Rede von
Herrn Rektor W. Snell.
Cit.
Dankbar empfanden die an geweihter Stätte und
in bedeutungsvoller Stunde versammelten Lehrer der hiesigen
Hochschule durch mich diese Stiftungsurkunde dieser
neuen Pflanzstätte der Wissenschaft, und in dieser Urkunde
ein Palladium der geistigen Grundlagen aller äussern
Freiheit und Lebenswürde, einen Bundesbrief zwischen
Gegenwart und Zukunft, ein Denkmal der Weisheit,
das noch die späten Enkel dankbar verehren werden.
Während der Absolutismus die Schweiz seit ihrer
politischen Erhebung anfeindete und die Grundlage ihres
Nationallebens verdächtigte, hat die freie und edle
Schweiz dadurch geantwortet, dass sie in wenigen Jahren
zwei vollständig besetzte Hochschulen errichtete. Fürwahr
eine würdige Antwort!
Der heutige Tag, der die Hochschule der Republik
Bern in ihrer Entstehung begrüsst, gehört unter die glänzendsten
Dokumente, wodurch die politische Verjüngung
dei Schweiz in den Jahren 1830 und 1831 gerechtfertigt
ist.
Keinen grossartigeren Beweis von ihrer innern Vortrefflichkeit,
von ihrem Adel konnten jene Nationalgrundsätze
und ihre hochherzigen Vertreter ablegen, kein mächtigeres
und würdigeren Erhaltungsmittel für die wiedergeborne
Eidgenossenschaft konnten sie wählen, als indem sie
dem Freiesten und Edelsten, was der menschliche Geist
hervorgebracht hat, den Wissenschaften, einen Tempel
bauten. Der Grosse Rath der Republik Bern, der
diese Stiftung in einer scheinbar ungünstigen, in der
That aber sehr günstigen Zeit, eingedenk der Wahrheit,
dass in weitgreifenden Staatsveränderungen die stärksten
Beweggründe zu einer soliden Geistes- und Herzensbildung
des heranwachsenden Geschlechts liegen, beschlossen
und die vollziehenden Behörden, welche diesen Beschluss
mit Ueberwindung mannigfacher Schwierigkeiten ausgeführt
haben, dürfen des Dankes des Cantons Bern, des
Dankes der Eidgenossenschaft gewiss sein, und — ich sage
es getrost — in nicht weiter Ferne auch des Dankes des
benachbarten Deutschlands. Denn die jetzige unnatürliche
Ideensperre widerspricht den Grundsätzen des alle
Völker verbindenden geistigen Lebens, aus welchen das
Bedürfniss der Hochschule selbst hervorgeht.
Die hiesige Hochschule wird freudig die heut eröffnete
Laufbahn betreten, um mit ähnlichen Anstalten der Schweiz,
besonders mit der Schwesteranstalt in Zürich Hand in
Hand den Segen der Bildung und geistigen Freiheit im
ganzen Vaterland zu verbreiten und zugleich einer der
grössten Ideen der Geschichte, der Idee nämlich, welche
in Deutschland alle Universitäten zu einem Gesammtfreistaat
der Geister und der Wissenschaften vereinigt
hai, in der Schweiz eine Pflege- und Pflanzstätte und
vielleicht eine Zufluchtstätte für eine bessere Zukunft
Deutschlands zu bereiten.
Den Lehrern dieser Hochschule ist ein ehrenvoller
Wirkungskreis geboten, worin es uns weder an Arbeit
noch an Freude fehlen wird. Stets wird dem hohen
Beruf, wie Sie, hochgeachteter Herr Präsident! diesen
eben so wahr, als warm und ergreifend geschildert haben,
Fleiss, Liebe und Treue gewidmet sein, damit durch sorgfältige
Pflege der Wissenschaften das Gebiet der Einsicht
erweitert, jede bessere Menschenkraft gestärkt und der
Wille veredelt und auf die höchsten Zielpunkte dieses
Daseins gerichtet, und damit zugleich der Freiheit und
Selbstständigkeit der Nation eine starke Stütze bereitet
werde; denn die Wahrheit führt zur Freiheit. Die
Wissenschaften enthalten zugleich das fortbildende Princip
für das Leben der Völker und die Universitäten haben
nicht nur in der gelehrten Republik, sondern auch als
Nationalanstalten einen hohen Beruf zu erfüllen. Zugleich
werden diese Lehrer, obgleich verschieden in Abstammung
und Sprache, sich bestreben, das Bild der Geisteseinheit,
ungeachtet abweichender Ansichten im Einzelnen,
darzustellen, jener Geisteseinheit, die über Zufälligkeiten
erhaben, auf der Uebereinstimmung im Wesen beruht,
die aber nur unter dem Schutze der politischen Freiheit
wurzelt, blüht und Früchte trägt.
Dies zu vollbringen, treibt uns der Geist, liegt in
unserm Willen. Unablässig umschwebe uns, als Zeuge
dieses Strebens, der Geist des Volkes, aus dem die
Hochschule, deren Bürger und Mitarbeiter wir heute geworden
sind, hervorging.
Dagegen spreche ich im Namen sämmtlicher Lehrer
die feste Zuversicht aus, dass der Staat ihre freie geistige
Wirksamkeit unter sichere Obhut nehmen und ihr die festen
Garantien der Weisheit und Gerechtigkeit nie entziehen
werde, ohne die nichts Gutes, Schönes und Grosses auf
Erden bleibend gedeihen kann.
An diese Zuversicht knüpft sich für uns die erfreulichste
Aussicht auf einen reichen und grossen Wirkungskreis
. Rund um uns her arbeitet der Geist der Nation
in neuen Schöpfungen, in würdiger Gestaltung des Lebens
einer höhern Cultur entgegen. Die Wissenschaft ist
es, die diesen Geist richten, erleuchten, beseelen soll. Es
sind die Nationen, es ist die Menschheit in ihrer Kraft
und Würde nicht das Werk sinnlicher Kräfte und mechanischer
Thätigkeit, sondern das werk einer freien geistigen
Selbstthätigkeit, welche früh geweckt, weislich geleitet,
und durch erhabene Vorbilder zu unablässigem Anstreben
zu idealischer Grösse und Güte beflügelt werden
muss.
In solchen Pflanzstätten wahrer Cultur und Humanität
empfangen daher die jungen Männer, die ihre Zöglinge
sind, welches auch ihr künftiger Beruf sein möge,
alle die Weihe des wissenschaftlichen Geistes, womit
ausgerüstet sie, des Gelingens sicher, dem grossen Werk
der Fortbildung und Veredlung der Nation entgegen
schreiten, stark durch den lebendigen Sinn für Wahrheit,
Gerechtigkeit und Weisheit, und emporgehoben durch den
heiligen Glauben an jenen ewigen und einzigen Dualismus,
welcher das Gute und das Schlechte, welcher Recht und
Unrecht, Wahrheit und Lüge, Seelenadel und Gemeinheit
in unermessener Ferne auseinander hält.
Dies ist der Glaube, dies die Hoffnung, dies die
Zuversicht, womit wir auf die, auch um unsere Hochschule
bereits zahlreich versammelte Jugend hinzuschauen
uns berechtigt fühlen. Diese Zuversicht ganz erfüllt zu
sehen, wird der Muth und die Freude unserer Arbeit,
der Lohn unserer Mühen, wird der Stolz unsers Lebens
sein.
Welche begeisternde Zukunft eröffnet uns dieser Gedanke!
"Ja! es ist ein stärkender, seelenerhebender Gedanke"
— um mit diesen Worten Fichtes zu schliessen,
und mit wessen Worten könnte ich würdiger schliessen, als
mit den Worten desjenigen Gelehrten, der vielleicht unter
allen den erhabensten Begriff von der Bestimmung der
Wissenschaft hatte, und dessen Stimme aus dem innersten
Heiligthum der Wahrheit tiefer und gewaltiger, als keine
andere, die Geisterwelt bewegte! — "Es ist ein stärkender
und seelenerhebender Gedanke, den jeder unter uns
haben kann, der seiner Bestimmung werth ist, der Gedanke:
Auch mir an meinem Theil ist die Cultur meines
Zeitalters und der folgenden Zeitalter anvertraut, auch
aus meinen Arbeiten wird sich der Gang der künftigen
Geschlechter, der Nationen, die noch werden sollen, entwickeln.