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Regeneration und Entwicklung.

Rectoratsrede, gehalten bei der Stiftungsfeier der Berner Hochschule

am 19. November 1898
Dr. H. Strasser,
o. Professor der Anatomie an der Universität Bern.
JENA
Verlag von Gustav Fischer. 1899.

Die wenigsten Naturerscheinungen vollziehen sich im continuirlichen Flusse gleich gerichteter Bewegung. Meist handelt es sich um ein Oscilliren, ein An- und Abschwellen. Welle folgt auf Welle, bäumt sich empor und versinkt. Sommer und Winter, Tag und Nacht lösen sich ab in unaufhörlichem Wechsel. Wir sehen im Herbste die Blätter fallen und im Lenz Flur und Wald mit neuem Grün und neuen Blüten sich schmücken. Bei der Klage über das, was der Tod uns entrissen, kann uns der Gedanke trösten, dass neues Leben an die Stelle des Zerstörten tritt. Ganz besonders auffällig ist der periodische Ablauf der Prozesse in der Welt der lebendigen Organismen, in den Erscheinungen des Werdens und Vergehens.

Freilich haben sich Dichter, Naturforscher und Philosophen über den inneren Zusammenhang zwischen Tod und Leben in sehr verschiedener Weise geäussert. "Leben ist die schönste Erfindung der Natur und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben", sagt Goethe und Möbius hat diesen Ausspruch in einer Rectoratsrede in geistreicher Art durch Hinweise auf die Erscheinungen des Tierlebens beleuchtet. Die landläufige Ansicht ist, dass alles Schöne, alles Irdische sterben muss, an Alterschwäche, aus inneren Gründen, wenn nicht durch rauhen äusseren Eingriff, durch Katastrophe. Weismann aber hebt hervor, dass gerade bei niederen Organismen, bei einzelligen Lebewesen der Tod aus inneren Gründen und Alterschwäche fehlt; es teilen sich diese Wesen je in zwei gleichwertige neue Individuen, die heranwachsen und sich wieder teilen. Nach Weismann hätte die Natur solchen Tod erst in den vielzelligen Geschöpfen in die Welt eingeführt, bei denen sich das Leben nur durch einen kleinen Teil, einen Keim auf den Nachkommen fortpflanzt, während

der übrige Körper zu Grunde geht. Prüfen wir die Sachlage unbefangen, unter Annahme einer allmähligen Vervollkommnung der Lebewelt, so will uns allerdings gerade der Mangel an Dauerfähigkeit als das erscheinen, was den primitivsten Anfängen von Lebensprozessen eigen gewesen sein muss: ein Mangel, der erst durch noch complicirtere Combination und Zusammenfügung von verschieden arbeitenden Substanzen vermindert und unter Umständen beseitigt werden konnte.

Das mag nun sein, wie es will, so ist doch sicher, dass auch die einzelligen Lebewesen durch den Tod dezimirt werden. Sie sterben, wenn nicht aus inneren Gründen, aus Alterschwäche, so doch in Folge schädlicher äusserer Eingriffe. Hier, wie überall, wo thatsächlish eine bestimmte Form von Lebewesen fortbesteht, muss dafür gesorgt sein, dass durch einen andern Prozess, denjenigen der Fortpflanzung durchschnittlich ebensoviele neue Individuen erzeugt werden, als in der gleichen Zeit zu Grunde gehen. Das Verhältnis zwischen Tod und Vermehrung wird bis zu einem gewissen Grade durch die Concurrenz und den Kampf ums Dasein direkt geregelt. Daneben spielen erbliche Eigenschaften eine Rolle mit Bezug auf die Grösse des Reproduktionsvermögens.

Dass auch im Innern des einzelnen Lebewesens, in einem Organismus, der uns als beständig erscheint, Teilchen ausgeschaltet, zerstört und durch andre Teilchen gleicher Art wieder ersetzt werden, ist bekannt. Jeder wird dabei zunächst an die Erscheinungen des Stoffwechsels, an die Auswechslung der chemischen Moleküle denken, welchen Prozess Fenélon irgendwo in drastischer Weise folgendermassen veranschaulicht.

"Die Nahrung, die aus leblosen Körpern besteht, unterhält das thierische Leben und wird schliesslich das Thier selbst. Die Teile, woraus es ehemals bestand, verdunsten unmerklich durch fortgesetzte Schweissabsonderung. Was vor 4 Jahren ein bestimmtes Pferd bildete, ist jetzt nur noch Luft oder Mist, was damals Heu und Hafer gewesen ist, bildet jetzt dieses selbe stolze, kraftvolle Ross oder vielmehr den Körper, der trotz dieser Wandlung seiner Bestandteile dafür angesehen wird."

Auf diesen chemischen Stoffwechsel will ich heute nicht eingehen, wohl aber andeutungsweise auf die Auswechslung ganzer lebender Teilchen, die im Organismus stattfinden muss, in so fern als lebende Einzelelemente verschiedener Art zu Grunde

gehen, während der Gesammtbestand dieser Elemente der selbe bleibt. Auf diese Auswechslung passen sehr gut die Goethe'schen Worte:

Du nun selbst! Was felsenfeste
Sich vor Dir hervorgethan,
Mauern siehst Du und Paläste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fuss, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche mass.
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte, wohlzuthun,
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich an jener Stelle
Nun mit Deinem Namen nennt,
Kam herbei, wie eine Welle
Und so eilt's zum Element.

Im Innern des Organismus kann die Beziehung zwischen Verbrauch und Ersatz in direkterer Weise normirt, der Ausfall kann die unmittelbare Ursache und Veranlassung des Neubildungsprozesses sein. So scheint, um nur ein Beispiel anzuführen, der Ausfall von rothen Blutkörperchen (bei Blutverlusten) eine veränderte Beschaffenheit des Blutes zur Folge zu haben, welche direkt anregend auf den Prozess der Neubildung rother Blutkörperchen wirkt.

Je fester ein verlorengegangener Körperteil in den Zusammenhang eingeführt war, und je genauer die durch seinen Ausfall veranlasste Neubildung örtlich dem Verlorenen entspricht, desto mehr handelt es sich um das, was man als Regeneration - im engeren Sinne des Wortes bezeichnet. Nicht bloss kleine Einzelelemente werden in dieser Weise, nachdem sie aus bestimmter Stelle des geweblichen Zusammenhangs entfernt sind, durch neue ersetzt, sondern auch ganze Gewebscomplexe, Organe und grössere Körperteile. Ist die Auswechslung einzelner Elemente eine tägliche physiologische Erscheinung (phys. Regeneration). so ist andererseits die Veranlassung für die Entfernung und allfällige Regeneration grösserer Teile zumeist eine ungewöhnliche, mehr oder weniger zufällige, oder eine pathologische. Nur ausnahmsweise fällt sie einigermassen in den Rahmen des normalen Geschehens, wie z. B. der Ausfall und partielle Wiederersatz umfänglicher Organe und Gewebsmassen

bei der Metamorphose der Insecten, die Zerstörung und Wiedererneuerung der Uterusschleimhaut bei der Geburt und Aehnliches.

Das Regenerationsvermögen muss als eine dem Organismus sehr nützliche Eigenschaft bezeichnet werden. Wie die Fortpflanzung und Vermehrung der Individuen ein Correctiv ist gegen den Tod der Individuen, so ist es die Regeneration gegenüber der Zerstörung der Teile des Organismus. Sie vermehrt die Leistungsfähigkeit des Ganzen und dadurch mitunter auch seine Lebensdauer. Sogar als blosser Prozess der Wundheilung schützt sie den Körper vor weitergreifender Zerstörung; wo es sich aber um Regeneration von Gebilden handelt, welche Keime neuer Individuen liefern, wie solches bei niedern Tieren und auch noch bei Würmern vorkommt, dient sie direkt der Fortpflanzung und Vermehrung.

Die Grösse des Regenerationsvermögens ist bei verschiedenen Lebewesen und ihren verschiedenen Teilen eine sehr verschiedene. Man hat allgemein als gesetzmässig erkannt, dass sie bei niedriger Organisationsstufe, bei welcher die Teile des Organismus weniger different und in ihren Leistungen weniger spezialisirt sind, eine grössere ist, so dass hier umfänglichere Teile des Organismus wieder ersetzt werden können; es gilt dies ebensowohl für ungleiche Entwicklungsstufen desselben Geschöpfes, wie für gleiche Entwicklungsstufen verschieden hoch organisirter Geschöpfe. Für denselben Körper aber findet man das Reproduktionsvermögen wieder am grössten bei den am wenigsten specialisirten Teilen: alles Thatsachen, die im Folgenden ihre Erklärung finden werden.

Endlich ist unverkennbar, dass in manchen Fällen gerade solche Teile und Gewebe, die häufiger der Zerstörung ausgesetzt sind, besonders gut regenerirt werden, so zum Beispiel die Extremitäten und der Schwanz bei den meisten Amphibien und namentlich bei den Amphibienlarven, so die äussere Haut in der ganzen Tierreihe. Weismann, in Uebereinstimmung mit seinen Vorstellungen vom Mechanismus der Vererbung, Entwicklung und Regeneration nimmt an, dass es sich hier um günstige Variationen, die durch den Kampf ums Dasein ausgelesen worden sind, handelt. Die Eidechsen z. B. können ihren Schwanz zur Ortsbewegung gut brauchen, werden aber auch von ihren Feinden vornehmlich am Schwanze gepackt. Derselbe

sei nun geradezu zum Abbrechen und andererseits auch wieder zur raschen und vollständigen Regeneration eingerichtet. Ich teile diese Darstellung der Weismann'schen Ansicht mit, ohne für ihre Richtigkeit eintreten zu wollen. Im ganzen werden wohl eher die allgemeinen Proliferations-Leistungen der Gewebe in ihren Variationen Gegenstand der Auslese bilden, als nur auf einzelne Fälle oder Zufälle eingerichtete Regenerationsmechanismen.

Jeder Regenerationsprozess geht aus von Geweben, Zellen oder Zellteilen, welche durch einen besonderen Anlass ihrer natürlichen Nachbarschaft beraubt worden sind; er beginnt an einer künstlich geschaffenen Trennungs- oder Abgrenzungsfläche und ist veranlasst durch die neuen und ungewöhnlichen Bedingungen, welche hier auf den erhalten gebliebenen Rest des Körpers einwirken. Diese neuen Bedingungen können sehr mannigfaltiger und verschiedener Art sein. Da handelt es sich um Entlastung von dem zuvor waltenden Gewebsdruck, um eine Auflockerung des Zusammenhanges der Teilchen, um Verschiebungen, um neue Verhältnisse der Saft- und Blutströmung, der Filtration, Exosmose und Endosmose. Sodann kommen in Betracht veränderte Ernährungsverhältnisse der Elemente, besondere chemische und physikalische Reizeinwirkungen und Veränderungen der spezifischen functionellen Beanspruchung.

Die abnormen Verhältnisse führen meist, wie Pfitzner u. a. für die Epithelregeneration bei der Ueberhäutung von Wunden gezeigt haben, zu einer Schädigung und zum Absterben (Nekrose) der am direktesten betroffenen Teile. In grösserer Entfernung dagegen ist die Schädigung kleiner, es tritt mehr die Reizung in den Vordergrund; die Elementarteilchen bei angeschnittenen Zellen und die ganzen Zellen bei verletzten mehrzeiligen Geschöpfen werden zur Proliferation, zur Vermehrung angeregt. Während ein Teil des wuchernden Materials vielleicht schliesslich doch noch zu Grunde geht, vermag der Rest sich den neuen Bedingungen anzupassen, bleibt lebens- vermehrungsfähig und dient als Keimmaterial, von welchem die regenerative Bildung ausgeht. Ich habe Gelegenheit gehabt, vor Kurzem in einem Vortrage über functionelle Anpassung auseinander zu setzen, wie der Vorgang der Anpassung im Verlaufe eines einzigen Zellenlebens und wie er, fortschreitend, während verschiedener Zellgenerationen sich abspielen

mag. Insofern als es sich am Anfangspunkte der Regeneration zunächst um eine Lockerung des geweblichen Zusammenhanges und um eine Befreiung von besonderen spezialisirten Ansprüchen der Nachbarschaft handelt, werden im Ganzen hier namentlich jene besonderen Anpassungsstructuren und Charaktere wieder verschwinden, welche durch die Festigung der geweblichen Localisation und die Spezialisirung der Funktion entstanden sind; die Umgestaltung wird also im Wesentlichen eine Rückkehr zum Einfachen, zu den Verhältnissen der Vorfahrenzellen sein, die Umdifferenzirung wird zunächst den Charakter der "Rückdifferenzirung", d. h. einer Wiederaufhebung von Differenzirung, haben.

Fast unter allen Umständen hat das regenerative Keimmaterial anfänglich den Charakter eines nahezu gleichförmigen zelligen Blastems. In der Regel findet zu allererst eine Ueberhäutung der Wundfläche statt, indem sich an den Wundrändern von der Unterbrechungsfläche der Deckschicht her Zellen vorschieben. Unter der so gebildeten Deck- oder Epithelschicht treten nun als Abkömmlinge des Grundgewebes anscheinend unter sich gleichartige, wenn auch vielleicht der Abstammung und dem Vermögen nach ungleichwertige Zellen auf. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der so gebildete Regenerationskeim in seinem Umfang, seiner Form und seiner inneren Beschaffenheit kleiner und einfacher ist, als das, was aus ihm entsteht. Es handelt sich also um das, was wir als einen Entwicklungsvorgang bezeichnen, nämlich um Produktion von Grösse und Mannigfaltigkeit aus kleinerem und einfacherem. Die Aehnlichkeit des Vorganges mit den normalen Entwicklungsvorgängen liegt auf der Hand.

Ein aufmerksamer Vergleich so nahe verwandter und teilweise identischer Lebensprozesse muss deshalb sehr lehrreich sein und verspricht um so mehr Gewinn für unsere Erkenntniss der beiden Vorgänge, als die Bedingungen der Regeneration sich experimentell in sehr mannigfaltiger Weise verändern lassen.

Die erste und wichtigste Frage bei der Erforschung der Ursachen irgend einer Entwicklungserscheinung lautet: Wie weit beruht die beobachtete Veränderung eines Gebildes auf den in ihm selbst liegenden Kräften und Bedingungen (Selbstdifferenzirung, Roux) und wie weit auf der Einwirkung äusserer Einflüsse (abhängige Differenzirung, Roux). Dass Wachstum und Assimilation

nicht möglich sind ohne Beteiligung des wachsenden Gebildes einerseits, Zufluss von Nahrung und Energie von aussen her andererseits, liegt auf der Hand. Das blosse Hervortreten von Mannigfaltigkeit aber kann in einem Manifestwerden schon vorhandener aber versteckter Mannigfaltigkeit, oder auf einer wirklichen Produktion von Mannigfaltigkeit, einer Differenzirung beruhen. Ersteres ist der Fall bei der Entwicklung einer photographischen Platte, bis zu einem gewissen Grade bei der Entfaltung einer pflanzlichen Knospe. So dachten sich die Entwicklung noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Haller, ein Leibnitz. Alle Teile des fertigen Organismus sollten im Keime präformirt sein. Diese Präformationstheorie wurde bekämpft und widerlegt durch Caspar Friedrich Wolff, der zeigte, dass wirklich bei der Entwicklung eine Besonderheit nach der andern neu hinzutritt. An Stelle der Präformationstheorie setzte er diejenige der Epigenesis.

Indessen hat in neuerer Zeit Weismann eine halb epigenetische, halb präformistische Theorie aufgestellt, welche von ihren Bekämpfern mit einem gewissen Recht als Neopraeformismus titulirt wird.

Weismann geht von der allbekannten Thatsache aus, dass bei der Fortpflanzung der Lebewesen die Nachkommen im allgemeinen den gleichen Entwicklungsgang durchmachen, wie ihre nächsten Vorfahren, obgleich die äusseren Bedingungen dabei innerhalb recht erheblicher Grenzen schwanken. Der ganze Entwicklungsgang mit all seinen Besonderheiten muss demnach im Wesentlichen durch die besondere Beschaffenheit des Keimes bestimmt sein, durch Menge, Art und Anordnung der darin enthaltenen Stoffe und durch die im Keim vorhandenen Spannkräfte und lebendigen Kräfte. Wo zwei nahe verwandte Familien sich durch Eigentümlichkeiten des Entwicklungsganges unterscheiden, die vererbt werden ohne an die Wiederkehr bestimmter äusserer Bedingungen geknüpft zu sein, da muss eine bestimmte Verschiedenheit des Keimes zu Grunde liegen.

Man wird die Abhängigkeit des Entwicklungsganges von der Beschaffenheit des Keimes zugeben müssen und mag, wo sie vorhanden ist, mit Weismann die Besonderheit des Keimes, welche einer bestimmten Besonderheit der Entwicklung entspricht,

als causa determinaus, als Determinante jener Entwicklungseigentümlichkeit bezeichnen.

Strittig kann bloss sein die Natur der Determinante und ihrer Einwirkung auf den Entwicklungsgang.

Weismann denkt sich jede Determinante des Keims als einen besonderen, abgegrenzten Teil der Erbmasse, welcher bei jeder Zellteilung je von der Mutterzelle an die aus ihr entstehenden Tochterzellen oder an eine derselben weitergegeben wird, ohne zunächst irgend eine Wirkung auszuüben, der aber schliesslich auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung in bestimmten Zellen des Körpers aktivirt wird und nun diese Zellen und ihre Nachkommen zu besonderen Leistungen veranlasst. Die besonderen und spezifischen Leistungen der Körperzellen beruhen also nach Weismann im Wesentlichen auf der Verschiedenheit ihrer Anlage, ihrer Erbmasse, die sie durch erbungleiche Teilungen, in letzter Linie vom Keim her bekommen haben. Für die Annahme, dass die Zellen eines Körpers verschieden werden in Folge verschiedener äusserer Einwirkungen, ist hier wenig Raum gelassen.

Während also nach Weismann nicht bloss für das Ganze sondern auch für jeden einzelnen Teil (Zelle) die Verschiedenheit der Anlage, die Erbmasse Alles ist, der Einfluss der Umgebung aber wenig bedeutet, behauptet eine andere, namentlich durch O. Hertwig vertretene Schule, dass alle Zellen eines Organismus, auf jeder Stufe der Entwicklung vom Keim an, der Anlage, der Erbmasse nach im Wesentlichen einander gleich seien, und dass die Verschiedenheit der Leistungen dieser Zellen wesentlich nur, mathematisch gesagt, eine "Funktion" ihrer verschiedenen Lage im Körper sei, hervorgerufen durch die verschiedene Beeinflussung seitens ihrer Nachbarschaft.

Meiner Meinung nach sind beide Auffassungen extrem und in ihrer Einseitigkeit unrichtig, und ist auch die Veränderung und Entwicklung des einzelnen Teils ebensowohl abhängig von der ererbten Anlage als von der Wechselwirkung zwischen ihm und der Umgebung. Von jeher habe ich die Hauptaufgabe der embryologischen Forschung darin gesehen, den Einfluss dieser beiden Faktoren genauer zu bestimmen. Es möge mir heute vergönnt sein, vornehmlich die Erscheinungen der Regeneration heranzuziehen, um die gemeinsame Wirksamkeit beider Principien zu beweisen.

Dasjenige der beiden Principien, welches bei der Untersuchung der Regenerationsvorgänge zuerst deutlich vor Augen tritt, ist die Abhängigkeit der Entwicklung des regenerativen Keimmaterials vom erhaltenen Körperrest, d. h. von dem durch die Verwundung frei gelegten Teil und der unmittelbaren Nachbarschaft derselben. Das Geheimnisvolle und Räthselhafte der Regenerationserscheinungen beruht fast mehr in dieser Abhängigkeit, als in der Grösse der Reproduction. Die gleiche Zellschicht im Körper eines Hydroidpolypen oder einer Planaria liefert je nach Umständen, je nachdem sie von der einen oder von der andern Seite her frei gelegt ist, das Regenerationskeimmaterial für ein vorderes oder für ein hinteres Leibesende, eine linke oder eine rechte Körperpartie. Von derselben Schicht aus kann beim Seestern das eine mal, wenn sie am abgetrennten Arm liegt, der ganze übrige Körper wieder ergänzt werden, das andre mal, wenn sie auf der centralen oder proximalen Seite der Trennungsfläche verblieben ist, producten sie den fehlenden Arm. Und wenn auch nicht immer wie hier die an der Trennungsfläche gelegene Schicht im Stande ist, Alles abgetrennte zu ergänzen, manchmal auch etwas ebenso Complicirtes aber Verschiedenes entsteht (Heteromorphose), so zeigt sich doch stets eine deutliche Tendenz der Entwicklung nach der Seite des fehlenden Teiles hin.

Gerade jene Fälle, wo das Regenerationskeimmaterial je nach Umständen die eine oder die andere Seite des Körpers, potentia also den ganzen Körper zu bilden vermag, sind beweisend dafür, dass der Entscheid für das, was thatsächlich gebildet wird, nicht im Material selbst liegt, mindestens nicht von ihm allein, sondern in wesentlicher Weise von den äusseren Bedingungen abhängt und von denjenigen Teilen, welche an das Keimmaterial grenzen und mit ihm in Beziehung stehen. Freilich ist der Grund und Mechanismus dieses Abhängigkeitsverhältnisses sehr dunkel. Ist man nicht versucht, im Sinne der Anschauungen früherer, nicht allzu lang entschwundener Zeiten anzunehmen, dass jedem Teil eine Idee des Ganzen und eine Tendenz zur Bildung des Ganzen innewohnt, und dass die Teile nicht bloss spüren, dass etwas, sondern was vom Ganzen verloren gegangen ist?

"Wir müssen schliessen", sagt Herbert Spencer in seinen Principien der Biologie, "dass eine Pflanze oder ein Tier irgend welcher Art aus speziellen Einheiten aufgebaut ist, in welchen

allen das innere Vermögen schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren. Gruppen von Einheiten, aus dem Körper herausgenommen, besitzen das Vermögen, das Ganze von Neuem aufzubauen." Diese Fähigkeit der Moleküle, sich in einer eigentümlichen Form unter sich und zu schon vorhandenen anzuordnen, wird von Spencer als organische Polarität bezeichnet; die lebenden Molekel, die ihrerseits aus einer Vielheit verschiedener chemischen Molekel bestehen, nennt er "physiologische Einheiten". Bereits in der Bildung der Zelle bekunde sich das Ordnungsvermögen der organischen Polarität. "Irgend eine kleine Verschiedenheit in der Zusammensetzung der physiologischen Einheiten muss zu entsprechenden Verschiedenheiten in dem gegenseitigen Spiel ihrer Kräfte führen und damit eine Verschiedenheit in der Gestalt erzeugen, welche das aus ihnen gebildete Aggregat annimmt."

Hat Spencer noch einigen Raum gelassen für die Annahme, dass die chemische und physiologische Natur der kleinsten Lebensteilchen von Bedeutung sein kann; so hat Haacke in seinem Versuch, die Spencerschen Annahmen weiter im Detail auszuführen, nur noch geometrische Unterschiede und physikalische Anziehungskräfte im Auge: Sein Versuch, die Gestaltung aus der geometrischen Form und den Anziehungskräften der kleinsten lebendigen Teilchen zu erklären, muss geradezu als naiv und kindlich bezeichnet werden.

Nach Haacke haben die kleinsten lebenden Teilchen, die "Gemmen", überall die gleiche Form, nämlich diejenige gerader rhombischer Säulen. Dieselben können sich, etwa wie die Elemente der Schneekrystalle, in der verschiedensten Weise gruppiren und so verschiedenartige "Gemmarien" bilden.

Jedem Organismus komme eine bestimmte Gemmariengrundform zu. Die Gemmarien ziehen sich an, sie fügen sich gesetzmässig zunächst zur Zelle zusammen, deren Form bedingend. Indem zwischen ihnen je nach Umständen verschiedene Anziehungen und Spannungen wirken, verschiebe sich ihre Form. Da ferner nach Haacke sämmtliche Zellen des Körpers durch Protoplasmafortsätze verbunden sind — eine durchaus unbewiesene Annahme, so setze sich die gesetzmässige Gemmarienordnung, ebenso aber auch jede Veränderung des Gemmariengleichgewichtes, wie sie durch Wachstum und Einwirkungen irgend welcher Art an einem Teil hervorgerufen wird, durch

den ganzen Organismus fort. Ich will nicht näher auseinandersetzen, wie durch solche Annahme Haacke die Vererbung erworbener Eigenschaften u. a. zu beweisen sucht. Man darf wohl behaupten, dass die Gemmarientheorie für die Erklärung der Vererbung und Gestaltung nicht das Geringste leistet. Was soll man z. B. sagen zu der Annahme, dass bei symmetrischer Form der einzelnen Gemmarie ein symmetrischer Gesammtkörper entstehen müsse, bei radiärer Gemmarienform dagegen ein radiärer und bei asymmetrischer Gemmarienform ein asymmetrischer? Sind etwa auch die einzelnen Zellen das eine mal symmetrisch, das andre mal radiär oder asymmetrisch, je nach der Gemmarienform?

Doch verzichten wir auf das billige Verdienst, die Haackesche Hypothese noch eingehender zu kritisiren.

Der Auffassung von Spencer aber muss Folgendes entgegen gehalten werden. Die das Wachstum und den Ersatz vermittelnden, aus der Nahrung aufgebauten neuen Arbeitssubstanzen werden in der Regel wohl den einfachsten organischen Teilchen nicht auf- sondern eingelagert. Auf das Wachstum der kleinsten lebenden Elemente muss Teilung folgen; dabei können doch wohl kaum die gleichen ordnenden Kräfte wirksam sein, wie beim Wachstum; ferner müssen wir wohl annehmen, dass die Neuordnung der Teilchen zu einander durch sehr mannigfaltige Kräfte bestimmt wird. Dass polare Differenzen dabei eine Rolle spielen können, ist unzweifelhaft; aber ebenso sicher ist, dass dies nicht überall geschieht. Endlich liegt gar kein Anhaltspunkt dafür vor, dass alle einfachsten lebenden Teilchen desselben Individuums durchaus gleich geartet sein müssen.

Im Gegenteil haben wir uns schon die Zelle als einen Bau von hoher Complikation und grosser Mannigfaltigkeit der in ihr enthaltenen kleineren lebenden Elementarbestandteile zu denken. So einfach, wie Spencer und Haacke es vertreten, liegen also die Verhältnisse nicht; es bleibt nichts anderes übrig, als bis ins Einzelne hinein die Lebensverhältnisse der verschiedenen Zellen und ihrer Elemente zu untersuchen und durch Vergleichung verwandter Prozesse, sowie durch das Experiment, die Art und den Grund der gegenseitigen Abhängigkeit und Beeinflussung darzuthun. —

An der Thatsache selbst, dass die Entwicklung und Differenzirung eines Körperteiles durch äussere Einflüsse sehr wesentlich

bestimmt sein kann, ist nach dem Vorhergesagten nicht zu zweifeln. Wohl aber stellt sich uns die Frage entgegen, ob der Einfluss der Umgebung und Nachbarschaft allein bestimmend ist, oder ob auch wesentliche Verschiedenheiten in der Anlage und Erbmasse der Teile für ihre weitere Ausbildung eine Rolle spielen können. Sind, wie O. Hertwig meint, speziell im vielzelligen Körper alle Zellen auf allen Entwicklungsstufen einander im Wesentlichen der Erbmasse nach gleich, und sind sie an und für sich alle gleich gut wie der Keim im Stande, das Ganze aus sich hervorgehen zu lassen?

Es giebt in der That Fälle, die wir als Beispiele niedriger Organisation und unvollkommener Arbeitsteilung auffassen müssen, wo fast jeder noch so kleine Teil des Körpers unter günstigen Bedingungen das Ganze regeneriren kann. Der Gärtner vermag aus kleinen Stücken eines Begonienblattes eine ganze Pflanze zu ziehen. Vor mehr als 150 Jahren (1744) veröffentlichte Trembley seine Beobachtungen über den Polypen des süssen Wassers. Zerschnitt er einen solchen in 3-4 Querstücke, so ergänzte sich jeder Teil zu einem vollständigen Polypen: die Mittelstücke bildeten dabei am Kopfende ein Kopfstück, am Fussende ein Fussstück; wurde einer der vier Teile, nachdem er sich einigermassen vervollständigt hatte, wieder gevierteilt, so ergänzte sich jedes Stück wieder auf die angegebene Weise; so konnte Trembley aus einem einzigen Polypen über 50 neue erhalten. Die letzten Produkte wurden z. T. während zweier Jahre gezüchtet, sie vermehrten sich während dieser Zeit, wie nicht zerschnittene Polypen, durch Sprossbildung. In gleicher Weise erfolgte Regeneration nach Längsspaltung der Leibeswand des röhrenförmigen Tieres. Bei unvollständiger Längsspaltung nur am Kopfende regenerirte jede Schnittfläche das zu einem vollständigen Kopf fehlende; so entstand ein Tier mit 2 Köpfen und bei Fortsetzung des Versuches schliesslich ein solches mit 7 Köpfen. Trembley nannte solche Bildungen Hydren in Erinnerung an die sagenhafte Hydra der Alten. Der Name Hydra wurde später dem Polypen selbst als zoologischer Gattungsname zuerkannt.

"On pense bien — schreibt Trembley — qu'après être parvenu à faire des Hydres, je ne m'en suis pas tenu là. J'ai coupe les têtes de celui qui en avoit sept, et au bout de quelques

jours, j'ai vu en lui un prologe qui ne le cède guères au prodige fabuleux de l'Hydre de Lerne. Il lui est venu sept nouvelles têtes, et si j'avais continué à. les couper à mesure qu'elles poussoient, il n'y a pas à douter que je n'en eusse vu pousser d'autres. Mais voici plus que la Fable n'a osé inventer. Les sept têtes, que j'ai coupées à cette Hydre, ayant été nourries, sont devenues des Animaux parfaits, de chacun des queis il ne tenait qu'à moi de faire une Hydre."

Von ganz besonderem Gewicht für die Annahme, dass alle Zellen des Körpers im Wesentlichen, in der Erbmasse einander gleich und befähigt seien, unter günstigen Umständen einen ganzen Organismus hervorzubringen, sind anscheinend die Versuchsergebnisse von Driesch, Fiedler, Wilson, O. Hertwig u. A., die an sich furchenden, d. h. in Teilung begriffenen Tiereiern gewonnen wurden. Es ist Driesch gelungen, bei in Furchung begriffenen Seeigeleiern die Zellen des Zwei-Zellenstadiums, ja auch noch des Vier-Zellenstadiums durch Schütteln zu isoliren und aus dem einzelnen Elemente eine Ganzlarve aufzuziehen. Die betreffende Zelle oder Furchungskugel wäre demnach, obschon bei normaler Entwicklung nur ein ganz bestimmter Teil des Körpers aus ihr hervorgeht, ihrem Wesen nach omnipotent, d. h. zur Bildung des Ganzen befähigt. Manche Forscher, insbesondere O. Hertwig, stehen nun nicht an, diesen Schluss auf alle Zellen des wachsenden und fertigen vielzelligen Organismus auszudehnen.

Dem gegenüber ist zu bemerken, dass beim Frosch nach den Versuchen von W. Roux, des Hauptbegründers der Entwicklungsmechanik, zwar jede der beiden ersten, durch Teilung des Eies entstandenen Zellen, aus denen für gewöhnlich bloss je eine Körperhälfte entsteht, isoliert ein ganzes Tier hervorzubringen vermag; doch entsteht zunächst eine Halbbildung; die betreffende eine der beiden ersten Furchungszellen ist also thatsächlich etwas anderes als die ungeteilte Eizelle und liefert zunächst andre Zellnachkommenschaft, nur verwischt sich offenbar der Unterschied wieder, wie ich annehmen möchte, durch "Rückdifferenzirung." Auch eine von den 4 ersten Furchungszellen vermag noch eine Ganzbildung zu liefern, nachdem zuerst andre Tendenzen zum Vorschein gekommen sind. In späteren Stadien aber mit mehr als 4 Furchungskugeln konnte aus der einzelnen nicht mehr eine Ganzlarve hervorgebracht werden. Es steht zu erwarten, dass

auch bei Seeigeleiern und in andern ähnlichen Fällen, wo die Rückdifferenzirung offenbar rascher fortschreitet, und die ursprünglichen Tendenzen der Teilentwicklung weniger zäh festgehalten werden, sich bei den Elementen späterer Stadien eine Grenze des Rückdifferenzirungsvermögen zeigen wird. Genaue neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Süsswasserpolypen die Regeneration des Ganzen aus einem Teilstück nur dann eintritt, wenn alle 3 Schichten der Röhrenwand, das äussere Blatt, das innere Blatt und die Zwischenzellen in jenem Stück vertreten sind.

Die Beschränkung des Regenerationsvermögens bei höher organisirten Tieren besteht vor Allem darin, dass jedes Gewebe nur Gewebe der gleichen Art bildet und nur aus Resten des eigenen Gewebes regenerirt werden kann. So regeneriren sich beispielsweise die Zellen der Deckschichten oder Epithelien nur aus Epithelien, Muskelfasern nur aus Muskelfasern, Bindegewebe nur aus Bindegewebe u. s. w.

Selbst die Ausnahmen von dieser Regel sind bezeichnend: So vermag die Knochenhaut, deren Zellen unter normalen Verhältnissen zum Teil Knochenbildungszellen erzeugen, unter ungewöhnlichen Bedingungen, zum Beispiel bei der Heilung eines Knochenbruches Knorpelzellen und Knorpelsubstanz zu liefern, als Reminiscenz an frühe Zeit, wo das Periost noch Perichondrium war.

Die ungleiche Vollkommenheit des Regenerationsvermögens findet also nach dem Auseinandergesetzten ihre Erklärung durch die Annahme, dass mit fortschreitender Entwicklung und Differenzirung des Körpers die verschiedenen Zellen mehr und mehr untereinander different werden und zwar in ihrer wesentlichen Beschaffenheit, hinsichtlich ihrer Anlage und Erbmasse. Die Veränderung ist wohl wesentlich eine Folge der Arbeitsleistung und des Wechselverkehrs der Zellen mit ihrer Umgebung. Das von Roux aufgestellte Princip vom auslesenden Kampf der lebenden Teilchen im Organismus und im Innern der Zelle selbst spielt meines Erachtens dabei eine wichtige Rolle. Die Veränderungen nehmen im allgemeinen zu von Zellgeneration zu Zellgeneration; sie sind aber nicht durchaus irreparabel. Unter besonderen Bedingungen, so an Wundflächen, nach Lockerung des Zollverbandes und der funktionellen Beziehungen können sie zum Teil wieder rückgängig gemacht werden, namentlich so weit es sich nur um Aenderung des Stärkeverhältnisses zwischen noch vorhandenen

Zellanlagen handelt. Anlagen aber, welche beim Kampf der Teile gänzlich ausgemerzt worden sind, stellen sich nicht wieder her. Im allgemeinen kann also durch die Um- und Rückdifferenzirung nicht jede beliebige Vorfahrenstufe wieder erreicht werden, es ist vielmehr nur eine Rückdifferenzirung auf die Stufe näher liegender Vorfahrenzellen möglich.

Es empfiehlt sich nun, zu untersuchen, welche Tragweite diese durch das Studium der Regenerationserscheinungen gewonnene Auffassung von der Veränderung der Erbmasse der Zellen für die Lehre von der normalen, typischen Entwicklung hat. Die Entwicklung der Organismen ist ein notwendiges Attribut ihrer Fortpflanzung und kann nicht ohne Hinblick auf diese Beziehung und auf die Verhältnisse der Vererbung verstanden werden.

Das Mittel zur Erhaltung und Fortpflanzung des Lebens in denselben Formen ist ja, wie wir eingangs erörtert haben, die Vermehrung der Individuenzahl durch Teilung. Ein Teil eines organisirten Ganzen kann nun niemals, weder an Grösse noch an innerer Organisation dem Ganzen gleich, muss vielmehr kleiner und einfacher sein, als das Ganze und muss sich "entwickeln", um wieder dem Ganzen gleich und zur Abgabe entwicklungsfähiger Teile geeignet zu werden.

Dies gilt schon für die denkbar einfachsten lebenden Teilchen, sofern dieselben wenigstens, wie wir annehmen, aus einer Mehrzahl verschieden arbeitender und funktionirender Substanzen in bestimmter Anordnung derselben aufgebaut sind. Doch können hier die beiden Teilprodukte einander noch im Wesentlichen gleich sein und auf verhältnismässig einfache Weise geschieden werden.

Eine annähernd richtige Gleichteilung ist auch noch möglich bei der Zelle: insofern als die verschiedenen lebenden Elementarteilchen der Zelle sich einzeln teilen. Doch ist, wie wir noch erläutern werden, ein kunstvoller Mechanismus nöthig, um die Teilprodukte zu sondern und in richtiger Weise in zwei Tochterzellen zusammenzufügen.

Bei den mehrzelligen Geschöpfen aber ist eine Gleichteilung nicht mehr möglich. Hier participiren die verschiedenen

Zellen in verschiedener Weise an den Verrichtungen des Organismus und sind zu diesem Behufe in bestimmter Weise zusammen verbunden und in bestimmter Weise differenzirt. Ihr gegenseitiger Verband kann nicht wieder aufgegeben werden, so dass eine Einzelteilung der Zellen mit nachträglicher Sonderung nach 2 verschiedenen Seiten und mit richtiger neuer Vereinigung zu 2 Organismen nicht möglich ist. Thatsächlich bemerken wir nur in den seltensten Fällen eine Teilung in 2 annähernd gleich grosse, wenn auch verschiedene Stücke, die durch Entwicklung resp. Regeneration zum Ganzen vervollständigt werden; vielmehr sehen wir aus einem sehr kleinen Teil des Organismus, einem "Keim", der in der Regel nur aus einer Zelle besteht, einen neuen Organismus heranwachsen, der dem Elterorganismus gleicht; letzterer erscheint durch die Abgabe des Keims in seiner Lebensfähigkeit und Gestalt wenig verändert und ist befähigt, dem Keim bei seiner Entwicklung Schutz und Pflege angedeihen zu lassen. Um so grösser aber sind die Veränderungen, welche der Keim selbst durchmachen muss, um diesem Elterorganismus gleich zu werden.

Die Entwicklung der mehrzelligen Tiere und Pflanzen vollzieht sich unter Zellvermehrung. Wenn nun, wie O. Hertwig annimmt, die Zellteilung auch hier bezüglich der wesentlichen Eigenschaften eine erbgleiche ist, und wenn die Veränderungen, welche die Erbmasse während des Lebens einer Zelle erleidet, unwesentlich sind, dann könnte jede Zelle und jede Zellgruppe des Organismus unter geeigneten äusseren Bedingungen neuen Organismus hervorbringen, was von Hertwig auch behauptet wird.

Thatsächlich sind es fast überall im Tier- und Pflanzenreich besondere Stellen des Körpers, aus denen die Schösslinge, Sprossen und Knospen herauswachsen, sind es besondere Keimstätten, welche die Keimzellen liefern, aus denen der neue Organismus hervorgeht. Beruht dies darauf, dass besondere Einrichtungen nötig sind, um den Keim zu isoliren, oder demselben die nötige Nahrung, den nötigen Schutz zu gewähren? und können sich solche Einrichtungen nur für einzelne bestimmte Körperstellen ausbilden? Oder liegen die Verhältnisse so, dass die hier vorhandenen Keimzellen wirklich, ihrer inneren Natur nach, von den übrigen Körperzellen verschieden und besser als diese oder allein geeignet sind, das Ganze zu reproduciren? Das letztere muss angenommen werden auf Grund der Erscheinungen der Regeneration. Diese lehren uns, dass im allgemeinen

die sogenannten somatischen Zellen, d. h. diejenigen Zellen, welche nicht unmittelbare, direkte Vorfahrenzellen der Keimzellen sind, in ihrer Erbmasse von der Erbmasse des Keims (dem "Keimplasma" Weismann's) verschieden sind. Die Keimzellen müssen anders geartet, in ihnen darf die Erbmasse nicht wesentlich verändert sein.

Man kann die Abstammungsverhältnisse der Zellen eines Organismus auf irgend einer Entwicklungsstufe durch einen Stammbaum graphisch veranschaulichen. Diejenigen Zweige des Stammbaumes, welche zu den Keimzellen hinführen, können als Keimbahnen, die übrigen Zweige können als somatische Bahnen bezeichnet werden (Weismann). In letzteren müssen wir uns die Differenzirung und Spezialisirung der Zellen fortschreitend denken; in den Keimbahnen aber darf die Abänderung nur gering sein, so dass jeweilen zum Schluss, beim Auftreten der Keimzellen die allfälligen Veränderungen der Erbmasse wieder rückgängig gemacht werden können.

Man begreift nun, warum die Keimstätten und die Zellen, aus denen sie hervorgehen, während der ganzen Entwicklung so gelagert sind, dass sie von äusseren Einwirkungen möglichst wenig betroffen, von functionellen Wechselbeziehungen mit der Aussenwelt und mit Nachbarzellen möglichst befreit sind. Man versteht auch, warum die Entwicklung der Vielzelligen, selbst wo es sich um Sprössling handelt, meist oder immer aus einzelnen Zellen beginnt. Diese können eher als ganze Zellgruppen oder grössere Körperteile im Wechselverkehr isolirt und von der Leistung für die Erhaltung des Körpers dispensirt werden.

Wenn in den somatischen Bahnen die Erbmasse verändert wird, so giebt uns in der That die Annahme einer relativ geringen und möglichst beschränkten Abänderung des Zellcharakters in der Keimbahn die einzige Möglichkeit, den Mechanismus der Vererbung einigermassen zu verstehen. —

In welchem Teile der einzelnen Zelle ist nun jene Vererbungssubstanz enthalten, durch welche der Charakter der Zelle und ihrer Nachkommenschaft bestimmt wird? Denn dass nicht die ganze Zellsubstanz in gleicher Weise in Frage kommen kann, erhellt aus dem Umstande, dass die Zellen der Keimbahn durchaus nicht alle gleich aussehen, obschon sie dieselbe Vererbungssubstanz besitzen; das unreife Ei unterscheidet sich z. B. sehr erheblich vom reifen Ei und andererseits von den Zellen des Keimepithels, dem es entstammt.

Zwingende Gründe sprechen dafür, dass die wichtigsten Vererbungs-Substanzen im Kern der Zelle gelegen sind. Erstens beweisen dies die Vorgänge bei der Zellteilung, welche zeigen, dass gerade das Chromatin des Kerns besser als jeder andere Bestandteil der Zelle qualitativ und quantitativ geteilt wird und besser als jeder andere eine Art Reindarstellung bei der Teilung erfährt. Der zweite Beweis liegt in den Vorgängen der Befruchtung. Es vereinigen sich bei der geschlechtlichen Fortpflanzung eine weibliche Keimzelle, welche durch grossen Umfang des Zellenleibes ausgezeichnet ist, und eine männliche Keimzelle, bei welcher der Zellenleib fast fehlt. Einzig die Masse der Kernsubstanz ist in beiden Zellen ungefähr gleich. Der Keimling aber, der aus dem Copulationsprodukt sich entwickelt, gleicht durchschnittlich ungefähr in gleichem Betrage den Vorfahren väterlicher wie mütterlicher Seite. Drittens lässt sich direkt aus Beobachtungen und durch Versuche erweisen, dass der Kern in hervorragender Weise die Vorgänge im Zellenleib beherrscht.

Gruber schnitt einzellige Infusorien, namentlich Trompetentierchen (Stentor) durch und fand vollkommenes Regenerationsvermögen des Zellenleibes, doch nur wenn die Kerne nicht gänzlich entfernt waren. Nach Entfernung der Kerne dagegen liefen zwar Bildungsprozesse, die bereits in Gang gesetzt waren, wie z. B. die Neubildung eines Tentakelkranzes, vollends ab, neue Neubildungs- und Differenzirungsprozesse aber wurden nicht mehr eingeleitet. Daraus geht hervor, dass die dazu nötigen Anregungen oder dass die notwendigen Bildungsmaterialien vom Kern geliefert werden müssen. —

Aus welchen Ursachen vollzieht sich nun in den somatischen Bahnen die von uns constatirte Veränderung der Erbmasse? Geschieht sie von innen heraus, wie Weismann annimmt? Die Erscheinungen der "Rückdifferenzirung" bei der Regeneration sprechen dafür, dass in erster Linie die Wechselbeziehungen zwischen der die Zelle beherrschenden Vererbungssubstanz und zwischen ihrer engeren und weiteren Umgebung verantwortlich zu machen sind. Kann die Erbmasse durch den Einfluss der Umgebung in den Körperzellen verändert werden, so muss solches, wenn auch in geringerem Grade, auch an den Zellen der Keimbahn geschehen und es muss bei letzteren für Einrichtungen gesorgt sein, welche Erbplasma von ursprünglicher Reinheit wieder

darzustellen vermögen. Giebt es aber derartige Mechanismen, so werden sie wohl auch bei den somatischen Zellen wenigstens andeutungsweise vorhanden sein.

Diese Folgerung gewinnt an Gewicht, wenn wir uns klar machen, dass jede Zellteilung ein Fortpflanzungsprozess ist, bei welchem Vererbung, wenn auch nicht immer in gleich vollkommener Weise, stattfindet. Es lässt sich zeigen, dass jede Zelle einen Entwicklungsgang durchmacht, und dass bei jeder Teilung in den jungen Tochterzellen der ursprüngliche Ausgangspunkt der Entwicklung, mehr oder weniger genau, wieder hergestellt wird.

Es handelt sich bei der Teilung einer Zelle nicht um eine einfache Durchschnürung des Kerns und eine nachträgliche Durchschnürung des umgebenden Zellenleibes. So hat man sich allerdings den Vorgang bis in die 70er Jahre hinein gedacht, so lange die Substanz des Zellenleibes und des Kernes für structurlos oder ihre Structur für bedeutungslos und äusserst veränderlich galt. Seither aber haben die subtilsten Untersuchungen dargethan, dass sowohl die jugendliche Substanz des Zellenleibes als diejenige des Kerns eine complicirte Architektur (Faden-Gerüst-Schaumstructur) besitzt und dass die geformten Bestandteile selbst wieder zusammengesetzt und mit besonderen An- und Einlagerungen versehen sind. Die Zellteilung aber vollzieht sich in der Weise, dass viele dieser geformten Einzelbestandteile des Zellenleibes und des Kerns sich zunächst einzeln für sich teilen, worauf dann durch besondere Mechanismen die Teilprodukte auseinander geschafft und zu zwei neuen Gebilden, den Tochterzellen und den Tochterkernen, möglichst entsprechend der ursprünglichen Anordnung der Mutterzelle und des Mutterkerns, zusammengefügt werden. Besonders sorgfältig erscheint dieses Prinzip bei der Teilung des Kerns durchgeführt zu sein. Der besser färbbare Teil des Kerngerüstes, das sogenannte Chromatin, ordnet sich zu einem Faden, der sich der Länge nach spaltet. Auf diese Weise wird die chromatische Substanz nicht bloss der Menge nach möglichst gleichmässig in zwei Hälften zerlegt, sondern es wird auch eine qualitative Gleichteilung ermöglicht, insofern wenigstens die Substanz des Fadens, die an verschiedenen Stellen der Länge verschieden sein darf, an irgend einer Stelle durch die ganze Dicke des Fadens hindurch im Wesentlichen gleich beschaffen ist.

Die Sonderung der Spalthälften geschieht durch anziehende Kräfte, welche von zwei Körperchen des Zellenleibes, den sogenannten Centralkörperchen, ausgehen.

Wie kann aber die Sonderung prompt und ohne Verwicklung erfolgen, da doch der Kernfaden bei der Spaltung in engstem Raum zu einem rundlichen Knäuel zusammen geschoben ist? Die Natur verwendet hier denselben Kunstgriff, mit welchem Alexander der Grosse den gordischen Knoten gelöst hat; der Knäuel wird zerschnitten. Der sich spaltende Kernfaden zerfällt rechtzeitig in eine angemessene Zahl gleich langer Längsstücke, deren Spalthälften nun sehr leicht in zwei Schaaren nach zwei verschiedenen Punkten hin auseinander gleiten können.

Diese Segmentirung des Fadens scheint auf einem besonderen kunstvollen Mechanismus zu beruhen, der nicht bei jeder Teilung neu erfunden werden kann. Die Grundzüge der Einrichtung müssen wohl auch im "Ruhezustand" der Zelle erhalten bleiben, sie vererben sich von Mutterzelle auf Tochterzelle; die gleiche Zahl der Fadensegmente kehrt bei der gleichen Tierart überall wieder. Zwar verdoppelt sich bei jeder Befruchtung durch die Vereinigung des Kerns einer männlichen Keimzelle mit demjenigen der weiblichen Keimzelle die Zahl der Kernfadensegmente im Ei oder die ihrer Stammstücke. Zuvor aber hat einmal, in der sogenannten Reifungsperiode der Keimzellen, ein merkwürdiger Prozess stattgefunden, dank welchem die Zahl der Fadenstücke in jeder Keimzelle bei der Copulation nur halb so gross ist, als in den übrigen Zellen des Körpers.

Neben dem Chromatin findet sich im Kerngerüst noch ein anderer Bestandteil, die sogenannte achromatische Substanz. Diese streift sich bei der Bildung des Chromatinfadens vom Chromatin gleichsam ab und ordnet sich zu Strahlen, die in jenen zwei Centralkörperchen des Zellenleibes zusammentreffen, offenbar unter dem Einfluss einer von diesen Körperchen hervorgerufenen polarisirenden Erregung. In gleicher Weise ordnet sich die noch nicht weiter differenzirte, geformte Substanz des Zellenleibes fadenartig und radienförmig gegen die Centralkörperchen, so dass eine Verwandtschaft zwischen der achromatischen Substanz des Kerns und der reizbaren Substanz des Zellenleibes, welche die sogenannte Protoplasmastrahlung bildet, unverkennbar zu Tage tritt.

Einige Forscher nehmen an, dass sich auch die beiden Strahlensysteme, die zum Teil im Gebiet des Kernes, zum

Teil in demjenigen des Zellenleibes liegen, aus einem einfachen Strahlensystem bilden, durch Spaltung der Radien und Auseinanderrücken der Spalthälften unter Führung der Centralkörperchen. Doch genügt es vielleicht, eine grosse Umgruppirungsfähigkeit der Teilchen dieser reizbaren Substanz anzunehmen. Die Teilung und Vermehrung der Einzelelemente braucht dann nicht auf den Moment der Verdoppelung des Strahlensystemes beschränkt zu sein. Auch kann die genannte Substanz überall annähernd gleiche Beschaffenheit haben, so dass durch die Verdoppelung der Reizcentren weniger eine genaue qualitative Gleichteilung als vielmehr wesentlich nur eine Sonderung dieser Substanz in zwei gleich grosse Massen von ähnlichem lockerem Aufbau herbeigeführt würde.

Nachdem sich nun die reizbaren und überhaupt die meisten geformten Teilchen des Zellenleibes in zwei Lager getrennt und um die Centralkörperchen als neue Centren gruppirt haben, teilt sich in der Regel der Zellenleib auch äusserlich. Die anziehende sowohl als die erregende und polarisirende Kraft jener Centren lässt nach, die Strahlensonnen verschwinden; in den Kernen bildet sich wieder eine gerüstförmige Anordnung und eine Kernmembran aus.

Was dabei aus der achromatischen Kernsubstanz wird, die in der Kernstrahlung vertreten war, ist nicht vollkommen klar. Meist wird angenommen, dass sie sich mit dem Chromatin wieder zum Kerngerüst verbindet. Mir ist wahrscheinlicher, dass sie, wenigstens zum Teil, in den Zellenleib tritt, sei's unter Auflösung, sei's indem sie als geformte Substanz die erregbare Filarmasse des Zellenleibes vermehrt. Die im neuen Kerngerüst auftretende achromatische Substanz kann sehr wohl neu entstandenes Bildungs-resp. Umwandlungsprodukt des Chromatius sein.

Jedenfalls finden nunmehr in der sogenannten Ruheperiode der Zelle und des Kerns am Kerngerüst und Kernchromatin lebhafte Wachstumsprozesse statt; offenbar werden jetzt durch partielle Umwandlung der Kernschleifensubstanz alle jene Bestandteile gebildet oder vorbereitet, welche sich bei der Kernteilung von einem Rest weniger veränderten Chromatius wieder ablösen; es handelt sich dabei keinesfalls nur um eine Massenzunahme, vielmehr zugleich um eine Erzeugung mannigfaltiger neuer, differenter Bestandteile des Kerns, wie z. B. von Nucleolen; es handelt sich mit einem Wort um eine "Entwicklung" der Kernsubstanz.

Andererseits gehen auch im Zellenleibe Umbildungen vor sich, zu denen die Stoffe in besonderer Weise vorbereitet sein und zum Teil wenigstens vom Kern aus geliefert werden müssen; so vermag der Kern durch seinen Stoffaustausch mit dem Zellenleib auch in dem sogenannten Ruhezustand der Zelle, der eine Periode der Entwicklung und Arbeitsleistung darstellt, die Bildungsprozesse im Zellenleib zu beeinflussen — eine Auffassung, welche durch zahlreiche Beobachtungen gestützt wird.

Auch im Zellenleib findet bei der Teilung gewissermassen eine Sonderung zwischen den stärker und weniger stark umgewandelten Bestandteilen des Protoplasmas statt. Erstere werden in vollständigerer und genauerer Weise geteilt. Häufig beobachtet man, namentlich beim Beginn pathologischer Zellproliferation, dass die weiter umgebildeten Substanzen des Zellenleibes bei der Teilung von beiden Tochterzellen oder wenigstens von der einen der beiden Tochterzellen vollständig abgestreift werden. Aehnlich verhält es sich mit dem Dottermaterial bei den Schlussteilungen des reifenden Eies.

Die von uns vorgetragene Anschauung von der Entwicklung der Zellen, von der Veränderung ihrer Erbmasse im sog. Ruhezustand, und von der Reindarstellung der Erbmasse bei der Teilung bedarf noch weiterer Prüfung. Sie würde eine Bestätigung erfahren, wenn sich zeigte, dass in der Keimbahn, namentlich zum Schluss, bevor die Entwicklung der Keimlinge beginnt, resp. bevor männliche und weibliche Keimzelle sich mit einander vereinigen, ein besonders energischer und gründlicher Reinigungsprozess des Kernchromatins statthat. Solches scheint mir nun wirklich zu geschehen. Doch muss ich mich heute mit einem blossen Hinweise auf diesen Punkt begnügen.

Die sogenannte "Reifung des Eies" besteht, wie wir jetzt wissen, einmal in einem ausserordentlichen Wachstum des Zellenleibes, das mit Bildung eigentümlicher Dotterelemente einhergeht und von tiefgreifenden Veränderungen am Kern (dem Keimbläschen) begleitet ist; sodann erfolgt eine einmalige oder zweimalige Ausstossung eines "Richtungskörperchens."

Der letztgenannte Vorgang ist jedesmal eine richtige Zellteilung, bei welcher aber das ganze Material an Dotterelementen in der einen Tochterzelle verbleibt, während die andere der beiden Tochterzellen, eben das Richtungskörperchen, leer ausgeht und wie ein Anhängsel und

Auswürfling der bevorzugten Schwesterzelle erscheint. Nach den Untersuchungen von Born und Rückert sind nun die während der Dotterbildung im Ei zu beobachtenden Kernveränderungen derart, dass von einer unvollkommen durchgeführten und in eigentümlicher Weise rückgängig gemachten Kernteilung die Rede sein kann. Die Kernteilung schreitet bis zur Bildung von Kernschleifen, zur Längsspaltung derselben und zur Trennung der Spalthälften fort. Dabei wächst die geformte Substanz des Kerns gerade bei den durch reichlichen Dotter sich auszeichnenden Eiern ausserordentlich an. Es kommt hier einmal zur Bildung ausserordentlich grosser Nucleolen, andererseits breitet sich die Substanz der Schleifenspalthälften zu grossen wolkigen Streifen aus. Im Innern dieser Wolken krystallisirt sich nun gleichsam reine chromatische Substanz (in Form von dünnen Fadengebilden) zusammen und verdichtet sich zu immer kleineren und einfacher geformten Stücken. Der Rest der wolkigen Substanz mischt sich dem Zellenleib bei. Während sich aber sonst bei der Kernteilung die vom Chromatinfaden abgestreifte sog. achromatische Substanz durch ihre Erregbarkeit auszeichnet, ist solches hier nicht der Fall. Es liegt sehr nahe, anzunehmen, dass sowohl die Wolkenreste, die vielleicht als geformte Bestandteile in den Zellenleib treten, als die Nucleolen, die sich im Zellenleib auflösen, zu der Bildung der Dotterelemente im Zellenleib in näherer Beziehung stehen.

Nachdem in solcher Weise eine besonders auffällige Umbildung der Kernsubstanz und eine besonders scharfe und gründliche Reindarstellung des Chromatius erfolgt ist — die isolirten, der Zahl nach verdoppelten Chromatinstücke sind sehr klein — paaren sich diese durch Schleifenspaltung entstandenen umgruppirten Stücke zweimal, ein Vorgang, dessen Bedeutung mir in der Ermöglichung einer besseren Mischung und einer gegenseitigen Durchdringung der verschiedenen Chromatinsubstanzen zu liegen scheint. Als Produkte der Paarung liegen nun in dem immer noch ungeteilten Zellenleib "Viererelemente" in halb so grosser Zahl, als gewöhnlich Mutter-Kernschleifen bei den Körperzellen der betreffenden Art vorhanden sind.

Es folgt die schon erwähnte Ausstossung eines ersten und häufig auch eines zweiten Richtungskörperchens. Jedesmal handelt es sich dabei um eine richtige Kernteilung mit Spaltung der Chromosomenstücke — wobei die Trennung nicht den Verwachsungsspuren zu folgen scheint, so dass der Effekt der Chromatinmischung gesichert bleibt — und jedesmal folgt der Kernteilung eine Teilung des Zellenleibes. Ein erhebliches Anwachsen und eine Veränderung der Kernsubstanz in der darauffolgenden Ruhepause ist dabei nicht zu beobachten, so dass es sich hier offenbar um eine blosse Massenreduktion der Kern- und Chromatinsubstanz handelt, die vielleicht von Nöten ist, damit die Entwicklung beginnen, die Copulation der Keimzellenkerne erfolgen kann.

Auch bei der Reifung der männlichen Keimzelle vollzieht sich unter dem Bilde einer beginnenden aber nicht zu Ende geführten Kernteilung, der keine Zellteilung folgt, eine Schleifenspaltung und eine Umgruppirung und zweimalige Paarung der Spalthälften (Bildung von "Viererelementen"). Auf diesen Vorgang, welcher der Chromatinmischung

dient, folgt dann auch hier eine (zweimalige) Schlussteilung des Kerns und des Zellenleibes. Auch hier endlich vollzieht sich auf einer bestimmten Stufe ein eigentümlicher Wachstums- und Umbildungsprozess der Kernsubstanz. Dieser Prozess bildet hier aber nicht den Anfang, sondern den Beschluss des ganzen Reifungsvorganges. Durch ihn erhält der Kern der männlichen Keimzelle seine charakteristische Gestalt und alle die Attribute, welche ihm zum Eindringen in das Ei notwendig sind. Ist das befruchtende Element im Ei angelangt, so werden alle diese Umbildungssubstanzen von ihm abgestreift und nur der Rest des Kerns, ein nicht veränderter Teil der Erbmasse, vereinigt sich als männlicher Vorkern mit dem weiblichen Vorkern, dem Kerne der "reifen" Eizelle.

Carnoy und Lebrun sind allerdings hinsichtlich der Vorgänge bei der Eireifung zu anderen Resultaten gekommen als Born und Rückert. Sollten sich ihre Angaben bestätigen, so könnte eine "Continuität" der chromatischen Kernschleifenstammsubstanz nicht mehr angenommen werden; dafür würde man aber an eine Continuität der Nucleolen-Stammsubstanz glauben müssen.

Unserer Auffassung nach wird die Kernsubstanz, indem sie den Zellenleib beeinflusst, verändert. Während solches in den Zellen der "Keimbahn" nur so weit geschieht, dass Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Erbmasse noch möglich ist, kommt es in den somatischen Bahnen zu tieferen, nicht mehr rückgängig zu machenden Veränderungen. Hiermit befinden wir uns, wie schon betont wurde, in ausgesprochenem Gegensatz zu den Anschauungen von Osc. Hertwig. Wir können diesem Forscher auch nicht ohne Weiteres beistimmen, wenn er die Möglichkeit erbungleicher Teilung der Zellen und Kerne a priori leugnet. Dass eine erbungleiche Teilung des Zellenleibes vorkommt, dafür haben wir Beispiele genug. Was aber die erbungleiche Teilung der eigentlichen Erbmasse im Kern betrifft, so möchte eine solche nicht bloss gelegentlich einmal als Folge mangelhafter Arbeit der Gleichteilungsmaschinerie auftreten; es kann eine solche doch wohl auch gesetzmässig zu Stande kommen durch ungleiche räumliche Verteilung der Faktoren, welche die geformten Substanzen des Kerns im Innern der Zelle beeinflussen. Boveri hat beim Pferdespulwurm erbungleiche Kernteilung direkt beobachtet.

Andererseits befinden wir uns mit unseren Annahmen im Gegensatz zu Weismann, der zwar eine Abänderung der Zellen in ihrer Erbmasse, ihrem "Kernplasma"annimmt, dieselbe aber nicht als eine Umwandlung in Folge der Arbeitsleistung der Erbmasse und ihrer Wechselbeziehung zum Zellenleib und seiner Umgebung

ansieht, sondern als das Ergebniss einer von innen heraus erfolgenden und allein durch einen inneren Mechanismus geregelten Zerlegung der Erbmasse, bei welcher die Ahnenplasmen intakt bleiben.

Weismann stellt sich vor, dass die Zelle, zu besonderen Leistungen veranlasst werde durch kleinste lebendige Teilchen, die aus dem Kern ausschwärmen und die er "Biophoren" nennt. Die Biophoren gleicher Art sind bis zum Momente ihres activen Eingreifens zu einem Complex höherer Ordnung, einer "Determinante", vereinigt gewesen und in dieser Form, trotz Teilung und Vermehrung, als ein in seiner Qualität nicht verändertes Erbgut von Zelle zu Zelle in bestimmter Zellstammlinie weiter gegeben worden. Jede Determinante stammt also aus dem Keim, der den Ausgangspunkt der Entwicklung gebildet hat.

Indem bei jeder Zellteilung in den "somatischen" Bahnen die in den Mutterzellen enthaltenen Determinantenarten in zwei verschiedene Gruppen gesondert und als ungleiche Erbteile den beiden Tochterzellen zugewiesen werden, verteilen sich die verschiedenen Determinanten des Keimplasmas auf eine immer grössere Zahl von Körperzellen; die Anzahl der in der einzelnen Zelle enthaltenen Determinantensorten verkleinert sich mit fortschreitender Entwicklung, bis schliesslich in einer Zelle nur noch eine einzige Determinansensorte vorhanden ist. Dabei bleibt die Erbmasse latent und es scheinen nach Weismann die Determinanten erst dann aktivirt werden zu können, wenn sie allein und nicht mehr mit andern zusammen enger verpackt in den Kernen liegen. Bis hieher ist alles zum voraus geregelt, Zeit und Richtung der verschiedenen Zell- und Kernteilungen, Grösse und Wachstum der Zellelemente, sowie die Art der Verpackung und Entpackung der Determinanten, welche die Erbmasse darstellen.

Die geringste locale Störung, die mit Verschiebung einzelner Zellen oder mit Hemmung ihres Wachstums verbunden ist, müsste hier eine falsche Erbverteilung und bleibende falsche Bildungen zur Folge haben. Auch versteht man nicht ohne Weiteres, wie Regeneration möglich sein soll, wenn jeder Teil nur gerade für sich selbst und das aus ihm typisch Hervorgehende die notwendigen besonderen Determinanten besitzt. In der That hat Weismann die Hülfsannahme gemacht, dass jede Zelle ausserdem noch ihre besonderen Reservedeterminanten ererbt bekomme, die mitunter zusammen ein fast vollständiges Muster der ganzen Erbmasse des Keims darstellen. Während sich nun aber die Determinantengruppe, welche der typischen Entwicklung dient, immer weiter in ihre einzelnen Bestandteile erbungleich zerlegt und sich auf immer mehr Zellen erbungleich verteilt, wird das daneben vorhandene Regenerationsplasma mehr oder weniger unverändert weitergegeben, wobei eine Massenvermehrung und eine viel kunstvollere und ganz anders geartete, nämlich eine erbgleiche Teilung vor sich gehen muss.

In der Keimbahn endlich wird nach Weismann die volle Erbmasse von Zelle zu Zelle weiter gegeben; sie bleibt hier ganz unverändert hinsichtlich der Beschaffenheit und der kunstvollen Art der Zusammenpackung ihrer Determinanten, während sie doch in all ihren Determinanten geteilt und von einer Zelle auf viele Nachkommenzellen übertragen wird.

Es ist bereits von anderer Seite hervorgehoben worden, dass diese Weismannschen Annahmen eine Teilungsmaschinerie complizirtester Art voraussetzen. In den Keimbahnen muss die ausserordentlich kunstvoll verpackte Erbmasse ohne Aenderung dieser Packung in all ihren Determinanten bis ins Innerste der Anordnung hinein erbgleich geteilt werden; einige Determinanten aber, welche zum persönlichen Gebrauch der Keimbahnzellen beigepackt sind, müssen erbungleich verteilt werden. In den somatischen Bahnen im Gegenteil würde die Erbmasse im Allgemeinen nach bestimmtem Gesetz erbungleich auf die Tochterzellen verteilt werden; daneben aber ist hier das Reserve- oder Regenerationsplasma im Wesentlichen erbgleich zu teilen. Die Schwierigkeit wächst noch, wenn man bedenkt, dass nach Weismann eine bestimmte Determinantenart in der Erbmasse nicht bloss einmal, sondern viele Male, in der Regel nämlich einmal in jedem der vielen verschiedenen Ahnenplasmen oder Ahnenplasmateile vertreten ist. An allen diesen Ahnenplasmen der somatischen oder der Keimbahnerbmasse muss nun die Determinantenteilung jeweilen in übereinstimmender Weise erfolgen, so dass beispielsweise bei der erbungleichen Teilung die Tochterzellen aus all den verschiedenen Ahnenplasmen die gleichen Determinanten zugeteilt bekommen; das alles muss von innen heraus geregelt sein. Wir zweifeln daran, dass der Mechanismus der Kernteilung so Complicirtes und so ganz Verschiedenartiges zu gleicher Zeit zu leisten vermag.

Indem Weismann eine durch inneren Mechanismus festgeregelte Verpackung und Entpackung der Determinanten annimmt, ist für ihn, wie schon gesagt wurde, jeder Gedanke an allmähliche Umwandlung der Kernsubstanzen ausgeschlossen. Auch können sich die bei der Befruchtung zusammentretenden, von zwei verschiedenen Eltern stammenden Erbmassen der beiden Keimzellen nicht mischen, sie können auch nicht mit ihren kleinsten Teilchen zusammenwirken und concurriren, abgesehen von der Concurrenz zwischen den aus dem Kern in den Zellenleib eingewanderten "Biophoren". Die von den verschiedenen Vorfahren stammenden "Ahnenplasmen" bleiben in den Kernen vollständig isolirt von einander, mögen sie einen Teil ihrer Determinanten abgegeben haben (somatische Zellen) oder nicht (Keimbahnzellen).

Da die Zahl der verschiedenen Ahnenplasmen, die in einem Kern vereinigt sind, sich bei der Befruchtung verdoppelt und doch nicht ins Ungemessene wachsen darf, so muss ferner Weismann einen "Reductionsprozess der Ahnenplasmenzahl" annehmen, der einmal im Verlaufe jeder Keimbahn die Hälfte der Zahl der Ahnenplasmen auszuschalten vermag.

Er verlegt diesen Reductionsprozess in die Reifungsperiode der männlichen und weiblichen Keimzellen, und sucht zu beweisen, dass durch die gleichen Vorgänge zugleich Verschiedenheiten zwischen den Keimzellen desselben Elters bezüglich der Herkunft ihrer Ahnenplasmen zu Stande gebracht werden. Die oben besprochene Bildung der Viererelemente hat nach Weismann die Bedeutung, dass durch sie eine besonders grosse Zahl von Combinationen verschiedener Ahnenplasmen geschaffen wird. So entstehe ein genügendes Material an Keimvarietäten

für die Individualauslese. Es werde gerade durch die geschlechtliche Fortpflanzung die Variabilität der Art befördert. Auch die Erscheinungen des Rückschlages sucht Weismann durch seine Theorie der Ahnenplasmenreduction (Vorgänge bei der Bildung der Viererelemente) zu erklären.

Gegen die Annahme, dass die geschlechtliche Fortpflanzung die Variabilität der Art befördere oder einzig möglich mache, sind verschiedene Stimmen laut geworden, und ich muss bekennen, dass sie mir immer befreundlich gewesen ist. Im einzelnen Fall wird ja allerdings die Vollkommenheit der Vererbung der Eigenschaften des einen Elters auf das Kind durch das Hinzutreten eines zweiten Erbplasmas beeinträchtigt. Die Befruchtung wirkt im Einzelfall abändernd auf das Erbplasma der befruchteten Keimzelle.

Das Resultat fortgesetzter "Kreuzung" zwischen Individuen derselben Art scheint aber im Ganzen genommen, nach allem was wir wissen, einer allzugrossen Einzelabänderung hinderlich zu sein. Man möchte glauben, dass verschieden gerichtete vereinzelte Abänderungstendenzen bei jeder Kreuzung sich bekämpfen und hemmen können, während gleichgerichtete Abänderungstendenzen, wie sie etwa durch constitutionelle Einflüsse gleichzeitig an vielen Individuen der Art und ihren Keimzellen wirksam sein können, sich summiren, und dadurch um so mächtiger zur Geltung kommen. Solches ist gut verständlich, wenn die Erbmassen verschiedener Provenienz schon im Kern in innigste physiologische Wechselwirkung zu einander treten. — Was aber die Erscheinungen des Rückschlages und der einseitigen Vererbung betrifft, so will ich, ohne auf den Gegenstand genauer einzugehen, nur folgendes hervorheben.

Die Thatsache, dass ein Kind unter Umständen in ganz auffallender, ja ausschliesslicher Weise nur dem Vater oder nur der Mutter, oder nur einem Vorfahren mütterlicher oder väterlicher Seite gleicht, obschon väterliche und mütterliche Erbmasse vom befruchteten Ei an in sämtlichen somatischen Zellen der folgenden Entwicklungsstufen gemeinsam vertreten sind, zeigt deutlich, dass auch ohne Reductionsteilung im Weismann'schen Sinn die eine Erbmasse über die andre zur Herrschaft gelangen kann.

Dass der Concurrenzkampf bereits im Kern selbst vor sich geht, erscheint deshalb nicht unwahrscheinlich, weil die Bezirke der Chromatinsegmente im Kerngerüst nicht vollkommen gesondert bleiben, sondern sich an der Peripherie mit einander verbinden. Schritt für Schritt könnte in jedem "Kernruhestadium" die Durchdringung, Mischung und Concurrenz zwischen dem väterlichen und mütterlichen Keimplasma weiter gehen. Geschieht solches in den "somatischen Bahnen", so muss es auch in der Keimbahn der Fall sein, wenn auch vielleicht in geringerem Masse, wegen der geringeren Intensität, mit welcher sich hier das Kernplasma im Wechselverkehr mit dem Zellenleib und der weiteren Umgebung verändert.

Falls in der Keimbahn zu Beginn der Reifungsperiode der Ausgleich noch nicht vollendet ist, so ist ein Prozess wohl am Platze, der

zum Schluss, bevor, in der Befruchtung eine neue Erbmasse. hinzutritt, die alte Erbmasse noch gründlicher mischt.

Es ist dann aber auch erklärlich, dass die verschiedenen unreifen Keimzellen hinsichtlich ihrer Erbmassen insofern noch etwas von einander verschieden sind, als in den einen die väterliche, in den andern die mütterliche Erbmasse mehr zur Geltung kommt, dank den Zufälligkeiten der abgelaufenen Teilungsprozesse und dank den äusseren Bedingungen, welche auf die Keimbahnzellen einzeln oder gruppenweise etwas verschieden eingewirkt haben.

Verschiedenheiten im Gewicht der väterlichen oder mütterlichen Potenzen müssen dann aber auch nach der Schlussmischung noch, an den reifen Keimzellen zu beobachten sein, und so erklärt sich auf einfachere Weise, ohne complizirte Annahmen, wie sie von Weismann aufgestellt werden, warum verschiedene Geschwister verschiedenen Grosseltern gleichen können. —

Können wir der Weismann'schen Lehre von der Verpackung der Ahnenplasmen und ihrer Determinanten nicht beistimmen, so müssen wir ihm doch recht geben bezüglich der Annahme von Besonderheiten der Keimesbeschaffenheit (Determinanten) für jede selbstständig auftretende Besonderheit des Entwicklungsganges. Nur brauchen die Besonderheiten des Keimes nicht notwendigerweise im Vorhandensein der gleichen Stoffe und Lebenselemente zu bestehen, welche später in den Nachkommenzellen die besondere Leistung hervorrufen. Auch wird man vorsichtig sein müssen im Entscheid der Frage, ob eine Besonderheit des Entwicklungsprozesses wirklich selbstständig, d. h. ohne eine besondere äussere Einwirkung auftritt.

Weismann nimmt an, dass die verschiedenen Anlagen der Erbmasse über viele Zellgenerationen weg latent bleiben, um dann erst auf bestimmter Stufe der Entwicklung und in bestimmten Zellen des Körpers sich zu entfalten und geltend zu machen. Dass solches möglich ist, kann nicht bezweifelt werden. Doch wird man ungern daran glauben, dass ein plötzliches Erwachen der schlummernden Anlage rein von innen heraus erfolgt und nicht vielmehr durch eine Aenderung in der Constellation der von aussen auf jene Anlage einwirkenden Verhältnisse hervorgebracht sei.

Auch muss man sich darüber klar sein, dass schon verhältnismässig unbedeutende Modificationen der Erbmasse genügen, um sinnenfällige Veränderungen im nachfolgenden Entwicklungsgang hervorzurufen. Wir denken dabei an den Generationswechsel, an die verschiedenen Arten des Dimorphismus, auch an den Dimorphismus des Geschlechts u. s. w. Warum sollte hier nicht ein kleines auslösendes Moment den Ausschlag der Entwicklung nach der einen oder andern Richtung zu Stande bringen?

Zu Gunsten einer von innen heraus geregelten erbungleichen Determinantenentpackung scheinen namentlich jene Fälle zu sprechen, wo

plötzlich mitten in einer gleichförmigen Anlage eine local begrenzte differente Bildung auftritt, z. B. eine Drüsen-, Haar- oder Zahnanlage mitten im Epithel, oder eine Segmentirung an einem continuirlichen Gewebsstrang und dergleichen. Doch gebe ich hierzu Folgendes zu bedenken:

Wir sehen häufig genug in der Natur, dass continuirliche Veränderungen und Bewegungen, indem sie örtlich beschränkte Bewegungen auslösen und periodisch oscillirende Bewegungen hervorrufen, selbst einen periodischen Rythmus annehmen. (Man denke an die Bewegung einer Pendeluhr, an die Bewegung der Luft in einer Zungenpfeife etc.)

Aehnlich, nur complizirter liegen wohl die Verhältnisse bei manchen periodisch wiederholten Gestaltungsprozessen, z. B. bei der Bildung der Ursegmente, beim Auswachsen von Fingern und Zehen, wobei successive ein Skeletcentrum auf das andere aufgesetzt wird u. s. w.

Endlich möchten bei Differenzirungsprozessen in flächenhaft ausgebreiteten oder raumfüllenden gleichartigen Anlagen öfters Einwirkungen eine Rolle spielen, deren Kraftlinien sich in bestimmten Punkten und Feldern enger zusammendrängen. Gehört hier ein gewisses Maximum oder Minimum zur Auslösung eines Gestaltungsvorganges, so wird man sich über die enge Localisation desselben nicht wundern dürfen.

Kurzum es ist zu hoffen, dass wir das Conto der sogenannten Selbstdifferenzirung einer gleichartigen Anlage durch genauere Untersuchungen mit der Zeit ganz erheblich werden entlasten können.

Weismann wird durch seine Annahmen verleitet, der Wechselwirkung der Teile aufeinander und für den einzelnen Teil dem Einfluss der äusseren Bedingungen eine allzu untergeordnete Bedeutung zuzuschreiben. Uns erscheint im Gegenteil die genaue Erforschung dieser Beziehungen und Einflüsse eine der wichtigsten Aufgaben der causalen Entwicklungslehre zu sein.

Zum Schluss verdient hervorgehoben zu werden, dass O. Hertwig und Weismann, obschon sie hinsichtlich der Rolle, welche bei den Entwicklungsvorgängen der Anlage der Zellen und den von aussen auf die Zellen wirkenden Einflüssen zufällt, diametral entgegengesetzte Meinungen vertreten, doch in dem einen Punkte übereinstimmen, dass sie die wichtigste Substanz der Zelle, ihre Erbmasse als gefeit ansehen gegenüber jedem von aussen kommenden Einfluss.

Könnten die beiden so hoch verdienten Forscher überzeugt werden, dass sie gerade in dieser ihrer Uebereinstimmung irren, so wäre meiner Meinung nach die Brücke geschlagen zur gegenseitigen Verständigung.

Hochverehrte Anwesende! Ich bin am Ende der heutigen Darlegung angelangt. Meine Absicht war, die Erscheinungen der Entwicklung und Regeneration mit einander zu vergleichen. Irre ich nicht, so hat dieser Vergleich. die beiden Prozesse unserem Verständnis näher gebracht. Wir haben erkannt, dass der Ersatz eines verloren gegangenen Körperteils von einer anderen Anlage ausgeht, als die erste Bildung desselben. Wenn auch die beiden Anlagen durch gemeinsame Abstammung näher oder entfernter mit einander verwandt sind, so besteht doch zwischen ihnen anfänglich eine wirkliche und wesentliche Verschiedenheit, und ein Um- und Rückdifferenzirungsprozess der Anlage muss angenommen werden, um die Thatsache der Regeneration zu erklären. Der Umstand, dass aus dem gleichen Regenerationskeim je nach Umständen verschiedene Teile regenerirt werden können, erhärtete uns den Einfluss der äusseren Bedingungen. Dass aber die Vollkommenheit der Regeneration unter annähernd gleichen äusseren Bedingungen bei verschiedenen Arten so sehr verschieden ist, wurde von uns entgegen Hertwig als Beweis genommen für eine ungleich grosse Abänderung in der Erbmasse, welche in den verschiedenen Fällen das Leben der Körperzellen und ihrer Nachkommenschaft beherrscht. Dass ein Bestandteil der Erbmasse einer Zelle unter Umständen in ihr und vielen folgenden Zellgenerationen latent bleibt, konnten wir zugeben, nicht aber, dass eine unendlich kunstvoll complizirte Verpackung und Entpackung der Erbmasse im Sinne von Weismann stattfindet.

Im Grossen und Ganzen qualifizirt sich die Kernsubstanz der Zelle dadurch als Vererbungssubstanz, dass sie das Leben der Zelle beherrscht, und dies geschieht, indem die Substanz arbeitet und sich verändert. Kern und Zelle entwickeln sich, indem sie sich zur neuen Teilung vorbereiten. Bei der Teilung aber vollzieht sich eine möglichst vollkommene Rückkehr zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung, nicht in allen Teilen, aber doch in den wesentlichen Stammsubstanzen der Zelle und namentlich des Kerns. Dass und wie solches sich in der Zelle vollzieht, haben wir zum Schluss genauer klarzustellen gesucht. —

Die Erscheinungen der Entwicklung um uns herum und in uns sind es, welche unseren Geist am meisten anziehen und beschäftigen. Die Entwicklungsfähigkeit ist ja ein Attribut unserer eigenen Jugend, sie ist unser Stolz und unsere Hoffnung. Die Natur lehrt uns, dass die Jugendlichkeit und Entwicklungsfähigkeit

zwar nicht allen Teilen eines Organismus erhalten bleiben kann, vielmehr gerade den am meisten arbeitenden und leidenden Teilchen bei ihren Sonderleistungen am ehesten verloren geht, dass sie aber doch an besonders bevorzugten Stellen des Organismus an bestimmten Teilen fortdauert. Die Natur lehrt uns das am klarsten und deutlichsten, wenn wir sie in ihrer engen Einzelwerkstätte, in der Zelle, belauschen; da finden wir Stätten, wo best beanlagte und entwicklungsfähige Lebensteilchen stets neu erstehen und — durch die Umgebung geschützt und ernährt — in massvoller Thätigkeit bis zur vollen Entfaltung ihrer Anlagen heranwachsen können.

Besitzen wir nicht auch in unserem Staatswesen, in den höheren Unterrichtsanstalten und besonders in unserer Hochschule eine ähnliche Stätte, wo, dank der Fürsorge des Volkes und der Regierung und dank der Opferwilligkeit der näheren Angehörigen, entrückt dem Tagesgetriebe und den gröbsten Sorgen des Kampfes um die Existenz, im Stillen, wie der Dichter es fordert, stets neue junge Talente sich bilden können? Haben wir nicht hier eine Stätte, von der fortdauernd befruchtende Keime ausgehen in das Volk: junge, frische, talentvolle und geisteskräftige Menschen, versehen mit dem Rüstzeug der Wissenschaft, erfüllt von dem hohen Sinn für Wahrheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, befähigt, draussen im Volk und im Leben durch ihr Beispiel veredelnd zu wirken und eine führende Rolle zu spielen zum Wohle der Gesammtheit?

Danken wir an dem heutigen Stiftungstage der Hochschule unseren Voreltern für die Errichtung einer solchen Pflanzstätte der Cultur und vereinigen wir uns — Angehörige und Freunde der Hochschule — in dem aufrichtigen Wunsche, es möge diese Anstalt wie bisher, so auch in Zukunft wachsen und gedeihen; sie möge im Stande sein, alle Verluste und Schädigungen, die sie in ihrem Innern erfährt, in rascher und vollkommener Weise zu regeneriren; regeneriren; sie möge in Jugendkraft und Gesundheit, als ein entwicklungsfähiges entwicklungsfähiges Gebilde, zu immer höherem und mannigfaltigerem Leben sich entfalten. —