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Die Zukunft der Hochschulen im Europa von morgen

Dr. h.c. Klaus von Trotha, MdL
Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst
des Landes Baden-Württemberg

Das hier vorliegende Referat hielt Dr. h.c. Klaus von Trotha, MdL, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, als Festrede am Dies academicus der Universität St. Gallen vom 7. Juni 1997.

Herausgeber: Universität St. Gallen — Hochschule St. Gallen für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)

Redaktion: Roger Tinner

Auflage: 3000

Copyright: Universität St. Gallen, 1997

Die Broschüren der Reihe «Aulavorträge» werden finanziert mit Unterstützung des St. Galler Hochschulvereins und des Dr. Rudolf Reinacher-Fonds. Sie gelangen nicht in den freien Verkauf.

Die Zukunft der Hochschulen im Europa von morgen

Magnifizenz, sehr verehrte Festgäste,

heute ist ein besonderer Tag: vor allem für die Universität St. Gallen, die im 99. Jahr ihres Bestehens den «Dies academicus» feiert. Es ist aber auch für mich ein ganz besonderer Tag. Denn ich empfinde es als hohe Ehre, an einem solchen Tag, der ja viel mit dem Selbstverständnis der Hochschulen zu tun hat, den Festvortrag halten zu dürfen.

Der «Dies academicus» Ihrer Hochschule fällt zusammen mit dem Tag der Pressefreiheit, der in den USA traditionell grosse Beachtung findet. Über dieses hohe Gut hat der französische Staatsmann Alain Peyrefitte einmal gesagt: «Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.»

Von der Freiheit, alles zu sagen, mache ich als Politiker hier und jetzt dankend Gebrauch. Wohlwissend, dass auch eine Festrede einen ordentlichen Anfang und einen ordentlichen Schluss haben sollte und beide nicht zu weit auseinander liegen dürfen.

II. HOCHSCHULEN UND GESELLSCHAFT AN DER ZEITENWENDE

Wir stehen heute vor einer Zeitenwende, die dem Übergang der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft vergleichbar ist. Wir sind im Begriff, in ein neues gesellschaftliches Entwicklungsstadium einzutreten, ein Stadium, das zu Recht häufig als Informations- und Wissensgesellschaft bezeichnet wird. Sicherlich hat Wissen immer schon eine entscheidende Rolle bei der gesellschaftlichen Entwicklung gespielt. Doch in Zukunft wird Wissen einen Stellenwert erhalten wie niemals zuvor. Jede Woche werden derzeit 20'000 wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht. In wenigen Jahren werden mehr Menschen im Dienst der Wissenschaft forschen als in der gesamten bekannten Menschheitsgeschichte zuvor. Der Anteil des methodisch geordneten Wissens an den gesellschaftlichen Fähigkeiten steigt inzwischen quantitativ und qualitativ. Er betrifft die berufliche wie die allgemein-öffentliche Sphäre, und er lässt auch die private Existenz nicht unberührt.

Wo in der Agrargesellschaft Boden und Arbeit den landwirtschaftlichen Erfolg bestimmt haben, wird in der Wissensgesellschaft zunehmend die Kenntnis genetischer Pflanzencodes für Ernteerfolg und Erlös entscheidend sein. Wo in der Industriegesellschaft Maschinen und Stahlblech den Wert eines Automobils definiert haben, ist es heute schon das in der Mikroelektronik der Fahrzeugsteuerung gespeicherte Wissen.

Dieser Prozess technologisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und Innovationen wird in Zukunft noch schneller werden und uns vor immer neue Optionen natur- und ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnisse stellen.

Unsere Lebenswirklichkeit wird jedoch nicht allein durch die technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch durch die gesellschaftliche Umsetzung dieser Erkenntnisse bestimmt.

Die Geschwindigkeit dieser Umsetzung hängt wiederum von der Bereitschaft der Menschen und ihrer Institutionen ab, sich den neuen Erkenntnissen und Veränderungen zu stellen und sie zu verwerten oder zu adaptieren. Die Kernenergie, die Mikroelektronik oder die Gentechnologie sind allgegenwärtige Beispiele für die Probleme der gesellschaftspolitischen Befindlichkeit bei der Umsetzung neuer Erkenntnisse in unsere Alltagswelt.

Die ingenieur- und naturwissenschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit werden letztlich also kulturell und politisch bestimmt. Insofern besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem technisch-naturwissenschaftlichen und dem kulturellen und politischen Niveau unserer Wissens- und Kommunikationsgesellschaft. Plurale und vor allem innovative Entfaltung der Wissenschaft und die gesellschaftlich gewollte und kontrollierte Nutzung ihrer Erträge sind daher im Ergebnis die zukunftsgestaltenden Parameter.

III. HUMBOLDT NEU DENKEN — DER BEITRAG DER ORDNUNGSPOLITIK

Die Erwartungen, die in diesem Zusammenhang an die Universität als die Institution gestellt werden, die wie keine andere Einrichtung sonst Verfügungs- und Orientierungswissen forschend und lehrend vermitteln kann, sind deshalb gross. Gerade an sie richtet sich die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Dazu gehören nicht nur die Probleme der Technikfolgenabschätzung und der gesellschaftlichen Akzeptanz wissenschaftlichen Fortschritts. Wir haben in Baden-Württemberg eine eigene Akademie dafür eingerichtet. Das ist wichtig. Aber wir brauchen auch Leitbilder dafür, wie unsere Lebenswelten so fortentwickelt werden können, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt.

Die Freiheit der Forschung und Lehre berechtigt die Universitäten nicht nur, sondern verpflichtet sie zugleich, ihre Aufgaben der Wahrheitssuche, der Orientierung und Kritik systematisch wahrzunehmen. Wissenschaft, die dem nicht gerecht wird, verletzt zwar zumeist keine Rechtspflicht. Aber sie verweigert der Gesellschaft doch jene Gegenleistung, in dessen Erwartung der Universität das Privileg der Autonomie gewährt wurde.

Damit stellt sich freilich die naheliegende Frage, ob die Universitäten — ich kann hier wohlgemerkt nur für die deutschen und insbesondere die badenwürttembergischen Hochschulen sprechen — diesen hohen Ansprüchen noch gerecht werden können? Fest steht: ihre gesellschaftliche Reputation hat erheblich gelitten.

Sicherlich sind unsere Hochschulen besser als ihr Ruf. Aber ihr Ruf ist eben auch nicht mehr der beste. Dies allerdings kommt nicht von ungefähr.

In der Tat:

— Die Universitäten müssen mit einer Überlast von Studierenden fertig werden, wie sie als Folge der gewollten Bildungsexpansion auf die Hochschulen zugekommen sind (10-32 Prozent).

Ist Humboldt möglicherweise in dieser «Masse erstickt?», wie es der Präsident unserer Hochschulrektorenkonferenz vermutet?

— Die Studienzeiten sind zu lang, die Studienabbrecherquoten zu hoch und die Hochschulabsolventen im internationalen Vergleich viel zu alt;

— wissenschaftliche Qualifikationsämter werden zum Teil erst in einem Alter erreicht, wo man im Mittelalter schon verstorben wäre;

— die Zahl der Fachwechsler und der Studienabbrecher mit über 30 Prozent ist zu gross;

— die Universitäten klagen häufig zu Recht über Unterfinanzierung und Überreglementierung.

Hinzu kommt, dass

— die Beziehungen zur beruflichen Praxis sich lockern, so dass das Studium vielfach nur noch dem Leben vor der beruflichen Tätigkeit dient; wir leben aber, um zu leben und nicht, um uns auf das Leben vorzubereiten;

—wichtige Forschungszweige ausgelagert werden;

—vielversprechende Innovationen den Universitäten oft gar nicht mehr zugetraut werden.

Wir versuchen derzeit in Baden-Württemberg, durch eine umfassende Hochschulreform zumindest einige dieser Probleme zu lösen.

Dabei hat aber Karl Jaspers sicherlich recht, wenn er — ganz dem Denken Humboldts verpflichtet — sagt: «Eine sachgemässe Hochschulreform kann zwar unter den realen Bedingungen von Staat und Gesellschaft, aber entscheidend doch nur aus dem Inneren der zeitlosen Idee der Universität erfolgen.» Und in seiner berühmt gewordenen Heidelberger Rede schreibt er: «Das Wesen der Universität ist der lebendige Geist, der in ihr wohnt.»

Will sich also die Universität der Zukunft nicht durch eine Virtuelle Hochschule zu weiten Teilen ablösen lassen, so muss der lebendige Geist —auf welche Weise auch immer — in ihr wohnen, so muss sie der gesellschaftliche Ort bleiben, an dem es noch gelingt, die für die Ordnung des Ganzen unverzichtbare Gesamtschau der wissenschaftlich-technischen Welt und ihrer geistigen und kulturellen Dimension zu versuchen, und dies bedeutet vor allem zweierlei:

1. Die Hochschulen brauchen für ihre zukünftige Entwicklung einen klaren ordnungspolitischen Rahmen.

2. Ihre Entwicklung darf durch Überregulierung nicht behindert werden. Sie darf aber andererseits auch nicht der Beliebigkeit von ExperimentierklauseIn und Selbstbedienungsallüren überlassen bleiben.

Aus diesen Gründen ist jedoch das Humboldtsche Erbe alles andere als eine Altlast. Es ist auch nicht, wie Jürgen Habermas einmal behauptet hat, «zur Ideologie eines Berufsstandes mit hohem sozialen Prestige» verkümmert.

Es kommt vielmehr darauf an, Humboldt unter veränderten Rahmenbedingungen nicht aufzugeben, sondern neu zu denken, wenn wir wollen, dass die Universitäten auch künftig das sind, was sie sein können und was sie sein sollen: nämlich Werkstätten unserer Zukunft.

IV. DAS PROFIL EINER HOCHSCHULE DER ZUKUNFT

Der Präsident der Stanford University, Professor Gerhard Casper, hat kürzlich in einem Interview mit der FAZ das Erfolgsrezept jener amerikanischen Spitzenuniversitäten erläutert, die jeden Weltvergleich mit Bravour bestehen:

«Stark vereinfachend könnte man sagen, dass sie [die amerikanischen Spitzenuniversitäten] das Humboldtsche Erbe stärker honoriert haben, als das heute in Deutschland der Fall ist. Um es mit Humboldt auszudrücken: Der Universitätslehrer ist nicht für die Studenten, sondern "beide sind für die Wissenschaft da; sein Geschäft hängt mit an ihrer Gegenwart und würde ohne sie nicht gleich glücklich vonstatten gehen". Von diesem Humboldtschen Paradies sind die deutschen Universitäten weiter entfernt denn je. Mir scheint, dass in Universitäten, die sich vom Massenbetrieb oder hierarchischen Strukturen überwältigen lassen, oder in Ländern, wo Forschung und Lehre getrennt sind, viel schöpferische Kraft brachliegt. Eine lebenskräftige Universitätslandschaft, in der nicht Auslese und Konkurrenz unter den einzelnen Hochschulen herrscht, kann ich mir auf Dauer nicht vorstellen.»

Dies deckt sich in jedem Detail mit meiner Auffassung. Die Universität der Zukunft, die im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen will, sollte sich deshalb an fünf Kriterien messen lassen:

•Transparenz
•Kooperation
•Wettbewerb
•Qualitätsorientierung
• Internationalität

1. Transparenz

Wer innovativ sein will, der benötigt ein hohes Mass an Transparenz über die Ausgangssituation. Mit dieser Transparenz ist es an unseren Hochschulen nicht zum Besten bestellt. Sie erforschen fast alles, jedoch nur wenig sich selbst. So gibt es etwa keine institutionalisierte Form, um Erfolg und Leistungsfähigkeit der Lehreinheiten zu erfassen und daraus Handlungsoptionen abzuleiten. Selbst grundlegende Daten sind kaum verfügbar.

Besitzstandwahrung konkurriert mit Bemühungen um eine zukunftsorientierte Struktur- und Entwicklungsplanung: aber jeweils nur in der eigenen Universität, so gut wie gar nicht abgestimmt mit den übrigen Hochschulen des Landes.

Dies hat mich dazu bewogen, eine «Hochschulstrukturkommission» mit der Aufgabe zu berufen, alle Angebote im Hochschulbereich innerhalb des Landes zu sichten und unter bestimmten Kriterien wie Auslastung, Bedarf und Qualität zu überprüfen und, so gut es geht, in Einklang zu bringen.

Ausgangsüberlegung dafür war — ich gebe es zu — nicht zuletzt die finanzielle Situation.

Die staatlichen Mittel werden weniger. Also müssen wir neue Handlungsfähigkeit aus der vorhandenen Substanz gewinnen. Dies ist schwierig und konfliktträchtig, aber im Sinne des Erhalts der Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems unvermeidlich.

2. Kooperation

Die Vielschichtigkeit von Fragestellungen und Problemlagen verlangt auch im Hochschulbereich die Bündelung aller Kräfte. Gute Ergebnisse in Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik sind immer das Produkt einer entsprechend guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter. Innerhalb der Hochschule geht es hierbei zum einen um ein möglichst erfolgreiches Zusammenwirken der Lehrenden mit den Lernenden, zum anderen aber auch um die Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern selbst, sei es disziplinär oder interdisziplinär.

Die Freiheit der Forschung soll schliesslich nicht zuletzt der Qualität der Lehre dienen. Die Universitäten sind keine Max-Planck-lnstitute mit einer Nebentätigkeit in der Lehre. Wer an der Einheit von Lehre und Forschung festhalten will — und das will ich — muss ein professionelles Verhalten in beiden Bereichen erwarten.

Es ist mir deshalb seit längerer Zeit ein wichtiges hochschulpolitisches Anliegen, der Lehre den ihr gebührenden Platz wieder einzuräumen. So muss beispielsweise bei einer Habilitation auch die pädagogisch-didaktische Eignung nachgewiesen und bei einer Berufung zumindest behauptet werden. Mit der Einführung des Landeslehrpreises habe ich das gleiche Ziel verfolgt. Denn gute Lehre versteht sich keinesfalls von selbst. Mit 300'000 DM ist der Landeslehrpreis genauso hoch dotiert wie unser Landesforschungspreis. Preisträger und Preisgeld sind wichtig. Wichtiger aber noch war das Vorgehen: Wieder einmal war der Weg bereits das Ziel.

Kooperation bedeutet auch, dass die richtigen Studierenden an die richtige Hochschule kommen.

Bei der Novellierung des Hochschulrechts hatte deshalb für mich die Einführung einer Auswahlmöglichkeit der Hochschulen bei der Zulassung von Bewerbern zum Studium einen besonderen Stellenwert. Wir wollen, dass die Universitäten 40 Prozent der Bewerber in Fächern mit örtlichem Numerus clausus selbst auswählen können. Es geht dabei nicht darum, das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung in Frage zu stellen oder zu entwerten, sondern umgekehrt darum, die Hochschulen, die mit den zugelassenen Studierenden bestimmte Ausbildungsziele erreichen sollen, einzubeziehen. Für mich ist das Recht der Hochschulen, Lehrende und Lernende selbst auswählen zu dürfen, jedes für sich eine zentrale Frage der Hochschulautonomie und ihrer verantwortlichen Handhabung.

Wenn die Hochschulen die Verantwortung dafür übernehmen sollen, dass das von ihnen angebotene Studium auch möglichst erfolgreich absolviert wird, dann können sie nicht bei der Auswahl der Bewerber ausgeklammert bleiben.

Was die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern anbelangt, so gibt es dafür eine erfreuliche Vielzahl erfolgreicher Beispiele. Dennoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kooperation in der Wissenschaft noch deutlich verbessert werden kann. Das zeigt sich, wenn man die Situation einzelner Fächer an benachbarten Hochschulstandorten betrachtet. Jeder Standort hat seinen eigenen Bereich, eine Abstimmung oder gegenseitige Ergänzung der Schwerpunkte oder Profile in Forschung oder Lehre findet aber kaum statt.

Kooperation sollte aber dazu dienen, Kräfte zu bündeln, Schwerpunkte zu setzen, und auf das zu verzichten, was an anderer Stelle besser gemacht wird.

Kooperation bedeutet aber auch Partnersuche ausserhalb der Hochschule. Die Universität der Zukunft muss mit der Wirtschaft noch intensiver zusammenarbeiten. Notwendig ist eine engere und vertrauensvolle Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Durch ein ganzes Bündel von Massnahmen erleichtern und fördern wir deshalb die Zusammenarbeit der beiden Bereiche. Ich nenne nur beispielhaft:

—Ausbau von Technologieberatungsstellen an den Universitäten;

— Einrichtung einer landesweiten Patent- und Lizenzberatungsstelle an der Universität Karlsruhe mit Vertretungen vor Ort;

— Einrichtung von Transferzentren der Steinbeis-Stiftung auch an den Universitäten;

— Einrichtung von Softwarelabors;

— Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern im Rahmen gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsprojekte;

— Existenzgründerprogramm;

— und ganz neu ein Verbundforschungsprogramm.

3. Wettbewerb

Der Wettbewerb wird regelmässig als konstitutives Element jeder Innovation angesehen. Unter den Bedingungen eines rein kameralen Haushaltssystems, in dem jeder Hochschullehrer auf der Grundlage einer einmal gegebenen Zusage unabhängig von seinem persönlichen Einsatz und seiner Leistung jährliche Ressourcen in fester Grösse erhält, ist wenig motivierend.

Damit soll aber nicht einer Stärkung der Verwaltung das Wort geredet werden, sondern ganz im Gegenteil für eine wettbewerbsfreundliche, stetig zu verbessernde Produktion von Lehr- und Forschungsleistungen plädiert werden — mit leistungsorientierter Bezahlung, zumindest anfangs befristeten Beschäftigungsverträgen und erfolgsorientierten Personal- und Mittelzuweisungen.

Wir arbeiten derzeit an der Definition von Kriterien, die — aufbauend auf eine verbindlich zugesagte Grundausstattung — die nachgewiesenen Leistungen in Lehre und Forschung zum Massstab staatlicher Zuweisungen machen.

Es ist dies der Weg in den Wettbewerb um Qualität und Qualitätsverbesserung in allen Bereichen der Forschung und um Qualifikation und Qualifikationsverbesserungen auf Seiten der Studierenden, die das für ihre Zukunft relevante Wissen und die entsprechenden Berufsfähigkeiten erwerben wollen. Es ist dies nicht nur der Weg in den Wettbewerb zwischen den Hochschulen um Qualität und Qualifikation, sondern auch der Weg in den europäischen und globalen Wettbewerb der Nationen und ihre Zukunftschancen in der Weltgesellschaft.

4. Qualitätsorientierung

Über einen langen Zeitraum hinweg haben wir es in Baden-Württemberg wie auch in der übrigen Bundesrepublik toleriert, dass die Studierenden ihr Studium nach Lust und Laune ausgedehnt haben — manche nolens volens, andere nach der Devise: Mir ist kein Opfer zu gross, das die Gesellschaft für mich erbringt. Darin wurden sie unterstützt von vielen Hochschullehrern, die angesichts der Wissensexplosion sich auf die Reaktion verständigten: viel = gut = lang.

Die Nutzung der Hochschule als staatlicher Einrichtung wurde insofern quasi als selbstverständliches Recht — Bildung ist Bürgerrecht — angesehen, das man beliebig lange in Anspruch nehmen kann. Diese Sicht hat wenig mit Innovation und Qualifikation zu tun. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass der Staat die Aufgabe habe, auf Kosten des Steuerzahlers beliebig vielen ein Privatgelehrtendasein zu ermöglichen. Die Kostenfreiheit des Studiums ist vor allem dadurch zu rechtfertigen, dass die Gesellschaft von dem Studium des einzelnen auch einen Mehrwert erfährt. Langzeitstudierende verschenken einen

Teil der kreativsten Jahre. Die ständige Anhäufung nur von immer mehr Wissen vermittelt nicht notwendigerweise auch eine höhere Kompetenz.

Wir haben deshalb das System von Bildungsguthaben eingeführt. Dies hat zur Konsequenz, dass das Regelstudium mit einigen Zusatzfreiteilen kostenlos ist, Langzeitstudierende aber Gebühren zu entrichten haben werden. Es soll damit den Studierenden bewusst gemacht werden, dass das Studium an einer Hochschule eine ausserordentlich kostenaufwendige Qualifizierungsform ist, die der Staat nur für einen begrenzten Zeitraum unentgeltlich zur Verfügung stellt. Jeder muss sich dann innerhalb des gesteckten, durchaus grosszügigen zeitlichen Rahmens bewegen — oder er wird zahlungspflichtig. Letztlich handelt es sich dabei um ein Element der Qualität, weil Leistung immer in einem Zusammenhang mit der eingesetzten Zeit zu sehen ist.

Zu den Regeln eines qualitätsorientierten Studiensystems gehört freilich auch, dass die Studierenden die Möglichkeit haben müssen, sich zur Qualität der Lehre zu äussern. Auch wenn die Studierenden ihr Fach noch nicht beherrschen, so gibt es inzwischen doch eine Fülle von Nachweisen, dass sie sehr wohl zwischen guter und schlechter Lehre unterscheiden können.

Sollten wir im Hinblick auf eine ausreichende Finanzierung der Funktionsfähigkeit unserer Hochschulen zu Studiengebühren kommen, und ich halte dies auch für Deutschland für immer wahrscheinlicher, so würde dies ungeachtet aller finanziellen Auswirkungen zu einer bisher den Universitäten kaum geläufigen Kundenorientierung führen, die für das Leistungsbild der Universitäten anspruchsvolle Konsequenzen hätte.

5. Internationalität

Die internationale Attraktivität ist in erheblichem Umfang auch ein Gradmesser der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eines Systems. Es spricht

sich herum, ob sich ein Forschungs- oder Lehraufenthalt in einem bestimmten Hochschulsystem lohnt oder nicht.

Auch wenn die Universität einst sicherlich zu dem Besten gehörte, was Deutschland der Welt gegeben hat, ist inzwischen doch unbestreitbar, dass das deutsche Hochschulsystem erheblich an internationaler Attraktivität und Aufmerksamkeit verloren hat.

Dafür gibt es eine Reihe einleuchtender Gründe. Die überlangen Studienzeiten in der Bundesrepublik, die ungenügende Betreuung und die Sprachbarriere haben eine abschreckende Wirkung gerade auf motivierte und qualifizierte Studierende aus dem Ausland.

Hinzu kommt, dass international die im angloamerikanischen Raum eingeführten Grade «Bachelor» und «Master» einen fest definierten Stellenwert haben, während das deutsche «Diplom» in seiner Wertigkeit unklar bleibt, zumal es noch an ganz unterschiedlichen Hochschularten vergeben wird. Es erscheint deshalb dringend notwendig, die Wertigkeit von den in Deutschland erworbenen Abschlüssen für Ausländer eindeutiger zu definieren und auch eigene Master-Studiengänge in Deutschland vorzusehen.

Auch unsere Hochschulen werden deshalb Angebote für Ausländer entwickeln, wie es etwa die USA und Australien erfolgreich tun, und versuchen, die Zahl der Studierenden aus asiatischen oder südamerikanischen Ländern in Deutschland zu erhöhen.

Die Erfahrung zeigt, dass ein einzelnes Land dies im Alleingang kaum erreichen kann. Die Programme der Europäischen Union im Bereich der Wissenschaft setzen deshalb konsequent auf internationale Kooperation und Kohäsion

Baden-Württemberg hat sich bei der Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen einen Spitzenplatz unter den europäischen Regionen gesichert. Jährlich fliessen aus Brüssel deutlich mehr als 100 Mio. DM für Forschungsvorhaben zurück.

So haben allein die neun Universitäten unseres Landes im letzten Jahr von der EU-Kommission für Forschungsprojekte mehr als 52 Mio. DM erhalten. Das sind fast 40 Prozent mehr als 1995, als wir begonnen haben, in diesem Bereich besser zu werden.

V. HOCHSCHULEN IN EUROPA: STIFTER VON HUMANITÄT, GARANTEN DER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT UND WEGBEREITER DER INTEGRATION

Denn dieses «Haus Europa» muss nicht etwa neu konstruiert, es muss vielmehr nur wieder mit Leben erfüllt werden. Der Schriftsteller und Rektor des New Europe College in Bukarest, Professor Andrei Plesu, sagte im Frühjahr 1997 vor dem Collegium Budapest: «Es gab Zeiten, in denen das geistige Kontinuum auf dem Kontinent viel leichter einsehbar war als heute, da man ihn in ein paar Stunden überfliegt. Um zu begreifen, dass der Geist in jener Zeit den räumlichen Distanzen übergeordnet war, genügt ein Blick auf das, was man im eigentlichen Sinn als Erasmus' Lebensreise bezeichnen darf: Sie führte von Paris nach London, Oxford, Orlians, Leuven, Cambridge, Basel, Freiburg und Warschau; hier blieb er einige Tage, dort einige Jahre, und sein Werk wuchs dabei beständig fort. Europa hat diese geistige Einheit noch nicht wiedererlangt.»

Was wir am Ende also wieder lernen müssen, ist Gemeinsamkeit. Sie kann den Hochschulen in Europa helfen, ihre Rolle als Stifter von Humanität, als

Garanten von Wettbewerbsfähigkeit und Wegbereiter der Integration neu zu definieren, bezogen auf ein Europa, das Konrad Adenauer 1954 ohne definitorische Differenzierung so beschrieben hat: «Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.»

Wie dieses idealtypisch aussehen könnte, zeigt die Zusammenarbeit der Universität St. Gallen im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Auch hier sind die Partner in ganz Europa zu finden: in Köln, London, Paris, Mailand, Louvain, Rotterdam, Kopenhagen, Bergen, Stockholm, Warschau, Budapest, Prag, Wien und Barcelona. Aber auch die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland beruht auf einem dichten Netz von Hochschulpartnerschaften. Ein Äquivalenzabkommen regelt die gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen, und eine gemeinsame Ausbildung, unter anderem im Bereich von EUCOR, der «Europäischen Konföderation der Oberrheinischen Universitäten», ist ebenfalls in greifbare Nähe gerückt.

Im Herbst 1997 beginnt die trinationale Ingenieurausbildung an der Universität Mulhouse, der Hochschule beider Basel in Muttenz und der Berufsakademie in Lörrach. Es handelt sich dabei um ein Studium an allen drei Standorten, das mit je einem Diplom der Partner abgeschlossen werden soll.

VI. DIE EUREGIO BODENSEE ALS MODELL EUROPÄISCHER MÖGLICHKEITEN

Thomas Mann hat einmal gesagt: «Wenn ich an Europa dachte, so war es eigentlich immer die Schweiz, die ich im Sinn hatte: Dieses freie, kleine aber nicht enge, sondern vielgestaltige und mehrsprachige, von europäischer Luft durchwehte und nach seiner Natur so grossartige Land, das

ich liebe von jeher.» Auch wenn Max Frisch oder Friedrich Dürenmatt dieses vielleicht anders sehen mögen, ich bekenne mich zu Thomas Mann.

Haben wir hier in unserer Region die Möglichkeiten der Zusammenarbeit schon erschöpfend genützt? Ich glaube kaum.

Zu danken ist den Trägern grenzüberschreitender Zusammenarbeit, allen voran der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK), dem Bodenseerat und all denen, die sich an der Durchführung der Intereg-Programme beteiligen. Sie alle haben sich zusammengefunden, um mit vereinten Kräften daran mitzuwirken, die Entwicklung des Bodenseeraumes zu einer Europäischen Kernregion energisch voranzubringen: nicht zuletzt auch aus der Erkenntnis Daniel Dalls, dass die Nationalstaaten für viele grosse Aufgaben zu klein, für viele kleine Aufgaben aber zu gross sind und deshalb den einzelnen Regionen und ihren Bildungsinstitutionen neue Aufgaben zuwachsen.

Zwischen den Universitäten St. Gallen und Konstanz gibt es zahlreiche Kontakte. Nicht nur der Austausch von Gastdozenten zwischen beiden Universitäten hat eine lange Tradition. Auch der Aufbau des grenzüberschreitenden Forschungsschwerpunkts Ökotoxikologie geht beispielsweise auf langjährige Beziehungen und Arbeitskontakte der Universität Konstanz mit den Universitäten in St. Gallen und Zürich und auf Beziehungen zu den mehr praxisorientierten Forschungs- und Analyselaboren der Anliegerstaaten am Bodensee zurück.

Im Bereich der Zusammenarbeit Wirtschaft/Wissenschaft ist geplant, die Weiterbildungsaktivitäten und -angebote der Hochschuleinrichtungen der Region im Hinblick auf den Bedarf im betrieblichen Bereich auszubauen. Es ist ihr erklärtes Ziel, zu einem gemeinsamen Weiterbildungsprogramm auf wissenschaftlich fundierter Grundlage zu kommen.

Eine «Bodenseefachhochschule» mit den Stadtkeimen St. Gallen, Konstanz, Dornbirn scheint im Entstehen. Eine solche Zusammenarbeit muss möglichst auf einem Fundament von gemeinsamen Interessen ruhen. Wie man dieses Fundament organisiert, zeigt unter anderem die «Electronic Mall Bodensee», ein elektronischer Markt rund um den Bodensee.

Lassen Sie uns deshalb unsere Partnerschaft weiter ausbauen. Gemeinsam werden wir die Herausforderungen der Zukunft besser und effektiver meistern.

Freilich: Zugleich wissen wir alle, Zukunft lässt sich nicht beliebig vorausbestimmen. Aber Zukunft kann man bauen. Zu den Bausteinen der Zukunft gehören sicherlich auch unsere Universitäten: nicht weil sie, so wie wir sie heute kennen, nicht gefährdet wären, sondern weil es keine Alternative gibt, die in gleicher Weise geeignet wäre, ihre für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft unverzichtbare Aufgabe zu erfüllen.

Lassen Sie mich abschliessend dazu noch einmal Karl Jaspers zitieren: «Aufgabe der Universität ist die Wissenschaft. Aber Forschung und Lehre der Wissenschaft dienen der Bildung geistigen Lebens als offenbar werdende Wahrheit... Die Erfüllung dieser Aufgabe ist gebunden an die Kommunikation zwischen den denkenden Menschen... Der Sinn dieser Kommunikation, ihrer Gestaltung und ihrer Freiheit als Mitte des Universitätslebens ist zu vergegenwärtigen.»

Meine Damen und Herren, verstehen Sie bitte meine Überlegungen heute morgen zur Zukunft unserer Universitäten ganz in diesem Sinn, Kommunikation als Mitte des Universitätslebens für Sie zu vergegenwärtigen.

Der Universität St. Gallen wünsche ich auf ihrem Weg zu ihrem 100. Geburtstag vivat, crescat, floreat.