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ANSPRACHE BEI DER ERÖFFNUNG DES STUDIENJAHRES 1911/1912 AN DER EIDGENÖSSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE

16. OKTOBER 1911
VON THEODOR VETTER, REKTOR

Hochgeehrter Herr Präsident des Schweizerischen Schulrates! Verehrte Herren Kollegen! Werte Kommilitonen!

Mit besonderer Freude betreten wir heute den festlichen Saal, in dem wir unser Studienjahr zu eröffnen pflegen; nicht allein Sie, junge Freunde, die Sie noch in dieser Stunde als Angehörige der Eidg. Technischen Hochschule verkündet werden sollen, sondern auch Sie, ältere Kommilitonen, denen diese Räume alte Bekannte sind; und vor allem weiß ich, daß Sie, verehrte Herren Kollegen, in gehobener Stimmung hieher gekommen sind. Denn zum ersten Male nach 56 Jahren öffnet die bisherige Eidg. Polytechnische Schule ihre Tore als "Eidgenössische Technische Hochschule"!

Bei der Freude über diese längst und sehnlich herbeigewünschte Wendung steht das Gefühl des Dankes vorne an, des Dankes gegenüber dem hohen Bundesrate, der durch Beschluß vom 23. Juni 1911 unserem Lehrerkollegium diesen Wunsch erfüllt hat, des Dankes gegenüber dem Herrn Präsidenten und den Mitgliedern des Schweizerischen Schulrates, die diesen Wunsch bei unserer obersten Landesbehörde befürwortet haben, und endlich —although the last not least —des Dankes gegenüber unserem Kollegen Professor Öchsli, der mit seiner klaren Darlegung unsern Vorgesetzten wie uns selbst erst recht zum Bewußtsein gebracht hat, warum wir auf diese scheinbare Äußerlichkeit Gewicht legen mußten, weshalb wir der Lösung einer Frage, die manchem als unbedeutende Kleinigkeit vorkommen mag, nicht länger

aus dem Wege gehen durften, selbst wenn wir dabei das mitleidige Lächeln weiser Leute zu riskieren hatten.

Nun liegt die kleine Titeländerung, das Resultat erfreulichen Wohlwollens von seiten unserer Behörden und sorgfältiger Beweise aus unserer Mitte vor uns, und ich möchte mir neben dem Danke auch noch ein paar Bemerkungen gestatten, zu denen mich das Amt drängt, das Sie in kühnem, von mir wahrlich nicht verdientem Vertrauen in meine Hand gelegt haben.

Doch der Jugend gebühre der Vortritt, und nach altem und festem Brauche teile ich zunächst die Namen derjenigen mit, die nach wohlbenützter Vorbereitungszeit an einheimischen und fremden Mittelschulen oder nach schwülen Tagen einer langen Eintrittsprüfung die Unsrigen werden wollen.*

* Es folgen die Namen der 387 Neuimmatrikulierten, die sich in folgender Weise zusammensetzen: 16. Okt. 1911 16. Okt. 1910

I. Architekten 23 24
II. Ingenieure 117 108
III. Maschineningenieure 140 132
IV. Chemiker 42 34
V. Pharmazeuten 8 6
VI. Abteilung für Forstwesen . . . . 24 12
VII. Abteilung für Landwirtschaft . . . 13 16
VIII. Fachlehrer für Mathematik und Physik 17 6
IX. Fachlehrer für Naturwissenschaften . 3 4
X. Abteilung für Militärwissenschaften .
— —
387 342
Im ganzen waren angemeldet 440 403
mit Prüfungserlaß 309 247
von diesen traten zurück 4 — 305 247
Zur Prüfung waren eingeschrieben . . . 131 149
die Anmeldung zogen zurück . . . 7 7
es hatten keinen Erfolg 42 47
Somit wurden auf Grund der Prüfung zugelassen 82 95
Gesamtzahl der Aufnahmen 387 342

Hiebei konstatieren wir gerne, daß die Zahl der Neuimmatrikulierten mit regelmäßiger Vorbildung von 247 auf 305 angestiegen ist, während die Zahl derjenigen, die nur auf Grund einer besonderen Aufnahmeprüfung immatrikuliert werden konnten, von 95 auf 82 zurückgegangen ist. Die Gesamtzahl der Immatrikulationen ist um 45 gestiegen, von 342 auf 387.

Indem ich Ihnen, junge Studierende, freudig die Hand zum Willkomm reiche und Ihnen im Namen unseres akademischen Lehrkörpers von Herzen den besten Erfolg wünsche auf der Bahn, die Sie heute hoffnungerfüllten Sinnes betreten, kann ich nicht umhin, zugleich auch derer mit einem Worte zu gedenken, denen ein grausames Schicksal den Zutritt zu den Quellen des Wissens, nach denen auch sie dürsten, verweigert hat. — Sie, die Sie durch unsere wohlgeordneten Schulen Jahr um Jahr vorgerückt, mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit fast unmerklich zu dem Ziele gelangt sind, an dem Sie heute stehen, Sie ahnen kaum, welche Kämpfe andere durchzumachen haben, um dieselbe Stufe zu erklimmen, vor deren Erreichen ihnen oft der Absturz droht.

"Leicht ist's, folgen dem Wagen,
Den Fortuna führt,
Wie der gemächliche Troß
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug."

Nicht jeden versetzt das Geschick in eine Umgebung, die ihm das Erwerben eines ordentlichen Schulsackes zu einer bloßen Frage des Fleißes und der Ausdauer gestaltet; gar viele müssen ängstlich suchen, bis sie Mittel und Wege zu regelrechter Ausbildung finden, und andere irren lange Zeit, bevor ein fester und klarer Entschluß sie die richtige Bahn entdecken läßt.

Töricht wäre es, mit einem Ausrufe all die Anstalten

zu verdammen, die sich dieser Irrenden annehmen und sie über holprige Pfade hinweg unmittelbar vor den Eingang unserer hohen Schule stellen; aber weit nützlicher für die Suchenden wie für uns ware es, wenn sie für die letzten Jahre, vielleicht sogar nur für das letzte Jahr der Vorbereitung den erprobten Händen unserer staatlichen Mittelschullehrer sich anvertrauen dürften.

Und ich möchte — wo es nötig ist — unsern kleineren Kantonsschulen zurufen: Öffnet freundlich eure Pforten diesen Suchenden, leitet sie auf den richtigen Weg eines ernsten Studiums und bewahret sie nach Kräften vor der Enttäuschung, die auf dieser Lebensstufe so schwer empfunden wird: von der höchsten Schule des Landes zurückgewiesen zu werden.

Es scheint mir eine der grausamsten Pflichten meines Amtes zu sein, einem jungen Manne, der bebend und mit heiligem Eifer von fernher kommend bei uns um Einlaß bittet, die Tore zum Tempel seiner Wünsche roh zuschlagen zu müssen und ihm zu verkünden: Du bist nicht würdig, bei uns einzutreten! Oder einem, der die harte Prüfung durchgemacht, zu sagen: Dein Ringen war umsonst, wir können dich nicht brauchen.

Aber so ist einmal unsere Aufgabe, und es ist gut, daß strenge Vorschriften uns dazu verpflichten; sie sind zum Heile derer geschaffen, die sich in die Flut akademischer Studien werfen wollen, ohne dazu ausgerüstet zu sein. Wer nicht mit kräftigem Ruder sein Boot durch die Brandung zu zwingen versteht, wer die Kunst nicht gelernt, auf hohem Meere sein Segel richtig einzustellen, das Steuer mit klarem Sinne zu lenken, wer nicht all sein Können dem Dienste einer Sache zu unterwerfen befähigt ist, den hält die unerbittliche Mauer der Aufnahmeprüfung von großer Gefahr, vielleicht vom Untergange fern. Was nützt es, ein, vielleicht zwei Jahre auf der Hochschule mit

Theorien sich zu quälen, um zur Einsicht zu gelangen, daß das Talent hiezu nicht reicht? Und dann die Klage über die verlorene Zeit! — Auch das rein praktische Leben kann tüchtige Männer brauchen, und mancher, dessen Hirn den höheren Studien sich nicht anbequemen wollte, hat in der Werkstatt oder auf dem weiten Felde des Kampfes ums Dasein Unsterbliches geleistet.

Den nunmehr Aufgenommenen aber möchte ich die Worte eines großen Mannes entgegenhalten:

"Weise Lehren und gute Ratschläge für junge Männer und für die Menschen überhaupt werden so selten geschätzt. Des Ratgebens ist so viel und des treuen Befolgens so wenig. Und ein Gerede, das nicht zu irgendwelchem Handeln führt, unterbliebe am besten ganz. Deshalb will ich mich lieber nicht aufs Ratgeben einlassen; nur einen Rat muß ich Euch erteilen. Er ist in der Tat die Quintessenz jedes guten Rates und Ihr habt ihn gewiß schon tausendmal gehört; und doch gebe ich ihn Euch zum tausendunderstenmal; denn er ist durch und durch wahr, ob Ihr jetzt daran glauben wollt oder nicht —nämlich, daß das Heil Eures ganzen Lebens davon abhängt, daß Ihr fleißig seid jetzt, so lange es Tag ist und an diesem Orte, zu dem Ihr gekommen seid, um Eure Studien zu vollenden."

"Fleißig! das schließt alle Tugenden ein, die ein Student haben kann; es umfaßt alle Eigenschaften, die zur Erwerbung wahren Wissens und zu echter geistiger Förderung zu führen vermögen!" —

Gerne möchte ich mit diesen trefflichen Ratschlägen, die Thomas Carlyle am 2. April 1866 als Lord Rektor der Universität Edinburgh seinen Studenten zugerufen, fortfahren; doch fürchte ich, daß Ihr Protest sich Luft mache: "Das haben wir nun genug gehört! Soll der alte, schulmeisterliche Ton, den wir auf dem Pennal

so gründlich satt bekommen, uns auch hieher verfolgen, in die Hochschule, an die Stätte akademischer Freiheit? Nimmermehr!"

Nur gemach! Es ist der Ratschlag eines Siebzigjährigen und hier wiederholt von einem Menschen, dem nichts ferner liegt, als Ihre Freiheiten und Rechte antasten zu wollen. Sie sollen frei sein von kleinlichem Schulzwang, frei von der drückenden Pflicht, Dinge lernen zu müssen, die Sie nicht interessieren, frei von ängstlicher Aufsicht, frei in der Wahl Ihres Studiums, frei — soweit als nur immer möglich — auch in der Einteilung Ihrer Zeit, in der Ausdehnung Ihrer Studienjahre.

Aber vergessen Sie nicht, die Zeiten einer romantischen Studentenfreiheit sind längst verschwunden, viele Jahrzehnte bevor sie in Jena — wie die Blätter vor wenigen Monaten meldeten —die akademische Freiheit feierlich zu Grabe trugen, weil dem Studenten untersagt wurde, seinen Biertisch auf offener Straße aufzuschlagen. Vorüber das Glück, im Schlafrock und mit langer Pfeife in den Gassen zu erscheinen, vorbei die Herrlichkeit von Flausrock und Pekesche, der schief auf dem Haupte sitzenden Studentenmütze, des kräftigen Ziegenhainers! Sie selbst beweisen und bestätigen uns das durch Ihr Auftreten. Und wenn Hunderte von Ihnen fröhlich singen: ,Wo sind sie, die vom breiten Stein nicht wankten und nicht wichen?" so wissen kaum zwei unter Ihnen noch, daß das eine Verherrlichung der Hallenser Studentenfreiheit ist, da der Bursch das Recht hatte, den Fuchs oder den Philister vom "breiten Steine", dem Trottoir, in die schmutzige Straße zu drängen. O herrliche akademische Freiheit, was für schöne Blüten hast du getrieben!

Vor einem Monat war ich Gast der ältesten schottischen Hochschule. In feierlichem Zuge hatten sich die

Behörden, die Professoren, die Ehrengäste — darunter nicht weniger als drei Premierminister —, hochgestellte Lords und weltberühmte Gelehrte auf die Tribüne begeben, um mit uns Geringen die Rede zum 500jährigen Jubiläum anzuhören. Mit weithin vernehmlichem "Oremus" forderte der "Principal", ein würdiger Greis von 80 Jahren, zum üblichen Gebete auf. Da ertönte von hinten ein Hahnenschrei, Hundegebell, das Gackern einer Henne, das Quieken eines Ferkels, und wir naive Kontinentalen schauten entsetzt zurück, was diese freche Störung wohl bedeute. Aber ein freundliches Lächeln ging über das Gesicht des Greises, und ein englischer Kollege erklärte uns den Vorfall als einen wohlvorbereiteten Studentenulk, einen Ausdruck "akademischer Freiheit", an dem hier niemand sich stoße. — Wollen Sie bedauern, daß solche Freiheit Ihnen nicht verliehen?

Doch die ewige Plage mit den Examina! die Repetitorien und Semesterprüfungen, die Vordiplome und Diplome, vergellen sie einem nicht die goldenen Studienjahre? Gewiß — zumal demjenigen, der seine Studien nicht ernsthaft nimmt oder der von dem gewählten Fache abschweift auf andere Gebiete, auf denen er sich später noch mit viel mehr Gewinn umsehen könnte. Wenn in den sog. Geisteswissenschaften der Student am einen oder andern Ende beginnen kann —übrigens durchaus nicht immer zu seinem Vorteile —, so können die exakten Wissenschaften solche Freiheit nicht gewähren. In festem Gefüge baut sich hier ein Stein auf den andern, eine Erkenntnis auf die andere, und unrettbar verloren ist derjenige, der die oberen Stockwerke des Wissens ausstatten will, bevor er den sichern Grund gelegt.

Gehen Sie hin zum Mediziner und überzeugen Sie sich, daß keiner ans Bett des Kranken treten darf, der

nicht solide Kenntnisse vom Baue des menschlichen Organismus besitzt; daß keiner das Heilmittel zu reichen berechtigt ist, der dessen Zusammensetzung und Wirkung nicht zu beurteilen vermag. Und die exakten Wissenschaften, die Sie treiben, wollen Sie geringer einschätzen? Sie wollen den Stümper mit der komplizierten Maschine spielen lassen, dem Unwissenden gewähren, daß er mit offenem Munde staunend bei den schwierigsten chemischen Versuchen stehe? Das glaube ich nie.

Noblesse oblige! gilt auch auf dem Gebiete der Wissenschaft. Sie sind an dieser Anstalt von jeher und jetzt auch dem äußeren Namen nach Angehörige einer Hochschule, Sie wollen nicht das Stümperhafte, das bloße Erfahrungswissen; Sie streben nach der solidesten aller Kenntnisse, nach Wahrheit. So muß es dahin kommen, daß Ihnen die Prüfungen kein Schreckgespenst mehr sind, sondern eine erwünschte Gelegenheit festzustellen, ob Ihr Eifer und Fleiß auch wirklich Früchte getragen.

Was bei den Kurzsichtigen unter Ihnen noch verpönt ist, die Repetitorien und Übungen, das muß immer mehr zu einer geschätzten Einrichtung werden, wie das bei den Studenten der Universität der Fall ist, die darum bitten, in Seminarien und Konversatorien mitmachen zu dürfen. Seien Sie überzeugt, daß auch die Professorenschaft eine Entwickelung des Studienbetriebes in dieser Richtung ehrlich und eifrig zu fördern bemüht ist.

Daß aber feste zeitliche Grenzen gezogen sind, innerhalb welcher der Nachweis über den Erwerb gewisser Kenntnisse geleistet werden muß, wird von vielen so peinlich empfunden. Sicher mit Unrecht. Es ist wahrlich nicht die Schuld dieser Anstalt, daß unser Zeitalter den Sinn für gemächliches Vorgehen gänzlich verloren

hat. Alles treibt und drängt vorwärts; niemand bleibt stehen; auch der Phlegmatische muß dem rascheren Tempo folgen, wenn er nicht beiseite geschoben und zu den Unnützen gerechnet werden will. Und unsere Hochschule soll sich zu den Drohnen gesellen? — Nicht die derb-kaufmännische Wahrheit "Zeit ist Geld"wollen wir zu unserm Losungsworte machen, wohl aber die schönere Variante: Zeit ist Menschenleben, kostbares, unersetzliches Menschenleben!

Und wir sollten zusehen, wie Ihnen durch Unerfahrenheit dieses heiligste, teuerste Gut geraubt wird? Das können Sie von uns nicht erwarten. Die Bewunderung für den Bummelstudenten ist entschwunden; die alte Latte von Jena mit ihrer dem Hundert sich nähernden Semesterzahl würde auch von Ihnen nicht mehr mit Ehrfurcht begrüßt.

Bei alledem bleibt uns der Sinn für heiteren Lebensgenuß und wir wünschen von Herzen, daß Sie sich Ihrer Jugend wirklich freuen können. Singen wir nicht mehr:

"Lasset nicht die Jugendkraft verrauchen,
In dem Becher winkt der goldne Stern",

so wollen wir doch, daß trotz der ernsten Forderungen des Studiums bei Ihnen Freude, Lust, ja Übermut auch eine Stätte finden. Zu einem ganzen Menschen gehört nicht nur Wissen und Können, sondern auch die Fähigkeit, alles Schöne, das uns die Welt neben so viel Unannehmlichkeiten bietet, fröhlich und in vollen Zügen zu genießen. Auch das lernt man nur in der Jugend, und wer diese Zeit in unnatürlicher Zurückgezogenheit verbringt, dem wird im spätem Leben die Freude, der schöne Götterfunken nie mehr in rechtem Glanze strahlen. —

Verzeihen Sie, verehrte Herren Kollegen, daß ich mich so lange bei der Jugend aufgehalten.

Die Wichtigkeit des heutigen Tages fordert, daß ich einen Augenblick bei unserem neuen Namen verweile. In der erwähnten, vortrefflichen Denkschrift unseres Kollegen Öchsli steht zu lesen, wie der Ausdruck "Polytechnikum" zuerst gebraucht und auf welche Anstalten er im Laufe der Jahre angewendet, ja wie er — wir dürfen es in aller Bescheidenheit sagen — durch das Eidg. Polytechnikum in seinem Ansehen gefördert wurde. Indessen gilt auch hier das Wort des alten Heraklit: , alles ist in stetem Flusse, insbesondere der sprachliche Ausdruck. Ausdehnung und Vertiefung der Studien an den Polytechniken gab ihnen das Recht, sich ebenbürtig und in jeder Hinsicht gleichberechtigt neben die alten Hochschulen für Theologie und Jurisprudenz, Medizin und Philosophie (im weitesten Sinne) zu stellen und sich den gleichen, stolzen Namen beizulegen.

Wir in der Schweiz hätten uns im Hinblick auf unsere Mehrsprachigkeit recht wohl mit der alten, internationalen Bezeichnung zufrieden geben können; doch die bittere Erfahrung, daß unsere Abiturienten im Auslande — und wer ist nicht auf das Ausland angewiesen? — geringer eingeschätzt wurden, weil sie nicht, wie ihre Konkurrenten, von einer Hochschule kamen, forderte gebieterisch eine Änderung. Wo solche Gründe sprechen, muß man handeln. Den Vorwurf kleinlicher Eitelkeit fürchten wir nicht; wir wissen, warum wir so vorgingen und nicht anders und freuen dürfen wir uns noch einmal, daß wir bei den entscheidenden Instanzen so schönes Verständnis gefunden.

Und bleibt die höchste Lehranstalt unter neuem Namen die alte? Bleiben wir die Alten? Ganz gewiß! wir wollen in ernster Auffassung unserer Aufgabe, in treuer Pflichterfüllung beim Alten verharren; aber neu wollen wir werden in dem Bestreben, die Eidgenössische

Technische Hochschule immer mehr zur wahren Hochschule zu machen, zu einer Stätte unermüdlicher Arbeit, eifrigster Forschung und gediegenen Unterrichtes. Wir wollen immer mehr ablegen, was ängstlich und beengend ist; wir wollen in Lehre und Einrichtung nach wahrer akademischer Freiheit streben und uns des neuen Namens würdig zeigen.

Als gestern vor 56 Jahren, am 15. Oktober 1855, der erste Schulratspräsident, Dr. Kern, mit seiner Festrede im Fraumünster unsere Anstalt aus der Taufe hob und sie als "technische Hochschule"begrüßte, da hatte er den Amtsstil beiseite gelegt und ein Wort gebraucht, das ihm Herz und Überzeugung in den Mund gegeben. Heute dürfen wir es zur Eröffnung des 57. Studienjahres stolz und mit vollem, gesetzlichem Rechte anwenden und geloben, Jung und Alt, Studierende und Professoren, hinfort — wie bisher —, jeder in seiner Stellung, treue Mehrer zu werden des Ruhmes und Ansehens der

Eidgenössischen Technischen Hochschule!