Ueberlebender Ehegatte
und Nachkommen in Theorie und Praxis
des schweizerischen Erbrechts
Rektoratsrede von
Prof. Dr. Peter Tuor
Bericht über das Studienjahr 1943/44
erstattet vom abtretenden Rektor Prof. Martin Werner
VERLAG PAUL HAUPT BERN
Akademische Buchhandlung vorm. Max Drechsel 1945
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Switzerland
by F. Graf-Lehmann, Berne
Ueberlebender Ehegatte und Nachkommen
in Theorie und Praxis
des schweizerischen Erbrechts
Rektoratsrede von Prof. Dr. Peter Tuor
Bei der Ordnung der gesetzlichen Erbfolge stellt sich dem
Gesetzgeber das wichtige Problem, welche Ansprüche dem
überlebenden Ehegatten am Vermögen des vorversterbenden oder
am ehelichen Gesamtvermögen zu gewähren seien. Die Schwierigkeit
der Regelung liegt vor allem in dem Interessengegensatz,
der hiebei zwischen den dem Erblasser am nächsten stehenden
Personen, zwischen seinen Verwandten und dem von
ihm hinterlassenen Ehegatten eintritt, eine Kollision, die sich
am augenscheinlichsten zeigt, wo die Verwandten seine eigenen
Kinder oder an deren Stelle tretende entferntere Nachkommen
sind. Der Lösung dieses Gegensatzes kommt eine besondere Bedeutung
zu, weil es sich um einen der häufigsten Beerbungsfälle
handelt, sodann aber auch, weil sie über das rein juristische
in das sozial-politische, ja ethische Gebiet hineingreift.
Der Tod des zuerst versterbenden Ehegatten löst nach zwei
Seiten hin vermögensrechtliche Wirkungen aus. Er beendet die
durch die Ehe begründete Gemeinschaft. Er führt deshalb
notwendigerweise eine Liquidation, eine Auseinandersetzung in
bezug auf das in irgend einer Weise den Zwecken der Ehe dienstbar
gewesene Vermögen herbei. Dies geschieht nach den Grundsätzen
des Familienrechts. Es handelt sich um Fragen, die in
dessen wichtigsten Teil, das Eherecht, fallen, das eheliche
Güterrecht ausmachen. Dieser erste an den Tod des Erblassers
sich knüpfende Vorgang ist die güterrechtliche Auseinandersetzung.
An ihr sind seine Erben einerseits und kann sein überlebender
Ehegatte andererseits beteiligt sein. Sie treten schon
hier in Interessenkollision.
Die güterrechtliche Auseinandersetzung kann in verschiedener
Weise geschehen. Sie hängt ab von dem die Ehe beherrschenden
Güterstand und dessen näherer vertraglicher Ausgestaltung.
Das Gesetz gibt den Ehegatten innert eines gewissen Rahmens
die Freiheit, durch ehevertragliche Abmachung die Art der einstigen
güterrechtlichen Auseinandersetzung festzusetzen. Sie tun
dies entweder schon zufolge der Annahme eines bestimmten
Güterstandes, oder innert des für sie gemäss Gesetz oder Vertrag
geltenden Güterstandes durch eine besondere Regelung
seiner späteren Liquidation. So können die Ehegatten Gütertrennung
vereinbaren. Es gilt dann der Grundsatz: "Jedem das
Seine", in besonderer Ausprägung. Der überlebende Ehegatte
erhält das von ihm zur Zeit der Verehelichung besessene Vermögen
und was ihm aus Erbschaft, unentgeltlichen Zuwendungen,
Ertrags- und Arbeitsersparnissen hinzuwächst. Den Erben
des verstorbenen Ehegatten kommt zu, was diesem in gleicher
Weise zugefallen ist. Es können die Ehegatten mit der Gütertrennung
auch einen Erbverzichtsvertrag verbinden. Sie erreichen
damit, dass der überlebende von ihnen gar nichts aus
dem Vermögen des zuerst versterbenden erhält. Einer derartigen
Kombinierung der beiden Verträge wird sich etwa ein Witwer
bedienen, der eine neue Lebensgefährtin nimmt, hiebei aber die
Anwartschaften der Kinder aus erster Ehe in nichts beeinträchtigt
wissen möchte.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommen die Ehegatten,
wenn sie den Güterstand der Gütergemeinschaft wählen. Bei
der Auseinandersetzung erhält dann jeder Teil, überlebender
Ehegatte und Erben des Verstorbenen, die Hälfte des Gesamtgutes.
Die Folge ist eine Begünstigung des weniger Begüterten
Ehegatten auf Kosten der Erben des anderen. Es kann dies
auch jener sein, der viel grössere Anwartschaften hat als
der andere, dem sie aber bei der Auseinandersetzung noch nicht
zugefallen sind, etwa weil seine Eltern noch am Leben sind.
Es spielt also hier unter Umständen der Zufall eine grosse
Rolle.
Die Ehegatten können endlich unter Beibehaltung des gesetzlichen
Güterstandes, der Güterverbindung, die Vermögensvermehrung,
den sog. Vorschlag, dem überlebenden von ihnen
zusichern, die Erben auf das eingebrachte Gut beschränken.
So in Auslegung von Art. 214, Abs. 3 ZGB, sehr weitgehend
ein bundesgerichtlicher Entscheid vom 22. Januar 1932. Er
hat seine besondere Bedeutung dort, wo die Ehegatten, wie
so oft, vermögenslos in die Ehe getreten sind, auch nichts während
der Ehe geerbt haben, so dass ihr ganzes Vermögen aus
Erspartem, aus Vorschlag besteht. Hier gehen die Kinder des
Verstorbenen vollständig leer aus, da auch der Pflichtteilsanspruch
nichts nützen kann, dort, wo nichts zu erben ist. 1)
Dem ersten durch den Tod des zuerst versterbenden Ehegatten
ausgelösten Vorgang, der güterrechtlichen Auseinandersetzung,
folgt der zweite, die Nachfolge in den bei dieser seiner Seite
zugefallenen Vermögensteil, in seine Hinterlassenschaft. Auch
hier können Kollisionen zwischen dem überlebenden Ehegatten
und den Verwandten, insbesondere den Nachkommen des verstorbenen,
eintreten. Gerade dieser Interessenkonflikt wird uns
des Näheren beschäftigen.
Das Schweiz. ZGB hat die in den historischen Rechten, sowohl
im römischen wie im deutschen Rechte, herrschende
Auffassung, wornach nur die Verwandtschaft gesetzliches Erbrecht
vermittle, aufgegeben. Nach ihm soll das Erbrecht nicht
ausschliesslich und nicht in unbeschränkter Ausdehnung ein
Vorrecht des Blutes sein. Es wird einerseits die Erbberechtigung
vor Erschöpfung der nachweisbaren Verwandtschaftsbeziehungen
abgebrochen, die Kategorie der sogenannten lachenden
Erben ausgeschaltet, und es werden andererseits neben oder
hinter der erbberufenen Blutsverwandtschaft auch andere nahe
Lebensbeziehungen des Erblassers als erbbegründend anerkannt:
neben ihr die eheliche Gemeinschaft, hinter ihr die staatliche
Zugehörigkeit. So konkurriert der überlebende Ehegatte nicht
nur wie in den meisten früheren kantonalen Rechten mit entfernteren
Verwandten, Aszendenten oder Kollateralen, sondern
auch mit Nachkommen des Erblassers. Er konkurriert mit ihnen
nicht nur zu einem minderen Rechte, sei dies Eigentum, aber
der Substanz nach unantastbares, weil den Nachkommen dinglich
verfangenes Eigentum, wie im alten Berner Recht, sei dies,
wie in den meisten anderen kantonalen Gesetzgebungen, eine
blosse Nutzniessung.
Das ZGB trägt nun aber in noch weiter gehender Weise den
Interessen des in Konkurrenz mit Nachkommen stehenden Ehegatten
Rechnung. Es nimmt auf die verschiedenen tatsächlichen
Lebensverhältnisse, in denen er stehen, sowie auf die Bedürfnisse,
die die Zukunft für ihn bringen mag, Rücksicht. Daher
verleiht es ihm die Befugnis, zwischen verschiedenen Arten der
Beerbung zu wählen. Sodann weitet es die Verfügungsbefugnis,
die nach den gewöhnlichen Grundsätzen gegeben ist, zugunsten
des überlebenden mit Nachkommen erbenden Ehegatten aus.
Kurz und einfach lautet die Regelung im Gesetze selber.
Nur wenige, nicht mehr als sieben Artikel (462, 463, 464, 471
473, 561, 574) des an sich schon sehr knapp gehaltenen schweizerischen
Erbrechts beschäftigen sich mit der Rechtsstellung
des überlebenden Ehegatten. Hierin verfolgt das Gesetz die
ihm allgemein zugrunde liegende, aber nirgends mehr als im
Erbrecht zum Ausdrucke kommende Tendenz, nur die Hauptgrundsätze
der Regelung in weitgespanntem Rahmen zu geben,
die Entscheidung von Einzelfragen der von bewährter Lehre
und Ueberlieferung geleiteten richterlichen Auslegung oder
Rechtssetzung zu überlassen. Die Aufgabe des Richters wird
erschwert durch die Tatsache, dass manche der im Gesetze
enthaltenen Bestimmungen von den vorberatenden Kommissionen
ausgingen und Einbrüche in das konsequent ausgedachte
System der Entwürfe Eugen Hubers bedeuten. Sozial und wirtschaftlich
mögen sie ihre volle Rechtfertigung finden. Nach
der juristischen Seite aber wurden sie nicht immer genügend
überlegt, so dass ihre Ineinklangsetzung mit danebenstehenden
ursprünglichen Gedanken des Gesetzes manchmal nicht leicht ist.
Aus den angeführten beiden Gründen ergaben sich Zweifel, die
den ersten Interpreten des ZGB Kopfzerbrechen verursachten
und zu Meinungsverschiedenheiten führen mussten. Heute, nach
mehr als dreissigjähriger Anwendung des Gesetzes, haben
manche dieser Fragen durch eine allmählich erzielte Uebereinstimmung
der wissenschaftlichen Ansichten und insbesondere
durch die Praxis unseres obersten Gerichtshofes eine
Abklärung gefunden. Dabei handelt es sich zum Teile um so
wichtige Punkte, dass ohne ihre vorgängige Entscheidung die
Anwendung an sich klarer gesetzlicher Bestimmungen nicht möglich
wäre.
Der Huber'sche Entwurf hatte, den historischen Rechten und
den meisten kantonalen Gesetzgebungen folgend, die Nachkommen
des Erblassers allein als Erben im eigentlichen Sinne anerkannt,
ihnen das Eigentum an der ganzen Erbschaft belassen,
den überlebenden Ehegatten auf eine Nutzniessung an einem
Teile, an der Hälfte der Erbschaft, verwiesen (Art. 489 VE).
Eugen Huber begründet dies mit den Worten: "die Pflicht,
welche den Verstorbenen mit diesen (d. h. den Nachkommen)
verbindet, scheint uns von so intensiver Natur zu sein und so
sehr auch den überlebenden Ehegatten zu ergreifen, dass wir
eine Abteilung zu Eigentum für unratsam erachten". 2) Hauptsächlich
sollte aber vermieden werden, dass ein Teil des Nachlasses
über kurz oder lang ausserhalb der vom Erblasser gegründeten
Familie, ausserhalb seiner Nachkommenschaft gelange.
Diese Gefahr wäre vorhanden, würde man dem überlebenden
Ehegatten nicht bloss mit seinem Tode erlöschende
Nutzniessungsrechte, sondern Eigentum, über das er frei verfügen
könnte, zuerkennen.
Bei der weiteren Beratung des Entwurfes, insbesondere in
der grossen Expertenkommission, wurde auf die grossen wirtschaftlichen
Nachteile, welche die in natura auszuübende, Verwaltung
und Besitz involvierende, Verfügungshandlungen ausschliessende
Nutzniessung mit sich bringen müsste: Verunmöglichung
oder Erschwerung der Inverkehrsetzung oder der Aenderung
der wirtschaftlichen Verwendung der belasteten Güter;
Entstehung von Differenzen und Reibereien unter den Beteiligten,
Ehegatte und Nachkommen; Schwierigkeit, die Rechte dieser
letzteren für alle Fälle sicherzustellen. Die Interessen
beider Gruppen drängen deshalb sehr häufig auf eine definitive
tatsächliche Auseinandersetzung, eine reine Scheidung der
beidseitigen wirtschaftlichen Ansprüche. Der Verfasser des Gesetzes
suchte zunächst die Lösung nach der Richtung hin, dass
beiden Seiten oder wenigstens dem überlebenden Ehegatten die
Möglichkeit, eine Abfindung der Nutzniessung durch eine Kapitalsumme
oder eine Rente zu verlangen, eingeräumt werde. Die
grosse Expertenkommission ging, in Nachahmung des früheren
Zürcherischen Gesetzbuches, noch weiter, und postulierte zugunsten
des überlebenden, mit Nachkommen konkurrierenden
Ehegatten, ein Wahlrecht zwischen dem Eigentumsanspruch an
einem Viertel und dem Nutzniessungsanspruch an der Hälfte der
Erbschaft. 3) In diesem Sinne lautet der heutige Art. 462, Abs. 1,
des Gesetzes.
Das Gesetz spricht aber nur den allgemeinen Grundsatz der
Wahlberechtigung aus, es beschreibt in keiner Weise die Art
und Weise, wie deren Ausübung erfolgen solle. Die nähere Ausgestaltung
des ehegattlichen Erbrechts wurde der Wissenschaft
und Rechtsprechung überlassen.
Das Wahlrecht des Ehegatten kann insbesondere deshalb dem
Juristen Schwierigkeiten bereiten, weil beide Glieder der Alternative
auf die gleiche Linie gestellt sind, zugunsten von keinem
von beiden ein Vorrang, eine Vermutung für den Zweifelsfall
eingeräumt wurde. Die Entscheidung kann daher einzig
durch eine Willenserklärung des Ehegatten herbeigeführt werden.
Wenn nun eine solche Willenserklärung aus irgend einem
Grunde unmöglich ist? Wie soll dann die Erbteilung mit den
Kindern, zu der die Ausübung das Wahlrechtes eine notwendige
Vorbereitungshandlung ist, erfolgen?
Bei der Lösung dieser Frage muss man zunächst von dem
allgemein anerkannten Grundsatze ausgehen, dass Wahlrechte
nicht einen höchstpersönlichen Charakter haben, dass sie also
unter Umständen mit Wirkung für den Wahlberechtigten auch
von einer anderen dazu ermächtigten Person ausgeübt werden
können. Daher ergibt sich keine Schwierigkeit, wenn der überlebende
Ehegatte wegen Handlungsunfähigkeit oder dauernder
Abwesenheit zur Vornahme der Wahl nicht imstande ist. Die
Wahl wird einem gesetzlichen Vertreter, Vormund oder Beistand,
übertragen. Wie aber, wenn der überlebende Ehegatte vor der
Vornahme der Erbteilung und ohne, dass er die ihm zustehende
Entscheidung getroffen hat, stirbt? Der Fall ist nicht selten,
in dem die Erbteilung zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten,
und demnach auch die Vornahme der ihr vorangehenden Wahl
unterlassen wird. Er kommt häufig in bäuerlichen Verhältnissen
vor, wo die ganze Familie nach dem Tode des einen
Elternteils auf dem von ihr bewirtschafteten Gute weiter zusammenlebt.
Er kommt bei Unmündigkeit der Kinder vor, da
hier ohnehin dem überlebenden Ehegatten die ganze Erbschaft
zur Verwaltung und Nutzung gegen Erfüllung der Elternpflichten
verbleibt. Endlich ist es möglich, dass der eine Ehegatte
dem anderen so rasch in den Tode folgt, dass die Erbteilung
noch gar nicht vorgenommen, das Wahlrecht nicht ausgeübt
werden konnte. Keine Behörde, auch nicht der Willensvollstrecker,
haben die Macht, den Erben, wenn sie weiterhin
in Gemeinschaft zu verbleiben beabsichtigen, die Erbteilung
aufzuzwingen.
Soll nun auch in solchen Fällen, also beim Tode des überlebenden
Ehegatten vor getroffener Wahl, das Wahlrecht gelten?
Oder ist das Wahlrecht durch den Tod des Wahlberechtigten
konsumiert, so dass einfach die eine der beiden Möglichkeiten,
insbesondere das Eigentum, der Erbteilung zugrunde
zu legen ist?
In manchen Fällen mag der Entscheidung der Frage keine
praktische Bedeutung zukommen. Dies, wenn nur gemeinsame
Nachkommen vorhanden sind und sie zu gleicher Zeit
den Nachlass beider Eltern auf Grund der gesetzlichen Erbfolge
unter sich teilen. Es ist hier für die Grösse, und mag
auch für die Zusammensetzung der Erbteile belanglos sein,
ob man auf den Nachlass des überlebenden Ehegatten den Anspruch
auf einen Eigentumsteil oder ob man Ersparnisse aus
einer Nutzniessung anrechnet. Es kann hier die Erbschaft
beider Eltern wie eine Einheit behandelt werden und ohne
Rücksicht auf die Herkunft der Güter, ohne Rücksicht auf die
in der Zwischenzeit vom Tode des einen bis zum Tode des anderen
anzunehmenden Nachfolgeverhältnisse zur Teilung gelangen.
Es gibt aber auch Fälle, in denen es von praktischer Bedeutung
ist, ob man der Teilung des Nachlasses des erstversterbenden
Ehegatten das eine oder das andere Glied der Alternative,
Eigentum oder Nutzniessung, zu Grunde legt. So etwa,
wenn der überlebende Ehegatte eine Verfügung von Todes
wegen trifft, die einfach auf die verfügbare Quote lautet, oder
wenn er Nachkommen auf ihren Pflichtteil setzt. Desgleichen,
wenn zu entscheiden ist, ob eine von ihm gemachte Zuwendung
bestimmten Wertes, geschah sie unter Lebenden oder von Todes
wegen, sich noch innert der dem Erblasser vom Gesetze
gewährten Verfügungsfreiheit bewegt. Man denke zum Beispiel
an folgenden Fall. Die Ehefrau stirbt frühzeitig, die jüngeren,
unerzogenen Kinder finden in deren Elternhause Aufnahme,
die älteren Kinder verbleiben beim verwitweten Vater
und bewahren daher engere persönliche Beziehungen zu ihm.
Es liegt hier sehr nahe, dass der Vater die bei ihm verbliebenen
Kinder durch Schenkungen oder letztwillige Verfügungen begünstigt.
Unterblieb nun aber die Teilung, so kann die Beantwortung
der Frage nicht umgangen werden, auf welcher
Grundlage die verfügbare Quote zu berechnen sei, ob man hier
zum väterlichen Nachlasse einen Viertel der Erbschaft des
vorverstorbenen Ehegatten oder die Summe der aus der Nutzniessungshälfte
gemachten Ersparnisse rechnen soll.
Wichtiger noch sind die Fälle, in denen Nachkommen verschiedener
Ehen konkurrieren. So, wenn der überlebende Ehegatte
sich wieder verehelicht und von dem zweiten Ehegatten oder
von mit ihm gezeugten Kindern beerbt wird. Eine ähnliche
Kollision tritt ein, wenn einer der Ehegatten ein aussereheliches
nach ihm erbberechtigtes oder ein von ihm allein, nicht auch
von dem Mitgatten adoptiertes Kind hinterlässt. Die Grösse
des Erbteils bezw. der Hinterlassenschaft des überlebenden
Ehegatten und somit der Anspruch der Nachkommen wird hier
bestimmt von der dem Erbgeschäft zugrunde zu legenden Komponente
der Alternative: Eigentumsviertel oder Nutzniessungshälfte.
Das Gesetz schweigt sich über den Fall aus. Daher mussten
Rechtswissenschaft und Rechtsprechung versuchen, zu einer
angemessenen Lösung zu gelangen. Dabei zeigten sich zwei
entgegengesetzte Möglichkeiten. Die einen hielten auch hier
an dem Grundsatz der juristischen Gleichwertigkeit der beiden
Wahlglieder und der Uebertragbarkeit der Wahl fest. 4) Es
soll demgemäss die Wahl auf die Erben übergehen. Da sie aber
für alle Erben nur in einem Sinne lauten kann, eine einheitliche
sein muss, ist deren Einstimmigkeit erforderlich. Darin liegt
die Schwierigkeit dieser ersten Lösung. Es mag Fälle geben,
in denen die Interessen aller Erben in derselben Richtung liegen.
So wenn der überlebende Ehegatte die verfügbare Quote
Drittpersonen zugewendet hat. Hier liegt jenes Wahlglied im
Interesse aller Nachkommen, das die verfügbare Quote und
damit den Nachlass und die daraus gültig gemachte Zuwendung
möglichst gering erscheinen lässt. Es wird dies für die
Regel die Nutzniessung sein. Entgegengesetzte Interessen liegen
dagegen vor, wenn Nachkommen verschiedener Ehen den
Nachlass unter sich zu teilen haben. Brüderlich zu teilen ist
ein schöner Grundsatz; in der Praxis, vor allem im Erbrecht,
wird er nicht oft seine Verwirklichung finden. Es werden daher
die Erben schwerlich zur erforderlichen Einheitlichkeit der
Entscheidung gelangen. Was bleibt dann anderes übrig, als
den Richter anzugehen und diesem die Wahl zu überlassen?
Für ihn eine heikle, wenn nicht unmögliche Aufgabe, da eine
Richtschnur, nach der er die Entscheidung objektiv treffen
soll, nicht gegeben ist.
Eine andere Auffassung vertrat zuerst das Apellationsgericht
des Kantons Tessin in einem Entscheid vom 10. Januar 1927. 5)
Es ist dies das einzige Urteil, das mir bezüglich der hier besprochenen
Frage zu Gesicht gekommen ist. Es wurde nicht
an das Bundesgericht weitergezogen. Darnach soll das Wahlrecht,
wenn der überlebende Ehegatte, ohne es ausgeübt zu
haben, starb, untergehen und seinem Nachlass einfach das Viertel
zu Eigentum zugerechnet werden, Diesem Standpunkte
schloss sich auch Arnold Escher in der zweiten Auflage seines
Kommentar an. 6) Er begründet ihn in doppelter Weise. Zunächst:
die Nutzniessung als höchstpersönliches Recht geht notwendigerweise
beim Tode des wahlberechtigten Ehegatten unter. Es
scheine demnach richtiger, den Erben die an eine Komödie grenzende
Wahl zu versagen und dafür das Eigentumsviertel
der Berechnung des Nachlasses zugrunde zu legen. Sodann, das
Wahlrecht hätte bei den Erben einen ganz anderen Charakter
als beim Ehegatten selbst. Dieser werde hiebei nicht nur von
persönlichen Interessen, sondern auch von der Sorge um das
Wohl der Nachkommen geleitet. Dem Erben dagegen sei das
Wahlrecht nur ein Werkzeug zur Erlangung eigener egoistischer
vermögensrechtlicher Vorteile.
Mag auch diese Begründung nicht durchschlagend erscheinen,
es ist nicht zu bezweifeln, dass allein die Konzentration des
Erbanspruchs auf die eine Komponente des Wahlrechts, auf
das Eigentum, in jenen Tatbeständen den Anforderungen der
Praxis genügen kann.
Eine Preisgabe der absoluten juristischen Aequivalenz der beiden
Wahlglieder und ein Vorrang des Eigentums vor der Nutzniessung
drängt sich noch in einem zweiten Falle auf, nämlich
bei der Berechnung der Quote, über die der zuerst versterbende
Ehegatte verfügen darf. Direkt im Gesetze ist ein
Vorrang des Eigentums in dem Sinne statuiert, dass sich der
Pflichtteil des überlebenden Ehegatten nur auf dieses erstreckt.
Nur das Eigentumsviertel darf ihm nicht gekürzt oder genommen
werden; die Nutzniessungshälfte ist vor Verfügungen des
Erblassers nicht geschützt.
Die Einführung des Wahlrechtes für den erbenden Ehegatten
brachte nun noch eine weitere Schwierigkeit, die in den
dasselbe ignorierenden Huber'schen Entwürfen nicht bestand
und im Gesetze keine ausdrückliche Lösung gefunden hat. Es
ist dies die Frage, welchen Bruchteil der Erbschaft die verfügbare
Quote in den beiden Fällen, nach denen die Wahl lauten
kann, ausmache, ob sie überhaupt von der Wahl beeinflusst
werde oder nicht. Auf den ersten Blick scheint sich eine
Bejahung dieser Frage aufzudrängen. Dies ersieht man aus
folgenden Erwägungen. Die verfügbare Quote ist gleich der
gesamten Hinterlassenschaft weniger der Summe der Pflichtteile
der Erben. Frei ist eben, was nicht gebunden ist. Der
Pflichtteil des Ehegatten ist, wie soeben gesehen, nach ausdrücklicher
gesetzlicher Bestimmung in jedem Falle gleich dem
Eigentumsviertel, die Pflichtteile der mitkonkurrierenden Nachkommen
betragen 3/4 ihres gesetzlichen Erbanspruchs. Dieser
gesetzliche Erbanspruch variiert aber, je nachdem der Ehegatte
das Eigentum oder die Nutzniessung wählt. Nimmt er das
Eigentumsviertel, so erstreckt sich der Erbanspruch der Nachkommen
auf 3/4 der Erbschaft, nimmt er dagegen die Nutzniessungsgeschäfte,
so erfasst er die ganze Erbschaft. Es scheint
demnach die geschützte Quote an dem Erbanspruch, der Pflichtteil
der Nachkommen, bei Wahl des Eigentums 3/4 von 3/4 =
9/16, bei Wahl der Nutzniessung 3/4 vom Ganzen = 12/16 auszumachen
Das Korrelat der Pflichtteile, die verfügbare Quote,
müsste also in den beiden Fällen ebenfalls verschieden gross
sein. Bei Wahl des Eigentums würde sie 3/16, bei Wahl der
Nutzniessung 4/16 der Erbschaft betragen. Bei einem Vermögen
von Fr. 160000 dürfte der Erblasser in dem ersten Falle über
Fr. 30000, in dem zweiten über Fr. 40000 frei verfügen.
Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die eine solche Auffassung
vertraten. So das Obergericht Thurgau in einem Entscheide
vom 18. Juli 1918 und Gautschi in einem Aufsatze in der
Schweizerischen Juristenzeitung, Band 18, S. 4 ff. Das Verdienst,
Klarheit in das Problem gebracht zu haben, gebührt vorzüglich
unserem verehrten Kollegen Theo Guhl. Seiner, in der Zeitschrift
des Bernischen Juristenvereins, Band 48, S. 197, überzeugend
begründeten Auffassung ist seither auch das schweizerische
Bundesgericht beigetreten. Sie lautet dahin, dass bei
Berechnung der verfügbaren Quote immer davon auszugehen ist,
wie wenn der überlebende Ehegatte das Eigentum wählen
würde. Sie beträgt demnach in allen Fällen der Konkurrenz von
Ehegatte und Nachkommen 3/16 der Erbschaft. Es gibt dafür
eine theoretische und eine praktische Begründung. Theoretisch:
das ZGB geht von der verfügbaren Quote aus, sie ist ihm das
Primäre, der Grundbegriff, der Pflichtteil das Sekundäre, die
Folge davon. Daher hat sich im Widerspruchsfall nicht die
verfügbare Quote nach den Pflichtteilen, sondern haben sich
diese nach ihm zu richten. Praktisch: Der Erblasser soll bei der
Abfassung seines Testamentes wissen, über welchen Teil seines
Vermögens er frei verfügen kann, ohne die Gefahr einer späteren
Herabsetzung seiner Zuwendungen befürchten zu müssen. Daher
darf die verfügbare Quote nicht von einer Handlung eines
anderen, des Ehegatten, die erst nach seinem Tode erfolgt und
die er nicht kennen konnte, abhängen.
Das Gesetz hat den überlebenden Ehegatten zunächst dadurch
begünstigt, dass es ihm ein Wahlrecht zwischen zwei
Erbberechtigungen gab. Es ging aber noch weiter und ermöglichte
dem zuerst versterbenden Ehegatten, ihm in Konkurrenz
mit gemeinsamen Nachkommen den Besitz und Genuss
der gesamten Erbschaft zu überlassen. Es hat damit den dem
alten Berner Recht zugrunde liegenden Gedanken aufgenommen,
den überlebenden Ehegatten möglichst in der gleichen ökonomischen
Stellung, in der er während der Dauer der Ehe sich
befand, zu belassen. Allerdings geschah dies in einer vom
Berner Recht verschiedenen rechtlichen Gestalt. Das Berner
Recht gab dem Ehegatten Eigentum, wenn auch den Nachkommen
vergangenes Eigentum, das ZGB gibt ihm eine blosse
Nutzniessung. Nach Berner Recht nahm er diese Vorzugsstellung
schon kraft Gesetzes ein, nach ZGB erst bei besonderer
Anordnung durch eine Verfügung von Todes wegen.
Es leuchtet ein, dass eine so weitreichende Begünstigung
des überlebenden Ehegatten den Interessen der mit ihm konkurrierenden
Nachkommen Eintrag tun muss. Diese werden,
selbst nachdem sie mündig geworden, von jedem Genuss der
Erbschaft ausgeschlossen, bis zu dem Augenblick, da der
vielleicht noch sehr lebenskräftige überlebende Elternteil die
Augen für immer schliesst. Sie erhalten während dieser Zeit
nur nacktes Eigentum, dessen Vorteile bekanntlich zumeist
illusorisch sind. Es ist dies eine Lösung, die dem vielfach
vertretenen Prinzip widerspricht, wonach das Vermögen den
jüngeren Kräften zufallen soll, die dessen mehr bedürfen und
es besser fruchtbringend benutzen können, als die vielleicht
schon alternden, in gesicherter Stellung lebenden Eltern.
Aus diesen Gründen möchte man eher geneigt sein, die
durch Art. 473 ZGB geschaffene Möglichkeit der Begünstigung
des überlebenden Ehegatten auf Kosten der Nachkommen in
einem strikten Sinne auszulegen. Rechtswissenschaft und Rechtsprechung
haben besonders in zwei Tatbeständen Gelegenheit
gehabt, mit der Interpretation jener Bestimmung sich zu beschäftigen,
ohne dass die Lösung für die beiden im gleichen
Sinne ausgefallen wäre.
Es kommt nicht selten vor, dass ein juristisch nicht gebildeter
Ehegatte in ganz allgemeinen Wendungen zugunsten seines Ehepartners
verfügt. Er schreibt etwa fn seinem Testamente, dass
sein Ehegatte, wenn er ihn überlebe, sein ganzes Vermögen,
seine ganze Erbschaft, oder alles, was er besitze oder hinterlasse,
erhalten solle. Er bemerkt hiebei nicht, ob er Eigentum oder
Nutzniessung meint. Und doch ist die Auswirkung einer solchen
Verfügung nicht nur der Natur, sondern auch dem Umfange
des durch sie begründeten Rechtes nach verschieden, je nachdem
das eine oder das andere angenommen wird. Versteht man
sie im Sinne von Eigentum, so verstösst sie sich gegen die
Regeln über den Pflichtteil der Nachkommen. Diesen sind
ja 3/4 ihres Erbteils, d. h. 3/4 von 3/4 = 9/16, gewährleistet.
Somit dürfte der begünstigte Ehegatte nur den Rest, das ist
7/16, und nicht etwa den ganzen Nachlass zu Eigentum beanspruchen.
Auf Klage oder Einrede der Nachkommen hin müsste
eine entsprechende Herabsetzung der Verfügung erfolgen. Anders
verhält es sich dagegen, wenn die Verfügung in dem
Sinne gedeutet werden könnte, dass dem überlebenden Ehegatten
die Erbschaft zu blosser Nutzniessung zufalle. Dieser
wäre durch den Art. 473 geschützt und müsste den Nachkommen
zu seinen Lebzeiten nichts herausgeben. Die Frage ist, ob eine
solche Umdeutung und die Aufrechterhaltung der Zuwendung
in dem umgedeuteten Sinne zulässig sei oder nicht?
Es ist denkbar, dass die vom Erblasser gebrauchten, unklaren
oder ganz allgemein lautenden Ausdrücke oder Wendungen
einer solchen Interpretation nicht entgegenstehen. Hier würde
sich eine Präzisierung der ungenauen Ausdrucksweise im Sinne
des wahren Willens des Erblassers ohne weiteres aufdrängen.
Nur wäre dies nicht eine Umdeutung, sondern eine gewöhnliche
Deutung der Verfügung. Lautet aber der Text der Verfügung
klar und eindeutig auf Eigentum, so widerspräche deren
Abänderung in eine Zuwendung von Nutzniessung den gewöhnlichen
Interpretationsregeln, nach denen nicht etwas in eine Verfügung
gebracht werden darf, was in keiner Weise darin steht.
Es müsste beim herabsetzbaren Eigentum bleiben. Aehnliche
Fälle hatten bereits unter der Herrschaft früherer analoger
kantonaler Bestimmungen die Gerichte beschäftigt und entgegengesetzte
Lösungen gefunden. 7) Seit Inkrafttreten des ZGB
scheint eine solche Streitfrage nicht gerichtlich ausgetragen
worden zu sein.
Viel heikler, schwieriger und daher auch umstrittener als die
soeben aufgeworfene Frage ist eine andere, die sich ebenfalls
an die Auslegung der im Art. 473 vorgesehenen Begünstigungsmöglichkeit
des überlebenden Ehegatten knüpft. Es ist dies die
Frage nach dem verfügbaren Betrage, der dem Erblasser nach
Zuwendung der Nutzniessung seines ganzen Nachlasses an den
Ehegatten noch verbleibt. Sie lautet genauer, muss nicht der
Kapital- oder Barwert dieser Nutzniessung, wenigstens in gewissem
Umfange, auf die verfügbare Quote angerechnet werden,
so dass der Erblasser über einen entsprechenden Betrag weniger
zugunsten anderer Zwecke oder Personen verfügen
könnte?
Allgemeine Regel im Pflichtteilsrechte ist: Anzurechnen sind
auf die verfügbare Quote alle unentgeltlichen Zuwendungen,
die der Erblasser von Todes wegen, sowie bestimmte, die
er unter Lebenden gemacht hat. 8) Diese Regel gilt nicht nur
für Zuwendungen zu Eigentum, sondern auch für von ihm begründete
periodische Nutzungen: Nutzniessungen und Renten. Allerdings
ist für solche eine Berechnung nur möglich, indem
der Kapital- oder Barwert, den sie zur Zeit des Todes des
Erblassers besitzen, ermittelt wird. Dies geschieht gemäss
Art. 530 ZGB auf Grund der vermutlichen Dauer der Nutzungen,
in der Regel, da es sich zumeist um lebenslängliche Nutzungen
handelt, nach der präsumtiven Lebensdauer des Berechtigten.
So entspricht z. B. eine jährlich vorschüssig zu entrichtende
Rente im Werte von Fr. 3000 bei Annahme eines Zinsfusses
von 3 1/2 % und einer Dauer von 20 Jahren mathematisch
berechnet einem Barwert von Fr. 44130. Nach den Sterblichkeitstabellen
ist eine mittlere Lebensdauer von 20 Jahren
zu vermuten bei einem Mann von etwa 47 und einer Frau im
Alter von 50 Jahren. Jener Barwert stimmt also, wenn der
überlebende Ehegatte beim Tode des anderen in diesem Alter
steht.
Die Anrechnung des Barwertes auf die verfügbare Quote
steht ausser Zweifel, wenn die Nutzniessung zugunsten einer
anderen Person als des Ehegatten, etwa zugunsten einer Schwester
oder einer Tante, lautet. Soll dies nun anders sein bezüglich
der gemäss Art. 473 zugunsten des überlebenden Ehegatten
begründeten Nutzniessung am ganzen Nachlasse? Lässt
die Zuwendung der Nutzniessung die verfügbare Quote unberührt,
so dass der Erblasser noch über diese in vollem Umfange
verfügen dürfte? Das Bundesgericht hat sich in diesem
Sinne entschieden. So ist es nach Bundesgericht zulässig, dass
ein Ehegatte dem anderen oder einer Drittperson die verfügbare
Quote von 3/16 der Erbschaft zu Eigentum und daneben
noch ersterem, dem Ehegatten die Nutzniessung am Reste,
an 13/16 der Erbschaft, zuwendet. Diese Lösung hat sicherlich
den Vorteil der Einfachheit, der leichteren Berechnung, für sich.
Für die Nachkommen aber, denen ohnehin infolge der Begünstigung
des Ehegatten durch Nutzniessung während dessen ganzen
Lebens der Genuss an der gesamten Erbschaft entzogen
bleibt, bedeutet sie eine weitere Härte. Es verbleibt ihnen unter
Umständen auch der nach den gewöhnlichen Regeln zukommende
Wert des Pflichtteils nicht unversehrt, während nicht nur der
Ehegatte, den das Gesetz ja begünstigen wollte, sondern eventuell
ein Dritter davon den Vorteil hätte.
Beleuchten wir dies anhand des oben angeführten Falles.
Die Nutzniessung von Fr. 3000 sei der Ertrag eines Vermögens
von Fr. 90000, was bei einer Rendite von 3 1/3 % zutrifft.
Die verfügbare Quote, 3/16 davon, ist gleich Fr. 16875, der
Barwert der Nutzniessung, wie oben gesehen, Fr. 44130. Die
Summe der zulässigen Zuwendungen betrüge demnach fast genau
Fr. 61000. Es verbliebe den Kindern nur mehr ein Wertbetrag
von Fr. 29000, während ihr nach den gewöhnlichen
Regeln berechneter Pflichtteil, 9/16 der Erbschaft, einen Wert
von Fr. 50625 darstellen würde. Die Begünstigung des Ehegatten,
die nach der Auffassung des Bundesgerichtes ganz zu
Lasten der Kinder ginge, hätte ihren Pflichtteil um Fr. 21625,
fast um die Hälfte, gemindert. Dies zugunsten von Verfügungen,
die möglicherweise nicht dem Ehegatten, sondern Drittpersonen
zugute kommen könnten!
Die Regeln über das gesetzliche Erbrecht geben nun für sich
allein noch kein klares vollständiges Bild der gegenseitigen
Stellung der einzelnen Erben bei der Erbteilung und der ihnen
dabei zukommenden Treffnisse. Dazu kann noch die Ausgleichung
unentgeltlicher Zuwendungen, die der Erblasser zu
seinen Lebzeiten einzelnen von ihnen gemacht hat, erforderlich
sein. Es frägt sich, ob solche Zuwendungen den Empfängern,
wenn sie später zur Erbschaft gelangen, auf ihren Erbteil
anzurechnen, bezw. ob sie von ihnen in natura in die Erbmasse
einzuwerfen seien. Das ZGB unterscheidet im Art. 626 zwischen
den Nachkommen und den anderen Erben, wie Eltern,
Geschwistern usw. Für Nachkommen stellt es die Vermutung
auf, dass der Erblasser sie so behandeln wollte, wie das Gesetz
selbst es tut, also die Kinder einander gleich, Enkel, Urenkel
entsprechend ihrer gesetzlichen Erbportion. Diese Gleichheit
ist aber nur hergestellt, wenn die Nachkommen die ihnen
gemachten lebzeitigen Zuwendungen zur Ausgleichung bringen.
Daher schreibt das Gesetz für die Nachkommen die Ausgleichung
vor, ausser der Erblasser habe sie ausdrücklich davon
entbunden. Entferntere Verwandte dagegen: Aszendenten, Geschwister,
Neffen und Nichten und andere, stehen zumeist in
sehr verschiedenen persönlichen Beziehungen zum Erblasser.
Daher würde die gesetzliche Vermutung der gleichen oder dem
Intestaterbrecht gemässen Behandlung dieser Erben nicht der
Wirklichkeit entsprechen. Macht der Erblasser einem von ihnen
eine Zuwendung, so ist eher anzunehmen, er wollte ihn damit
vor den anderen begünstigen. Daher kann der Erbe bei der
Erbteilung das Empfangene behalten, braucht es weder einzuwerfen
noch an seinem Erbteil anrechnen zu lassen, es sei denn,
der Erblasser habe die Zuwendung in Anrechnung auf den
Erbteil, d. h. mit der nachweisbaren Absicht gemacht, dass sie
später zur Ausgleichung gelangen solle.
Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit dem überlebenden
Ehegatten? Gilt die Präsumption der Ausgleichung, wenn er
selbst oder wenn einer seiner Miterben eine unentgeltliche
lebzeitige Zuwendung vom Erblasser erhielt? Die Frage ist
ohne weiteres zu verneinen, wenn der Ehegatte mit anderen
Erben als den Nachkommen konkurriert. Diese brauchen das
Empfangene dem Ehegatten nicht zur Ausgleichung zu bringen,
folglich auch ihnen nicht der miterbende Ehegatte. Die Ausgleichungspflicht
muss eine gegenseitige sein. Schwieriger ist
die Antwort bei Konkurrenz des Ehegatten mit Nachkommen
des Erblassers. Hat ein Ehegatte vom anderen etwa eine
Schenkung von Fr. 20000 erhalten, soll dies ihm bei der
Teilung mit den Kindern angerechnet werden? Ebenso wenn
einer Tochter eine Aussteuer, einem Sohne eine Ausstattung
zum Berufe gemacht oder wenn für einen von ihnen Studienkosten
bezahlt worden sind, sollen diese Wertbeträge den
Empfängern nicht nur bei der Erbteilung unter den Kindern,
sondern auch bei der Teilung mit dem Ehegatten als ausgleichungspflichtige
Vorempfänger behandelt werden?
Das Gesetz hat die Frage nicht direkt gelöst. Der Art. 626,
Abs. 2, nennt bei der Aufstellung der Ausgleichungspräsumption
nur die Nachkommen und nicht auch den Ehegatten. Schwerer
als dieses argumentum e silentio fallen sachliche Gründe in die
Waagschale. Die erbrechtliche Gleichstellung. der Kinder untereinander
folgt schon aus ihrem natürlichen Verhältnisse zu
den Eltern. Sie stehen vermutungsweise diesen, wie unter
sich, gleich nahe. Aehnliches kann nicht vom Verhältnisse des
überlebenden Ehegatten zu den Kindern gesagt werden.
Häufig wird die Verbundenheit des erblasserischen Ehegatten
mit dem überlebenden, häufig jene mit den Kindern eine engere
sein, als sie der gesetzlichen Regelung des Erbrechts zugrunde
liegt. Daher ginge eine Vermutung, der Erblasser wolle Ehegatten
und Nachkommen in bezug auf die Vorempfänge gleich,
genauer: den gesetzlichen Erbportionen entsprechend behandelt
wissen, zu weit. Er kann in dem einen Falle ebenso sehr eine
Bevorzugung des Ehegatten, als in anderen Fällen eine Begünstigung
der Kinder beabsichtigt haben. Eine Ausgleichspflicht
tritt daher nur ein, insofern sie sich aus einer Willenserklärung
des Erblassers deutlich ergibt. Die eigenartige Folge
der verschiedenen Behandlung des überlebenden Ehegatten und
der Kinder im Ausgleichungsrecht ist, dass unter Umständen
zwei verschiedene Inventare der Erbteilung zugrunde zu legen
sind, ein Inventar mit Zuziehung der Vorempfänge für die Teilung
unter den Kindern oder Nachkommen allein, ein Inventar
ohne die Vorempfänge für die Teilung zwischen diesen und dem
Ehegatten.
Nicht zu einem so eindeutigen Ergebnis gelangte das Bundesgericht
in einem Entscheide vom 28. Oktober 1925. Es
unterscheidet zwischen den ausgleichungspflichtigen Erziehungskosten
gemäss Art. 631, Abs. 1, und den oben besprochenen
Zuwendungen. Bezüglich der Erziehungskosten verneint es die
Ausgleichungspflicht der Kinder dem Ehegatten gegenüber.
Dieser kann somit nicht deren Zurechnung zur Teilungsmasse
verlangen. Bei den Zuwendungen dagegen, und es ist dies bei
weitem der Hauptfall, wird die Frage offen gelassen. 9) Wenn
z. B. der Vater für die Studien des Sohnes Fr. 30000 ausgegeben,
der Tochter eine Mitgift gleichen Betrages ausgerichtet
hat, so muss der Sohn wohl der Tochter, seiner Schwester,
aber nicht auch der Mutter gegenüber die Fr. 30000 Studiengelder
zur Ausgleichung bringen. Ob auch die Tochter ihre
gleich grosse Mitgift zur Teilung nicht nur mit ihrem Bruder,
sondern auch mit der Mutter bringen müsse, lässt das Bundesgericht
unentschieden. Meines Erachtens sind genügende Gründe
zu einer Differenzierung nicht vorhanden. In beiden Fällen
würde ich die Ausgleichungspflicht der Kinder dem überlebenden
Elternteil gegenüber verneinen, ausser der Erblasser selbst
habe anders bestimmt.
Die Ausgleichung, von der wir eben handelten, bildet gewissermassen
den Uebergang von der Erbberufung zum Erbgang,
von der ersten zur zweiten Abteilung der Regelung des
schweizerischen Erbrechts. Sie ist ein Vorakt zur Erbteilung,
sie hilft die Grösse des zu teilenden Nachlasses und der daraus
den einzelnen Erben zukommenden Treffnisse zu bestimmen.
Die Erbteilung selbst hat nun die Aufgabe, die Erbschaftsgegenstände
auf diese Treffnisse auszuscheiden. Dabei können
abermals Interessen des überlebenden Ehegatten und der Nachkommen
kollidieren. Die Grundlage zur Beurteilung solcher
Konflikte bildet der Art. 610, Abs 1, des ZGB. Darnach haben
die Erben bei der Teilung, wenn keine anderen Vorschriften
Platz greifen, alle den gleichen Anspruch auf die Gegenstände
der Erbschaft. Es wird, in bezug auf die Zuweisung von Erbschaftsobjekten,
der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Erben,
ohne Rücksicht auf ihre Art oder auf die Grösse der Erbquote,
proklamiert.
Dieser Grundsatz müsste nun aber in der Praxis zu Schwierigkeiten
und Konflikten führen, und bedarf deshalb zu deren
Vermeidung oder Lösung einer Ergänzung, und zwar nach einer
doppelten Seite hin.
Zunächst bestimmt das Gesetz, wie vorzugehen ist, wenn
mehrere Erben auf denselben Gegenstand Anspruch erheben,
sich aus diesem Grunde über einen Teilungsplan nicht einigen
können. Es muss hier die zuständige Behörde angegangen werden.
Sie legt ihrem Entscheide zugrunde den Ortsgebrauch,
die persönlichen Verhältnisse und die Wünsche der Mehrheit
der Erben. Unter diesen zählen sowohl der überlebende Ehegatte
wie die Nachkommen. Schon aus dieser allgemeinen
gesetzlichen Anweisung zur Schlichtung von Konflikten kann
sich ein Vorzugsrecht dieser oder jener ergeben. 10)
Das Gesetz hat aber darüber hinaus selbst gewisse Verlagsrechte
statuiert. Weniger in direkten Bestimmungen des
ZGB selber, die sich fast nur im bäuerlichen Erbrechte finden,
als durch vielfache Verweisungen auf den Ortsgebrauch, der
damit zum mittelbaren Gesetzinhalt wird.
Solche Ortsgebräuche können in den kantonalen Einführungsgesetzen
zum ZGB aufgezeichnet sein. Ob dies der Fall oder
nicht, es gilt die Präsumption des Art. 5, Abs. 2, ZGB, wonach
das bisherige kantonale Recht als Ausdruck des Ortsgebrauchs
gilt. So können auch im Verhältnisse zwischen überlebendem
Ehegatten und Nachkommen Vorzugsrechte der früheren kantonalen
Gesetze heute noch in Kraft sein. Derartige Vorzugsrechte
des Ehegatten, in der Regel beschränkt auf Fahrnissachen, gab
es und gibt es demnach auch heute noch in manchen Kantonen:
Vorrechte, die sich beziehen auf Kleider und Wäsche, das Bett,
Hochzeitsgeschenke, Schmucksachen, in Neuenburg sogar auf
die vorhandenen Lebensmittel und Provisionen, wie Getreide,
Mehl, Wein, (heutigen Tags nicht zu verachtende Privilegien),
im Appenzellischen auf den sogenannten Brautwagen, der ungefähr
die oben angeführten Objekte, abgesehen von den Lebensmitteln,
enthält. 11)
Das ZGB selber gibt (abgesehen von den Art. 614 und 615)
nur im bäuerlichen Erbrechte Bestimmungen über die Zuweisung
von Gegenständen der Erbschaft. Es sind dies die Normen
über die Lösung von Konflikten bei der Integralzuweisung
landwirtschaftlicher Gewerbe. Es frägt sich, ob gerade hierin
Vorzugsrechte, sei es der Nachkommen, sei es des überlebenden
Ehegatten, gegeben seien. Im Gesetze finden wir keine direkte
Antwort. Es geht aber aus ihm hervor, dass auch in bezug auf
landwirtschaftliche Gewerbe der überlebende Ehegatte als Ansprecher
auftreten, dass er hiebei in Konkurrenz mit einem
Nachkommen als Sieger hervorgehen kann. Der Art. 620 gibt
nämlich den Anspruch auf ungeteilte Zuweisung des Gewerbes
jedem Erben, ohne Unterschied auf die Art der Berufung, eingesetzten
wie gesetzlichen Erben, Verwandten wie dem Ehegatten.
Bei letzterem ist aber Voraussetzung, dass er das Eigentumsviertel
und nicht die Nutzniessungshälfte gewählt habe, da
er in diesem Falle nicht Erbe im eigentlichen Sinne wird.
Entsteht nun Streit zwischen dem Ehegatten und einem Nachkommen
bezüglich der Uebernahme, so hat jener den Vorrang,
der den Selbstbetrieb des Gutes zusichert. Es kann dies auch
der Ehegatte sein. So würde die Mutter, die das Gut selbst bewirtschaften
wollte, einem in der Stadt wohnenden Sohne,
der sich einen Pächter halten müsste, vorgehen. Will keiner
der Bewerber oder wollen alle das Gewerbe zum Selbstbetrieb
übernehmen, erst dann entscheidet der etwaige Ortsgebrauch.
So ginge im altbernischen Landesteil der jüngste Sohn seiner
Mutter, oder, wenn das Heimwesen von dieser stammt, dem
Vater vor, wenn beide die Selbstbewirtschaftung beabsichtigen.
Da aber ein Ortsgebrauch nur in wenigen Kantonen nachweisbar
ist, entscheidet sich in den meisten Gegenden der Schweiz
der Konflikt, sobald Selbstbewirtschaftung nicht den Ausschlag
gibt, auf Grund des dritten im Gesetze angeführten Faktors:
der persönlichen Verhältnisse der Erben: bessere Eignung, bisherige
Beschäftigung, Gesundheit und Alter, grössere Leichtigkeit,
die Miterben abzufinden usw. Es ist auch in dieser
Hinsicht nicht ausgeschlossen, dass der Richter den überlebenden
Ehegatten einem Sohne vorzieht. Ein Vorrang des Ehegatten
ist demnach begründet: erstens für die ganze Schweiz, wenn nur
er, und kein sich mitbewerbender Nachkomme den Selbstbetrieb
zusichert, zweitens, wo kein Ortsgebrauch in Frage kommt,
wenn die persönlichen Verhältnisse ihm den Nachkommen gegenüber
den Vorrang weisen.
Das im ZGB, in den Art. 620 ff. statuierte bäuerliche Erbrecht
hat nun in einigen wichtigen Punkten eine Revision erfahren
durch Art. 94 des Bundesgesetzes vom 12. Dezember
1940 über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen,
das allerdings zur Zeit noch nicht ja Kraft erklärt worden ist.
Es frägt sich, ob eine dieser Aenderungen das Verhältnis zwischen
den Ansprüchen des Ehegatten und der Nachkommen auf
ungeteilte Zuweisung landwirtschaftlicher Gewerbe berührt. Es
kommt hier nur der in jenem Gesetz neu eingefügte Art. 621 bis
in Betracht. Im übrigen verbleibt es bei der bisherigen
Regelung des ZGB. Jener Artikel bezieht sich auf den besonderen
Fall, da der Erblasser unmündige Nachkommen hinterlässt.
Nach ZGB wäre man versucht, dem überlebenden Ehegatten den
Vorzug zu geben, da nur er angesichts des Jugendalters der
Miterben den Selbstbetrieb garantieren könnte oder die persönlichen
Verhältnisse nur ihn vorbezeichneten. Sogar der Ortsgebrauch
müsste bei solcher Auffassung ausscheiden, so dass
in Bern der jüngste, gar zu junge Sohn, dem Vater oder der
Mutter weichen müsste. Daraus ergäbe sich dann die Gefahr,
dass der übernehmende Ehegatte im Falle der Wiederverehelichung
das Heimwesen in eine neue Familie tragen würde.
Schon unter der Herrschaft des ZGB hat es nicht an Autoren
gefehlt, die die Ansicht vertraten, massgebend für die Zuweisung
des Gewerbes sei in derartigen Tatbeständen nicht die
Eignung im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, sondern jene,
die voraussichtlich im Zeitpunkte, da die Kinder erwachsen
sein würden, vorliegen werde. 12) Die Gesetzesnovelle vom Jahre
1940 löst im Art 621 bis die Frage, anschliessend an jene
Auffassung, in glücklicher Weise. Darnach soll die Entscheidung
über die Zuweisung des Heimwesens auf spätere Zeit
verschoben werden, ein Interimsstadium eintreten. Die Erbengemeinschaft
wird mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde
fortgesetzt oder es wird an deren Stelle eine familienrechtliche
Gemeinderschaft gegründet. Die Teilung erfolgt dann erst in
dem Zeitpunkte, in dem nach den Umständen eine Entscheidung
über die Zuweisung an einen der Nachkommen getroffen
werden kann, diese also das zur Uebernahme erforderliche
Alter erreicht haben. Wenn das Gesetz hier nur von einer Zuweisung
an einen Nachkommen spricht, so will es damit meines
Erachtens nicht ein neues Vorzugsrecht einführen, jenes der
Nachkommen vor dem Ehegatten. Zweck der Regelung ist bloss,
die Nachkommen in die Lage zu versetzen, unter sich und mit
dem Ehegatten unter den vom ZGB aufgestellten Voraussetzungen
zu konkurrieren. Ein Vorrang der Nachkommen wird
dann bei der Auflösung der Erbengemeinschaft soweit gegeben
sein, als er der gemeinen Regelung des Art. 621 entspricht. So
im Bernischen zugunsten des jüngsten Sohnes, anderwärts, wo
die persönlichen Verhältnisse ihn begründen.
Diese Ausführungen und die angeführten Fälle mögen gezeigt
haben, wie die knapp und allgemein gehaltenen Bestimmungen
des ZGB über das erbrechtliche Verhältnis zwischen
dem überlebenden Ehegatten und den Nachkommen des Erblassers
der Theorie und Praxis zahlreiche und grosse Schwierigkeiten
bereiteten. Sie zeigen auch, wie durch deren Ueberwindung
im Verlaufe von dreissig Jahren sich eine Anzahl von
Regeln gebildet haben, die neben dem geschriebenen Worte des
Gesetzes einhergehen und ohne die es in manchen Fällen gar
nicht zur Anwendung gelangen könnte. Erfreulich ist das Ergebnis
dieser Weiterbildung des Rechts besonders auch deshalb,
weil Rechtswissenschaft und Praxis, von den Grundgedanken
des Gesetzes und den Bedürfnissen des Lebens ausgehend,
in fast allen diesen Punkten eine Uebereinstimmung
der Meinungen erzielen konnten. Dadurch wurde einer der
Nachteile, die manche als Folge der so kurzen und allgemeinen
Regelung des schweizerischen Erbrechtes befürchteten, eine allzu
grosse Rechtsunsicherheit, vermieden. Wenn wir nun auch für
die Zukunft eine objektive Kritik an den angenommenen Lösungen,
und seien sie auch durch das Bundesgericht sanktioniert,
nicht ausschalten dürfen, so ist hiebei nicht zu vergessen,
ein wie grosses Gut die Rechtssicherheit gerade auf diesem
wichtigen Gebiete des Erbrechts ist. Mit Recht hat der
Schöpfer des Gesetzes als ersten Zweck einer angemessenen
Erbschaftsordnung die Rechtssicherheit angeführt. 13) Dies gilt
nicht nur bezüglich der ausdrücklich im Gesetze stehenden Regelung,
sondern auch für die in der Praxis oft ebenso scharf eingreifende
nähere Auslegung dieser Bestimmungen. Die leitenden
Richtlinien für die Auslegung und Rechtserweiterung sind
aber, wie das ZGB an seiner Eingangspforte so feierlich proklamiert,
die bewahrte Lehre und Ueberlieferung.