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Rede nach dem Antritt des Rectorats Universität

12. Mai 1823.
Gehalten
W. M. L. de Wette,
d. Theol. Doct. u. Prof.

(Aus der wissenschaftlichen Zeitschrift besonders abgedruckt.)

Basel bei Aug. Wieland, Universitäts Buchdrucker. 1823. .

P. P.

Veranlaßt, als erwählter Rector der Universität für dieses Jahr, öffentlich zu reden; durch die Natur der Sache, durch mein Amt und den eigenen Trieb auf die Angelegenheiten dieser Lehranstalt hingewiesen: : welchen schicklichern Gegenstand könnte ich für meine Rede wählen, als das Werk der Wiederherstellung der Universität selbst, welches, von der hohen Gesetzgebung des Staates befohlen, der Vollendung entgegen geht? In Folge der Ausführung jenes weisen Gesetzes stehe ich selbst, durch das Vertrauen der hohen Regierung hieher berufen, an dieser Stelle; und wenn es für mich natürlich ist, das mir so nahe liegende zu ergreifen, so hoffe ich, daß die bescheidene, aber freimüthige Darlegung meiner Ansichten über diesen Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und Prüfung nicht unwerth seyn wird. Obgleich der Wille der Gesetzgeber sich über die Wiederherstellung der Universität bestimmt ausgesprochen, und diese Sache daher nicht mehr Gegenstand der Prüfung, sondern der Ausführung

ist: so kann doch die Ansicht Einzelner und die öffentliche Meinung auf die Ausführung einen nachtheiligen oder vortheilhaften Einfluß ausüben, und es ist daher keine verlorene Mühe, zu Gunsten der Universität und ihrer Erneuung öffentlich zu reden. Wenn das was aus der Ueberzeugung fließt, was von der Liebe und dem Eifer für die Sache eingegeben ist, wenn auch ohne die Kraft und den Reiz der Beredtsamkeit vorgetragen, Ueberzeugung bewirken muß: so hoffe ich um so eher, daß meine Rede Eingang finden wird, als ich der Natur der Sache nach mit voller Ueberzeugung nur dasjenige empfehlen werde, was die Gesetzgeber des Staates gewollt und befohlen haben. Und da es in einem Gemeinwesen, das von den Bürgern selbst regiert wird, nicht anders kommen kann, als daß die Regenten, welche durch das Vertrauen des Volkes an das Ruder gerufen sind, den Willen des Volkes selbst aussprechen: so glaube ich nur das zu wiederholen, was im Gemüth aller Anwesenden liegt, seyen es die Häupter und Räthe selbst, seyen es die Bürger. Was daher sonst die Redner durch Kunst gewinnen müssen, die Zustimmung ihrer Zuhörer, das ist mir schon im Voraus durch die Wahl des Gegenstandes gesichert.

Nachdem die Stürme vorüber gegangen, unter welchen das alte Gebäude der Staatsverfassung erschüttert und umgewandelt worden: richtete die

Weisheit der Regierung ihre Sorge auf die nur noch in Trümmern dastehende Universität, um sie wieder herzustellen, und dem Bedürfnisse der Zeit gemäß einzurichten. Die Wiederherstellung der Universität war aber nur ein Theil des großen Planes, den gesammten öffentlichen Unterricht von unten bis oben zu verbessern: so daß die Universität gleichsam die Krone des ganzen Werkes oder die auf dem Tempel der Wissenschaft prangende Kuppel seyn sollte. Mit tiefer gründlicher Einsicht erkannten die Wiederhersteller, daß, wenn irgend wo, besonders im öffentlichen Unterricht ein stufenmäßiges Aufsteigen vom Untern zum Obern nothwendig sey; und ihrer freisinnigen Ansicht nach sollte das Licht der Erkenntniß nicht das Eigenthum der höhern Classe allein bleiben, sondern über das ganze Volk, jedoch in richtiger, nach Maßgabe des Bedürfnisses und der Empfänglichkeit geordneter Vertheilung, verbreitet werden. Den Freunden des Despotismus mag es wünschenswerth erscheinen, die untern Classen in der Rohheit und Finsterniß zu erhalten, in der Hoffnung, daß sie, die selber roh und finster sind, leichter über eine solche Masse herrschen werden; die Väter eines Gemeinwesens dagegen betrachten alle Kinder des Vaterlandes als Erben der Wohlthaten, welche die durch die Gnade Gottes fortgeschrittene Bildung über die Menschheit verbreitet. Alle, denen Gott eine vernünftige Seele verliehen, verlangen nach dem Lichte der

Erkenntniß; denn nur im Lichte lebt und entfaltet sich die göttliche Pflanze der Vernunft; und die Liebe spendet Allen, was sie bedürfen und verlangen; ja, noch ehe sie es verlangen, spendet sie es ihnen zuvorkommend, mit väterlicher Vorsorge. Hier, wo jeder Bürger berechtigt ist, an der Regierung Theil zu nehmen, wo das Vertrauen der Mitbürger Jeden, wes Standes und Berufs er sey, an das Ruder des Staates stellen kann: hier muß dasjenige, was den Menschen über die allgemeinen menschlichen und bürgerlichen Angelegenheiten aufklärt, und ihn zur Verwaltung öffentlicher Geschäfte geschickt macht, Gemeingut seyn. Hier, wo das Hochgefühl der Bürgerwürde jede Brust hebt, wird auch das Werk der allgemeinen Volksbildung fröhlicher gedeihen, als da, wo knechtische Furcht den Geist niederhält; denn nur edle Gemüther sind der Bildung empfänglich, und die wahre Erkenntniß entwickelt sich nur durch die Kraft einer edlen Gesinnung. Wo nicht der ganze Mensch gehoben ist, da gleicht die Geistesbildung einer schwächlichen Pflanze, welche künstlicher Pflege bedarf, um emporzuwachsen, und dennoch keine guten Früchte trägt. — Segen dem großen heilsamen Werke! Ehre und Dank den Urhebern desselben! Die erhaltende und treibende Kraft, wie ein gesundes Gewächs, das im fruchtbaren Boden steht, in sich selbst tragend, wird es unter dem göttlichen Schutze, unter dem Einflusse des guten

Volksgeistes, wachsen, gedeihen, blühen und Frucht tragen; ja, es blüht schon und trägt Früchte, indem es noch neue Wurzeln schlägt und neue Zweige treibt. Mit Freuden sieht es jeder Freund des Vaterlandes; in der Pflanzschule einer wohlunterrichteten Jugend sieht er ein künftiges besseres Geschlecht von Bürgern, und ahnet mit Wonnegefühl eine schönere Zukunft, wo die Wahrheit und Tugend allgemein herrschen und im Lichte der Erkenntniß jede edlere Blüthe des Menschenlebens sich entfalten wird.

Die Universität sollte nach der Absicht der weisen Gesetzgeber zwar erneuert und umgestaltet werden, aber doch bleiben, was sie ihrem Wesen nach war, eine allgemeine wissenschaftliche Hochschule. So hatte sie die alte Zeit der neuen überliefert, und so sollte sie diese bewahren. Die Liebe, die Weisheit zerstören nichts Gutes, was vorhanden ist, sie wirken mit bildender, aber zugleich erhaltender Kraft. Was die Väter erbaut haben, fordert Achtung und Schonung. So wie der wohlgesinnte Mensch nichts in der Natur ohne Zweck zerstört, nichts, was seine Nebenmenschen geschaffen und aufgerichtet, wieder niederreißt, ohne daß es die Nothwendigkeit erfordert: so hält uns auch ein richtiges Gefühl davon ab, das was uns die Väter überliefert haben, zu vernichten. Umbilden, verbessern sollen wir es, aber nicht zerstören. Wenn das väterliche Haus nur nicht in

seinen Grundlagen fehlerhaft ist, so fügen wir uns gern selbst in manche Unbequemlichkeit, und begnügen uns dasselbe auszubessern und umzubauen, um es nur nicht niederzureissen: so sollen wir auch öffentliche Stiftungen schonen und erhalten. Es gehört so vieles dazu, um etwas aufzurichten; menschliche Kräfte mußten sich wirkend dafür vereinigen, es kostete Anstrengungen, Aufopferungen: zerstören wir es nun, so verachten wir den Fleiß und Eifer derer, die es geschaffen, und greifen mit mörderischer Hand in ihr Leben. Denn der Mensch lebt in dem, was er wirkt und schafft, und wer ihn darin verlezt, der verlezt ihm das eigene Leben. Wenn nun aber vollends eine Stiftung so sehr in das Leben und die Geschichte des Gemeinwesens verflochten ist, daß man das eine nicht von dem andern trennen kann; wenn der heimische Ruhm mit dem Ruhm einer Stiftung innig zusammenhängt: so ist die Aufhebung derselben eine Wunde, welche man den Ganzen schlägt, eine Wunde, welche in ihren Rückwirkungen die schonsten Kräfte des allgemeinen Lebens unterdrücken kann. Basel verdankt seinen Ruhm großentheils den Gelehrten, welche die Universität gebildet hat, und welche an derselben gearbeitet haben. Wenn es von jeher eine ehrenvolle Stelle unter den freien Städten des deutschen Reichs, dann unter den Städten der Eidgenossenschaft eingenommen hat: so strahlte sein Ruhm doch noch höher durch die großen Gelehrten,

deren Mutter und Erzieherin es gewesen. Wenn die Univesität abgehoben wurde, so war die Pflanzstätte solcher Gelehrten zerstört, und diese Laufbahn des Ruhmes geschlossen. Der Name der Vaterstadt knüpfte sich nicht mehr an die Namen derer, welche die Welt erleuchteten; die schlummernden Geistesgaben konnten nicht mehr durch den zur Nacheiferung reizenden Ruhm großer Mitbürger erweckt werden; dem Leben des Volkes wurde der schönste Theil geraubt. Wie ein edler Mensch durch das, was er ist und thut, sich zugleich die Anerkennung seiner Mitmenschen erwirbt, und Ansprüche an das, was er ferner thun und leisten soll, erweckt, so daß er gleichsam die Treue bricht, wenn er nicht fortfährt, wie er begonnen: so auch eine Stadt, ein Gemeinwesen. Deutschland, Europa war gewohnt, aus Basel große Gelehrte hervorgehen zu sehen, und Basel war schuldig, dieser Erwartung ferner zu entsprechen. Wäre die Universität aufgehoben worden, so hätte die alte Mutter der Gelehrten keine Söhne mehr geboren, und staunend hätte Europa gefragt: kommen aus Basel keine Gelehrten mehr? sind die Geschlechter der Buxtorf, Bernoulli, Merian ausgestorben? Wenn Basel feiert, was sollen andere Städte thun? Kann da, wo so viele Kränze des Ruhmes unverwelklich grünen, die Ruhmbegierde erkalten? — Nein! die Häupter und Väter des Vaterlandes erkannten und schätzten das kostbare Erbe, und

wollten es erhöhen, nicht vernichten. Die Laufbahn des Ruhmes sollte wieder aufgethan, und dem Streben eine neue Ermunterung und eine bessere Richtung gegeben werden. Da die Wissenschaften unterdessen fortgeschritten, und die Hochschulen anderer Länder eine vollkommnere Einrichtung erhalten hatten: so sollte die alte Universität in erneuerter verbesserter Gestalt sich an ihre Mitschwestern anschließen, und mit ihnen zu wetteifern im Stande seyn. Was sie vom fünfzehnten Jahrhundert an gewesen, das sollte sie auch im neunzehnten seyn, und das sollte sie, wenn künftige Geschlechter die Liebe und den Eifer für sie bewahren, für alle Zukunft bleiben. Nie sollte in den Jahrbüchern der Gelehrsamkeit Basels Name untergehen, und sein Stern am Himmel der Wissenschaft ewig glänzen.

Wer ist unter dieser Versammlung, der nicht so dächte, wie die großherzigen Wiederhersteller? Wessen Herz ist gleichgültig für den Ruhm der geliebten Vaterstadt? Wessen Brust hebt sich nicht bei den großen einheimischen Namen, deren Andenken in ganz Europa gefeiert wird? Der Ruhm der Mitbürger ist gemeinschaftlich, und Alle tragen dazu bei; denn nur durch die Unterstützung Aller entwickeln sich die Gaben. Der Vater theilt den Ruhm des Sohnes, der Lehrer den des Schülers, der Wohlthäter den des Unterstützten, und alle, welche die öffentlichen Anstalten begünstigen, erhalten

und fördern, Bürger, Häupter und Räthe, nehmen ihren Theil von dem Ruhme derer, welche aus diesen Anstalten hervorgehen. Es ist in dieser Stadt keine Familie, welche nicht mit der andern näher oder entfernter verschwistert wäre; es ist nur Eine große Familie, welche sie einschließt, in welcher der Geist treuer, inniger Liebe und Anhänglichkeit waltet. Wenn Mitbürger durch die Kraft des Gemeingeistes eine Brüderschaft bilden sollen, so sind sie hier zugleich durch die Bande des Blutes vereinigt. Hier ist daher mehr, als irgendwo, das was Einzelnen angehört, gemeinschaftlich, und wenn Einer Ruhm erwirbt, so strahlt der Glanz davon auf Alle zurück. Wie Brüder mit Stolz auf ihren Bruder hinweisen, der im Lichte des Ruhmes prangt: so sagt jeder Baseler mit hohem Selbstgefühl: die Euler, die Bernoulli sind von den Unsrigen; so blickt jeder mit Theilnahme auf die erneute Hochschule und deren Zöglinge, hoffend, daß Basels Söhne einst wieder den Ruhm der Vaterstadt in die Welt tragen werden. Ja, ihr Zöglinge unserer Hochschule, ihr seyd eurer Vaterstadt, euren Obern, allen euren Mitbürgern verpflichtet; man hat euch die Laufbahn des Ruhmes aufgethan, und euch mit Hülfsmitteln ausgerüstet; Aller Augen sind auf euch gerichtet, man erwartet Großes von euch, die Erneuerung des vaterländischen Ruhmes; am Ziele winken euch die Kränze des Verdienstes: auf, wackere Jünglinge, muthige

Ringer, strebet, arbeitet, kämpft, daß ihr daß Ziel erreicht, daß ihr die Erwartung eurer Mitbürger erfüllt, daß ihr die Schuld abtragt, die ihr auf euch genommen!

Bei der Wiederherstellung der Universität konnte allerdings eine andere, als die von den Gesetzgebern befolgte, Ansicht Gehör finden und Prüfung verdienen, die nämlich, daß man keine, alle Fächer der Wissenschaft umfassende Hochschule bestehen lassen, sondern blos eine theologische Schule daraus bilden sollte. Man konnte zur Unterstützung dieser Meinung anführen: ein kleiner Staat, wie Basel, bedürfte keine Hochschule mit allen vier Facultäten; die wenigen jungen Leute, die sich zu Rechtsgelehrten und Aerzten bilden wollten, könnten ins Ausland gehen, die Mehrzahl der einheimischen Studirenden widmeten sich dem geistlichen Stande, und für diese bedürfte man allerdings einer einheimischen Anstalt, weil sie gerade am häufigsten unbemittelt und dadurch verhindert wären ins Ausland zu gehen; die Kräfte des Staates reichten nicht hin, die Kosten einer vollständigen Universität zu bestreiten, und man würde damit immer nur Mittelmäßiges erreichen; vereinigte man hingegen seine Kräfte für eine beschränktere Lehranstalt, so könnte man dieselbe zur Vollkommenheit bringen.

Ich will gegen diese Ansicht nicht geltend machen, daß wenn Basel einer Rechts- und Arzneischule

ermangelte, ein junger Mann, mit einer entschiedenen Gabe für das eine oder andere dieser Fächer, aber ohne Vermögen, ausser Stand gesetzt wäre, seinem Berufe zu folgen, und daß sich so die Stadt vielleicht eines ausgezeichneten Rechtsgelehrten oder Arztes berauben würde, welcher einst zum Besten seiner Mitbürger hätte wirken können. Ich will nicht geltend machen, daß der Werth und die Wirksamkeit einer Anstalt nicht durch die Menge ihrer Zöglinge, sondern durch die denselben ertheilte Bildung bestimmt wird. Auch das will ich nicht geltend machen, daß man bei der Pflege der Wissenschaften nicht ängstlich den Nutzen berechnen soll, welchen sie an Ort und Stelle bringen; daß die wahre Achtung und Liebe für dieselben sich in einer gewissen uneigennützigen Großmuth bewähren soll, welche man nicht allein von dem gebildeten edlen Menschen, sondern auch von einem Gemeinwesen fordern darf, in welchem ein edler Geist lebt. Noch weniger will ich die Gründe beleuchten, welche aus dem Staatshaushalte hergenommen sind, und nur dagegen bemerken, daß die Blüthe der Wissenschaften nicht allein durch Geldkräfte hervorgerufen und befördert werden kann. Sie sind Pflanzen einer edleren Art, als diejenigen, welche allein durch die Nahrung der Erde gedeihen. Eine Regierung mag an die wissenschaftlichen Anstalten Geld mit vollen Handen spenden; wenn sie der Wissenschaft selbst keine

Liebe und kein Vertrauen beweist, wenn sie die Denk- und Lehrfreiheit einschränkt, und die Gelehrten ohne Achtung behandelt; so wird ihre Freigebigkeit nichts als ein leeres Prunkwesen hervorbringen; sie wird Lehrer gewinnen ohne Gesinnung und Geist und wahre Liebe zur Wissenschaft, und diese werden Zöglinge bilden, die ihnen ähnlich sind. Der Geist der Wissenschaften läßt sich keine Fesseln anlegen, und wären sie von Gold geschmiedet; er flieht den trüben Dunstkreis roher Gewalt und feiger Knechtschaft; empor zum lichten Aether, in welchem die Freiheit, die Liebe, die Begeisterung leben, hebt er die Schwingen. Basel kann den Wissenschaften keine glänzende, aber eine sichere heimliche Freistätte anbieten. Hier waltet der Friede und die Ruhe; und die Wissenschaften gedeihen nur im Schooße des Friedens; hier herrscht keine Willkühr, sondern das Gesetz; und der Geist der Wahrheit haßt jede Willkühr, denn er huldigt ewigen Gesetzen: hier hat die Freiheit ihren Wohnsitz aufgeschlagen; und nur in der Freiheit lebt die wahre Wissenschaft. Daß die Wissenschaften keiner glänzenden äussern Begünstigung bedürfen, um zu blühen, lehren nahe leuchtende Beispiele, die Schwesterstädte Zürich und Genf, welche seit Jahrhunderten die stets fruchtbaren Pflanzstätten großer Gelehrten und Dichter gewesen sind. Was ist es, was den Geist in dem Kreise dieser kleinen Städte gefangen hält? Was verschaffte der kleinen Republik

Genf den Einfluß auf die ganze gebildete Welt Europas, worin sie sogar mit der Riesenstadt Paris gewetteifert hat? Das that nicht die freigebige Fürsorge einer mächtigen Regierung, nicht die Fülle der Hülfsmittel, nicht der Reiz der Belohnung; das that der Geist, die Liebe der Bürger, der heimische Sinn für die Wissenschaft. — Bürger Basels! ihr bedürft nur dieser Liebe, dieser Empfänglichkeit, um die Wisenschaften in eure Mitte zu ziehen; thut nur liebend, vertrauend die Arme auf, so werden sie bei euch Schutz suchen! Durch Liebe gelingt Alles; das kalte Herz zagt vor Schwierigkeiten, welche das warme begeisterte gar nicht kennt.

Für denjenigen, welcher die Wissenschaften wahrhaft liebt und kennt, ist der Vortheil, den eine umfassende Hochschule gewährt, entschieden. Selbst wenn wir zugeben, daß Basel besonders einer theologischen Lehranstalt bedarf, müssen wir den Verein aller vier Fakultäten fordern. Um im Besondern etwas Vollkommenes zu erreichen, kann man des Allgemeinen nicht entbehren. Die Wissenschaften hangen alle zusammen, und unterstützen einander gegenseitig. Diejenigen, welche nur eine theologische Schule für Basel fordern, wollen doch hoffentlich mehr als eine Anstalt, in welcher die jungen Leute nothdürftig zum Predigtamt vorbereitet werden; sie erheben sich über die gemeine Handwerksansicht, und wenn sie sich auch bescheiden,

daß nicht alle ihre Geistlichen große Gelehrte werden können, so wünschen sie doch, daß ihre Vaterstadt immer einige ausgezeichnete Gottesgelehrte besitzen möge. In der That wenn in einem Stand Alle auf der Linie der Mittelmäßigkeit bleiben, so wird derselbe bald zur Gemeinheit herabsinken; das Gute und das Brauchbare kann nie ohne das Vortreffliche bestehen. Aber um ausgezeichnete Gottesgelehrte zu bilden, darf sich eine theologische Schule nicht auf den Kreis des theologischen Faches einschränken. Ein vollkommener Theolog muß alles Licht des Wissens in den Brennpunkt seiner heiligen Wissenschaft vereinigen; so wie die christliche Kirche selbst die Mutter und Pflegerin aller wahren menschlichen Bildung ist, so muß der christliche Lehrer auch Mensch, gebildeter Mensch im vollen Sinne des Wortes, seyn, und deswegen aus allen Wissenschaften dasjenige, was eine rein menschliche Beziehung hat, in sich aufnehmen. Er muß mit der Philosophie vertraut seyn, welche von jeher so großen Einfluß auf die Theologie gehabt hat; er muß das griechische und römische Alterthum, den alten und neuen Orient und deren Sprachen kennen, welche zur Erklärung der heiligen Schrift nothwendig sind; er muß das Gebiet der Geschichte durchwandert haben, wozu auch die Geschichte der christlichen Kirche gehört; er muß auch die Naturkunde nicht vernachläßigt haben, weil Gott auch durch die Natur sich geoffenbart hat. Daß neben

einer theologischen Schule auch eine philosophische Facultät bestehen musse, geben Alle zu. Nun aber glaube ich zeigen zu können, daß eine philosophische Facultät, welche blos und allein für Theologen thätig ist, sich nicht allseitig entwickeln, und nicht alle Fächer mit der gehörigen Thätigkeit bearbeiten kann.

Nicht alle Studirende der Theologie können und sollen Alles umfassen, was in das Gebiet der allgemeinen Wissenschaften gehört; dieß wird immer nur wenigen Ausgezeichneten vorbehalten seyn. Bleiben wir zuvörderst bei der eigentlichen Philosophie stehen, so werden die Studirenden der Theologie gewöhnlich nur diejenigen Zweige treiben, welche der Theologie nahe liegen, wie Logik, Metaphysik, Psychologie, Ethik; aber philosophische Rechts- und Staatslehre und Naturphilosophie werden sie bei Seite liegen lassen. Mithin werden die angestellten Lehrer selbst nicht auf die Bearbeitung dieser Fächer geleitet, und ausgezeichnete Jünglinge nicht veranlaßt werden, auch diese kennen zu lernen. Besteht aber neben der theologischen Schule auch eine Arznei- und Rechtsschule, so werden alle Fächer der Philosophie sowohl von Lehrern als Schülern betrieben werden, und das Studium der Philosophie wird sich im ganzen Umfang entwickeln. Dasselbe gilt, und noch mehr, von der Mathematik. Zur Bildung der meisten Theologen sind die Anfangsgründe derselben hinreichend;

in ihre tiefern Geheimnisse dringen nur wenige. Die mathematischen Lehrer an einer theologischen Schule hätten mithin nur einen sehr eingeschränkten Wirkungskreis. Mathematik und Naturkunde gehen mit einander Hand in Hand; wo die letztere blüht, da blüht auch die erstere. Aber auch von der Naturkunde werden die Theologie Studirenden in der Regel nur wenig Gebrauch machen, und sich mit einigen Kenntnissen in der Physik und Naturgeschichte begnügen. Hingegen die Schüler der Arzneiwissenschaft werden tiefer eindringen müssen, und die Thätigkeit der Lehrer ganz in Anspruch nehmen. Wo aber die Gelegenheit ist, gründlichere Naturkenntnisse zu sammeln, da werden sie auch einzelne Schüler der Gottesgelehrsamkeit benutzen, und ihren Geist mit Kenntnissen bereichern, welche für ihr besonderes Fach gute Früchte tragen können. Eben so wird die Alterthums- und Geschichtskunde nur da einen vollen Wirkungskreis erhalten, wo Studirende aus allen Facultäten versammelt sind. Der Theolog wird, wenn er sich streng in seinem Kreise hält, manche Parthieen der Geschichte bei Seite liegen lassen; die Geschichte der Rechts- und Staatsverfassungen zieht ihn weniger an, als den künftigen Rechtsgelehrten: und doch hängt in der Geschichte alles zusammen, und es ist zu wünschen, daß sie im ganzen Umfange wenigstens von Einzelnen gekannt sey. Also auch hier wird die höhere Ausbildung

der Theologen durch die Vereinigung mit Studirenden anderer Facultäten bedingt seyn. Vorzüglich ist aber das zu berücksichtigen, daß sich nur in einer philosophischen Facultät, welche mit allen drei Facultäten in Verbindung steht, große umfassende Gelehrte bilden werden, weil nur eine solche die nöthigen Anregungen und Ermunterungen darbietet. Durch Lehren lernt man, und der Geist bedarf äusserer Veranlassungen, seine Kräfte zu versuchen. Nirgends ist die Beschränkung und Einseitigkeit so verderblich, wie in der Wissenschaft, und wer nicht darin das Vollkommene will, der will nichts. Die philosophische Facultät, welche man der theologischen an die Seite gestellt hätte, würde, innerlich beschränkt und gelähmt, schwerlich ihre Bestimmung mit Ehren erfüllt, und keine großen Philosophen, Mathematiker, Naturforscher und Historiker aufgestellt haben. Eine Facultät soll sich selbst fortpflanzen und erneuern: wie hätten aber in einem so beschränkten Kreise sich immer würdige tüchtige Lehrer bilden können? Eine solche philosophische Facultät hätte nicht auf sich selbst gestanden, und wäre nicht sich selbst genug gewesen; sie hätte ihren Fortbestand von den Schulen des Auslandes erbetteln müssen.

Noch eine Betrachtung macht für Basel eine vollständige allseitige ausgezeichnete philosophische Facultät wünschenswerth. Sollten sich nicht Söhne reicher Familien finden, welche, da sie das

Glück der Sorge für den Erwerb überhoben hat, ihre glückliche Muße den Wissenschaften aus reiner freier Liebe zu widmen geneigt wären; die sich den schönen Lebensplan vorzeichneten, zu versuchen, was Gabe und Lust unter günstigen äußeren Umständen zu leisten im Stande seyen; die sich kein Amt, kein Geschäft zum Ziele setzten, und nur dann, nachdem sie auf den Höhen der Menschheit und Wissenschaft gewandelt, am Abend ihres Lebens das Licht ihres Geistes in die Regierung ihrer Vaterstadt tragen würden? Für solche wäre eine Schule der allgemeinen Wissenschaften der erste Uebungsplatz. Allerdings könnten sie auch im Auslande ihre Bildung suchen. Aber vielleicht würde die einheimische Schule erst ihren Geist erwecken, und in ihnen die Liebe zur Wissenschaft entzünden; sie würden sie vielleicht gar nicht kennen lernen, wenn sie nicht vor ihren Augen ihre Schätze entfaltete. Und wie? sollte Basel sich den Ruhm nehmen lassen, den Durst seiner Söhne nach Wissenschaft selbst zu stillen? Sollte in einer reichen Stadt gerade das fehlen, was zu den edelsten Zierden der Menschheit gehört? Wo so viel Fleiß, so viel Tugend und Sitte herrscht, sollten da nicht auch die Blüthen menschlicher Vollkommenheit ihren Glanz entfalten und ihren lieblichen Geruch verbreiten? Ja, Basel bedarf für die Bildung seiner Einwohner überhaupt einer allgemeinen wissenschaftlichen Schule. Die allgemeinen Wissenschaften,

Philosophie, Mathematik, Naturkunde, Geschichte senden ihre Strahlen in alle Verhältnisse des Lebens; es ist kein irgend edles Geschäft, das nicht ihres Lichtes bedürfte; kein gebildeter Mann, kein gebildetes Weib kann der Kenntnisse entbehren, welche aus denselben abfließen; und wirklich zählt diese Stadt auch in den nicht gelehrten Klassen Männer, welchen man das Verdienst einer allgemeinen Bildung nicht absprechen kann. Was nun Antheil Aller ist und seyn soll, sollte das nicht in der Mitte der Stadt selbst seine Pflanzstätte finden? Wird dadurch nicht die allgemeine Bildung befördert werden, wenn die Ouelle, aus der man sie schöpfen kann, nahe liegt? Werden die Gelehrten, welche die Stadt vereinigt, nicht einen heilsamen Einfluß auf den Geist der Bürger üben? Wird, wenn die höhern Wissenschaften ihren Sitz in der Stadt aufgeschlagen haben, nicht auch der Unterricht in den niedern Schulen besser von Statten gehen? — Ja, das sahen die weisen Gesetzgeber wohl ein. Sie wollten der ganzen Geistesbildung im Vaterlande eine Stätte bereiten; sie wollten ihr einen Tempel aufführen, der auf festen Grundlagen im Boden ruhete und sich zugleich mit stolzem Gipfel in die Luft erhübe; das Untere sollte das Obere tragen, und dieses jenem Glanz und Zierde leihen.

So wie die Wisenschaften alle unter einander zusammenhangen: so bedürfen auch die Gelehrten

und Schüler des einen Faches ihrer Genossen in den andern Fächern. Jeder Beruf führt das Bedürfniß einer an denselben geknüpften Geselligkeit mit sich, und so ist auch die Gelehrsamkeit gesellig. Der Gelehrte sucht den Gelehrten zu seinem Umgang, der Studirende hält sich an seinen Mitschüler. Wo aber nur die Genossen Eines Faches beisammen sind, da wird die Geselligkeit ohne Leben und Regsamkeit seyn. Die Erfahrung lehrt, daß die Gelehrten desselben Faches selten mit einander in freundschaftlichem Umgange stehen, wovon der Grund nicht immer in einer verwerflichen Eifersucht oder in der Abgeschlossenheit der Meinungen, sondern in dem Bedürfnisse der fremden erfrischenden Anregung liegt. Wie man gern zuweilen das Haus verläßt und das Freie sucht, um sich zu erholen und zu erfrischen: so folgt der Gelehrte gern der Unterhaltung des Freundes in dessen zwar verschiedenes, aber doch nicht ganz fremdes Fach, und gewinnt dadurch eine Erfrischung und Erweiterung des Geistes. Die Freundschaft sucht das Gleichartige und zugleich Verschiedene; dieses Verhältniß besteht aber zwischen den verschiedenen Fächern der Gelehrsamkeit. Dasselbe gilt von den Schülern der Wissenschaft; auch diese werden stich oft lieber an solche anschließen, welche ein anderes Fach gewählt haben. Es ist aber für das Gedeihen des wissenschaftlichen Lebens

und für das Leben überhaupt äusserst wichtig, daß Lehrer und Lehrlinge durch die Bande der Freundschaft unter einander verknüpft seyen, nicht blos wegen der Unterstüzung, die sie sich gegenseitig leisten können, sondern auch und vorzüglich wegen der ermunternden belebenden und geistigen Berührung. Wenn alles Edle nur in Gemeinschaft gedeihet, wie viel mehr das Studium der Wissenschaften! Wo der Geist sich in seiner Kraft entfalten soll, da bedarf er der Wärme der Liebe, da sucht er mit Sehnsucht den verwandten Geist. Wie mancher Jüngling ist durch seinen Jugendfreund auf der Universtität erweckt, und auf eine bessere Bahn geleitet worden! Wie Manchem ging das Licht der Wissenschaft erst im verklärten Auge des begeisterten Freundes auf! Die Bündnisse der Freundschaft, die auf Universitäten sind geschlossen worden, so wie alle Jugendfreundschaften, ziehen sich wie goldene Fäden durch das oft düstere Gewebe des Lebens. Ein Herz, das unter trockenen Geschäften erstarrt ist, lebt wieder auf, wenn der Jugendfreund es an das seinige schließt. Greise, die sich auf Universitäten gekannt und geliebt, werden, wenn sie sich wieder begegnen, von neuem zu Jünglingen; das Feuer der Jugend durchströmt ihre Adern, die Begeisterung der jungen Jahre kehrt als Sehnsucht in das ermattete Herz. Schul- und Universitätsfreundschaften dienen aber nicht blos zum Troste und zur Erheiterung des Lebens der Einzelnen;

sie tragen auch ihre heilsamen Früchte für die wichtigen Angelegenheiten des Gemeinwesens und des bürgerlichen Lebens. Sie verbinden die verschiedenen Stände, und bringen die verschiedenen Berufsarten in Einklang; denn die Studirenden der verschiedenen Facultäten sind die künftigen Stellvertreter der höhern Stände. Der Geistliche, dessen Freund der Beamte ist, wird nicht mit einseitiger Härte die Angelegenheit seines Standes betreiben, und umgekehrt. Geistlicher und Arzt, mit einander befreundet, werden wohlthätiger am Krankenbette der Armen wirken, Und so werden sich die schönen Bande der Jugendfreundschaft überallhin schlingen, versöhnend, vermittelnd, vermählend. — Aber erst dann wird die Freundschaft auf der Universität recht lebendig blühen, wenn daselbst Studirende aus verschiedenen Landschaften zusammenkommen, was nur auf einer allgemeinen Hochschule zu geschehen pflegt. Wenn sich verschiedene Landsleute mit einander befreunden, dann weicht jener engherzige einseitige Stadt- und Landschaftsgeist; Herz und Geist erweitern sich, und man erfährt, daß es auch Menschen, und gute edle Menschen, jenseit der väterlichen Mauern und Fluren gibt. Die Freunde ziehen dann heim in das entfernte Vaterland; aber die Herzen bleiben vereint, und senden einander von Zeit zu Zeit Zeichen der Treue. Führen dann Geschäfte oder Wißbegierde einen solchen in die Fremde, so findet er dort Freunde, die ihn mit

offenen Armen empfangen, und ihn fördern und unterstützen; und eine Jugendfreundschaft kann vielleicht selbst dem Vaterlande zum Heil gereichen, indem eine Angelegenheit desselben in der Fremde dadurch leichter zum erwünschten Ziele geführt wird. — Ja, so errichtet denn, Bürger von Basel, mit dem Tempel der Wissenschaft zugleich den Tempel der Freundschaft, edler, begeisterter, heiliger Freundschaft! Vereinigt in euren Mauern, unter euren Augen edle Jünglinge verschiedener Stände aus verschiedenen Ländern! Führt euren Söhnen die Freunde zu, nach denen ihr Herz verlangt, die sie schon mit Sehnsucht lieben, noch ehe sie sie kennen! Verbindet die Herzen, die für einander geschaffen, die Geister, welche mit vereinten Kräften nach demselben hohen Ziele zu streben bestimmt sind! O segensreiches Werk, heilbringendes Unternehmen der Väter des Vaterlandes, heilbringend für die Wissenschaft, heilbringend für das Leben! Fördere es ein jeder, der dazu Macht und Mittel hat! Lege ein jeder mit Hand an, daß es gelinge! Und jeder Bürger kann dazu wirken mit Wort und That, denn es ist ein gemeinschaftliches öffentliches Werk.

Eine Bedingung erkannten die weisen Gesetzgeber als nothwendig zum Gedeihen einer Hochschule in Basel, das Berufen fremder Lehrer in Ermangelung einheimischer: und das war keine Neuerung, sondern die Zurückführung eines alten

Gebrauches. Die meisten .der berühmten Lehrer der Baseler Hochschule aus dem fünfzehnten, sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, ein Joh. Reuchlin, Capito, Oecolampadius, Pellicanus, Carlstadt, Seb. Münster, Sim. Grynäus, Joh. Buxtorf, Caspar Bauhin u. a. waren Ausländer, und den zuerst genannten verdankt Basel die unschätzbare Kirchenverbesserung. Die Wahrheit ist das Gemeingut der Menschheit, und es gibt darin für keine Stadt, für kein Volk etwas Besonderes. So frei dachten die Baseler der alten Zeit, und darum blühte auch in ihrer Mitte die bürgerliche und kirchliche Freiheit auf. Konnte man fragen, als es galt, das Evangelium anzunehmen, ob derjenige, der es verkündigte, ein Einheimischer oder Auswärtiger sey? Wissenschaften und Künste sind die Gastgeschenke, welche die Völker einander senden, um eine edlere Freundschaft zu stiften, als die, welche durch Staats- und andere Verhältnisse unterhalten werden. So sandte auch Basel seine Söhne, die Bernoulli, Euler, Merian u. A. als Lehrer in das Ausland, und verpflichtete sich selbst den fernen Norden zur Dankbarkeit. O edler Tausch des Edelsten, was die Menschheit hat! Schöne Freigebigkeit des Reichthums gegen die bedürftigen Fremden, lobenswerthe Empfänglichkeit für das, was sie hinwiederum von ihrem Ueberflusse bieten! Ohne Austausch kann das Reich der Wissenschaften nicht bestehen, eben so

wenig, als das Leben in den niedern Kreisen. So wie Gott von Zeit zu Zeit hier Ernten im Ueberfluß spendet, dort Mißwachs eintreten lässet, und das eine Land Mangel leiden müßte, wenn ihm nicht das andere von seinem Ueberflusse mittheilte: so ist es auch im Reiche der Geister. Es ruhen Städte und Länder manchmal eine Zeit lang aus von ihrer Geistesarbeit, und die Saat der Geistesgaben sproßt nicht mehr so üppig, wie sonst: dann suchen weise Regierungen Ersatz von aussen. Ja, es scheint ein Gesetz der Natur, der körperlichen, wie der geistigen, zu seyn, daß die Kräfte durch Tausch und Wechsel erfrischt werden müssen. Dieselbe Saat, auf denselben Acker immerfort gesäet, artet aus oder wird unfruchtbar. Die Geschlechter der Thiere und Menschen arten aus oder werden schwächlich, wenn sie sich stets in sich fortpflanzen, und darum hat selbst das göttliche Gesetz die Ehen zwischen zu nahen Blutsverwandten untersagt. Und so lehrt auch die Erfahrung, daß Lehranstalten die sich nur in sich selber fortpflanzen und ergänzen, nach und nach einem stehenden Wasser gleich versumpfen; es setzen sich gewisse Formen und Richtungen fest, die Kraft des Geistes erschlafft und die Enkel ruhen auf den Lorbeeren der Ahnen. Tritt ein solcher Zustand ein, dann thut es Noth, frisches sprudelndes Wasser zuzuführen, und den geistigen Tod durch lebendige Kräfte aufzuwecken.

Allerdings thut es dem Bürger wohl, seine Söhne der Lehre eines Mitbürgers anzuvertrauen; da wo alles so heimlich und familienartig ist, wo die Bande der Brüderschaft Alles umschlingen, da will man auch heimische Gelehrsamkeit. Und wenn es wahr ist, daß die Wissenschaft ohne Gesinnung nichts ist, und wenn nichts heilsamer in einem Freistaate als der Gemeingeist ist, und dieser Alles durchdringen soll; so sollen die Gelehrten dieser durch einen so schönen Gemeingeist, durch eine so warme vaterländische Gesinnung ausgezeichneten Stadt nicht kalt und fremd dastehen unter Mitbürgern, welche sich wie Brüder lieben. Aber sorget nicht, Bürger von Basel, daß die ausländischen Gelehrten eurer Stadt fremd bleiben werden! Sie werden sich bald einheimisch machen, sie werden sich mit Liebe an euch schließen, und euer Wohl als ihr eigenes ansehen lernen. Ich berühre hier einen zarten Punkt, indem ich selbst Ausländer bin; ich berühre ihn aber, weil ich um so sicherer jenes Versprechen geben kann. Es ist in dieser Stadt eine Kraft der Anziehung, welche mich, sobald ich sie betrat, ergriffen hat. Der stille sichere Kreis des Lebens in diesen freien Mauern hat mich mit einer geheimen sanften Gewalt in seine Schwingungen gebannt. Es ist wahr, ich neigte mich hin in dem Gefühl der Erkenntlichkeit für das besonders ehrenvolle Zutrauen, das mich hieher gerufen hatte, wofür ich jetzt öffentlich mit

gerührtem Herzen meinen Dank ausspreche. Aber was ich liebe, liebe ich um sein selbst willen; und ich erkenne, was ich liebe. Wo so viel gute einfache Sitte, so viel Tugend und Frömmigkeit, so viel Bürgersinn und Eintracht herrscht, wo die Freiheit unter gerechten Gesetzen und gerechter Verwaltung so sicher wohnt, wo Alles Zufriedenheit athmet, und Alles sich mit Armen der Liebe und Treue umfaßt: wer könnte da sein Herz verschließen, und nicht Antheil nehmen? — Welches Glück, in diesen schönen Kreis wirkend seine Kräfte zu ergießen, das Schöne noch verschönern zu helfen, dem guten Geiste Nahrung und Schwungkraft zu verleihen! In diesem warmen fruchtbaren Boden wird jedes Saamenkorn des Guten kräftiger aufkeimen; wie in einem wohleingefriedigten und gepflegten Garten wird, was emporwächst, vor dem Zertreten gesichert und vom erstickenden Unkraut befreit seyn.

So hoch das Ziel ist, welches unserer Universität gestellt, so umfassend der Wirkungskreis, der ihr angewiesen ist, so gehört sie doch zunächst der Stadt und Landschaft Basel an. Das sollen wir nie vergessen. Wie der verständige Mensch erst sein eigenes Haus bestellt, ehe er sich um fremde Angelegenheiten bekümmert; wie man erst die eigenen Kinder versorgt haben muß, ehe man der fremden Pfleger werden will: so wollte die weise Regierung mit der erneuten Universität zuerst für die Bedürfnisse

der einheimischen Studirenden sorgen. Darum benutzte sie mit verständiger Sparsamkeit die Kräfte der bis jezt noch nicht genug bei der Universität beschäftigten philosophischen Facultät für das Pädagogium, mit dessen Wiederherstellung sie sich ein unsterbliches Verdienst erworben; versprach aber, bei dem künftigen Zuwachs der Universität auch die Zahl der Lehrer zu vermehren. So sollen auch wir die Lehrer und Verwalter der Universität vom nächsten heimischen Wirkungskreise aus, diesen mit aller Liebe und allem Eifer erfüllend, und so uns mit sichern Schritten erhebend, einen höhern und weitern suchen, und nicht ungeduldig und begehrlich ins Weite greifen. Schon hat sich unser Wirkungskreis über einen Theil der befreundeten Schweiz ausgedehnt, und wird sich gewiß noch weiter darüber ausdehnen. Die Schweizer werden nicht gleichgültig gegen eine Hochschule bleiben, die, wenn vollendet, die einzige in ihrem Gebiete seyn wird, deutsche Lehrweise und deutsches wissenschaftliches Leben mit Schweizersitte vermählend. Sie kann, sie wird, wenn auch einem einzigen Stande der Eidgenossenschaft angehörend, der Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens in deren Umfang werden, und dieß in dem Grade, als die deutsche Bildung und Art in dem von fremder Sitte und Sprache allzusehr berührten allemannischen Theile der Schweiz herrschend werden wird, wovon sich schon der erfreuliche Anfang zeigt. Und

dann wird auch Deutschland wieder seiner alten Lehrerin gedenken, und uns seine Jünglinge senden. Unser Fleiß, unsere Thätigkeit wird sie herbeiziehen, und — wir schämen uns nicht, auf diesen Nebenreiz zu rechnen — die Alpen werden sie herbeiziehen mit der zauberischen Gewalt der hohen Naturschönheit, die schon in unserer Nähe ihre sanftern Reize entfaltet und je weiter und weiter sich zur bewunderswürdigen Größe und Erhabenheit steigert. Hier an den Pforten des erhabensten Tempels der Naturschönheit in Europa, zu welchem jährlich viele Hunderte aus allen Ländern wallfahrten, um der Herrlichkeit der Schöpfung ihre Huldigung darzubringen, hier ist ein Tempel der Wissenschaft an der rechten Stelle. Mehrere berühmte Hochschulen Deutschlands zählen den Reiz ihrer Gegend mit Recht zu ihren eigenthümlichen Vorzügen; denn an der Anmuth der Natur erfrischt sich der strebende Geist, und aus der ungetrübten Ouelle der Naturschönheit schöpft ein edler Sinn die reinste Nahrung. Kommt hieher, gefühlvolle Jünglinge, in unser Thal, welches die blauen Fluthen des Rheines durchströmen, in welches die lieblichsten Nebenthäler sich öffnen, welches drei Bergketten, wetteifernd die bezauberten Blicke an sich zu ziehen, umschließen! Hier hat die Natur das Füllhorn ihres Segens ausgegossen; hier grünen die Matten, hier blühen die Fluren, hier tragen die Hügel der Trauben goldene Last;

hier ist ein Garten Gottes. — Und noch einen Vortheil bietet Basel der studirenden Jugend Deutschlands, welchen ich Eltern und Erziehern, ja selbst den Regierungen, zur Beherzigung empfehlen möchte. Seit den denkwürdigen Jahren 1813-1815 lebt in der deutschen Jugend ein Streben und eine Sehnsucht nach einer politischen Umgestaltung ihres Vaterlandes, worin die Regierungen — mit welchem Rechte, ist hier nicht der Ort zu untersuchen — eine Gefahr für ihre Sicherheit erkannt zu haben glauben. In der That mögen viele dieser Jünglinge nicht wissen, was sie wollen; es ist ein unbestimmtes schwärmendes Sehnen, was ihre Brust erfüllt; sie greifen mit ihren Wünschen in das weite Reich der Möglichkeit. Sie von dieser Krankheit zu heilen, möge man sie hieher senden. Hier ist eine Republik, und nach republikanischen Verfassungen sind wohl Manche unter ihnen lüstern. Hier mögen sie lernen, was eine Republik ist und seyn kann. Sie mögen lernen, daß Ruhe, Festhalten am Bestehenden und bedachtsames Fortschreiten vom Alten zum Neuen die einzige sichere Gewähr der republikanischen Verfassungen ist, daß nirgends weniger als hier eine stürmische Bewegung statt finden darf. Hier wird die Erfahrung den schwärmenden Blick zur Wirklichkeit zurückführen, und die allzuwarme Begeisterung abkühlen. Sie werden hier die ächten Vortheile der republikanischen Verfassung kennen lernen, aber zugleich

einsehen, daß sie sich auch einer monarchischen Verfassung mittheilen lassen, ohne diese über den Haufen zu werfen. Und —ich darf es selbst hier, vor den Häuptern und Obern des Staats, bekennen, da ich es ohne Tadel thue —sie werden auch die Mängel der republikanischen Verfassung kennen lernen. Alle menschlichen Einrichtungen sind unvollkommen, und so ist es auch die republikanische Verfassung. Wo Aller Wille sich in einen Gesammtwillen vereinigen soll, da kann es nicht anders geschehen, als daß der vorstrebende Wille der Bessern und Erleuchtetern zurück gehalten wird; und das Fortschreiten wird zwar sicherer, aber auch langsamer geschehen, als in Monarchien, wo der Wille des Oberherrn die besten Einsichten seines Volkes durch die Hülfe der Weisesten, die er an die Spitze stellt, schnell in die Gesetzgebung und Verwaltung einführen kann, wo aber auch der beschränkte und verkehrte Sinn des Herrschers in einem Menschenalter zerstören kann, was der Fleiß eines Jahrhunderts aufgebaut hat. Die vollkommenste Verfassung würde diejenige seyn, welche die Vortheile der Vielherrschaft und der Einherrschaft vereinigte; aber wann wird diese Vereinigung auf Erden möglich seyn? — Es gibt eine angeblich republikanische Gesinnung, welche nichts als ein verkappter geistiger Despotismus, die gewaltsame Ungeduld, seine Meinungen geltend zu machen, und der Uebermuth des aufstrebenden

Geistes ist: Menschen dieser Gesinnung werden hier entweder geheilt werden, oder sich bald entfernen. Der wahre republikanische Sinn ist mit der Selbstverleugnung, welche sich gern unterordnet, gepaart; die hochfahrende Eigensucht verträgt sich nicht mit der Mäßigung, welche allein die Republiken erhält. — Einen Mangel an Bürgersinn erkenne ich auch in dem geselligen Leben der Studirenden auf deutschen Universitäten: diese Sucht, sich auszuzeichnen in Kleidung und Sitte; diese Reizbarkeit gegen Alles, was beschränkt und an die Schonung fremder Rechte mahnt; diese besondere Standesehre, welche mit dem Eintritt in das Universitätsleben anfängt, und mit dem Austritt aufhört, und für welche so oft Blut fließen muß; dieser Anspruch an Vorrechte und eigenen Gerichtsstand; dieser Stolz, besser seyn zu wollen, als die übrige Gesellschaft, aus welcher man doch kommt und in welche man zurück kehrt; alles das ist das gerade Gegentheil des Republikanismus. Bei uns, deutsche Jünglinge, mögt ihr lernen, daß die Freiheit jedes Einzelnen und jedes Standes nur mit der Freiheit Aller besteht, und daß es nur Eine wahre Ehre, die Bürgerehre, gibt. Hier werdet ihr keine Vorrechte finden, aber Gesetze, welche für Alle gelten, und welchen die Häupter, wie der gemeinste Bürger, unterworfen sind, und eine milde gerechte unpartheyische Verwaltung derselben. Basels Bürger werden euch

wie ihre eignen Söhne, behandeln mit Milde und Liebe; aber auch mit unerbittlicher Strenge, wenn ihr euch gegen die Gesetze auflehnt, denn diese leiden keine Ausnahmen. Längst haben die bessern unter den deutschen Studirenden die Krankheit des sogenannten Burschenlebens anerkannt und auf Heilung gesonnen. Hier ist eine untrügliche Heilquelle; hier in der gesunden Luft der Bürgerfreiheit möge sich die junge Brust baden, läutern und stärken!

In der Hoffnung, etwas zur Vermittlung und Verständigung beizutragen, und dahin zu wirken, daß die Universität getreu ihre nächste Bestimmung als die höchste Lehranstalt Basels erfülle, daß das Streben nach einem umfassenderen Wirkungskreise sie nicht ihrer festen Grundlage enthebe, und daß die fremden Lehrer immer mehr das Zutrauen der Bürger gewinnen, habe ich, dem Wunsche der Mehrzahl meiner Amtsgenossen nachgebend, für dieses Jahr, vielleicht noch zu früh, den Vorsitz in der E. Regenz und als Rector derselben auch den ehrenvollen Sitz in löbl. Erziehungsrath eingenommen. Ich erkläre hiemit feierlich, daß ich mein Amt dem wohl erkannten Sinne der Regierung gemäß, wie derselbe in dem Organisations-Gesetze vom Jahr 1818 ausgesprochen ist, und mit aller Achtung und Schonung der Eigenthümlichkeit unserer Einrichtungen verwalten werde, und bitte, meinen aufrichtigen Gesinnungen Zutrauen zu

schenken. Meiner Unbekanntschaft mit den hiesigen Verhältnissen wird man Nachsicht angedeihen lassen, und ich werde gern zu jeder Zeit Belehrung und Zurechtweisung annehmen. Selbst dann, wenn meine Stimme, mit derjenigen der Einsichtsvollern vereint, das unleugbar Bessere fordernd, verworfen wird, werde ich meine Schranken erkennen und mich geduldig unterwerfen. Aber das Recht, welches mir mein Amt gibt, für das Wohl der Universität zu wirken, werde ich mit Freimuth und Nachdruck gebrauchen. Und jetzt an dieser Stelle, als zeitiger Rector der Universität und Mitglied des Erziehungsrathes, im Namen der Anstalt, an deren Spitze ich zu stehen die Ehre habe, fordere ich Sie, weise Häupter und Räthe, feierlich auf, das Werk der Wiederherstellung der Universtität fördersamst zu vollenden! Noch sind eine Lehrstelle der Rechte, zwei der Arzneikunde und die der Philosophie unbesetzt, und die der Geschichte ist von neuem erledigt. Jedes Halbjahr, welches unter diesen Mängeln verstreicht, ist ein Verlust für die studirende Jugend, und der ganze Unterrichtsgang ist dadurch gelähmt. Je länger man aufschiebt, desto mehr ermattet der Eifer, desto mehr gewöhnt man sich an das Mangelhafte. Seit fünf Jahre besteht das Gesetz der Wiederherstellung, und fordert seine Vollziehung. Werden hier Gesetze gegeben, ohne daß man sie vollzieht? Folgt hier die Prüfung auf den Beschluß? Der Beschluß war

nach reiflicher Prüfung gefaßt, und nun kann blos die Rede von der Ausführung seyn. Doch ich weiß, es wurde für die Besetzung dieser Stellen gearbeitet, die Umstände waren ungünstig, und es wird fortwährend dafür gearbeitet. Mögen die redlichen Bemühungen bald zum erwünschten Erfolge führen, damit die Universität in Stand gesetzt werde, ihre volle Wirksamkeit zu entfalten, und die edlen Männer, denen wie die Anregung, den weisen Rath und die kräftigen Bemühungen zu ihrer Wiederherstellung verdanken, am Abend ihres Lebens die belohnende Freude eines glücklichen Gedeihens zu gewähren.

Zu dem aber, welcher allein das Wollen und Vollbringen gibt, von welchem alle guten Gaben kommen, zum Vater des Lichts, laßt uns die Herzen erheben, und ihn um Segen und Beistand anflehen! Es ist sein Werk, um dessen Gedeihen wir bitten; es ist das Werk der Liebe zur Wahrheit, der Sehnsucht nach ihrem Lichte, dessen Strahlen nur er in die Herzen der Menschen sendet. Ja, aus ihm, dem Urquell des Lichts, kam diese Regung, dem Dienste der heiligen heiligen Wahrheit in dieser Stadt einen Tempel gründen zu wollen. Er vollende sein Werk, er fache diesen Funken zur hellen Flamme an, an, gieße das Licht aus in alle Gemüther, stärke die Hände derer, welche er berufen, an diesem Tempel zu arbeiten! Er sende uns tüchtige Gehülfen zu der wichtigen Wirksamkeit,

zu welcher er uns bestellt hat, und verleihe uns selbst und allen Lehrern dieser Stadt Kraft und guten Willen, unserer heiligen Pflicht zu genügen! Er gebe der Jugend, welche unserer Pflege anvertrauet ist, einen empfänglichen lebendigen Geist, die Lehren der Weisheit zu fassen und zu behalten, und streue den Saamen seines heiligen Geistes in ihre reinen Gemüther! Er segne diese Stadt an deren Wohl das Gedeihen ihrer Schulen geknüpft ist! Er erleuchte und stärke die Herzen ihrer Obern, und segne deren Rathschläge und Werke! Er erhalte und mehre den Geist der Gerechtigkeit und Eintracht unter ihren Bürgern, bewahre ihr diesen glücklichen Frieden, und lasse sie sicher bestehen im starken Bunde der Eidgenossenschaft, welche wir seinem gnädigen Schutze befehlen.