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LIBERALISMUS UND EVANGELIUM

DIE STELLUNG DES SCHWEIZERISCHEN PROTESTANTISMUS ZUM AUFBRUCH DES LIBERALISMUS IN DER, REGENERATIONSZEIT

REKTORATSREDE,

GEHALTEN AM 17. NOVEMBER 1933
VON
ERNST STAEHELIN
BASEL 1934
VERLAG HELBING & LICHTENHAHN

Die Rede wird im folgenden in dem Umfang gedruckt, in dem sie niedergeschrieben wurde. Vorgetragen wurde sie in stark gekürzter Form.

1.

Die heutige Rektoratsfeier fällt in eine Zeit, in der im Zusammenhang mit mächtigen Bewegungen in andern Ländern auch die politische und geistige Gestalt unseres Vaterlandes in vielfacher Weise in Frage gestellt ist, und männiglich, besonders auch die akademische Jugend, aufgerufen wird, aufs ernsthafteste zu prüfen, was an unserem Staatswesen und an unserer Volksgemeinschaft wertvoll ist, und was der Erneuerung bedarf.

Es möge mir daher gestattet sein, in der gegenwärtigen Stunde von der kirchenhistorischen Wissenschaft her einen kleinen Beitrag zu dieser Besinnung zu liefern, und ich lade Sie deshalb ein, mit mir zusammen die Stellung des schweizerischen Protestantismus zum Aufbruch des Liberalismus in der Regenerationszeit zu betrachten.

2.

Ausgelöst durch die Pariser Julirevolution von 1830, brach weitherum im Schweizerland die mächtige Volksbewegung des Liberalismus auf, die in nicht ganz zwei Jahrzehnten das Schweizervolk geistig und politisch tiefgreifend umformte.

Was den weltanschaulichen Hintergrund dieser Bewegung betrifft, so schillert er gewiß in tausend Differenzierungen. Dennoch dürfen wir ihn, wenn es mit den nötigen Vorbehalten geschieht, definieren als einen durch die Aufklärung und den Idealismus geprägten Humanismus: der Mensch in seinem Adel, in seiner autonomen Größe und in seiner schöpferischen Fülle, so wie ihn Rousseau und Pestalozzi, Goethe und Schiller, Kant und

Fichte, Schelling und Hegel und viele andere entdeckt hatten, war das Erlebnis, das die führenden Männer beseelte und sie zu Kämpfern für eine neue Zeit machte.

In charakteristischer Weise offenbarte sich dieses Wesen des Liberalismus etwa in der Eröffnungsfeier der Berner Hochschule vom 15. November 1834. Zuerst sprach "in französischer Sprache mit der unbefangenen Würde, die den republikanischen Staatsmann auszeichnet", Charles Neuhaus, der damalige Erziehungsdirektor und spätere Schultheiß; das Wesen der alten Zeit sah er darin, dem Volke die nötigsten Mittel eines kümmerlichen Lebens zu liefern, es im Zaum zu halten mit einigen ungenügenden und schlecht verstandenen religiösen Begriffen und es im übrigen seinen Leidenschaften zu überlassen; das Ziel der neuen Zeit dagegen sei der zu der Freiheit gebildete Mensch, der mit der Religion, dem Anstand, der Charakterfestigkeit und der Würde, die er in sich trage, sicher seines Weges gehen könne. Darauf überreichte Neuhaus dem Rektor Wilhelm Snell die Stiftungsurkunde, und dieser nahm sie entgegen, indem er, "durchdrungen von des großen Augenblicks Bedeutung, mit seelenvollen Worten in der Universität und in seinem Namen die Empfindungen des Dankes und der Hoffnung aussprach": "es sind die Nationen, es ist die Menschheit in ihrer Kraft und Würde nicht das Werk sinnlicher Kräfte und mechanischer Tätigkeit, sondern das Werk einer freien geistigen Selbsttätigkeit, welche früh geweckt, weislich geleitet und durch erhabene Vorbilder zu unablässigem Anstreben zu idealistischer Größe und Güte beflügelt werden muß; in solchen Pflanzstätten wahrer Kultur und Humanität empfangen daher die jungen Männer, die ihre Zöglinge sind, welches auch ihr künftiger Beruf sein möge, alle die Weihe des wissenschaftlichen

Geistes, womit ausgerüstet sie, des Gelingens sicher, dem großen Werk der Fortbildung und Veredlung der Nation entgegenschreiten, stark durch den lebendigen Sinn für Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit, und emporgehoben durch den heiligen Glauben an jenen ewigen und einzigen Dualismus, welcher das Gute und das Schlechte, welcher Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge, Seelenadel und Gemeinheit in unermessener Ferne auseinanderhält."Endlich hielt der auf den philosophischen Lehrstuhl berufene Ignaz Paul Vital Troxler die eigentliche Festrede "Ueber Idee und Wesen der Universität in der Republik"; er forderte darin die Gestaltung von Kirche, Schule und Staat aus einem Prinzip heraus; dieses Prinzip sei "der menschliche Geist in seiner vollen Selbstheit und Freiheit", "die Einheit der geistigen mit der sittlichen Kraft und die tiefe innere Beziehung der menschlichen Natur auf das Göttliche in ihr; also nicht nur, daß Sprachen und Wissenschaften, daß Künste und Fertigkeiten vom Lehrer beigebracht und vom Schüler erlangt werden, ist der Zweck der Universitätsbildung in der Republik, sondern daß das Innerste und Höchste im Menschen, daß Geist und Herz, daß Gesinnung und Gesittung, daß Tugend und Tatkraft in dem aufwachsenden, als einem weisem und edlem Geschlechte hervorgehoben, daß der ganze Inbegriff von Kräften und Anlagen, von Fähigkeiten und Vermögen, die wir Menschheit nennen, zu seiner hohen Bestimmung, welche nicht nur vorübergehend und nicht bloß aufs Irdische beschränkt sein kann, herausgebildet werde, dafür ist keine hohe Schule zu hoch."

Daß dieser humanistische Idealismus, der hinter dem Liberalismus stand, vielfältig differenziert war, zeigt sich vor allem in seiner Stellung zu der Welt des christlichen

Glaubens. Der gewiß durchaus radikale Aargauer Augustin Keller, der Anführer im Kampf gegen die aargauischen Klöster, legt folgendes Bekenntnis ab: "Der Boden, auf dem meine Religion gepflanzt ist und lebt, ist die göttliche Vernunft, und der Himmel, der sie betaut, mein Gemüt; der Säemann meiner Religion, ihr Pfleger und Wärter, ist Christus in seinem heiligen Evangelium, aber auch er, der Hochheilige, der Gottessohn, allein und sonst keiner, keiner weder in Rom noch in Konstantinopel"; Augustin Keller wurde später einer der Begründer der christkatholischen Kirche der Schweiz. Der gemäßigte Liberale Bürgermeister Melchior Hirzel las täglich die Bibel und besuchte regelmäßig die Predigt; zugleich konnte er aber sagen: "Gott hat seine Offenbarung nicht nur in die Bibel, sondern auch in den Geist der Menschen niedergelegt; die eine Quelle ist so göttlich wie die andere"; von der Wirksamkeit des Hegelianers David Friedrich Strauß innerhalb der Zürcher theologischen Fakultät erwartete er eine Reformation der Zürcher Kirche. Bei beiden Männern finden wir also eine eigenartige Synthese von christlichem Offenbarungsglauben und idealistischem Humanismus. Neben ihnen stehen dann Vertreter einer reinen Humanitätsreligion, eines pantheistischen Ergriffenseins von einer Allgottheit oder eines Glaubens an ein letztes Prinzip des Wahren und Guten, das in unserm Gemüt, in unserm Denken und moralischen Bewußtsein, wie auch im Weltverlauf sich offenbare; für eine solche Religiosität kämpfte etwa gegen den ausgesprochenen Atheismus der leidenschaftliche und geistvolle Ignaz Paul Vital Troxler; zu ihren Vertretern dürfen wir aber auch Gottfried Keller rechnen. Große Teile des Liberalismus hingen wohl auch jener "wunderlichen Theologie" an, wie sie die köstlichen alten

Kracher im "Fähnlein der sieben Aufrechten" trieben: in der Kirche sehe man sie fast nie, auf geistliche Dinge seien sie nicht wohl zu sprechen, aber wenn Gefahr im Anzug sei, dann heiße es plötzlich: hilf dir selbst, so hilft dir Gott; und wenn über einem eidgenössischen Fest der blaue Himmel strahle, dann sei es Gott, der es getan; "in beiden Fällen, in der Stunde der Gefahr und in der Stunde der Freude, sind sie dann plötzlich zufrieden mit den Anfangsworten unserer Bundesverfassung: Im Namen Gottes des Allmächtigen!"

Nun aber sollte diese Humanität, nach der man strebte, nicht ein Vorrecht erlauchter Geister und bevorrechteter Kreise bleiben, sondern es war dem Liberalismus der Regenerationszeit wesentlich, daß ihm aus dem eigenen Erleben des Humanismus ein volkspädagogischer Wille größten Stiles entsprang. Was man selbst als das Letzte, als den Sinn und die Erfüllung des Menschendaseins erlebt hatte, das sollte allem Volke zugänglich gemacht werden. So warf sich der Liberalismus mit heiliger Leidenschaft auf die Volksbildung. Die Universitäten Zürich und Bern wurden gegründet, allenthalben entstanden Lehrerseminare, und durch ein umfassendes Volksschulwesen sollte die Menschenbildung der Humanität bis ins letzte Dorf hineingetragen werden. Aber bei allem, was man schuf, war man sich bewußt, erst am Anfang zu stehen. So rief etwa am Basler Freischießen von 1844 der Graubündner Landammann Johann Rudolf Brosi: "Ja, wir haben viel Schönes; ... aber Eidgenossen: eines fehlt noch, das nicht ist, wie es sein sollte und sein könnte: es ist die Bildung unsers Volkes in allen Teilen des Vaterlandes; oder woher kommt es, daß es den Heuchlern und Volksverführern so leicht wird, das Volk glauben zu machen, sie allein seien es, die die Rechte

des Volkes wahren, die die Religion schützen?; warum hat der abgefeimte Jesuitismus so großen Spielraum?; ich sage, es kommt daher, daß die wahre und echte Volksbildung noch nicht durchgedrungen ist; darum rufe ich allen Redlichen, Mutigen und Tapfern zu, daß sie zusammentreten in einen Bund für Volksbildung, sie so zu fördern, daß die helle Flamme derselben über die Ebenen und durch die Täler bis auf die höchsten Felsengipfel leuchte; diesem Bunde aller Edeln, Gutgesinnten, welche streben, wahre Humanität, reine Gesittung und Religion zu verbreiten, gilt mein Hoch!"

Neben diesen volkspädagogischen Zielen des Liberalismus stehen die politischen Forderungen. Einerseits gehen sie auf Freiheit vom Staate, das heißt, sie verlangen weitgehende Befreiung des einzelnen von den überkommenen Bindungen an die überindividuellen Mächte des Staates, der Kirche, eines gebundenen Wirtschaftssystems, möglichst freie Entfaltungsmöglichkeit für das schöpferische Individuum nach allen Richtungen hin, und darum wird für Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Gewerbefreiheit gekämpft. Andrerseits gehen die politischen Forderungen auf Freiheit zum Staate: jeder sollte an der Bildung des Staatswillens beteiligt sein dürfen, das heißt, es wurde die Volkssouveränität zum Prinzip erhoben. Der gemäßigte Liberalismus ließ dabei noch gewisse Vorrechte der Bildung und des Besitzes gelten und begnügte sich mit dem Repräsentativsystem, während der radikale Liberalismus die unbedingte Rechtsgleichheit forderte und nach der reinen Demokratie verlangte Wie sehr diese politischen Forderungen aus dem weltanschaulichen Hintergrund des Liberalismus, aus dem idealistischen Humanismus entsprangen, zeigt etwa das Bettagsmandat der Zürcher Regierung von 1845

— es ist unterschrieben von dem zweiten Bürgermeister, dem führenden Liberalen Ulrich Zehnder —: "Wo könnte der Mensch mehr seinen Wert als Mensch, als ein zu höherer Vollkommenheit gebornes, edleres Wesen erkennen, als in einem Lande, dessen Verfassung jedem Bürger gleiche Rechte sichert, wo dem nützlichen Gebrauch seiner Kräfte ein freier Spielraum gegeben; ... aber wo sollte auch der Mensch mehr sich durch seinen Wert und seine Bestimmung gehoben und denselben gemäß zu leben sich verpflichtet fühlen als in einem solchen Lande?" Aehnlich heißt es in dem von Alfred Escher als Amtsbürgermeister unterzeichneten Bettagsmandat von 1849: "Ein neuer Geist schreitet durch die Welt, die alten Verhältnisse, die alten Formen überall erschütternd; es ist das Bewußtsein der Gleichberechtigung aller Menschen, das Bedürfnis ungehinderter Entwicklung aller menschlichen Kräfte, das denselben geweckt hat."

Es ist klar, daß eine Bewegung mit solchem Hintergrund und solchen Kampfzielen nicht nur mit dem politischen Patriarchalismus, wie ihn die Restaurationszeit von 1814 an wiederhergestellt hatte, sondern auch mit dem kirchlich-konfessionellen Charakter der schweizerischen Volksgemeinschaft in schwere Zusammenstöße geraten mußte. Der katholischen Kirche gegenüber erreichten diese Zusammenstöße ihren Höhepunkt in der Aufhebung der aargauischen Klöster und im Sturm gegen den Jesuitenorden. In der Auseinandersetzung zwischen Liberalismus und evangelischer Kirche stehen im Vordergrund die Kämpfe um die vom Küsnachter Seminardirektor Ignaz Thomas Scherr geführte Umgestaltung der Zürcher Volksschule, um die Berufung des Hegelianers David Friedrich Strauß an die Zürcher theologische Fakultät, um die Versuche des waadtländischen Liberalismus,

das Eigenleben der Kirche zu beschneiden, und endlich um die Berufung des Hegelianers Eduard Zeller an die Berner theologische Fakultät.

Es kann sich in dieser Stunde natürlich nicht darum handeln, eine erschöpfende Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Liberalismus und evangelischer Kirche zu geben. Wir müssen uns vielmehr damit begnügen, einige führende Theologen in ihrem Ringen mit dem Liberalismus ins Auge zu fassen.

3.

In Zürich fesselt uns zunächst die Gestalt des Antistes Johann Jakob Füßli. Man kann ihn einen positiv gerichteten Vermittlungstheologen nennen. 1836 begründete er mit Alexander Schweizer und andern die "Neue Kirchenzeitung für die reformierte Schweiz"; in ihren Richtlinien heißt es: "beim entschiedenen Festhalten an dem positiv christlichen Glauben wird sie eher in zu weiten, als zu engen Grenzen sich bewegen, um nicht zu zerstreuen und durch engherzige Lieblosigkeit zu entzweien, sondern sammeln und vereinigen zu können". Später beteiligte sich Füßli hervorragend am Ausbau der Evangelischen Gesellschaft und des Krankenasyls Neumünster. Bereits war er 1829 auf der Synode, obschon er nur der Filialgemeinde zum Kreuz, der späteren Neumünstergemeinde, vorstand, mit einer kühnen Rede hervorgetreten, in der er die in Formalismus erstarrte Versammlung zu neuen großen Aufgaben aufrief. Als er dann 1838 Antistes geworden war, trat er mit einer überlegenen Zeitschau vor die Synode: "Wir schauen auf eine Zeit zurück, in der, wie es viele von uns noch erlebten, im kirchlichen Leben eine Stille und Passivität vorherrschte, wo der Geistliche schon durch

sein Amt von einem gewissen Nimbus umgeben war, wo er ruhig und ohne daß ihn jemand besonders beachtete oder störte, seines Amtes warten konnte, und neben einzelnen besonderen religiösen Richtungen, welche kamen und wieder verschwanden, sich alles im alten Geleise bewegte; diese Zeit hatte ihre gute Seite und ihre Schattenseite ..., ihre gute Seite, indem ihr manches Rohe und Böse, das in Zeiten der Bewegung hervortritt, fremd blieb; ihre Schattenseite, weil doch manches, was Glaube oder Frömmigkeit zu sein schien, mehr in der Form lag, als daß es zur Tat und Wahrheit geworden wäre, und weil die Diener der Kirche auch in der allgemeinen Ruhe zu weniger Anstrengung aufgefordert waren und leichter hie und da einer erschlaffen konnte"; nun sei es aber anders geworden, und der äußere Nimbus des Pfarrerstandes habe manche Erschütterung erfahren; "trauern wir nicht darüber; hat das nicht manche Kraft geweckt, manchen in seiner behaglichen Ruhe gestört und an seine heilige Pflicht erinnert?" In besonderer Weise trat Füßli im Straußenhandel hervor. Am 31. Januar 1839, nachdem der Erziehungsrat die Berufung von Strauß beschlossen, aber der Regierungsrat sie noch nicht bestätigt hatte, brachte er die Angelegenheit im Großen Rate zur Sprache durch eine Motion, bei der Berufung von Theologieprofessoren den kirchlichen Behörden ein Mitspracherecht einzuräumen, und löste damit eine vielstündige Debatte, in der um letzte Fragen des Glaubens und der Weltanschauung gerungen wurde, aus; u. a. sagte er: "Ich hörte zwar schon, daß man die Sprache führe, wenn's Lärm gebe, so seien die Geistlichen schuld, und man stecke einige derselben ein, und die Ruhe werde bald hergestellt sein; nun, wenn's wirklich dazu kommen sollte, so wären wir

schlechte Diener Christi, wenn wir so etwas nicht zu tragen vermöchten; Paulus ist ja auch zu Philippi eingesteckt, zu Jerusalem verschmäht und zu Athen auf dem Areopag von einigen gelehrten Herren verlacht worden; aber der Glaube, den er verkündete, ist doch die Weltreligion geworden, und wenn im schweizerischen Athen ähnliches sich wiederholen sollte, so werden die Folgen dieselben sein". Nachdem die Spannung sich trotz der Pensionierung von Strauß verschärft und sich im Zürcher Putsch vom 6. September entladen hatte, gab Füßli in der Bettagspredigt vom 15. September eine neue Zeitschau; daß die Regeneration allerhand Großes geschaffen, wird durchaus anerkannt: "Schauen wir unsere Zeit an, wir müßten ihr das größte Unrecht tun, wenn wir nicht gestehen wollten, daß viel Großes, Merkwürdiges, Wohltätiges aus ihr hervorgegangen sei; Freiheiten wurden gegeben, Rechte errungen, Anstalten wurden gegründet, glänzende Unternehmungen begonnen, prachtvolle Werke geschaffen"; aber der Geist, aus dem heraus es geschehen, sei weithin nicht der rechte gewesen; "Zürich, .. deine Führer müssen von der Höhe des Stolzes und Übermutes herabsteigen, eine bescheidene Sprache führen und sich demütigen vor dem Herrn"; "große, rühmliche Opfer wurden der Bildung der Jugend gebracht und nichts gespart, um die Anstalten des Unterrichts, die Schulen, in einen bessern Zustand zu bringen; aber Tausende im Lande fühlten, daß es bei allem Glänzenden, welches da geleistet wurde, am rechten Geiste fehlte, in jener Anstalt, von der Heil und Segen, Demut und Glauben ausgehen sollte". Der Dank für diese Stellungnahme war, daß Füßli vom wieder liberal gewordenen Großen Rate im Jahre 1849 nicht mehr als Antistes bestätigt wurde.

Neben Füßli steht sein mehr links gerichteter Mitarbeiter an der "Neuen Kirchenzeitung", der große Schleiermacherschüler Alexander Schweizer, Professor der Theologie und Pfarrer am Großmünster, Verfasser hochbedeutsamer Werke zur Geistesgeschichte des Protestantismus. Er ist durchaus offen für eine unablässige Wahrheitsarbeit der Theologie; seiner Predigtsammlung gab er z. B. den Titel: "Christliche Predigten für denkende Verehrer Jesu"; und in der bereits erwähnten Großratsdebatte vom 31. Januar 1839 führte er aus: der Protestantismus sei die Freiheit des Geistes und nehme sich das heilige Recht, "den göttlichen Gehalt, den der Glaube aus Christus schöpft, in die der Zeit, Weltansicht, wissenschaftlichen Denkweise angemessenen Formen hineinzugießen und ein uns eigenes, in uns lebendes Ganzes daraus zu gestalten"; und es sei durchaus denkbar, daß sich Strauß zu einer solchen Mitarbeit entwickle; nur dürfe ihn der Staat nicht der Kirche aufzwingen; vielmehr müsse man die ihr stets notwendige Erneuerungsarbeit ihr selbst überlassen. Als dann Strauß trotzdem berufen wurde, sich aber gegen diese Berufung eine mächtige Volksbewegung erhob, billigte sie Schweizer ausdrücklich. "Daß Regierungen ihrem Volke sagen: seid sittlicher, besser, religiöser, kirchlicher, das ist oft vorgekommen; daß ein Volk sich erhebt und seinen Führern, Erziehungsräten, Regenten sagt: wir beschwören euch, seid sittlicher, religiöser als bisher, sorget besser für Erhaltung dieser tiefsten Fundamente der öffentlichen und häuslichen Wohlfahrt, solche Sprache eines Volkes zur Regierung ist mir nie vorgekommen; eine einzige Erhebung ist diese Bewegung", sprach er in der Großratssitzung vom 18. März 1839, in der die Pensionierung von Strauß verhandelt wurde.

Und als trotz der tatsächlich erfolgten Pensionierung die Bewegung anwuchs zu dem blutigen Septemberputsch, rief er den eidgenössischen Interventionstruppen in einer Bettagspredigt zu: "Wie nun, wenn jetzt wieder die Anfänge einer religiösen Gärung sich zeigen?; sollen wir erschrecken und lieber das erwachte Leben wiederum töten?; wie, wenn schon Familien hie und da zerrissen, Gemeinden in wilde Parteiung gestürzt sind?; ... sind denn solche Opfer nicht allzu groß, darf denn um des Glaubens willen so viel gewagt werden?; Christus sagt ja; aber wehe denen, welche die Religion nur wie einen Mantel um sich werfen, in der Tat aber ganz eigennützige Bestrebungen verfolgen und im Dienste der Schlechtigkeit, des Eigennutzes, Zwietracht säen, wilden Haß anfachen, das Familienglück, das Einverständnis der Bürger zerreissen, weh' ihnen, wenn ein Tropfen mutwillig vergossenen Blutes auch über sie kommt: findet ihr hingegen, der großen Mehrheit unseres Volkes sei es wirklich um Religion zu tun, gleich wie in andern Ländern sei auch unter uns das Bedürfnis nach der Himmelskraft rege geworden, die da selig macht jeden, den sie durchströmt, o dann freuet euch und danket dem langmütigen, barmherzigen Gott, daß er, ob auch alles in Gärung gerate, seinen Geist wieder ausgießen will über Alte und Junge, Söhne und Töchter". Stärker mahnte Schweizer von der Verquickung christlichen Glaubens mit äußerer Gewalttat ab, als 1841 im Aargau die Mächte des Katholizismus und des Liberalismus aufeinanderprallten. Den Vertretern des Liberalismus rief er zwar zu: "Ihr einen, wo und wie zahlreich ihr auch sein möget, ihr, die ihr im Drange nach einer neuen, die Bedürfnisse der fortschreitenden Menschheit befriedigenden Zeit Christum mißkennt, ihn

als Stütze des Veralteten ansehet und darum beseitigen möchtet, wenn ihr wirklich so weit gehen solltet, euch steht noch eine beschämende Überraschung bevor, da ihr, einst besser unterrichtet, gerade den mißkannten Christus als Urheber und Leiter alles dessen erkennen müsset, was an euern Bestrebungen haltbare Wahrheit, wirklich edel ist und nicht Leidenschaft; ihr nennet euch freisinnig und wollet Gleichheit aller Bürger vor Gesetz und Gerechtigkeit, wie, und ihr solltet den verschmähen, welcher zuerst unter allen Erdbewohnern das große Wort brüderlicher Gleichheit vor Gott ausgesprochen und diesen Sauerteig in die Menschheit geworfen hat, so daß er jetzt noch arbeitet und gerade auch in euch die bessern Gärungen erzeugt hat? .." Aber dann wandte er sich an die andern, die sich laut des Glaubens an Christum rühmen; auch sie seien zum Teil noch ferne vom Verständnis Jesu Christi; oder habe nicht Christus gesagt: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen"; "wie, nach so deutlichen Worten wären wir so verblendet, der stillen Gewalt der Wahrheit, auch wo sie unterdrückt würde, der unabsehbaren Macht ergebungsvollen Märtyrertums kein Vertrauen mehr zu schenken;... machet, wenn's nötig ist, die Erfahrung-noch länger, daß durch das gewaltsame Mittel das Christentum nicht im mindesten gefördert wird, so werdet auch ihr, durch Schaden klug geworden, den Christus wieder aufwecken, der sein Reich einzig und allein auf die freie Macht unerzwungenen Glaubens gegründet hat". So ist auch begreiflich, daß Schweizer, wie sehr er auch die "Schranke unserer gepriesenen Aufklärung", wie er sich in der zuletzt genannten Predigt einmal ausdrückt, erkannte und die überlegene Wahrheit und Wirklichkeit der Christuswelt

verkündete, sich doch keineswegs der durch den Straußenputsch hochgekommenen reaktionären Strömung anschließen konnte; vielmehr trat er stark in Opposition zu ihr, billigte z. B. auch die Entlassung des liberalen Seminardirektors Ignaz Thomas Scherr nicht und verlor darum seinen Sitz im Großen Rat.

Rechts von diesen beiden Vermittlungstheologen Füßli und Schweizer steht der Witikoner Pfarrer und Zürcher Privatdozent Wilhelm Heinrich Schinz mit seiner von 1834 bis 1844 erscheinenden "Kirchenzeitung für die schweizerische evangelische Kirche". Er hat durchaus Verständnis für die Notwendigkeit der Regenerationsbewegung: "Die Staatseinrichtungen der alten Schweiz", sagt er in der ersten Nummer des Blattes, "konnten den Anforderungen der neuen Schweiz nicht mehr genügen" und seien daher wie ein abgestorbener Baum bei leichtem Stoße von selbst zerfallen; "törichte Verblendung wäre es, alles Neue als solches zu verwerfen". Ebenso sieht er die Notwendigkeit einer Erneuerung der Kirche; die reformierte Kirche in der Schweiz "bedarf, wenn sie nicht ganz zerfallen und als bloße Ruine einer gewaltigen Vorzeit dastehen soll, einer neuen Reformation des Geistes sowohl als der äußerlichen Verhältnisse". Die Erneuerung aber, die er anstrebt, ist eine solche aus dem Geiste eines positiv-pietistischen Christentums heraus, wie es etwa der Erweckungstheologe Friedrich August Gotttreu Tholuck in Halle vertrat. Und je mehr nun die Regenerationsbewegung sich radikalisierte, besonders in weltanschaulicher Beziehung, desto mehr trat die Schinzsche "Kirchenzeitung" in Gegensatz zu ihr. So heißt es etwa im Eröffnungswort des letzten Jahrganges: die Menge frecher Zeitblätter, die Flut irreligiöser, antichristlicher, unchristlicher und unsittlicher

Schriften, die in vielen höhern und niedern Volksschulen waltende Tendenz einer Verweltlichung der Jugend, die geflissentliche Einimpfung geistigen Giftstoffs usw. lasse von der werdenden Zukunft immer Schlimmeres erwarten, und darum sei ein heißer Kampf zu kämpfen, allerdings "nicht mit fleischlichen Waffen, nicht mit Petitionen, nicht mit Septembertagen — gemeint ist der Straußenputsch —, nicht durch das Mittel der Reaktion und Revolution", aber um so mehr mit dem Schwerte des Geistes, dem Worte Gottes.

In ein noch positiveres Verhältnis zum Liberalismus auch in seinen radikalem Formen trat seit Mitte der 1840er Jahre eine stark von der Hegelschen Philosophie beeinflußte junge Theologengruppe. In ihrem Organ, der "Kirche der Gegenwart", heißt es etwa: "Es ist viel Streit zwischen Kirche und Schule, nämlich der Kirche der Gegenwart und der Schule der Gegenwart, der neuen Schule und der neualten und altneuen Kirche; die ,Kirche der Gegenwart' dagegen zeigt auch darin, daß sie wahrhaft neu ist, weil sie mit der neuen Schule eins geht"; und das Programm für den Religionsunterricht in der Schule, "dem kindlichen Herzen die stillen Pulsschläge abzulauschen, sein heiliges Ahnen, sein unbewußtes Streben nach dem Göttlichen zu erkennen, dem geistigen Strome, der durch seine Seele fließt, zu folgen und sorgsam alles wegzuräumen, was den tiefen Frieden der unbewußten Einheit mit Gott stören könnte, und mit zarter Hand den von göttlicher Kraft erfüllten Keim des religiösen Lebens zu nähren und zu pflegen", wird dem auf die biblische Verkündigung aufgebauten Religionsunterricht alten Stils unbedingt vorgezogen. Aber trotzdem sind auch diese, Hegelschen Theologen bemüht, den Geist des Liberalismus von dem in Christus offenbar

gewordenen Geist her zu vertiefen und zu stärken. Gewiß ruft etwa Heinrich Hirzel, der spätere Diakon am St. Peter, der Kirche zu, sie müsse sich angesichts der "gewaltigen Zusammenraffung des gottvollen und gottlosen Weltgeistes", weil der Herr der Geist sei, ebenfalls zusammenraffen aus viel geistlosem Wesen und sichere Geistesschritte tun auf des Geistes Bahn zum Ziel des Heils und das dem Geiste nach ergründete und angegebene Wort Gottes auch geistvoll verkünden"; aber umgekehrt rief er dem Liberalismus zu, daß der Herr der Geist sei, daß nur im Anschluß an ihn die Geistbewegung der Zeit vor einer Katastrophe bewahrt bleibe: "in Kraft des gottgebornen, schöpferentquollenen Geistes bewältigt der Mensch mit seiner Erkenntnis und bewältigt er mit seiner auf die Erkenntnis gegründeten Tat die Gewalten der Natur; in Kraft des gottgebornen, schöpferentquollenen Geistes ergründet er die verborgenen Tiefen der Erde ..."; aber das sei der Mangel der an Erkennen großen Zeit, daß es ihr fehle an einem lebendigen Mittelpunkte; so führe die Entbindung der Geisteskräfte zum Kampf aller wider alle und diejenige der Naturkräfte dazu, daß das Geistesleben der Zeit umschlage in Materialismus; darum könne das Heil der Zeit nur sein, daß alle Kräfte sich beugen vor Christus. Ähnlich sagt David Fries, der spätere Seminardirektor von Küsnacht, es sei gewiß etwas Großes für einen Pfarrer, die in der Menschenbrust wohnenden Ahnungen einer allgewaltigen und ewigen Ordnung zu pflegen; aber diese Pflege könne letztlich nur so geschehen, daß Christus, der Erstling dieses Reiches, verkündet werde; so dürfe man nicht müde werden, auch in neuen Zungen, auch in Zungen, die die neue Zeit allein glaubt verstehen zu können, Christum als das Ende aller Weisheit

zu verkünden. Noch stärker distanziert sich der damals in Münchenstein bei Basel wirkende Alois Emanuel Biedermann, der spätere große Zürcher Systematiker, von der Bewegung des radikalen Liberalismus, wenn er in seiner Schrift "Unsere junghegelsche Weltanschauung oder der sogenannte neueste Pantheismus" von 1849 sagt, daß ihm unter allen politischen Richtungen keine so zuwider sei wie die radikal-demokratische, weil sie "die ärmste an Geist, die leerste an Herz und die verderblichste für ,Freiheit, Bildung und Wohlstand für Alle'" sei; allerdings lasse er sich durch ihre Unvernunft nicht von einem vernünftigen Fortschreiten abhalten, "wie andere, die, wenn es gilt, sich durch die Wüste durchzuschlagen, alsbald zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückseufzen". Auch noch als Kantonsrat in den 1870er Jahren stand Biedermann, der Führer der freisinnigen Theologie, politisch auf dem Boden der Liberal-Konservativen und geriet dadurch mit manchem seiner theologischen Gesinnungsgenossen in Spannung.

4.

Von Zürich wenden wir uns nach Schaffhausen.

Dort stoßen wir zunächst auf die eigenartige Erscheinung Friedrich Hurters. Der im Jahre 1787 geborene Friedrich Hurter wurzelt von Jugend auf in der Welt des Ancien régime, und von Anfang erschien ihm die französische Revolution und alles, was mit ihr zusammenhing, als die Ausgeburt der Hölle; "die ersten Jahre erwachender Geisteskräfte fielen in die greulichen Zeiten, in welchen über den entsetzlichen Untaten der Französischen Revolution die Tigernatur des menschlichen Geschlechts in ihrer scheußlichsten Verzerrung sich zu erkennen gab", sagt er in seiner Autobiographie

"Geburt und Wiedergeburt". So sah er auch in der Regeneration nichts anderes als eine "Nachäfferei desjenigen, was ein unbotmäßiges, stürmisches, in seinem Innern madenfraßiges. Geschlecht am Seinestrand in wilder Meuterei zu Tage getobt". Als auch Schaffhausen sich dem Geiste des Liberalismus öffnete, legte er seine Funktionen als Mitglied des Kirchenrates, Schulrates und Ehegerichtes nieder, mit der Begründung, daß nun, da die Gesellschaft von unten aufgebaut werde, diese Behörden im Grunde keine Autorität und darum auch keinen Sinn mehr hätten: "die Welt ist nun einmal im Zuge, alle geheiligten Überlieferungen der Vergangenheit, alle noch so weisen Institutionen der Vorzeit, das gesamte Erbe der Väter und das Band, welches den Bewohner der Erde an den Himmel knüpft, zu zernichten". Was ihn zu Aufklärung und Liberalismus also in Gegensatz stellte, war nicht das unmittelbare Gebundensein an die Welt Gottes im Sinne der Reformation, sondern es war das legitimistische und traditionalistische Prinzip des Gebundenseins an die autoritativen Ordnungen der Geschichte, von denen die neuzeitliche europäische Menschheit herkam. So begann er den Weg seines in einem engen Briefverkehr mit ihm verbundenen Gesinnungsgenossen Karl Ludwig von Haller zu gehen, begann in der Reformation den großen Anfang der europäischen Revolution zu erblicken und seinen geistigen Standort in der mittelalterlichen Universalmonarchie des römischen Katholizismus zu nehmen. Aus dieser Einstellung heraus trat er, der reformierte Schaffhauser Pfarrer, in innigste Verbindung mit den Größen des damaligen Katholizismus, wurde heimisch in den Konventen schweizerischer und ausländischer Klöster und veröffentlichte 1834 den ersten Band eines großangelegten Werkes über

Papst Innozenz III.; nur in der Ausarbeitung dieses Werkes, sagt er im Vorwort, habe er der Betrübnis vergessen können, "welche bey dem losgebrochenen Toben entfesselter Leidenschaften, bey dem wilden, wüsten Rasen blinden Gelüsts, bey dem Zertreten alles Rechts und bey der in erschütternder Ausdehnung sich offenbarenden Entsittlichung (in welchem allem die Bewohner seines Vaterlandes den übrigen Völkern den Vorrang abzulaufen sich bestreben) so vielfältig und so gewaltig sein Gemüth darniederdrückte"; ja, müsse nicht jeder, dem "wohlbegründetes Recht, feste Ordnung und sittliche Würde die Pfeiler sind, auf denen der Wert und die Wohlfahrt des Menschengeschlechtes sich erheben, gerne in solche Zeiten sich hinüberflüchten ..., in welchen die Gesellschaft durch alle Abstufungen und durch alle Verhältnisse zu einem harmonisch ausgebildeten, darum auch festgegliederten Ganzen sich gestaltete, und in denen ein aus dynamischen Kräften ausgehendes Gravitationsgesetz allen die Wandelbahn bestimmte?" Trotzdem Hurter so deutlich seinen Standort in den Ordnungen des katholischen Mittelalters genommen hatte, wurde er 1835 noch zum Antistes der Schaffhauser Kirche gewählt. Aber mit der Zeit stellte sich doch immer stärkerer Widerstand ein. Auch Karl Ludwig von Haller suchte ihm im April 1840 die Unhaltbarkeit seiner Stellung klarzumachen: "es geht nach dem Urteil beyder Parteyen in die Länge nicht an, einerseits mit Verstand und Herz in Wort und Schrift durchaus katholisch zu seyn und andrerseits doch der Lehrer und Vorsteher einer protestantischen Kirche zu bleiben; ... heute Morgen in der heiligen Messe habe ich Gott mit Innbrunst und Vergießung von Tränen gebeten, daß er Sie in diesem kritischen Zeitpunkt ...

zu einem offenen Bekenntnis der Wahrheit bewegen möge". Trotzdem suchte sich Hurter in einer größeren Kampfschrift vom Sommer 1840 mit dem Titel: "Der Antistes Hurter von Schaffhausen und sogenannte Amtsbrüder" noch zu rechtfertigen. Doch im März 1841 sah er die Unhaltbarkeit seiner Lage ein und legte sein Amt nieder, trat dafür aber nun um so offener mit seinem Kampf gegen den Zeitgeist hervor. Bereits im Juni veröffentlichte er im Namen der soeben vom radikalen Aargauer Liberalismus aufgehobenen Klöster eine "Denkschrift an alle Eidgenossen und an alle Freunde der Wahrheit und Gerechtigkeit", und 1842 erschien das fast achthundert Seiten starke Werk "Die Befeindung der katholischen Kirche in der Schweiz seit dem Jahre 1831"; im Vorwort sagt er: die Antipathie gegen die Revolution "hat den Verfasser von jenem Königsmord an, dessen unermeßliche Bedeutung er damals nur aus den Tränen seines Vaters und aus den Seufzern seiner Mutter ahnen konnte, durch ein halbes Jahrhundert bis zum heutigen Tage durchdrungen; daß die Dämagogie [!], daß der Radikalismus, daß die Anhänger und Förderer der antisozialen Doktrinen in wildem Daherbrausen über die Trümmer der katholischen Kirche Bahn machen, auf diesen erst zur Vollgewalt sich erheben wollen, das findet er natürlich; ... daß aber die Vertrauten legitimer Fürsten in dieser Beziehung nut derselben liebäugeln und die Bestie, in der Meinung, sie seye gezähmt und lasse sich schmiegsam von ihrem Herrn streicheln, zum Unterwühlen gegen jenen Wehrstein loslassen, das gehört zu den verwunderlichen Dingen, und zu den noch verwunderlichern, daß sie sich dann befremden mögen, wenn dieselbe hie und da die Zähne wider sie selbst fletscht, auch ihnen die Krallen weist". Endlich im Sommer 1844

zog Hurter die Konsequenz und trat in Rom zum Katholizismus über. Bald darauf wurde er von Metternich als kaiserlich-königlicher Hofrat und Reichshistoriograph nach Wien berufen und starb 1865 im Besitze des erblichen österreichischen Adels.

Nicht weniger nahm ein zweiter bedeutender Schaffhauser Pfarrer an den großen Bewegungen der Zeit Anteil, Daniel Schenkel, der spätere Heidelberger Theologe. Als Privatdozent in Basel gab er 1839 eine Schrift zur Straußischen Angelegenheit heraus. Zugleich redigierte er die konservative "Basler Zeitung". Als er 1842 als Münsterpfarrer in seine Vaterstadt Schaffhausen übergesiedelt war, veröffentlichte er eine Darstellung der Hurterschen Affäre. Im Sommer 1847, als die politische Spannung zum Bürgerkrieg drängte, hoffte er mit der in Briefform geschriebenen Schrift: "Ob Krieg oder Frieden?" die Gegensätze noch zu versöhnen. Und nicht lange darnach gab er ein größeres Werk über "Die religiösen Zeitkämpfe"heraus. Auch in seinen Predigten nahm er stark bezug auf die Ereignisse der Zeit, so etwa in denjenigen über das "Kommen des Herrn in unserer Zeit" vom Ende des Jahres 1848. Im Gegensatz zu Hurter aber vertritt er keineswegs ein starres Traditionsprinzip: "Die Restaurationsperiode von 1814-1830" sagte er, "war eine künstliche Hemmung einer naturgemäßen Entwicklung; daß die Städteherrschaft gebrochen, die Preßfreiheit hergestellt, die Trennung der Gewalten durchgeführt, die politische Gleichheit begründet, die Verwaltung geregelt, das Volksschulwesen gehoben, das Volksgefühl geweckt wurde, das sehe ich bis auf den heutigen Tag als einen hohen Gewinn an, und ich wäre der Erste, der einer Rückkehr zu den Staatsformen der Restauration mit aller Entscheidenheit

in den Weg träte." Aber das Weltanschauungsprinzip des Liberalismus lehnt er des Bestimmtesten ab, weil es ihm letztlich eine von Gott losgelöste Humanität ist. Einen Vertreter des Liberalismus läßt er sprechen: "Der gebildete Charakter unseres Jahrhunders anerkennt keine Konfessionen, sondern nur noch den allgemeinen Typus der Humanität an; Christentum ist Menschentum; Staat und Kirche werden in Zukunft in Eins zusammenfallen; man wird nicht mehr ein Christ werden müssen, um ein Mensch zu werden, sondern ein Mensch, um vollberechtigt zu sein, sich Christ zu nennen." Und das Wesen des Liberalismus sieht er letztlich darin, die Schweiz in einen "zentralen Humanitätsstaat" zu verwandeln. Aber dieses Experiment müßte mit einer Katastrophe enden: ein solcher Humanitätsstaat "wäre nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Menschen Engel wären, daß es auf Erden keine Sünde und keinen Irrtum gäbe"; aber so wie die Menschen sind, würde die Verwilderung mit jedem Jahre wachsen; "Zuchthäuser und Hospitäler würden die Paläste der Neuzeit werden und als Demarkationslinien der Kultur und als Stapelplätze der Humanität sich jedenfalls glänzend ausnehmen; schöne Zukunft, in der aus unsern Kirchen, die der Zeitgeist in Fabriken verwandelt hätte, der rußige Schlot rauchender Kamine hervorragte und statt der Predigt des göttlichen Wortes und der zum Preise des Herrn wohltönenden Orgel der sausende Webstuhl erklänge; schöne Zukunft, in welcher der Materialismus als Kulturprophet auf Thronen, Kathedern und Feldstühlen säße, nachdem die Religion der Entsagung und Selbstverläugnung zu Grabe getragen wäre!" So lehnt Schenkel das Schulprogramm des konsequenten Liberalismus ab: "ich lobe mir den Liberalismus, der die Schulen verbessert, den alten

Schlendrian überwunden, eine zweckmäßigere Unterrichtsmethode eingeführt, eine Menge alter Vorurteile im Erziehungswesen gestürzt hat; aber den Liberalismus lobe ich nicht, der das Werk der Erziehung hinlänglich gefördert zu haben meint, wenn nur der Verstand entwickelt und die Bildung recht früh in die Regionen der Einbildung hinübergeleitet wird"; der Hauptirrtum des neuen Schulwesens sei der Wahn, "daß die wahre Bildung auf einer andern Grundlage als derjenigen einer positiven Religion ruhen müsse."Schließlich stellt er dem Liberalismus, der die Klöster im Aargau aufhebt und die Jesuiten mit den Waffen vertreibt, einen andern Liberalismus entgegen: "überlassen wir es jeder Confession, ihre religiösen Angelegenheiten zu ordnen, wie sie es für gut findet; das ist ächter Liberalismus." An die Stelle des radikalen Weltanschauungsliberalismus mit seinem Totalitätsanspruche setzt er also jenen Liberalismus im engem Sinne des Wortes, den Liberalismus als Prinzip des Antietatimus.

5.

Aus der evangelischen Kirche des Aargaus klingt vornehmlich die Stimme von Abraham Emmanuel Fröhlich in das Kampfgetöse der damaligen Zeit hinein. In den Jahren der Restauration, als Lateinlehrer in Brugg und Pfarrvikar in Mönthal, hatte er durchaus zu den freiheitlich gesinnten Kreisen gehört, war Philhellene und eifriges Mitglied der Helvetischen Gesellschaft gewesen. Aus einem solchen Geiste heraus sang er auch seine 1827 veröffentlichten Schweizerlieder; in ihnen verkündet er etwa den Freiheitskampf der alten Eidgenossen als Erfüllung des Evangeliums: "Zuerst den Hirten naht Die rothe Morgenstund, Zuerst den Hirten that Sich

unser Heiland kund, Zuerst ward in den Hirtenlanden Sein göttliches Gebot verstanden"; die Morgensterne und brennenden Burgen künden "um und um Der Freiheit Evangelium"; und den Bauern legt er die Verse in den Mund: "Laßt, Städter, die Thore weit offen sein! Gleich fürstlichen Adels sind Herren und Bauren. Wir sind eine christliche Volksgemein!" So ward Fröhlich 1827 auch als Nachfolger des Freiheitsmannes August Adolf Ludwig Follen an die freiheitsbegeisterte Kantonsschule in Aarau berufen. Aber als dann mit dem Jahre 1830 die Freiheitsbewegung ihren großen Vormarsch antrat, trennte sich der Weg Fröhlichs von dem ihrigen. Auf der einen Seite lernte Fröhlich immer tiefer verstehen, daß das Evangelium nicht so sehr die innergeschichtliche Freiheit des freien und starken Menschen meint, sondern die eschatologische Befreiung und Erlösung des gebundenen und zerbrochenen Menschen. So wendet er sich mehr und mehr von der patriotischen Lyrik zur religiösen, gibt etwa 1835 "Das Evangelium Johannes in Liedern" heraus und 1844 die "Auserlesenen Psalmen und geistlichen Lieder". Auf der andern Seite löste sich die Freiheitsbewegung immer mehr von aller Bindung an das Göttliche, wurde immer autonomer und selbstherrlicher und verband sich zugleich mit viel Gewalttätigkeit und Strebertum. So stand Fröhlich plötzlich als scharfer Gegner des vorstürmenden Liberalismus da und zog mit Leidenschaft in der "Neuen Aargauer Zeitung" gegen ihn zu Felde. Die Folge war, daß er 1835 zu seinem Amte nicht wieder gewählt, und daß eine Wahl in die Pfarrei Kilchberg von der Regierung nicht bestätigt wurde. So mußte er froh sein, mit dem Rektorate der Aarauer Bezirksschule und der Klaßhelferei des Kapitels Aarau-Zofingen betraut zu werden. In dieser Stellung richtete er 1843

die scharfe politische Satire "Der junge Deutsch-Michel" gegen den radikalen Liberalismus, wie er in Deutschland und der Schweiz vertreten wurde. "Was Allerherrlichstes die deutsche Sprache nennt, Was Schönstes deutsche Kunst, Art und Geschichte kennt, Das heißt der Michel nun Verkehrtheit und Verrücktheit In seinem Freiheitsrausch, in seines Rauschs Verzücktheit. Er heißet Gott ein Nichts, die Bibel Teufelei, Des Evangeliums Gesittung Barbarei; ... Er heißet Nacht den Tag, den Mord nennt er Belebung, Versunkenheit zum Thier die nennt er Geisterhebung." Daß Fröhlich ob solcher Angriffe willen gelegentlich persönlich bedroht wurde, ist nicht unbegreiflich; in den Klosterwirren wurden ihm zum Beispiel zwei Bleikugeln durchs Fenster ins Haus geschleudert, und in der Zeit der Freischarenzüge bot ihm Wilhelm Wackernagel in Basel sein Haus als Zufluchtsstätte an. Als nach dem Sonderbundskrieg und der Gründung des Bundesstaates 1849 in Aarau das große Versöhnungsschützenfest gefeiert wurde, beteiligte sich allerdings auch Fröhlich daran, indem er Festlieder dichtete und neben seinem großen Antipoden Augustin Keller als Redner auftrat. Von seiner scharfen Gegnerschaft gegen die Weltanschauung des Liberalismus wich er aber nicht, wie seine 1850 erschienenen "Reimsprüche aus Staat, Kirche, Schule"zeigen: "Was hilft der neue Bund, wenn wiederum der Geist Engherzig, herzlos sich nur als Partei erweist, Den alten Menschen er zugleich nicht mit zog aus, Die alte Krankheit einzog in das neue Haus? ... Verbannt Freigeisterei! nicht sie hat uns befreit, Und Ehrfurcht prediget der Alpen Herrlichkeit."

6.

In Basel hat sich die große Auseinandersetzung und Ineinandersetzung zwischen evangelischer Kirche und Liberalismus bereits am Anfang der Regenerationszeit im Zusammenhang mit der Erhebung und dem Abfall der Landschaft vollzogen, und zwar, wie es in der Natur der Sache liegt, mit besonderer Heftigkeit.

Vielleicht der größere Teil der damaligen Basler Pfarrer, vor allem auf der Landschaft, vertrat die Welt des Evangeliums in der pietistischen Form des Herrnhutertums oder der Christentumsgesellscbaft. Das hinderte aber keineswegs, daß sich diese Pfarrer in der Restaurationszeit an allerhand fortschrittlichen und freiheitlichen Bestrebungen, so etwa am Ausbau des Volksschulwesens auf der Landschaft, mit Eifer beteiligten. Als aber die Regeneration das Baselbieter Volk erfaßte und sofort radikale Formen und revolutionären Charakter annahm, traten sie alle geschlossen auf die Seite der Stadt. Einige hatten zunächst geschwankt; der Pfarrer von Frenkendorf schrieb zum Beispiel beim Ausbruch der Revolution an seinen Dekan in Liestal: "um Gotteswillen, können wir nicht nach Basel schreiben oder gehen, um sie drinnen zur Nachgiebigkeit zu mahnen; es geht nicht mehr; das arme Landvolk dauert mich zu sehr." Aber schließlich siegte eine rein legitimistische Einstellung: wer sich wider die Obrigkeit erhebt, erhebt sich wider Gott; und von da aus wird nun vor allem der Liberalismus bekämpft. Der bedeutendste Vertreter dieser Richtung war wohl der geistesmächtige Dekan Johannes Linder in Ziefen, nach seiner Vertreibung aus dem Baselbiet Obersthelfer in der Stadt. In einer Predigt sagte er etwa: "wir haben eine gerechte Sache: wir halten treu an unsrer Obrigkeit nach Gottes Wort, und insofern ist

unsere Sache Seine Sache."Und als man ihm sagte: "hättet ihr mit uns gehalten, wäre das ganze Land einig gewesen, so hätte auch die Stadt nachgeben müssen, und dann solltet ihr sehen, wie viel glücklicher wir geworden wären", antwortete er: gewiß sei der Bürgerkrieg ein schreckliches Unglück; "aber lieber dieses Unheil, als daß ein ganzes Volk einmüthig dahinfahre in den frechsten Abfall von aller göttlichen und menschlichen Ordnung". Auch später noch übte Linder an Alexander Vinet, weil er die Kirche in grandioser Freiheit unmittelbar an Gott binden und vom Staate lösen wollte, eine dementsprechende Kritik: er sei ein geistreicher Theoretiker, der zu wenig in und mit der Welt gelebt habe, um die wirklichen Lebensverhältnisse zu kennen; "er hätte sich in Basel von der Möglichkeit und dem Segen einer wohlwollenden Verbindung zwischen Staat und Kirche überzeugen können...; sein edles Herz brach vor Mitleid gegen jeden um seiner religiösen Ueberzeugung willen Verfolgten; aber er war weniger empfindlich, wenn von seiten dieser Verfolgten im Kampfe mit der Regierung die schuldige Ehrerbietung verletzt wurde."

Neben diesem pietistischen Kreis von Basler Theologen stand ein zweiter, der sehr stark vom deutschen Idealismus berührt war und demgemäß, wie man vielleicht sagen darf, eine christliche Humanität vertrat. Seine Führer waren Wilhelm Martin Leberecht de Wette und Karl Rudolf Hagenbach. In der Restaurationszeit standen sie den liberalen Bestrebungen besonders nahe, und de Wette hatte etwa in seinem Bildungsroman von 1829: Heinrich Melchthal oder Bildung und Gemeingeist" ein umfassendes Kulturprogramm im Sinne jener christlichen Humanität entfaltet. Als aber nun die Landschaft in einem radikalen und revolutionären Liberalismus

vorstürmte, lehnten ihn auch diese Theologen ab. So sagte etwa Hagenbach in der Rektoratsrede von 1832: "nicht der Geist der Neuerung ist es, nicht das Streben nach Freiheit und Oeffentlichkeit, was den wissenschaftlichen Mann, der seiner Ueberzeugung lebt, beunruhigen könnte; was aber der Lehrer der Wissenschaft bedauern muß, ... das ist der Gedanke, daß es eben nicht der Wissenschaft, nicht der wahren Geistesbildung, nicht der ächten Weisheit und Freisinnigkeit, mit einem Worte, nicht der Humanität gelungen ist, das Bessere auf eine vernünftige und wahrhaft zeitgemäße Weise herbeizuführen, sondern daß Roheit und Halbbildung, Oberflächlichkeit, Anmaßlichkeit und seichte Absprecherei sich hie und da mit fanatischer Wut der heiligsten, aber in ihren Händen gefährlichsten Waffen bemächtigt haben, um der wahren Bildung selbst den Krieg anzukünden." Und de Wette, der einst seine Berliner Professur verloren hatte, weil er den Mörder des reaktionären Staatsrates August von Kotzebue einen "reinen, frommen Jüngling" und seine Tat "ein schönes Zeichen der Zeit" genannt hatte, zog sich nun mit auffälliger Betonung auf den legitimistischen Standpunkt der pietistischen Pfarrer zurück; "da diese Vorträge auf dem christlichen Grundsatze ruhen, daß man der Obrigkeit unterthan seyn soll, so werden Christlich-gesinnte hoffentlich keinen Anstoß daran nehmen", schrieb er im Vorwort zu einer Predigtsammlung. Dafür ließ der Revolutionssänger Rudolf Kölner in seinem "Aristokratentotentanz" den Tod zu de Wette sprechen: "Veni, Rector magnificus, Voll Weisheit bis zum Ueberfluß! Vom eingefleischten Atheisten Wardst du zum frömmsten. Pietisten."

Eine andere Stellung als die beiden genannten Gruppen bezog Markus Lutz, der durch zahlreiche Werke

zur vaterländischen Geschichte weithin bekannte Pfarrer von Läufelfingen. Er lebte noch sehr stark in einer durch die Aufklärung geprägten Frömmigkeit; in seiner am St. Jakobsfeste von 1825 gehaltenen Rede hatte er zum Beispiel die Helden von St. Jakob also angesprochen: "Schwebt hernieder, ihr Unvergeßlichen, aus eurer Versammlung im Tempel der Unsterblichkeit, aus dem. Allerheiligsten, wo Helvetiens schützender Engel strahlt, zu schauen die Tränen des Dankes." Als dann die Revolution losbrach, stellte er sich mit nur noch einem Kollegen auf die Seite der Landschaft, wagte aber durchaus, deren Freiheitssache unter das Gericht des göttlichen Wortes zu stellen; so sagt er etwa in den ihm von der jungen Landschäftler Regierung aufgetragenen Bettagsgebeten von 1832: "beschäme die Schamlosen, die mit Freiheit und Vaterlandswohl nur ein abscheuliches Spiel treiben!"

Unbedenklicher identifizierten manche jener Pfarrer, die von auswärts kamen, um die Stelle ihrer vertriebenen Kollegen einzunehmen, die Sache des radikalen Liberalismus mit der Sache des Evangeliums. So hieß es etwa: "Wie Israel bestimmt war, den Glauben an einen Gott über alle Völker der Erde zu verbreiten, so sagt jedes Blatt unserer Geschichte: Du Schweizerland bist Werkzeug Gottes, einen werktätigen Glauben an die Gleichheit der Menschen vor Gott und die Gleichheit der Pflichten und Rechte als die zweite Grundwahrheit jeder wahren Religion über alle Völker der Erde zu verbreiten." Und einer von ihnen rief dem alten Antistes Hieronymus Falkeisen zu: ,Lullen Sie Sich ein durch der Rede Schellengebimbel und der Orgel Heulgeräusch; ... aber hüten Sie Sich vor den Elementargeistern der Zeit." Es dauerte allerdings nicht lange, bis manche von

diesen Ankömmlingen wieder verschwanden; und Johannes Linder konnte etwa zehn Jahre nach der Revolution schreiben: "Schon ist wieder die Mehrzahl der Stellen mit gläubigen Pfarrern besetzt; wir haben nicht umsonst gearbeitet; wir sind nicht zu Schanden geworden in dem in Schwachheit getriebenen göttlichen Werk; ... wir wollen uns in Demut in das schwere Schicksal ergeben, als Opfer gefallen zu sein in einem Streit, wo Christi heilige Sache über den Radikalismus siegreich triumphiert hat."

Diese Kämpfe stellen die wesentliche Auseinandersetzung der Basler Kirche mit dem Liberalismus in der Regenerationszeit dar. Trotzdem fehlte es auch später nicht an immer neuen Nötigungen, zu den großen Bewegungen der schweizerischen Zeitgeschichte Stellung zu nehmen. Besonders geschah das in den beiden kirchlichen Zeitschriften, die von Basel ausgingen, in dem 1833 von Johannes Linder und seinen Freunden gegründeten pietistisch-konservativen "Christlichen Volksboten aus Basel"und in dem seit 1845 erscheinenden "Kirchenblatt für die reformierte Schweiz" des Vermittlungstheologen Karl Rudolf Hagenbach.

Eine besondere Gelegenheit der Auseinandersetzung bot sich, als im Sommer 1844 die Vierhundertjahrfeier der Schlacht bei St. Jakob zusammen mit dem eidgenössischen Freischießen in Basel abgehalten wurde, und alles, was zur Freiheitsbewegung gehörte, zusammenströmte. Zur Eröffnung der Feier wurden in den verschiedenen Kirchen Festpredigten angeordnet. Im Münster predigte Antistes Jakob Burckhardt. Er sprach zunächst von der Hilfe, die Basel 1444 von den Eidgenossen widerfahren sei, und dann von dem, was es in der Gegenwart der Eidgenossenschaft zu verdanken habe; die Hinweise darauf klangen allerdings sehr gedämpft: "wenn

auch aus dieser Verbindung mit den Eidgenossen in noch nicht vergessener Zeit uns Unbilde erwachsen sind, die uns sehr schmerzhaft waren" — gemeint ist ohne Zweifel die in Basel als sehr parteiisch empfundene eidgenössische Vermittlung in den Basler Wirren der 1830er Jahre, — "so wollen wir dennoch Gott danken, daß wir zu ihrem Volke gehören: und wenn auch in der Eidgenossenschaft manches nicht ist, wie wir es wünschen und wie es sein sollte, so übersehen wir doch nicht, daß wir daneben manches genießen, um das uns andere Völker beneiden, und geben wir die Hoffnung nicht auf, der bessere und biedere Sinn, der noch viele tausend Schweizerherzen beseelt, werde wohl auch wieder einmal die Oberhand gewinnen." Dann wies Burckhardt seine Zuhörer von der Menschenhilfe weg auf die Hilfe Gottes und wandte sich dabei sehr deutlich gegen den Kult, der mit der eidgenössischen Schützenfahne, dem Symbol der ganzen Freiheitsbewegung, getrieben wurde: "O es täusche uns nicht der heutige Jubel; die eidgenössische Schützenfahne, die von manchen fast vergöttert wird, bringt uns nicht nur erfreuliche, sondern auch schmerzliche Gefühle; denn was kann sie uns helfen am Tage der Not und des Streites, wenn nicht die starke Hand der brüderlichen Eintracht sie trägt? Nur Gott ... kann uns helfen." Unmittelbar darauf traf die ebengenannte Fahne, die "heilige Fahne", wie sie der luzernische Freiheitsmann Karl August Feierabend in seinem umfangreichen Festbericht nennt, nach einem unbeschreiblichen Triumphzug durch die ganze Schweiz von Chur her auf dem Festplatz bei St. Jakob ein; "da entblößten sich aller Häupter, Hüt' und Mützen wirbeln in den Lüften, und ein dreifaches Hoch aus hochschwellender, glücklicher Schweizerbrust übertönt den Donner

der Kanonen von beiden Ufern, während alle Fahnen sich tief neigen vor der Einen, Ihr [!], aller andern liebenden Mutter; und wer da auf St. Jakobs Stätte das Hoch vernommen aus vaterländischer Brust, die Freudentränen in blitzenden Schweizeraugen gesehen, und das Festvolk dastehend, wie ein Mann, eine Seele in einem Leib, dem kann es nie bange werden um die Zukunft unseres Vaterlandes", sagt der nämliche Feierabend. In diese Gemeinde hatte nun, nachdem Karl Rudolf Hagenbach wegen schweren Leides in der Familie abgesagt hatte, Samuel Preiswerk, 1833 aus Muttenz vertrieben, damals Pfarrer zu St. Leonhard, später Nachfolger Burckhardts in der Antisteswürde, die Festrede hineinzurufen; er knüpfte durchaus an die gehobene Stimmung des Augenblickes an, aber er wies sie zugleich klar und deutlich über das Humane hinaus; "Eidgenossen, auf Gott ruht unser Bund, wir tragen in der vaterländischen Fahne das Zeichen des Kreuzes, das heilige Symbol des Christenglaubens; ... wenn nach aber 100 Jahren unsere Enkel dieses schöne Fest erneuern, sollen sie uns das Zeugnis geben können: die Männer von 1844 haben den Bau des eidgenössischen Lebens neu befestigt auf dem einen Felsengrund aller öffentlichen und häuslichen Wohlfahrt und haben in rechten Treuen ihre Seelen Gott geweiht." Es sind unverkennbar zwei Welten, die in Jakob Burckhardt und Samuel Preiswerk auf der einen und in der begeisterten Festgemeinde auf der andern Seite sich begegneten. Wie stark die letztere das Bewußtsein davon hatte, steht allerdings dahin; nach dem Berichte Feierabends wurde jedenfalls die Rede Preiswerks so beantwortet, daß "tausendstimmiger Zuruf diesem Preiswerke vaterländischer Beredsamkeit das Echo des Herzens beurkundete."

7.

In Bern ist einer der führenden Männer in der evangelischen Kirche während der 1830er und 1840er Jahre Car! Albrecht Reinhold Baggesen, der Helfer am Berner Münster. Als Sohn des dänischen Dichters Jens Baggesen wuchs er in die volle Bildung der Zeit hinein und ließ sich tief von den großen philosophischen Bewegungen des deutschen Idealismus ergreifen. Er schreibt später einmal an seinen Bruder: "es ist mir oft merkwürdig, wie so gar nichts Wesentliches als Gegensatz und Widerspruch auf dem philosophischen und theologischen Gebiete literarisch und wissenschaftlich oder auch praktisch und kirchlich hervortritt, was ich nicht schon in mir, in meinem Denken und Zweifeln durchgemacht hätte, so daß meine innere, geistige Geschichte ein kleines, persönliches Compendium der philosophisch-religiösen Zeitgeschichte genannt werden könnte." Als freigerichteter Theologe wurde Baggesen denn auch 1825 in einem gewaltigen Wahlkampf durch den Großen Rat ans Berner Münster gewählt. So war er denn auch durchaus für eine Erneuerung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse offen. Er redet später einmal "von der so vorurteilsvollen und starren Partei der Stabilität", von dem "Egoismus des Besitzenden und Nichts-Gewährenden." Aber allerdings auch der Liberalismus mußte ihm, je mehr er sich radikalisierte und in seinem eigentlichen Wesen enthüllte, um so bedenklicher erscheinen und ihn dadurch zugleich immer tiefer in die Erfassung der Glaubensposition hineinführen: "ich sehe es als eine große Gnade Gottes an, daß nicht in früherer Zeit, wo ich noch schwankender im Glauben war, der Kampf anhob, der jetzt bevorsteht; ich hätte zwar allezeit für Recht und Wahrheit gestritten, aber nicht mit dem Mut

und der Zuversicht und zugleich der Besonnenheit, die ich jetzt habe, seitdem ich es deutlich weiß, in welches Herrn Dienst ich stehe, und was das höchste Gut ist, für das es sich zu kämpfen lohnt." Von solcher Einstellung aus zeichnet Baggesen in feiner Weise der Kirche in der Rede, mit der er im Juni 1847 die Berner Geistlichkeitssynode als deren Präsident eröffnete, das zu erstrebende Verhältnis zwischen evangelischem Glauben und Humanität: die evangelische Glaubenserkenntnis sei gewiß in mancher Beziehung in veralteten Formulierungen erstarrt gewesen; andrerseits habe die weltliche Bildung noch nie eine solche Höhe und einen solchen Umfang erreicht, niemals noch sei sie sowohl durch populäre Literatur als durch die Volksschule selbst so tief heruntergestiegen, und niemals habe sie sich zugleich entschiedener mit den allezeit in der Menschheit vorhandenen materialistischen und egoistischen Tendenzen verbündet; diesen Gegensatz zu überwinden, sei nun Aufgabe der Kirche; an eine Vermittlung durch "Akkommodationen des Christlichen an das Weltliche" sei natürlich nicht zu denken; vielmehr müsse "das Christliche alles Wahre und Berechtigte der naturalistischen und humanistischen Bildung in sich aufnehmen, verarbeiten, mit seinem Geiste durchdringen und heiligen, während es das Sündhafte und Verkehrte"auszustoßen habe. Indem nun Baggesen für diese Synthese von evangelischem Glauben und Humanität kämpft, muß er mit der bloßen Humanität des Liberalismus zusammenstoßen. Die heftigsten Zusammenstöße erfolgen naturgemäß in der Zeit, da nach dem Sturze des Schultheißen Karl Neuhaus im Sommer 1846 bis zum liberal-konservativen Umschwung im Frühjahr 1850 der Freischarengeneral Ulrich Ochsenbein, Jakob Stämpfli und andere radikale Häupter die

Regierung führten. Da haben wir zunächst den Zellerhandel. Ähnlich wie es 1839 in Zürich mit Strauß der Fall gewesen war, wurde 1847 der Hegelianer Eduard Zeller auf den neutestamentlichen Lehrstuhl nach Bern berufen. Baggesen fühlte als Präsident der Synode eine besondere Verantwortung auf sich ruhen, trat sofort gegen diese Berufung mit einer Eingabe an den Regierungsrat auf den Plan und griff dann auch mit mehreren Publikationen in die öffentliche Debatte ein. Schließlich ging es ihm nicht mehr so sehr darum, die Berufung Zellers zu verhindern, als vielmehr um die Anbahnung einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Zellers Hegelischem Pantheismus. Doch blieb er dabei, daß "die Berufung eines Mannes, der alles, was bisher für reales Christentum galt, als veraltet verwirft, an den Lehrstuhl der neutestamentlichen Exegese, wenigstens ein auffallender Mangel an Regierungsweisheit, wenn auch nicht bewußte Feindschaft gegen den Glauben der Kirche" sei. Andere Zusammenstöße zwischen Baggesen und dem radikal-liberalen System erfolgten infolge einzelner Predigten Baggesens. In der Bettagspredigt des Jahres 1846 hatte er von "vielen gebrochenen Eiden"gesprochen und gesagt: "das Volk der Juden zur Zeit Christi ließ sich auch von jedem Verführer, der ihm größere Freiheit und äußere Wohlfahrt versprach, zum Aufruhr und zur Empörung verleiten; das waren seine falschen Messiasse." Dafür erhielt er einen schriftlichen Verweis von Seiten des Regierungsrates. Nach einer Predigt vom August 1847 erschien sogar der Regierungsstatthalter in seiner Wohnung und forderte ihm, während vier Polizisten das Haus bewachten, um einen Fluchtversuch zu vereiteln, das Manuskript ab. Sehr eindringlich redet er auch in der Bettagspredigt, die nur wenige Wochen vor dem

Sonderbundskrieg gehalten wurde; es sei sehr die Frage, ob der Bettag nicht zur Heuchelei geworden sei, wo große Teile des Volkes sich bewußt von aller Bindung an die Welt Gottes lossagen und wo Brüder wider Brüder zum Bürgerkriege rüsten: "Heiliger Gott, ist es denn so weit gekommen, daß dieses verhängnisvolle Wort an einem eidgenössischen Dank-, Buß- und Bettags ausgesprochen werden muß; und ist es so weit gekommen, daß es an solchem Tage ausgesprochen werden kann, ohne daß aus allen Gauen sich ein Schrei erhebe: Lieber alles in der Welt, nur dieses nicht! Lieber Anerkennung des eigenen Unrechts und des Rechts der andern, lieber alle Opfer, welche die Bruderliebe, die Eintracht, die Bundestreue, der geschworene Eid fordern kann, als der entsetzliche brudermörderische Krieg!" Baggesen selbst erfuhr wegen dieser Predigt keine weiteren Anfechtungen; dagegen wurden andere Berner Pfarrer, die sich in ähnlichem Sinne geäußert hatten, eine Zeitlang in ihrem Amte stillgestellt. Schließlich sah Baggesen in all diesen Kämpfen doch auch etwas Heilsames, eine Aufrüttelung aus bloß traditioneller Christlichkeit und die Nötigung zu neuer, selbständiger Glaubensentscheidung: "ich erkenne, daß es nicht anders sein kann und so sein muß, damit der Sieg der Wahrheit und ein neues, ebenfalls alle Klassen der Gesellschaft durchdringendes Glaubensleben herbeigeführt werde", schreibt er an seinen Bruder.

In ähnlicher Richtung, nur mit ganz anderer Dynamik des Geistes und des Wortes, führt den Kampf der Pfarrherr von Lützelflüh, Jeremias Gotthelf. Lebendig trägt er in sich das Erbe eines kräftigen, bodenständigen reformierten Glaubens. Dazu kommt aber auch bei ihm als zweites Moment eine starke Prägung durch den deutschen Idealismus, vor allem durch Herder, Fries,

Schleiermacher; besonders das Fries'sche Ahnen des Unendlichen im Endlichen, des Ewigen im Zeitlichen der Natur und des Menschenlebens bleibt ein wesentlicher Grundzug seiner geistigen Schau und seines dichterischen Schaffens; so schreibt er etwa noch in seinem berühmten "Glaubensbekenntnis" an Amtsrichter Burkhalter vom Jahre 1840: ein Rationalist erkenne nur das als wahr, was innerhalb den Schranken der menschlichen Erkenntnis liege; "wo bleibt da der Glaube, die Ahnung?"; er möchte sich am ehesten einen Mystiker — damit meint er eben einen Menschen der Ahnung — nennen; gerne wolle er gestehen, daß er religiöser geworden sei, d. h. er "beziehe weit Mehreres auf Gott, erkläre weit öfter im Sichtbaren das Unsichtbare", betrachte sein jetziges Sein im Zusammenhang mit dem Zukünftigen. Endlich lebt in Gotthelf in wunderbarer Kraft der Geist Pestalozzis, das Geöffnetsein für den verschütteten Reichtum in jedem Menschenwesen und die heilige Leidenschaft, dieses Ewige und Göttliche durch Erziehung und Bildung "aus dem Kot der Erde" herauszuheben und zur Entfaltung zu bringen; es ist bekannt, daß er in seiner "Armennot" von 1840 den Vorschlag macht, alle fünf Jahre einen Pestalozzitag abzuhalten; das wäre "ein wahres Nationalfest, der Schweizer würdig, würdig des ersten Mannes, den in letzten Zeiten die Schweiz geboren; nur ein lebendig, jedesmal neu werdendes Denkmal, ein jedesmal neu und höher geweihtes Fest, das sei unser Pestalozzitag, der Schweizer Ehrentag, der uns zum Leben heiliget, den Himmel uns näherbringt, zum heiligen Bund für alles Hohe und Heilige unsre Herzen weiht!" So stand Gotthelf den liberalen Bestrebungen der Regenerationszeit am Anfang durchaus nahe. Im Herbst 1830 schreibt er etwa an Burkhalter, die Julirevolution

sei von der Vernunft begonnen, durchgeführt und beschlossen worden und daher ein schlagender Beweis gegen die, die behaupten, die Welt werde immer schlimmer; "das Volk erwacht allmählig, ist aber noch schlafsturm und weiß nicht recht, auf welche Seite es aus seinem vertroleten Bette kann; ist es einmal erwacht und begreift es, was allein ihm recht auf die Beine hilft, nämlich eine vernünftige, nicht gelehrte, aber menschlich christliche Bildung, dann geht es mit starken Schritten vorwärts". Allerdings liegt in diesen Worten zugleich eine klare Abgrenzung gegen den Liberalismus in Reinkultur: Gotthelf verlangt nicht menschliche Bildung, Humanität schlechthin, sondern menschlich-christliche Bildung, christliche Humanität, Humanität, die aus einem wahren, lebendigen evangelischen Glauben herausgeboren und herausgestaltet ist. Das legt er ausführlicher in einer der vier Predigten dar, die er im Herbst 1831 als Feldprediger eines bernischen Besatzungsbataillones im Baselbiet gehalten hat; die Predigt handelt von der wahren Freiheit: "in unsern Tagen hallt die Welt von dem Worte Freiheit wider; fast in eines jeden Munde ist das Losungswort Freiheit; freie Menschen wollen die einen sein, fordern die andern auf, es zu werden nach ihrem Sinne"; da müsse man sich klar sein, daß die Freiheit in erster Linie eine innere Freiheit sei: "laßt durch kein Geschrei euch irre machen, als ob die Freiheit darin bestehe, daß allen alles erlaubt sei, oder daß das Weltheil in äußeren Einrichtungen bestehe; unser Heil liegt in uns selbst, wenn wir erleuchtet und stark im Geiste den Willen Gottes vollbringen können; dann sind wir glücklich und wahrhaft frei und werden den Bruder lieben, durch Güte ihn gewinnen, sogar durch Unterwerfung; von einer solchen innern Freiheit aus

dürften wir allerdings auch nach äußerer Freiheit trachten, wenn unser bürgerliches Leben durch Beschränkungen gelähmt sei, wenn Christen sich nicht als Brüder erkennen wollen, wenn Einrichtungen die freie Entwicklung des Geistes hemmen, die einen auf Kosten der andern begünstigen; aber erstens müßten wir genau prüfen, ob die Veränderung, die wir wünschen, wirklich eine Verbesserung sei, und zweitens dürften wir diese äußere Freiheit nicht mit den unreinen Mitteln der Gewalt erzwingen wollen". In diesem Sinne nimmt Gotthelf in den nächsten Jahren Stellung zur Regenerationsbewegung des Liberalismus: er tritt ihr nicht gegenüber, er stellt sich sogar in sie hinein, aber er betont mit immer stärkerem Nachdruck die göttliche Welt, aus der die Humanität und Freiheit herauswachsen sollte. So etwa beteiligt er sich an der Ausbildung der Volksschullehrer und ruft ihnen am Verfassungstage des Jahres 1834 zu: "wir feiern ein Siegesfest der großen im Christentum begründeten Ideen von Menschenrecht und Brüderschaft über mittelalterliche Angewöhnungen und eingeschlichene Mißbräuche"; Großes sei den Lehrern in die Hände gelegt, sie seien es, welche die Herzen der Menschen bilden, die Richtung geben ihren geistigen Kräften; doch sei schwer die Erfüllung der Aufgabe, und darum sollten sie ihre Arbeit tun im Aufblick zum Anfänger und Vollender unseres Glaubens, in der festen Zuversicht, "daß allerwärts der ausgestreute Same von Gott behütet aufgehe, sich zusammenranke, sich wölbe zu einem herrlichen Schirmdache, zu einem heiligen Dome über unserm Vaterlande", sollten sich zusammentun unter der Losung: mit Gott fürs Vaterland! In diesem Sinne auch greift Gotthelf zur Feder, wird Volksschriftsteller, schafft die gewaltigen Werke des "Bauernspiegels", des "Schulmeisters",

des "Uli", des "Anne Bäbi". Ebenfalls in diesem Sinne verfaßte er für das schweizerische Schützenfest in Chur von 1842 im Auftrage des Festausschusses das Manifest "Eines Schweizers Wort an den Schweizerischen Schützenverein" und ließ es für das Basler Schützenfest von 1844 leicht verändert noch einmal ausgeben; ein Rezensent stellt ihn deswegen neben Pfarrer Thomas Bornhauser, den Vater der Thurgauer Regeneration, und rühmt von den beiden Männern, daß sie, "entzündet durch des Volkes Sehnen, Streben und Hoffen, mit gewaltiger Kraft sich erhoben"hätten. Aber je mehr sich der gemäßigte Liberalismus radikalisierte und die bisherigen Lebensordnungen des Berner Volkes aufzulösen begann, desto mehr wandte sich die Leidenschaft Gotthelfs nach einer andern Richtung: es war ihm jetzt nicht mehr so sehr darum zu tun, den gemäßigten Liberalismus aufzufangen, ans Göttliche zu binden und ihm dadurch den wahren Sinn und Halt zu geben, als vielmehr den radikalen Liberalismus als Auflösung jeglicher göttlichen und menschlichen Ordnung zu brandmarken und mit Feuer und Schwert zu bekämpfen. Ein erster Kanonenschuß ergeht bereits in der gedruckten "Bettagspredigt für die eidgenössischen Regenten, welche weder in den Kirchen noch in den Herzen den eidgenössischen Bettag mit den eidgenössischen Christen feiern" vom Jahre 1839 über den Text: "Liebe Kindlein, hütet euch vor den Götzen"; weil viele der führenden Männer im Schweizerland nicht mehr zur Predigt kämen, müsse der Prediger zu ihnen kommen, müsse "benutzen eines eurer guten Werke, das aber mit Sünden befleckt ist, die freie Presse, und möchte sie dießmal euch zum Segen werden"; ihr Gott sei ein "Nebelgott, den man sich selbsten macht, den man alle Tage neu machen muß, wenn man ihn

haben will", sei ein "Dunstgebilde der Phantasie, das man Idee heißt", ein "Phantasiegebilde, das man bloß denken, nie empfinden kann", ein "flüchtiger Schatten, der nie mit lebendigem Hauch Seelen begeistert", ein "Knochengerippe trockner Begriffe", eine "Wolke ohne Regen", ein "Wellenschaum des menschlichen Gehirns", ... ein "wesenloses Wesen, das millionenfach zersplittert nirgends ganz sein soll, aber stückweise zu finden in jeder schmutzigen Menschenseele"; diesen Gott allerdings beteten sie nicht an; um so mehr dienten sie dagegen Götzen; zuerst dem Götzen der Fleischeslust und Sinnlichkeit; seine Altäre seien die "neueidgenössischen Wirtschaften"; "um diese Altäre herum liegen nun eidgenössische Regenten Tag und Nacht, pflegend den schmutzigen Dienst ...; von dort wanken eidgenössische Regenten besudelt heim erst mit anbrechendem Tage, geben Ärgernis auf den Straßen, bringen Jammer heim, verfassen in trunkenem Zustand Gesetze für das Land, Richtersprüche gegen Witwen und Waisen; ... dort entmannt man den eigenen Leib, bricht die Treue dem Weibe ... und pflanzt frech den Glauben auf, daß die neueidgenössische Regentenpflicht das Volk einzuweihen hätte in jedes Laster"; der zweite Götze ist das Geld; "Geld, Geld tönt es ihnen im Traume, schwebt ihnen vor auf den grünen Bänken, hinterm grünen Glase, im Schoße der Buhlerin, im verdüsterten Krankenzimmer; Geld ist das Losungsgeschrei bei der Stellenjagd, Geld der Hintergrund der Gesetzgebung, der goldene Himmel aller Staats- und namentlich der Finanzreformen"; der dritte Götze sei "der Neid, der mit Rache gepaart ist und bei euch in Ehrgeiz und Eitelkeit sich mündet"; schon viele eidgenössische Regenten lägen, diesem Gotte geopfert, in den Kot getreten; "sich selbst haben sie zu ihrem Gott gemacht, sie liegen im

Kote, im Kote liegt ihr Gott; ... Kot ist nun auch ihr Trost, Kot ihr Himmel". Dies ist der Geist und auch der Ton, in dem Gotthelf nun immer mehr den Kampf mit dem radikalen Liberalismus aufnahm, sowohl in der Tagespresse, wie etwa im "Berner Volksfreund", dem Organ der gemäßigt liberalen Schnellpartei, als besonders in den zahlreichen dichterischen Schöpfungen von 1844 an. Zuerst wird "Der Herr Esau" in Bearbeitung genommen, aber auf Anraten des Vetters Carl Bitzius wegen der Schärfe des Angriffs unvollendet liegen gelassen. Im Zellerhandel entsteht die Novelle "Die Versöhnung des Ankenbenz und des Hunghans, vermittelt durch Professor Zeller"; aber auch sie wird nicht veröffentlicht, weil "ein Preßprozeß durchaus für Sie entstehen müßte", wie Johann Jakob Reithard an Gotthelf schreibt. 1849 nahm er allerdings das Thema der Novelle wieder auf, um mit einer Neubearbeitung in die Großratswahlen des Jahres 1850, in denen das radikale Freischarenregiment gestürzt werden sollte, einzugreifen: "wir müssen", schreibt Gotthelf an Abraham Emanuel Fröhlich, "allem aufbieten, um bei neuen Wahlen den Antichrist loszuwerden; gelingt dies nicht, dann gute Nacht, dann erst recht streckt das greuliche Tier seine Hörner so recht lang und teuflisch aus"; allerdings mußten die Wahlen ohne Gotthelfs Werk vonstatten gehen, weil es erst im Winter 1851/52 erschien; es ist die unter dem Titel "Zeitgeist und Bernergeist" gehende "Generalabrechnung mit den Sünden des Radikalismus", wie Rudolf Hunziker sagt; auch der Zürcher Alfred Escher erhält darin eine Ohrfeige, und Gotthelf schreibt an Karl Rudolf Hagenbach, er "hoffe, sie mache ihm wenigstens einen roten Backen". In der gleichen Richtung gehen kleinere Erzählungen wie "Doktor Dorbach der Wühler",

"Wahlängste und Nöte des Herrn Böhneler", "Niggi Ju", "Der Notar in der Falle", schliesslich auch die letzte große Attacke, die "Erlebnisse eines Schuldenbauers" von 1853. Daß die Gegenpartei diese unablässigen geradezu ungeheuerlichen Angriffe nicht gleichgültig hinnahm, ist selbstverständlich; so schreibt etwa die "Berner Zeitung". Jakob Stämpflis im Jahre 1852: "Pfarrer Bitzius wälzt sich mit sichtlicher Lust in den gemeinsten Gemeinheiten und erzählt und malt Züge aus dem Volksleben, die entweder nie vorkamen oder über die man im höchsten Grade staunen muß, wie ein Herr Pfarrer sie wissen kann; gleichzeitig beschimpft und verlästert er durch ganze Bände unausgesetzt die freisinnige Richtung und freisinnigen Institutionen, rühmt die guten alten Landvogtenzeiten und klagt ... ganze Volksklassen des Unglaubens und der Gottesleugnerei an ...; der Herr Pfarrer verschachert den moralischen Ruf des Berner Volkes um Schriftstellergeld, verleumdet ein ganzes Volk und eine ganze Volkspartei und predigt Religionsgefahr, um dafür nach der Bogenzahl bezahlt zu werden."

Eine ganz andere Stellung gerade auch zum radikalen Liberalismus nimmt ein dritter Berner Theologe ein, Albrecht Weyermann. Von 1833 bis 1842 hatte er als einer der "Revolutionspfarrer" in Binnigen gewirkt und eine führende Stellung unter den Baselbieter Liberalen eingenommen, auch an der Hülftenschanze gegen die Städter mitgefochten. Nachdem er 1842 als Pfarrer von Gsteig bei Interlaken in seinen Heimatkanton zurückgekehrt war, wurde er dort einer der einflußreichsten Männer des liberalen Oberlandes. Als Luzern die Jesuiten berief, wirkte er mit an der Vorbereitung der Freischarenzüge. Am zweiten Freischarenzug nahm er sogar

selbst teil und geriet in Gefangenschaft. Bei seiner Rückkehr gab er in einer Predigt seiner Gemeinde Kunde von den Motiven, die ihn in den Kampf getrieben: an den Früchten der Regenerationszeit habe ein unsichtbarer Wurm genagt; "immer mehr Boden gewann das Reich der Finsternis und breitete seine verderbliche Macht immer weiter aus; da trat diese finstere, unser Vaterland in sichern, schmählichen Untergang stürzende Macht, sichtbar gleichsam verkörpert in den Jesuiten, uns vor die Augen; .. da trat .. eine Schar Männer zusammen, bereit, Hab und Gut, Blut und Leben zum Opfer zu bringen, um das Vaterland von Schmach und Schande zu befreien" und auch er habe sich, trotzdem er Geistlicher sei, anschließen müssen; oder ob er nur mit der Zunge für das geistige Leben seines Volkes kämpfen dürfe?; ob nicht auch Zwingli, mit Wehr und Waffen angetan in den Kampf gezogen sei?; allerdings sei das Unternehmen mißglückt, und nun bestünden schwere Zeiten bevor; "Vorurteile aller Art, finsterer Aberglaube, Ansprüche, die man längst für beseitigt hielt, freche Versuche, den Geist zu töten, die Menschheit in dumpfer Unwissenheit darniederzuhalten, treten aus den dunklen Gräbern des Mittelalters hervor und wagen den letzten, verzweifelten Kampf gegen die Bildung, gegen die Jahrhunderte dauernden Anstrengungen und Fortschritte, gegen die ganze Errungenschaft unserer Zeit"; da gelte es in der Kraft Gottes auszuhalten; "darum, o ewiger Vater des Lichts und der Wahrheit, gieb du uns Kraft und Stärke von oben ...; laß die letzte Burg der Freien nicht gebrochen werden". Als bald darauf das Regiment Neuhaus ins Wanken geriet, und ein Verfassungsrat eingesetzt wurde, um eine neue Verfassung vorzubereiten, saß auch Weyermann in diesem Rat und hatte ihm außerdem

die Eröffnungspredigt zu halten; "wir glauben an unser Volk", führt er da aus, "an ein weises, tapferes, zu Großem tüchtiges Volk, wir glauben fest und unverzagt an eine schöne, bessere Zukunft"; aber allerdings nur wenn das Volk an Gottes Welt gebunden sei, bestehe diese Hoffnung zu Recht; "was frommen die freisten Verfassungen und Gesetze, was wären sie anders als eine leere, wertlose Rahme ohne Gemälde, wenn nicht diese freien Institutionen vom lebendigen Gottesgeiste durchdrungen und erfüllt würden?; welch klägliche Jammergestalt: eine Republik, aber keine Republikaner, ein Freistaat mit Bürgern ohne Tugend; aber ein gottesfürchtiges, tugendhaftes Volk ist die Quelle der öffentlichen Wohlfahrt". Nachdem durch die neue Verfassung das Freischarenregiment in Bern zur Herrschaft gekommen war, wurde Weyermann als Staatsschreiber in die unmittelbare Nähe der Regierungsmänner gezogen und half an nicht unbedeutender Stelle mit, die bernische Volksgemeinschaft im Geiste eines radikalen Liberalismus auszubauen. An eine weitere Öffentlichkeit trat er, als er in einer allerdings anonym erschienenen Broschüre mit dem Titel; "Die Zellersche Religionsgefahr im Kanton Bern"Zellers Berufung gegen die mächtig sich erhebende Opposition verteidigte; sehr scharf lehnt er diese Opposition ab: "wer sind denn die, welche das Zetergeschrei der Religionsgefahr erheben?; .. ah, ihr seid es, ihr Stündeler und Pietisten, bankerott an Leib und Seel stehet ihr da"; von ihnen will er nichts wissen; sie nagten "am Lebensmark unseres sonst so gesunden Schweizervolkes"; positiv vertritt er die Überzeugung, daß Zeller mit seiner neuen Theologie nur Gutes wirken könne: "es wird ein neues geistiges Leben an unserer Hochschule durch Zeller angeregt werden, ein ernstes, redliches Ringen

nach Wahrheit; wie scharfer Biswind wird er die grauen Nebel der Frömmelei, die stinkenden Dienste der heuchlerischen Stündelei verscheuchen, ein frischeres, freiheitsliebenderes, mit dem Volkswohl inniger verbundenes Geschlecht von Religionslehrern wird unter uns entstehen". Es ist also kein Zweifel, Weyermann stellt sich durchaus zum radikalen Liberalismus, aber nicht so, daß er ihn unbedingt bejahte, sondern so, daß er zugleich darnach ringt, ihn an die Quelle der göttlichen Welt anzuschließen und ihm von da aus seinen Sinn und seine Kraft zu geben, gleichwie es Gotthelf in Beziehung auf den gemäßigten Liberalismus versucht hatte.

8.

Endlich tritt uns im Waadtland die große Gestalt Alexandre Vinets entgegen. Ihm spürt man in besonderer Weise ein ständiges feines und doch zugleich über die Maßen gewaltiges Durchzittertsein von der Welt Gottes in Jesus Christus ab. Aber dieses Durchzittertsein macht ihn nicht eng und hart, sondern im Gegenteil weit und offen. In allen Regungen des menschlichen Geistes sieht er Sehnsüchte des aus der ursprünglichen Gottesordnung herausgefallenen Geschöpfes nach Wiederbringung des Verlorenen, nach Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung; so kann er schreiben: "das Evangelium ist menschlich; was will das sagen?; daß es Geduld hat und den Neigungen unsrer gefallenen Natur gegenüber Nachsicht übt?; nein, sondern daß es antwortet auf alle unsere wahren Bedürfnisse, dass es die Einheit im Menschen wiederherstellt, ebenso wie die Einheit zwischen Mensch und Leben; in diesem Sinne ist er menschlicher als der Mensch; es ist menschlich im Gegensatz zu unsern Verkehrtheiten und Lastern,

die es nicht sind". Auch für Vinet stehen sich also Evangelium und Humanität nicht als Gegensätze gegenüber, sondern im Gegenteil zielt für ihn das Evangelium gerade auf eine Humanität letzter und tiefster Art ab. Aus jenem eigenartigen Durchzittertsein von der Welt Gottes erwuchs Vinet aber nicht nur dieses tiefe Verständnis für alles Menschliche und dieses Ausgerichtetsein auf die Humanität der erneuerten Gottebenbildlichkeit, sondern zugleich die Forderung, dem freien Wirken Gottes nicht Fesseln anzulegen durch ein Staatskirchentum; vielmehr soll die Kirche von aller Verquickung mit dem Staate frei und jeden Augenblick geöffnet sein, den immer neuen Bewegungen des Geistes Gottes in schlechthiniger Freiheit und Beweglichkeit Raum zu geben; nur dann werde die Kirche wahrhaftig lebendig und könne der Welt als Sauerteig eines wahren und tiefen Lebens dienen. So schrieb Vinet bereits 1826 als Lehrer am Basler Pädagogium und an der Basler Universität sein berühmtes "Mémoire en faveur de la liberté des cultes", und 1829 rief er dem Waadtländer Restaurationsrégime, das alle neuen Regungen kirchlichen Lebens unterdrückte, die Worte zu: "nur von Revolte zu Revolte, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen will, vervollkommnet sich die Gesellschaft, richtet sich die Kultur auf, regiert die Gerechtigkeit, blüht die Wahrheit." Es ist klar, daß Vinet von diesen Einstellungen aus dem durchbrechenden Liberalismus der Regenerationszeit Sympathien entgegenbringen muss. In der Tat schreibt er Ende August 1830 im Hinblick auf die Julirevolution: "Der Gedanke, teilzunehmen am Anbruch einer der großen Perioden der Menschheitsgeschichte, gibt allem, was sich ereignet, den Charakter des Erhabenen." Und doch ist Vinet kein einfacher Parteigänger jenes Liberalismus;

für die von ihm verkündete Humanität ist wesentlich, daß sie eine ganz und gar aus dem Evangelium herausgeborene Humanität ist, während bei der Humanität, die der Liberalismus meint, die Bindung an die Offenbarungswelt zum mindesten stark gelockert und die Tendenz in der Richtung einer Autonomie des Bloßhumanen geht; ebenso erschallt der Freiheitsruf Vinets nicht so sehr vom Prinzip der freien schöpferischen Individualität aus, so gewiß seine Formulierungen gelegentlich zweideutig sind, als vielmehr von der Erkenntnis, daß der Geist Gottes da, wo er nicht wirkt, nicht durch ein Staatskirchentum erzwungen werden kann und daß er da, wo er wirkt, nicht durch ein solches eingeengt werden soll. In der Tat trat dieser Gegensatz auch bald in Erscheinung; schon im Februar 1831 schreibt Vinet: "Europa wird die Freiheit kennenlernen; ich kann mich darüber nur mit Zittern freuen; die Völker werden bald mit ihrer Freiheit in Verlegenheit geraten, wenn sie nicht Gott die Ehre geben"; und noch deutlicher heißt es im April 1831: "es ist eine erschreckliche Sache um diese Lücke, die man im politischen Treiben von ganz Europa beobachtet: eine ganze Generation, ihre Bestimmung ändernd, ohne daß der Name Gottes angerufen wird oder auch nur im Bewußtsein vorhanden ist; der Liberalismus gleichgesetzt mit Unglauben, aller Enthusiasmus, alle heilige Leidenschaft für Dinge, die nicht Gott sind." So stellt sich Vinet während der Basler Revolution nicht nur persönlich auf die Seite der Stadt, sondern verficht ihre Sache in Publikationen und diplomatischen Missionen auch öffentlich vor der ganzen Eidgenossenschaft; ob ihm allerdings ganz wohl dabei war, bleibt fraglich; jedenfalls schreibt er einmal: "wenn es ein Nachteil ist, den Dingen zu fern zu sein, so ist es ein ganz besonders

großer, ihnen zu nahe zu sein." 1857 kehrte Vinet als Professor der Theologie in das im Zeichen eines gemäßigten Liberalismus stehende Waadtland zurück. Durch eine Revolution im Februar 1845 kam aber der radikale Liberalismus unter der Führung des genialen Henri Druey zur Herrschaft und versuchte die Kirche ganz in sein Totalitätssystem einzuzwängen, so daß ein großer Teil der Pfarrer demissionierte und die waadtländische Freikirche begründete. In diesen Kämpfen konnte auch Vinet nicht schweigen, vielmehr ließ er unermüdlich in Flugschriften und Zeitungsartikeln seine Stimme erschallen. Besonders wuchtig war, was er in zwei Predigten über "Die Mitschuldigen an der Kreuzigung des Erlösers" sagte. Noch heute erschalle der Ruf: hinweg, hinweg, kreuzige!; die äußere Kirche lasse man zwar noch bestehen; ja, man rufe sogar: nehmet sie an, bewachet sie und bewachet sie so gut, daß sie keine Bewegung machen kann, die ihr nicht erlaubt habt; aber man sage: hinweg, hinweg, kreuziget das Christentum, und wenn man es nicht sage, so tue man es; "und was muß denn hinweg, ihr Wahnsinnigen? wollt ihr jene Sonne vom Himmel hinwegnehmen, ... ohne welche ... alles Lebendige tot wäre?; Jesus aber ist die Sonne in der Welt der geistigen Wesen; ohne ihn ist im menschlichen Leben nur Finsternis und Verzweiflung." "Aber, meine Brüder", sagt Vinet in der zweiten Predigt, "lange genug ist das Wort des Textes um euch herumgegangen, dem Adler gleich, der lange in den Lüften kreist, bevor er auf seine Beute herabstürzt; nun aber fällt es endlich mit seinem ganzen Gewicht auf euch, die ihr mich höret, und auf mich, der zu euch redet"; nicht nur die andern seien mitschuldig an der Kreuzigung Christi, sondern in erster Linie die, die sich als Jünger Jesu bekännten; die Welt

lasse sich nicht irreführen; "wenn sie uns daher so sieht, wie die meisten von uns sind, wenn sie nicht neue Kreaturen in uns erblickt, wenn ihr nichts in unserem Leben sich über die gewöhnliche Höhe zu erheben scheint, wenn sie umsonst jene Gewaltigen sucht, welche das Himmelreich an sich reißen, ... wenn sie mit einem Worte Wunder verlangt und keine findet, dann ist es ganz begreiflich, wenn sie sagt: wie! ist es nur das?; so viel vermöchten wir auch zu tun; "senket daher in Demut eure Blicke auf euch selbst beim Anblick dieser Nationalnot; ... ja, senkt eure Blicke und dann erhebet sie wieder" zu Gott, daß er neu in seinen Gläubigen mächtig werde.

9.

Der Kreis der Männer, die soeben an uns vorübergezogen sind, ist natürlich nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Zahl derjenigen evangelischen Schweizer Theologen, die damals zu den großen Zeitfragen Stellung genommen haben. Und doch wird in dem, was wir betrachtet haben, das Wesentliche genügend herausgetreten sein.

Zunächst dürfte deutlich sein, daß der Liberalismus eine der gewaltigsten Bewegungen der Menschengeschichte darstellt. Was ihm zugrunde liegt, ist die ganze reiche Welt dessen, was Aufklärung und deutscher Idealismus an Schauungen des Geistes und Ahnungen der Seele hervorgebracht haben, und das heißt: gewaltige Schöpfungsreste menschlicher Größe sind in ihm, durchtränkt mit säkularisierten Wahrheiten des Evangeliums, lebendig. Nicht darum geht es ihm dem Prinzip nach, der Ungebundenheit und Zuchtlosigkeit des Individuums Tür und Tor zu öffnen, vielmehr ist das sein Anliegen, die

höchsten Ordnungen und umfassendsten Möglichkeiten, die dem menschlichen Geiste noch innewohnen, zur Geltung zu bringen und auch das hinterste Menschenkind daran teilnehmen zu lassen.

Aber in diesem titanischen Wollen liegt, vom evangelischen Glauben aus gesehen, zugleich der doppelte Irrtum des Liberalismus.

Erstens wohnt ihm deutlich die Tendenz inne, das Bewußtsein der Kreatürlichkeit zu verlieren und sich als absolut souverän zu setzen. Gewiß leben manche Vertreter des Liberalismus, wie wir gesehen haben, durchaus in innerer Beziehung zur Welt des Evangeliums; aber es ist doch kaum so, daß sie von dieser Welt schlechthin überwunden und überwältigt sind, sondern es ist vielmehr so, daß sie sich neben oder über sie stellen und sie ihrer Humanität unterordnen. Und gewiß leben andere in durchaus heiliger Ueberzeugung im Bewußtsein einer umfassenden Gottheit, die das All durchflutet und durchdringt; aber dieses Göttliche tritt ihnen noch viel weniger, als den Ebengenannten der Gott der Offenbarung, als etwas Objektives gegenüber, das sie meistert und in seine Ordnung hineinzwingt, sondern noch in größerm Maße als im vorhin genannten Falle ist dieses Göttliche von ihrer eigenen Humanität aus gestaltet und ihm unterworfen. Und von solcher Einstellung aus ist dann das Abgleiten in den Feuerbachianismus nicht mehr allzuferne. Jedenfalls ist es nicht vollständig falsch, wenn alle Theologen, die wir zitiert haben, den Liberalismus in Gefahr sehen, die Humanität an Stelle Gottes zu setzen.

Ein zweiter Irrtum des Liberalismus besteht darin, daß er seine Humanität für etwas Eindeutiges, Unproblematisches und Intaktes hält. Nun kann kaum jemand

ehrfürchtiger von der Größe des Menschen reden, als die in der Heiligen Schrift bezeugte Offenbarung, wenn sie den Menschen das Ebenbild Gottes nennt. Aber die Größe des Menschen in der Schöpfung ist doch nur die eine Seite der Sache. In sie hineingebrochen ist Zertrümmerung und Zerstörung, und Pascal, der große Künder der "grandeur de l'homme", mußte zugleich das furchtbare Wort prägen, daß die Menschen verrückt seien, und daß es von ganz besonderer Verrücktheit wäre, diese Verrücktheit nicht anzuerkennen; ähnlich klagt der Basler Geschichtsphilosoph Karl Steffensen: "Wir sind Gespenster." Ueber diese Not, daß dem menschlichen Geist im besten Falle nur noch Teilwahrheiten und Ahnungen der eigentlichen Humanität gegeben sind, und daß des Menschen Wille geschwächt und tausendfach gehemmt ist, sich auch nur diesen Teilwahrheiten und Ahnungen hinzugeben, sieht der Liberalismus hinweg und gibt sich der Täuschung hin, daß es den Menschen gegeben sei, aus ihrem eigenen Wesen heraus ein vollkommenes Reich der Humanität zu erkennen und zu realisieren.

Aus dieser Sachlage heraus erklärt es sich, daß dem Liberalismus von vorneherein eine Krisis innewohnt. Er ist wohl imstande, ein paar große, ewige Teilwahrheften zusammenzuraffen, mit ihnen weite Volkskreise auf die Höhe einer edlen Begeisterung emporzureißen und so bedeutsame Neubildungen kultureller und politischer Art zu schaffen. Aber wenn die Teilwahrheiten sich als Teilwahrheiten entpuppen, und wenn die Begeisterung verrauscht, dann fallen die einzelnen Glieder der Bewegung aus der Humanität der schöpferischen Gestalten in die beschränkte und kümmerliche Humanität ihres eigenen Wesens herunter, der große idealistische Strom löst sich auf in tausend und aber tausend kleinliche

Egoismen, und aus der Freiheit, die Einordnung in ein Reich großer Ideen ist, wird die Freiheit des zuchtlosen Individuums. Auch im schweizerischen Liberalismus ist diese immanente Krisis aufgebrochen. Schon während seiner Blütezeit konnte er nicht alle seine Anhänger auf die Höhe der Humanität seiner Führer emporheben; eine große Schicht blieb auf der bodenständigen Stufe jener Humanität und "wunderlichen Theologie", wie sie Gottfried Keller im "Fähnlein der sieben Aufrechten" dargestellt hat, stehen; und eine auch nicht unbedeutende Schicht schloß sich schon in der Blütezeit des Liberalismus der Bewegung nur an, um im Schatten ihres Freiheitsrufes die Freiheit der Ungebundenheit zu verwirklichen. Aber auch die Bewegung auf der Höhe erlebte das Ausbrechen der immanenten Krisis. Es ist jedenfalls nicht von ungefähr, wenn Gottfried Keller, der dichterische Herold des jungen Liberalismus, im Alter im "Martin Salander" ein ernster Warner wird, und wenn Emil Ermatinger in seinem Werk über "Dichtung und Geistesleben der Schweiz" die Zeit von 1848 bis 1914 als "Das Zeitalter des Materialismus" bezeichnen muß.

Trotz diesen Schranken, die dem Liberalismus anhaften, muß aber evangelische Glaubenserkenntnis seinem Aufbruch in der Schweizergeschichte des 19. Jahrhunderts doch ein relatives Recht zubilligen.

Zunächst hat dieser Aufbruch eine Fiktion zerstört. Bis zu ihm hin war in der Schweiz das Staatsvolk offiziell identisch mit dem Kirchenvolk, es herrschte also die Voraussetzung, daß jeder Volksgenosse ohne weiteres in den christlichen Glauben, sei es der katholischen, sei es der evangelischen Kirche hineinwachse. Nun gehört es gewiß zum Auftrag der christlichen Kirche, dafür zu

sorgen, daß allem Volke zu jeder Zeit in umfassender Weise das Evangelium verkündet werde. Aber je mehr die Kirche weiß, daß der Glaube letztlich ein wunderbares Geschenk des Geistes Gottes ist, muß sie Raum lassen für solche, die sich einstweilen noch nicht für die Botschaft des Evangeliums entscheiden können, sondern vorläufig noch in einer irgendwie beschaffenen bloßen Humanität verharren wollen oder müssen. Diesen Raum für bloße Humanität hat nun tatsächlich der Liberalismus geschaffen und damit auch dem Glauben der Kirche die lähmende Selbstverständlichkeit genommen und ihn wieder in die Notwendigkeit der Entscheidung gestellt. Allerdings soll damit nicht gesagt sein, daß das jetzige Verhältnis, wo die schweizerische Volksgemeinschaft offiziell fast vollständig von der Einstellung der bloßen Humanität beherrscht wird, das richtige ist. Es muß wohl um der letzten Wahrheiten willen, die uns gegeben sind, über kurz oder lang eine neue Lösung gesucht werden. Aber in das System des geschlossenen Konfessionalismus dürfen wir gerade um der Reinheit des Evangeliums willen nicht mehr zurück.

Eine relative Berechtigung hatte der Aufbruch des Liberalismus in der Regenerationzeit ferner auch deshalb, weil die Kirche dem ihr gegebenen Auftrag, mit unermüdlichem Eifer ein Salz der Erde und ein Licht der Welt zu sein, auf die große, allumfassende Humanität des Christus im Reiche Gottes hin, in mancher Beziehung untreu geworden war. Es wäre zwar durchaus ungerecht, wenn man nicht auch die großen Kräfte und Bemühungen sehen und anerkennen wollte, die in ihr aus letzten Tiefen heraus und auf letzte Ziele hin am Werke waren; aber ebenso falsch wäre es, zu verkennen, daß sie aus unvollkommener Glaubenserkenntnis und aus Trägheit

heraus an viel Unwahrheit, Ungerechtigkeit und Erstarrung innerhalb der schweizerischen Volksgemeinschaft mitschuldig war. Da war es, auch vom evangelischen Glauben aus gesehen, in mancher Beziehung überaus heilsam, daß der Liberalismus als ein erfrischender Sturmwind hineinfuhr und neue geistige und politische Möglichkeiten schuf.

10.

Nach diesem Versuch, ein Urteil über den Liberalismus zu gewinnen, erhebt sich nun die Frage, wie die Stellung der von uns betrachteten evangelischen Theologen zu ihm zu bewerten ist.

Wohl durchgehends war ihr erstes großes Anliegen, die Bindung an Gott zur Geltung zu bringen: alles Menschliche gehört zur Schöpfung und zwar zur zerbrochenen Schöpfung, und darum kann es nur gedeihen, wenn es sich ganz und gar in das große, heilige Erneuerungswerk des Schöpfers hineinstellt. Und mit dieser Verkündigung waren sie ohne Zweifel dem Liberalismus gegenüber im Recht.

Darin liegt aber keineswegs eine bloße Abgrenzung gegen ihn. Vielmehr zielt das Erneuerungswerk Gottes in Christus ja schließlich auf nichts anderes ab als auf die Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes, auf eine aus Gottes Schöpfer- und Erlösermacht herausgeborene Humanität von letzter Größe und Tiefe, und insofern sind alle wertvollen Anliegen des Liberalismus in die Verkündigung des Evangeliums miteingeschlossen. Besonders fein ist das etwa von Baggesen und Vinet betont.

Allerdings handelt es sich bei der Humanität, die der christliche Glaube meint, nicht um eine Humanität, die innerhalb dieser Geschichte realisierbar wäre, sondern

vielmehr um eine solche, die in ihrer ganzen Größe und Herrlichkeit erst in einer erneuerten Form der Schöpfung zur Vollendung kommen kann. Was jetzt möglich ist, sind nur Anfänge und Hinweise auf die umfassende Humanität des Reiches Gottes. Und darum kann eine Kirche, die auf die letzten Verheißungen des Evangeliums ausgerichtet ist, sich nie mit irgendwelchen kulturellen und politischen Programmen und Systemen identifizieren, so wertvoll sie auch sind, weil sie immer nur etwas ganz Vorläufiges darstellen. Es ist wohl die Aufgabe derer, die vom Evangelium erfaßt sind, in die großen kulturellen und politischen Bewegungen als in die Formen, in denen sich das Leben der Menschheit abspielt, an irgendeinem Punkte hineinzutreten, aber nicht um diese Bewegungen zu verabsolutieren, sondern im Gegenteil, um sie immer neu an das Werk Gottes anzuschließen und sie von daher zugleich in Frage zu stellen und über sich selbst hinauszuweisen. Und wenn die Theologen, die wir betrachtet haben, in dieser Weise zum Liberalismus zugleich ja und nein gesagt haben, dann haben sie die richtige Stellung zu ihm eingenommen.

Allerdings können wir nicht sagen, daß durchweg diese überlegene Position innegehalten wurde. Selbst bei Vinet klingt es bisweilen so, als wäre die Humanität, die er verkündet, eine letzte innerweltliche Bildungsstufe, eine bloße Edelform des Liberalismus. Noch stärker liegt diese Abbiegung zutage bei einzelnen derjenigen Theologen, die im radikalen Liberalismus Posto gefaßt haben. Gewiß konnte man sich auch als ein vom Evangelium überwältigter Mensch sehr wohl ihm anschließen und in seinen Reihen etwa an der Schaffung des eidgenössischen Bundesstaates mitkämpfen; aber es durfte dabei doch nicht übersehen werden, daß die Freiheit, die das Evangelium

meint, etwas unendlich anderes ist, als die von ihm erstrebte Freiheit und Humanität; und vollends hätte man mehr darüber wachen müssen, daß nicht die Grundwahrheiten des Evangeliums so stark vom Denken dieses Liberalismus modifiziert würden, wie sie es tatsächlich wurden. Im umgekehrten Sinn glitt etwa Jeremias Gotthelf in seiner spätem Periode ab, als er den "Bernergeist" dem "Zeitgeist" gegenüber ausspielte und als die vollendete christliche Humanität darstellte; schließlich ist eben auch der "Bernergeist" "Zeitgeist", steht ganz und gar unter dem Zeichen der Vorläufigkeit und hat es nötig, in Furcht und Zittern auf den neuen Aeon ausgerichtet zu werden; und während die Theologen des radikalen Liberalismus die Majestät Gottes in pantheisierender Weise zu verflüchtigen drohten, zog sie Gotthelf ins Menschlich-Allzumenschliche herab, und es ist nicht ganz unrichtig, wenn Gottfried Keller von ihm schreibt, daß jedes seiner Bücher eine treffliche Studie zu Feuerbachs "Wesen der Religion" sei.

11.

Damit sind wir am Schluß, und es bleibt uns nur übrig, aus den gewonnenen Erkenntnissen die Folgerungen für unsere Lage zu ziehen.

Verschiedene große kulturelle und politische Programme ringen heute in leidenschaftlichem Kampfe miteinander. Alle enthalten ernste und tiefe Wahrheiten. Aber es sind doch immer, weil sie aus der Sphäre der zerbrochenen Schöpfung stammen, nur Teilwahrheiten voll mannigfacher Beschränktheit. Wenn wir darum einer Bewegung angehören wollen, die aus der ganzen Wahrheit stammt und uns auf die ganze Wahrheit ausrichtet, dann müssen wir darnach ringen, von der majestätischen

Bewegung Gottes in Christo ergriffen zu werden. Als Glieder dieser Gottesbewegung werden wir gewiß, wenn wir nicht im luftleeren Raume kämpfen wollen, in eine jener Bewegungen, die die heutige Menschheit durchwogen, hineintreten müssen. Aber in welche wir auch hineintreten, wir können nicht darin auf- und untergehen und können sie nicht verabsolutieren, sondern wir müssen sie immer neu in das Werk Gottes hineinstellen, sie von ihm richten und heiligen lassen und über sich selbst hinausweisen.

Die akademische Jugend weiht sich dem Dienst der Wahrheit und bereitet sich vor, dem Volke einmal als Führer zu dienen. Sie würde diesen Dienst der Wahrheit krönen und reif werden zu höchster Führerschaft, wenn sie mit heißem Bemühen zuletzt und zuhöchst auch darnach ränge, von dieser göttlichen Wahrheit überwunden und in ihr gewaltiges Werk gestellt zu werden.