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Die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten.

D. Eberhard Vischer,
Professor der Theologie.
Tübingen
Verlag von .J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) 1913.

Rede, gehalten am Jahresfest der Universität Basel
den 15. November 1912 vom Rektor.
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von H. Laupp jr in Tübingen.

Herrn D. Johannes Hauri,
Pfarrer der evangelischen Kurgemeinde in Davos.
Lieber Freund!

Ich habe gezögert, ehe ich Deinen Namen auf diese Seite schrieb, und nicht bloß deshalb, weil ich Dir gerne mit einem umfangreichern Werke als dieser kleinen Broschüre meinen Dank ausgesprochen hätte. Ich habe mich gefragt, ob ich Dir durch diese Widmung Gedanken zueignen dürfe, an denen manche Anstoß nehmen werden, und von denen ich nicht weiß, ob und wieweit Du ihnen beistimmst. Ich habe es dennoch getan, weil Du mir die Leser und Kritiker verkörperst, die ich dem Heftchen wünsche, Leute, denen die für die Wissenschaft geltenden Gesetze und die Bedürfnisse des praktischen Amtes in gleicher Weise vertraut und wichtig sind.

Basel, den 2. Dezember 1912. Eberhard Vischer.

Hochansehnliche Versammlung!

Wer sich über das Wesen unserer heutigen Universitäten Rechenschaft gibt, kann sich nicht verbergen, daß sie wie so manches, das allmählich im Laufe der Geschichte geworden und gewachsen ist, außerordentlich komplizierte Gebilde sind, innerhalb deren sich sehr verschiedene, einander widerstrebende Tendenzen geltend machen. So ist ihnen vor allem insofern eine doppelte Aufgabe gestellt, als sie einerseits an der Förderung der Wissenschaft zu arbeiten, andererseits solchen, die sich für einen bestimmten praktischen Beruf vorbereiten, die nötigen Kenntnisse zu übermitteln haben. Sie sind somit zugleich Akademien, wenn wir darunter gelehrte Körperschaften verstehen, die sich ohne Rücksicht auf die praktischen Konsequenzen der gewonnenen Resultate um die Vermehrung des Wissens und der wissenschaftlichen Erkenntnis bemühen, und Fachschulen, in denen die künftigen Pfarrer, Richter, Aerzte, Lehrer und Beamten aller Art ausgebildet werden.

Man pflegt in der dadurch hergestellten Verbindung von Theorie und Praxis, die vor allem für die Universitäten deutscher Zunge charakteristisch ist, einen ganz besondern Vorzug zu erblicken. Und ein Vorteil liegt zweifellos darin, daß durch den fortwährenden Kontakt

mit den Forderungen des Lebens die Wissenschaft immer wieder genötigt wird, sich über die Folgen ihrer Ergebnisse Rechenschaft zu geben und die Haltbarkeit ihrer Theorien an den harten Tatsachen, auf die der Handelnde stößt, zu erproben. Es läßt sich jedoch nicht übersehen, daß die Verbindung von zwei nicht ohne weiteres zusammenfallenden Aufgaben die damit Betrauten vor Schwierigkeiten stellt, die nicht kurzerhand beiseite geschoben werden können.

Ich habe nicht die Tatsache im Auge, daß der akademische Lehrer dadurch genötigt wird, seine Forscherarbeit immer aufs neue zu unterbrechen, um Anfänger in ein, vielleicht schon unzählige Male von ihm behandeltes Gebiet einzuführen. Die dadurch verursachte und wohl von den meisten schon schmerzlich empfundene Störung wird in der Regel aufgewogen durch die Anregung, die der Verkehr mit jungen, für wissenschaftliche Arbeit begeisterten, aus frischen Augen den Stoff betrachtenden Leuten dem Lehrer bringt. Und gewiß die wenigsten unter den akademischen Dozenten möchten sie missen. Allerdings darf, ja muß in Anbetracht der doppelten Aufgabe, die ihnen gestellt ist, gefordert werden, daß die ihnen auferlegte Lehrverpflichtung bestimmte Grenzen nicht überschreite. Ich denke aber auch nicht daran, daß unter den heute bestehenden Verhältnissen zuweilen ausgezeichnete Forscher mit einem Lehramte betraut werden müssen, trotzdem sie sich dazu in keiner Weise eignen, und so zu einer Tätigkeit gezwungen werden, die weder in ihrem eigenen noch ihrer Schüler Interesse noch in dem der Wissenschaft liegt. Hier handelt es sich um Ausnahmen, die in der Eigenart bestimmter

Personen begründet sind. Dem dadurch hervorgerufenen Uebelstande läßt sich abhelfen, indem solchen Gelehrten die Möglichkeit geboten wird, sich der wissenschaftlichen Arbeit ungestört zu widmen, ohne daß man sie dem Lehrkörper einer Universität eingliedert. Und wenigstens in größern Staaten wird es nicht an Einrichtungen fehlen, die den Behörden gestatten, von diesem Mittel Gebrauch zu machen.

Die gegenwärtige Beschaffenheit der Universitäten und die Verschiedenheit der Anforderungen, die an sie gestellt werden, führen jedoch zu Schwierigkeiten, die nicht bloß in den zufälligen Eigenschaften der Personen, sondern in der Sache selber ihren Grund haben und deshalb der Frage rufen, ob nicht die Entwicklung der Hochschulen noch weiter vorwärts dränge; denn ein Blick in die Vergangenheit zeigt, daß die jetzige Gestalt der Universitäten keineswegs eine von Anfang an klar ins Auge gefaßte Idee verwirklicht, vielmehr das Ergebnis einer langen, an wechselnden Schicksalen reichen Geschichte ist. So ist die Frage wohl berechtigt, welchen Verlauf die weitere Entwicklung voraussichtlich nehmen werde.

Eine sichere Antwort wird freilich kein Mensch zu geben sich unterwinden, der sich nicht Prophetengabe zuschreibt. Noch viel weniger läßt sich sagen, wie bald die bestehenden Verhältnisse wesentlich neuen Platz machen werden. Von jeher haben sich gerade auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichtes Reformen als besonders schwierig erwiesen. Und eine Umgestaltung der Universitäten wird auf um so größere Hindernisse stoßen, als der bestehende Zustand nicht nur durch

alte, ruhmreiche Ueberlieferungen verklärt wird, sondern auch mit den verschiedenartigsten Interessen weiter Kreise und mächtiger Institutionen aufs engste verknüpft ist. Auch werden die Probleme, die die gegenwärtige Gestalt der Universitäten in sich birgt, gerade in der Gegenwart von der großen Mehrzahl der Beteiligten, soviel ich sehe, kaum, jedenfalls nicht als drückende Last empfunden. Während vor etwas mehr als einem Jahrhundert die Zukunft, ja das Existenzrecht der Hochschulen Gegenstand lebhafter Diskussion war, und zum Teil durch den Plan einer neuen, in Berlin zu errichtenden Universität veranlaßt, die bedeutendsten Vertreter der damaligen wissenschaftlichen Welt ihre Gedanken über das Wesen einer Universität entwickelten und zur Verwirklichung ihrer Ideale Vorschläge machten, die in die bestehenden Verhältnisse tief eingriffen 1), lassen sich zwar auch in der Gegenwart zuweilen Stimmen hören, die auf Mißstände in der gegenwärtigen Einrichtung der Universitäten hinweisen. Aber eine brennende Frage ist die einer Neugestaltung augenblicklich nicht.

Um so eher läßt sie sich heute behandeln, ohne daß die Erregung, die sich im Laufe heftiger Kämpfe für oder gegen bestehende Institutionen unvermeidlich einstellt, den unbefangenen Blick trübt. Und wenn sich zeigen sollte, daß in dem gegenwärtigen Zustande Widersprüche enthalten sind, die nach einer Lösung streben,

so kann die vorhandene Spannung rascher, als es zunächst den Anschein hat, zu einer Krisis führen. Schon jetzt fehlt es auch nicht an Mahnungen für die in erster Linie Beteiligten, sich auf den Augenblick zu rüsten, wo die Frage nach einer eingreifenden Neuordnung der Universitäten wieder aktuell wird.

Wenn ich sie in dieser Stunde vor allem im Blick auf die Fakultät behandle, der ich selber anzugehören die Freude habe, und über die Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten spreche, so geschieht es nicht in der allerdings weitverbreiteten Meinung, daß sie sich in einer einzigartigen Lage befänden. Nur hei oberflächlicher Betrachtung kann dieser Schein entstehen, während bei tieferem Eingehen sich sofort zeigt, daß wir es nur mit der besonderen Form eines Problems zu tun haben, das die bisherige Entwicklung der Universitäten auch den übrigen Fakultäten stellt. ____________

Aus ursprünglich freien Vereinigungen von Lehrern und Schülern, innerhalb deren man die überlieferten Lehren dialektisch zergliedert hatte und die Widersprüche zwischen den verschiedenen Autoritäten aufzulösen bestrebt gewesen war, hatten sich die Universitäten, vor allem unter dem Einflusse der Reformation, in territoriale Lehranstalten umgewandelt mit der Zweckbestimmung, Kirche und Staat die Beamten auszubilden, deren diese für ihre Aufgaben bedurften. Sie konnten dies um so leichter werden, ohne ihren bisherigen Charakter allzusehr zu verlieren, als sie schon bisher in enger Verbindung mit der Kirche gestanden und keine freie Forschung im

heutigen Sinne gekannt, vielmehr als ihre Aufgabe betrachtet hatten, eine Erkenntnis zu übermitteln und immer besser zu durchdringen und zu begründen, die von der Kirche anerkannt und mit ihrer Autorität gedeckt wurde. So blieben die Universitäten auch jetzt in der Hauptsache, was sie gewesen waren, nur mit dem allerdings sehr bedeutsamen Unterschiede, daß an die Stelle der einen universalen Kirche die einzelnen Landeskirchen traten, und das Verhältnis zum Staate, auf dessen Gebiete sie lagen, ein viel engeres war als bisher. Von welcher weittragenden Bedeutung diese Abhängigkeit vom Staate war, trat erst deutlich zutage, als im Laufe des 18. Jahrhunderts auch an den Universitäten eine neue Auffassung der Wissenschaft zur Herrschaft kam und immer mehr auch den bisherigen Lehrbetrieb, der sich bald wieder fast vollständig in scholastischen Bahnen bewegt hatte, umzugestalten begann. Hatte bisher die wissenschaftliche Aufgabe im wesentlichen darin bestanden, ein überliefertes Wissen weiterzugeben, nachdem man es geordnet und den Forderungen der Gegenwart angepaßt hatte, so erwachte nun der Zweifel an dem Rechte der Lehren, die bisher auf den verschiedenen Lebensgebieten unbedingte Herrschaft beansprucht hatten. Eine immer tiefer eindringende Kritik richtete sich gegen alles, was bisher als unbedingte Wahrheit gegolten hatte. Was vor der Prüfung durch Vernunft und Erfahrung nicht bestand, verlor sein Recht auf Geltung, mochte es ein noch so altes, ehrwürdiges Herkommen für sich haben. Und vor allem in der philosophischen Fakultät, die in frühern Zeiten die Vorschule für die drei höhern Fakultäten gewesen war, wurde nun mit Energie

die Aufgabe in Angriff genommen, die bisherigen Grundlagen der Erkenntnis ohne jede Rücksicht auf die herrschende Ueberlieferung einer genauen Untersuchung zu unterwerfen und auf einem neuen, haltbaren Fundamente ein umfassendes Bild der gesamten Wirklichkeit aufzubauen.

Je mehr aber so an die Stelle der Tradition und der Autorität die autonome Vernunft und die durch das Experiment immer aufs neue kontrollierte Erfahrung trat, als desto unerträglicher mußten alle Schranken empfunden werden, die die überall hin vordringende Forschung hemmten und sie an von vornherein festgesetzte Resultate zu binden suchten. Als wertvollstes und wichtigstes Stück der allzeit gepriesenen akademischen Freiheit, die doch in früheren Zeiten in der Hauptsache nur die Freiheit, sich selber zu verwalten und sich gewissen bürgerlichen Pflichten zu entziehen, gewesen war, mußte nun die Lehrfreiheit erscheinen. Es war undenkbar, daß die Universitäten, an denen die neue Auffassung der Wissenschaft heimisch geworden war, in der bisher bestehenden engen Verbindung mit den konfessionell gebundenen Kirchen blieben. Und während früher von allen Lehrern ohne Ausnahme Zustimmung zu dem Bekenntnis der Landeskirche verlangt worden war, wurden nun nicht nur die Glieder der nichttheologischen Fakultäten allmählich von der Verpflichtung, sich nicht in Widerspruch zur geltenden Kirchenlehre zu setzen, befreit, sondern auch das Verhältnis der ersten Fakultät zur Kirche des Landes immer loser gestaltet.

Der Fortschritt in der allmählichen Entkirchlichung der Universitäten hing freilich davon ab, welche Stellung

der Staat zur Kirche einnahm; denn nun zeigte sich die Bedeutung der Abhängigkeit vom Staate, in die die Universitäten geraten waren, indem dieser bald in seinen Hochschulen nützliche Helfer bei seinen Bemühungen für Aufklärung und Bildung erblickte, bald Resultate ihrer Forschung, die seinen Interessen zu widersprechen schienen, bekämpfte und zu unterdrücken beflissen war. Und je entschiedener die Lösung der Universitäten von den Kirchen durchgeführt worden war, desto wichtiger wurde nun die Frage nach ihrem Verhältnisse zu dem sie immer mehr unterstützenden Staate, der sich ihrer bediente und bedient, um den in seinem Bereiche wirkenden Pfarrern, Richtern, Beamten, Aerzten und Lehrern die für notwendig erachtete Ausrüstung zu geben. Wir sehen, wie nun zwei einander entgegengesetzte Auffassungen sich geltend machen, wie bald mit Nachdruck die Forderung erhoben wird, daß die Universitäten und ihr Unterricht immer mehr diesem praktischen Ziele angepaßt werden, bald mit nicht geringerer Entschiedenheit auf ihren viel umfassenderen Beruf hingewiesen wird, Heimstätten der freien, durch nichts, auch keinen praktischen Zweck gebundenen Forschung zu sein, die kein anderes Ziel kennen als die gesamte Wirklichkeit zu erforschen und ein immer deutlicheres und zutreffenderes Bild von ihr zu gewinnen.

Zu dieser im Fluge skizzierten Geschichte der Universitäten 2) verhält sich die der theologischen Fakultäten

wie ein Ausschnitt, der ohne einen Blick auf das Ganze, dem er angehört, nicht richtig verstanden werden kann. Der Gang, den ihre Entwicklung innerhalb des Organismus, dessen Teil sie sind, genommen hat, spiegelt sich in der Geschichte ihrer Lehrstühle wider 3). Entsprechend der bei der kirchlichen Reformation des 16. Jahrhunderts herrschenden Absicht, über die Tradition hinweg zu den Quellen zurückzukehren und den als notwendig erachteten Neubau auf der Grundlage der Bibel aufzurichten, schien es zunächst ausreichend, die Fakultäten mit Professuren für das Alte und Neue Testament zu versehen. Die Notwendigkeit, den eigenen Standpunkt gegen die nach dem Tridentinum und der Gegenreformation neubefestigte römische Kirche und die durch kleinere Abweichungen getrennten protestantischen Kirchen und Gemeinschaften zu verteidigen, führte zur Angliederung einer weitern Professur, die ausschließlich dieser Aufgabe dienen sollte. Und es ist charakteristisch, daß ihr Inhaber z. B. hier in Basel bis ins 19. Jahrhundert den Titel Professor locorum communium et controversiarum führte. Ein Zeichen einer Veränderung in der Auffassung der wissenschaftlichen Aufgaben war es, daß das Bedürfnis nach einem besondern Lehrstuhl für Kirchengeschichte erwachte und seine Erfüllung fand. Wurde auch die Kirchengeschichte noch lange in den Dienst der Apologetik und der Polemik gestellt, so war doch durch die Abgrenzung der Historie als eines besondern

Faches der Weg zu einer Geschichtsbetrachtung eröffnet, welche die Entwicklung der Kirche, ihrer Einrichtungen und der in ihr herrschenden Vorstellungen und Lehren, zunächst einmal rein aus Interesse für sie selbst zu erforschen und darzustellen unternimmt und nicht lediglich in der Absicht, Stützen für eine bestimmte Auffassung zu gewinnen. Auch die Gründung besonderer Lehrstühle für praktische Theologie war ein Zeichen, daß sich die Auffassung der wissenschaftlichen Aufgaben und damit auch das Verhältnis von Theorie und Praxis zu ändern begann. War es ursprünglich Aufgabe der Professoren insgesamt gewesen, den heiligen Urkunden, in denen die Kirche ihre Grundlage sah, den Stoff zu entnehmen und darzubieten, den die künftigen Pfarrer in der Predigt und dem Unterricht dem christlichen Volke zur Erbauung und Befestigung im wahren Glauben übermitteln sollten, so erschien es nun bereits notwendig, eine besondere Professur zu errichten, die gleichsam die Brücke zu bilden hatte zwischen der Forschung und der Anwendung der gewonnenen Resultate, zwischen der wissenschaftlichen Betrachtung des Christentums und seiner Verkündigung, und den Studierenden helfen sollte, den Uebergang von der einen zur andern zu finden.

Bei diesen fünf Professuren ist es bis in die neuere Zeit geblieben, mochten auch, besonders an größeren Universitäten, einzelne verdoppelt oder die ihr zugewiesenen Disziplinen unter mehrere Vertreter verteilt werden. Erst in der Gegenwart ist einzelnen Fakultäten ein besonderer Lehrstuhl für Religionsgeschichte oder Religionsphilosophie angegliedert worden. Hierin kommt erst recht zum Ausdruck, wie sich die den theologischen

Fakultäten zufallende wissenschaftliche Aufgabe allmählich nicht nur erweitert, sondern gänzlich geändert hat; denn die äußere Umgestaltung ist nur die Folge der viel größern innern Wandlung, die darin besteht, daß auch innerhalb der Theologie an die Stelle eines überlieferten Stoffes, der verteidigt, bearbeitet und weitergegeben wird, die freie Forschung getreten ist, die kein anderes Ziel kennt als das, immer tiefer in die Wirklichkeit einzudringen, und sich in diesem Streben vor keiner herrschenden Meinung und geltenden Autorität irgend welche Schranken setzen lassen darf. War die Theologie früher Apologetik und Polemik, so ist sie heute die Wissenschaft von der Religion, die Wissenschaft, die diese gewaltigste und einflußreichste Erscheinung innerhalb des menschlichen Geisteslebens in ihren unendlich mannigfaltigen Formen mit allen ihren vielverzweigten Wirkungen verfolgt und über ihr Wesen und ihre Stellung innerhalb der gesamten Wirklichkeit sich klar zu werden sucht. So bemühen sich die Inhaber der Lehrstühle für das Alte und das Neue Testament, als deren Aufgabe es früher betrachtet wurde, die reine, durch die Reformatoren wieder hergestellte Lehre aus. den heiligen Büchern zu erheben und mit den nötigen Belegen zu versehen, heute, die zum jüdischen und christlichen Kanon vereinigten Schriften als Quellen der israelitisch-jüdischen und urchristlichen Geschichte zu verstehen, und folgen dabei keiner andern Methode als der, welcher sich in der Gegenwart jeder wissenschaftlich geschulte Philologe oder Historiker bedient. War die Kirchengeschichte früher in der Hand des Theologen ein wertvolles Kampfmittel, mit dem er für das Recht

des eigenen Standpunktes stritt, so trennt heute die Vertreter der Geschichte in den verschiedenen Fakultäten nur eine verschiedene Abgrenzung der Gebiete, die sie zum Gegenstand ihrer Forschung machen. Auch der Kirchenhistoriker jedoch weiß von keinem andern Wege zur Feststellung dessen, was Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben kann, als dem, auf den sich jeder Geschichtsforscher gewiesen sieht, und von keiner andern Aufgabe als der, zu erkennen und zu zeigen, wie es gewesen ist. Ebenso hat aber auch die systematische Theologie infolge der gänzlichen Umgestaltung dessen, was wir unter Wissenschaft und dem ihr Möglichen und Erreichbaren verstehen, ihren Charakter gewandelt. Sie unternimmt nicht mehr wie einst, aus überlieferten Sätzen, die als übernatürliche Wahrheit gelten, ein System zusammenzustellen, das Anspruch auf unbedingte Unterwerfung erhebt. Indem sie Wesen und Inhalt der Religion und zwar ganz besonders der christlichen zu erfassen und die Bedeutung zum Ausdruck zu bringen sucht, die ihr als einem durch ganz bestimmte Merkmale ausgezeichneten Lebensgebiete zukommt bei dem Bestreben, eine Welt- und Lebensanschauung zu gewinnen, geht sie aus von dem, was der Fromme erlebt und erfährt. Und indem sie nach den Mitteln sucht, die sie in den Stand setzen, die Tatsachen möglichst exakt zu beobachten und möglichst zutreffend wiederzugeben und sich vor Irrtümern und Täuschungen nach Möglichkeit zu schützen, bleibt sie in enger Fühlung mit der philosophischen Arbeit ihrer Zeit.

Daß zwischen den Vertretern der verschiedenen theologischen Disziplinen, sowohl was die angewandten

Methoden als die gewonnenen Resultate betrifft, trotzdem immer noch große Unterschiede bestehen, schließt das Gesagte nicht aus. Es fehlt auch nicht an Versuchen, zwischen der unserer Zeit selbstverständlichen Auffassung der Wissenschaft und der früher herrschenden zu vermitteln. Auf der Deutlichkeit, mit der der Unterschied zwischen beiden erkannt, und der Entschiedenheit, mit der aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen gezogen werden, beruhen im wesentlichen die verschiedenen Richtungen innerhalb der Theologie, von denen oft so viel Aufhebens gemacht wird. Aber so wenig bestritten werden soll, daß es neben geringfügigen Fragen auch solche von der größten Wichtigkeit sind, bei deren Beantwortung sie auseinandergehen, so deutlich ergibt sich doch für den, der sich durch den Lärm der Parteien nicht irre machen läßt und über der eigenen Stellungnahme den Blick für das Ganze nicht verloren hat, daß die protestantische Theologie insgesamt, indem sie Wissenschaft im modernen Sinne geworden ist, eine Umgestaltung erlitten hat, die sie weit weggeführt hat von dem, was sie einst gewesen ist. Und wenn sich angesichts dessen, was heute den Studenten der Theologie auf den Universitäten geboten und zugemutet wird, die Frage nach der Zweckmäßigkeit der bisher bestehenden engen Verbindung oder Gleichsetzung von Theologiestudium und Vorbereitung auf das Pfarramt erhebt, so ist diese Frage, soweit sie berechtigt ist, viel weniger in den für manche unerträglichen Resultaten begründet, zu denen einzelne Forscher kommen, als vielmehr darin, wie die Aufgabe der Theologie heute verstanden, wie die

Theologie heute gelehrt wird: darin, daß auch sie Wissenschaft im modernen Sinne geworden ist.

Zum Wesen der Wissenschaft gehört, daß sie niemals fertig, niemals am Ziele, sondern stets im Flusse, stets auf dem Wege nach einem Ziele ist, das immer wieder weiter hinausrückt, wenn man ihm ein Stück näher gekommen ist. Echte Wissenschaft ist nicht nur unausgesetzt bemüht, dem von ihr errichteten Gebäude immer neue Stockwerke zuzufügen, es nach allen Richtungen auszubauen und den neuen Forderungen und Ergebnissen anzupassen. Sie muß auch immer aufs neue bereit sein, die Grundlagen zu prüfen, auf denen sie ihren Bau errichtet hat, und sie preiszugeben, wenn sie sich als nicht haltbar erweisen. Und wenn sie gewiß auch ihre Grenzen hat an festen Tatsachen, die sie nicht hervorgebracht hat, sondern vorfindet, und die sie wohl deuten aber nicht bestreiten kann, so darf sie sich doch nicht an unabänderliche Meinungen und Sätze über diese Tatsachen binden. Sie muß bei der Lösung der Probleme, die ihr gestellt sind, mit verschiedenen Möglichkeiten rechnen und darf auch vor den kühnsten Fragestellungen nicht zurückschrecken. So ist begreiflich, daß, wer der wissenschaftlichen Arbeit nur von ferne zuschaut oder sich als Lehrling an ihr zu beteiligen unternimmt, zuerst das Gefühl hat, auf einem uferlosen Meere zu treiben, wo alles fließt, und nirgends festes Land winkt. Und es ist keineswegs verwunderlich, wenn einzelnen über der Fülle von Problemen, vor die sie sich mit einem Male gestellt sehen, der Mut entfällt, auf einem Gebiete praktisch zu arbeiten, wo ihnen alles unsicher zu sein scheint, wenn also in unserm Falle ein

junger Mann, der mit dem Wunsch, als Pfarrer in den Dienst der Kirche zu treten, seine theologischen Studien begonnen hat, nach einigen an der Universität verbrachten Semestern die Lust, seinen Vorsatz zu verwirklichen, verliert, und wenn nun auf Grund solcher Vorkommnisse der Vorwurf gegen die Fakultäten erhoben wird, daß sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.

Wer diesen Vorwurf, ohne sich durch den Lärm der Kampfrufe, die von rechts und links ertönen, irre machen zu lassen, ruhig und gerecht prüft, wird ihn nicht ohne weiteres mit Entrüstung von sich weisen, vielmehr zugeben, daß in der doppelten Aufgabe, die auch den theologischen Fakultäten wie der Universität insgesamt gestellt ist, Schwierigkeiten enthalten sind, die zu überwinden nicht immer leicht fällt. Er wird aber auch entgegen der weitverbreiteten Meinung darauf hinweisen müssen, daß diese Schwierigkeiten nicht in den Personen, sondern in der Sache begründet sind.

Wohl ist es selbstverständlich, daß auch unter den theologischen Professoren sich einzelne finden werden, die den berechtigten Anforderungen nicht genügen, denen es entweder an den Fähigkeiten oder an dem Willen fehlt, der doppelten Aufgabe, die ihr Amt ihnen stellt, gerecht zu werden, oder auch an beidem. Der großen Mehrzahl wird ein gerechter, nicht von Parteigeist verblendeter und wirklich mit den Verhältnissen vertrauter Beurteiler das Zeugnis geben müssen, daß sie mit Eifer und Freude bestrebt sind, die in ihre Schule tretenden jungen Leute sowohl in die streng wissenschaftliche Erforschung und Betrachtung der Religion einzuführen als auch für ihren künftigen Beruf vorzubereiten und ihnen

nicht nur die dazu nötigen Kenntnisse zu übermitteln, sondern auch Lust und Mut zu dieser wichtigen Arbeit zu erhalten und zu stärken. Und zahlreiche Pfarrer zu Stadt und Land werden gerne bestätigen, daß es diesem Bestreben auch an Erfolg nicht fehlt.

Aber gerade den gewissenhaften Dozenten, der von der Wichtigkeit beider Aufgaben, die sein Amt ihm stellt, durchdrungen ist, wird oft die Schwierigkeit, beiden und womöglich zu gleicher Zeit gerecht zu werden, bedrücken. Es war gewiß reichlich paradox ausgedrückt, wenn ein Professor der Theologie vor Jahren erklärte, unsere Aufgabe bestehe in erster Linie in dem Berufe, Seelen zu gefährden 4). Aber ebenso mißverständlich ist es, wenn man es als die Aufgabe des theologischen Universitätslehrers bezeichnet, seine Zuhörer zu erbauen oder zu begeistern. Als Lehrer der Wissenschaft muß der Professor immer wieder die Ueberlieferung, sei sie noch so alt und ehrwürdig, zum Gegenstand seiner kritischen Untersuchung machen. Er muß Ansichten und Lehrsätze preisgeben, die vielen teuer sind, sobald er sie als unhaltbar erkannt hat. Ja er muß das Relative aller Vorstellungen und Einrichtungen nachweisen, auch derer, die sich auf das Verhältnis des Menschen zu Gott beziehen. Indem er das tut, wird er sehr oft bei aller Vorsicht und dem Bestreben, der Fassungskraft seiner Schüler Rechnung zu tragen, die Veranlassung sein, daß manche unter seinen Hörern in schwere innere Kämpfe geraten und das Opfer von Zweifeln werden, die sie vielleicht nicht mehr zu überwinden vermögen. Umgekehrt müßte einer von einer eigentümlichen Geistesbeschaffenheit

sein, um sich sein Leben lang eindringend mit der Religion beschäftigen zu können, ohne von der Größe seines Gegenstandes ergriffen zu sein. Ein Lehrer aber, der gepackt und begeistert von der Bedeutung dessen, was er erforscht, was er gefunden hat, vor seine Hörer tritt, wird ganz von selber auch bei diesen Begeisterung erwecken. Die Forderung jedoch, daß der Universitätslehrer die Erbauung und Begeisterung als das unmittelbar zu erstrebende Ziel zu betrachten habe, müßte, wenn ihr nachgelebt würde, dazu führen, daß die eine der Aufgaben, die ihm übertragen ist, zum Schaden gerade auch der Kirche und ihrer Pfarrer ungelöst bliebe. Diese Aufgabe aber ist, die Religion in ihren mannigfachen Erscheinungsformen einer wissenschaftlichen Betrachtung zu unterwerfen, zunächst einmal ohne jede Rücksicht auf das, was dabei herauskommt, diesen Teil der Wirklichkeit so zu erkennen und darzustellen, wie er sich einer möglichst unbefangenen Beobachtung offenbart, und die gewonnenen Resultate mit denen der andern Wissenschaften zu einem Gesamtbilde zu vereinigen. In dieser Arbeit dürfen sich die Vertreter der Theologie nicht irre machen lassen in der Gewißheit, daß sie von jemand getan werden muß. Und wenn sich wirklich zeigen sollte, daß derart arbeitende Fakultäten nicht die Anstalten sind, deren die Kirche für die Ausbildung ihrer Pfarrer bedarf, so müßte die Abhilfe auf einem andern Wege gesucht werden als auf dem, daß man den theologischen Fakultäten ihren wissenschaftlichen Charakter nimmt. Eine Beeinträchtigung ihres wissenschaftlichen Charakters aber wäre es, wollte man ihre Arbeit in irgend welcher Weise an bestimmte

Resultate binden in der Ueberzeugung, daß diese nicht preisgegeben werden dürfen.

Es ist zwar sehr begreiflich, daß man im Wunsche, der Kirche ihren Charakter zu wahren und wertvolle geistige Güter vor Verschleuderung zu schützen, es mancherorts — wenn auch nicht bei uns — für unerläßlich hält, die Mitglieder der theologischen Fakultäten an bestimmte Bekenntnisse zu binden, und dadurch solche Lehrer fern zu halten sucht, die mit dem Glauben der Gemeinschaft, deren Pfarrer sie ausbilden sollen, vollständig zerfallen sind. Je mehr jemand an der theologischen Arbeit nicht bloß mit dem Kopfe sondern mit dem Herzen beteiligt ist, und es sich für ihn nicht bloß um interessante wissenschaftliche Probleme, sondern um Lebensfragen handelt, desto weniger kann es ihm gleichgültig sein, wenn andere zu ganz andern Ergebnissen gelangen als zu denen, die ihm als richtig erscheinen, desto mehr muß er der studierenden Jugend Lehrer wünschen, die wenigstens in der Hauptsache mit ihm denselben Weg gehen. Es ist deshalb trotz allen unerfreulichen Begleiterscheinungen ein gutes Zeichen, daß gerade an der Besetzung der theologischen Lehrstühle weite Kreise lebhaften Anteil nehmen, und oft zwischen den einzelnen kirchlichen Richtungen ein heftiger Kampf darum entbrennt. Aber gerade wer wirklich von der Ueberlegenheit einer bestimmten Theologie, wer davon überzeugt ist, daß die von ihr gefundenen Resultate wahr und die von ihr bekämpften falsch sind, sollte in der. Gewißheit, daß die Wahrheit ganz von selber immer wieder über Irrtum und Trug den Sieg davontragen muß, ein für allemal darauf verzichten, die theologische Arbeit

von vornherein an bestimmte Ergebnisse zu binden und Formen, in denen frühere Geschlechter ihre religiösen Ueberzeugungen ausgedrückt haben, als Schranken aufzurichten. Gegen einen solchen Versuch, Nachteile zü vermeiden, die bei vollständiger Lehrfreiheit sich einstellen können, muß protestieren sowohl wer über das Wesen der Wissenschaft, wie der, welcher über das, was der Kirche frommt, nachgedacht hat. Es ist ohne weiteres klar, daß nur da von wirklicher Wissenschaft im heutigen Sinne die Rede sein kann, wo die Forschung nicht von vornherein an gewisse Meinungen gebunden ist. Eine Wissenschaft, die sich nicht frei bewegen kann, der das Ziel, zu dem sie gelangen muß, von vornherein gesteckt ist, hat kein Recht auf diesen Namen. Deshalb ist es nicht bloß eine Ehrensache, sondern eine Lebensfrage für die Lehrer der Theologie, daß sie überall da, wo man sie an irgend welche Schranken zu binden versuchen sollte, sich ihrer entschieden erwehren. In diesem Bestreben sollten die Vertreter der einzelnen Richtungen, so verschieden auch die Resultate sein mögen, zu denen ihre Arbeit führt, eins sein. Und gerade auch wem das Wohl der Kirchen am Herzen liegt, sollte in deren Interesse für absolut freie theologische Fakultäten eintreten. Nur eine durchaus freie Theologie kann der Kirche wertvolle Dienste leisten. Nur eine Theologie, die wie die evangelisch-protestantische immer aufs neue das Menschlich-Bedingte, Geschichtlich-Gewordene auch der kirchlichen Formen, der Bekenntnisse, Ueberlieferungen, Einrichtungen usw. nachweisen darf, ohne an bestimmten Punkten Halt machen zu müssen, kann die Kirchen vor der ihnen nahe liegenden Gefahr bewahren,

die Schalen für den Kern anzusehen und die Religion mit dem Fürwahrhalten bestimmter Sätze, mit dem Vertrauen auf bestimmte Institutionen und der Beobachtung bestimmter Riten zu verwechseln. Nur eine durchaus freie Theologie ist aber auch wirklich imstande, eindrucksvoll die Eigenart des religiösen Lebens und seine Bedeutung innerhalb des geistigen Lebens der Menschheit nachzuweisen und ins Licht zu setzen. Nur sie kann auch mit Erfolg jener dilettantischen Behandlung der religiösen Fragen entgegentreten, die desto größern Eindruck auf die große Menge zu machen geeignet ist, je mehr noch mit einem Schein von Recht die Meinung bestehen kann, daß die Gelehrten, welche der Erforschung der Religion und ihrer Geschichte von Berufswegen obliegen, irgendwie an bestimmte Meinungen gebunden seien.

Sollte eine Aenderung in dem bestehenden Verhältnisse der Fakultäten zu den Kirchen eintreten, so dürfte sich deshalb gerade im Interesse der Kirchen selber die Entwicklung nur in der Richtung vollziehen, daß noch entschiedener als jetzt alles vermieden würde, was wenigstens den Schein erwecken könnte, als ob die wissenschaftliche Arbeit der Fakultäten durch Rücksichten auf die Bedürfnisse der Kirchen gehemmt oder beeinträchtigt werde.

Je entschiedener nun aber gerade auch vom Standpunkte der Kirchen aus die Möglichkeit verneint werden muß, die bisherige Entwicklung der theologischen Fakultäten wieder rückgängig zu machen und ihnen den Charakter freier Forschungsstätten irgendwie zu schmälern, desto berechtigter wird die Frage, ob ihnen trotzdem

auch in Zukunft wie bisher die Ausbildung der Pfarrer ganz oder doch in der Hauptsache überlassen werden könne. Diese Frage erhält dadurch ein noch größeres Gewicht, daß nicht nur die Theologie etwas anderes geworden ist, als sie früher war, sondern daß auch an den Pfarrer als Prediger, Lehrer, Seelsorger, Führer und Mitarbeiter auf allen möglichen Gebieten menschlichen Strebens andere und, in gewissem Sinne wenigstens, größere Anforderungen gerichtet werden als früher. Mag die Stellung, die der Pfarrer in der Gegenwart innerhalb der Gesellschaft einnimmt, viel umstrittener sein als in frühern Zeiten. Weniger wichtig ist sie darum nicht. Aber gerade weil sich der Platz, den er behauptet, nicht ohne weiteres aus der Autorität ergibt, die das Amt verleiht, sondern aus der persönlichen Tüchtigkeit und Wirksamkeit des Trägers, so ist es um so wichtiger, daß er zur Lösung der schwierigen Aufgaben, die seiner warten, möglichst gut ausgerüstet wird. Und es ist erklärlich, daß im Hinblick auf die vielgestaltige Tätigkeit, die dem Pfarrer in den meisten heutigen Gemeinden obliegt, über die Unzweckmäßigkeit des theologischen Studiums geklagt wird 5). Es ist eine alte, oft angestimmte Klage,

daß die Universitätslehrer, und zwar keineswegs bloß die Theologen, bei ihrem Unterrichte so verführen, als ob sie aus ihren Schillern lauter Professoren zu machen hätten. Es liegt ihr auch eine durchaus richtige Beobachtung zugrunde. Wohl wird jeder gewissenhafte Lehrer, dem neben seiner wissenschaftlichen Aufgabe noch die weitere gestellt ist, junge Leute für einen bestimmten Beruf vorzubereiten, bestrebt sein, seinen Schülern das zu bieten, was sie in ihrer künftigen Tätigkeit brauchen. Aber nicht nur wird er, je mehr er von der Bedeutung seiner Studien durchdrungen ist, desto mehr immer wieder der Versuchung unterliegen, auch bei seinen Hörern Teilnahme an dem vorauszusetzen, dem er seine Zeit und Kraft widmet. Bei der doppelten Aufgabe, die er zu erfüllen hat, ist es sogar seine Pflicht, seine Schüler nicht bloß die Resultate kennen zu lehren, die er gefunden, sondern auch den Weg, auf dem er sie gewonnen

hat. Wo der Unterricht den Zweck verfolgt, in die wissenschaftliche Arbeit einzuführen, muß er anders gestaltet sein als da, wo er. die zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit nötigen Kenntnisse übermitteln soll, muß er z. B. den Schüler in einem Maße mit der Geschichte der Probleme und der Lösungsversuche bekannt machen, das sehr oft dem Manne der Praxis. als überflüssiger Ballast erscheinen wird. Deshalb kann, falls sich wirklich bestätigen sollte, daß die Ausbildung der Pfarrer auf den Universitäten den heutigen Bedürfnissen nicht genügt, die Abhilfe auch nicht in einer wesentlichen Umgestaltung des dort erteilten Unterrichtes gesucht werden.

Es kann hier die Frage unerörtert bleiben, ob wirklich alle die mannigfachen Forderungen, die heute oft an den Pfarrer und seine Tätigkeit gerichtet, und deshalb auch die Vorwürfe, die gegen seine Ausbildung erhoben werden, wirklich . berechtigt sind. Sollte sich jedoch zeigen, daß die theologische Schulung, wie sie ihm auf der Universität zu teil wird, nicht die Ausrüstung ist, deren er bedarf, dann hätte zu oder an Stelle dieser wissenschaftlichen Schulung eine andere zu treten, dann würde es sich darum handeln, Einrichtungen zu schaffen, die diesem Zwecke dienten, oder, wo sie bereits vorhanden sind, sie noch weiter auszubauen.

Die meisten deutschen Länder besitzen schon jetzt neben ihren theologischen Fakultäten Predigerseminare. Daß es bei uns in der Schweiz bisher noch gänzlich an Einrichtungen fehlt, die dem Kandidaten den Uebergang von der Universität ins Pfarramt erleichtern sollen, ist ein Zeichen des Vertrauens, das man den Fakultäten

entgegenbringt. Vielleicht auch ein Beweis dafür, daß es ihnen bisher trotz aller berechtigter und unberechtigter Kritik doch immer wieder gelungen ist, beiden Aufgaben in der Hauptsache gerecht zu werden. Aber so sehr sich die Professoren darüber freuen können, so wünschbar erscheint es, daß der Schritt von der Universität in die pfarramtliche Tätigkeit nicht vollständig unvermittelt erfolgen, vielmehr der künftige Pfarrer nach Vollendung der wissenschaftlichen Studien durch erfahrene Lehrer in die mannigfachen Aufgaben seines Amtes eingeführt und in der Ausübung seiner Pflichten unterwiesen werde 6). Daß es sich bei diesem Unterrichte

nicht um eine Korrektur oder Bekämpfung der wissenschaftlichen Ausbildung handeln durfte, sondern nur um

eine notwendige Ergänzung, soll der Schaden nicht größer als der Nutzen sein, ist zwar selbstverständlich, aber vielleicht dennoch zu sagen nicht unnütz 7).

Wenn von der Zukunft der evangelisch-theologischen Fakultäten die Rede ist, darf nun freilich auch

derjenige Anstoß zu einer weitern Entwicklung in der geschilderten Richtung nicht unbesprochen bleiben, den eine Veränderung in der bisherigen Stellung des Staates zur Kirche ausüben kann.

In der Geschichte der Universitäten ist nicht nur begründet, daß den theologischen Fakultäten, wie den andern Fakultäten auch, eine doppelte Aufgabe obliegt. Sie hat auch zur Folge gehabt, daß sie, denen die Ausbildung der künftigen Pfarrer anvertraut ist, mit der Universität insgesamt staatliche Anstalten sind. Diese Tatsache, daß der Staat Einrichtungen erhält, die der Kirche zugute kommen, hatte natürlich solange nichts irgendwie Befremdliches, als Staat und Kirche eng verbunden waren, und der streng konfessionelle Staat die Stärkung und Förderung der mit seiner Hilfe ins Leben getretenen Kirche als seine Hauptaufgabe betrachtete. Je mehr man jedoch mit dem Gedanken der Interkonfessionalität des Staates Ernst zu machen sucht, desto mehr muß sich auch die Frage erheben, ob und inwiefern das bestehende Verhältnis zwischen dem Staat und den Fakultäten einerseits und den Fakultäten und der Kirche andererseits fortdauern kann. Da Staat und Kirche Kreise sind, die sich zwar nicht decken aber an manchen

Punkten schneiden, ist keine absolute Trennung möglich, deshalb auch, wie ein Blick auf die Geschichte zeigt, nirgends wirklich durchgeführt worden. Noch weniger wird der Staat die Religion als etwas behandeln können, das für ihn und seine Zwecke nicht in Betracht zu kommen hat. Wohl aber bestehen für ihn verschiedene Möglichkeiten, zu ihr und zu den Kirchen Stellung zu nehmen. Es ist selbstverständlich, daß er, sobald er Einrichtungen schafft zum Zwecke, das gesamte Gebiet der Wirklichkeit zu durchforschen, an diesen Stätten wissenschaftlicher Arbeit auch der Erforschung der Religion einen Platz anweisen muß und zwar vor allem der Religion, die für ihn infolge seiner Geschichte in erster Linie in Betracht kommt. Man mag sich zur Religion persönlich stellen, wie man will. Daß sie ein Stück der Wirklichkeit ist, das nicht übersehen werden darf, wo es sich darum handelt, ein Bild von der Welt und dem Menschenleben zu gewinnen, kann niemand bestreiten. Und jeder Versuch, die Welt zu begreifen, der sich nicht mit ihr auseinandersetzt, trägt von vornherein das Merkmal der Unzulänglichkeit an sich. Universitäten ohne Lehrstühle zur wissenschaftlichen Erforschung der Religion und ganz besonders des Christentums, mit dem die ganze abendländische Kultur aufs engste verbunden ist, verzichten deshalb von vornherein darauf, die Aufgabe der Wissenschaft in ihrem ganzen Umfange in Angriff zu nehmen.

Es besteht aber ebensowenig ein zwingender Grund, warum nicht der Staat, auch nach Lockerung der Bande, die ihn bisher mit einer bestimmten Kirche besonders enge verknüpft hatten, dennoch, seinen geschichtlichen

Traditionen folgend oder auf Rücksicht darauf, daß ein großer Teil seiner Glieder einer bestimmten Kirche angehört, bei der Besetzung der theologischen Lehrstellen wie bisher den Bedürfnissen dieser Kirche Rechnung tragen und Lehrer wählen sollte, die nicht nur die erforderlichen wissenschaftlichen Qualitäten, sondern auch Sympathie und Verständnis für diese Kirche und ihre Eigenart besitzen.

Es ist freilich auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß, wenn die theologischen Professuren durch die Behörden eines Staatswesens besetzt werden, das seinen interkonfessionellen Charakter zu wahren sucht, die Rücksicht auf die kirchliche Zugehörigkeit der Kandidaten in den Hintergrund tritt, ja völlig bei Seite gesetzt wird. Man wird auch nicht sagen dürfen, daß Fakultäten, die Angehörige verschiedener Konfessionen, ja ausgesprochene Skeptiker unter ihren Gliedern hätten, dadurch die Arbeit an ihren wissenschaftlichen Aufgaben von vornherein unmöglich gemacht würde. Nur ein Doktrinär freilich könnte glauben, daß erst eine derart zusammengesetzte Körperschaft den Namen einer wissenschaftlichen verdiente und imstande wäre, die wissenschaftliche Aufgabe wirklich zu lösen. Wird doch der bisherige konfessionelle Charakter der theologischen Fakultäten nur da zu einem Hindernisse für freie, unbefangene Forschung, wo es zum Wesen der betreffenden Kirche gehört, der wissenschaftlichen Untersuchung bestimmte Grenzen zu ziehen 8). Noch weniger aber wird,

wer der Ueberzeugung ist, daß sich in der Religion eine Berührung der Seele mit dem ewigen Grund aller Dinge, dem Quell alles Lebens und Seins vollzieht, zugeben können, daß die wirklich wissenschaftliche Betrachtung der Religion erst da beginne, wo man sie als Illusion erkennt oder ihr doch mit eiskaltem Skeptizismus entgegentritt 9). Gerade wer von der Unzulänglichkeit einer solchen Auffassung überzeugt ist, hat aber ein gewisses Interesse daran, daß man sie zu Worte kommen und ihre Unfähigkeit, der Wirklichkeit gerecht zu werden, öffentlich dokumentieren läßt. Auch ist nicht zu bestreiten, daß zuweilen die kühle Gleichgültigkeit, mit der ein Forscher den religiösen Fragen gegenüberstand, das feindselige Mißtrauen, mit dem er die ganze Ueberlieferung einer bestimmten Kirche oder der Kirchen und Religionen insgesamt betrachtete, ihn manches mit scharfem Blick. erspähen und deutlich beim Namen nennen ließ, was andere trotz ihrem viel tiefern Verständnis für das Wesen der Religion aus Pietät und Sympathie nicht sehen konnten und wollten. Endlich: wenn wir davon überzeugt sind, daß der Protestantismus, seine Geschichte und seine Bedeutung nur von einem protestantischen Gelehrten richtig dargestellt und gewürdigt werden kann, warum sollte es dann nicht auch der Darstellung und der richtigen Einschätzung anderer

Konfessionen und Religionen zugute kommen, wenn sich daran Männer beteiligten, für die sie mehr sind als bloße Forschungsobjekte?

Aber theologische Fakultäten haben andere Aufgaben als religionsgeschichtliche Kongresse. Je größer die Divergenz der Stimmen würde, die sich an einer und derselben Fakultät hören ließen, desto größer wäre die Gefahr, daß die Kirche darauf verzichten würde, ihre Pfarrer dort studieren zu lassen. Wohl sieht sich ja schon jetzt der junge Theologe auf der Universität in einen Kampf der Meinungen hineingestellt, der ihm oft schwer macht, sich eine eigene feste Ueberzeugung zu erringen und zu behaupten. Je weniger er jedoch darauf zählen dürfte, wenigstens an der eigenen Fakultät Lehrer zu finden, die ihm bei dieser Arbeit behilflich sind und ihm den Weg zu dem erstrebten Ziele weisen, desto mehr müßten sich Bedenken erheben gegen die Zweckmäßigkeit eines solchen Studiums ohne Aussicht auf erprobte Führer.

Sowohl den Fakultäten als auch der Kirche würde aber ein schwerer Schlag zugefügt, falls die künftigen Pfarrer in besondern, von der Universität getrennten Anstalten unterrichtet würden. Den Fakultäten würde der regelmäßige Zufluß von Studenten abgeschnitten und den akademischen Lehrern viele tüchtige Schüler und damit eine Fülle von Belehrung und Anregung entzogen, die der Verkehr mit ihnen und die durch sie hergestellte Verbindung mit den kirchlichen Aufgaben bedeutet.

Ebenso groß, ja vielleicht noch größer wäre aber der Schaden für die Kirchen, wenn sie auf die wissenschaftliche Ausrüstung ihrer Pfarrer verzichten oder doch

ihre Geistlichen ausschließlich in isolierten Seminarien ausbilden lassen wollten.

Nicht als ob theologische Bildung im heutigen Sinne des Wortes schon allein oder doch in erster Linie den Pfarrer zu erfolgreicher Ausübung seines Berufes geschickt machen würde. Wo der Prediger nicht von der Macht der Botschaft, die er bringt, überzeugt ist, und sie immer aufs neue an sich selber erfährt, bleibt er bei allem Wissen von der Religion ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und weil lediglich das innere Leben, das in den Worten des Redners zum Ausdruck kommt, Leben in den Zuhörern weckt, können und werden auch sehr oft von schlichten Leuten mit wenig Wissen stärkere religiöse Wirkungen ausgehen als von hochgelehrten aber religiös gleichgültigen Theologen. Jedem akademischen Lehrer begegnen auch immer wieder unter seinen Studenten solche, die nur mühsam den auf der Universität an sie gestellten Anforderungen nachzukommen vermögen, die aber viel Eifer und praktisches Geschick besitzen und deshalb auch, an den richtigen Platz gestellt, Befriedigendes leisten werden, so daß man sie nicht vom Kirchendienste fern halten möchte. Für sie wünschte man einen andern, ihren Fähigkeiten und Neigungen mehr entsprechenden Weg zu einer Tätigkeit im Dienste der religiösen Gemeinschaft als das eigentliche theologische Studium.

So sehr jedoch auch noch aus andern Gründen die Frage aller Erwägung wert ist, ob nicht den theologisch gebildeten Pfarrern anders geschulte Helfer zur Seite gegeben werden sollten und könnten 10), so ist es doch,

wie hier nicht weiter nachgewiesen zu werden braucht, für die evangelische Kirche von der größten Bedeutung, ja eine Lebensfrage, daß ihre eigentlichen Führer das Christentum wissenschaftlich-systematisch zu erfassen gelernt und ihre religiöse Ueberzeugung in eingehender Auseinandersetzung mit andern Auffassungen geläutert und befestigt haben und so imstande sind, den mancherlei Fragen, Zweifeln und Angriffen, die ihnen bei ihrer Wirksamkeit entgegentreten, zu begegnen.

Es wird jedoch den sich auf das Pfarramt Vorbereitenden

Zeugnissen im grollen und. ganzen durch ihre praktische Art auszeichnen. Jedenfalls ist soviel von den englischen Verhältnissen zu lernen, daß es nicht nötig ist, jeden, der sich dem Kirchendienst widmen will, zu einem gründlichen theologischen Studium zu nötigen, und daß der Gedanke einer verschiedenen Ausbildung, den auch andere Erwägungen nahe legen, nicht von vornherein abzuweisen ist.

auch in Zukunft um so mehr möglich sein, sich wie bisher diese theologische wissenschaftliche Bildung an den Universitäten zu erwerben, als voraussichtlich die theologischen Fakultäten, selbst wenn sich ihre Entwicklung in der geschilderten Weise vollziehen sollte, doch ihren Charakter nicht wesentlich verändern würden. Die wissenschaftliche Erforschung der Religion und ihrer Geschichte ist auf die Dauer für jemand, der in ihr lediglich eine seltsame Verirrung oder Selbsttäuschung des menschlichen Geistes zu sehen vermag, ein allzu trostloses Geschäft, als daß sehr viele, die auf diesem Standpunkte stehen, sich daraus einen Lebensberuf zu machen geneigt sein werden. So werden auch in Zukunft die theologischen Fakultäten, welchen Verlauf ihre Entwicklung nehmen mag, im wesentlichen aus solchen Lehrern bestehen, die von der Bedeutung und Kraft der Religion durchdrungen sind. Wo aber Gelehrte mit einer lebhaften Empfindung für den Wert der Religion sie in ihren mannigfachen geschichtlichen Gestalten wissenschaftlich erforschen, da werden ganz von selber Christus und sein Evangelium immer wieder ihre Ueberlegenheit erweisen, und damit wird auch ganz von selber der Unterricht zu einer Verteidigung des darauf sich gründenden Glaubens und der in diesem Glauben enthaltenen Erkenntnis werden.

Eine solche Erwartung ist freilich selber Glaubenssache, die nicht bewiesen werden kann. Sie mag deshalb manchen als unberechtigt erscheinen. Sie ergibt sich jedoch mit Notwendigkeit aus der Ueberzeugung, daß es eine Wahrheit ist, die der Fromme zu erleben und der Forscher wissenschaftlich zu erfassen sucht.

Und diese Ueberzeugung allein macht es dem Lehrer der evangelischen Theologie an der Universität möglich, mit Freudigkeit und gutem Gewissen der doppelten Aufgabe obzuliegen, die ihm sein Amt heute stellt und, wie ich hoffe, auch in künftigen Zeiten stellen wird.