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Management des Wandels

Grundelemente für ein differenziertes und integriertes «Change Management»

Akademische Rede von

Prof. Dr. Norbert Thom,
Vizerektor 1995/97

1. Die Ausgangslage für den Wandlungsbedarf von Unternehmungen

Für viele Unternehmungen hat sich im letzten Jahrzehnt die Notwendigkeit ergeben, im Interesse ihrer Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit Veränderungsprozesse verschiedener Intensitätsgrade durchzuführen. Der Wandel erreichte gesamthaft betrachtet eine derartige Erscheinungshäufigkeit, dass wir ihn immer weniger als Ausnahmefall im Lebenszyklus von Unternehmungen betrachten können. Daher ist es kaum verwunderlich, sowohl in der Wirtschaftspraxis als auch in der entsprechenden Fachliteratur eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen und den Gestaltungsmöglichkeiten eines Managements des Wandels («Change Management») feststellen zu können.

Aus der Sicht des Referenten umfasst das Konzept eines Managements des Wandels alle geplanten, gesteuerten. organisierten und kontrollierten Veränderungen in den Strategien, Prozessen, Strukturen und in den Kulturen sozio-ökonomischer Systeme (z.B. privater und öffentlicher Unternehmungen). Ein differenziertes und integriertes «Change Management» beschäftigt sich daher u.a. mit spezifischen Fragen der Unternehmungsführung, der Organisation, des Personalmanagements sowie der Kommunikation und Information (vgl. Doppler/Lauterburg 1994, S. 26). Die Grundfragestellung lautet: Wie können Unternehmungen den Herausforderungen eines sich häufig, unregelmässig und fast unvorhersehbar wandelnden Umsystems begegnen sowie durch ein pro- und reaktives Vorgehen ihr langfristiges Überleben und ihre fortlaufende Zielerreichung sichern?

Eine wandlungsbereite Unternehmung wird ständig die Veränderungen in den für sie wichtigen Umsystemkomponenten beobachten und daraus Konsequenzen für ihren Wandlungsbedarf ziehen. Generell gesagt erweisen sich folgende Umsystemfelder als besonders erheblich (vgl. zur Analysesystematik Kubicek/Thom 1976, Sp. 398Sf.):

•Ökonomische Komponente

(z.B. Globalisierung von Grosskonzernen bis hin zur Extremform eines «Turbo-Kapitalismus», regionale Differenzierung, Abbau von Kartellen, Stärkung der Käuferposition, strukturelle Verschiebungen

zwischen Wirtschaftssektoren, unprognostizierbare Konjunkturverläufe, überproportionale Entwicklung des internationalen Handels)

Technologische Komponente

(z.B. rasche Diffusion von neuen Technologien, welche die Voraussetzungen für Produkt- und Verfahrens innovationen schaffen, Notwendigkeit hoher Investitionen in Forschung und Entwicklung, revolutionäre Potentiale infolge der neuen Kommunikationstechnologien)

•Rechtlich-politische Komponente

(Aufhebung der politischen Bipolarität im Sinne der West-Ost-Spannungsfelder, relativer Machtverlust der Nationalstaaten, Krise der öffentlichen Haushalte, Liberalisierung der Wirtschaftsgesetze, neues Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, Attraktivität des Steuerrechts und der Verwaltungsbestimmungen aus unternehmerischer Sicht, also Wettbewerb der Standorte, verschärfte Produzentenhaftung)

•Sozio-kulturelle Komponente

(Verschiebungen in den demographischen Strukturen, Veränderungen in den Wertsystemen relevanter Bevölkerungsgruppen, Beeinträchtigung der Sicherheitsbedürfnisse in westlichen Industriegesellschaften, Sozialkontrakte zwischen gesellschaftlichen Interessengruppen, Anteile hochqualifizierter Bevölkerungsgruppen, Mobilitäts- und Lernbereitschaft in einer Gesellschaft)

•Physisch-ökologische Komponente

(Topographie, klimatische Bedingungen, ausgebrochene und drohende Naturkatastrophen, ökologische Belastungssituationen und daraus folgende Anforderungen an ein verändertes Umweltmanagement der Unternehmungen)

Zwischen den genannten Umsystemkomponenten bestehen Wechselbeziehungen. Dadurch kann der Änderungsdruck für Unternehmungen potenziert werden.

Die Ausgangslage wird weiterhin beeinflusst durch betriebliche und personelle Bedingungsgrössen. Zur ersten Kategorie zählen u.a.: derzeitige strategische Geschäftsfelder, Aufbau- und Ablauforganisation, Unternehmungskultur, implementierte Technik, Eigentumsverhältnisse. Unter den personellen Bedingungsgrössen sind für das Management des Wandels von besonderer Erheblichkeit: Wahrnehmungsvermögen respektive psychischer Verdrängungsreflex der Unternehmungsmitglieder, die Höhe ihrer persönlichen Entwicklungsziele (Ambitionen) und Entwicklungspotentiale, ihr Professionalisierungsgrad (Expertise) und ihre Kooperationsbereitschaft.

Aufgrund bisheriger Erfahrungen dürfen wir davon ausgehen, dass Unternehmungen sehr selten Änderungsprozesse einleiten, wenn sie sich aktuell in komfortablen Situationen (z.B. befriedigender Gewinn, weitgehender Konsens bei der Einkommensverteilung) befinden. In der Regel bedarf es zur Auslösung des Wandels einer Krisensituation. Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, Krisen danach zu unterscheiden, in welchen Bereichen sie die Erreichung der Unternehmungsziele gefährden (vgl. Müller 1986, S. 53 ff.).

In der Liquiditätskrise besteht die akute Gefahr der Insolvenz. Rasches Handeln ist geboten, da sonst das Ausscheiden aus dem Wirtschaftsgeschehen (z.B. durch Konkurs, Liquidation) droht.

Die Erfolgskrise ist durch eine deutliche negative Abweichung der Ist-Zustände von den Soll-Zuständen (z.B. Gewinn-, Rentabilitäts-, Umsatz-, Ertrags-, Kostenziele) gekennzeichnet. Fehlentscheidungen im Bereich der Marktbearbeitung, Produktion, Investition, des Personalmanagements usw. können Ursachen dieses Krisenzustandes sein.

Am wenigsten manifest und unmittelbar drückend ist die strategische Krise. Obwohl der aktuelle Zustand (die Erfolgssituation) noch durchaus befriedigend sein kann, muss die strategische Krise diagnostiziert werden, weil die Entwicklung, Verfügbarkeit und Verteidigungsfähigkeit der Erfolgspotentiale einer Unternehmung ernsthaft gefährdet sind (vgl. Müller 1986, S. 54). Die sich abzeichnende Lücke zwischen wahrscheinlichem (extrapoliertem) Ist und angestrebtem Soll kann durch einen Wandel im Sinne der strategischen Um- bzw. Neuorientierung (z.B. neue Märkte, Produkt- und Verfahrensinnovationen) wieder geschlossen werden. Dazu ist in der Regel ein mehrjähriger Wandlungsprozess erforderlich.

Es existieren andere Typologien zur Kennzeichnung von Krisenarten und Krisenphasen (vgl. u.a. Greiner 1972, Dubs 1994). Für den hier angestrebten Zweck, die Krisenart mit den Formen eines Managements des Wandels möglichst aussagekräftig zu verbinden, erscheint die vorgestellte Typologie, die von den tangierten Unternehmungszielen ausgeht, gut geeignet zu sein. Sie zeigt die Dringlichkeit und die erforderliche Radikalität des Wandels an. Angemerkt werden soll nochmals, dass ein «Change Management» nicht nur von Krisen ausgelöst werden muss, sondern auch der Krisenprophylaxe dienen kann.

2. Extreme Ansätze eines Managements des Wandels

Veränderungen in Strategien, Prozessen, Strukturen und Kulturen können sich in kleinen Schritten (inkremental) oder in grossen Schüben (radikal) vollziehen. Krüger (1994, S. 216 ff.) spricht in diesem Zusammenhang von einem Evolutions- bzw. Umbruchsmodell des Wandels. Im Sinne dieser Extremklassifikation wird nun je ein Konzept des revolutionären und evolutionären Wandels in sozio-technischen Systemen vorgestellt.

Prof. Dr. rer. pol. Norbert Thom ist seit 1991 ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Instituts für Organisation und Personal der Universität Bern. Seit 1995 ist er Mitglied der Universitätsleitung und als Vizerektor zuständig für Finanzen, Planung und Informatikdienste.

2.1 Die revolutionäre Veränderung im Sinne des «Business Reengineering»

Mit einem «Manifesto for Business Revolution» wurde 1993 von den amerikanischen Autoren Michael Hammer und James Champy das Konzept des «Business Reengineering» (BR) in seinen wesentlichen Komponenten formuliert bzw. postuliert. BR ist für diese Managementautoren «... ein fundamentales Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen. Das Resultat sind Verbesserungen um Grössenordnungen in entscheidenden, heute wichtigen und messbaren Leistungsgrössen in den Bereichen Kosten, Qualität, Service und Zeit.» (Hammer/Champy 1994, S. 48). Es geht Hammer/Champy um eine tiefgreifende Reorganisation von Unternehmungen entlang des Wertschöpfungsprozesses. Der Prozess zwischen Kundenbedürfnis und Kundenzufriedenheit ist radikal neuzugestalten. Dabei wird auf bestehende Strukturen und Verfahrensweisen nicht Rücksicht genommen. Am Anfang des Denkprozesses steht nicht die moderate Frage «Wie können wir das schneller und besser machen?», sondern die zweiflerische Position «Warum machen wir das überhaupt?». Die Radikalität reicht bis zur ahistorischen Hypothese «Wie würden wir es machen, wenn wir von vorne anfangen könnten?». Dabei werden nicht graduelle Verbesserungen, sondern nachhaltige Effizienzsteigerungen (Quantensprünge) in den oben genannten ökonomischen Kenngrössen angestrebt (z.B. Halbierung der Durchlaufzeit, Verdoppelung des Umsatzes pro Mitarbeiter). Wichtige Ansatzpunkte zur Erreichung dieser ambitiösen Ziele sind Kunden- und Prozessorientierung sowie die intelligente Nutzung neuester Informationstechnologien am Arbeitsplatz kompetenter Unternehmungsmitglieder. Die Umsetzung der neuen Lösungen soll bewusst undemokratisch erfolgen. Sie liegt in der Hand weniger Rollenträger. denen die notwendige legitimierte Macht verliehen wurde, um handstreichartig und in kurzer Zeit den Wandel mit herkulischer Kraft vollziehen zu können.

Bei allen Definitionen von Prozessen steht die Befriedigung der Wünsche interner und externer Kunden im Mittelpunkt. Was als Kernprozess gestaltet werden soll, hängt von der verfolgten Strategie ab. Aber alle Unternehmungen (bzw. entsprechende Einheiten in Grosskonzernen) sollen sich auf nur wenige Kernprozesse (z.B. die Neuproduktentwicklung. die integrierte Logistik) konzentrieren. Hilfsprozesse (auch Supportprozesse genannt) sind nicht für sich zu optimieren, sondern völlig auf die Kernprozesse auszurichten. Im Interesse dieser primären Optimierung können Hilfsprozesse notfalls auch suboptimal ausfallen. Die Problematik der Schnittstellen wird daher aus einer neuen Perspektive behandelt. Die Kernprozesse sind aus der Gesamtstrategie abzuleiten. Die aufbauorganisatorischen Regelungen haben die optimierten Kernprozesse zu unterstützen (Gestaltungsprinzip: «Structure follows process follows strategy»). Die vielschichtige Problematik der Prozessgestaltung kann an dieser Stelle nicht vertieft werden (vgl. eingehender Osterloh/Frost 1996). Eine kurze Anmerkung zur Informationstechnologie scheint allerdings notwendig. Das Ziel des Technikeinsatzes ist die kunden- bzw. vorgangsorientierte Rundumbearbeitung eines Sachverhaltes. Daher sind bestehende Abläufe nicht einfach zu automatisieren, sondern neue Anwendungsmöglichkeiten zu realisieren. Durch gezielte Nutzung von Datenbanken, Expertensystemen,

Telekommunikationsnetzwerken usw. kann das Aufgabengebiet einer Sachbearbeiterin bzw. eines Sachbearbeiters wesentlich bereichert werden. Die verbesserte Informationsbasis bleibt jedoch fruchtlos, wenn nicht die Kompetenzen verändert werden. Dazu gehören die organisatorischen Kompetenzen (das Dürfen, die Befugnisse) ebenso wie die Kompetenzen im qualifikatorischen Sinne (das Können, die Fähigkeiten und Fertigkeiten). BR-Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von «empowerment» der Angestellten, die sich zu «process professionals» entwickeln müssen. Deren Zusammenarbeit (z.B. in «case teams») soll sich grundlegend verbessern. «Die Mitarbeiter kommunizieren je nach Bedarf mit jedem im Unternehmen» (Hammer/Champy 1994, S. 107). Weitere Veränderungen im Personalmanagement werden gefordert. Messbare Ergebnisse sind die neue Grundlage für die Vergütung (Entlöhnung), Beförderungen sollen sich primär am Kriterium der Fähigkeiten und nicht an den Leistungen in der Vergangenheit ausrichten.

Das Konzept des BR wurde von zahlreichen Unternehmungen als Denkansatz für interne Wandlungsprozesse aufgegriffen. Beispiele für erfolgreiche Umgestaltungsprozesse in den vom BR geforderten eindrucksvollen Grössenordnungen sind sowohl in Deutschland (Demmer/Gloger/Hoerner 1996) als auch in der Schweiz (Osterloh/Frost 1996) in Fallstudien dokumentiert worden. Umfassender angelegte empirische Studien (vgl. Bullinger/Wiedmann/Niemeier 1995) förderten jedoch auch vielfältige Fehlschläge in der Implementierung von BR-Projekten zutage. Eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit lässt sich vielerorts nicht leugnen. Auf wichtige Voraussetzungen für die Umsetzung des revolutionären Wandels kommen wir im Abschnitt «Promotoren im Management des Wandels» zurück.

2.2 Die evolutionäre Veränderung im Sinne der Organisationsentwicklung

Das Konzept der Organisationsentwicklung (OE) darf sicherlich nicht in die auf- und ablebenden Modethemen eingeordnet werden (vgl. ausführlicher Kieser 1996, Shapiro 1996). Seit rund einem halben Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg beginnend, sind das Ringen um dieses Konzept und seine ständige Weiterentwicklung in der Fachliteratur dokumentiert. Trotz grosser Unterschiede in der Akzentsetzung durch einzelne OE-Vertreter kann generell festgehalten werden, dass unter der OE («Organizational Development», «Planned Organizational Change») eine partizipative Konzeption zur Planung, Initiierung und Durchführung von Wandlungsprozessen in sozialen Systemen verstanden wird (vgl. Thom 1992, Sp. 1478). Die Anhänger dieses evolutionären Wandlungskonzeptes gehen davon aus, das sich zuerst die Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen der Mitglieder eines sozio-technischen Systems ändern müssen, bevor sich dieses System (die Organisation im institutionellen Sinne) selbst wandeln kann. Ein solcher Ansatz vom Management des Wandels basiert auf einem Menschenbild, das von entwicklungs- und lernfähigen sowie verantwortungsbereiten Menschen (gemäss Theorie Y von Douglas McGregor) in Unternehmungen ausgeht.

Die Gesellschaft für Organisationsentwicklung (GOE) charakterisiert die OE in ihrem Leitbild als «... einen längerfristig angelegten, organisationsumfassenden Entwicklungs- und Veränderungsprozess

von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der Prozess beruht auf (dem) Lernen aller Betroffenen durch direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung. Sein Ziel besteht in einer gleichzeitigen Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation und der Qualität des Arbeitslebens (Humanität)» (ODE 1980).

Mit diesem Definitionsvorschlag sind bereits die normativen Grundpositionen der OE angedeutet. Veränderungen müssen von den Organisationsmitgliedem getragen werden. Interne und externe Berater (Change Agents) dürfen nur als Veränderungshelfer und nicht als dominierende Veränderer agieren. Unterstrichen wird dieser Grundsatz durch die Postulate «Hilfe zur Selbsthilfe» (keine Abhängigkeit von Experten) sowie «Betroffene zu Beteiligten machen» (die vom Wandel betroffenen Personen sollen am Wandlungsprozess aktiv mitwirken). Damit möchte die OE zur Demokratisierung des Arbeitslebens beitragen. Unnötige hierarchische Differenzierungen sind abzubauen, und die Machtbeziehungen in Organisationen sollen ausgeglichener (partnerschaftlicher) geordnet, eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens soll angestrebt werden.

Ein umfassendes OE-Konzept enthält sowohl einen strukturalen als auch einen personalen Ansatz. Der strukturale Ansatz versucht, über die Veränderung der organisatorischen Regelungen (z.B. Organisationsplan, einzelne Rollenbeschreibungen) günstige Rahmenbedingungen für die Erreichung der OE-Ziele zu schaffen. Der personale Ansatz setzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an und fördert durch Qualifizierungsmassnahrnen (Personalentwicklung) deren Fähigkeit zur Bewältigung und Unterstützung von Veränderungen. Es steht ausser Zweifel, dass die Zieldimensionen der OE (wirtschaftliche und soziale Effizienz) eine Kombination des strukturalen und des personalen Ansatzes erfordern.

OE-Prozesse vollziehen sich in verschiedenen Phasen. Am Anfang steht ein «Auftauen» («unfreezing») des Sozialsystems. Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen der Systemmitglieder werden in Frage gestellt und auf ihre Eignung zur Erreichung der Systemziele (Leistungs- und Innovationsfähigkeit, Humanität) überprüft. In einem zweiten Schritt («moving») erfolgt die eigentliche Veränderungsbewegung. Neue Verhaltensweisen, organisatorische Regelungen usw. werden erprobt, eingeübt und nach Lernprozessen immer zielgerechter verankert. Jeder Wandlungsprozess benötigt auch einen gewissen Abschluss, aber sicher ist, dass hiermit niemals ein definitives Ende (im Sinne verlorener Bewegungsfähigkeit) gemeint sein kann. Erforderlich ist jedoch eine Stabilisierung und Konsolidierung der neuen, offiziell legitimierten Verhaltensweisen und organisatorischen Regeln. Diese Bedeutung sollte der etwas missverständlichen Phasenbezeichnung «refreezing» zugeordnet werden.

Im OE-Konzept stellt sich die Frage, an welcher Stelle der Hierarchie der günstigste Ausgangspunkt für einen umfassenden, letztlich das ganze soziale System erfassenden Änderungsprozess liegt. Die Antwort der OE-Vertreter weicht erheblich von BR-Verfechtern ab. Während für das BR nur der Spitze-abwärts-Weg in Frage kommt, erweist sich hier die OE als wesentlich variantenreicher. Je nach pathologischer Ausgangslage und innerbetrieblichem Standort geeigneter Promotoren für den Wandel kennt das OE-Konzept keineswegs nur die Spitze-abwärts-Richtung.

sondern auch den umgekehrten Weg («bottom-up») oder das gleichzeitige Ansetzen im obersten und untersten Teil der Hierarchie (bipolare Strategie). Auch kann der Wandlungsprozess an mehreren Stellen der Hierarchie, in unterschiedlichen Fachbereichen und Hierarchiestufen, beginnen (multiple Nukleus-Strategie) oder gleich einem Keil von der Mitte der Hierarchie die umliegenden Schichten des Sozialsystems erfassen (Keil-Strategie).

Über die vielfältigen Methoden und Techniken der OE kann an dieser Stelle nicht gesprochen werden (vgl. Thom 1992 und die dort zitierte Literatur).

Der OE-Ansatz hat, zumindest in wesentlichen Teilen, durchaus eine beachtliche Verbreitung in der Organisationspraxis gefunden. Der Referent konnte einerseits bei einer Befragung von Organisierenden in der Schweiz (Cantin/Thom 1996, S. 117 ff.) feststellen, dass sich insbesondere die Prinzipien «Betroffene zu Beteiligten machen» und «Hilfe zur Selbsthilfe» bemerkenswerter Bekanntheit erfreuen. Auch das Verständnis der OE als «langfristiger und permanenter Veränderungsprozess» ist erheblich verbreitet, ebenso wie die Anwendung einiger OE-Techniken (z.B. die Prozessberatung und die Teamentwicklung; vgl. Cantin/Thom 1996, S. 100). Auf der anderen Seite lassen Aussagen der Organisierenden in der Praxis über die wünschenswerten Verbesserungsmassnahmen zahlreiche Defizite erkennen, deren Beseitigung zum Hauptanliegen der OE gehört. Erwähnt seien nur kurz die Zurückhaltung von Informationen zum Zweck der Diagnose, der Änderungswiderstand betroffener Personen oder mangelnde Team- und Kooperationsfähigkeit in der ganzen Unternehmung.

2.3 Gegenüberstellung der extremen Ansätze im Management des Wandels

Nach der kurzen Charakterisierung des revolutionären und evolutionären Wandels sollen beide Ansätze in der folgenden Darstellung anhand verschiedener Kriterien miteinander verglichen werden. In der Übersicht befinden sich nicht nur definitorische und klassifikatorische Aussagen, sondern auch Wertungen des Referenten (z.B. bei den Stärken und Schwächen der Ansätze). Ein Element dieser Synopse, nämlich die «Rollen» der Akteure im Wandlungsprozess, wird im nächsten Abschnitt vertieft behandelt.

Die Beurteilung der Zweckmässigkeit beider Ansätze hängt von vielen Faktoren ab. Fundamental sind die Unterschiede im Menschenbild und Machtverständnis. Die Situationsgerechtigkeit eines dieser extremen Wandlungskonzepte kann insbesondere an der Krisenart, in welcher sich das Sozialsystem befindet, beurteilt werden.

Während in der Liquiditätskrise die OE keine ernsthafte Alternative zum BR sein kann, verbleiben in der strategischen Krise genügend Möglichkeiten, die OE-Prinzipien und entsprechenden Techniken zur Geltung kommen zu lassen. Im Fall der Erfolgskrise kommt es zur eigentlichen Entscheidung bei der Wahl des Ansatzes für das Management des Wandels. Das Menschenbild der Wandlungspromotoren sowie die Ausprägung betrieblicher und personeller Bedingungsgrössen (siehe erster Abschnitt) dürften den Ausschlag für eine OE- oder BR-Orientierung im Wandlungsprozess geben.

3. Promotoren im Management des Wandels

Für den Erfolg von Wandlungsprozessen haben sich insbesondere die Motivation und die Qualifikation von aktiv und passiv Beteiligten als bedeutungsvoll erwiesen (vgl. u.a. Hall/Rosenthal/Wade 1994). Beide Extremkonzepte konnten differenzierte «Drehbücher» für die Rollen im «Change Management» entwickeln. Die Vielfalt der Fachtermini ist verwirrend. Ein Vergleich lässt sich am besten auf der Basis des Promotorenmodells von Witte (1973) und Hauschildt/Chakrabarti (1988) vornehmen. Dabei muss auf subtile Rollenbeschreibungen verzichtet werden.

Der Machtpromotor (BR =Leader, OE = Change Catalyst) ist aufgrund seines hohen hierarchischen Ranges in der Lage, den Wandlungsprozess zu legitimieren, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen und Systembarrieren (z.B. aufgrund gegebener Kompetenzverteilungen) zu überwinden. Im BR nimmt das Top Management die Funktion des mächtigen Initiators der Veränderung wahr (Spitze-abwärts-Strategie). Bei der OE kann der «Change Catalyst» den Wandlungsprozess sowohl beschleunigen als auch verlangsamen. Letzteres vor allem, weil eine Überforderung des Sozialsystems erkennbar ist.

Die Funktion des Prozesspromotors (BR = Process Owner, OE =Change Agent) erweist sich als anspruchsvoll. Seine Aufgaben bestehen beispielsweise darin, die Projektgruppe (das «Change Team») zusammenzuführen, bürokratische Eingriffe abzuwenden sowie die am Wandlungsprozess direkt Beteiligten zu inspirieren und zu motivieren. Die Prozesspromotoren nehmen die zentrale Koordinations- und Kommunikationsfunktion im Veränderungsprozess wahr. Dazu gehören die laufende Information über den Stand der Veränderung sowie die Entgegennahme und Verarbeitung von Verbesserungsvorschlägen und Kritik. Change Agents im OE-Sinne sollen über hohe soziale Kompetenzen und entsprechende Techniken verfügen. Der «Process Owner» im BR ist letztlich eher ein Betreuer eines bestimmten Prozesses («Prozessverantwortlicher») als ein Berater des Wandlungsprozesses. Freilich muss zunächst das Denken und Handeln der Systemmitglieder auf die neuen Prozesse ausgerichtet werden. Hierbei hilft das «Reengineering-Team».

Schliesslich bedarf jedes Management des Wandels der Rolle von Fachpromotoren (BR=Reengineering Czar, OE =Change Agent in Verbindung mit dem Client System). Diese haben das fachliche Instrumentarium für Veränderungen zur Verfügung zu stellen. Dazu können die Beherrschung von Veränderungstechniken (Prozessanalyse, Kreativitätstechniken, gruppendynamische Übungen usw.) und konkretes Fachwissen zur Problemlösung gehören. Im OE-Ansatz wird Fachwissen nicht vom Change Agent monopolisiert, sondern bewusst aus dem «Client System», den Mitgliedern des zu wandelnden Systems, aktiviert. In BR-Projekten nimmt die Bereitstellung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologie einen wichtigen Platz im Aufgabenspektrum des Fachpromotors ein.

Die Promotoren der verschiedenen Arten sollten im Wandlungsprozess wirkungsvoll kooperieren, und zwar gleichsam wie ein wohlabgestimmtes Gespann. Promotoren sind häufig nicht auf Dienstwegen in der nützlichen Konstellation hintereinander angeordnet. Deshalb muss einerseits

Freiraum bleiben, damit sich Promotoren in zugkräftigen Gespannen zusammenfinden können. Andererseits bedarf es eines bewussten Gestaltungsaktes, um die Promotorenrollen zu definieren, die entsprechenden Rollenträger auszuwählen und das Zusammenwirken dieser Kernpersonen im Wandlungsprozess zu fördern (z.B. in Projektgruppen und Lenkungsausschüssen). Einfach gesagt kommt es darauf an, dass der Veränderungsprozess von der Unternehmungsleitung kraftvoll getragen, von sozialkompetenten Prozessverantwortlichen fortlaufend gefördert und von versierten Experten fachlich bestmöglich betreut wird.

Ein Blick in die Organisationspraxis schweizerischer Unternehmungen und Verwaltungen (vgl. Cantin/Thom 1996, S. 121 ff.) zeigt, dass die Rollen des Prozess- und Fachpromotors einzeln oder kombiniert häufig eingenommen werden. Weit zurückhaltender waren die befragten Personen damit, sich selbst die Attribute eines Machtpromotors zuzuordnen. Die Praktiker waren sich allerdings der Notwendigkeit der Machtdimension im Prozess der organisatorischen (Um-) Gestaltung stärker bewusst als die ebenfalls befragten Universitätsprofessoren für das Fach «Organisation/Führung». Diese hoben beim zukünftigen Rollenverständnis von Organisierenden eher die «weicheren» Rollen wie Change Agent, interner Berater, Integrator und Moderator hervor.

Geradezu wie eine Passage aus dem Handbuch der «Realpolitik» tönt es daher, wenn die BR-Autoren Hammer und Champy die Figur des «Leaders», also Machtpromotors, beschreiben. Er soll die Befähigung zu mitreissenden Reden haben, über Sanktionsmacht verfügen (Lob und Tadel virtuos einsetzen) und im Grenzfall Widerstand brechen, wie aus folgendem Zitat zum Rollenverständnis herausgelesen werden darf: «Wenn sich euch jemand in den Weg stellt, lasst mich wissen, wer es ist, damit ich mich seiner annehmen kann.» (Hammer/Champy 1994, S. 136).

4. Grundidee für ein differenziertes und integriertes Management des Wandels

Die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, dass ein Management des Wandels bei recht unterschiedlichen Ausgangssituationen ansetzen und demzufolge auch sehr variantenreiche Ausgestaltungsformen annehmen kann. Ein lohnenswertes Feld für die weitere Forschungsarbeit besteht also darin, die Zusammenhänge zwischen ausser- und innerbetrieblichen sowie personellen Bedingungsgrössen einer Institution, zwischen den verschiedenen Krisenarten als Wandlungsauslösern sowie den grundlegenden Instrumenten (Aktionsparametern) des Wandlungsmanagements auszuleuchten und empirisch begründete Aussagen über die Stimmigkeit von Lage und Handlungsinstrumentarium zu erarbeiten (vgl. die vereinfachende Prinzipdarstellung in der Abbildung).

Zwischen den Extremformen des Wandels (BR und OE) liegt ein Kontinuum von Varianten. Diese könnten nach dem Grad der Partizipation der Systemmitglieder bzw. der Handlungsfreiheit des Top Managements unterschieden werden. Damit einher geht das Ausmass der Betonung von ökonomischer und/oder sozialer Effizienz und Effektivität. Die Krisenart signalisiert die Dringlichkeit und damit die Radikalität des Wandels sowie in den Extremfällen

auch die Angemessenheit von BR oder OE. Die erfolgreiche Implementierung von Änderungsprozessen hängt wesentlich von wandlungsunterstützenden Massnahmen im Bereich des Personalmanagements ab. Neben den bereits angedeuteten Massnahmen der Personalentwicklung und Personalerhaltung (vgl. für den Fall verschiedener Krisen hierzu eingehender Hertig 1996) dürfen auch differenzierte Konzepte des Personalabbaus nicht vernachlässigt werden. Promotoren des Wandels werden nicht daran vorbeikommen, sich auch mit dem Thema Personalabbau in einer Weise zu beschäftigen, dass die Würde der Betroffenen gewahrt bleibt und eine Weiterbeschäftigung im Arbeitsmarkt möglich ist. Betriebswirtschaftliches Effektivititäts- und Effizienzdenken sollte an dieser Stelle um Perspektiven der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung erweitert werden.

Das primäre Ziel des "Change Managements" liegt nicht im Personalabbau, sondern in der Entfaltung der Mitarbeiterpotentiale (BR =empowerment, OE = entwicklungs- und lernfähige Menschen) zwecks erhöhter Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmungen als Einkommensquelle für mehrere Anspruchsgruppen.

Literatur

Bullinger H.-J. /Wiedmann, G. /Niemeier, J.: Business Reengineering. Stuttgart 1995

Cantin, F./Thom, N.: Organisationsarbeit in der Schweiz, 2. Aufl.. Glattbrugg 1996

Demmer Ch./Gloger A./Hoerner; R.: Erfolgreiche Reengineering-Praxis in Deutschland. Düsseldorf und München 1996

Doppler; K./Lauterburg, Ch.: Change Management. Frankfurt/Main und New York 1994

Dubs, R.: Unternehmerischer Wandel. In: Unternehmerischer Wandel, hrsg. v. P. Gomez et al., Wiesbaden 1994, S. 85-104

Gesellschaft für Organisationsentwicklung (GOE) e. V.: Leitbild und Grundsätze. Gründungsveranstaltung vom 4. Juni 1980

Greiner, L.. Evolution and Revolution as Organizations Grow. In: Harvard Business Review, 50. Jg.1972, Heft 4, S. 37-46

Hall, G./Rosenthal, J./Wade, J.: Reengineering: Es braucht kein Flop zu werden. In: Harvard Business Manager,16. Jg.1994, Heft 4, S. 82-93

Hammer, M./Champy, J.: Reengineering the Corporation. New York 1993

Hammer. M./Champy, J.: Business Reengineering. Frankfurt/Main und New York 1994

Hauschildt, J./Chakrabarti, A. K.: Arbeitsteilung im Innovationsmanagement. In: Zeitschrift Führung und Organisation, 57. Jg. 1988, Heft 6, S. 378-388

Hertig. Ph.: Personalentwicklung und Personalerhaltung in der Unternehmungskrise. Bern u. a.1996

Kieser; A.: Moden &Mythen des Organisierens. In: Die Betriebswirtschaft, 56. Jg.1996, Heft 1, S. 21-39

Krüger, W.: Transformations-Management. In: Unternehmerischer Wandel, hrsg. v. P. Gomez et al., Wiesbaden 1994, S.199-228

Kubicek, H./Thom, N.: Umsystem, betriebliches. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 4. Aufl., hrsg. v. E. Grochla und W. Wittmann, Stuttgart 1976, Sp. 3977-4017

Müller; R.: Krisenmanagement in der Unternehmung, 2. Aufl., Frankfurt/Main u. a.1986

Osterloh, M./Frost, J.: Prozessmanagement als Kernkompetenz. Wiesbaden 1996

Shapiro, E. C.: Trendsurfen in der Chefetage. Frankfurt/Main und New York 1996

Thom, N.: Organisationsentwicklung. In: Handwörterbuch der Organisation, hrsg. v. E. Frese, 3. Aufl., Stuttgart 1992, Sp. 1477-l491

Witte, E.: Organisation für Innovationsentscheidungen. Göttingen 1973