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Die christliche Epigraphik und ihre Bedeutung für die kirchengeschichtliche Forschung

FREIBURG (SCHWEIZ)
Buchdruckerei des Werkes vorn heiligen Paulus 1898

HOCHANSEHNLICHE VERSAMMLUNG!

Unter den verschiedenen theologischen Disciplinen gibt es wohl keine, welche durch genaue Festsetzung ihrer methodischen Regeln wie durch Erweiterung ihres Erkenntnisgebietes in unserer Zeit so grosse Fortschritte gemacht hat als die Kirchengeschichte. Dieser Aufschwung hängt zusammen mit der reichen Entwicklung der historischen Forschung überhaupt, wie ja die geistige Arbeit der Gelehrten unserer Zeit vorwiegend der analytischen Untersuchung von Erscheinungen und Thatsachen zugekehrt ist.

Eine Folge dieser Vertiefung der historischen Studien war, dass die genetische Geschichtsbetrachtung, welche den Hauptnachdruck auf die Entwicklung legt, immer mehr in den Vordergrund trat; zu gleicher Zeit wurden diejenigen historischen Faktoren, welche nicht sowohl das Individuum als vielmehr die typische Bethätigung des Menschen, die Masse, beeinflussen, mehr als

früher in den Kreis der Untersuchung hineingezogen. Damit hängt dann zusammen, dass solche Zweige der Geschichte, welche vorwiegend der genetischen Betrachtung Stoff bieten und den Einfluss der Entwicklung auf grössere Kreise zeigen, wie die Kulturgeschichte, die Wirtschaftsgeschichte, die Kunst- und Literaturgeschichte, einen besonders erfreulichen Aufschwung nahmen.

Diese Bewegung blieb nicht ohne Einfluss auf die Religions- und Kirchengeschichte, schon darum, weil kein anderer Faktor im Leben eines Volkes von grösserer Bedeutung ist, als die religiösen Ideen und Strömungen, welche dasselbe beherrschen. Wir sehen deshalb auch, wie die religiöse Kulturgeschichte immer mehr das Interesse der Forscher anzieht, indem teils einzelne hieher gehörige Fragen behandelt, teils abgeschlossene Perioden in der Geschichte eines Volkes oder einer Stadt nach dieser Richtung hin untersucht werden. Beispielsweise sei hingewiesen auf die eben begonnene Publikation von P. Grisar über die Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter. Einen eigenen Reiz hat nun in dieser Beziehung für den Kirchenhistoriker das christliche Altertum, schon deshalb, weil in der Zeit

vor Konstantin dem Grossen die kirchliche Geschichte hauptsächlich diese Seite der Forschung darbietet, indem hier die Christen am öffentlichen Leben weniger teilnahmen, und einzelne Persönlichkeiten unter ihnen weniger hervortraten als dies später der Fall war. Aber auch an sich ist es für den Kirchenhistoriker höchst anziehend, sich hineinzuversenken in die religiösen Anschauungen der ersten christlichen Generationen; die Gläubigen jener Zeit kennen zu lernen in ihrem täglichen Leben, in ihrer Teilnahme am Kultus, in ihrer Stellung im öffentlichen Leben, in ihren privaten religiösen Übungen; das allmähliche Eindringen der christlichen Moral und der christlichen Grundsätze überhaupt zu beobachten und die Faktoren zu untersuchen, welche diese Entwicklung fördernd oder hindernd beeinflussten. Nur so kann man ein richtiges Bild gewinnen von dem Verhältnis, in welchem die Kirche im allgemeinen, wie die einzelnen Christengemeinden sich befanden gegenüber den andern Faktoren der geschichtlichen Entwicklung jener Zeit, wie auch den innern Zustand der Gemeinden selbst genau kennen lernen; nur so wird man die Elemente richtig beurteilen, welche der vom IV. Jahrhundert

an sich so mächtig auch nach aussen entfaltenden christlichen Civilisation zu Grunde liegen.

Die literarischen Geschichtsquellen des christlichen Altertums bieten in dieser Beziehung manche kostbare Einzelheiten und zeigen vielfach interessante Seiten dieses religiösen Volkslebens im weitern Sinne des Wortes. Allein ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, dass die wichtigste Erkenntnisquelle für diesen Gegenstand gebildet wird durch die epigraphischen Denkmäler, welche das christliche Altertum uns hinterlassen hat. Wenn dieses Material bisher nicht in grösserem Masse herangezogen worden ist, so liegt der Grund darin, dass erst in unserer Zeit die christliche Epigraphik sich ausgebildet hat, und dass die Sammlungen, welche das Material kritisch gesichtet enthalten, noch nicht vollständig sind, besonders nicht für Rom, wo die epigraphischen Denkmäler der sieben ersten Jahrhunderte zahlreicher sind als in allen andern Gegenden zusammen. Allein gerade der Umstand, dass die christlichen Inschriften für die Kulturgeschichte des Christentums noch wenig berücksichtigt wurden, rechtfertigt am besten ein Eingehen auf diesen Gegenstand. Es sei mir als dem Vertreter

der christlichen Archäologie an unserer Hochschule darum gestattet, bei dieser Gelegenheit die grundlegende Bedeutung der altchristlichen Epigraphik für die religiöse Kulturgeschichte des Altertums kurz zu erörtern.

Die altchristliche Epigraphik als wissenschaftliche Disciplin hat zum Objekt die Inschriften des christlichen Altertums. Das Bestehen von solchen Denkmälern vorausgesetzt, ist nun eine erste Bedingung zur Benutzung derselben offenbar die, dass man sie benutzen könne, d. h. dass man die Regeln kenne, nach welchen die Inschriften studiert und bearbeitet werden müssen. Die allgemeinen Regeln der literarischen Kritik genügen nämlich nicht, um die epigraphischen Denkmäler behandeln zu können. Wohl hat Boeckh, der bekannte Epigraphiker und Herausgeber des Corpus inscriptionum groecarum, der Inschriftenkunde die Bedeutung einer besondern wissenschaftlichen Disciplin abgesprochen, und sie für einen Teil der allgemeinen Literaturgeschichte erklärt. Allein dies lässt sich weder theoretisch noch praktisch festhalten. Eine Berechtigung hätte diese Einordnung Boeckhs nur

insofern, als die Inschriftenkunde es mit dem geschriebenen Wort zu thun hat; die Inschriften sind ja literarische Monumente, die, auf festes und dauerhaftes Material geschrieben sind. Schon diese besondere Seite der epigraphischen Denkmäler, welche in deren technischen Ausführung begründet ist, bedingt einen Unterschied zwischen Literatur- und Inschriftenkunde. Jene hat es nämlich in bezug auf die Überlieferung ihrer Texte fast ausschliesslich mit. Handschriften zu thun; diese hingegen hauptsächlich mit Originalen auf Stein, Metall, Holz. u. dgl. Selbst bei Kopien von Inschriften, deren Originale verloren sind, muss die kritische Untersuchung auf die Originale selbst zurückgehen. Die methodische Behandlung ist deshalb notwendig eine verschiedene; denn andere technische Regeln gelten für die Prüfung der Handschriften, andere für die Untersuchung des dauerhaften Materials und der darauf eingegrabenen Texte der Inschriften.

Aber mehr noch zeigt sich der Unterschied, wenn wir den Inhalt der beiden Arten von literarischen Produkten berücksichtigen. Die oben gegebene Definition der Inschriften ist nämlich nicht vollständig; sie muss ergänzt werden durch

die nähere Bestimmung des Inhaltes der Inschriften; und da sehen wir, dass man unter diesen auf festes Material geschriebene literarische Denkmäler versteht, welche den Zweck haben, Kunde zu geben von Zuständen und Begebenheiten des öffentlichen und privaten Lebens, besonders von solchen, die sich an bestimmte Örtlichkeiten anknüpfen. Die eigentlichen literarischen Produkte hingegen sind Kunst-Schöpfungen des menschlichen Geistes. Darum ist die Belehrung, welche über das ganze Leben der Vergangenheit aus diesen zwei Gattungen von Quellen gewonnen wird, eine verschiedene. Fassen wir speziell die christlichen Inschriften der sieben ersten Jahrhunderte der Kirche ins Auge, so finden wir bloss eine Gattung, welche sich den literarischen Produkten nähert, nämlich die längern oder kürzern Epigramme, welche zum Lobe der Martyrer verfasst und an den ihnen geweihten heiligen Stätten aufgestellt wurden, oder metrische Texte, die vom Bau und von der Ausschmückung der Kultusgebäude sprechen und den im Innern der Basiliken gemalten Bildern als Erklärung beigegeben wurden. Jedoch diese Stücke sind in der Minderheit, und deren Charakter ist noch in

mancher Hinsicht verschieden von Compositionen ähnlicher Art, welche nicht bestimmt waren, auf Marmor graviert oder in Farben und in Mosaik ausgeführt zu werden. Somit herrscht zwischen den christlichen Inschriften und den Werken der altchristlichen Literatur derselbe Unterschied wie zwischen diesen beiden Arten von literarischen Monumenten des classischen Heidentums. Die literarischen Produkte des christlichen Altertums sind Werke individueller Natur, ob sie nun wissenschaftlich-theologischen Inhaltes seien oder, als Briefe, Kirchenordnungen u. dgl., dem praktischen Bedürfnis der Gemeinden ihren Ursprung verdanken; selbst Synodalschreiben und Conciliendekrete gehören dazu, insofern sie von der kirchlichen Hierarchie, dem Episkopat allein erlassen wurden, als Normen für Glauben und Leben des Klerus und der Gläubigen. Bei den Inschriften hingegen tritt das Individuelle völlig zurück; sie geben in. spontaner Weise den im christlichen Volke herrschenden Anschauungen prägnanten Ausdruck, da sie vorwiegend aus den alltäglichen und gemeinsamen religiösen Bedürfnissen entstanden sind. Diesen Charakter bewahren sie auch dann, wenn sie äusserlich rein individueller Natur

sind, wie z. B. Grabschriften, Inschriften einer Kirche, eines Altares; und wenn rein subjektive. Empfindungen in denselben ihren Ausdruck finden. Denn sie haben allesamt als Substrat nicht sowohl die reflexive Geistesthätigkeit des Einzelnen, als vielmehr die religiösen Anschauungen des christlichen Volkes oder wenigstens einzelner Teile dieser Gesamtheit. Das ist der tiefere Grund für die kulturgeschichtliche Bedeutung der altchristlichen Inschriften.

Aus diesen kurzen Andeutungen ergibt sich, dass die Inschriften als literarische Denkmäler in besonderer Weise behandelt werden müssen. Was die Paläographie in Bezug auf die Handschriften, was die literarische, dogmatische und historische Kritik für das Studium der Texte der altchristlichen Literatur, das leistet die Epigraphik in bezug auf die Inschriften; sie muss lehren dieselben lesen, sie auf ihre Echtheit hin prüfen, ihren besondern Inhalt nach genauen kritischen Gesetzen verwenden als Quelle der Erkenntnis für das gesamte religiöse Leben unserer Väter im Glauben.

Diese Arbeit lag nun bisher in den Händen einiger weniger Archäologen und Epigraphiker.

Selbst die Feststellung der Regeln und Gesetze der christlichen Epigraphik ist bloss gelegentlich geschehen; es fehlt noch vollständig an einer zusammenfassenden und systematischen Anleitung. Das. mag wohl ein Hauptgrund sein, weshalb in den weitern Kreisen der Forscher auf archäologischem und kirchengeschichtlichem Gebiete bisher verhältnismässig wenig für die wissenschaftliche Verwendung der altchristlichen Inschriften geschehen ist. Und doch ist es notwendig, damit die Einzelforschung mit Erfolg unternommen werden könne, dass sich weitere Kreise an dieser Arbeit beteiligen. Das beste praktische Mittel dies zu erreichen ist die Einrichtung von Vorlesungen und von Seminarübungen über die altchristliche Epigraphik an den theologischen Fakultäten, die sehr gut mit den Übungen auf den Gebieten der altchristlichen Literatur und der Archäologie verbunden werden können, wie es an unserer Hochschule der Fall ist. Nur so wird es möglich werden solche Kräfte heranzuziehen, welche das reiche vorhandene Material in der Einzelforschung bearbeiten und die Resultate dieser Arbeit für die kirchengeschichtliche Forschung verwerten können.

Die bisherige Thätigkeit auf dem Gebiete der Epigraphik war hauptsächlich der Herstellung guter und vollständiger Editionen der Texte gewidmet. Damit kommen wir auf die zweite notwendige Vorbedingung für eine gedeihliche Verwendung der Inschriften, nämlich die möglichst vollständige und getreue Ausgabe der Texte. In dieser Beziehung ist nun im Laufe der letzten Jahrzehnte sehr viel geschehen. Eigene Ausgaben der christlichen Inschriften haben wir unter den lateinischen Provinzen des Römerreiches für Gallien, die Rheinlande, die Schweiz, England, Spanien; dann für einzelne Städte wie Mailand, Syrakus. Mit den heidnischen zusammen wurden die christlichen Inschriften in neuester Zeit veröffentlicht in Spezialwerken für Vercelli, Aquileja, Vienne, Arles, Dalmatien. Vor allem aber finden sich in den Bänden des Corpus inscriptionum latinarum für alle italienischen Regionen, mit Ausschluss der Stadt Rom, dann für die illyrischen und nordafrikanischen Provinzen ebenfalls die christlichen Texte in trefflicher Weise ediert. Was Rom betrifft, so hatte der berühmte Archäologe de Rossi die Publikation sämtlicher christlichen Inschriften der sechs ersten Jahrhunderte unternommen;

er hat den ersten Band, welcher die datierten Texte bietet, sowie den ersten Teil des zweiten Bandes, in welchem die Handschriften epigraphischen Inhaltes vereinigt sind, selbst veröffentlicht; der bekannte römische Epigraphiker Gatti setzt das Werk fort. Unterdessen sind in mehreren älteren Publikationen über die Katakomben, besonders aber in den drei Bänden der Roma sotterranea von de Rossi, in dessen Bullettino di archeologia cristiana, sowie in anderen ältern und neuem Werken archäologischen Inhaltes eine bedeutende Anzahl römischer Inschriften zugänglich gemacht worden. Für die orientalischen Provinzen besitzen wir den Band IV des Corpus inscriptionum groecarum, wo in einer besonderen Abteilung die christlichen Inschriften vereinigt sind; dann findet sich in dem grossen Sammelwerk von Le Bas, Waddington und Foucart eine bedeutende Anzahl neuer Texte; besonders zahlreich sind hier Inschriften von christlichen Kultusgebäuden aus der Zeit vom IV. bis ins VII. Jahrhundert; ferner haben wir die Sammlung der christlichen Inschriften Attica's von Bayet. Mehrere italienische, französische, deutsche und englische Zeitschriften berichten

über neue Funde; die Ephemeris epigraphica bietet die Ergänzungen zu dem Corpus inscriptionum latinarum; auch in den Publikationen der verschiedenen archäologischen Institute in Rom und Athen finden christliche Texte bisweilen die gebührende Berücksichtigung.

Nach dieser Seite ist also sehr viel, man kann sagen das meiste geschehen; eine Lücke findet sich blos in betreff von Rom, wo noch zahlreiche Monumente auf eine endgültige Publikation warten. Die Zahl der so der allgemeinen Forschung zugänglich gemachten Texte ist sehr bedeutend; wir besitzen über 20,000 altchristliche Inschriften aus den sieben ersten Jahrhunderten der Kirche; und wenn auch die Mehrzahl einfache Grabschriften von Gläubigen sind, so bieten doch alle in einer oder der andern Hinsicht, wenn auch nur in der Form der Namen oder inden Angaben über die Lebensdauer der Verstorbenen, irgend eine Angabe, welche der Archäologe verwerten kann. Allein sehr viele Texte enthalten die wertvollsten Einzelheiten besonders für die Kulturgeschichte des Altertums, wie eine kurze Übersicht der wichtigsten hieher gehörigen Arten von Inschriften zeigen wird. ,

Vorerst sei darauf hingewiesen, wie wir nur durch epigraphische Funde bestimmte Einzelheiten aus der Kirchengeschichte kennen gelernt haben. Die Namen mehrerer Bischöfe aus Nordafrika und Kleinasien sind uns bloss durch Inschriften vermittelt, und zugleich zeigen uns solche Texte die Thätigkeit dieser Vorsteher der christlichen Gemeinden für die Errichtung kirchlicher Kultusgebäude. In einzelnen andern Inschriften, welche die Reliquien erwähnen, die in den Altären von Basiliken des IV.-VI. Jahrhunderts niedergelegt wurden, finden sich die Namen von Lokalheiligen, welche in den übrigen historischen Quellen nicht vorkommen.

Was die Kulturgeschichte inbesondere betrifft, so erfahren wir zunächst wichtige Einzelheiten über die Stellung der christlichen Gemeinden im Altertum durch jene Inschriften, in welchen die sociale Lage der Gläubigen angegeben wird. In den literarischen Quellen haben wir darüber wenige Anhaltspunkte und diese sind meist allgemeiner Art. Und eine ins Einzelne gehende Kenntnis ist hier sehr wichtig, um uns eine richtige Vorstellung zu geben von dem Verhältnisse, in welchem sich die Gläubigen gegenüber

dem Staate und ihren nichtchristlichen Mitbürgern befanden. Wir lernen hier Faktoren kennen, welche fördernd oder hindernd die Verbreitung des Christentums beeinflussten. Die Christianisierung des Römerreiches ist eines der wichtigsten und interessantesten historischen Probleme, und alle Quellen, welche zur Klärung beitragen können :sind hochwillkommen. Aber auch an sich ist es gewiss sehr wichtig, ein möglichst konkretes Bild von der Zusammensetzung der christlichen Gemeinden zu haben, weil wir dadurch erst den festen Boden gewinnen für die Beurteilung der religiösen Kultur und ihrer Erscheinungen im Volke. Für diese Erkenntnis sind nun die Inschriften fast die einzige Quelle. Aus ihnen hauptsächlich ersehen wir, um bloss ein Beispiel anzuführen, in welche von den höchsten römischen Adelsfamilien der Senatoren das Christentum Eingang gefunden hatte, sowohl während der Zeit der Verfolgungen als im Laufe des IV. Jahrhunderts. Die einflussreiche Stellung der alten, reich begüterten Aristokratie Roms ist bekannt. Es ergibt sich daraus, welche mächtige Förderung die Ausbreitung des christlichen Glaubens dadurch gewann, dass Mitglieder von Senatorenfamilien

sich ihm zuwandten. Aber hier finden wir auch die auf den ersten Blick sehr auffallende Erscheinung, dass Kinder, welche einem der angesehensten Senatorengeschlechter entstammten und deren Väter sogar Consuln gewesen waren, im II. und III. Jahrhundert als Christen in einer christlichen Katakombe begraben wurden. Es ist also nicht zu bezweifeln, dass die Eltern ebenfalls Christen waren, und so muss sich der Historiker fragen, wie Bekenner des christlichen Glaubens sich in diesen höchsten Würden des Reiches stellten gegenüber der Teilnahme an den heidnisch-religiösen Festlichkeiten, die ihr Amt mit sich brachte. Vielleicht schoben sie den Empfang der heiligen Taufe bis in das hohe Alter auf, wie es ja im IV. und V. Jahrhundert noch so häufig geschah, und obwohl innerlich von der Wahrheit des Christentums überzeugt und vom Heidentum gänzlich abgekehrt, nahmen sie doch an den offiziellen heidnischen Festlichkeiten wie an rein civilen Veranstaltungen teil. Auf Grund solcher Beobachtungen gewinnen die Ausführungen einzelner Schriftsteller, besonders Tertullians, über die Art und Weise wie ein Christ sich durch Teilnahme am heidnischen

Kultus beflecken konnte, eine ganz besondere Bedeutung.

Sehr lehrreich sind auch die Schlussfolgerungen, welche das Studium der Inschriften nahe legt in bezug auf das Verhältnis von Sklaven und Freien unter den Christen. Es ist charakteristisch, dass fast nie auf christlichen Grabschriften die Bezeichnung «Sklave» oder «Freigelassener» sich findet, während sie auf heidnischen Epitaphien regelmässig vorkommen. Diese Erscheinung ist gewiss nicht zufällig; sie zeigt die praktischen Wirkungen der Lehren des Christentums, wie sie der heilige Paulus zusammengefasst hat, indem er den Sklaven sagt, sie sollen ihren Herren gehorchen wie Christus, aber den Herren zuruft, sie sollen sich erinnern, dass ihre Sklaven denselben Gott haben wie sie selbst, und dass dieser Gott alle richten wird ohne Rücksicht auf deren Stand. Die heidnische Philosophie war, entgegen einer in letzter Zeit verfochtenen Ansicht, unfähig gewesen, die socialen Lebensanschauungen der Römer in dieser Hinsicht zu ändern; selbst die Stoïker, an ihrer Spitze Seneca, welcher so schöne Worte über Tugend und Gleichmut im Leiden, über Menschenwürde und -Pflicht geschrieben

hat, konnten dem Sklaven als letztes Zufluchtsmittel um zur Freiheit zu gelangen nur den Giftbecher in die Hand drücken. Nur das Christentum war im stande, eine wirkliche Umgestaltung der Lage der Sklaven herbeizuführen. Gerade das vergleichende Studium der altchristlichen und der heidnischen Grabschriften zeigt die praktische Bethätigung der christlichen Grundsätze in bezug auf diese Lebensfrage für die antike Welt..

Eine wichtige Quelle bilden ferner die Inschriften zur Erforschung der Frage, wie weit das Christentum in der Periode des Altertums vorgedrungen war. Schon in Mittelitalien und in Gallien, wo wir doch aus dem IV. bis VI. Jahrhundert zahlreiche schriftliche Quellen besitzen, ist es oft nicht möglich, ohne Heranziehung der archäologischen Monumente den Nachweis zu führen, ob das Christentum in einer bestimmten Gegend oder einer einzelnen Ortschaft Eingang gefunden hatte oder nicht. Wie häufig ist es nicht schon vorgekommen, dass erst durch das Auffinden von altchristlichen Epitaphien der Beweis geliefert wurde für das hohe Alter der Einführung des Christentums in einer Stadt, die erst im frühen Mittelalter oder am Ausgange des Altertums als

Sitz eines Bischofs bezeugt wird. In besonderer Weise ergänzen für Nordafrika zahlreiche und wichtige Inschriftenfunde die Nachrichten, welche uns die historischen Quellen übermittelt haben.

Bereits im Jahre 1864 wies de Rossi auf die Wichtigkeit der Inschriften hin, um festzustellen, wie weit das Christentum sich thatsächlich im Römerreiche ausgebreitet hatte. «Io vagheggio, sagt er, un Orbe cristiano illustrato coi monumenti dei primi sei' o sette secoli.....; io vorrei che le origini di ciascuna chiesa, le prime tracce della fede cristiana in ciascuna città, in ciascuna borgata, le prove dello svolgersi e del fiorire di quella in ciascuna provincia o regione del mondo antico ci fossero schierate dinanzi nei monumenti geograficamente disposti e storicamente dichiarati. Allora anche il minuto frammento dell'epitafio d'un fedele o il lacero avanzo d'una scultura diverranno testimoni isterici d'alto valore, testificanti la presenza del cristianesimo in questo o quel luogo, in questo o quel secolo. La scarsezza medesima e il totale difetto di monumenti cristiani dovrà essere per ogni provincia obbietto di studio e d'esame storico e topografico».

Sehr wertvolle Aufschlüsse enthält das epigraphische

Material über die Stellung des Klerus und besonders über die Entwicklung der sog. niederen Weihen. Zahlreiche Bestimmungen hierüber finden sich wohl in den Dekreten der Synoden vom IV. Jahrhundert an: allein welches die thatsächlichen Verhältnisse waren, wie lange sich die niederen Weihen als eigene Ämter erhielten, welche derselben ihren ursprünglichen Charakter beibehielten, welches die Organisation des Klerus in den Gemeinden war, diese und ähnliche Einzelheiten können vielfach bloss durch das Heranziehen der Inschriften festgestellt werden. Es ist zweifelsohne eine der am dringendsten erwünschten Arbeiten, das diesbezügliche Quellenmaterial vollständig zu sammeln und nach dieser Richtung hin zu verwerten. Die grundlegende Abhandlung de Rossi's im III. Bande seiner «Roma sotterranea» über die Organisation des römischen Klerus bildet für dièse Forschungen ein treffliches Muster.

Einer der sichersten Beweise für den grossen Aufschwung des christlichen Lebens in der Zeit vom IV. bis ins VI. Jahrhundert ist die grosse Anzahl von kirchlichen Gebäuden, welche in jener Periode entstanden. Und hier wieder

bietet die Epigraphik höchst willkommene Ergänzungen der spärlichen Nachrichten, welche wir in den literarischen Quellen finden. In letztem ist fast nur Rede von den Hauptstädten; Rom, Karthago, Alexandrien, Jerusalem, Antiochien, Konstantinopel: überhaupt die grossen Centren sind es, an welchen sich die Schriftsteller des spätem Altertums interessieren. Aber wie es in den kleinem Städten in dieser Beziehung stand, wer dort die Kirchen errichtete, wann sie entstanden, welchen Heiligen sie geweiht waren, dies alles erfahren wir fast nur durch die Inschriften. Noch mehr: selbst für die Baugeschichte hochberühmter Kirchen bieten die Inschriften oft allein die wertvollsten Nachrichten. So kann man z. B. nur mit Hülfe von epigraphischen Texten sicher beweisen, dass die Basilika über dem Grabe des Apostelfürsten Petrus von Konstantin dem Grossen gebaut und von einem seiner Söhne vollendet wurde; dass an der innern Ausschmückung im IV. und V. Jahrhundert Glieder der höchsten römischen Patrizierfamilien beteiligt waren.

Nach einer andern Richtung bilden die christlichen Epitaphien gleichsam einen Spiegel, in welchem sich die religiösen Gefühle und

Anschauungen der ersten christlichen Generationen in ganz unmittelbarer Weise wiederspiegeln. Mit Hülfe der Zurufe, der Gebete und der Anrufungen, welche den Grabschriften besonders in der vorconstantinischen Zeit so häufig zugefügt wurden, können wir allein den Nachweis liefern, dass bereits in der ersten Hälfte des II. Jahrhunderts die Gebete für die Verstorbenen in allgemeiner Übung waren, dass die Seelen der Hingeschiedenen, besonders der Martyrer, von den Überlebenden um ihre Fürbitte bei Gott angerufen wurden; mit einem Worte: die ganze Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen findet ihren Ausdruck auf den Epitaphien jener Zeit. Aus andern Wendungen lernen wir die Anschauungen der Gläubigen über die ewige Seligkeit kennen; wir ersehen daraus, wie sie sich das Leben im Jenseits vorstellten, welche Auffassungen sich auf Grund der Offenbarung hierüber im christlichen Volke gebildet hatten. Was den dafür gebrauchten Ausdrücken einen besondern Wert verleiht, ist der Umstand, dass sie ein treffliches Hülfsmittel bieten für die literarische Kritik der Gebete, welche uns in den ältesten bekannten Gebets-Sammlungen erhalten sind.

Auch nach einer andern Hinsicht liefert die christliche Epigraphik der Geschichte der Liturgie vortreffliches Material, nämlich in Bezug auf die Verehrung der Martyrer. Sie zeigt die Einwirkung, welche dieselbe auf die Einrichtung der Altäre und damit auf die liturgische Feier gewann. Wir ersehen daraus, wie die hohe Wertschätzung der glorreichen Blutzeugen vom IV. Jahrhundert an sich immer mehr verbreitete. Man begnügte sich nicht, über den, ursprünglichen Gräbern der Martyrer Kirchen zu errichten, in welchen deren Andenken lebendig erhalten wurde; wo man bloss Reliquien von Blutzeugen, nämlich Gegenstände die mit dem Leibe oder mit dem Grabe derselben in Berührung gekommen waren, erhalten konnte, war man bestrebt eigene Kirchen zu errichten, um diese Reliquien in den Altar einzuschliessen: und nach und nach wurden so auch die Altäre der Stadtkirchen, welche bis dahin bloss den Charakter des eucharistischen Tisches gehabt hatten, zugleich zu Gräbern für Reliquien von Martyrern. Diese Entwicklung übte grossen Einfluss auf das religiöse Leben aus; zahlreiche Martyrer-Kirchen wurden das Ziel frommer Wallfahrten, welche die Gläubigen unternahmen, um.

an der heiligen Stätte zu beten. Die Einzelheiten nun, welche uns diese Entwicklung vorführen, die Namen der Martyrer, deren Reliquien verbreitet wurden, erfahren wir wieder fast ausschliesslich durch Inschriften. Wie durch solche Denkmäler bisweilen Nachrichten von kirchlichen Schriftstellern bestätigt werden, davon bloss ein Beispiel. Der heilige Cyrill, Bischof von Jerusalem um die Mitte des IV. Jahrhunderts, spricht in seinen Katechesen davon, dass kleine Teile von dem in Jerusalem aufbewahrten Kreuze Christi in die verschiedenen Gegenden verschickt worden seien. Und nun fand sich in Nordafrika eine Inschrift mit dem Datum 359, in welcher unter den Reliquien einer Kirche solche vom Holze des Kreuzes Christi erwähnt werden; aus dem V. Jahrhundert sind noch mehrere andere ähnliche Texte erhalten. Wie hierin, so bieten für manche andere religiösen Anschauungen, auch für abergläubische Gebräuche, die epigraphischen Denkmäler einen treuen Spiegel jener Zeit dar. Es würde uns zu lange aufhalten, wollten wir hier noch andere Einzelheiten anführen; es sei gestattet, zum Schluss noch auf die literarische Bedeutung der epigraphischen Texte hinzuweisen.

Die ältesten Werke kirchlicher Schriftsteller in lateinischer Sprache, welche wir besitzen, stammen aus dem Ende des II. Jahrhunderts. Aus der vorhergehenden Zeit haben wir literarische Denkmäler christlichen Ursprungs in lateinischer Sprache nur in den Inschriften. Eine längere Grabschrift in Versen aus der Priscillakatakombe z. B., welche etwa aus der Mitte oder der zweiten Hälfte des Il. Jahrhunderts stammt, enthält ein Stück aus einem schon bestehenden lateinischen Lehrgedicht, das also noch älter ist als diese Grabschrift. In dieser Beziehung ergänzen die epigraphischen Texte geradezu die literarischen Quellen für die Geschichte der christlichen Literatur. Und welchen Einfluss auch später, vom IV. Jahrhundert an, die als Inschriften für kirchliche Gebäude' und für Grabstätten von Martyrern oder als Epitaphien hochstehender Persönlichkeiten verfassten Epigramme in der ganzen Entwicklung der christlichen Literatur hatten, das zeigt die meisterhafte Einleitung de Rossi's zum II. Bande seiner christlichen Inschriften Roms. Viele epigraphische. Texte haben somit nicht bloss archäologischen und kulturhistorischen, sondern auch literargeschichtlichen Wert. Die Behandlung derselben

in dieser Beziehung ist bedeutend erleichtert, seitdem Buecheler die Herausgabe der Carmina epigraphica latina begonnen hat. Auch einzelne Inschriften in Prosa aus dem IV. Jahrhundert steilen sich als wirkliche «laudationes funebres» dar und bieten so der Literaturgeschichte interessante Specimina dieser Art von literarischen Compositionen.

Diese kurze Übersicht, welche die verschiedenen, durch altchristliche Inschriften beleuchteten kulturgeschichtlichen Fragen bei weitem nicht erschöpfen, sondern bloss einige der hauptsächlichsten hervorheben will, beweist zur Genüge, eine wie reiche Erkenntnisquelle die epigraphischen Denkmäler für die religiöse Geschichte des christlichen Altertums bilden. Sie verdienen in hohem Masse, mehr als es bisher geschehen ist, von der Spezialforschung herangezogen zu werden, und es ist im Interesse der weitern Entwicklung der kirchengeschichtlichen Studien sehr zu wünschen, dass jetzt, nachdem so viele Tausende von Texten in endgültiger Publikation vorliegen, das in ihnen enthaltene Material gehoben und verarbeitet werde, und dass den dazu notwendigen Vorstudien auf dem Gebiete der altchristlichen Epigraphik von

seiten der theologischen Fakultäten unserer Hochschulen die gebührende Stelle eingeräumt werde.

Für Sie, liebe Commilitonen, möchte ich aus dem Gesagten noch eine besondere Schlussfolgerung ziehen. Sie sehen daraus, wie in einem von der Forschung so vielfach bearbeiteten Boden, wie derjenige der Kirchengeschichte ist, noch so manche ganz oder halb verborgene Quellen stecken, welche hervorsprudeln und ihr klares Wasser dem Meere des menschlichen Wissens zuführen werden, sobald eine kundige Hand den Boden anbohrt. Auf andern Gebieten der wissenschaftlichen Forschung ist es ähnlich. Dies muss für Sie ein mächtiger Ansporn sein, durch eifriges, unablässiges Studium während der Universitätsjahre Ihren Geist für die wissenschaftliche Arbeit vorzubereiten. Das Universitäts-Studium verfolgt einen doppelten Zweck: Es soll zunächst den jungen Mann in stand setzen, sich alle jene besondern Kenntnisse in den verschiedenen Wissenszweigen zu erwerben, welche ihn befähigen und vorbereiten, eine mit entsprechender geistiger Thätigkeit verbundene Berufsstellung im Leben anzutreten und auszufüllen. Dann aber

hat das Studium auf der Hochschule noch den weitern Zweck, den Studenten in die wissenschaftliche Methode einzuführen, ihn theoretisch und praktisch darüber zu belehren, nach welchen Regeln und Gesetzen der menschliche Geist arbeiten muss, um das Wissensgebiet zu erweitern und neue Resultate auf dem Boden der wissenschaftlichen Forschung zu gewinnen. Gerade diese letztere Thätigkeit hat ihre besondere grosse Bedeutung. Wenn in der letzten Zeit vielfach in den verschiedensten Kreisen auf die «wissenschaftliche Inferiorität der Katholiken» hingewiesen wurde, so kann dies richtig aufgefasst nur die Bedeutung haben, dass die Katholiken sich nicht in einer ihrer numerischen Stärke entsprechenden Weise thatsächlich an dieser wissenschaftlichen Spezialforschung beteiligen. Jede andere Bedeutung, welche man jener vielbesprochenen Inferiorität geben will, müssen wir auf das entschiedenste ablehnen. Wir sind weder weniger veranlagt als andere noch haben wir in dem positiven Glauben an die übernatürliche Offenbarung nach irgend einer Seite hin ein Hindernis, welches die volle Entfaltung der wissenschaftlichen Forschung hemmen könnte; im Gegenteil,

wenn man als das wahre Ziel der Wissenschaft, was es auch allein sein kann, die Erkenntnis der objektiven Wahrheit ansieht, dann ist der Glaube nur. ein Vorteil für den Forscher. Wir erkennen unserseits die wahre wissenschaftliche Arbeit an, von welcher Seite sie auch geleistet werden mag; wir begrüssen deren Fortschritte und nehmen deren positive Resultate dankbar an, von wem sie uns auch dargeboten werden mögen. Aber ebenso fordern wir, dass man uns als völlig ebenbürtige Arbeiter auf dem Gebiete der Wissenschaft ansehe, und unsere Forschungen für das halte, was sie sind, nämlich ein von reinen Absichten getragenes Streben, die Wahrheit zu ergründen und das menschliche Wissensgebiet zu erweitern. Wenn die Wissenschaft offen und ehrlich den Zweck verfolgt, die Wahrheit zu erkennen, dann wird sie nie ein Prinzip der Trennung, sondern der Einigung. Und deshalb ist es selbstverständlich, dass wir auch einem jeden, der davon Gebrauch machen will, die Resultate unseres geistigen Schaffens auf wissenschaftlichem Gebiete ohne Vorurteil in gleicher Weise mitteilen.

Wenn wir nun diese Voraussetzungen und Reserven machen, die notwendig gemacht werden

müssen, so ist es klar, dass, wenn von einem Rückstand unserseits gesprochen wird, dies eben nichts anderes bedeuten kann, als dass die thatsächliche Mitarbeit von katholischen Gelehrten auf manchen Gebieten der Spezialforschung nicht dem numerischen Verhältnisse der Katholiken in den einzelnen Ländern entspricht. In diesem Sinne lässt sich nun ein Rückstand auf manchen wissenschaftlichen Gebieten nicht verkennen. Es gilt als eine unserer Hauptaufgaben, diesen Rückstand wett zu machen, aber auch die wissenschaftliche Arbeit überhaupt so zu gestalten, dass dieselbe thatsächlich, wie es ihrem Ideal entspricht, ein Prinzip der Einigung wird. Um dies zu erreichen bedarf es der eifrigen Mitarbeit zahlreicher für das echte wissenschaftliche Streben begeisterter Männer, welche in ihrer Jugend durch fleissiges Studium während ihrer Universitätsjahre sich die Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit erworben haben. Sie, liebe Commilitonen, haben alle die Gelegenheit dazu an unserer alma mater Friburgensis. Benutzen Sie die Ihnen dargebotene Gelegenheit mit allem Eifer, und unser Losungswort für das hiermit feierlich eröffnete Universitätsjahr soll sein: Laboremus!

Es erübrigt mir noch, der hohen Versammlung über das verflossene Studienjahr einen kurzen Bericht vorzulegen. Zunächst wurden in einzelnen Fakultäten die Bestimmungen über die Prüfungen einer Revision unterzogen oder durch Zusätze ergänzt, je nachdem der weitere Ausbau der Fakultät es erheischte.

Die theologische Fakultät beriet und beschloss ein neues Reglement für die Verleihung der akademischen Grade, welches mit den Grund-Statuten zu einem einheitlichen Statut verschmolzen wurde. — Die juristische Fakultät ergänzte die Promotionsordnung durch Aufstellung der Bedingungen für Erteilung der Doktorwürde in den Staatswissenschaften. — Eine neue Auflage ihrer Prüfungsordnung für das höhere Lehramt in den philosophisch-philologisch-historischen Fächern wurde durch die philosophische Fakultät veröffentlicht. — Die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät endlich hat, nachdem sie bereits im vorhergehenden Jahre ihre Vorschriften über die Erteilung der Doktorwürde festgesetzt hatte, im letzten Jahre auch ein Reglement für die Licentiatsprüfung beschlossen und veröffentlicht.

Zum Andenken an den während seines Rektoratsjahres verstorbenen Professor Gremaud wurde eine Stiftung errichtet, deren Erträgnisse zu einem Preise (Gremaud-Preis) für historische Arbeiten, besonders über Freiburger und Schweizer Geschichte, zu verwenden sind. Der Preis ist bestimmt für Studierende der Universität Freiburg, d. h. für solche, die zur Zeit der Ausschreibung an der Universität immatrikuliert sind oder ihr früher wenigstens während zwei Semester angehört haben. Über die Verwaltung. und Verleihung des Preises wurde im verflossenen Jahre ein Reglement ausgearbeitet, welches unter dem Datum des 6. April vom hohen Staatsrat genehmigt wurde.

Eine grosse Anzahl von Studenten unserer Hochschule haben im verflossenen Jahre durch ihre mit Erfolg abgelegten Prüfungen den Beweis erbracht, dass sie mit Fleiss und Nutzen die Vorlesungen besucht und ihre Studien betrieben haben. Folgende Diplome sind im Laufe der beiden verflossenen Semester verliehen worden:

In der theologischen Fakultät ein Doktor-, zwei Licentiats-, acht Baccalaureatsdiplome;

In der juristischen Fakultät ein Doktor-, fünfzehn Licentiatsdiplome;

In der philosophischen Fakultät zwei Doktordiplome; fünfzehn Kandidaten haben Prüfungen für das Lehramt an Gymnasien abgelegt, und vier unter ihnen haben das Licentiatsdiplom erhalten:

In der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät sind einundzwanzig Doktorats- und ein Licentiatsdiplom verliehen worden; ausserdem haben drei Kandidaten Teilprüfungen abgelegt und bestanden.

Die definitive Zahl der immatrikulierten Studenten unserer Hochschule belief sich im verflossenen Wintersemester 1897/98 auf 331, im Sommersemester 1898 auf 338. Dazu kamen im Wintersemester 86 Hörer (darunter 43 Damen) und im Sommersemester 46 (darunter 9 Damen).

Für das laufende Wintersemester sind bis zum 14. November 314 Studenten immatrikuliert worden; und da noch einzelne angemeldet sind, wird sich die Gesamtzahl ungefähr auf der gleichen Höhe halten, welche sie in den letzten Semestern gehabt hat.