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Inselspital, Hochschule 9", und Publikum. Stiftungsfeste der bernischen Hochschule

am 15. November 1878

in der Aula der Universität von

Dr Theodor Kocher

Professor der Chirurgie.

Bern
Buchdruckerei B. F. Haller 1878.

Rektoratsrede gehalten am

Den Mitgliedern

Vorwort.

Hochgeachtete Herren Regierungsräthe! Hochgeachtete Herren des Grossen Rathes!

Die Angelegenheiten des Inselspitals sind in den letzten Jahren wohl Vielen zum Ueberdruss erörtert worden. Wer aber tagtäglich die Noth und den Jammer, welchen die daherigen Uebelstände mit sich bringen, vor Augen sieht, der wird sich auch ferner, wie es in einer Urkunde der Insel vom 15. Juli 1717, ein Jahr vor der Erstellung des jetzigen Gebäudes, heisst, «gewüssenshalber getrieben finden, das neuw erbaute Insulgebäuw mit allem nachdruck und möglichstem eifer zu urgiren, dass doch zu gutem der Kranken und ihrem trost, weil sie grundschlecht versorget seien, dermal au selbigem der Anfang gemacht werden möchte.»

Wenn der Staat Bern seine Hochschule in dem jetzigen blühenden Zustande behalten will, so darf die Frage des Inselneubaues nicht länger verschoben werden. Und so weit wird Bern doch, in den noch nicht 50 Jahren des Bestehens der repräsentativen Demokratie, nicht gekommen sein, dass es, wie zu unglücklicheren Zeiten, die Frage discutirt, ob es nicht besser sei, seine höchste Bildungsanstalt, der geringeren Kosten halber, in einfache Fachschulen für die Ausbildung tüchtiger Staatsbürger umzuwandeln. — Bernhard Studer hat in seiner Rektoratsrede im Jahr 1843 den Gefühlen würdigen Ausdruck gegeben, dass jeder Staat verpflichtet sei, für seinen Theil zum allgemeinen Wohl beizutragen durch Pflege der Wissenschaft, wenn er sich die Achtung anderer Nationen erhalten wolle. Und noch weniger wird man daran denken, die Hochschule wieder ganz aufzuheben und

wie in frühern Jahren die Landeskinder auf fremde Universitäten in die Lehre zu schicken. Das würde nun schlecht zur schweizerischen Unabhängigkeit passen, als deren eifrigsten Verfechter Bern sich zu jeder Zeit erwiesen hat.

Will man aber die Hochschule beibehalten, so muss man sie auch vorwärts bringen, denn stehen bleiben heisst in Fehlern verharren. Einen solchen Stillstand in fehlerhaftem Zustande verkörpert das Inselspital, diese wichtigste Anstalt der medizinischen Fakultät. Letztere umfasst ungefähr die Hälfte sämmtlicher Studenten und die Richtung der Zeit auf die Naturwissenschaften hin, lässt eine Abnahme der Mediziner im Verhältniss zu den übrigen Studirenden höchst unwahrscheinlich erscheinen. Da es sich ausserdem nachweisen lässt, dass derselbe Kanton Bern, welcher mit Stolz sagen kann, dass auf seinem ganzen Gebiete kein Armer betteln zu gehen brauche, die Krankenpflege in auffälliger Weise vernachlässigt hat, wie die Statistik beweist, und namentlich für Krankenanstalten ungleich weniger thut, als die meisten ebenbürtigen Republiken der Eidgenossenschaft: so werden Sie es nicht als ein ungerechtfertigtes Vorgehen ansehen, wenn wir an die hohe Landesvertretung das dringende Gesuch stellen, der Krankenpflege Ihre wohlwollende Aufmerksamkeit zuzuwenden und in Bezug auf Neuerstellung von Krankenanstalten, zumal des Inselspitals, ungesäumt durchschlagende Anordnungen zu treffen.

Durch Jahre hindurch haben die bernischen Staatsmänner politische Aufgaben fast ausschliesslich verfolgt. Es haben sich Millionen gefunden im Lande, um grosse politische Ideen zur Ausführung zu bringen. Wird jetzt Bern auf einmal sich zahlungsunfähig erklären, da die ärmsten seiner Bürger im eigenen Hause der Hülfe bedürfen? Vertraut dem edlen Sinn des Bernervolks! Es wird es beweisen, dass es trotz der schlimmen, ja gerade wegen der schlimmen Zeiten, Herz und Hand offen hat für Nothleidende, wie ja auch der Begüterte dann am meisten gibt und geben muss, wenn Hungersnoth und Elend auch ihn selber in Verlegenheit bringen.

Hochverehrte Anwesende!

Der übliche Turnus in der Wahl des Rektors hat einem Mediziner die Pflicht überbunden, bei Gelegenheit der 44. Geburtstagsfeier unserer Hochschule Rückschau zu halten über deren Wirken im verflossenen Jahr und einen Blick zu werfen auf ihre Aufgaben im kommenden Jahr.

Es wird desshalb nicht der Entschuldigung bedürfen, wenn einige der Fragen, welche sich bei einer solchen Umschau aufdrängen, unter Zugrundelegung eines speziell medizinischen Gegenstandes ihre Antwort finden.

Das Interesse der Hochschule im Ganzen ist schon desshalb auf's Engste mit demjenigen der medizinischen Fakultät verknüpft, weil die Zahl der Mediziner gegenwärtig annähernd die Hälfte der sämmtlichen Studenten ausmacht. Zwar ist in Bern der Unterricht in der Medizin später eingeführt worden, als derjenige in den übrigen Fakultäten. — Wie im übrigen Europa haben sich auch hier seit der Reformation die öffentlichen Bildungsanstalten in den Händen der Geistlichkeit befunden und haben fast ausschliesslich der Ausbildung der Geistlichen gegolten. Bis zum Jahr 1729 geschieht keiner andern Ausbildung der bernischen Mediziner Erwähnung, als des In-Lehretretens bei andern Aerzten und der Ertheilung von Reisestipendien zum Besuch der auswärtigen Hochschulen. Eine Angabe hierüber findet sich schon aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. 1)

In Deutschland begann der medizinische Unterricht bereits in der Mitte des 15. und Anfangs des 16. Jahrhunderts mit Gründung der Universitäten Greifswald, Frankfurt a/O. und Königsberg. 2)

Dagegen in Bern wurde erst im Jahr 1729 für Albrecht Haller auf der grossen Schanze ein «anatomisches Theater» erbaut, welches im Jahr 1737 von seinem Nachfolger, Ritter, übernommen wurde, aber später wenig mehr von sich reden machte.

Nach Ablauf der Revolution im Jahre 1798 wurde von Mitgliedern der eilf .Jahre vorher entstandenen bernischen naturforschenden

Gesellschaft (Haller, Wyttenbach, Morel) das «medizinische Institut» gegründet. 1)

Mit Neuerrichtung der Akademie im November 1805 wurde die medizinische Fakultät offiziell organisirt, für das anatomische Theater ein neues Lokal ausgewählt, die medizinische Commun-Bibliothek der Akademie zur Verfügung gestellt und unter der Leitung von Dr. Tribolet und Schiferli klinischer Unterricht in Medizin und Chirurgie ertheilt. — Die medizinische Fakultät an der Akademie begann mit einer Studentenzahl von 20 Zuhörern. Als im Jahr 1834 die Hochschule der Republik Bern eingeweiht worden war, stieg die Studentenzahl um ein Drittel gegenüber der Akademie. Die Mediziner erreichten bald mehr als das Doppelte der früheren Ziffer.

Gemäss dem Ende des letzten Jahrhunderts und bis in unsere Zeit rasch zunehmendem Uebergewicht der Naturwissenschaften, gegenüber den Geisteswissenschaften, hat nun auch seither die Zahl der Medizinstudirenden an unserer Hochschule in dem Maasse zugenommen, dass auf 18,262 Studirende seit der Gründung der Universität 2) 6441 Mediziner entfallen, also ein gutes Stück mehr als der Drittheil sämmtlicher Studenten.

Die rasche Zunahme der Medizinerzahl im Verhältniss zu. den andern Studenten beginnt ganz allmälig mit Anfang der 60ger Jahre — bis dahin ist das Verhältniss mit verschiedenen Schwankungen ein ziemlich stationäres — um erst vom Ende der 60ger Jahre weg rapide anzusteigen. Von dieser Zeit gilt es, was ein früherer Regierungsrath 3) sagt, dass die medizinische Fakultät als Zierde der Hochschule lange Zeit das Kleinod der Regierung gewesen sei. — Diese Harmonie zwischen der obersten Executivbehörde unseres Landes und den Vertretern der medizinischen Fakultät hat auf die Entwicklung der letztem ausserordentlich fördernd eingewirkt und indirekt auch auf das Gedeihen der Hochschule.

Es wäre aber eine nachtheilige Selbsttäuschung zu verkennen, dass in den letzten Jahren die medizinische Fakultät sich einer besondern Berücksichtigung von Seite der Staatsbehörden nicht mehr

zu erfreuen gehabt hat. Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass wiederholte und dringliche Wünsche der Fakultät gegenüber andern Interessen den Kürzern ziehen mussten.

Bevor wir auf die Begründung der Nothwendigkeit baldiger Erfüllung dieses Wunsches eintreten, sei es gestattet, zu untersuchen, woran es liegt, dass das Interesse der obersten Landesbehörde an Hochschule und medizinischer Fakultät eine Zeit lang weniger lebhaft geworden zu sein schien.

Hat die Hochschule in den letzten Zeiten weniger geleistet als früher?

Wenn man die Frequenz derselben als Maass für ihre Leistungsfähigkeit gelten lässt, so ist das Gegentheil der Fall. Diess gilt für die Hochschule überhaupt und für die medizinische Fakultät ganz besonders. Berechnet man das Mittel der Studentenzahl von je 10 zu 10 Semestern seit 1837, so ergibt sich für die ganze Hochschule ein Schwanken von 216, 218, 198, 175, 174 und 217 bis zum Jahr 1868; dann steigt bis zum Jahr 1873 rasch die Frequenz auf 298, um in den letzten 10 Semestern 372 im Mittel zu erreichen. Ganz ähnlich, nur stärker progressiv bis in die letzte Zeit, ist das Verhältniss der Mediziner. Die Mittelzahlen aus je 10 Semestern seit 1831 schwanken zwischen 62, 67, 61, 51, 49 und 82 bis zum Jahr 1863, um bis 1873 auf 134 und bis 1878 auf 151 im Mittel zu steigen. Das Verhältniss der Mediziner hat beiläufig in den letzten 10 Semestern das Maximum von 41,9 %, also nicht weit von der Hälfte sämmtlicher Studenten erreicht. 1)

In allen Veröffentlichungen über Universitäten ist hervorgehoben, dass nicht nur die Frequenz der Schüler, sondern auch die Zahl der Privat-Docenten, dieser «force et vie de I'Université». ein Maassstab für das Leben und Gedeihen einer Hochschule seien. Auch nach dieser Richtung zeigt sich bis in die allerneueste Zeit eine Progression: 2) Die Zahl der Privatdocenten in toto ist bis zum Jahre 1837 bis 1878 von 14 auf 28 angestiegen. (Unter die erste Zahl geht nur ein einziges Semester; die höchsterreichte Zahl ist 29 im Semester 1877/78.) Die Zahl der medizinischen Docenten ist von 3 auf 13 gestiegen in obigen 41 Jahren. (Ersteres ist das überhaupt je erreichte Minimum. letzteres ebenso das Maximum.)3) Also eine ununterbrochene stetige Zunahme.

Freilich bezieht sich der Wunsch nach Ermöglichung eines Spital-Neubaues zunächst nur auf die Bedürfnisse der älteren Semester. Allein das Spital ist und bleibt in gewisser Beziehung die Centralanstalt für die medizinische Fakultät.

Von den Spitälern sind die medizinischen Fakultäten zum grossen Theile ausgegangen. Die Spitäler liefern das Material für die normale und pathologische Anatomie, die physiologische und pathologische Chemie, zum Theil für die Physiologie. Das Beispiel Frankreichs, wo bis in die neueste Zeit die letztgenannten Fächer nur sehr mangelhafte Laboratorien zu ihrer Verfügung hatten, beweist, welche eminenten Leistungen auf dem Gebiete der medizinischen Wissenschaften erreichbar sind, wenn nur auf die Einrichtung und den Unterhalt der Spitäler der gehörige Werth gelegt wird. — Für die praktische Ausbildung des Mediziners ist das Spital das Centrum des demonstrativen Unterrichts und auf dem Gebiete der Naturwissenschaften werden ja mehr und mehr die theoretischen Vorlesungen von den Demonstrationen verdrängt. Am Krankenbette wird zwar zunächst der Mensch nur in abnormen Zuständen studirt, aber durch das Studium dieser Abnormitäten sind die wichtigsten Bereicherungen unserer Kenntniss des normalen Menschen gewonnen worden. Die Verpflichtung, den Kranken nicht nur zu studiren, sondern auch zu heilen, lässt immer und immer wieder neue Probleme auftauchen, welche für die übrigen Anstalten Fragen liefern. Aber nicht nur das! In scharfem Gegensatze zu der sogen. «reinen» Wissenschaft, oder der Wissenschaft um ihrer selbst willen, d. h. um des Genusses willen, den sie ihren Jüngern bietet, proklamirt die Klinik als ihren Endzweck die Erreichung eines Gutes, oder wenn man den Namen vorzieht, eines Nutzens für die Menschheit. Während die Wissenschaft erklärt : «Es ist mir Alles erlaubt,» setzt die praktische Medizin hinzu: «aber es frommt nicht Alles!» und durch diesen Standpunkt bewahrt sie ihre Collegen vor der Bearbeitung derjenigen unnützen Fragen und Probleme, vor welchen schon bei Einweihung der Hochschule ihr erster Erziehungsdirektor, Neuhaus, in so eindringlicher Weise gewarnt hat.

Aber selbst wenn man in wissenschaftlichen Kreisen diese allgemeine Bedeutung der klinischen Lehranstalten für die gesammte medizinische Fakultät anfechten wollte, so bleibt für unsere Zwecke der Anspruch der Klinicisten zu Recht bestehen, da nicht nur die Zahl der Mediziner bis in die allerletzte Zeit zugenommen hat, sondern innerhalb der Medizinstudirenden die Zahl derjenigen, welche die Klinik besuchen, stetsfort grösser geworden ist. Um uns nicht

in Verhältnisse zu mischen, die uns nicht direkt angingen, haben wir uns von dem Quästor der Hochschule einen Auszug machen lassen über die Zahl der Zuhörer der chirurgischen Klinik seit Beginn der Hochschule. Wir erhielten die Notizen vom Jahr 1837 1) ab. Bei Berechnung der Mittelwerthe für je 10 Semester ergeben sich die Zahlen von 21, 25, 22, 23, 23 und 34 bis zum Jahr 1868; dann im Zeitraum von 1868 bis 1873 — 61 und endlich in den letzten 10 Semestern 75 Zuhörer der Klinik im Mittel. Von dem Minimum von 23 % sämmtlicher Mediziner ist die Zahl der Klinicisten in 1877 auf 60,9 %angestiegen —eine Zahl, welche früher nur einmal im Jahr 1853 überschritten worden ist. Diese Ueberschreitung findet aber ihre Erklärung in der damaligen besonders geringen Zahl von Medizinern: es waren ihrer 38 in toto.

Es lässt sich dem gemäss nachweisen, dass bis zur Stunde eine erfreuliche Entwicklung der Hochschule im Ganzen, der Mediziner im Besondern und der Klinicisten ganz besonders, stattfindet. Wenn trotzdem der Hauptwunsch dieser letztem nach Ermöglichung der Errichtung eines neuen Spitals noch kein Gehör gefunden hat, so möchte man vielleicht denken, es werden schon gegenwärtig von dem Staate zu Gunsten der medizinischen Fakultät zu viele Opfer verlangt. Um dieses Bedenken auf seine Berechtigung zu prüfen, haben wir uns durch die gütige Vermittlung des Herrn Erziehungsdirektors von der löbl. Finanzdirektion eine Zusammenstellung der Staatsausgaben für die Hochschule im Ganzen und für die medizinische Fakultät im Besondern verschafft, soweit rückwärts dieselben erhältlich waren. Wir konnten bis zum Jahr 1850 dieselben benutzen. 1)

Aus diesen Zusammenstellungen ergibt sich die interessante Thatsache, dass die Staatskosten für die gesammte Hochschule in ungleich rascherer Progression zugenommen haben, als diejenigen für die medizinische Fakultät. Wenn man bis zum Jahr 1877 stets die Mittelzahlen von 5 zu 5 Jahren (10 zu 10 Semestern) zu Grunde legt, so ergibt sich, dass bis zum Jahre 1852 35 % der Gesammtkosten der medizinischen Fakultät zu Gute kommen, während dieses Verhältniss allmälig auf 33, 30, 30, 31 und endlich in den letzten 5 Jahren auf 24 % herunter sank. Während im Ganzen die Kosten der Hochschule im Verhältniss von 100 zu 350 angestiegen sind, beträgt diese Steigerung für die medizinische Fakultät nur 241.

Aber nicht nur das! Es ergibt sich des Fernern, dass bei Berechnung der Mittelzahl aus den Staatsberichten, soweit meine Nachforschungen zurückreichen konnten, ein Mediziner den Staat weniger gekostet hat, als ein Student der Hochschule im Allgemeinen, und dass bis in die letzten Jahre sich dieses Missverhältniss mehr und mehr ausgeprägt hat. Diess ist in dem Maasse der Fall, dass in den letzten 5 Jahren, wenn man die durchschnittliche Dauer des Studiums auf vier Jahre berechnet, ein Student der Berner Hochschule überhaupt den Staat auf 1584 Franken zu stehen kommt, während dieselbe alma mater für 912 Franken einen Mediziner fix und fertig, gepanzert und geharnischt, auf die Beine stellt. — Es betragen demgemäss die Staatskosten für einen Mediziner nur ca. 60 % desjenigen für einen Studenten überhaupt; —oder wenn man die andern Studenten den Medizinern gegenüberstellt 1) — so kostet ein Mediziner nicht die Hälfte von dem, was ein Philosoph, Jurist oder Theologe kostet. Ob nun ein «Herr Doktor» gerade so viel weniger werth sei, als z. B. der «Herr Fürsprech» oder der «Herr Pfarrer», will ich das geehrte Publikum entscheiden lassen.

Billroth 2) in Wien hat für das Jahr 1875 eine Berechnung über die Kosten, welche die «Erzeugung» eines Mediziners an den verschiedenen Universitäten dem Staate verursacht. Seine Zusammenstellung ergibt, dass im Allgemeinen der Student an kleinen Universitäten mehr kostet, weil die Frequenz geringer ist. 3) Wenn man Alles ausschliesst, was die naturwissenschaftliche Fakultät angeht, so kostet bei vierjährigem Studium ein Mediziner in Kiel bei einer Anzahl von 55 Besuchern den Staat 11,130 Franken, in Insbruck bei 70 Medizinern 5787 Franken, in Halle bei 145 2810 Franken; endlich in 'Wien bei 1379 Medizin-Studirenden 1175 Franken. So vortrefflich also, wie unsre Republik, versteht es kein anderer Staat, billige und gute Mediziner zu liefern und hätte in unserem materiellen Zeitalter Bern schon darin einen Titel für die Erwerbung einer eidgenössischen Hochschule, wenn sie einmal kommen sollte.

Doch gerade, wenn wir im Ernste der letztem Eventualität ins Auge sehen, so ist die erste Bedingung für Bern die Herstellung zeitgemässer klinischer Lehranstalten. Von einer Seite, welche sonst

Bern ganz und gar nicht immer in rosigem Lichte betrachtet, ist der Vorschlag gemacht worden, die Fakultäten aus einander zu reissen und den bisherigen Universitäts- und Akademie-Städten der Schweiz die eine oder andere zuzutheilen und bei diesem Plane war Bern gerade die praktische Ausbildung der Mediziner zugedacht. Wir fürchten, es könnte eine Zeit kommen, wo eine solche Zerstückelung der bisherigen Universitäten möchte mit kaltem Blute angesehen werden. Ein Schritt dazu ist gegeben in der Empfehlung einer Gründung blosser naturwissenschaftlich medizinischer Fakultäten von Seite eines ausgezeichneten neueren Schriftstellers über Deutschlands Universitäten. 1)

Im Hintergrunde liegt diesem Vorschlage der Gedanke zu Grunde, welchen Männer, wie Häckel, als das Ideal unserer Zeit öffentlich bezeichnet haben, von einer «Erziehung des Menschengeschlechts auf rein naturwissenschaftlicher Basis.» Während Sachverständige Frankreichs und Englands die klassische Einrichtung der deutschen Universitäten bewundern und als Muster hinstellen, ist es eigenthümlich zu konstatiren, wie in Deutschland zwar die Schöpfungsgeschichten immer natürlicher, die Kreisläufe der Natur immer allgemein verständlicher: hingegen die Philosophie schliesslich so sehr zu etwas Unbewusstem wird, dass man diesen Theil der Wissenschaften selbst auf einer Universität entbehren zu können glaubt.

Wenn wir auch auf Schweizerboden vor solcher Verirrung vorläufig nichts zu riskiren haben, da der vielgeschmähte praktische Sinn schwindelhaftes Wesen auf geistigem, wie auf natürlichem Gebiet gar bald herausgebracht hat, so möge man doch bei Zeiten bedenken, dass das beste Mittel zur Verhütung unberechtigter Wünsche die baldige Prüfung und Erfüllung der berechtigten Forderungen ist.

Aber warum genügt denn Bern's Inselspital den modernen Ansprüchen der Klinik nicht mehr?

Hat nicht die Insel als Muster gegolten, so dass es noch in einer Beschreibung der Stadt Bern von 1794 heisst: «sie sehe einem königlichen Palaste ähnlicher, denn einem Hospital.» Ja freilich! Doch sagt schon Ith in seiner Empfehlung einer neuen Schulordnung für die Akademie, 1805, dass ein Jahrhundert unter civilisirten Nationen immerhin «ein beträchtlicher Schritt» sei und die Insel steht schon 160 Jahre!

Während in beinahe allen grössern Schweizerstädten Spitäler neu erbaut worden sind, während man in der Mehrzahl der deutschen

Universitätsstädte wahre Musteranstalten von Spitälern studiren kann, welche im letzten Jahrzehnt gebaut worden sind, steht die Insel in ihrem altersgrauen Gestein, wie ein Fels im Meer unentwegt der Brandung moderner Anschauungen entgegen. Gerade weil die Spitäler früher im Palast-Styl erbaut worden sind, entsprechen sie den jetzigen Ansprüchen nicht mehr.

Seien Sie unbesorgt, dass ich Ihnen ein Bild der Missstände im jetzigen Inselspital vorführen werde. Sie sind in den letzten Jahren bis zum Ueberdruss oft wiederholt worden. Lassen Sie mich vielmehr vor Ihnen in Kurzem die Anforderungen schildern, welche die Neuzeit an ein Spital stellt und dann gehen Sie selber ins Inselspital und sehen Sie zu, wo, wie und ob diesen Ansprüchen dort ein Genüge geleistet ist.

Wenn für irgend Jemand die Lösung der Wohnungsfrage eine dringliche ist, so ist sie es für die armen Kranken, welche Tag und Nacht in der Wohnung zubringen müssen. Mag es daher auch im höchsten Masse wünschenswerth erscheinen, dass diese Frage im weiteren Umfange im Sinne des Engländers Richardson gelöst werde, welcher nach allen Regeln der Hygiene eine Stadt, Hygienopolis genannt, herstellen will, und zur Ausführung dieses Unternehmens bereits werkthätige Unterstüztung zugesichert erhalten hat, so sollen wir doch nicht versäumen, in Erwartung des Bessern, Hand anzulegen an die Erstellung von Spitalanstalten, welche nicht nur dem Namen der Krankenhäuser, sondern auch dem längst im höflicheren Frankreich üblichen der «Maisons de santé» Ehre machen.

Es kommen Zeiten, wo nicht nur die Armen, sondern auch die Begüterten auf die Hülfe des Spitals angewiesen werden, sei es bei Ausbruch von Epidemien, sei es zu Zeiten des Krieges. Ja ein Eisenbahn- oder anderer Unfall kann es Jedem unter uns plötzlich als eine grosse Wohlthat erscheinen lassen, wenn ein gut eingerichtetes Spital dein Ankömmling, ohne Frage nach Name oder Herkunft, nach Pass oder Kreditbrief, gleichgültig ob frühe am Morgen oder spät des Abends seine Thore öffnet.

Wie wohlthätig empfindet der arme Verunglückte jede anscheinend unbedeutende Verbesserung des Spitaldienstes! Wenn sofort Assistenten und sachkundige Wärter bei der Hand sind, welche ihn schonend auf die Bahre heben! Wenn er ohne Verzug und ohne Lärm in ein freundliches, stets bereites Wartezimmer gebracht wird, um dort die erste, aber auch für immer wichtigste und entscheidende Besorgung zu erfahren. Denn nicht darum handelt es sich mehr, dass ein Kranker «vorläufig» besorgt werde, nicht provisorisch wird

ein zerschmettertes Bein eingerichtet und eingebunden, sondern ein für alle Mal wird ein Verband gemacht. Wenn derselbe fertig ist, so sollen dem Kranken fürderhin grössere Schmerzen erspart bleiben und eine fortwährende Nachbesserung soll unnöthig gemacht sein. Will man aber dieser Aufgabe gerecht werden, es dahin bringen, dass ein Schwerverletzter vom ersten Augenblick an behaglich sich fühle im Spital, dass seine Verwandten ihn am nächsten Tage erstaunt mit gutem Appetit sein Mittagsmahl verzehrend finden, so müssen gewisse Einrichtungen gegeben sein, ohne welche die Erfüllung obiger Aussichten nimmermehr möglich ist.

Ein Kranker, zumal im Nothfall, der des Nachts ankommt, darf nicht sofort in das Krankenzimmer gebracht werden , wo die Ruhe der Andern für manche Stunde gestört wird, wo Verbandmaterial und Medikamente erst mühselig von allen Seiten herbeigetragen werden müssen, wo alle verblutete und beschmutzte Wäsche mit dem Verunglückten hereingebracht wird.

Nein, entfernt von den Krankenzimmern, in einem Raum, wo für die Reinigung der Kranken, für Verband und Operationen Alles zu jeder Zeit in der Nähe bereit gehalten ist, erfährt der Ankömmling die erste Hülfe. Daher werden die Nothfälle in den neuen Spitälern vor Allem in ein von den Krankensälen getrenntes sogenanntes "Operationsgebäude" gebracht. Sobald der Arzt sich überzeugt hat, dass die erste Hülfeleistung nicht ohne erhebliche Schmerzen abgethan werden kann, wird schon im Vorzimmer des Operationsraumes durch Chloroform der Arme in ruhigen Schlaf versetzt und träumend lässt er alle die Schrecken der Operation und ersten ärztlichen Hülfe über sich ergehen. Wenn er erwacht, so findet er sich im geräumigen Krankensaal, die Schmerzen sind nur noch gering, der leidende Theil ist sicher gelagert, die barmherzige Schwester steht theilnehmend an seinem Bette. Ohne die Schmerzen neuer Entzündung, ohne Eiterung, ohne Fieber heilen seine Wunden in wenigen Wochen zu und kann er geheilt das Spital verlassen.

Damit aber solche Erfolge der neuen Wundbehandlung sich wirklich erzielen lassen, müssen die Spitaleinrichtungen den Bedingungen voll und ganz genügen, jeden neu aufgenommenen Kranken einer gründlichen Reinigung unterwerfen zu können. Dadurch, dass man — Dank dem Engländer Lister — in den letzten Jahren gelernt hat, nicht nur eine minutiöse, sondern man kann fast sagen, eine mikroscopische Reinlichkeit in Anwendung zu bringen, hat man die üblen Folgen der Verletzungen zu verhüten und eine fünf- und zehnfach raschere Heilung herbeizuführen vermocht. Wir wissen

jetzt, dass Reinlichkeit, wenn sie so gehandhabt werden soll, dass sie sicher allen Schaden verhütet, nicht nur in Entfernung aller sichtbaren Fremdkörper, Sandes oder Schmutzes, beruht, sondern dass es einen, für das blosse Auge nicht sichtbaren Staub gibt, welcher den Wunden des menschlichen Körpers viel gefährlicher ist, als eine Kugel oder ein Stein, der im Leibe stecken bleibt. Dieser Staub allein ist es, welcher die Zersetzung von Blut und Gewebssäften und damit üblen Geruch, Entzündung und Eiterung, was man im Volke als "Zutreten des Brandes" bezeichnet, verursacht. Gelingt es, diesen Staub unschädlich zu machen, so heilt die Wunde und geht die Entzündung zurück, wenn sie schon da war.

Wenn also ein Kranker nicht bloss gewaschen und gebadet, nicht bloss mit reiner Wäsche versehen und verbunden werden, sondern wenn jedes feinste Stäubchen und jeder eingedrungene Krankheitsstoff ausgefegt werden soll, so ist es klar, dass zu einem solchen complizirten Prozess nicht nur ein eigener Raum, sondern auch eigene Vorrichtungen vonnöthen sind.

Im Operationssaal, in welchen der Kranke chloroformirt hineingetragen wurde, macht er dieses ganze Fegefeuer durch, ohne dass er eine Ahnung davon hat. Dann aber ist es ihm auch zu gönnen, dass er in Räume komme, welche dem Himmel ähnlicher sehen als viele Krankensäle des Inselspitals. Aber nicht etwa eine luxuriöse Einrichtung verlangen wir damit. Nicht in Prunkgemächern fühlt man sich dem Himmel am nächsten, sondern in der freien, frischen Luft unserer Berge. Je einfacher ein Krankensaal, je schmuckloser seine Wände, desto besser entspricht er seinem Zweck. Nur Licht und Luft muss iii Hülle und Fülle vorhanden sein. Es dürfen keine dunkeln Winkel geduldet werden. Von beiden Längsseiten des Saales muss das Licht durch grosse Fenster reichlich einfallen. Die Luft im Krankensaal darf zu keiner Zeit stagniren, sondern fortwährend und ohne Zug muss frische Luft zuströmen und die alte Luft austreiben. Die Anforderungen aber einer gründlichen Ventilation im Sommer sowohl als im Winter sind mit verhältnissmässig geringem Aufwand von Kosten nur erreichbar durch den sogenannten Pavillon-Bau der Spitäler und zwar am besten und einfachsten bei Erstellung bloss einstöckiger Pavillons. Nur bei diesen ist es ausführbar, die frische Luft von Aussen ohne irgend eine complizirte Vorrichtung vom Boden her einströmen zu lassen, im Winter nach vorheriger Erwärmung, im Sommer nach vorheriger Abkühlung. Nur unter Voraussetzung eines einstöckigen Gebäudes ist es anderseits möglich, die verdorbene Luft einfach und sicher am höchsten Punkte des

Zimmers durch Anbringung sogenannter Dachreiter auszutreiben. Eine richtige Ventilation soll Tag und Nacht ununterbrochen vor sich gehen, denn es ist nicht nöthig, einem Krankensaal so kolossalen Kubikinhalt zu geben, wie es theoretisch geboten erscheint. Eine gute Ventilation soll ferner vom guten oder bösen Willen und mehr oder weniger Verständniss des Wärterpersonals vollständig unabhängig sein, also nicht auf Oeffnung der Fenster angewiesen werden.

Die Erfahrungen in den eigentlichen Pavillon-Spitälern Leipzig's, Dresden's und Berlin's haben bewiesen, dass sich mit sehr geringen Kosten eine vorzügliche Ventilation nach obigen Anforderungen erzielen lässt, wie Jeder sich an Ort und Stelle überzeugen kann.

Es ist gar kein Zweifel, dass selbst in Privathäusern mit zahlreichen Einzelzimmern sich eine Lufterneuerung, unabhängig vom Oeffnen und Schliessen der Fenster, erreichen lässt. In Deutschland kann man Häuser sehen, bei deren Bau auf die Anlage einer richtigen Ventilation die gehörige Rücksicht genommen ist, während bei uns ausser den Männern vom Fach, den Hygienikern, die Techniker in der Regel gar nicht daran denken, den Bau eines Hauses durch solche Rücksichtnahme zu compliziren. Allein das halten wir, auf Grund vergleichender Studien an Ort und Stelle, für völlig zweifellos, dass eine Ventilationseinrichtung, welche nicht nur zweckentsprechend, sondern zugleich einfach und billig sein soll, nur auf Grund des Pavillons-Systems zu erzielen ist.

Ein anderer Punkt zu Gunsten des oben erwähnten Systems ist der, dass nur auf diesem Wege eine völlig gleichmässige Erwärmung thunlich ist. Nur hier lässt sich für die Krankensäle erreichen, dass beide Längsseiten derselben von der Sonne bestrahlt werden, indem man das Gebäude der Länge nach von Süden nach Norden richtet. So wird vermieden, dass Feuchtigkeit entsteht in der einen oder andern Mauerseite —ein Faktor, der vom sanitarischen Standpunkte aus hoch anzuschlagen ist. Wir haben eine wirklich frische und zugleich warme Luft nur in den Sälen von Pavillons angetroffen, wo ganz und gar keine stagnirende Luft im bewohnten Raum selber, sondern wo nur frische, von aussen zuströmende Luft erwärmt wird.

Man legt noch zur Stunde vielfach den Hauptwerth des Pavillon-Systems in das Prinzip der Isolirung der Kranken -— mit völligem Unrecht! Wäre diess die Hauptsache, dann könnte man ohne Sorge wieder eine grosse Kaserne bauen mit recht vielen und kleinen Zimmern. Aber mit Nichten! Dank den neuesten Errungenschaften in der Therapie, wird das Prinzip der Absonderung mehr und mehr zu einem überwundenen Standpunkt und soll es mehr und mehr werden,

Zur Zeit der Verbreitung des Aussatzes in Europa bis in das 16. Jahrhundert nach Christo 1) sonderte man die Kranken ängstlich von den Gesunden ab, durch Anlegung von "Siechenhäusern" ausserhalb der Stadtthore, wie unser sogenanntes "äusseres Krankenhaus". So müssen noch jetzt zu Zeiten von Epidemien Verdächtige eine Quarantäne passiren und werden Scharlach und Masern, Diphteritis und Typhus in isolirte Gebäude zusammengelegt. Wir sind weit entfernt, an der Nothwendigkeit einer solchen Isolirung zu rütteln. Dass dieselbe aber jetzt nicht das Ideal unserer Therapie sein kann, dass unser humanes Zeitalter Kranke nicht mehr aussetzen und als Aussätzige behandeln darf, lehrt uns das Beispiel der Chirurgie: Wo seit langem grossartige Spitalbauten bestanden haben, wie in den Metropolen Englands und Frankreichs, da hat man die Erfahrung gemacht und statistisch erwiesen, 2) dass das Spital selber unter Umständen zu einem Ansteckungsherde für Kranke werden kann und man hat daher die üblen Einflüsse, welchen ein Kranker im Spital ausgesetzt ist, als "Hospitalismus" bezeichnet. Eine Hauptform hieher gehöriger Krankheiten ist das bekannte "Spitalfieber", welches in schlecht eingerichteten Spitälern einen grossen Prozentsatz Verwundeter dahinrafft.

Wenn also noch vielfach im Publikum die Spitäler mit furchtsamem Auge angesehen werden, als stünde die Inschrift darüber: "Ihr, die Ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren!" so ist diese Furcht für alte und schlechte Spitäler nicht ganz unbegründet. Wir haben aber gezeigt, dass der Hölle nur das Fegefeuer fehlte, um sie zum Himmel zu machen. Wo die Möglichkeit gegeben ist, jeden neu ankommenden Kranken dem oben postulirten Reinigungsprozess zu unterwerfen, und wo es möglich ist, im Krankensaale namentlich durch gute Ventilation, die Umgebung des Kranken rein zu erhalten, da hat ein Verletzter und Operirter mehr Aussicht auf rasche und sichere Genesung als in irgend einem Privathause. Denn das ist das neuere Prinzip der Therapie, den Kranken nicht abzusondern, aber zu reinigen.

Seit die Ueberzeugung eine immer bestimmtere geworden, dass wir es bei den Krankheiten mit fassbaren Ansteckungsstoffen zu thun haben, ist man diesen auch mehr und mehr direkt auf den

Leib gerückt. Die Aufgabe ist, diese Ansteckungsstoffe zu zerstören und nicht sie fern zu halten. So schützt man nicht nur die Umgebung des Kranken vor übeln Einflüssen, sondern auch den Kranken vor seiner Krankheit. Denn das ist unzweifelhaft, dass wie jeder Mensch bei aller Nächstenliebe. mit seinem Nächsten, schon weil er Luft und Nahrung braucht, einen Kampf ums Dasein führt, so auch jeder Mensch und jeder Ort mit einem Kranken, welcher in seine Nähe kommt, einen Kampf um die Gesundheit auszufechten hat. Diesen Kampf hat die neuere Medizin mit Glück aufgenommen, nicht dadurch, dass sie den Feind in eine Festung bannt, aus welcher er bei Gelegenheit mit doppelter Macht ausbricht, sondern dadurch, dass sie ihn aufsucht und vernichtet. Jeder Kranke ist in gewissem Sinne ansteckend und nur wenn man neben den Anforderungen der Hygiene, neben der Sorge für Luft, Licht, reines Wasser und gute Nahrung jedem einzelnen Kranken ganz besondere Sorgfalt widmet. wird man auch die Gesundheit eines Volkes im Allgemeinen zu erhalten im Stande sein.

Darin liegt die grosse Bedeutung der Spitäler für das Publikum, eine Bedeutung, welche gar zu leicht unterschätzt wird in einer Zeit, da die Fragen der Hygiene, wie der Religion, ohne Rücksicht auf Rechte und Pflichten des einzelnen Individuums, immer en gros vom "Staate" gelöst werden sollen.

Wenn das Beispiel unserer Nachbarstaaten und Stäätchen uns lehrt, dass es möglich ist, auf Grund der neuem Technik jeden üblen Einfluss der Spitäler auf seine Einwohner zu verhüten, jene vielmehr zu einem Segen für die armen Kranken nicht nur, sondern für das ganze Volk zu gestalten, so steht wie ein Vorwurf für den Kanton Bern die alte Insel da, wo statt der Bäder noch die alten Cataplasmen-Küchen vor den Zimmern stehen, wo von Ventilation gar keine Rede ist und in einzelne Krankenzimmer Jahr aus Jahr ein kein Sonnenstrahl fällt. Nicht umsonst hat schon vor Jahren ein ärztlicher Verein verlangt, dass ein solches Spital von Polizei wegen geschlossen werden sollte. 1)

Wie sollte mau aber daran zweifeln, dass ein solcher abnormer Zustand nicht länger mehr geduldet werden wird im Kanton Bern, welcher auf dem Gebiete der Armenpflege allen andern Kantonen schweizerischer Eidgenossenschaft voranleuchtet, ja laut Angabe der Statistiker kaum von irgend einem andern Staate hierin überboten wird.

Wir entnehmen den vortrefflichen Arbeiten der Herren Chatelanat und Niederer 1) hierüber folgende Daten: Auf 537,080 Einwohner hat der Kanton Bern 30,226 Unterstützte. Für diese macht er eine Totalausgabe von 2,419,479 Franken, während die ganze Schweiz für alle ihre Armen 12,214,056 Franken ausgibt (also der Kanton Bern nahe 1/5 so viel, wie die ganze übrige Schweiz zusammen). Die Gesammtsumme des Armenfonds im Kanton Bern beträgt nicht weniger als 26,623,101 Franken. — Wenn man bedenkt, dass das Staatsvermögen des Kantons vierzig und einige Millionen beträgt, so ist es fast unnöthig hinzuzufügen, dass diese letzteren Millionen zu 3/4 in Eisenbahnen angelegt sind, um den Ausspruch zu stützen, dass der Staat Bern schon jetzt den Satz zur Wahrheit gemacht hat: "Die Aermsten werden die Reichsten sein".

Wenn auf einem solchen Boden der böse Same der Socialdemokratie nicht recht gedeihen will, so wird es Niemand Wunder nehmen und dürfte vielleicht das mächtige Deutschland hier zu lernen haben, was gegen diese gefährlichen Verirrungen das beste Mittel ist.

Allein verkenne man nicht, dass diese ausgezeichnete Fürsorge des Staates für die Armen auch ihre Bedenken hat. Bern ist zwar noch nicht so weit wie England im 16. Jahrhundert, um gesetzlich zu bestimmen, dass jeder Arme geradezu das Recht habe, auf einen Theil des Vermögens jedes Besitzenden, resp. eine bestimmte Unterstützung von Staates wegen zu beziehen, als Staatspensionär.

Aber auch für uns gilt der Nachweis, 2) dass nach Maassgabe offizieller Maassregeln zu Linderung des Elends, sich auch dieses Elend gleichsam organisirt und eine künstliche Armuth durch Faulheit und Sittenlosigkeit verschuldet, zu Stande kommt.

In unserer Zeit, wo die Tendenz sich Alles von dem sogenannten Staate bezahlen zu lassen, so ausgesprochen und ohne Scheu zu Tage tritt, muss man sich doppelt und dreifach in Acht nehmen, nicht Zustände herbeizuführen, wie in der Kaiserzeit Roms und in Griechenland unter Perikles, wo die Mehrzahl der Bürger auf Staatskosten lebte, statt auf eigenem Erwerb zu stehen. Wenn wir diess hier hervorheben, so geschieht es, weil die Universität die Aufgabe hat, nach dieser Richtung gegenzuwirken, da sie die Höhe nicht nur des Wissens, sondern auch den moralischen Werth des Landes garantiren soll!

Will man der Gefahr entgehen, durch reichliche Unterstützung nicht die Armuth zu pflegen, so muss stets und stets wieder die

Sorge des Gebers dahin streben, prophylaktische Maassregeln zu ergreifen, lieber der Verarmung entgegen zu arbeiten, als der Armuth auszuhelfen. Hr. Chatelanat, in den beiden erwähnten Arbeiten, kömmt zu dem Schlusse, dass unter den Präventivmassregeln gegen den Pauperismus die Unterstützung in der Familie wenig wirke, Armen- und Arbeitsanstalten, (welche eigentlich nur Zuchtanstalten seien) zu spät kommen. Dagegen, ausser durch Versorgung von Kindern in Erziehungsanstalten, durch Berufserlernung und Vorschüsse könne einzig durch die Krankenpflege eine erhebliche Zahl Unbemittelter vor jeglichem Ruin bewahrt werden. Und gerade hierin bleibt nun der Kanton Bern in ganz auffälliger Weise zurück.

Während im Kanton Basel 911, in Zürich 627, in Genf 573 per mille der unterstützten Erwachsenen in Krankenanstalten untergebracht werden, während in 7 andern Kantonen über 400 %0 in solchen versorgt sind, kommen im Kanton Bern nur 166 %0 der erwachsenen Unterstützten auf die Krankenanstalten (im Jura 286 %0). Während Basel 228, Genf 251, Zürich 164 %0 der Armenausgaben auf Unterbringung in Krankenanstalten verwendet und noch 7 andere Kantone von 100 bis 300 %0, so beträgt die Anwendung der Armengelder für Krankenanstalten im Kanton Bern nur 41 %0. 1)

Wenn also Bern sich auszeichnen wird durch seine einsichtsvolle Berücksichtigung des Grundsatzes, dass wenn man keine Outlaw's, d. h. Leute ausserhalb des Gesetzes, haben will im Lande, man auch keinen ausserhalb und ohne Besitz haben soll, so scheint es gar nichts von einem eben so wichtigen Grundsatz zu wissen, dass wenn man keine Outworks, wie ich sie bezeichnen möchte, keine Leute ausserhalb der Arbeit (die nicht arbeiten) haben will, man vor Allem die Arbeitsunfähigen par excellence, die Kranken, versorgen muss. Will man den Bettel als strafwürdig hinstellen, so ist es absolute Pflicht, die wirklich Hülfsbedürftigen, d. h. Kranke und Gebrechliche, zu unterstützen und zu versorgen. Gerade der Krankenpflege klebt das Odium einer Erniedrigung des Individuums durch Anerbieten von Hülfe am allerwenigsten an. Derjenige Zweig der Krankenpflege aber, welcher mehr und mehr sich als der wichtigste erweist, ist die Versorgung in Krankenanstalten im Gegensatz zu der Armenpflege, wo laut Erfahrungen in England die Unterbringung in den "Workhouses" weniger gute Resultate liefert, als die Unterstützung zu Hause.

Hr. Dr. J. R. Schneider hat schon im Jahr 1834 1) eine Berechnung aufgestellt, wonach im Kanton Bern auf circa 17 Einwohner ein Armer kommt. Die neueste Zusammenstellung von Hrn. Chatelanat beweist, dass dieses Verhältniss noch jetzt gültig ist, indem — wie oben bemerkt — auf 537,000 Einwohner des Kantons 30,226 Unterstützte fallen. Wenn wir somit die übrigen Berechnungen des Hrn. Dr. Schneider, dieses als Staatsmann und Arzt gleich erfahrnen und ausgezeichneten Mannes, aus dem Jahr 1834 zu Grunde legen, so würde je der zehnte dieser Armen jährlich ärztlicher Hülfe bedürfen und davon die Hälfte den Spitälern zufallen, somit 1511 Kranke. Davon sind diejenigen abzuziehen, welche in Spezialspitälern untergebracht werden (z. B. die ansteckenden Krankheiten), dagegen noch von den nicht unterstützten Einwohnern eine gewisse Prozentzahl vermögensloser Bürger zuzuzählen, welche im Krankheitsfall auf die Spitäler angewiesen sind. Dadurch stellt sich die obige Zahl statt 1511 um ein Fünftel höher, also auf 1813.

Wenn auf jeden Kranken, nach Dr. Schneider, 30 Pflegetage im Spital berechnet werden, und der Umstand berücksichtigt wird, dass ein Bett nach Abgang eines Kranken nicht sofort wieder belegt werden kann, so braucht es auf 150 Kranke 20 Betten, also für die 1813: 241 Betten.

Diese Zahl ist nun schon im Jahr 1870 erreicht worden, indem in 16 Nothfallstuben und Spitälern im Kanton 245 Betten unterhalten wurden, und zwar unterhielt davon der Staat 2, die Gemeinden 3 Theile.

Laut Berechnung von Dr. Schneider ergab sich aber schon für 1870, dass diese Zahl ungenügend war und vielmehr 330 Betten vorgesorgt sein müssen, um den thatsächlichen Ansprüchen zu genügen. Durch die Gründung der zahlreichen Bezirksspitäler ist man dieser Zahl sehr nahe gekommen, aber es zeigt sich, dass bei den Berechnungen den jetzigen Zeitverhältnissen zu wenig Rechnung getragen worden ist, insofern als die Stadtbevölkerung gegenüber der Landbevölkerung ungleich rascher anwächst und industrielle Beschäftigung an Stelle rein agrikoler Arbeit tritt. Desshalb bleiben die Ansprüche auf Erweiterung der Krankenanstalten für die grössern Centren des Kantons, wie Biel, Burgdorf etc., zu Recht bestehen,

und desshalb bleibt namentlich die Leistungsfähigkeit des Inselspitals weit hinter den Anforderungen an dasselbe zurück.

Laut statistischen Nachweisen wird hier nach Ausschluss aller möglichen Fehlerquellen bei 250 Betten nur 4/5, bei 200 Betten — wie sie jetzt faktisch bloss gegeben sind — nur 2/3 des vorhandenen Bedürfnisses genügt, wie die Zahl der seit Jahren abgewiesenen, der Aufnahme wirklich bedürftigen Kranken darthut.

Die Gründe hiefür sind zum Theil schon von Hrn. Dr. Schneider klar gelegt worden: Das Inselspital hat alle diejenigen Kranken aufzunehmen, welche in Gemeinds- und Bezirksspitälern keine Unterkunft finden, vorzüglich auswärtig wohnende Kantonsbürger und Kantonsfremde aus Staaten, mit welchen der Staat Bern in Vertragsverhältnissen steht. Die Insel nimmt ferner gemäss Verfügung ihrer Donatoren alle Diejenigen auf, welche den Bedingungen nicht genügen können, die von den Bezirksspitälern an den Eintritt geknüpft werden. Die Insel steht offen für Alle, welche aus irgend einem Grunde anderswo nicht verpflegt werden können, sei es zu schwieriger Operationen, sei es zu langer Dauer der Krankheit, sei es anderer Gründe wegen.

Trotzdem in den letzten Jahren zahlreiche Bezirks-Krankenanstalten neu entstanden oder erweitert worden sind, haben doch die Ansprüche an das Inselspital fortwährend zugenommen, so dass nur für den Augenblick 300 Betten dem Bedürfnisse zu genügen vermögen. Soll aber ein Neubau in Aussicht genommen werden, so ist es gerathen, eine allmälige Vermehrung um weitere 100 Betten, d. h. auf 400, in demselben von vorne herein möglich zu machen.

Ein in Spitalfragen höchst erfahrner Kliniker, Herr Professor Thiersch in Leipzig 1), berechnet, dass auf 7 Kranke in einem Spital 10 Betten verfügbar sein sollen, wegen der nöthigen Lüftung, Reinigung der Sääle etc.

Die jetzige Insel hat thatsächlich nicht mehr Raum als für 200 Kranke. Sollen in dem Kantonsspital 300 oder gar, nach einer Anzahl Jahre, 400 Kranke untergebracht werden, so ist dafür ein Neubau erforderlich.

Es kommt also zu den Gründen, welche oben erörtert sind, als weitere Begründung der Nothwendigkeit eines neuen Kantonsspitals der Mangel an Platz hinzu. Gerade dieser Punkt ist seit den Sechsziger Jahren so oft in Wort und Schrift erörtert und erwiesen

worden 1), dass hier eine nähere Beleuchtung desselben unterbleiben kann. — Aber gerade dieser Punkt allein müsste schon jedem einsichtsvolleren Staatsmanne als genügender Grund erscheinen, eine Erweiterung der Krankenpflege auf diesem Gebiete anzustreben, und es ist desshalb zum Schlusse noch nöthig, die Gründe zu erörtern, welche daran Schuld sein mögen, dass immer und immer wieder diese wichtige Aufgabe vertagt wurde. Antworte man nicht: Die Erklärung ist einfach: Es ist kein Geld vorhanden. Der Staat Bern hat in den letzten Jahren für andere Zwecke weniger humaner Natur so viel Geld ausgegeben, dass jetzt, da man an seine Pflicht gegenüber den Geringen im Lande appellirt, eine solche Entschuldigung bedenklich erscheinen müsste.

Nein, der Grund liegt anderswo. Darin liegt er, dass bei dem Inselspital eine staatliche Bevormundung stattfindet, ohne eine entsprechende staatliche Unterstützung. — Dieses Missverhältniss ist weitaus das wichtigste Moment, warum bis in die neueste Zeit stets neue Bezirksspitäler entstehen konnten, das Kantonsspital aber im alten Elende blieb.

Wenn wir zusehen 2), wie sich das Verhältniss des Staates zu andern Anstalten im Kanton gestaltet hat, deren Entstehung auf Privatthätigkeit sich zurückführt, so ergibt sich, dass in diesen Anstalten eine selbstständige Direktion anerkannt und dem Staate nur das Recht eingeräumt ist, eine gewisse Anzahl von Betten gegen entsprechende Vergütung daselbst zu benutzen. Nach Hrn. Dr. Schneiders Berechnungen leistet der Staat zu den seit 1830 entstandenen Bezirksspitälern und Nothfallstuben einen Beitrag in dem Verhältniss, dass auf 3 von der Gemeinde unterhaltenen Betten 2 Staatsbetten kommen.

Wenn also der Staat gegenüber den Bezirks-Krankenanstalten, welche durch Privatinitiative Einzelner oder von freiwilligen Armenvereinen oder gemeinnützigen Gesellschaften in's Lehen gerufen worden sind, eine ganz klare und korrekte Stellung einnimmt, insofern als er gleichsam zum Donator wird, die Zahl der Betten durch seine Beiträge vermehrt und in dem Maasse seiner Leistungen auch eine Vertretung in der Verwaltung der betreffenden Anstalten erhält, so ist das Verhältniss für das Inselspital ein ganz anderes, setzen wir hinzu ein unglückliches und ungerechtes.

Ist denn das Inselspital in anderer Weise entstanden, als die neueren Bezirks-Krankenanstalten? — Keineswegs! — Die Stiftungen, welche der Errichtung des eigentlichen Seilerin-Spitals, Anno 1354, vorausgegangen und zum Theil mit demselben vereinigt worden sind, sind ebenso, wie die Gründung des eigentlichen Spitals («für dreizehn Geligerige»), durch Frau Anna Seiler der Privatwohlthätigkeit entsprungen, und die Stifterin hat schon in ihrem Testament auf «die Almosen der Burger von Bern», d. h. auf private Unterstützung, recht eigentlich angewiesen. Diese Unterstützung ist ihm denn auch reichlich zu Theil geworden. Auch das Inselkloster und Bröwenhaus, deren Einkünfte, nach der Reformation, der Insel zugewendet wurden, waren Privatstiftungen von Burgerinnen Berns.

Von einer direkten Betheiligung des Staates ist ausser für den Neubau des jetzigen Spitals, im Jahr 1718, nirgends die Rede, bis nach der französischen Revolution und zu Anfang unseres Jahrhunderts. Aber dieses ist auch die Zeit, in welcher der Staat begann, das Inselspital in seinem Interesse zu benutzen zur Ausbildung der Aerzte des Kantons, zuerst zur Zeit der Akademie und in reichem Maasse seit Gründung der Hochschule.

Bis zum Jahr 1830 wurden nur die jeweiligen Defizite aus der Staatskasse gedeckt. Im Jahr 1841 kaufte sich der Staat von dieser Verpflichtung gleichsam los durch den sogenannten Dotationsvergleich und zwar mit einer Summe von einer halben Million Franken (eine andere halbe Million wurde von der Burgergemeinde Bern bezahlt).

Es lässt sich unschwer berechnen, dass Alles, was von Staates wegen bis zur Stunde geleistet wurde, weit, hinter denjenigen Ansprüchen zurückbleibt, welche das Inselspital erheben dürfte, wenn es dieselbe Behandlung durch den Staat in Rechnung bringen wollte, die den übrigen Spitälern des Kantons von ihrer Gründung weg zu Theil geworden ist. — Man darf bei obigen Berechnungen nicht vergessen, dass während des Dotationsstreites vom Jahr 1831 bis 1841 die insel vom Staate gar nichts erhalten hat, und dass zur Zeit der Auszahlung obiger Summe das Spital nur 140 Betten enthielt, während es bis zum Jahr 1872 und zwar unter Mitberücksichtigung der Interessen der Hochschule deren 248 unterhalten hat.

Wenn es sich aber historisch erweisen lässt, dass bis zur Stunde der Staat Bern nicht mehr, sondern weniger für die Insel gethan hat, als für seine andern Krankenanstalten, so bedarf es wohl keiner Rechtfertigung, wenn heute vom Staate auf's Eindringlichste verlangt wird, dass er sich für die Zukunft entschliesse, die Insel in ganz

gleicher Weise zu behandeln wie die übrigen Spitäler des Kantons. In diesen unterhält der Staat je 2 Betten auf .3 Gemeindebetten. Von 400 Betten im neuen Kantonsspital würden also für 160 die Unterhaltungskosten dem Staate zufallen.

Dieses Verhältniss entspricht auch ganz genau der Zahl von Betten, welche für den klinischen Unterricht benutzt werden. Unter den fünf Aerzten der Insel sind zwei klinische Lehrer, und mit seinen 160 Betten werden also dem Staate nur so viel aufgebürdet, als er im Interesse der Hochschule benutzt und nöthig hat.

Der Staat soll erklären: Wir nehmen die Sorge für das Kantonsspital so weit auf uns, als wir es für unsere Pflicht halten, dem Kanton gebildete Aerzte, überhaupt das technische Personal für die Krankenpflege zuzuführen. Dieser Satz wird kaum von Jemand bestritten werden, denn die ärztliche Ausbildung darf so wenig wie der höhere Unterricht überhaupt Sache von Privaten sein, sonst geräth er auf Abwege, wie das Beispiel der «freien Universitäten» Frankreichs aus den letzten Jahren zur Genüge beweist.

Das Inselspital selber aber als solches gebe man seiner ursprünglichen Bedeutung zurück, als einer aus dem Volksboden herausgewachsenen Institution. Auf diesem Boden wird es sich wieder kräftig und auf die Dauer entwickeln. Bei Gelegenheit eines Vortrages über Hospitäler und Lazarethe hat Virchow 1) nachgewiesen, dass die Aufgaben der heutigen Krankenpflege nicht nur über die Leistungsfähigkeit einzelner Gesellschaften, wie der Johanniter und anderer Orden in Deutschland, weit hinausgehen, sondern auch über diejenigen des Staates, und dass nur die Betheiligung des gesammten Volkes das zu Stande zu bringen vermöge, was, nach dem Muster der Vereinigten Staaten Nordamerika's in den Sechsziger Jahren, geleistet werden sollte.

Die ersten Bedingungen einer ernsten und freudigen Betheiligung der Privaten und des Volkes ist aber die, dass man mit der Selbstständigkeit der Inselverwaltung endlich Ernst mache. Denn dass es ein Hohn ist, von einer solchen zu sprechen, so lange die Regierung sämmtliche Mitglieder der Verwaltung zu wählen sich vorbehält, das hat schon ein früheres Mitglied der Regierung nachgewiesen 2). Der Staat soll sich das Recht der Vertretung in der Verwaltung in dem Maasse wahren, als er sich an der Unterstützung

der Anstalt betheiligt; er soll auf fünf zwei Mitglieder bestellen, wenn er zwei Fünftel der Betten unterhält, und soll sich in Allem, was den klinischen Unterricht anlangt, freie Hand sichern.

Im Uebrigen aber sollen es die Wohlthäter des Spitals sein, welche die Verwaltung desselben bestellen. Und wenn, wie zu hoffen steht, der ganze Kanton sich bei dem Neubau des Kantonsspitals betheiligt, so sollen auch ausser der jetzigen Inselverwaltung, als Erbin der verstorbenen Donatoren, Delegirte aus särnmtlichen Theilen des Kantons zusammenkommen, um in einer Generalversammlung ihre Vertreter zu bestellen und über das Gedeihen der Anstalt Bericht zu erhalten. — Denn darüber dürfen wir uns nicht täuschen: Wenn auch der Staat ganz und voll seine Verpflichtung gegenüber der Insel anerkennt, einen bestimmten Antheil von Betten zu unterhalten und die klinischen Lehranstalten und Institute, welche dem Unterricht dienen, bei einem Neubau auf sich zu nehmen, so vermag die Insel nur einen Theil der Baukosten für das neue Kantonsspital aufzubringen.

Allein was anderswo möglich war, wird auch im Kanton Bern durchführbar sein.

Der Kanton Baselstadt hat zur Zeit seiner Trennung von der Landschaft in einem Vormittag über 300,000 Franken für ein neues Kantonsspital aufgebracht. Die Stadt Paris 1) hat im Jahr 1814 binnen 24 Stunden 6000 Betten für Verwundete ausgerüstet und dem Comité zur Verfügung gestellt. Auch Bern hat im verflossenen Jahre bewiesen, dass es bereit ist, für sein Kantonsspital ein Opfer zu bringen. Gebe man also der Insel, was der Insel, und dem Staate, was des Staates ist. Wenn die Regierungen wüssten, was für eine gewaltige Kraft in der Privatwohlthätigkeit liegt, sie würden nicht durch staatliche Bevormundung dieselbe eindämmen. Während die grossen Spitäler Londons und zahlreiche andere Spitäler Englands und Amerika's eigene Vermögen besitzen mit Jahreseinkünften bis zu einer Million Franken, rein und allein durch freiwillige Beiträge zusammengebracht, klagt Professor Thiersch in seiner Rektoratsrede vom Jahr 1876 bitter, dass die unglückliche Stellung des dortigen Jakobsspitals als Staatsanstalt alle Schenkungen von der Anstalt ab und andern zuwende und dass dadurch das Staatsbüdget so ausserordentlich belastet werde.

Aber vergessen wir auch nicht, dass wir auf der andern Seite keine Herzoge von Braunschweig unter uns haben, wie unsere

Schwesterrepublik an Frankreichs Grenze, sondern dass die Republik Bern selber den Herzog spielen muss und aus eigener Kraft leisten, was sie für ihre Pflicht erkannt hat.

So, mit vereinten Kräften von Staatsbehörden und Publikum, wird die Spitalfrage recht breiten Boden fassen, das Interesse des ganzen Landes für sich haben und wieder dem ganzen Lande dienen und zum Segen gereichen können! Das walte Gott!

Berichtigung.

Auf Seite 8, Zeile 4 von unten, soll es heissen: Ebenso wären statt 6441 dann 7200 Mediziner in Rechnung zu bringen.

Tabelle 1.

I. Frequenz der Hochschule.

II. Zahl der Medizin-Studirenden.

Hierunter waren Kantonsangehörige 12,300; aus andern Kantonen 4260; Ausländer 1612. Das Maximum der Studentenzahl fällt auf das Jahr 1876/77 mit 428; das Minimum auf 1852/53 mit 143. Das Maximum der Medizinstudirenden fällt auf das Jahr 1874 mit 174; das Minimum auf 1853/54 mit 38.

I. In den Semestern von 1837-1843 betrug der durchschnittl. Besuch der chirurg. Klinik 34,5 % der Mediziner.

II. In den 10 Semestern 1843/44-1848 betrug derselbe 36,9 %
III. 10 1848/49-1853 35,9 »
IV. » 10 » 1853/54-1858 » 45,9 »
V. » 10 » 1858/59-1863 » 47,4 »
VI. » 10 » 1863/64-1868 » 40,1 »
VII. 10 1868/69-1873 45,5 »
VIII. » 10 » 1878/74-1878 49,3 »

Tabelle 2.

Die medizinische und die philosophische Fakultät hatten je weitaus am meisten Dozenten. — Die theologische hatte 1 bis 4, die juristische 1 bis 3, fast durchwegs nur 2.

Tabelle 3.

Staats-Ausgaben.

Tabelle 4.

Es kostete den Staat:

Die Studienzeit zu 8 Semestern = 4 Jahren durchschnittlich angenommen, gibt als Kosten des Staates: Für einen Studirenden überhaupt . . . . Fr. 1316 Für einen Medizinstudirenden . . . . . 1180 Für einen Studirenden in den 10 Semestern von 1873. bis 1877/78 . . . . . . . . 1584 Für einen Medizinstudirenden in den 10 Semestern von 1873 bis 1877/78 . . . . . . » 912

Es betragen also die Kosten für einen Mediziner gegenwärtig kaum 60 % derjenigen eines Studenten überhaupt an der Hochschule in Bern.

Tabelle 5.

Die Kosten der Medizin-Studirenden stehen zu denjenigen der Studirenden überhaupt

im Jahr 1857 wie 1 : 3,23 =31 %
» 1867 » 1 : 2,95 =34 %
1877 » 1: 4,13 =24 %

Der Aufwand für die medizinische Fakultät betrug in Prozenten der Gesammt-Auslage:

Von 1850-52 35 %, und 29,2 % der Gesammt-Stud. waren Med.
1853-57 33 % » 28,1 % »
1858-62 30 % 27,4 %
1863-67 30 % » 37,1 % »
» 1868-72 31 % » 43,4 %
1873-77 24 % » 41,9 % » » »

Tabelle 6

Nach Billroth (Lehren und Lernen etc., Seite 391 ff und Seite 241 ff) kosten die jährliche Unterhaltung der Subsidiaranstalten und die Gehalte der Professoren zusammen an der medizinischen Fakultät von: (pro 1875)

Anmerkung. Die Gehalte der Professoren der Naturwissenschaften und ihrer Institute sind nicht inbegriffen.

Für eine Normal-Universität, naturwissenschaftlich-medizinische Fakultät allein enthaltend, berechnet Billroth eine jährliche Unterhaltung von 3/4 Millionen Franken nöthig (Fr. 750,000); davon käme circa die Hälfte (Fr. 345,000) auf die spezifisch medizinischen Fächer. Er will 150 Mediziner an 10 solcher Fakultäten und somit käme bei 8 Semestern 1 Student den Staat auf 10.000 Franken.