschiedlich
betrachtet werden können. Wären die Ökonomen einer Meinung,
so müsste dies zur Vorsicht mahnen.
Die Beteiligten auf dem "Beratungsmarkt"sind auf der einen Seite
Politiker, Verwaltungsstellen, Verbände und Unternehmungen,
internationale Organisationen sowie die Medien. Sie sind die "Nachfrager"
von Analysen und guten Ratschlägen. Ihnen gegenüber
stehen als Anbieter von wirtschaftspolitischem Know-how: Beraterstäbe
innerhalb der Verwaltung, spezialisierte Forschungsinstitutionen
(Denkfabriken, "Think tanks"), private Beratungsfirmen
sowie natürlich —was im folgenden im Zentrum stehen soll —Hochschulinstitute
und Professoren als Gutachter und Mitglieder von
Expertenkommissionen.
Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspraktiker leben in
unterschiedlichen Welten, haben unterschiedliche Denkweisen, Ziele
und Kulturen. An den Universitäten werden Ökonominnen und
Ökonomen zu Recht geschult, die Literatur möglichst umfassend zu
verarbeiten, unter Abwägung aller "Wenn und Aber" zu argumentieren
und die Grenzen ihrer Arbeit kenntlich zu machen. Die staatlichen
Akteure (Politiker, Beamte, Wähler) demgegenüber ziehen
einfache und eindeutige Antworten einer differenzierten wissenschaftlichen
Auseinandersetzung vor. Politiker seien "[...]häufig weniger
an wissenschaftlicher Information als vielmehr an, politischer
Munition' interessiert"meint Gebhard Kirchgässner. Wissenschaftler
können sich profilieren, indem sie Ideen in Frage stellen und neue
Erkenntnisse suchen, Praktiker, indem sie Ideen umsetzen. Sie dürfen
sich mit alten Theorien begnügen, wenn diese für ihren jeweiligen
Zweck brauchbar sind. Auch wenn sie sich dessen nicht bewusst
sind, hängen Praktiker immer einer Theorie an. Der eingangs erwähnte
John Maynard Keynes schrieb deshalb am Schluss seiner Allgemeinen
Theorie: "Praktiker, die sich völlig frei von intellektuellen
Einflüssen glauben, sind meist die Sklaven von irgendwelchen verstorbenen
Ökonomen."
Bei genauerer Analyse erweist sich die Vorstellung von den stets
uneinigen Ökonomen als übertrieben. In vielen wichtigen Fragen
herrscht Übereinstimmung. Dies jedenfalls haben Befragungen in
den Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Österreich und der
Schweiz gezeigt. Ein paar Beispiele zur (weitgehenden) Einigkeit
unter den Ökonomen mögen dies verdeutlichen:
— Freihandel ist besser als Protektionismus. Freihandel erlaubt,
durch internationale Arbeitsteilung die knappen Produktionsfaktoren
besser zu nutzen.
— Die Mietzinskontrolle ist abzulehnen: Sie verschärft mittel- und
längerfristig die Probleme, die sie zu lösen vorgibt.
— Preis- und Lohnkontrollen sind untauglich zur Bekämpfung
der Inflation. Sie beruhen auf einer fragwürdigen Inflationstheorie.
— Zweckfreie Einkommensübertragungen als Mittel der Einkommensumverteilung
sind besser als zweckgebundene Transfers
und erst recht als Subventionen, weil sie mit tieferen gesamtwirtschaftlichen
Kosten verbunden sind.
Natürlich wird man immer Ökonomen finden, die im konkreten
Fall unterschiedliche Meinungen vertreten —sei es, weil sie Ziele
anders gewichten, die Ausgangslage unterschiedlich einschätzen,
andere Theorieansätze zugrunde legen oder politische Konzessionen
machen, um anstelle der nicht realisierbaren besten einer zweitbesten
Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. Dies ist gut so. Auseinandersetzungen
bringen die Nationalökonomie als Wissenschaft
weiter und beleben die wirtschaftspolitische Diskussion. "Eine einmütige
ist nicht nur eine diktatorische, sondern auch eine tote
Wissenschaft, weil sie erstarrt"(Bruno S. Frey).
Meist bewegen sich allerdings die Auseinandersetzungen auf der
Ebene der Theorie und nicht der Beratung. An Hochschulen tätige
Ökonomen haben eher schwache Anreize, sich mit praktischen Problemen
zu beschäftigen. Denn die Ergebnisse entsprechender Bemühungen
haben normalerweise mangelnden Neuigkeitswert für die
Fachwelt und führen nicht zu Publikationen in internationalen Fachzeitschriften.
Was zum Beispiel interessiert die Reform des schweizerischen
Finanzausgleichs die Leserinnen und Leser einer auf den
akademischen Bereich beschränkten wissenschaftlichen Zeitschrift
wie dem Quarterly Journal of Economics? Namentlich für junge Wissenschaftler
ist es wichtig, in international angesehenen Zeitschriften
zu publizieren. Davon hängt ihre Karriere ab. "Publish or perish"
lautet immer mehr auch bei uns die Devise.
Die Geschichte lehrt uns, dass praktische Beratungstätigkeit nicht
zwingend im Widerspruch zu wissenschaftlicher Leistung zu stehen
braucht. In dieser Hinsicht kann noch heute Gottfried Wilhelm Leibniz
als Vorbild dienen. Immer wieder wurden praktische Aufgaben
an ihn herangetragen. So befasste er sich mit der Reorganisation des
Erziehungswesens, der Weiterentwicklung von technischen Lehr-
und Forschungsstätten, der allgemeinen Gewerbeförderung und dem
Polizei- und Finanzwesen. Schon für Leibniz war klar: Durch Beratung
erfolgt nicht nur ein Wissens- und Technologietransfer von der
Wissenschaft in die Praxis, sondern es fliessen auch neue Fragestellungen
und praktische Erfahrungen an die Wissenschaft zurück.
So öffnen sich dem Wissenschaftler Gelegenheiten, neue Theorien,
Analysetechniken und Erkenntnisse im Massstab 1:1 zu testen. Dies
gilt noch heute.
Soviel zum Nutzen der wirtschaftspolitischen Beratung. Doch wie
kann sie überhaupt erfolgen? Das grösstmögliche Mass an Unabhängigkeit
und an wissenschaftlicher Freiheit ermöglichen Stellungnahmen
von einzelnen Wissenschaftlern oder öffentliche Verlautbarungen
von Gesprächskreisen zu aktuellen wirtschaftspolitischen
Fragen. Wenig wissenschaftlichen Spielraum haben demgegenüber
Beratungsstäbe, die der Regierung zugeordnet oder in die Verwaltung
integriert sind. Grundlegende Meinungsunterschiede mit dem Auftrags-
oder Arbeitgeber führen zu direkten Konflikten und zwingen
nicht selten zum Abbruch der Beziehung. Dafür ist die Chance grösser,
dass Empfehlungen in die Praxis umgesetzt werden. Die in der
Schweiz häufigen Expertenkommissionen und Gutachten bewegen
sich in diesem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Unabhängigkeit
und politischem Einfluss in der Mitte.
III.
Kommen wir zur zweiten Kritik: Die Empfehlungen der Ökonomen
seien selten objektiv, sondern voller versteckter Wertungen. Meiner
Ansicht nach kann der Wunsch nach absoluter Objektivität nur bedingt
Aufgabe der wirtschaftspolitischen Beratung sein. Werturteile
lassen sich nicht gänzlich vermeiden, zum Teil sind sie sogar nötig.
Zur Diskussion dieser Frage ist es sinnvoll, von der Werturteilsfrage
auszugehen. Max Weber war der Meinung, "es (könne) niemals
Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein, bindende Normen und
Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu
können". Demzufolge könne auch die Ökonomie keine Empfehlungen
im strengen Sinne abgeben, sondern höchstens Wenn-Dann-Aussagen
machen. Aufgrund theoretischer Überlegungen und darauf
beruhender Hypothesentests könne beispielsweise nur gesagt
werden: Wenn der knappe Wohnraum optimal genutzt werden soll,
dann empfiehlt sich der Verzicht auf Mietzinskontrollen. Nicht wissenschaftlich
ist dagegen die Folgerung, auf Mietzinskontrollen sei
immer und überall zu verzichten. Es gibt ja noch andere Anliegen
als die optimale Nutzung von Wohnungen, zum Beispiel verteilungspolitische
und raumplanerische Ziele.
Im Idealfall hat der wirtschaftspolitische Experte zuhanden der
politischen Entscheidungsträger (richtige) Vorhersagen aufzustellen,
die (zweckmässigsten) in Frage kommenden Lösungsmöglichkeiten
zu entwickeln sowie deren Auswirkungen (korrekt) aufzuzeigen.
Dabei ist anzugeben, wo sich die Fachleute einig, wo uneinig sind.
Auf Wertungen und ideologische Äusserungen ist zu verzichten.
Der Politiker oder Beamte hört als Auftraggeber —immer nach dem
Ideal — aufmerksam zu, stellt gescheite Fragen, wägt Alternativen
ab, befragt Fachleute anderer Gebiete und fällt dann die endgültige
Entscheidung.
Diese Vorstellung postuliert die saubere Trennung von Sach- und
Werturteilen. Ökonomen dürfen, so gesehen, in ihrer Rolle als
wissenschaftliche Berater keine Eigen- oder Gruppeninteressen
vertreten. Sie befinden sich diesbezüglich in einer schwierigeren
Position als zum Beispiel die Juristen. Juristen können legitimerweise
in verschiedene Rollen schlüpfen (Ankläger und Verteidiger als
Interessenvertreter), ohne dass dies als unwissenschaftlich disqualifiziert
würde.
In der Theorie der Wirtschaftspolitik wurde eine Reihe von
Beratungsmodellen entwickelt. Am wichtigsten sind das dezisionistische,
das technokratische und das pragmatische Modell. Dem
Postulat einer wertfreien Beratung entspricht das dezisionistische
Modell: Auf der einen Seite fällen die Politiker Werturteile und treffen
Entscheidungen. Auf der anderen Seite vermitteln die wirtschaftspolitischen
Experten das hierfür erforderliche Wissen. Dieser Vorstellung
entspricht beispielsweise der deutsche Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Gemäss
Gesetz soll dieses Beratungsgremium Wirtschaftsgeschehen und
Wirtschaftspolitik analysieren, jedoch nicht konkrete politische
Empfehlungen abgeben. In der Praxis hat es diese Beschränkung freilich
nicht buchstabengetreu eingehalten.
Dem dezisionistischen Beratungsmodell steht das technokratische
Modell gegenüber: Die Fachleute wissen, was zu tun ist, und brauchen
die Politiker lediglich noch für die konkrete Umsetzung. Dass
dieses Modell nicht dem heutigen Selbstverständnis der Ökonomen
entspricht, braucht ebenso wenig betont zu werden, wie die Ablehnung
einer solchen Expertokratie durch Politik, Verwaltung und
Interessengruppen. Gänzlich unrealistisch ist dieses Beratungsmodell
gleichwohl nicht. Es entsprach beispielsweise der französischen Planification,
wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden ist
und in den Sechzigerjahren ihre Blütezeit hatte.
Zwischen dem dezisionistischen und dem technokratischen Beratungsmodell
liegt das pragmatische. Es beruht auf dem Dialog
zwischen Politikern und Wissenschaftlern, auf einem gegenseitigen
Lernprozess. Das wohl erfolgreichste Beispiel eines solchen Beratungskonzepts
stellt der in den USA vor genau 50 Jahren geschaffene
Council of Economic Advisers (CEA) dar. Der CEA ist direkt dem
amerikanischen Präsidenten zugeordnet. Diese Form der Beratung
hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt. Allerdings war der Erfolg
entscheidend davon abhängig, ob die Ratschläge des CEA vom jeweiligen
Präsidenten überhaupt gesucht wurden. Dies wiederum war
eine Frage des Vertrauens. In der Geschichte des Council of Economic
Advisers ist es immer wieder gelungen, als Mitglieder und Stabsmitarbeiter
Professoren von höchstem wissenschaftlichem Renommee
zu gewinnen.
Zurück zur Kritik, die Empfehlungen der Ökonomen seien nicht
objektiv. In einer Hinsicht trifft sie ins Schwarze. Weil Ökonomen
hierfür über ein besonders geeignetes Analyseinstrument verfügen,
neigen sie dazu, immer und überall Ineffizienz, das heisst Verschwendung
knapper wirtschaftlicher Ressourcen, zu wittern und bessere,
das heisst effizientere Lösungen vorzuschlagen. Sie tun dies vor
allem, weil sie feststellen, dass alle realen Gesellschaften westlicher
Prägung rent-seeking societies sind. Man versteht darunter Gesellschaften,
in denen alle Gruppen versuchen, sich zulasten
anderer durch staatliche oder kartellistische Markteingriffe wirtschaftliche
Vorteile zu verschaffen —mit dem Ergebnis, dass der Gesamtwohlstand
der Bevölkerung sinkt.
Hinter dieser Feststellung steckt natürlich eine Wertung. Neben
Effizienz gibt es schliesslich noch andere grundsätzlich ebenso berechtigte
Anliegen, insbesondere die gerechte Verteilung des Wohlstands.
Das Recht zur hartnäckigen Betonung des Effizienzaspekts
nehmen sich Ökonomen jedoch meines Erachtens legitimerweise,
weil es sonst niemand tut. Zudem zeigen Analysen über die Verteilungswirkungen
des rent seeking, dass häufig neben Effizienz-auch
Gerechtigkeitsziele verletzt werden.
Ein gutes Beispiel für diese Aussage bietet die schweizerische Agrarpolitik.
Während Jahrzehnten wurden mit vorgeschobenen Gerechtigkeitsargumenten
durch Preisgarantien und Subventionen Milliarden
von Franken von den Konsumentinnen und Steuerzahlern zu
den Bauern umverteilt. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich zwei
höchst unerwünschte Nebenwirkungen dieser Politik. Erstens wurden
die Gross-gegenüber den Kleinbauern und die Tal-gegenüber
den Bergbauern bevorzugt. Zweitens hatten vor allem die unteren
Einkommensbezüger die Kosten zu tragen. Diese nach allen gängigen
Gerechtigkeitsvorstellungen eindeutig unerwünschten Verteilungswirkungen
wurden durch eine gut organisierte Bauernlobby
erzwungen und haben die übrigen Teile der Volkswirtschaft während
Jahrzehnten stark belastet. Erst als in den letzten Jahren die schweizerische
Volkswirtschaft unter Druck geriet, konnte die ineffiziente
(und unsoziale) Agrarpolitik durch eine bessere ersetzt werden.
Schrittweise werden nun die Mengensubventionen abgebaut und
durch ökologische Direktzahlungen abgelöst. Genau das empfehlen
Ökonomen seit mehr als zwanzig Jahren. Dieses Beispiel zeigt, dass
es falsch wäre, wenn sich Ökonomen aller Werturteile enthielten oder
sich darauf beschränkten, lediglich die gerade herrschenden Werturteile
oder jene der Auftraggeber ihrer Gutachten zu übernehmen.
Das Beispiel der Agrarpolitik liefert aber noch weitere Erkenntnisse:
— Erstens: Unkonventionellem Forschen und Beraten muss
Raum gegeben werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit
der Freiheit von Lehre und Forschung an den Universitäten.
— Zweitens: Die Wirtschaftspolitik und die wirtschaftspolitische
Beratung dürfen sich nicht im dunkeln abspielen. Sie müssen
sich der Kritik stellen.
— Drittens: Eine allzu enge Interpretation des Weberschen
Werturteilsverbots würde den wissenschaftlichen wie den wirtschaftspolitischen
Fortschritt hemmen.
Grosse Ökonomen haben sich denn auch nie durch ängstlichen
Umgang mit Werturteilen hemmen lassen. In der mehr als zweitausendjährigen
Geschichte der abendländischen Wissenschaft galt
es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als das unbestrittene Recht, ja
die Pflicht der Denker und Wissenschaftler zu sagen, was recht und
gut ist. Niemand störte sich zum Beispiel am Werturteil, wenn im 19.
Jahrhundert Friedrich List Erziehungszölle befürwortete, wenn im
Mittelalter die Scholastik den Begriff des gerechten Preises entwickelte
oder wenn im Altertum Aristoteles die Kaufleute vom Staatsdienst
ausschloss, da ihr Leben wahrer Tugend entbehre (Walter
Adolf Jöhr).
IV.
Ich komme zur dritten Kritik: Die Empfehlungen der Ökonomen
seien häufig unbrauchbar und in der Praxis nicht umsetzbar. Ökonomen
deckten wesentliche Bedürfnisse der Adressaten nicht ab. Es
sei deshalb nicht selten, dass "dem wirtschaftlichen Akteur ökonomische
Empfehlungen wie Botschaften aus einer andern Welt vorkommen"
(Alfred Meier).
Meine Meinung zu dieser Kritik: In den letzten Jahrzehnten ist mit
der Neuen Politischen Ökonomie innerhalb der Wirtschaftswissenschaft
eine Subdisziplin entstanden, welche sich mit Fragen der praktischen
Umsetzung von politischen Konzepten und Massnahmen
beschäftigt. Der Vorwurf ist daher heute weitgehend überholt. Oder
vorsichtiger formuliert: Gute Ökonomen berücksichtigen bei ihren
Empfehlungen auch den Aspekt der Umsetzung in die Praxis. Verfehlt
wäre auf jeden Fall die Reaktion der Ökonomen, Politiker und
Beamte verstünden halt nichts von Wirtschaftspolitik.
Es ist das Verdienst der Neuen Politischen Ökonomie (Public
Choice), aufgezeigt zu haben, dass Politiker und Parteien meist gar
nicht auf "puristische"Vorschläge von Ökonomen eingehen können,
wenn sie gewählt oder wiedergewählt werden wollen. Auch die
öffentliche Verwaltung hätte vielfach Nachteile, wenn sie den Ratschlägen
von Ökonomen folgen würde. Dazu ein Beispiel aus der
Sozialpolitik: Unter Effizienzgesichtspunkten sollte soziale Umverteilung
nicht —wie fast allgemein üblich —mit Subventionen und Eingriffen
in den Marktmechanismus verwirklicht werden. Solche Massnahmen
verfälschen die Preisstrukturen und belasten die gesamte
Wirtschaft in unnötiger Weise. Der angestrebte Umverteilungseffekt
kann gesamtwirtschaftlich viel kostengünstiger durch zweckfreie
Zahlungen an unterstützungsbedürftige Personen erreicht werden.
Idealerweise geschieht dies in Form der sogenannten Negativen Einkommenssteuer.
Die Negative Einkommenssteuer hat jedoch einen
erheblichen Funktions- und Machtverlust der Sozialbürokratie zur
Folge. Einkommensumverteilung würde nämlich ganz einfach im
Rahmen der Steuererhebung durch die Steuerverwaltungen erfolgen.
Für die Durchführung der Sozialpolitik würde nur noch ein Bruchteil
des heutigen Personals benötigt. Es ist daher verständlich, dass
die Sozialämter entschieden dagegen sind.
Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Ziele im Prinzip durch
Politiker gesetzt werden. Ziele sind in der politischen Realität jedoch
keine Grössen, die man nach Belieben festlegen kann. Es gibt externe
Zwänge, zum Beispiel die Finanzierbarkeit oder den Willen, die
Wettbewerbsfähigkeit einer Region oder Nation zu erhalten. Und es
gibt interne Zwänge, die sich aus dem Wunsch nach Wiederwahl ergeben.
In der Denkweise der Neue Politischen Ökonomie: Die Politik
beeinflusst die Wirtschaft, und umgekehrt beeinflusst die Wirtschaft
die Politik. Dieser politisch-ökonomische Kreislauf ist ein geschlossenes
System, das kaum Eingriffe von aussen zulässt. Vom Zustand der
Wirtschaft (Beschäftigung, Wachstum, Einkommensverteilung)
hängt ab, welche Parteien und Politiker gewählt werden. Die Parteien
und Politiker müssen daher Massnahmen ergreifen, welche durch
die Wähler als zweckmässig eingeschätzt und an der Urne dann auch
honoriert werden. Zahlreiche durchaus gutgemeinte Empfehlungen
von Experten sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie von den Politikern
ohne Gefährdung der Wahl beziehungsweise Wiederwahl nicht
umgesetzt werden können.
Wollen Ökonominnen und Ökonomen tatsächlich Einfluss haben,
so dürfen sie sich nicht darauf beschränken, Empfehlungen abzugeben.
Sie müssen im Grunde genommen selbst zu einer Art Akteure
der Wirtschaftspolitik werden. Sie sollten dabei nicht nur gute Theoretiker,
sondern auch Übersetzer, Verkäufer und nicht zuletzt Missionare
ihrer als richtig erachteten Auffassungen sein. Sie müssen in
Konkurrenz zu anderen die politischen Akteure überzeugen.
Eine wichtige Aufgabe der wirtschaftspolitischen Beratung ist
zunächst einmal die Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in
eine den Laien zugängliche Sprache und in leicht verständliche Metaphern
—selbst auf die Gefahr hin, dass diese unwissenschaftlich
erscheinen mögen. Die Laffer-Kurve zum Beispiel hat in ihrer Einfachheit
alle komplexen Modelle an die Wand gespielt. Sie besagt, dass
die Steuereinnahmen steigen, wenn die Steuersätze erhöht werden
—und umgekehrt. Das ist trivial. Wenn die Steuerbelastung jedoch
so hoch wird, dass sie die Arbeits-, Spar- und Investitionsanreize
zu hemmen beginnt, so können die Steuereinnahmen sinken. Die
Laffer-Kurve suggeriert, dass durch Steuersenkungen die Steuereinnahmen
erhöht und das Budgetdefizit reduziert werden können. Empirisch
gibt es hierfür allerdings keine allgemein gültigen Ergebnisse.
Man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob eine Volkswirtschaft
bereits eine derart hohe Steuerbelastung hat, dass eine Steuersenkung
die Situation des Staatshaushalts zu verbessern erlaubt. Trotzdem hat
das Bild der Laffer-Kurve dazu beigetragen, die starre Steuerpolitik
zu reformieren, ja, Steuersenkungen überhaupt zu einem ernsthaften
Thema zu machen.
Nach Meinung gewisser Beobachter der Beratungsszene entspricht
das meiste, was für die praktische Wirtschaftspolitik brauchbar
sei, dem Niveau der Vorlesung "Einführung in die Wirtschaftstheorie".
Was darüber hinaus gehe —die vielen spitzfindigen theoretischen
Verfeinerungen und empirischen Überprüfungen —, sei durch
einen stark abnehmenden Grenznutzen gekennzeichnet. Dies mag
zwar gelegentlich zutreffen, darf jedoch nicht verallgemeinert werden.
Entscheidend ist vielmehr, dass eine sinnvolle Anwendung der
in den ersten Semestern gelernten Theorie sehr schwierig ist —
vielleicht sogar schwieriger als die abstrakte Weiterentwicklung der
Theorie. Deshalb ist ein weitergehendes Studium unabdingbar. Nur
wer die ökonomische Theorie immer wieder auf konkrete Probleme
anwendet und theoretisch hergeleitete Hypothesen empirisch mit der
Wirklichkeit konfrontiert, kann sie für die Praxis fruchtbar machen.
Beizufügen ist, dass gerade diese Aufgabe der Ökonomie in der heutigen
Massenuniversität ernsthaft gefährdet ist.
Neben der Übersetzung ist eine weitere wichtige Aufgabe wirtschaftspolitischer
Berater das sogenannte agenda setting. Darunter
wird die Fähigkeit verstanden, bestimmte Themen zu einem politischen
Gesprächsstoff zu machen. Dies kann zum Beispiel dadurch
geschehen, dass überzeugend und hartnäckig auf die nachteiligen
Konsequenzen der Weiterführung einer alten, ineffizienten und ungerechten
Politik aufmerksam gemacht wird.
Sodann kann als Beitrag der wirtschaftspolitischen Beratung die
Entwicklung mehrheitsfähiger Lösungen betrachtet werden. Jede
Massnahme hat Gewinner und Verlierer. Das Umsetzungsproblem
besteht darin, dass die Verlierer in der Regel vehementen Widerstand
leisten, während die Gewinner sich ihrer Vorteile häufig noch gar
nicht bewusst sind und daher die Massnahme entweder nicht oder
nur lau unterstützen. Diese Asymmetrie der Interessenorganisation
und -durchsetzung ist ein Grund für die oft schleppenden Fortschritte
in der Wirtschaftspolitik. Der Lösungsvorschlag der Ökonomie
kann hier darin bestehen, Kompensationsmassnahmen zu
entwickeln. Es geht dabei darum, aus dem Gewinn die Verlierer zu
entschädigen, so dass diese ihren Widerstand aufgeben. Man mag
solche Kompromisse im Einzelfall als ungerecht bedauern, sie ermöglichen
jedoch die Umsetzung von Vorschlägen in die praktische
Politik.
Einen konkreten Beitrag zur Umsetzung stellen Bürgerforen dar.
Zwischen Benachteiligten und Nutzniessern muss ein Vorteils- und
Nachteilsausgleich erfolgen, wenn eine Massnahme durchgeführt
werden soll. Der Interessenausgleich kann jedoch nicht in einem
Monolog zwischen Experten und Entscheidungsträgern bestehen,
sondern verlangt den Einbezug der Betroffenen. Dieser Dialog muss
durch Fachleute moderiert werden. Die Experten dürfen dabei nicht
ihre eigene Meinung durchzusetzen versuchen. Sie sollen vielmehr
sicherstellen, dass die Entscheidungsprozesse ein allseits akzeptables
Ergebnis hervorbringen.
Dies entspricht im übrigen einer Erkenntnis, welche die Neue
Politische Ökonomie entwickelt hat. Weil niemand mit Sicherheit
weiss, welche politische Lösung die richtige ist —anders formuliert:
was das viel zitierte "Gemeinwohl"ist —, wird dasjenige Ergebnis als
"richtig"angesehen, das bei gut funktionierenden Entscheidungsmechanismen
zustande kommt.
V.
Im Sinne eines Zwischenergebnisses möchte ich drei Punkte festhalten:
— Erstens: Die Ökonomen verfügen über ein geschlossenes und
weitgehend akzeptiertes Lehrgebäude. Ihre wirtschaftspolitischen
Empfehlungen sind bei weitem nicht so widersprüchlich,
wie dies gelegentlich den Eindruck erweckt.
— Zweitens: Dem Anspruch objektiver Beratung lässt sich nicht
strikt nachleben. Es sollte ihm auch nicht strikt nachgelebt
werden. Die Ökonomen müssen auf Anliegen hinweisen und
Ziele verfechten, die in der praktischen wirtschaftspolitischen
Diskussion unterzugehen drohen.
— Drittens: Der Beitrag der Ökonomen besteht in der Regel nicht
darin, unmittelbar umsetzbare Vorschläge für die Verbesserung
der Wirtschaftspolitik abzugeben. Ihre Aufgaben sind vielmehr:
die Übersetzung abstrakter Theorieerkenntnisse in eine auch
den Nichtökonomen verständliche Sprache, die saubere Problemdiagnose,
die Entwicklung von Lösungsalternativen, das
Aufsuchen von mehrheitsfähigen Massnahmen und nicht zuletzt
die Kritik der Wirtschaftspolitik. Mit der Neuen Politischen
Ökonomie sind in den letzten Jahrzehnten brauchbare
theoretische Grundlagen für ein besseres Verständnis des
Zusammenspiels zwischen Wirtschaft und Politik geschaffen
worden.
In der Ökonomie erfolgt der Wissenstransfer in Form der wirtschaftspolitischen
Beratung. Ob die wirtschaftspolitische Beratung
im konkreten Fall für die praktische Politik wirksam ist, hängt von
einer Reihe von Voraussetzungen ab: Als erstes müssen die theoretischen
Grundlagen vorhanden sein. Die Grundlagenforschung darf
daher nicht vernachlässigt werden. Die Allgemeine Theorie der
Beschäftigung, des Zinses und des Geldes von Keynes, von der am
Anfang die Rede war, ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie in den
dreissiger Jahren vorher brachliegende Erkenntnisse der Grundlagenforschung
für die Bekämpfung von Krise und Arbeitslosigkeit fruchtbar
gemacht werden konnten.
Ein anderes Beispiel liefern die marktwirtschaftlichen Instrumente
des Umweltschutzes, die in den Umweltschutzgesetzen von Basel-Stadt
und Basel-Landschaft 1991 —übrigens erstmals in Europa —
aufgenommen worden sind. Sie beruhen auf den theoretischen
Arbeiten von Arthur Pigou aus den zwanziger Jahren und Ronald
Coase aus den sechziger Jahren. Diese Instrumente ermöglichen,
plakativ formuliert, "mehr Umweltschutz für weniger Geld". Vom
Staat werden lediglich die gesamthaft anzustrebenden Umweltschutzziele
vorgegeben. Die Unternehmungen sollen durch Verhandlungen
selbst entscheiden können, wer wo wieviel Emissionen
reduziert. Denn wenn der Staat vorschreibt, welcher Betrieb welche
Vorkehrungen in welchem Ausmass zu ergreifen hat, so entstehen
gesamtwirtschaftlich wesentlich höhere Kosten, und die Existenz von
Firmen und Arbeitsplätzen kann gefährdet werden. Bei der marktwirtschaftlichen
Strategie des Umweltschutzes führen Verhandlungen
zwischen den Emittenten unter Nutzung der unsichtbaren Hand
des Marktes zum gesamthaft gewünschten und erst noch kostengünstigsten
Ergebnis.
Neue Erkenntnisse dürften je länger je mehr vor allem durch
interdisziplinäre Zusammenarbeit gewonnen werden können. Dies
gilt auch für die Ökonomie. Eine isolierte disziplinäre Forschung unterliegt
in besonderem Mass dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens,
soweit unter Nutzen nicht bloss der modelltheoretische
Perfektionismus verstanden wird. Interdisziplinäre Zusammenarbeit
erfordert den Transfer zwischen Wissenschaftsdisziplinen. Gerade
Universitäten mit einer grossen Zahl von Fächern sollten in der Lage
sein, diesen Trumpf auszuspielen.
Die zweite Voraussetzung für eine erfolgversprechende wirtschaftspolitische
Beratungstätigkeit besteht in der gesamtwirtschaftlich-konjunkturellen
Situation. Normalerweise ist erst in einer Krise
die Zeit reif für griffige Verbesserungsmassnahmen. Ohne diesen
Druck können sich alte politische Ideologien und Paradigmen halten.
Die Gegner von neuen Ideen können diese blockieren, während
sich die Befürworter zu wenig dafür einsetzen.
Auch dazu ein Beispiel: Als sich Ende der Sechziger-, Anfang der
Siebzigerjahre die festen Wechselkurse zunehmend als falsch erwiesen,
hat ein Grossteil der Ökonomen für den Übergang zu flexiblen
Wechselkursen plädiert. Zunächst erfolglos. Man glaubte, in den
aufwertungsbedrohten Ländern im Interesse der Exportindustrie die
Währungsparitäten durch Dollarkäufe stabilisieren zu müssen. Es
zeigte sich dann allerdings, dass die dadurch ausgelöste Geldmengenerhöhung
die Inflation beschleunigt. Auch wenn die seither eingeführten
flexiblen Wechselkurse zugegebenermassen auch nicht
ohne Probleme sind, so haben Zentralbanken, Geschäftsbanken und
Exportindustrie ihre Vorteile doch erkannt und gelernt, damit zu
leben. Und die Inflation ist unter Kontrolle.
Die dritte Voraussetzung für eine wirksame Beratungstätigkeit
betrifft die Einstellung der Beteiligten. Die in der praktischen wirtschaftspolitischen
Beratung tätigen Ökonomen dürfen sich nicht von
der theoretischen Forschung innerhalb und ausserhalb ihres eigenen
Fachgebietes abkoppeln. Letztlich kommen die entscheidenden Impulse
für grundlegende Durchbrüche aus der Grundlagenforschung.
Umgekehrt dürfen sich die Theoretiker nicht völlig in ihre selbst
definierte Modellwelt verkriechen und vor lauter Eleganz
ihrer Analyse deren Relevanz aus den Augen verlieren. Seitens der
Ökonomen ist auch mehr Verständnis für die praktischen Umsetzungsprobleme
der Politik angezeigt.
An die Adresse der Praktiker bleibt mir als beratendem Wissenschaftler
zum Schluss der Wunsch, sie mögen auf den Satz verzichten,
den Immanuel Kant bereits vor über 200 Jahren als Titel einer
Abhandlung wählte: "Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber
nicht für die Praxis".
Literatur
Silvio Borner: Wissenschaftliche Ökonomik und politische Aktion. Eine politische
Ökonomie der professionellen Beratung der Wirtschaftspolitik. Bern/Stuttgart:
Haupt 1975.
Silvio Borner: "Wirtschaftspolitische Beratung und politische Aktion". In:
Praxisorientierte Volkswirtschaftslehre. Bern: Stämpfli 1988.
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