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Die Problematik des Wirtschaftsrechts

Rektoratsrede von Dr. jur. et sc. jur.

WALTHER HUG
Professor der Rechte an der Handels-Hochschule St. Gallen
und an der Universität Zürich
St. Gallen 1939 / Verlag der Fehr'schen Buchhandlung

Druck der Buchdruckerei H. Tschudy & Co. in St. Gallen

Dem Andenken von
Prof. Dr. EDUARD OTTO SCHULZE
dem ersten Rektor der Handels-Hochschule St. Gallen gewidmet

Vorwort.

Die nachfolgende Abhandlung gibt die Rede wieder, die ich bei Anlaß der Uebernahme des Rektorates der Handels-Hochschule St. Gallen am Hochschultag vom 19. November 1938 gehalten habe. Mit Rücksicht auf diesen Anlaß ist die Redeform in unveränderter Form beibehalten und auf die Beifügung eines wissenschaftlichen Apparates vollständig verzichtet worden.

Die Schrift erscheint auf den Zeitpunkt der Jubiläumsfeier der Handels-Hochschule St. Gallen vom 13. Mai 1939, an der diese, als eine der ältesten selbständigen Wirtschaftshochschulen, den Abschluss vierzigjährigen Wirkens und gleichzeitig das Inkrafttreten des neuen Hochschulgesetzes in festlicher Weise begehen wird. Die Schrift soll nach einem Beschlusse des Senates den Teilnehmern der Feier als literarische Gabe übergeben werden.

Zeitpunkt und Anlass der Veröffentlichung lassen es in besonderer Weise geeignet erscheinen, die Schrift dem Andenken von Eduard Otto Schulze zu widmen, der als erster Rektor die Handels-Hochschule St. Gallen während zwei Jahrzehnten geleitet hat und dem ihr Aufstieg von der Akademie zur Hochschule zu verdanken ist. Ich erfülle damit in bescheidener Weise auch eine persönliche Dankespflicht gegenüber diesem universell gebildeten, geistvollen und von edler Menschlichkeit getragenen Manne, zu dessen engstem Freundeskreise ich in seinen letzten Lebensjahren gehören durfte und dem ich dauernd in Verehrung verbunden bleibe.

St. Gallen, an Ostern 1939. Walther Hug.

Hochansehnliche Versammlung!

Die Bezeichnung "Wirtschaftsrecht" bildet den schlagwortartigen rechtlichen Ausdruck für unser Zeitalter, in dem alle Lebensäußerungen irgendwie von der "Wirtschaft" beherrscht oder bewegt erscheinen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Wort "Wirtschaft" weder im Sprachgebrauch der Gebildeten, noch der Wissenschaft zu finden. Heute hat es sich im Uebermaße durchgesetzt und erscheint auch in der Wissenschaft in vielen eindrucksvollen Verbindungen. So sprechen wir von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik und bezeichnen damit die hauptsächlichsten Gebiete der neuen Wirtschaftswissenschaft. Wir sprechen aber auch von Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeographie, von Wirtschaftsphilosophie und Wirtschaftsrecht und bezeichnen damit neue Arbeitsgebiete oder eine neue wissenschaftliche Arbeitsweise innerhalb traditioneller wissenschaftlicher Disziplinen. Diese Durchsetzung des Lebens und der Wissenschaft mit dem Begriff der "Wirtschaft" ist nichts anderes als eine Erscheinungsform des allgemeinen Zeitgeistes und des Grundtones, der unsere Gedankenwelt und unser ganzes Weltbild bestimmt.

Mit dem Vordringen der Probleme des Wirtschaftslebens und der Wirtschaftsgestaltung im ganzen öffentlichen Leben unserer Gegenwart ist indessen Bedeutung und Einfluss der Wissenschaft nicht gewachsen. Gegenüber der Wirtschaftswissenschaft wird der Vorwurf erhoben, dan sie im Gegensatz zur klassischen Nationaloekonomie keine geistige Macht mehr sei, welche das Wirtschaftsleben entscheidend zu beeinflussen vermöge. Auch der Rechtswissenschaft gegenüber wird die Klage erhoben, daß

sie auf dem Gebiete der Ordnung des Wirtschaftslebens nicht führen und gestalten helfe, sodaß zwischen Wissenschaft und Rechtsleben eine verhängnisvolle Kluft entstanden sei. Wären diese Vorwürfe richtig und würde die zwischen der Wissenschaft zur dauernden Tatsache werden, so wäre die Entwicklung in der Tat verhängnisvolL Denn die Männer der Wissenschaft sind durch Bildung, Beruf und Stellung die einzigen unabhängigen Kritiker und Ratgeber, die über dem Widerstreit politischer und wirtschaftlicher Interessengegensätze stehen. Die Vorwürfe sind aber wenn überhaupt, so doch ohne Zweifel nur zum Teil berechtigt; denn die Kritik der Wissenschaft wird von der Praxis mit dem Schlagwort "Theorie"abgelehnt, weil sie nicht im Einklang steht mit den Geboten einer vermeintlichen Staatsraison oder mit den interessegebundenen Forderungen wirtschaftlicher Gruppen.

Aber gerade die Verantwortung, welche den Männern der Wissenschaft obliegt, verlangt von ihnen, zu den wirtschaftlichen Problemen in freier, unabhängiger Weise Stellung zu beziehen. Weil die Wissenschaft über das notwendige Material verfügt, welches zur Kenntnis der unabhängiger Zusammenhänge unerläßlich ist und diese durch dauernde theoretische Bearbeitung erweitert, ist sie befähigt und berufen, die wirtschaftlichen Grundfragen zu klären und zu einer sachgemäßen Lösung der Einzelfragen entscheidend beizutragen. Da diese in wirtschaftlichen Fragen der rechtlichen Ordnung der Wirtschaft berühren, mögen sie dem Vertreter des Privat- und Handels-Rechtes an unserer Hochschule für Wirtschaftswissenschaften gestatten, in seiner Rektoratsrede über die Problematik des Wirtschaftsrechtes zu sprechen. Dabei kann es sich nicht um die wissenschaftliche Behandlung von Einzelfragen oder einzelner Institute des Wirtschaftsrechtes handeln, sondern um die Aufgabe, in grundsätzlicher Weise die Problematik des Wirtschaftsrechtes darzulegen. Diese reicht allerdings über das Gebiet des Rechtes hinaus und in die Sphäre der wirtschafts- und staatspolitischen Anschauungen und Entscheidungen hinein. Wir beschränken uns indessen darauf, ausschließlich vom Standpunkt der Rechtswissenschaft aus diese Problematik zu entwickeln.

I.

Die rechtssprachliche Verbindung des nicht aus der Rechtswelt stammenden Begriffes "Wirtschaft" mit dem juristischen Kernbegriff des "Rechts" zum selbständigen, neuartigen Begriff des "Wirtschaftsrechts" ist der Ausdruck für sachlich höchst bedeutsame Erscheinungen unseres positiven Rechts und unserer rechtlichen Anschauungen. Unter dem Einfluß der liberalen Wirtschaftstheorie und der Vorstellungen des Naturrechts waren im 19. Jahrhundert alle staatlichen und korporativen Beschränkungen des Wirtschaftslebens aufgehoben worden. Die Wirtschaft war, jedenfalls der Idee nach, individualistische Privatwirtschaft, deren regulierendes Element der freie Wettbewerb bilden sollte. Die sachgemäßen Rechtsformen für das wirtschaftliche Unternehmen und seinen Wirtschaftsverkehr stellten das Privatrecht und das Handelsrecht zur Verfügung. Ihre Eigenart besteht darin, daß sie es grundsätzlich dem Einzelnen überlassen, seine Beziehungen zu andern nach seinem Willen zu ordnen. Die den einzelnen Rechtssubjekten eingeräumte Privatautonomie verwirklicht sich hauptsächlich durch das Mittel des Rechtsgeschäfts, vor allem des Vertrages. Der Staat enthielt sich jeder Einmischung in das Wirtschaftsleben und räumte dem Unternehmer im Bereiche seiner wirtschaftlichen Tätigkeit eine staatsfreie Sphäre ein. Der Grundsatz der öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsfreiheit bildete daher zusammen mit den privatrechtlichen Grundsätzen der Konkurrenzfreiheit, der Vertragsfreiheit und der Organisationsfreiheit die tragenden Pfeiler dieser Ordnung des Wirtschaftslebens.

Auf diese Wirtschaftsordnung ist nun eine andere gestoßen, die antiindividualistischen Ideologien entstammt, und die daher kollektivistisch und etatistisch gerichtet ist. Die gegensätzlichen

Ordnungsprinzipien, die unsere gegenwärtige Wirtschaft bestimmen, spiegeln sich wieder in dem Dualismus der traditionellen privatrechtlichen Regelung des Wirtschaftslebens und der öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsgesetzgebung, die schon vor Jahrzehnten langsam einsetzte und nun in ungeahnter und ungeregelter Fülle in unsere Rechtsordnung eindringt und ihr inneres Gefüge zu sprengen droht. Der Umbildungsprozeß tritt zunächst in Erscheinung in der fortschreitenden Einengung des privaten Wirtschaftsraumes durch die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand. Ihre wachsende Entfaltung ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen, auf Bestrebungen zur Wahrung sozialwirtschaftlicher Interessen, auf fiskalische Erwägungen, auf politische Motive. Während aber bis zum Weltkrieg die öffentliche Wirtschaftstätigkeit sich fast ausschließlich in öffentlich-rechtlichen Formen vollzog, wird sie in den letzten Jahrzehnten in steigendem Maße mit den Mitteln und in den Formen des Privatrechts geführt. Die Gemeinwesen verschiedener Ordnung bedienen sich, sowohl zur Organisation der öffentlichen Unternehmen wie zur Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Benützern öffentlicher Anstalten, der privatrechtlichen Gesellschafts- und Vertragsformen. Durch die Verwendung der privatrechtlichen Formen werden diese Verwaltungsverbände, welche Aufgaben der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit zu erfüllen haben, soweit vom gründenden und beherrschenden Gemeinwesen gelöst, daß sie den Verbänden der Privatpersonen völlig gleichgestellt erscheinen. Allein, weil die öffentlichen Unternehmen auf die Befriedigung gemeinwirtschaftlicher Interessen gerichtet sind und daher unter dem Gesichtspunkt der Aufhebung oder wenigstens der Abschwächung des Gewinn-Prinzips geführt werden, erfahren die privatrechtlichen Gesellschaftsformen eine Umbiegung in Organisationsformen, die von öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten beherrscht sind, welche sich auch in der innern Struktur auswirken.

Neben die Einengung des privaten Wirtschaftsraumes ist der staatliche Interventionismus in allen Formen und Spielarten getreten. Das private Unternehmen ist zuerst polizeilichen Beschränkungen aller Art unterworfen worden, an die sich in jüngster

Zeit regulierende Maßnahmen geschlossen haben, durch welche der Staat aus rein wirtschaftspolitischen Rücksichten Einfluß auf die private Wirtschaftstätigkeit nimmt. Der staatliche Interventionismus arbeitet mit den juristischen Mitteln öffentlich-rechtlicher Gebote und Verbote und mit zwingenden Vorschriften des Privatrechts. Schon unsere ordentliche Gesetzgebung liefert eindrückliche Beispiele: Versicherungsunternehmen, Banken und Sparkassen sind kraft öffentlichen Rechts in Organisation und Geschäftsführung der staatlichen Aufsicht und Kontrolle unterworfen worden. Der Schutz der Arbeitnehmer in Fabrik- und Gewerbebetrieben wird durch das Mittel öffentlich-rechtlicher Vorschriften und zwingender Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts verwirklicht. Das Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften ist zur Sicherung schutzbedürftiger Privatinteressen mit vielen zwingenden Vorschriften durchsetzt. Neben die ordentliche Gesetzgebung sind die außerordentlichen Maßnahmen des "Krisenrechts" der letzten Jahre getreten, die Lebensverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Ordnung unterworfen haben, deren rechtliche Gestaltung vorher vollständig der Privatautonomie überlassen war. Die Ueberflutung der Privatrechtsordnung durch Vorschriften öffentlich-rechtlicher Natur ist mit Recht als die für die heutige Rechtsentwicklung typische Erscheinung bezeichnet worden. Um nur ein sprechendes Beispiel anzuführen: Der Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland ist weitgehend öffentlichrechtlicher Regelung unterstellt worden. Für eine Unzahl von Warengattungen sind Einfuhr und Ausfuhr verboten oder von der Bewilligung einer Verwaltungsbehörde abhängig gemacht worden. Für eine Reihe wichtiger Importwaren, wie z.B. Kohle, flüssige Brennstoffe, Getreide, Futtermittel, Butter, sind auf Veranlassung des Staates, wenn auch in privatrechtlicher Form, Importzentralen gebildet worden, denen kraft öffentlichen Rechts das Einfuhrmonopol übertragen worden ist, und die entweder ihren einzelnen Mitgliedern Einfuhrbewilligungen erteilen oder aber die eingeführten Waren mittels Kontingenten ihren Mitgliedern zuführen und dabei eine behördliche Funktion ausüben. Die Ordnung des Zahlungsverkehrs zwischen der Schweiz und jenen

Staaten, mit welchen Clearing-Abkommen geschlossen worden sind, verbietet dem schweizerischen Schuldner die direkte Zahlung an seinen ausländischen Gläubiger und zwingt ihn, die Zahlung in inländischer Währung an eine staatliche Stelle zu leisten; auf der andern Seite kann der schweizerische Gläubiger Befriedigung nur aus den von den schweizerischen Schuldnern auf Sammelkonto geleisteten Einzahlungen finden. Die Fülle dieser neuen Rechtsvorschriften kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Beschränkung und Abbau der öffentlichen und privaten Wirtschaftsfreiheit. Von dieser Entwicklung wird alle wirtschaftliche Tätigkeit in mehr oder minder hohem Grade betroffen, in Landwirtschaft und Gewerbe, Handel und Industrie, Bank und Versicherung.

Die Wirtschaftstätigkeit des privaten Unternehmens ist indessen nicht nur durch die neuen Sätze des objektiven Rechts Bindungen und Beschränkungen unterworfen worden. Vielmehr sind solche in wachsendem Maße auch durch die Entfaltung der wirtschaftlichen Verbände eingetreten. Sie unterwerfen das Wirtschaftssubjekt einer starken Verbandsgewalt, die mit den Mitteln eines ausgebildeten Organisationszwanges gesichert wird. Unsere Wirtschaft ist von privatrechtlich organisierten Machtgebilden durchsetzt, die mit einschneidenden vertraglichen Bindungen und durch die Ausübung ihrer tatsächlichen Gewalt die wirtschaftliche Tätigkeit weitgehend bestimmen. Gewiß vollzieht sich Organisation und Wirksamkeit dieser Gebilde in den Formen des Privatrechts und die Beziehungen zu den angeschlossenen Unternehmen, den Außenseitern und den Abnehmern richtet sich fast ausschließlich nach privatem Recht. Aber in ihrer Wirkung reichen diese Organisationen in die öffentliche Ordnung hinein, indem sie faktisch, wenn auch nicht rechtlich, die öffentliche und die private Wirtschaftsfreiheit in einem Sektor der Wirtschaft beschränken oder gänzlich aufheben. Denn die Ausschaltung der Konkurrenz zwischen den Gliedern eines Kartells oder Konzerns hat nur dann einen Sinn und die angestrebte Marktregelung nur dann Erfolg, wenn die Existenz von Außenseitern vernichtet oder verhindert wird und wenn die Abnehmer einheitlichen,

normativen Bedingungen unterworfen werden können. Diese privatrechtlich aufgebauten Verbände tragen aber ferner die Tendenz in sich, in die öffentliche Ordnung hinein zu wachsen. So haben die Milchverwertungsgenossenschaften zu den Zwangskartellen der Milchwirtschaft und der mit öffentlichrechtlichen Mitteln geförderten und gesicherten Milchverwertung und Milchpreisstützung geführt. Die privatrechtlich aufgebaute Ordnung der Uhrenindustrie hat die Beteiligung des Bundes an einer beherrschenden Konzerngesellschaft veranlaßt und die Unterstützung des Sanierungswerkes mit notrechtlichen Vorschriften des Bundes zur Ordnung der Konkurrenzverhältnisse, zur Beseitigung der Außenseiter, zur Verhütung eines unerwünschten Exportes und zur Preisstützung ausgelöst. Wenn die Selbstorganisation der Wirtschaft sich als zu schwach erweist, um eine angestrebte Wirtschaft durchzusetzen, verlangt sie den Einsatz staatlicher Machtmittel in der Form von Rechtsvorschriften, welche die autonome Ordnung ergänzen, verstärken und in Bestand und Wirkung sichern sollen. Die rechtlichen Mittel bilden die Erweiterung des privatrechtlichen Verbandes zum Zwangsverband, die Verbindlicherklärung privater Konventionen durch staatlichen Verwaltungsakt und öffentlichrechtliche Gebote und Verbote, welche Verpflichtungen der nicht verbandsmäßig organisierten Unternehmen zu einem Tun oder Unterlassen begründen, wie z. B. das Verbot der Errichtung neuer und der Erweiterung bestehender Unternehmen.

Diese Erscheinungen des positiven Rechts, welche aus der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit, dem staatlichen Interventionismus, der Selbstorganisation der Wirtschaft und ihrem Hineinwachsen in die Sphäre der öffentlichen Ordnung entstanden sind, haben zum Begriff des Wirtschaftsrechts den entscheidenden Anstoß gegeben. Aber die Fülle der neuen Rechtsvorschriften, ihre zufällige Bildung und Gestaltung, ihre scheinbare Zusammenhanglosigkeit und ihre antithetische Haltung zur traditionellen Ordnung des Wirtschaftslebens haben die Erkenntnis der zentralen Bedeutung dieses neuen Rechtsstoffes für die ganze Entwicklung unserer Rechtsordnung bis heute verhindert. Der

Jurist denkt vielleicht allzusehr noch in den Kategorien einer Rechtsordnung, die das ausgehende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert beherrscht hat, und die den Charakter eines dauernden, unbeweglichen Zustandes zu besitzen schien. Daher begreift er die Fülle neuen Rechts nur in den Kategorien des "Notrechts"oder des "Krisenrechts"und erwartet ihr Verschwinden mit dem Ende der Krisennot. Er übersieht dabei, dass schon mit dem Weltkrieg ein Zeitabschnitt festgefügter gesellschaftlicher Schichtung und unveränderter wirtschaftlicher Ordnung abgeschlossen war und das wir in eine jener bewegten Perioden eingetreten sind, in der mit der Umgestaltung sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse und dem Wechsel der Ideen auch die Bildung neuen Rechtes sich unaufhaltsam vollzieht. Auf dem Gebiete der Wirtschaft stehen wir mitten in der Periode des Ringens um das Verhältnis zwischen individualistisch-kapitalistischer Wirtschaft, kartell- und konzernmäßiger Kollektiv-Wirtschaft und öffentlicher Staats-Wirtschaft. Die Ordnung dieses Verhältnisses in den Staaten, mit denen wir in engen wirtschaftlichen Beziehungen stehen, wird von entscheidender Rückwirkung auf unsere eigene Wirtschaftsverfassung sein. Wie in allen bewegten Perioden der Rechtsentwicklung werden aus neuen Interessenlagen und neuen idealen Forderungen die Postulate mit Bezug auf die inhaltliche Gestaltung der Rechtsordnung gestellt und ein starker Umbildungswille verlangt nach Aenderungen im Bestande des objektiven Rechts. Die aus dem Wandel der wirtschaftlichen Struktur ersichtliche und bewusst gewollte Abkehr vom Individualprinzip sowie die Bereitwilligkeit zur Einordnung in neue wirtschaftliche Gemeinschaftsformen, zur Verbandswilligkeit und zur Unterordnung unter den staatlichen Willen, führt mit Notwendigkeit zu Aenderungen in der positiven Ordnung des wirtschaftlichen Lebens, die nicht nur vorübergehenden Charakter tragen. An eine Rückkehr zum Rechtszustand der Jahrhundertwende ist schlechterdings nicht mehr zu denken.

Die Problematik des neuen Wirtschaftsrechts ergibt sich zunächst daraus, asa neben dem gemeinen Recht ein Komplex

von Sonderrechtssätzen entstanden ist, der zusammengehalten wird durch das Sachgebiet, auf das er sich bezieht, und der dadurch eine Einheit bildet, dan er die Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Gegenstand hat. Diese Rechtssätze und Rechtsinstitute sind zum grossen Teil ohne Zusammenhang mit der traditionellen Ordnung des Wirtschaftslebens geschaffen worden. Sie verlangen daher nach wissenschaftlicher Bearbeitung, nach Herstellung des Zusammenhangs, nach Einordnung und Synthese mit dem bisherigen Rechtsbestand. Das Wirtschaftsrecht bildet damit ein zentrales Problem der Rechtswissenschaft. Aber ihre rechtstechnisch-normative und kritische Betrachtung führt bereits über das geltende Recht hinaus und befaßt sich mit seiner sachgemäßen Fortbildung. Diese Betrachtungsweise der Wissenschaft ist umso bedeutungsvoller, als das Wirtschaftsrecht noch keineswegs ein abgeschlossenes Ganzes, sondern ein werdendes Recht ist. Daraus ergibt sich die rechtspolitische Problematik dieses neuen Rechtsgebietes. Die Behauptung geht nicht fehl, dan die Neuordnung der Wirtschaft die wichtigste gesetzgebungspolitische Aufgabe unserer Gegenwart bildet und die Gestaltung des Wirtschaftsrechts das zentrale rechtspolitische Problem unserer Zeit darstellt.

II.

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Wirtschaftsrechts, die erst auf Teilgebieten in Angriff genommen ist, verlangt die Einbeziehung des gesamten neuen Rechtsstoffes. Die Unterscheidung desselben in zwei Teile, einen, den man als organische Fortbildung des Rechts durch Korrekturen oder Ergänzungen der bisherigen Gesetzgebung bezeichnen kann, und einen andern, den man als Krisen- oder Notrecht auffasst, führt zu einer einseitigen Betrachtung und einer Verkennung neuer Rechtsinstitute. So würde es eine verhängnisvolle Einengung des rechtlichen Blickfeldes bedeuten, wenn man z. B. die Verwendung von Gesamtverträgen für die Regelung wirtschaftlicher Verhältnisse oder die Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen und neuen Gesamtwirtschaftsverträgen als Weiterentwicklung des gesetzlich geregelten Gesamtarbeitsvertrages in die wissenschaftliche Bearbeitung einbeziehen, dagegen die neuen Formen des Zwangskartells oder der Uebertragung öffentlicher Funktionen auf privatrechtliche Verbände ausschalten würde. Denn in allen diesen Fällen handelt es sich nur um verschiedene rechtliche Mittel, welche zum gleichen Zwecke, nämlich zur Herstellung einer allgemeinverbindlichen Marktordnung eingesetzt werden können. Dazu aber kommt, das niemand wird voraussagen wollen, was vom neuen Rechtsstoff vorübergehend oder dauernd ist. Die Maßnahmen zum Schutze einzelner, besonders gefährdeter Wirtschaftszweige, wie der Uhrenindustrie, der Milchwirtschaft, der Schuhindustrie und des Schuhmachergewerbes, des Detailhandels und der privaten Eisenbahn- und Schiffahrtsunternehmen, können, wenn auch nicht im einzelnen so doch im ganzen, ebenso zum dauernden Bestandteil unserer

wirtschaftsrechtlichen Ordnung werden, wie die Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der Arbeitslosenversicherung bereits heute zum überwiegenden Teil als dauernde Institute erkannt worden sind. Nicht anders aber kann es mit der Regelung des Außenhandels, den Maßnahmen zur Exportförderung und der Ordnung des zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs in einem Zeitalter wachsender Autarkiebestrebungen sein. Die Rückwirkungen dieser Gestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden ferner die Ueberwachung der durch staatliche Maßnahmen geschützten und der kartellgebundenen Preise und die staatliche Preis stützung zugunsten von Wirtschaftszweigen, welche durch den Preiszerfall in ihrer Lebensfähigkeit bedroht sind, zu unaufhebbaren Instituten des Wirtschaftsrechts stempeln. Schließlich wird bei der dauernden Verengerung unseres Lebensraumes und der Gefahr notleidender Unternehmen die Ueberführung des Krisenrechts der Zwangsvollstreckung in das ordentliche Konkurs- und Nachlaßvertragsrecht nur eine Frage der Zeit sein, wie denn diese Maßnahmen zugunsten notleidender Banken und Sparkassen bereits eine gesetzliche und damit auf Dauer angelegte Ordnung erfahren haben. So werden aus den Krisenmaßnahmen in großem Umfange Dauermaßnahmen, die in der Form des Notrechts geschaffenen Rechtssätze zu Bestandteilen der gesetzlichen Ordnung.

Die erste Aufgabe bildet die Sammlung und dogmatische Verarbeitung des gesamten Rechtsstoffes, wie er in einer unübersehbaren Fülle von Gesetzen, Bundesbeschlüssen, Bundesratsbeschlüssen, Verordnungen und "Verfügungen" erscheint. Er ist auch für den juristischen Praktiker unübersehbar geworden und bietet ein Bild verwirrender Mannigfaltigkeit, die dauernd im Flusse erscheint. Nur die dogmatische Verarbeitung ermöglicht die Meisterung dieses Stoffes und die Zurückführung der verschiedenartigen Erscheinungen auf ihre rechtlichen Grundlinien. Sie allein vermag ferner aufzuzeigen, welches die rechtliche Struktur der neuen Rechtsinstitute und welches ihr Verhältnis zu denjenigen des traditionellen Rechtes ist. Sie öffnet endlich die Erkenntnis für völlig neue Rechtsfiguren, welche die folgerichtige

richtige Lösung vieler, durch die Erlasse nicht geregelter Einzelfragen ermöglicht. Um nur ein Beispiel anzuführen: Im Clearingrecht, welches auf zahlreichen Staatsverträgen und einer ungezählten Menge von Noterlassen des Bundes beruht, erscheinen neben den privaten Schuldverhältnissen zwischen dem inländischen Gläubiger und dem ausländischen Schuldner, bezw. dem inländischen Schuldner und dem ausländischen Gläubiger, neue Rechtsverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur, nämlich das Grundverhältnis des clearingpflichtigen schweizerischen Schuldners gegenüber der Schweizerischen Verrechnungsstelle und das Grundverhältnis zwischen derselben und dem clearingberechtigten schweizerischen Gläubiger. Rechtspolitisch beruht ihre Begründung auf der Notwendigkeit der Interessenwahrung der Gesamtheit schweizerischer Gläubiger gegenüber Schuldnern in den devisenbewirtschafteten Ländern. Die Erkenntnis der Parallelität des öffentlichrechtlichen Clearingverhältnisses und des privatrechtlichen Schuldverhältnisses und ihrer gegenseitigen Beziehungen ist nicht nur von theoretischem Interesse, indem sie die eigenartige Verknüpfung öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Institute offenbart, sondern von unmittelbarer praktischer Bedeutung, indem sie die Beurteilung wichtigster clearingrechtlicher Fragen ermöglicht, wie z. B. die Feststellung der Wirkung einer erfolgten Einzahlung auf die Rechtsstellung von Gläubiger und Schuldner oder der Rechtsfolgen einer clearingwidrigen Zahlung. So führt die dogmatische Klärung zur Herstellung des innern Zusammenhanges und Ausgleiches zwischen dem alten und dem neuen Recht.

Die dogmatische Bearbeitung des Wirtschaftsrechts darf aber nicht einseitig vom Standpunkt des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts aus unternommen werden. Der Zivilist ist geneigt, das ganze neue Recht nur unter dem Gesichtspunkt der Eingriffe in das Zivilrecht zu betrachten. Er wird bei einer Bestandesaufnahme der wirtschaftsrechtlichen Gesetzgebung nur ihre zivilistischen Wirkungen feststellen und erwägen und bei solcher Betrachtungsweise resigniert feststellen, wie die Privatautonomie auf weiten Gebieten des Rechts beschränkt oder gar aufgehoben

worden ist und wie in mancher Beziehung, z. B. durch die Organisation öffentlicher Unternehmen in privatrechtlicher Form oder durch die Uebertragung öffentlicher Aufgaben auf privatrechtliche Verbände, eine Aushöhlung des Privatrechts erfolgt. Auf der andern Seite sieht eine einseitig publizistische Einstellung im neuen Wirtschaftsrecht das Recht einer vom Staat organisierten oder dirigierten Wirtschaft und damit die Durchsetzung der Auffassung, daß Wirtschaften eine öffentliche Aufgabe und der Unternehmer ein Träger öffentlicher Funktionen sei. Beide Auffassungen führen, wie die Erfahrung lehrt, zu einseitigen Ergebnissen, indem sie übersehen, daß trotz der Fülle neuen Rechts die privatrechtlichen Fundamente des Privateigentums, der Organisations- und Vertragsfreiheit unerschüttert sind und der Privatautonomie noch immer ein weiter Spielraum verbleibt. Sie verkennen, daß im Gebiete der Ordnung der Wirtschaft weder das Privatrecht noch das öffentliche Recht jemals die ausschließliche Herrschaft besessen haben und daß ein neuer Ausgleich zwischen ihren Bereichen sich anbahnt. Daher sind durch die dogmatische Betrachtung die Bereiche des öffentlichen und des privaten Rechts gegeneinander abzugrenzen, und die Einwirkung des neuen öffentlichen Rechts auf die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse ist festzustellen. Wer diese Arbeit zu leisten unternimmt, muß sowohl das Privatrecht wie das öffentliche Recht beherrschen.

Die dogmatische Verarbeitung des neuen Rechtsstoffes und die Feststellung seines Zusammenhanges mit dem alten Recht ermöglicht die Lösung der zweiten Aufgabe, welche das Wirtschaftsrecht der Rechtswissenschaft stellt, nämlich dessen begriffliche und systematische Erfassung. Die begriffliche Umschreibung dient der inhaltlichen Bezeichnung und der Abgrenzung des Rechtsgebietes, während die systematisierende Arbeit dem logischen Postulat der äußern und innern Geschlossenheit der Rechtsordnung und ihres folgerichtigen Aufbaues entspricht und eine vollständige, gegliederte Einheit des Rechtsstoffes anstrebt. Weder über den Begriff noch über das System des Wirtschaftsrechts besteht eine einheitliche Meinung in der Wissenschaft, vielmehr lassen sich verschiedene Gruppen von Theorien unterscheiden.

Die sogenannten Sammeltheorien erblicken im Wirtschaftsrecht nichts anderes als eine Sammlung neuartiger Rechtsinstitute, die durch den besondern wirtschaftlichen Akzent ausgezeichnet sind. Die Unbestimmtheit dieses Begriffes ist jedoch nicht geeignet, die Grundlage für die systematische Ordnung eines neuen Rechtsgebietes abzugeben, weil diese eine Abgrenzung genau gekennzeichneter Sachverhalte voraussetzt. Abzulehnen ist aber auch die sogenannte weltanschauliche Theorie, die dem Wirtschaftsrecht ein eigenes, gegenständlich begrenztes Gebiet abspricht und es auffaßt als eine Durchdringung des gesamten Rechts mit dem Geist der Wirtschaft, als den "Grundton des Rechtsganzen in unserer Zeit", der wie das Naturrecht einer bestimmten Periode der Rechtsentwicklung den Stempel aufpräge. Auch diese Auffassung gibt dem Wirtschaftsrecht eine begriffliche Weite, welche eine systematische Erfassung verunmöglicht, und sie übersieht die Tatsache, daß bestimmte Normenkomplexe entstanden sind, welche sich auf die Wirtschaft beziehen und im bisherigen Rechtssystem nicht untergebracht werden können. Daher erscheint nur eine gegenständliche Theorie als gerechtfertigt, welche mit dem Begriff Wirtschaftsrecht ein bestimmtes Rechtsgebiet bezeichnet, sodaß dem Begriff die Funktion eines Einteilungsprinzips zukommt. Damit ist wohl eine formelle Feststellung getroffen, aber die materielle Bezeichnung und Abgrenzung nicht bestimmt. Diese kann nur durch eine Besinnung auf den Begriff der Wirtschaft im Rechtssinne und die Aufgabe des Normenkomplexes "Wirtschaftsrecht" im Ganzen der Rechtsordnung gewonnnn werden.

Der Begriff der Wirtschaft im Rechtssinne muß anknüpfen an äußere Lebenstatbestände, welche die wirtschaftliche Tätigkeit zum Gegenstande haben. Denn die Aufgabe des Rechts kann immer nur darin bestehen, bestimmte äußere Sachverhalte zu ordnen. Dabei darf aber der Kreis der Lebenstatbestände weder zu weit noch zu eng gefaßt werden, wenn eine sachgemäße Abgrenzung erreicht werden soll. Er kann nicht beschränkt werden auf die Tatbestände einer organisierten Wirtschaft, weil es nicht in erster Linie die Organisationsnormen sind, welche die Besonderheit

der heutigen Stellung der Wirtschaft im Rechte bestimmen. Er kann aber auch nicht auf die wirtschaftlichen Unternehmer beschränkt werden, weil sonst das Arbeitsrecht ausgeschlossen würde, das sachlich enge mit der Rechtsstellung des Unternehmers verknüpft erscheint. Vielmehr kann sich die Rechtswissenschaft der Ergebnisse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bedienen, welche den Begriff der Unternehmung oder des Unternehmens zur Ausbildung gebracht hat. Das Unternehmen ist allerdings lange allzusehr unter dem einseitigen Gesichtspunkte der kapitalistischen Erwerbswirtschaft und damit als partikularhistorische Kategorie betrachtet worden. Es ist aber, wie gerade in der neueren Theorie nachdrücklich betont wird, eine universalhistorische Kategorie und daher nicht nur als Phänomen einer bestimmten Wirtschaftsstufe zu begreifen. Es ist zwar immer Erwerbswirtschaft, weil es einen Wertüberschuß erzielen muß, der das Kapital verzinst, der Unternehmensleitung und den Arbeitsbeteiligten Arbeitseinkommen verschafft und die Mittel zur Sicherung des eigenen Fortbestandes erzielt. Es bildet als Erwerbswirtschaft eine organisatorische Einheit innerhalb der Gesamtwirtschaft, die in ihrer Selbständigkeit nach außen, gegenüber andern Wirtschaftseinheiten, Erscheinung tritt und in der Geschlossenheit nach innen zum Ausdruck kommt. Da alle wirtschaftliche Tätigkeit von diesen erwerbswirtschaftlichen Unternehmen ausgeht und geleistet wird, so kann die Wirtschaft im Rechtssinne als die Gesamtheit der erwerbswirtschaftlichen Unternehmen und ihrer Tätigkeiten begriffen werden.

Dem Wirtschaftsrecht kommt im Ganzen der Rechtsordnung die Aufgabe zu, Bildung, Bestand und Tätigkeit erwerbswirtschaftlicher Unternehmen zu regeln. Diese Aufgabe erfüllte unter dem System des Privatrechts das Handelsrecht. Dieses hat den Rahmen des "Handelsgewerbes"im engem Sinne längst gesprengt, und als sein einheitlicher Gegenstand erscheint das Unternehmen, dessen Begriff funktionell dem positiven Begriff des Handelsgewerbes zu Grunde liegt. Durch die Einbeziehung der neuen öffentlich-rechtlichen Normen wird das Handelsrecht zum Wirtschaftsrecht. Das Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften

wird zum Organisationsrecht der Wirtschaft erweitert, wenn neben dem Recht der Assoziationsformen, welche auf dem Prinzip der privatrechtlichen Organisationsfreiheit beruhen, auch die Rechtssätze einbezogen werden, welche die Organisation der öffentlichen Unternehmen und die Organisation der auf direktem oder indirektem Assoziationszwang beruhenden privaten Unternehmen, wie z. B. der Zwangskartelle der Milchwirtschaft, der Importzentralen, der landwirtschaftlichen Zentralstellen, bestimmen. Das Recht der Handelsgeschäfte wird zum Wirtschaftsverkehrsrecht, wenn neben der privatrechtlichen Grundlage auch die öffentlich-rechtlichen Normen berücksichtigt werden, die den privaten Rechtssubjekten öffentliche Pflichten auferlegen und gleichzeitig die Vertragsfreiheit beschränken und den Inhalt der Verträge gestalten. So wenn das private Unternehmen zum Abschluß bestimmter Verträge direkt oder indirekt verpflichtet ist, wie etwa der landwirtschaftliche Produzent zur Ablieferung der Verkehrsmilch oder zum Erwerb inländischer Futtermittel, oder das Handelsunternehmen zu einer bestimmten Vorratshaltung. So aber auch, wenn durch Einfuhr- und Ausfuhrverbote, durch das Verbot des Verkaufs landwirtschaftlicher Grundstücke oder des Abschlusses bestimmter Rechtsgeschäfte, durch Preis- und Qualitätsvorschriften, der Inhalt landwirtschaftlicher Verträge maßgeblich bestimmt und damit die Rechtsgeschäfte, eingeschränkt oder ausgeschaltet wird. Das Handelssachenrecht wird zum Wirtschaftssachenrecht, wenn neben den privatrechtlichen Normen die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen einbezogen werden, welche dem Unternehmen generelle oder spezielle Betriebsbeschränkungen, wie in der Hotel-, Uhren- und Schuhindustrie, auferlegen und damit auch den Inhalt des privatrechtlichen Eigentums begrenzen. Aus dem Recht der Hilfspersonen des Unternehmens wird das Arbeitsrecht, wenn alle Rechtsnormen zusammengefaßt werden, welche die Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis bestimmen.

Unter Wirtschaftsrecht ist demnach die Gesamtheit der Rechtssätze zu verstehen, welche die erwerbswirtschaftlichen Unternehmen und ihre Tätigkeiten regeln. Die gegenständliche Abgrenzung

dieses Rechtsgebietes und seine Gliederung ergibt sich aus einer Verbindung der einzelnen Bestandteile des traditionellen Handelsrechts mit den neuen Normen und Instituten öffentlichrechtlicher Art. Die systematische Darstellung des Rechtsstoffes hat daher zweckmäßiger Weise nicht von der Scheidung in öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Bestandteile und auch nicht von der Betrachtung rechtlicher Grundformen, sondern von einem inhaltlichen Kriterium, einer Einteilung nach wirtschaftlichen Sachgebieten, auszugehen. Als erster Bestandteil fällt das allgemeine Unternehmensrecht in Betracht, welches die Trägerschaft und die Einrichtungen des Unternehmens bestimmt und dessen Rechtsbeziehungen gegenüber dem Staat und den andern Unternehmen ordnet. Daran schließt sich als zweiter Teil das Rechtsbeziehungen Wirtschaft, welches alle der wirtschaftlichen Tätigkeit dienenden Organisationsformen regelt und die Rechtsbeziehungen gegenüber den Personen bestimmt, welche in ihrer Gesamtheit die Träger des Unternehmens bilden. Der dritte Rechtsbeziehungen die Rechtssätze, welche die Rechtsbeziehungen des Unternehmens gegenüber den zugehörigen Sachgütern ordnen; er kann als Wirtschaftssachenrecht bezeichnet werden. Ein vierter Komplex von Normen bezieht sich auf die Rechtsgeschäfte, welche das Unternehmen zur Förderung seiner wirtschaftlichen Zwecke tätigt, und durch welche es mit einer unbestimmten Vielheit dritter Personen in den Rechtsverkehr tritt; dieser Komplex kann unter der Bezeichnung Wirtschaftsverkehrsrecht zusammengefaßt werden. Der letzte Teil, das Arbeitsrecht, enthält alle jene Rechtssätze, welche die Rechtsbeziehungen des Unternehmens gegenüber den Arbeitnehmern regeln. Alle diese Sachgebiete des Wirtschaftsrechts umfassen sowohl öffentlichrechtliche, wie privatrechtliche Bestandteile; ihre Rechtssätze regeln daher nicht nur privatrechtliche Beziehungen, sondern auch rechtliche Beziehungen des Unternehmens, die in ihrem Wesen durch die öffentliche Gewalt des Staates und der ihm ein- und untergeordneten Hoheitsträger bestimmt sind.

Die Rechtswissenschaft kann sich aber nicht mit der methodischen Darlegung des positiven Rechts bescheiden. Schon die

dogmatisch-systematische Einordnung gibt Anregungen für die Fortbildung des Rechts. Die Rechtswissenschaft kann zunächst eine rechtstechnisch-normative Arbeit leisten, indem sie die Rechtsformen für einen bestimmten Rechtsinhalt aufweist. Denn die rechtliche Form ist nicht nur Formulierung eines gesetzgeberischen Gedankens, sondern ist die Umsetzung desselben in rechtliche Begriffe und Formen. Wenn z B. eine Marktregelung durch objektives Recht geschaffen werden soll, dann kann die Rechtswissenschaft aufzeigen, daß dazu sowohl die Rechtsform des Zwangsverbandes, der die ihm beigetretenen und zwangsweise beigeschlossenen Mitglieder einer einheitlichen Ordnung unterwirft, wie die Rechtsform des allgemein verbindlichen Verbandsbeschlusses oder Gesamtvertrages geeignet ist, dem die Außenseiter durch staatlichen Verwaltungsakt unterstellt werden, ohne selbst Mitglieder des Verbandes zu werden. Oder wenn eine Ordnung der Arbeitsverhältnisse durch Zusammenwirken der Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeigeführt werden soll, so kann die Rechtswissenschaft darauf hinweisen, daß dieser gesetzgeberische Gedanke sowohl durch das Mittel der Gesamtarbeitsverträge, welche Verträge zwischen Verbänden mit Rechtswirkungen für ihre Mitglieder sind, wie durch die Bildung von Berufskörperschaften verwirklicht werden kann, durch welche Verbände zusammengefaßt werden, um die Rechte und Pflichten der Verbandsmitglieder zu regeln. Sie kann ferner darauf hinweisen, daß beide Rechtsformen überdies geeignet sind, durch besondere Akte die Regelung der Arbeitsverhältnisse auch auf die Nichtmitglieder zu erstrecken. Aber diese rechtstechnische Arbeit beschränkt sich immer darauf, die möglichen Rechtsformen aufzuzeigen, ohne daß zu der inhaltlichen Gestaltung im Sinne einer grundsätzlichen Bewertung Stellung genommen wird.

Ueber die rechtstechnische Arbeit hinaus greift die rechtskritische Betrachtung. Sie stellt jene Normen des neuen Rechts fest, die sich wachstumsmäßig an das gewordene Recht anfügen. Sie weist aber andrerseits auch jene Bestandteile auf, die als Fremdkörper in der traditionellen Rechtsordnung erscheinen. Sie muß daher eine grundsätzliche Bewertung der Rechtssätze vornehmen

und ihren Einklang oder Widerstreit mit den Prinzipien der Rechtsordnung aufzeigen. Gewiß ist eine Rechtsordnung kein starres System abstrakter Normen und muß, wenn das Rechtsleben lebendig bleiben soll, als eine aktuelle praktische Potenz empfunden werden. Aber jede Rechtsordnung beruht auf bestimmten Grundvorstellungen der Rechtsgemeinschaft, auf jenem "bloc des idées incontestables", die in allem Wechsel der Form die Konstanz der materiellen Rechtsentwicklung bestimmen. Auch das Recht besitzt daher seine Dogmen, die in den Vorstellungen über die letzten unverrückbaren Grundlagen einer konkreten Rechtsordnung enthalten sind. Daher muß die rechtskritische Betrachtung vor allem dogmenkritische Besinnung sein. Zu den grundlegenden Prinzipien unserer Rechtsordnung gehört nun das Prinzip der Freiheit des Individuums. "Die Achtung vor dem Recht und der Freiheit der Persönlichkeit ist so tief in der schweizerischen Rechts-, Kultur- und Staatsauffassung verankert, daß sie unbestreitbar als gemeinsames Gut schweizerischen Denkens angesprochen werden darf" (Botschaft des Bundesrates vom 9. Dezember 1938). Eine Ausstrahlung dieses grundlegenden Ordnungsprinzips bildet der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. Er besagt freilich nicht, daß der Einzelne seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne jede Rücksicht auf die übrigen Rechtsgenossen und die Rechtsgemeinschaft ausüben darf. Aber er bringt zum Ausdruck, daß der natürlichen Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung nur jene Grenzen gezogen werden dürfen, die zur Wahrung der berechtigten und schutzbedürftigen Interessen der andern Rechtsgenossen und der sozialen Interessen unerläßlich sind. Innerhalb dieser durch die Rechtsordnung gesetzten Schranken hat der Einzelne einen Rechtsanspruch darauf, in seiner wirtschaftlichen Sphäre gegenüber Eingriffen des Staates und der Privaten gesichert zu sein. Wenn von diesen Prinzipien ausgehend die Rechtskritik z. B. die Marktregelung durch objektiven Rechtssatz einer Prüfung unterzieht, so hat sie zunächst darauf hinzuweisen, daß eine solche Ordnung in jeder Form dem Grundsatz der Konkurrenzfreiheit widerstreitet, daß sie aber im Falle der Zwangsverbände überdies gegen den Grundsatz der Assoziationsfreiheit

verstößt. Demgegenüber wird beim allgemeinverbindlichen Verbandsbeschluß oder Gesamtvortrag der Aussenseiter der Verbandsgewalt nicht unterworfen, sondern einzig und allein der Marktregelung unterstellt. Aus den Grundvorstellungen unserer Rechtsordnung lässt sich daher das Gebot der Zurückhaltung des Gesetzgebers bezüglich jeder Marktregelung ableiten, die nicht durch das öffentliche Interesse gefordert wird. Es läßt sich aber ferner das Postulat gewinnen, daß wenn sich eine solche als notwendig erweist, der allgemein verbindlichen Marktordnung der Vorzug vor den Zwangsverbänden zu geben ist.

III.

Die Erkenntnis von der Bedeutung der rechtskritischen Besinnung leitet über zur Betrachtung der rechtpolitischen Probleme des Wirtschaftsrechts. Allerdings ist selbst von wissenschaftlicher Seite die Auffassung vertreten worden, dan die Rechtspolitik in erster Linie eine Aufgabe schöpferischer Intuition und nicht verstandesmäßiger Deduktion oder bloß ethischer Beurteilung sei. Allein dieser Satz ist nur sehr bedingt richtig. Gewiss ist die Gestaltung neuen Rechtes, die Umbildung eines ganzen Rechtsgebietes, eine schöpferische Leistung, für die es keine Muster und Formeln gibt. Aber diese Aufgabe kann nur auf Grund der Erkenntnisse gelöst werden, welche die Rechtswissenschaft durch die Betrachtung des positiven Rechts und seiner Geschichte verschafft. Denn die Rechtsordnung steht unter dem Gesetz einer wachstumsmäßigen Entwicklung und gerade die schweizerische Rechtsentwicklung weist eine selten starke Geschlossenheit und Festigkeit auf. Sie spiegelt sich wieder in den großen Kodifikationen des Privatrechts und des Strafrechts, die alle nach der historischen Gesetzgebungsmethode gestaltet worden sind und auf der Grundlage des traditionellen Rechts eine der Gegenwart dienende Ordnung geschaffen haben. Die rechtspolitische Aufgabe darf daher weder dem Kampf der Interessen noch dem Machtwort des staatlichen Gesetzgebers überlassen werden. Sie kann sachgemäß nur von der Rechtswissenschaft gelöst werden. Gerade das Krisenrecht der letzten Jahre, das mit seinen Widersprüchen und seinem Mangel an Präzision der wissenschaftlichen Kritik grône Angriffsflächen bietet, liefert ein eindrückliches Beispiel dafür, wie dilettantisch die Gesetzgebung ohne Mitwirkung der Rechtswissenschaft gestaltet wird. Daraus ergibt sich das

Postulat, daß die Fortbildung und Umgestaltung des Wirtschaftsrechts nicht ohne die maßgebliche Mitarbeit der Rechtswissenschaft vollzogen werden darf. Die Gestaltung des neuen Rechtes vorzubereiten und an ihr entscheidend mitzuwirken, bildet die höchste Aufgabe der Rechtswissenschaft.

Die rechtspolitische Aufgabe der Neuordnung der Wirtschaft ist zunächst ein verfassungsrechtliches Problem, weil es Sache des staatlichen Grundgesetzes bildet, das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Wirtschaft festzulegen. Die Neuordnung dieses Verhältnisses ist deswegen dringlich, weil ein großer Teil unseres wirtschaftlichen Krisenrechts mit der Verfassung in offenem Widerspruch steht. Unter dem Zwange der Not hat sich der Bundesgesetzgeber sowohl über die verfassungsmäßige Ausscheidung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen hinweggesetzt, wie z. B. bei der Ordnung der Milchwirtschaft, als auch über die verfassungsmäßig garantierten Rechte der Bürger, über die Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit, der Niederlassungsfreiheit, der Rechtsgleichheit. Dadurch ist ein inneres Spannungsverhältnis zwischen dem Krisenrecht und der Verfassung erwachsen, welches zu einer Krise des Rechts zu werden droht. Angesichts des Wandels aller wirtschaftlichen Verhältnisse kann aber dieses Spannungsverhältnis nicht durch eine radikale Aufhebung des Notrechts, sondern nur durch eine Verfassungsänderung in der Gestalt einer umfassenden Partialrevision gelöst werden. Eine Rückkehr zum Rechtszustand des geschriebenen Verfassungsrechts mit seiner unbeschränkten Wirtschaftsfreiheit ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die für die Wirtschaftsfreiheit im Innern notwendige Voraussetzung einer Wirtschaftsfreiheit nach Außen auf absehbare Zeit entfallen ist. Jeder einsichtsvolle und verantwortungsbewußte Jurist und vor allem die Vertreter der Rechtswissenschaft müssen es daher begrüßen, daß der Bundesrat die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung in die Wege geleitet hat. Sie müssen ferner die Forderung erheben, daß die Verfassungsänderung nicht mehr weiter aufgeschoben, sondern so rasch als möglich zum Abschluß gebracht und damit die Autorität der Verfassung und die Unverbrüchlichkeit

des Rechtsgedankens wieder hergestellt wird.

Ueber die Formulierung der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung mag man im einzelnen streiten, aber man wird in sachlicher Hinsicht anerkennen müssen, daß die Vorlage des Bundesrates im ganzen gesehen eine organische Weiterbildung unseres traditionellen Verhältnisses von Staat und Wirtschaft enthält. Auf dem Boden der Privatwirtschaft bleibt die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung grundsätzlich erhalten, wird aber in die Schranken gewiesen, die im Interesse der Gesamtwirtschaft notwendig sind. In der Gestaltung des Prinzips der Wirtschaftsfreiheit liegt das zentrale Problem der Verfassungsreform. Nach Art. 31 der geltenden Verfassung besteht der Grundsatz der unbeschränkten Handels- und Gewerbefreiheit, geschützt durch ein Individualrecht des Bürgers, wobei freilich gegen verfassungswidrige Einschränkungen durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse ein Rechtsmittel nicht zur Verfügung steht. Nach der Vorlage des Bundesrates bleibt zwar der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit als Individualrecht des Bürgers erhalten, aber es können Einschränkungen vorgenommen werden, wenn das Gesamtinteresse sie rechtfertigt, vor allem zum Schutze von wichtigen, in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen. Damit gelangt ein neues, in der bisherigen Rechtsentwicklung bereits vorgezeichnetes Prinzip zur Durchsetzung, daß nämlich die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung nur nach Maßgabe der durch die Gesetzgebung gezogenen Schranken gewährleistet sein soll. Um aber der Gefahr der Willkür vorzubeugen, wird im Verfassungsartikel selbst bestimmt, unter welchen Voraussetzungen diese Freiheit durch die Gesetzgebung soll beschränkt werden können. Die neue Verfassungsbestimmung schafft daher eine tragfähige Basis für jenes Wirtschaftsrecht, das man als Krisenrecht bezeichnet hat. Die privatrechtliche Ordnung der Wirtschaft kann danach in die öffentlich-rechtliche in bestimmter Weise eingegliedert werden, sodaß der Spielraum privatrechtlicher Gestaltungsfreiheit eine Beschränkung erfährt. Dabei ist vorgesehen, daß die bundesrechtliche Ordnung des Wirtschaftslebens sich auf alle Wirtschaftszweige erstrecken kann. Indem dem

Bund die Befugnis eingeräumt wird, "im Rahmen der dauernden Interessen einer gesunden Gesamtwirtschaft" einheitliche Bestimmungen aufzustellen und Maßnahmen zu ergreifen zur Förderung der einzelnen Wirtschaftszweige, wird er gleichzeitig ermächtigt, Schranken der Handels- und Gewerbefreiheit auf allen Gebieten der Wirtschaft aufzurichten, wenn die sachlichen Voraussetzungen dazu vorhanden sind.

Rechtspolitisch ist das Wirtschaftsrecht nicht nur ein Verfassungsproblem, sondern auch ein Rechtsquellenproblem. Seit Jahren ergießt sich ein Strom gesetzgeberischer Erlasse über das Land, in einer Unzahl von Bundesbeschlüssen, Bundesratsbeschlüssen, Verordnungen und Verfügungen. Die neuen Rechtssätze entstammen dem gesetzten Recht, das ohne Mitwirkung des Volkes, aber auch ohne Mitbestimmung der gesetzgebenden Behörden geschaffen wird. Die Beschlüsse der Bundesversammlung enthalten in der Regel nur ganz allgemein gehaltene Richtlinien, die kaum eine sachliche Entscheidung über den Gegenstand ihrer Rechtsetzung enthalten, sondern sich vielmehr als Blankettvorschriften darstellen, welche den Bundesrat zur Rechtsetzung auf einem nur sehr ungenügend umschriebenen Gebiet ermächtigen. Die Bundesversammlung hat auf weiten Gebieten des Wirtschaftsrechts auf die Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenz verzichtet und der Erlaß der Rechtssätze erfolgt durch den Bundesrat oder andere Verwaltungsbehörden, und zwar auch solche untergeordneter Natur, wie z. B. die Handelsabteilung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes, die Preiskontrollstelle, die Schweizerische Verrechnungsstelle. Daraus erklärt sich, daß die Rechtssätze fast ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur sind, daß sie vielfach das nötige Maß juristischer Präzision und die Feststellung der zivilrechtlichen Wirkungen vermissen lassen, und daß sie den Rechtsschutz in Wirkungen Weise beschränken. Diese Erscheinungen lassen sich fast auf allen Gebieten des Wirtschaftsnotrechts nachweisen, auf dem Gebiete des Clearingrechts wie der Bestimmungen über den internationalen Warenverkehr, der Preiskontrollvorschriften wie der Ordnung der milchwirtschaftlichen Zwangskartelle. Allerdings ist nicht zu verkennen,

daß der rasche Wandel wirtschaftlicher Verhältnisse an das Tempo der Rechtsetzung besondere Anforderungen stellt und der in der Verfassung vorgeschriebene Weg des Gesetzgebungsverfahrens für das Gebiet des Wirtschaftsrechts vielfach zu schwerfällig und zu langsam und daher ungeeignet ist. Aber mindestens ebenso ungeeignet ist der Weg des Erlasses von Rechtssätzen durch untergeordnete Verwaltungsbehörden, die immer eine Neigung zur öffentlich-rechtlichen Reglementierung haben, die nur ihre besondere Verwaltungsaufgabe kennen, und denen sowohl die Kenntnis der gesamten Rechtsordnung wie das Gefühl für ihre innere Geschlossenheit mangelt. Daher ist die von wissenschaftlicher Seite erhobene Forderung nach Festlegung einer bestimmt umschriebenen Kompetenz der Bundesversammlung zur Rechtsetzung im Falle der Dringlichkeit und nach Konzentration der delegierten Rechtsetzungsbefugnisse in der Hand des Bundesrates, der jeden rechtsetzenden Erlaß durch das Justizdepartement überprüfen lassen müßte, nachdrücklich zu unterstützen. Dringlicher Bundesbeschluß und Verordnung des Bundesrates sollten im Bund die einzigen Formen der staatlichen Rechtsetzung außerhalb der ordentlichen Gesetzgebung darstellen. Daraus würde folgen, daß die Verfügungen einzelner Departemente oder Verwaltungsstellen keine Rechtssätze mehr enthalten dürften.

Wichtiger als das Problem des Verhältnisses der einzelnen Formen des staatlich gesetzten Rechts untereinander ist die Frage nach dem Verhältnis dieses Rechts zu dem durch autonome Satzung geschaffenen Recht. Schon unter dem geltenden Recht kommt eine wirtschaftsgestaltende Funktion nicht nur den Normen des staatlich gesetzten Rechts, sondern auch dem sog. "selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft" zu, wie es in den Normenverträgen, den Geschäftsbedingungen und typisierten Vertragsformularen in Erscheinung tritt. Dieses selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft ist außerhalb der Sphäre der staatlichen Rechtsordnung zur Entstehung und vermittelst rechtsgeschäftlicher Unterstellung zur Durchführung gelangt. Es reicht nur dort in die öffentliche Ordnung hinein, wo es durch staatlichen Verwaltungsakt allgemein verbindlich erklärt wird und damit die Merkmale eines

gesetzgeberischen Erlasses erhält, wie z. B. bei den Statuten und Reglementen des Krisenfonds der Schifflilohnstickerei, der Trinkgeldordnung für das Hotelgewerbe, den Minimalpreisvorschriften der Verbände der Uhrenindustrie. Rechtspolitisch stellt sich daher das Problem, ob nicht zur Entlastung der staatlichen Rechtsetzung und zum Zwecke der Regelung durch die Beteiligten in vermehrtem Maße die autonome Satzung Verwendung finden sollte. Es handelt sich dabei stets um Rechtsnormen, die auf Grund gesetzlicher Ermächtigung durch vom Staat getrennte Rechtsträger erlassen werden. Dabei macht es theoretisch keinen Unterschied, ob es sich um einen Verbandsbeschluß, als Willensakt eines Rechtssubjektes, oder um einen Gesamtvertrag, als Willenseinigung einer Mehrzahl von Rechtssubjekten, handelt. Der Unterschied zwischen Verbandsbeschluß und Gesamtvertrag ist dagegen in ideologischer und soziologischer Hinsicht von wesentlicher Bedeutung. Der Abschluß eines Gesamtvertrages setzt die Vertragswilligkeit der gegensätzlich gerichteten wirtschaftlichen Verbände voraus und stellt sich als Instrument der Verständigung zwischen denselben dar. Der Beschluß eines Verbandes ist dagegen ein völlig einseitiger Akt. Dieser ist unbedenklich, wenn der Verband als Berufskörperschaft alle wirtschaftlichen Interessen eines Wirtschaftszweiges in sich vereinigt. Dagegen sind Beschlüsse von einseitigen Interessentenverbänden gefährlich, weil sie immer die Tendenz zur ausschließlichen Wahrung einseitiger Interessen in sich tragen.

Durch die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung soll nach der Vorlage des Bundesrates auch die Frage der Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch autonome Satzung gelöst werden. Die Lösung ist in der Weise vorgesehen, daß auf dem Wege der Gesetzgebung und unter Wahrung der Gesamtinteressen Vorschriften erlassen werden können, kraft deren Vereinbarungen und Beschlüsse von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen unter bestimmten Voraussetzungen allgemein verbindlich erklärt werden können. "Die Wirtschaft wird dadurch in die Lage versetzt, unter Aufsicht und Kontrolle des Staates ihre Verhältnisse in gewissem Umfange

selbst zu ordnen. Eine solche, aus der Initiative der Beteiligten selbst entsprungene Ordnung ist geschmeidiger und anpassungsfähiger als die staatliche Gesetzgebung" (Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1937). Die autonom erwachsenen wirtschaftlichen Verbände werden dadurch als Träger der rechtlichen Ordnung des Wirtschaftslebens anerkannt. Ihre Satzungen erhalten normativen Charakter und deren Geltungsbereich kann auf alle Angehörigen des betreffenden Geltungsbereich ausgedehnt werden. Diese Ordnung verlangt indessen, daß auf dem Wege der Gesetzgebung die Voraussetzungen bestimmt werden, welche die Verbände zu erfüllen haben, denen diese gesetzgeberische Funktion übertragen werden soll, und daß die autonomen Satzungen selbst eine gesetzliche Regelung erfahren. Dabei erscheint es jedoch bedenklich, wenn auf Grund der Verfassung auch einseitigen Verbandsbeschlüssen normativer Charakter soll beigelegt werden können, während dieser der Natur der Sache nach nur Gesamtverträgen zukommen kann. Wenn, wie die Botschaft des Bundesrates ausführt, "der freiwilligen Verständigung unter den Verbänden der Vorrang vor dem staatlichen Eingriff zukommen soll", und "die Beteiligten versuchen sollen, auf freiwilligen Wegen die ihren Bedürfnissen entsprechende Ordnung auf zurichten", so widerspricht diesem Gedanken die Möglichkeit des verbindlichen Charakters einseitiger Verbandsbeschlüsse. Daraus folgt, daß mit dem Wesen der gesetzgeberischen Funktion der allgemein verbindlichen Satzung nur Gesamtverträge, "Vereinbarungen von Berufsverbänden und ähnlichen Wirtschaftsorganisationen", vereinbar sind.

In der materiellen Gestaltung des Wirtschaftsrechts liegt das grundlegende Problem im Verhältnis des öffentlichen und des privaten Rechts. Das Privatrecht dient dem Ausgleich und der Ordnung gleichberechtigter Einzelinteressen, das öffentliche Recht dagegen will den beteiligten Gesamtinteressen den Vorrang vor den widersprechenden Einzelinteressen einräumen. Das traditionelle Recht der Wirtschaft war Ordnung der privatrechtlichen Einzelinteressen, das neue Wirtschaftsrecht will gegenüber diesen die wirtschaftlichen Gesamtinteressen zur Durchsetzung bringen.

Im Vordringen des öffentlichen Rechts liegt ein Stück Wirtschaftsreform, ein Eindringen kollektivistischer und staatswirtschaftlicher Gedankengänge in das Gefüge der privatwirtschaftlichen Ordnung. Alle Wirtschaftsreformen vollziehen sich notwendigerweise in der Form und mit den Mitteln des Rechts, denn das Recht ist die Form der Wirtschaft Jede Rechtsordnung hat ihre Wirtschaft und jede Wirtschaft ist immer die einer bestimmten Rechtsordnung, auch wenn sie nicht allein vom Recht her bestimmt erscheint. Aenderungen im Gefüge des Wirtschaftsrechts spiegeln den Wandel der wirtschaftlichen Gesinnung wieder, die letzten Endes über die Neugestaltung der rechtlichen Ordnung der Wirtschaft entscheidet. Das Ueberfluten der Privatrechtsordnung mit öffentlich-rechtlichen Normen ist nichts anderes als der rechtliche Ausdruck einer Auffassung, welche die "Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft" ablehnt und das einzelne Unternehmen der Gesamtwirtschaft, diese aber dem Interesse von Volk und Staat ein- und unterordnet. Aber dieses Vordringen öffentlich-rechtlicher Gesichtspunkte hat die Fundamente unserer privatrechtlichen Ordnung nicht zu erschüttern vermocht.

Das große rechtspolitische Problem der inhaltlichen Gestaltung des Wirtschaftsrechts besteht demnach darin, den Dualismus privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Ordnung zu überwinden und, unter Wahrung der beiden Bestandteile, ihren innern Ausgleich zu finden. An Stelle des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen Einzelinteressen und Gesamtinteressen ist eine Ordnung zu setzen, welche beiden in gerechter Weise Rechnung trägt. Dieses Ziel verfolgt nach der Botschaft des Bundesrates auch die Revision der Wirtschaftsartikel: "Eine solche Wirtschaftsordnung, die einen vernünftigen Ausgleich zwischen Freiheit und Bindung, zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse anstrebt und die neben den wirtschaftlichen auch die überwirtschaftlichen Ziele zur Geltung kommen läßt, scheint uns die angemessene zu sein, da sie mit unsern gesellschaftlichen und politischen Institutionen in Einklang steht, an das Bestehende anknüpft und gleichwohl den Erfordernissen der Gegenwart und der Zukunft Rechnung trägt". Aber es genügt nicht, daß die Verfassungsnormen

dieser grundlegenden Vorstellung eines neuen Ausgleichs zwischen öffentlichem und privatem Recht auf dem Gebiete des Wirtschaftsrechts entsprechen; vielmehr ist es notwendig, dass auch in der Ausführungsgesetzgebung dieses Prinzip folgerichtig durchgeführt wird. Daher ist bei der Vorbereitung jedes Einzelerlasses zunächst zu prüfen, ob die neu zu schaffenden Rechtssätze wirklich öffentliche, d.h. Gesamtinteressen wahren sollen, oder ob nicht vielmehr die Ordnung und Sicherung von Einzelinteressen angestrebt wird. Nur im erstem Falle darf überhaupt ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis in Aussicht genommen, eine öffentlich-rechtliche Pflicht der betroffenen Bürger vorgesehen werden. Aber auch wenn sich bei dieser Prüfung die öffentlichrechtliche Regelung als unvermeidlich erweist, so sind die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Gestaltung und ihre privatrechtlichen Wirkungen zu erwägen, und es ist im Zweifel jener Lösung der Vorzug zu geben, durch welche am wenigsten in die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit eingegriffen wird. Maßgebend mun immer die Ueberlegung sein, daß die Ordnung unserer Wirtschaft eine grundsätzlich privatrechtliche ist und bleiben soll, weil nur damit das Prinzip der Freiheit verwirklicht werden kann.

Gesetzgeber und Wissenschaft haben daher in der neuen Gestaltung des Wirtschaftsrechts eine grosse Aufgabe zu erfüllen: den innern Ausgleich zwischen privatem und öffentlichem Recht herzustellen, das Gleichgewicht zwischen Einzelinteressen und Gesamtinteressen zu finden und damit ein angemessenes Verhältnis zwischen Freiheit und Bindung zu schaffen. Darin aber liegt nichts anderes als die Aufgabe, in der Ordnung der Wirtschaft den Gedanken der Gerechtigkeit zu verwirklichen, die nach der klassischen Formel der römischen Juristen darin besteht, jedem das Seine zuzuteilen: Justitia est constans et perpetua voluntas, jus suum cuique tribuens. Um dieses uralte Streben, jedem das Seine zukommen zu lassen, geht es in der neuen Gestaltung des Wirtschaftsrechts.