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Die Richtungen der klassischen Philologie seit Fr. A. Wolf.

Rektoratsrede

gehalten
zur 61. Stiftungsfeier der Universität Bern
am 16. November 1895
Dr. Hermann Hagen
ordentlichem Professor der klassischen Philologie
d. Z. Rektor,
Den Manen Friedrich Wilhelm Ritschls
geweiht.
Bern 1895/96
Haller'sche Buchdruckerei

Hochansehnliche Versammlung!

Wenn eine Wissenschaft eine gewissermassen abschliessende Stufe in ihrer Ausbildung erklommen hat, so geziemt es sich ihren Jüngern, Umblick zu halten, um den Gang ihrer Entwicklung zu verfolgen, und dabei derjenigen Männer zu gedenken, welche ihr zu dieser Höhe verholfen haben.

Ich habe zur heutigen 61jährigen Gedächtnisfeier unserer Hochschule zum Gegenstand meines Vortrages die Richtungen der Philologie seit Fr. Aug. Wolf gewählt, weil dies mir der passendste Stoff zu sein schien, um darin meine eigenen Ansichten über wissenschaftliche Betreibung der von mir nunmehr seit 30 Jahren an hiesiger Hochschule vertretenen Wissenschaft niederlegen zu können. Denn der Hauptzweck solcher Rekoratsvorträge kann doch weniger der sein, ein bestimmtes, dem engen Gebiet der betreffenden Wissenschaft entnommenes Fachthema zu erschöpfen, als vielmehr dieser, in grossen Zügen von seiner eigenen Auffassung dieser gesamten Wissenschaft als solcher der Zuhörerschaft klare Kenntnis zu geben.

Die völlige Loslösung der klassischen Philologie von den übrigen Wissenschaften und ihre Konstituierung als selbständige Wissenschaft hat sich erst unter Fr. A. Wolf vollzogen, welcher der Erste war, der ihre Aufgabe nicht auf die formale Kenntnis der

beiden alten Sprachen beschränkte, sondern vielmehr das Ziel aller philologischen Forschung in der völligen Durchdringung und, um einen Böckhschen Ausdruck zu anticipieren, in der geistigen Reproduktion der gesamten antiken Welt zu finden glaubte.

Diese Emancipation der klassischen Philologie, welche bisher, d. h. bis Ende des vorigen Jahrhunderts, als Dienerin anderer Wissenschaften, namentlich der Theologie gegolten, hat man treffend von jenem Tage her datiert, an welchem Fr. A Wolf in Göttingen es durchsetzte, dass er nicht in einer der herkömmlichen Fakultäten, sondern als studiosus philologiae immatrikuliert werde.

Man hat das Wolffsche Postulat einer allseitigen Durchdringung des Altertums als letztes und höchstes Ziel aller philologischen Bestrebungen in seiner ganzen Tragweite als unleugbar einzig richtiges bis in die Neuzeit anerkannt.

Wenn sich trotzdem die striktesten Gegensätze einer formalen und realen Philologie in bis auf die Spitze getriebener Einseitigkeit ausbilden konnten, so lag der Grund davon einerseits in der Vieldeutigkeit des für heutige Forschung äusserst unglücklich gewählten Namens Philologie als Ausdruck einer heutzutage weit über ihre ursprünglichen Grenzen hinausgerufen Disciplin, andererseits in dem völligen Mangel an allseitiger Verständigung über die Wahl der Mittel und Wege, welche am ersten zu jenem hohen Ziele zu führen befähigt seien.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass alle Gegensätze gegen die Wolffsche Auffassung von dem Begriff und der Tragweite der Philologie, wie sie namentlich in der Hermannschen und neuerdings in der Ritschlschen Schule ihre eifrigsten Vertreter gefunden haben, wesentlich ein Zurückgehen auf jene

Art von Philologie bekunden, wie sie von den Alten selbst geübt worden, somit keineswegs dem Vorwurfe entgehen können, dass sie eben nicht auf der wissenschaftlichen Höhe unserer Zeit stehen.

Es handelt sich also zunächst darum, zu untersuchen, ob die heute gangbar gewordene Erweiterung unserer Kenntnis vom Altertum, sowie die selbständige Entwicklung der übrigen Wissenschaften eine so enge Einschränkung der philologischen Wissenschaft auf jene wenigen, von den Alten ausgeübten Disciplinen empfehlen darf, und dann noch in zweiter Linie, ob eine in dieser Weise beschränkte Disciplin überhaupt unseren heutigen Anforderungen an etwas, was Wissenschaft heissen will, noch genügen kann.

Wir werden diese Versuche der Neueren, in der Begriffs- und Gebietsbestimmung der Philologie auf die verwandten Studien der Alten zurückzugehen, unbedingt als verfehlt zu verwerfen haben, sobald wir uns unsere heutige Stellung zum Altertum klar gemacht haben. .

Freilich scheinen antike und moderne Philologie der klassischen Altertumswelt darin zusammenzutreffen, dass sie beide einen abgeschlossenen, bereits objektiv gewordenen Stoff behandeln, indem sich nämlich im Altertum nur für solche Zeiten philologische Bestrebungen nachweisen lassen, welche eine vorausgegangene, völlig ausgereifte Litteratur zur Voraussetzung haben.

Jedoch war es ja zu jenen Zeiten nur das litterarische Leben, das von den philologischen Studien neue Befruchtung erhoffen konnte und auch sollte, so dass die Beschäftigung mit einem andern Gegenstande, als der Litteratur, von selbst den Zwecken der damaligen Philologie fremd bleiben musste.

Das ist bei uns ganz anders geworden.

Während sich also der antiken Philologie schlechterdings kein anderer Stoff zur Bearbeitung bot, als die jeweilen allein objektiv gewordenen Litteraturperioden, frägt es sich nun allerdings, ob wir Moderne, denen das gesamte Altertum nach allen Seiten hin objektiv vorliegt, jenen allein auf Litteratur bezüglichen Gesichtspunkt der Alten für genügend erachten können.

Die Beantwortung dieser Frage fällt nicht schwer.

Schon hieraus ergibt sich, dass der bereits im Altertum vieldeutig gewordene Ausdruck "Philologie" heutzutage keineswegs mehr aus unsere jetzigen Errungenschaften passt, noch viel weniger aber uns dazu berechtigen kann, einen offenbaren wissenschaftlichen Rückschritt zu befürworten, welchen allerdings ein ängstliches Festhalten an Namen unweigerlich zur Folge haben müsste und wirklich auch schon gehabt hat.

Da sich die antike Philologie nur auf die Litteratur als Objekt der Forschung richtete, so konnte sie nicht über die engen Grenzen der sogenannten formalen Philologie hinauskommen, und wirklich finden wir sowohl bei den Griechen, als bei den Römern den Umfang der philologischen Forschung auf die diplomatische oder Textkritik, Exegese und sogenannte höhere oder ästhetische Kritik eingeschränkt, die Anagnosis, Diorthosis, Exegesis, Krisis der Alexandriner, die entsprechenden lectio, emendatio, enumeratio iudicium der Römer nach der von Barro aufgebrachten Bezeichnung.

Wollten wir in der Ausübung dieser Disciplinen die Aufgabe der Philologie erfüllt sehen, so liegt klar zu Tage, dass ihre ausschliessliche Anwendung auf das Altertum ihr keineswegs den Charakter einer

selbständigen Wissenschaft zu verleihen befugt ist, indem mit Recht jedes andere, z. B. moderne Volk eine ähnliche Behandlung seiner Litteratur beanspruchen kann und auch wirklich erfahren hat, wovon die erst in unserem Jahrhundert erwachte orientalische, semitische, germanische, romanische, slavische Philologie Zeugnis gibt. Zur gesonderten selbstständigen Wissenschaft würde in diesem Falle die Philologie, wenn wir am Namen festhalten wollten, nur dann erhoben, wenn sie gleichmässig alle Litteraturen aller Völker in Angriff nähme, was der Sprachvergleichung und der vergleichenden Litteraturkunde zufällt.

Man hat das gefühlt und deshalb zwischen klassischer Philologie und anderen Philologieen unterschieden, nur hätte man sich dabei vor der Inkonsequenz hüten sollen, der klassischen Philologie in der bezeichneten Einschränkung auf Sprache und Litteratur für sich den Charakter einer selbstständigen, mit einer eigenen Methodologie behafteten Wissenschaft verleihen zu wollen. Die Methode der Sprachvergleichung ist überall die gleiche. Diese Inkonsequenz scheint nun allerdings nicht wenig durch die unleugbare Thatsache entschuldigt zu werden, dass es die klassische Philologie gewesen ist, um welche als Kern und Mittelpunkt sich alle übrigen Philologieen angesetzt haben und dass bloss die klassische Philologie bis jetzt eine abschliessende methodische Ausbeutung ihrer gesamten Disciplinen erfahren hat.

Wenn wir uns daran erinnern, dass der Gegenstand der klassischen, wie der modernen Philologieen ursprünglich nur einer war, das indogermanische Urvolk, so werden wir Miklosichs treffender Bemerkung gerne beitreten, dass wie bei der Sprache,

so auch in der Mythologie und im Rechte die auf ein Volk eingeschränkte Forschung in vielen Fällen unzureichend ist, und dass andererseits die gelungene Lösung einer, wenn auch zunächst nur ein Volk berührenden Frage auch hier für die anderen von Bedeutung wird.

Ein ungefähres, wenn auch nur Miniaturbild von der Grossartigkeit und Bedeutung einer solchen Universalphilologie, wie wir sie fordern, was man auch vergleichende Kulturgeschichte nennen kann, sowie zugleich die sichere Gewähr für deren Ausführbarkeit und Lebensfähigkeit kann uns die an überraschenden Resultaten überreiche Entwicklung der sogenannten vergleichenden Sprachwissenschaft bieten, eine Wissenschaft, welche, obgleich sie von den eigentlichen Philologen von Gottes Gnaden mit vornehmer Geringschätzung behandelt worden ist und noch jetzt behandelt zu werden pflegt, in Wahrheit als hochwichtige Vorläuferin unseres Ideals von Universalphilologie begrüsst werden muss. Wir sagen absichtlich, als Vorläuferin: denn mit einer Untersuchung der Sprache und ihrer Gesetze halten wir keineswegs die Aufgabe der Philologie für erschöpft oder die Wissenschaftlichkeit dieser Disciplin für hinlänglich garantiert.

Die Philologie vor Friedrich August Wolf trägt bei ihrem völligen Mangel an systematischer Zwecks- und Gebietsbestimmung einen durchaus unwissenschaftlichen Charakter und kann daher schwerlich dem Vorwurf entgehen, welchen selbst die neueste Philologie nicht selten zu hören bekommt, dass sie nämlich aus nichts, als aus einem Komplex leicht zu erlernender Fertigkeiten und Kunstgriffe bestehe. Göthe war im Rechte, wenn er von ihr sagte: "Die Philologie

ist ein Handwerk und zwar das Handwerk zu emendieren." In der That passte für die damalige Zeit der den Philologen von ihren Gegnern gemachte Vorwurf, dass ihre Wissenschaft das Brot nicht wohlfeilen mache: unglaublich dagegen klingt es, dass sogar in unserer Zeit bei den überraschend reichen Resultaten philologischer Forschung die Vertreter der Materie, sonst ungeheuer praktische Leute, sich zu ähnlich lautenden Aussprüchen haben erkühnen können.

Freilich glaubte die damalige Philologie ihren Zweck erreicht zu haben, wenn sie mittelst Konjektural- und höherer Kritik und Exegese das Verständnis der klassischen Litteraturen erschliesse; ihr Interesse war ein wesentlich formales, auf die Sprachen des Altertums gerichtet den Inhalt dieser Litteraturen, die Durchforschung und Verwertung der sogenannten Realien überliess sie den verschiedenen Fachwissenschaften oder zog sie im besten Falle nur als untergeordnete Hülfsdisciplinen zur Stütze der Konjekturalkritik in den Kreis ihrer Untersuchung. Selbst noch bei Heyne, welcher zuerst neben der Form dem Inhalt mehr Beachtung schenkte, tritt dieses Streben nur erst in der Gestalt unsystematischer Polyhistorie zu Tage.

Es ist Fr. Aug. Wolfs unsterbliches Verdienst, das Gebiet und den Zweck der klassischen Philologie oder Altertumskunde, wie wir sie lieber genannt wissen möchten, klar bestimmt zu haben. "Das von der Philologie angestrebte Ziel," sagt er, "ist kein anderes, als die Kenntnis der altertümlichen Menschheit selbst, welche Kenntnis aus der durch das Studium der alten Ueberreste bedingten Beobachtung einer organisch entwickelten

bedeutungsvollen Nationalbildung hervorgeht." Und wenn wir ferner von ihm den Ausspruch lesen, "dass sich nur im alten Griechenlande finde, was wir anderswo fast überall vergeblich suchen: Völker und Staaten, die in ihrer Natur die meisten solcher Eigenschaften besassen, welche die Grundlage eines zu echter Menschlichkeit vollendeten Charakters ausmachen," — so wird uns klar, dass er jenes höchste Ziel der Philologie nur in der lebensvollen Erfassung und Durchdringung und schliesslich Nachahmung des antiken Geistes nach allen Richtungen seiner Aeusserung erreicht sah. Befremdend mag es klingen, dass er hauptsächlich die Beschäftigung mit der moralischen Seite der Menschheit der Philologie zuweist; doch geht aus dieser Bemerkung trotz ihrer offenbaren Einseitigkeit klar hervor, dass bereits Wolf eine Ahnung von der universalen, das geistige Leben aller Kulturvölker gleichmässig umfassenden Bedeutung unserer Wissenschaft hatte. Aber nicht nur die moralische Seite der Menschheit, sondern ebenso sehr auch die intellektuelle, überhaupt die gesamte geistige Entwicklung eines Volkes, aus dem ganzen Umfang der erhaltenen Quellen geschöpft darzustellen, ist nach unserer Ueberzeugung oberstes Ziel aller philologischen Forschung.

Obwohl Wolf die Notwendigkeit erkannte, die bisher zerstreuten oder ohne inneren Zusammenhang lose an einander gereihten Hülfsdisciplinen der Philologie zu einem fest umgrenzten und einheitlich abgerundeten Systeme der Altertumswissenschaft zusammenzuschliessen, so hat es ihm doch nicht gelingen wollen, eine mehr als bloss äusserliche, nur durch die gemeinsame Beziehung aufs Altertum zusammengehaltene Anordnung dieser

Disciplinen zu bewerkstelligen: übrigens eine Aufgabe, die sogar bis auf die neueste Zeit nur mangelhaft gelöst worden ist.

Von grösster Wichtigkeit für die weitere Entwicklung der Philologie war die von Wolf vorgenommene Scheidung der philologischen Disciplinen in formale und reale, indem erdienen nur propädeutische oder höchstens regulative Bedeutung zumass, während er aus den realen Disciplinen das eigentliche Gebäude der Philologie errichtet wissen wollte. Ohne mit Wolf wegen des mangelhaften Zusammenhangs dieser einzelnen Disciplinen unter einander an dieser Stelle weiter rechten zu wollen, bemerken wir nur, dass die offenbar unrichtige Versetzung der Grammatik unter die formalen, also bloss propädeutischen Disciplinen, während sie keineswegs nur Mittel zum Zweck, sondern auch Zweck selbst ist, den unmittelbaren Anstoss zu den zwei sich alsbald entwickelnden Richtungen der formalen und realen Philologie gegeben hat, ein Gegensatz, welcher, wenn auch vielfach modifiziert und durch manche Vermittlungsversuche gemildert, sich im wesentlichen doch bis auf unsere Tage erhalten hat. Wie in der Philosophie die Ausgleichung von Idealismus und Realismus, so wird in der Philologie die Ueberwindung von Formalismus und Realismus als Gegensätzen Aufgabe unserer Zeit sein.

Während Wolf die Philologie weit über ihre bisherigen Grenzen hinaushob, wurde sie von seinem Zeitgenossen Wolfgang Reiz noch in der herkömmlichen Weise als Sprachkunde weiter betrieben, jedoch ohne dass diese verschiedene Auffassungsweise eine Spaltung innerhalb der Philologie selbst hervorgerufen hätte. Aber unter ihren beiderseitigen

Schülern, Gottfried Hermann und A. Böckh erwachte dieser Gegensatz zu vollem Bewusstsein. Scharfe Ausprägung ist ja gewöhnlich Sache der Nachfolgenden.

Gottfried Hermann, der Schüler von Wolfgang Reiz, glaubte im Namen der Philologie, sowie in ihrer von der Alexandrinerzeit weg bis auf Wolf allerdings meist unverändert gebliebenen Auffassung als Sprachwissenschaft die beste Gewähr zu finden, dass alleiniger Zweck der Philologie das Studium der antiken Sprachen sei, ihr Gegenstand also nur die Sprache, ihr Gebiet nur die sprachlichen Denkmäler seien und auch diese nur nach ihrer sprachlichen, formalen Seite, während die Kenntnis des sprachlich Dargestellten, des Inhalts, also Leben der Alten in Staat, Familie, Kunst, Religion, selbst auch die Litteratur nur subsidiären Wert haben soll, sofern nämlich dieser Inhalt zur Aufstellung sprachlicher Verhältnisse beitragen oder vielmehr, um doch die Sache bei ihrem wahren Namen zu nennen, die Konjekturalkritik unterstützen kann.

Die Richtigkeit des Satzes, den die Verteidiger der Hermannschen Theorie aufgestellt haben, dass sich in der Sprache der Geist und Charakter eines Volkes am vollkommensten offenbare, wird niemand bestreiten wollen: doch dürfte diese Entdeckung des Volksgeistes in der Sprache kaum ohne vorangegangene oder wenigstens gleichzeitig beigezogene Kenntnis der anderweitigen Aeusserungen dieses Volksgeistes erspriesslich, ja überhaupt nur denkbar sein.

Jedenfalls hat Gottfried Hermann das Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass die Sprache für die Philologie keineswegs nur Mittel ist,

sondern auch als reales Objekt der Forschung betrachtet und behandelt werden muss: nur glaubte er, in der Sprache das alleinige Objekt der Forschung zu erkennen, und das war einseitig.

Gottfried Hermann hat die erste philologische Schule gebildet, welche sich bis in die Hälfte dieses Jahrhunderts in unvermindertem, ja zeitweise in alleinigem Ansehen zu erhalten wusste. Des Meisters imposante Persönlichkeit, sowie das in dieser Schule zu oberster Norm erhobene Jurare in verba magistri mochten hierzu wohl mehr beigetragen haben, als die angenommene Unfehlbarkeit des Systems.

Schon Hermann, noch mehr aber seine Schüler ergingen sich in der heftigsten und einseitigsten Opposition gegen jede von der ihrigen abweichende Auffassung der Philologie. Nur einem hervorragenden Talente, was Gottfried Hermann ohne Zweifel gewesen ist, war es möglich, mittelst der glänzendsten Resultate — wir erinnern nur an seine hohen Verdienste um eine rationelle Bearbeitung der Grammatik und Metrik — die offenbare Einseitigkeit seinem Richtung mit Würde und teilweiser Berechtigung zu behaupten. Doch, was das unausbleibliche Erbteil minder begabter Jünger ist, dass sie die einseitige Richtung ihres Meisters auf die Spitze treiben, gilt auch von den unmittelbaren Schülern Gottfried Hermanns, von welchen wir hier nur seinen Schwiegersohn Fritzsche nennen wollen: auf diese findet das treffende Wort Jean Pauls seine vollste Anwendung: "Viele hängen sich aus Mangel an Sachen und Gedanken an die Worte, und, um aus der Sprache herauszupressen, was aus ihr allein nimmermehr entnommen werden kann, foltern sie dieselbe, bis sie lügt."

Hatte Gottfried Hermann die formalen Disciplinen der Philologie zum alleinigen Gegenstand aller philologischen Forschung erhoben wissen wollen, so war es auf der andern Seite August Böckh, ein Schüler von Fr. Aug. Wolf, welcher im Sinne seines Lehrers in allseitiger Durchdringung der Realien den Zweck der Philologie erfüllt sah. Nach ihm ist Philologie in Bezug auf ein bestimmtes Volk in einem verhältnismässig abgeschlossenen Zeitalter die geschichtlich-wissenschaftliche Erkenntnis der gesamten Thätigkeit, des ganzen Lebens und Wirkens dieses Volkes. Dieses Leben und Wirken, zugleich mit dem, was dadurch erzeugt wird, Gegenstand der Philologie, ist entweder ein praktisches als Quelle der Familien- und Staatsverhältnisse, oder ein theoretisches, sich äussernd in Religion, Kunst und Wissen. In der Vorrede zum Corpus insciptionum Graecarum hat er es vorgezogen, statt der zwei grossen Gruppen theoretischer und praktischer Disciplinen eine Scheidung sämtlicher in vier Gebiete vorzunehmen, nämlich l. Geschichte nebst Staatsaltertümern, Chronographie und Geographie; II. Privataltertümer nebst Staatshaushalt und Handelswesen; lIl. gottesdienstliche Altertümer nebst Kunst, und schliesslich IV. Geschichte des Wissens, mit Einschluss von Philosophie, Mythologie, Litteratur und Sprache.

Die Sprache, als Form des Gedankens, gehört in das Gebiet des Wissens, bildet somit ebenfalls ein Objekt philologischer Forschung, tritt selbst in Form der Grammatik in den Kreis der realen Disciplinen ein, während als bloss formale, d. h. propädeutische und regulative

Disciplinen Hermeneutik und Kritik gegenübertreten. Da die Aeusserungen der Thätigkeit eines altertümlichen Volkes grossenteils in Sprachdenkmälern überliefert sind, muss die Philologie aus denselben, ohne beim Verstehen der Sprache selbst stehen zu bleiben, das ganze Gebiet der Thatsache und des Gedankens darstellen. Die Form des Gedankens, die Sprache, kann nicht vollkommen erkannt werden, wenn nicht der Gedanke selbst, die realen Verhältnisse ergriffen und begriffen worden sind. Sprache und Inhalt ergänzen sich so gegenseitig: in ununterbrochener Fortschreitung erschliesst die Sprache den Inhalt, und der Inhalt hinwiederum erleichtert das Verständnis der Sprache. Auch nach der praktischen Seite der Philologie hin wäre es ein wunderliches Vorurteil, zu glauben, dass durch solche grammatische Untersuchungen, wie sie noch Böckh verlangte, die formale Bildung mehr Förderung erhielte, als durch die Kenntnis der politischen, religiösen, philosophischen, künstlerischen Ideen und ästhetischen Formen, sowie der gesamten geschichtlichen Verhältnisse des klassischen Altertums.

Sie sehen, hochverehrte Anwesende, dass der Vorwurf, den man der Realphilologie machen kann und auch wirklich vom Hermannschen Standpunkte aus mit aller Energie geltend gemacht hat, dass sie die Sprache und Grammatik zur blossen propädeutischen Hülfsdisciplin herabsetze, den eigentlichen Gründer und Vertreter dieser Richtung, August Böckh nicht treffen kann, indem sich dessen Fortschritt gegen Wolf gerade darin kundgibt, dass er die Grammatik in den Kreis der realen Disciplinen aufgenommen, also

ebenfalls zum realen Objekt philologischer Forschung gemacht wissen will. Nur lässt sich nicht leugnen, dass die Aufnahme der Grammatik unter die realen Disciplinen von Böckh zwar in der Theorie gefordert wurde, in praxi aber, und dies besonders bei seinen Schülern, nur ein frommer Wunsch geblieben ist; in so fern, aber nur in so fern, waren die heftigen Entgegnungen Hermanns und seiner Schule begründet. Doch darin werden wir Böckh unbedenklich beipflichten müssen, dass Zweck der Philologie nicht die Gewinnung abstrakter Sprachformen sein kann, die es ihr etwa von den Spracherscheinungen abzuziehen gelingt, sondern vielmehr die ganze volle Auffassung des antiken Geisteslebens in Verstand, Gefühl und Phantasie. Es liegt auf der Hand, dass dagegen die unbegründete und unbegreifliche Behauptung Gottfried Hermanns nicht Stich halten kann, welche besagt, die social-politischen Einrichtungen der Alten, ihre Künste, die Trümmer ihrer Architektonik oder was sonst aus dem Altertum mit den Augen Sichtbares und mit den Händen Greifbares auf uns gekommen sei, lasse nicht die geringste Vergleichung mit den erhaltenen Litteraturschätzen zu, als ob nicht selbst das kleinste und geringfügigste Ueberbleibsel wenigstens nach einer Seite hin Zeugnis vom schöpferischen Geiste des Altertums ablegte! Wie wenig Gottfried Hermann bei seinen unleugbaren Verdiensten um Erforschung der Sprachen in den eigentlichen Geist des Altertums einzudringen wusste, zeigen die Akten seiner zahlreichen und berüchtigten Kämpfe mit Böckh und seiner Schule, in denen er meistens nicht zu seiner Ehre den kürzeren ziehen musste.

Da nun aber doch alles philologische Forschen ohne eine stetige Anwendung des Organons der Hermeneutik und Kritik in der Luft schweben muss, die Ausübung der Hermeneutik und Kritik aber ohne genaue Kenntnis der Sprache und der Grammatik eine bare Unmöglichkeit ist, so werden wir in der neueren Phase der Realphilologie, welche sich der Grammatik als realen Objekts der Forschung fast gänzlich begeben hatte, unmöglich die Aufgabe der Philologie erfüllt sehen können, so sehr wir ihr auch für ihre grossartigen Leistungen dankbar sein müssen. Sie ist vielmehr als Rückkehr zur Wolfschen Theorie, nicht als deren Weiterbildung zu betrachten.

Diese beiden Richtungen waren die einzigen, welche sich eine epochemachende Geltung zu erobern gewusst hatten. Der Folgezeit war die doppelte Aufgabe zugewiesen, einmal eine philosophische Begründung der beiden Systeme zu versuchen, wie dies Milhauser im Sinne Hermanns, und Freese-Elze im Geiste Böckhs mehr oder weniger erfolgreich angestrebt haben, und zweitens, aus Grund der damit verbundenen schärferen Inangriffnahme bestimmter Hauptfragen eine gewisse Verständigung und Ausgleichung anzubahnen. Derjenige, dem dieses von allen am besten gelungen ist, war jener gewaltige Geist, welcher der gesamten Philologie der Gegenwart die Pfade geebnet hat, Friedrich Wilhelm Ritschl.

Freilich konnte auch dieser hoch über den Parteien stehende Mann der trüben Erfahrung nicht entgehen, dass man für gewisse Ausschreitungen einzelner Schüler ohne weiteres den Meister selbst haftbar machte, Man ging in diesem Mangel an Verständnis von dem wahren Sachverhalt so weit, dass man mit dem Namen der Ratschlagen Schule geradezu ein völlig

aller wissenschaftlichen Forschung Hohn sprechendes, ganz und gar unkritisches Verfahren zu bezeichnen gewagt hat. Und noch dazu war es nur ein Teil der Ratschlagen Schule gewesen, welcher durch ein auf die Spitze getriebenes konjekturalkritisches Verfahren die klassische Philologie m Verruf gebracht hat, als entbehre sie jedes sicheren Bodens, als sei der von ihr errichtete Bau ein leeres Kartengehäuse aus den kühnsten und abenteuerlichsten Vermutungen zusammengesetzt.

Ritschl selbst hat ein derartiges Vorgehen dieser Schüler nie gebilligt; während er freilich der Textkritik eine hervorragende Rolle zugewiesen hat und daher sämtliche damit in Verbindung stehende Disciplinen gleichmässig gepflegt wissen wollte, wie die Paläographie vor allem, so wusste er gar wohl zwischen konservativer und radikaler Kritik zu unterscheiden, und in welchen Fällen jene und wann hinwiederum diese ihre Berechtigung habe. So war ihm sehr wohl bekannt, dass gut überlieferten und lückenlos geschriebenen Testen gegenüber der Kritik ein konservatives Verhalten und Vorgehen vorgeschrieben sei, während bei verdorbener, durch offenkundige Abschreiberfehler oder durch Handschriftenlücken zerstörter Ueberlieferung und auch bei Fragmenten ein radikales Vordringen geboten sei.

Ritschl ist äusserlich ein Schüler von G. Hermann, innerlich aber ein Schüler Fr. Aug. Wolfs, wie die Allseitigkeit seiner Auffassung von der Aufgabe der Philologie, welche mit der Wolfschen völlig übereinstimmt, deutlich erkennen lässt. Es ist dies ein Punkt, welcher viel zu wenig bekannt, geschweige denn ausreichend betont worden ist, so dass es nicht zu verwundern ist wenn man die übertriebenen Ergänzungsgelüste gewisser Ritschlianer ohne viel Bedenken

auf ihren Namengeber zurückgeführt und so den nicht unberechtigten Vorwurf an durchaus falscher Stelle angebracht hat. "Der beste Beurteiler aller Dinge," sagt schon Plato, "ist die Zeit." Das durch Ribbeck entworfene Lebensbild Ritschls liefert dafür den besten Beweis.

Die sogenannte Ritschlsche Schule weist verschiedene Richtungen auf. Die extremste Richtung, welche diesen Namen vor allein trägt, befolgt vielmehr die Fussspuren und Lehren Gottfried Hermanns, die andere schliesst sich durch die Vermittlung Ritschls an Fr. Aug. Wolf an. Die erste hat durch ihre Absonderlichkeiten die klassische Philologie überhaupt in Misskredit gebracht und damit Ritschl selbst, ein Flecken, von welchem in weiteren Kreisen meinen verehrten Lehrer zu befreien mir als unabweisliche, aber mit Freuden übernommene Ehrenpflicht erscheint.

Es muss als eine der zahlreichen Ironieen des Schicksals betrachtet werden, dass es gerade demjenigen, welcher in erster Linie als echtester und kühnster Ritschlianer bezeichnet zu werden pflegt, Otto Ribbeck, früher in Bern, jetzt Ritschls Nachfolger in Leipzig, de Aufgabe zugewiesen hat, mittelst einer ausführlichen Monographie über Ritschls wissenschaftlichen Lebensgang den unumstösslichen Beweis zu liefern, dass Ritschl selbst sich von den Einseitigkeiten der durch Gottfried Hermann vertretenen Richtung völlig frei wusste.

Es zeigt dies ein Blick auf die Themata der von ihm gehaltenen Vorlesungen, sowie die Eigenartigkeit und Weitschichtigkeit seiner Publikationen und sonstigen litterarischen Unternehmungen und Wünsche, deren Ausführung und Erfüllung der Neuzeit vorbehalten war.

Wir denken dabei an die Sammlungen der altrömischen Dramatikerfragmente durch Ribbeck; der römischen

Rhetoren und Grammatiker durch Keil, der römischen Kommentatoren durch Thilo, der römischen Glossenwerke durch Löwe und Götz, der lateinischen Inschriften durch Mommsen und Hübner, der tironischen, Noten durch Schmitz, nicht zu reden von der infolge streng wissenschaftlicher und ausgiebiger Verwertung des gesamten einschlägigen handschriftlichen Materials erzeugten, wahrhaft überraschenden Veränderung, welche die Texte des Catull, Festus, Gellius, Horaz, Nonius, Quintilian, Vergil, der römischen Anthologie, der kleineren römischen Dichter, der Kirchenväter und anderer auf seine Anregung hin erfahren haben.

Der Zweck der Philologie ist nach Ritschl ein doppelter, entweder darauf gerichtet, die erworbene Kenntnis der Gesetze und Gestaltung einer Sprache auf das Verständnis und die Deutung der in derselben vorhandenen Schriftwerke und Litteratur anzuwenden und daraus die Wissenschaften und Künste eines fremden Volkes oder einer fremderen Zeit zu erlernen — niedere Philologie, oder darauf, die Gesetze der Sprache um ihrer selbst willen zu erkennen und sie in allen ihren Formen, Gestaltungen, Verzweigungen, Abstufungen und Ursachen zu erforschen, um dadurch zur Erkenntnis der Gesetze des Anschauens, Erkennens, Denkens, Urteilens und Fühlens im menschlichen Geiste und zum Begreifen der geistigen Thätigkeit inmitten ihrer Kräfte und Richtungen zu gelangen — höhere Philologie. So erhaben auch hienach das Ziel der sogenannten höheren Philologie gefasst ist, als philosophische Sprachanalyse, so ist doch klar, dass zur Erreichung dieses Ziels die auf die klassischen Sprachen beschränkte Philologie nicht von ferne ausreicht: es erscheint vielmehr als ein befremdlicher Widerspruch, dass die Verfechter der Ansicht, Philologie sei Sprachwissenschaft und

nichts weiter, ihr zugleich das Altertum als Grenze setzen und alle Sprachvergleichung vermieden wissen wollen. Als nicht minderer Widerspruch muss es gelten, wenn das durch Kenntnis der Sprache erworbene formale Verständnis ihrer Litteratur und die wissenschaftliche Verwertung des darin niedergelegten Materials unter der Aufschrift "niedere Philologie" zusammengeworfen werden.

Unabhängig von diesen beiden Richtungen der Formal- und Realphilologie hatte zur Zeit, als man noch nicht an eine Vermittlung beider dachte, sich unter der Leitung von Ast, Creuzer und vornehmlich Friedrich Jacobs eine dritte ausgebildet, die man bald die ästhetisch-philosophische, bald die pädagogisch-didaktische genannt hat. Dieser Richtung war Sprachstudium und Altertumskunde nicht Zweck an sich, sondern nur Mittel zum Zweck, die alten Schriftsteller zu verstehen, zu geniessen und sich ihren Geist anzueignen, indem man sie als Muster klassischen Inhalts und klassischer Darstellung ansah, aus deren Studium vor allem man sich eine gründliche und klassische Bildung verschaffen könne.

Freilich hat eine solche Betrachtungsweise des Altertums viel Einschmeichelndes für sich, doch haben ihre unausbleiblichen Folgen, nämlich Unwissenschaftlichkeit auf der einen und barocke, dem Altertum ganz und gar fremde Sentimentalität auf der andern Seite einer solch einseitigen Auffassungsweise von vorneherein das Anrecht, als wissenschaftliche Forschung zu gelten, entziehen müssen.

Noch mag eine Richtung erwähnt werden, welche praktisch zwischen Formal- und Realphilologie zu vermitteln sucht, diejenige nämlich, welche, mit teilweiser Herabsetzung der Sprache zum blossen Mittel des Verständnisses, der Philologie bereits an

der Litteratur eine Grenze setzt, eine Richtung, als deren Vertreter Bergk, Haase, Preller, Bernhardy genannt werden mögen.

Eine kurze Charakteristik dieser drei Hauptrichtungen würde sich etwa so fassen lassen: die Hermannsche, jetzt von vielen Ritschlianern vertretene Auffassung kommt nicht über die Quellen des Altertums — die litterarischen Denkmäler — hinaus zum Altertum selbst und fasst auch an diesen Quellen nur die sprachliche Seite auf; die Böckhsche Richtung sieht in den Quellen eben nichts weiter, als Quellen, die ihr nur insofern Bedeutung gewinnen. als ile zur Rekonstruktion des gesamten antiken Geisteslebens beitragen können. Die sogenannte vermittelnde Richtung endlich hält mit der gleichmässig auf Form und Inhalt gerichteten Erkenntnis der litterarischen Erzeugnisse der beiden alten Völker den Kreis philologischer Forschung für geschlossen.

Werfen wir einen Blick aus die Ergebnisse der philologischen Studien seit Fr. August Wolf, so werden wir ihnen für die mannigfachen zwar vielfach einseitigen, aber gerade deshalb schliesslich zusammengerechnet allseitigen Erörterungen dieser Principienfragen nur dankbar sein können. Gerade dieses Ausgehen von den verschiedensten Gesichtspunkten hat uns über die Ertragsfähigkeit der einzelnen Disciplinen den reichhaltigsten Aufschluss gegeben: eine Menge neuer Ideen ist dadurch in Umlauf gesetzt worden, wovon die frühere Zeit keine Ahnung hatte. Um aus der grossen Masse dieser Ergebnisse nur einige wenige herauszugreifen, so hat G. Hermann durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Grammatik und Metrik für diese Disciplinen geradezu eine neue Aera begonnen; Wolfs denkwürdige Homerhypothese

ist durch die gründlichste Befehdung nur bestätigt worden; Niebuhrs Kritik der römischen Geschichte hat die geschichtliche Forschung in ganz neue Bahnen gelenkt, die sich aber immer mehr als die einzig richtigen erwiesen haben; Aug. Böckh verdanken wir den Wiederaufbau der gesamten athenischen Staatsmaschine, die vorher einem regellosen Trümmerhaufen zu vergleichen war; Bernhardys Rekonstruktion der antiken Litteraturen wird stets als ein denkwürdiges Zeugnis weitschichtiger Gelehrsamkeit und bewundernswerten Kombinationstalentes gelten müssen, und schliesslich hat Welcker in seiner Restitution der alten Tragödie ein von echt antikem Schönheitsgefühl durchdrungenes, von rein hellenischem Geiste durchwehtes Kunstwerk geschaffen.

Die Aufgabe unserer Zeit ist nun offenbar diese, Formal- und Realphilologie zu vermitteln oder, sagen wir lieber, eine innige harmonische Vereinigung beider herzustellen.

Die Philologie, als Sprachforschung gefasst, kann nur in der Sprachvergleichung ihre Weihe zur Wissenschaft finden: die Sprachforschung auf ein bestimmtes Volk und eine bestimmte Zeit beschränkt, kann nur in der allseitigen Durchdringung des gesamten Volksgeistes einen Ersatz dafür finden, dass sie aus dem organischen Ganzen der Sprachenreihe geschieden ist.

Wer die Schriften des Altertums nur der Sprache nach versteht und nicht dem Inhalt nach, der ist nur ein halber Philolog; aber wer sie dem Inhalt nach zu verstehen trachtet und der Sprache nach nicht versteht, der ist kein halber, sondern gar keiner. Und so schliessen wir denn mit dem treffenden Worte Döderleins:

"Alles für den Geist des Altertums, aber alles durch die Sprachen des Altertums."