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Der Einfluss des Schweizerischen Civilgesetzbuches auf das Studium des Privatrechts.

REDE GEHALTEN AM 16. NOVEMBER 1903 ZUR FEIERLICHEN ERÖFFNUNG DES STUDIENJAHRES

1903-1904
VON
Prof. Dr. Hugo OSER
Rektor der Universität.
FREIBURG (SCHWEIZ)
BUCHDRUCKEREI DES WERKES VOM HL. PAULUS 1904

Vor fünf Jahren hat das Schweizervolk durch eine Verfassungsrevision dem Bund die Zuständigkeit erteilt, ein einheitliches Civil- und Strafgesetzbuch zu erlassen. Die Vorarbeiten sind nun so weit vorgerückt, dass in absehbarer Zeit an Stelle der fünfundzwanzig und mehr kantonalen Rechte eine einzige Kodifikation treten wird.

Die Wirkung der Vereinheitlichung an sich und der Inhalt der vorliegenden Entwürfe ist von vielfachen Gesichtspunkten aus der Besprechung unterzogen worden, so von denen des Handels, des Gewerbes, der Landwirtschaft u. s. w.

Ein gewaltiger Umschwung wird auch eintreten in der Rechtsanwendung und in der Rechtswissenschaft.

Eine in allernächster Zeit an die juristischen Fakultäten herantretende Aufgabe wird die Entscheidung der Frage sein: Soll das Inkrafttreten der eidgenössischen Gesetzbücher einen Einfluss auf das juristische Studium ausüben? Eventuell welchen? Wenn die Beantwortung dieser Fragen nicht Ihr allgemeines Interesse in Anspruch nimmt, so berührt sie doch Lehrer und Schüler einer Fakultät so nahe, und sie ist dringend, dass es sich doch rechtfertigen mag, wenn ich für diesen Gegenstand heute Ihre freundliche Aufmerksamkeit in Anspruch nehme.

Ich beschränke mich dabei auf das Civilrecht, das mir am nächsten liegt, und das auch seinem Umfang und seiner Bedeutung im Rechtsunterricht nach eine gesonderte Behandlung verdient. Die Änderungen, die das einheitliche Strafrecht bedingt, sind weniger einschneidend und von selbst gegeben.

Drei Fragen werde ich daher zu behandeln haben: Welches ist das Ziel des Rechtsunterrichts? 'Wie wurde es bisher zu erreichen gesucht? Wie soll es in Zukunft erreicht werden?

I.

Die Vorlesungen im bürgerlichen Recht, wie der Unterricht in jeder Wissenschaft bezwecken zweierlei.

Das materielle Ziel besteht in der Verschaffung einer bestimmten Summe des Wissens, die dem Lernenden jederzeit zum direkten Gebrauch verwertbar zur Verfügung stehen soll: er soll einigermassen den Inhalt der Rechtsnormen kennen, die er gegebenen Falles zur Anwendung bringen muss.

Diese Rechtsnormen sind aber nicht so gefasst, dass sie sich ohne weitere geistige Tätigkeit zwanglos auf jeden Tatbestand anwenden lassen.

Auf der einen Seite kann ein Rechtssatz nicht so allgemein formuliert werden, dass er für jedes Lebensverhältnis passt, sonst wäre der Gesetzgeber gezwungen, entweder zum Schaden. der Gerechtigkeit ungleichartige Verhältnisse mit denselben Rechtsfolgen auszustatten, oder aber dem richterlichen Ermessen bei der Entscheidung des Einzelfalles einen ungemessenen Spielraum einzuräumen, der naturgemäss zuletzt vermöge der menschlichen Unvollkommenheiten eine gewisse Willkür zur Folge haben würde.

Auf der anderen Seite kann nicht jedes besonders geartete Lebensverhältnis mit eigenen Rechtsfolgen versehen werden. Dadurch würde ein Gesetzbuch schon vermöge seines Umfanges. unverwendbar werden, abgesehen davon, dass das praktische Leben unendlich viel reichhaltiger ist und sich in Zukunft gestalten kann, als die eingehendste juristische Kasuistik vorauszusehen im Stande ist.

In der geistigen Aneignung der Rechtssätze eines Rechtsgebietes kann daher nicht der einzige, ja nicht einmal der Hauptzweck des Studiums liegen. Durch dasselbe soll vielmehr der Lernende befähigt werden, vermittelst Anschauung, Vorstellung, Urteil und Schluss die mangelnden oder nicht ausreichenden positiven Kenntnisse sich jederzeit zu verschaffen oder zu ergänzen und zu verwerten. Das ist das zweite, das

formale Ziel des Rechtsunterrichts: das selbständige juristische Denken.

Als Werkzeug zum juristischen Denken werden dem Lernenden vermittelt die Rechtsbegriffe und deren Inhalt, Umfang, Subjekt, Objekt, Eigenschaften, Lebenserscheinungen, sodann die Hauptprinzipien, deren Bedeutung und Funktion. Mit diesen soll er operieren lernen und soll es dazu bringen, von sich aus aus den Anschauungen Begriffe zu abstrahieren und die Lebensverhältnisse unter Rechtstatbestände zu subsumieren.

II.

Im Rechtsunterricht ist bisher oft das materielle, oft das formale Ziel in den Vordergrund gestellt worden. Teilweise hängt damit zusammen die Frage des Lernstoffes. In Frankreich wurde z. B. seit dem Inkrafttreten des Code Napoléon dieses Gesetzbuch der Ausgangspunkt des Rechtsunterrichtes. In Deutschland kam dem römischen Recht diese Rolle zu, wobei allerdings nicht ausser Acht zu lassen ist, dass im grössten Teil Deutschlands seit Jahrhunderten das römische Recht in etwas modifizierter Gestalt als Gemeines Recht Geltung besass.

In der Schweiz ist das römische Recht nicht rezipiert, sondern bewussterweise, ja mit Waffengewalt dessen Eindringen bekämpft worden: das heimische Recht hatte noch genug im Volk wurzelnde lebendige Kraft, den Ansturm zurückzuschlagen, wenn auch in einzelnen Gebieten vorübergehend das fremde gegolten und in anderen auf die Gestaltung des einheimischen Rechtes grossen Einfluss ausgeübt hat.

Dennoch bildet auf dem Gebiete des Civilrechts auch an den schweizerischen Universitäten das römische Recht den Mittelpunkt der juristischen Studien.

Sehen wir uns nach den Gründen dieses immerhin eigentümlichen Verhältnisses um, so mag wohl mit entscheidend der rein äusserliche Umstand gewesen sein, dass man sich an Deutschland anschliessen wollte, gehörte doch die Stadt, in der die erste Universität entstand, zur Zeit der Gründung noch zum Deutschen Reich. Dadurch wurde zwischen den beiden Ländern

für Lehrer und Lernende eine Freizügigkeit und im Anschluss. daran eine Ideengemeinschaft geschaffen, die für beide Teile befruchtend wirkte.

Diese Erklärung genügt aber nicht, sonst würde an den französisch-schweizerischen Universitäten, wo das Moment nicht zutrifft, dem römischen Recht nicht, wenn nicht dieselbe Bedeutung wie an den deutsch-schweizerischen, so doch grössere Bedeutung eingeräumt, als an den Rechtsfakultäten Frankreichs.

Der Hauptgrund der Bevorzugung des römischen Rechts liegt vielmehr in denjenigen Eigenschaften desselben, die es vorzugsweise als geeignet erscheinen lassen, dem Unterrichtszweck zu dienen.

Dabei fällt vorerst in Betracht, dass ein grosser Teil seines Inhaltes Gemeingut aller modernen Rechtsordnungen geworden ist. Dies gilt namentlich vom allgemeinen Teil und vom Obligationenrecht. Im wesentlichen losgelöst aus der Verbindung mit dem römischen Volksgeiste, wie sich dieser Teil des Rechtes unter Führung grossenteils fremdländischer Juristen zur Zeit des bereits eingetretenen Verfalles der römischen Nation gestaltet hat und im corpus iuris aufgenommen worden ist, haben wir hier meist von zeitlichen und örtlichen Zufälligkeiten unabhängige abstrakte Sätze von allgemeiner. Geltung vor uns. Hierher gehören zumal die Formen, in denen der menschliche Wille sich äussert und die typische Wirkung der Willensäusserung, wobei — auf dem Gebiete der Rechtsgeschäfte — ausgegangen wird von der Freiheit, die Wirkung des Willens selbst zu bestimmen.

Aber auch abgesehen von dessen materiellem Inhalt besitzt das römische Recht einen solchen inneren Wert, dass man. von ihm spricht wie von griechischer Kunst, und dass man ihm als Bildungsmittel denselben Raum anweist, wie bei der humanistischen Bildung den klassischen Sprachen. Mit ihrer sonst nirgends erreichten praktischen Begabung und ihrem formalen Talent haben die Römer ein Werk geschaffen, das logisch so durchdacht und den Lebensbedürfnissen angepasst ist, dass man von demselben eine Zeit lang als von der ratio scripta sprach, und dass auch da, wo moderneren Lebensanschauungen der Inhalt ihrer Rechtsinstitute. nicht mehr entsprach,

doch fast durchgehends Form und System beibehalten wurden.

Die grösste Bedeutung als Unterrichtsgegenstand gewähren dem römischen Recht dessen eigenartige Quellen und Litteratur. Die Gesetze Roms, abgesehen von den Zwölftafeln, stehen auch in ihren besseren Leistungen nirgends auf erheblich höherem Niveau als die heutigen; den Hauptbestandteil des justinianischen Gesetzbuches bilden aber nicht Gesetzesvorschriften, oder sie waren wenigstens ursprünglich nicht als solche gedacht, sondern es sind Auszüge aus den wissenschaftlichen Arbeiten der klassischen Juristen. Diese uns auch ausserhalb des corpus iuris meist nur als Bruchstücke erhaltenen Schriften stehen da als unerreichte Muster juristischen Scharfsinns, geistiger Durchdringung des Stoffes, sicheren praktischen. Blickes und der Darstellungskunst der Verfasser. Da sie von praktischen Fällen ausgehen und von deren Lösung aus ihre Rechtssätze aufstellen oder oft erst erraten lassen, so ist namentlich von vornherein der Gefahr vorgebeugt, dass sie sich mit den Erfordernissen des wirklichen Lebens nicht vertragen. Und auch wo die faktischen Verhältnisse andere geworden sind, da bietet die Anpassung der römischen Ideen an das moderne Leben dankbare Arbeit und Anregung.

Mit der Rezeption des römischen Rechts in einem grossen Teil Europas hängt zusammen, dass auch die moderne Rechtswissenschaft auf dem Boden dieses Rechts steht.

Berücksichtigt man endlich, dass -—wenigstens bis zu dem Erlass des eidgenössischen Obligationenrechts — die Schweiz ein Gesetzbuch mit einem engere Kreise übersteigenden Geltungsgebiete nicht kannte, und dass man auch von einem geschichtlichen schweizerischen Recht, das auf einen gemeinsamen Nationalgeist zurückgeführt werden könnte, ähnlich dem römischen, deutschen oder selbst dem französischen Recht nicht sprechen kann, so begreift man vollends, wieso man dazu kommen musste, das römische Recht nicht nur in Bezug auf den formalen Gehalt, sondern auch auf dessen materiellen Inhalt in den Mittelpunkt des Rechtsstudiums zu stellen und ihm drei Vorlesungen, die Pandekten, die Institutionen und die Rechtsgeschichte zu widmen.

Hinter dem römischen Recht tritt das deutsche (deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht) als Unterrichtsstoff zurück.

Als System unvollkommen überliefert und vor vollständiger Durchbildung in Deutschland selbst durch die Rezeption zu Gunsten des fremden Rechtes verdrängt, bietet es kein Ganzes, sondern enthält nur einige Rechtsinstitute germanischen Ursprungs. Leben viele derselben in unseren kantonalen Gesetzbüchern auch fort, so haben sie doch im Schraubstock römischer Begriffsbildung eine ganz andere Gestalt angenommen, so dass man sagen kann, der Schwerpunkt des Deutschen Rechtes liege in der Vergangenheit. Es betrifft dies nicht nur die Vorlesung über deutsche Rechtsgeschichte, sondern auch diejenige über deutsches Privatrecht. In Deutschland werden allerdings dabei auch die neueren deutschen Reichsgesetze civilrechtlichen Inhalts behandelt abgesehen von deren germanischen Rechtsgedanken, was für die Schweiz natürlich wegfällt. Will man das deutsche Privatrecht, wie es an einigen deutschen Universitäten vor Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches geschah, als System vortragen, so muss man notwendigerweise die Lücken mit dem römischen Recht ausfüllen.

Die genannten Rechtsdisziplinen sollen den Studierenden in dem Masse vorbilden, dass er neuen Rechtssätzen und Rechtsordnungen nicht hilflos gegenüber steht, dass er also auch von sich aus in der Lage sein kann, sich mit dem geltenden Rechte abzufinden. Aus diesem Gedankengang heraus erklärt es sich, dass in Berlin vor dem Jahre 1814 es keinen Lehrstuhl für Allgemeines preussisches Landrecht gab, und dass bis in die neueste Zeit nicht mehr als 4-5 Wochenstunden zu dessen Darstellung verwendet wurden. In der Schweiz dagegen gibt es gegenwärtig an jeder Universität Vorlesungen über das Privatrecht des Universitätskantons, und der Umstand; dass bei den heutigen Verkehrsverhältnissen ein Jurist fast täglich in den Fall kommt, über die Kantonspfähle hinausblicken zu müssen, und dass auch die Bedürfnisse der Nicht-Universitätskantone einige Befriedigung erheischen, hat an manchen Universitäten zu Vorlesungen

über vergleichendes kantonales Privatrecht geführt. Endlich werden seit Inkrafttreten des eidgenössischen Obligationenrechts und anderer Bundesgesetze privatrechtlichen Inhalts überall auch Vorlesungen über diese gehalten. Sie setzen die Kenntnis des römischen Rechts voraus und schliessen sich zeitlich an dasselbe an.

Die theoretischen Vorlesungen begleiten, und es folgen ihnen nach Übungen in zweierlei Gestalt. Die einen bezwecken die Klärung, Erweiterung und Vertiefung der erworbenen Kenntnisse durch eingehendere Behandlung von in der Vorlesung bloss gestreiften Fragen durch Lektüre und Exegese von Quellen, sowie durch die Anleitung zu selbständigen Arbeiten. Die andern sollen an der Hand praktischer Fälle, durch Anlehnung an Formulare und andere Einrichtungen das Vorgetragene veranschaulichen und den Lernenden in der Subsumtion von Tatbeständen unter Rechtssätze selber tätig sein zu lassen, damit er sein Wissen zum Können verdichte und durch Aneignung der juristischen Betrachtungsweise gegenüber der Wirklichkeit allmählich in die Praxis hinübergeleitet werde. Beide Arten der Übungen haben den grossen Vorteil, Lehrer und Lernende in unmittelbare Berührung zu bringen. Dadurch wird jenem Gelegenheit geboten, einen Einblick zu tun in die Wirkung des mündlichen Vortrags, und es wird ihm ermöglicht, je nach dem Ergebnis fürderhin mehr oder weniger vorauszusetzen und das Vorzubringende der Fassung der Lernenden anzupassen.

III.

Es wird sich nun fragen, soll dieser Lehrplan auch nach der Einführung eines einheitlichen Civilrechts beibehalten werden? Sollen nach wie vor das römische und das deutsche Privatrecht den Stoff hergeben zur Erreichung des formalen und des materiellen Zieles des Rechtsunterrichts? Soll wie bisher das in der Praxis anzuwendende Recht der an sich

vollständigen Ausbildung gleichsam als Paradigma angehängt werden?

In den umliegenden Ländern, in Frankreich, Italien und Österreich hat man nach Durchführung der Kodifikation das geltende Recht dem Rechtsstudium zu Grunde gelegt, wobei in allerdings verschiedenem Umfange das römische Recht als Vorlesungsfach beibehalten wurde. In Deutschland hat gleich nach Annahme des Bürgerlichen Gesetzbuches,. lange vor dessen Inkrafttreten, im November 1896 der Reichstag eine Resolution angenommen des Inhalts, es solle in Zukunft das neue Gesetzbuch statt des römischen Rechts den Mittelpunkt des juristischen Studiums bilden. Eine Konferenz von Rechtslehrern hatte schon vorher im März desselben Jahres in Eisenach mit auffallender Einstimmigkeit in diesem Sinne ein Lehrprogramm aufgestellt. Im Anschluss daran erlies das preussische Justizministerium im Einverständnis mit dem Unterrichtsminister am 18. Januar 1897 Vorschriften, die sich zwar nur auf die Neugestaltung der ersten juristischen Prüfung beziehen, in Wirklichkeit aber die Einführung eines neuen Studienplanes zu Folge hatten. Sämtliche Landesregierungen haben sich an die Reichstagsresolution gehalten, und trotz Verschiedenheiten in einzelnen Universitätseinrichtungen und in der Dauer der juristischen Studien hat man sich auf einen, ziemlich einheitlichen Lehrplan geeinigt, der. dem preussischen entspricht. Darnach fällt die Hauptvorlesung über römisches Recht (die Pandekten) weg;. unter dem Titel: System und Geschichte des römischen Rechtes wird so ziemlich dasjenige vorgetragen, was bisher in den Institutionen behandelt wurde; daneben bleibt die römische Rechtsgeschichte in mehr oder weniger weitem Umfange bestehen. Deutsches Privatrecht und: deutsche Rechtsgeschichte sind als Vorlesungsfächer ebenfalls beibehalten worden, wenn auch durchgehends mit, geringerer Stundenzahl. An Stelle der Pandekten ist das Bürgerliche Gesetzbuch getreten, und zwar wird dasselbe dargestellt «in eingehender dogmengeschichtlicher Entwicklung.», d. h. derjenige Stoff der Pandekten und des deutschen Privatrechts, der in das Bürgerliche Gesetzbuch übergegangen ist, wird beinahe in gewohnter Behandlung wiederkehren. Nur wenige

Universitäten haben zwar nicht die Pandekten in der bisherigen Ausdehnung, wohl aber ein 7 bis 8stündiges Kolleg beibehalten unter dem Titel «Grundlehren der Pandekten als Einführung in das heutige bürgerliche Recht».

Wie sollen wir uns nun zur Frage stellen? Wenn die Vorbildung nicht darunter leidet, so wird es jedenfalls von Vorteil sein, wenn der zukünftige Praktiker direkt in die Grundsätze des Civilrechtes eingeweiht wird, das er später anzuwenden hat, statt dass er den Weg durch die graue Vorzeit suchen muss. Es wäre eine unnütze Kraftvergeudung, wenn man den Studierenden zuerst in ein noch so künstliches, aber nie für unsere Verhältnisse bestimmtes, dem Tode verfallenes System hineinarbeiten liesse, wenn er gerade so gut direkt hineingeführt werden könnte in den lebendigen Organismus, der aus den heutigen Lebensanschauungen erwuchs und fortlebt. Und manche Klage würde verstummen darüber, dass die Theorie die Anforderungen der Praxis vernachlässige, und dass die Praxis der wissenschaftlichen Grundlage entbehre, weil beide sich entfremdet seien.

Da wird es sich fragen, inwiefern die Momente, die vor der Rechtseinheit dem römischen Rechte die gegenwärtige Bedeutung als Unterrichtsstoff verliehen, und die oben genannt worden sind, nach Inkrafttreten des einheitlichen Gesetzbuches wegfallen werden.

Vor allem wird zu Gunsten des neuen Rechts im Vergleich zu den kantonalen Gesetzbüchern ein grösseres Geltungsgebiet sprechen und seine Position gegenüber dem römischen Recht verstärken. Dieser Umstand hat schon der Vorlesung über schweizerisches Obligationenrecht grösseren Umfang verschafft, wenn auch dadurch das römische Obligationenrecht nicht ersetzt wurde.

Aber auch der internationale Charakter unserer Universitäten gibt kein Argument mehr ab für die Beibehaltung des römischen Rechts in bisherigen Umfang, nachdem es denselben dort verloren, wo es ihn bisher hatte. Es dürfte ja auch in Zukunft nicht ausgeschlossen sein, dass, wie es gegenwärtig zu geschehen scheint, schweizerische Universitäten in erheblichem Masse von

deutschen Studierenden aufgesucht werden gerade wegen der noch erhaltenen Pandekten-Vorlesung. Das würde aber doch kaum rechtfertigen, eine Einrichtung beizubehalten, wenn nicht schwerer wiegende Gründe dafür sprächen. Man wird sich im Übrigen nicht verhehlen dürfen, dass mit Einführung des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches und des damit verbundenen neuen Lehrplanes für die reichsdeutschen Universitäten die bisherige Freizügigkeit, der Austausch in Lehrern und Schülern, der beiden zu Gute gekommen ist, sich immer mehr beschränken muss. Von allen Rechtsdisziplinen, wenn wir die Nationalökonomie nicht hieher rechnen, war das Privatrecht diejenige, deren Behandlung bisher am wenigsten nationalen Charakter hatte: nun wird auch dieser internationale Berührungspunkt fortfallen. Daran können wir nichts ändern. Die Differenzen werden grösser sein, wenn wir die Pandekten beibehalten, als wenn wir, wie, es anderwärts geschieht, eine Beschränkung eintreten lassen.

Ein weiterer Grund für die präponderante Stellung des römischen Rechts lag darin, dass sein Rechtsstoff ein bedeutendes Element unserer Gesetzgebung bilde. Derselbe trifft für die neu vereinheitlichten Teile des Civilrechts nicht mehr in dem Masse zu, wie es bei dem Obligationenrecht der Fall war. Von diesem Gesichtspunkte aus würde sich die Beibehaltung der Vorlesung über deutsches Privatrecht vor der über römisches empfehlen. Dieser Punkt ist aber nicht ausschlaggebend. Denn soweit der Rechtsinhalt des Civilgesetzbuches dem germanischen oder römischen Recht entnommen wurde, kann darauf, soweit es zum. Verständnis nötig ist, in der Vorlesung über das geltende Recht Bezug genommen werden.

Es bleibt darnach nur noch ein, allerdings das wichtigste Bedenken. Können wir das römische Recht als Schulrecht ganz entbehren? Wollen wir die Palästra, auf der die grossen Juristen der Vergangenheit stark geworden, verlassen? Sollen für uns die Werke der klassischen römischen Juristen und die civilistische Wissenschaft von acht Jahrhunderten, von den Glossatoren bis auf die Gegenwart' verloren sein? Daran ist wohl nicht zu denken. Es gilt also, das Problem zu lösen: Wie können wir das geltende Recht in den Mittelpunkt der Studien stellen, ohne

zugleich die erzieherische Potenz des römischen Rechts preisgeben zu müssen? Und da steht nichts im Wege, dass es, wenn es als Selbstzweck der Ausbildung, weggefallen ist, als Mittel dazu beibehalten werde.

Danach soll jedenfalls den Rechtsstoff zur Erreichung des materiellen Zieles des Unterrichts das geltende Gesetz liefern. Institute, die sich nur durch zufällige nationale Eigentümlichkeiten erklären lassen und mit dem geltenden Recht in keinem Zusammenhang stehen, also rein historischen Wert haben, sollen nicht in der bisherigen Ausdehnung als Ballast weitergeführt werden. Auf diese Weise dürften namentlich der grösste Teil des Familien- und Erbrechts, aber auch sehr viele Kontroversen des Sachen- und Obligationenrechts, die zum eisernen Bestand der Pandektenvorlesung geworden sind, ohne Schaden verschwinden.

Aber auch das formale Ziel der Ausbildung soll in erster Linie durch das geltende Recht zu erreichen gesucht werden. Das neue Recht muss der Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Arbeit werden, sonst wird man bei dessen Anwendung zu sehr auf Präjudizien angewiesen. Soll es aber der wissenschaftlichen Behandlung teilhaftig werden, so muss der spröde Stoff gesichtet, und es müssen die Einzelvorschriften auf dem Wege der Induktion zu allgemeinen Prinzipien zusammengefasst und mittelst der darin liegenden Begriffe zu einem systematischen Ganzen verarbeitet werden. Dies gilt auch für den Unterricht. Der Schüler, dem bloss kommentarhaft der Stoff, bestehend in den von Gesetzeswegen gleich wichtigen, koordinierten Rechtsnormen beigebracht wird, erhält nicht leicht eine Übersicht über das Ganze, einen Einblick in den Zusammenhang, um die gegenseitige Abhängigkeit, Unter- und Überordnung der Einzelbestimmungen. Diese Abstraktion der Begriffe wird mehr oder weniger leicht sein, je nachdem mehr oder weniger Anhaltspunkte zur Erforschung des Sinnes des Gesetzes gegeben sind; einzelne sind bereits umschrieben, andere lassen sich erst mit Mühe aus dem Zusammenhang ableiten. Jedenfalls wird es

nicht angehen, mit einem Ausdruck des Gesetzbuches, der auch im Gemeinen Recht wiederkehrt, ohne weiteres den Begriff des Gemeinen Rechts zu verbinden. Es können also auch nicht, ohne Verwirrung anzurichten, schlechthin die Begriffe des Gemeinen Rechts dem Unterricht zu Grunde gelegt werden.

Nur muss man berücksichtigen, dass das eidgenössische Civilgesetzbuch in seinem Inhalt zum grössten Teil das Ende einer langsamen vorläufig zum Abschluss gekommenen Entwicklung darstellt. Wie dessen Stoff und Gehalt zum kleinsten Teil neu sind, so arbeitet es auch inder bisher üblichen Arbeitsweise: es benützt im Wesentlichen die gewohnten Begriffe, und selbst wo neue Rechtssätze aufgestellt werden, geschieht es durch die hergebrachten Mittel. Sollen nun auch der Wissenschaft und dem Unterricht die Begriffe des neuen Rechtes zu Grunde gelegt werden, so verweisen sie doch fast durchgehends auf das Gemeine Recht, weil das geltende Recht sie, unverändert übernommen oder auf denselben weitergebaut hat. Wenn z. B. zur im Gemeinen Recht geschlossenen Zahl der dinglichen Rechte neue hinzukommen, andere gestrichen werden, so werden die den einzelnen dingliche Rechten im Gesetzbuch zugeschriebenen Eigenschaften zusammengestellt, und es wird das Gemeinsame herausgeschält. Das Resultat wird vielleicht sein, dass; trotzdem die Lebensphänomene des Begriffes der Dinglichkeit sich geändert haben, doch die Merkmale oder die Hauptmerkmale desselben die gleichen geblieben sind. Die Litteratur über diesen Begriff wird also für uns nicht verloren sein, und es wird nicht überflüssig werden, den Unterschied der dinglichen und persönlichen Rechte nach dem Gemeinen Recht darzulegen und dabei auf die allfälligen Modifikationen hinzuweisen. Auf ähnliche Weise wird fast die gesamte Wissenschaft des Gemeinen Rechts, sei es nun römischen oder germanischen Ursprungs, der Darstellung des geltenden Rechts dienstbar gemacht werden können. Oft wird man auch um die Darlegung der bestehenden Streitfragen nicht herumkommen können, da das Gesetzbuch in dem einen oder andern Sinne dazu Stellung genommen hat. Dafür soll man sich nicht allzusehr scheuen, auch bisher unbekannten Begriffen und' Prinzipien das Bürgerrecht

zu schenken, wenn sie sich nicht ohne Vergewaltigung unter Bekanntes unterordnen lassen.

Wenn auf diese Weise die alten Begriffe zur Interpretation
der im neuen Recht enthaltenen bloss als Hilfsmittel herbeigezogen
werden, so brauchen wir nicht zu befürchten, die
Fühlung mit dem grossen Strom der allgemeinen Rechtswissenschaft
zu verlieren, und es hat den grossen Vorteil, dass der viel
Unheil stiftende Irrtum wegfällt, wonach es ein romanistisches
und ein germanistisches Denken gäbe, zu denen beiden in der
Praxis erst noch die geistige Tätigkeit zur Aneignung des
geltenden Rechts als eines dritten kommen müsse, und es wird
zum Nutzen desselben der Rechtsunterricht mit der Emanzipation
und Selbständigkeit auch die Einheit erhalten.

Bei dieser Degradation der bisher den Lehrplan beherrschenden Disziplinen des römischen und des germanischen Rechts zu Dienerinnen der Vorlesung über. das geltende Recht bleibt noch die allerdings nebensächliche Frage zu beantworten, ob man es bei dieser Berücksichtigung in der Vorlesung des geltenden Rechts bewenden lassen wolle, oder ob es angezeigt sei, diese Fächer auch als selbständige, wenn auch als propädeutische beizubehalten.

l-lier verdienen nun römisches und germanisches Recht nicht dieselbe Behandlung

Da das römische Privatrecht gerade als Ganzes ein scharfsinnig ausgestaltetes System, einen architektonisch so reichen Aufbau darstellt, dass gerade darin einer seiner Vorzüge liegt, so geben einzelne in der Hauptvorlesung herangezogene Bruchstücke kein rechtes Bild davon, und es wird dessen systematische Kenntnis auch fürderhin den bisherigen pädagogischen Wert für die technische Ausbildung behaupten. Der Umstand,, dass es für die Gegenwart nirgends mehr Geltung beansprucht, wird dessen Kenntnis in der reinen Gestalt nur zu Gute kommen. So wird also eine kurze systematische Darstellung des römischen Privatrechts, ähnlich der jetzigen Institutionen-Vorlesung bei

uns so wenig wie in Frankreich, Italien und Deutschland entbehrt werden können.

Weiter zu gehen und nach dem Vorbild einiger deutscher Universitäten auch noch eine besondere eingehende romanistische Einleitung in das geltende Recht zu bieten, oder gar die Pandekten-Vorlesung beizubehalten, wie es in Österreich geschehen ist, finden wir nicht für angezeigt: es darf denn doch nicht ausser Betracht fallen, dass das römische Recht nie bei uns rezipiert worden ist, und dass auch sein Einfluss auf unser Civilgesetzbuch nicht so gross sein wird wie auf das österreichische und das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch. Dazu stellt die Entwicklung der Neuzeit, wie wir später sehen werden, an den Unterricht sowieso neue Anforderungen.

Das deutsche Privatrecht bildet, wie wir gesehen haben, kein einheitliches Ganze. So grosse Bedeutung dessen Rechtsgedanken zukommen zur Erklärung und tieferen Begründung des geltenden Rechts, so taugt es doch weniger zu formaler Ausbildung und juristischer Schulung. Dessen selbständige Vorlesung dürfte daher wegfallen und der bisherige Inhalt derselben soweit nötig in der Darstellung des geltenden Rechtes oder der Rechtsgeschichte Platz finden.

Neben diesen Hauptvorlesungen behaupten auch die bisher dem Privatrecht als Hilfsfächer beigegebenen, nebenbei auch andere Zwecke verfolgenden, ihre Bedeutung.

Es ist kein Grund vorhanden warum die Rechtsgeschichte, die auch das öffentliche Recht mitbehandelt, verkürzt werden sollte. Das Gesetzbuch hat keine sie ersetzende Geschichte, sondern fusst ja in seinen Bestimmungen,. wie wir gesehen haben, vorzugsweise auf römischem und germanischem Recht. Aber auch da, wo das nicht der Fall ist, wo also die Brücke zwischen der Kenntnis der römischen und deutschen Rechtsgeschichte und dem Verständnis des geltenden Rechts fehlen wird, zeigt dennoch die Geschichte noch, von welchen Faktoren das Recht anderwärts bedingt war, und mit welchen Mitteln man den Schutz von als schutzbedürftig erachteten Interessen bewirkte.

So wird sie auch in dieser Gestalt ihren Wert als Lehrmeisterin der Gegenwart für Gesetzgebung und Rechtsanwendung äussern. Nur werden manche Partieen von rein stofflicher Bedeutung für das römische und germanische Recht, im übrigen aber ohne Bildungswert, auch aus dieser Vorlesung wegfallen müssen.

Als selbstverständlich erachten wir es ferner, dass, wie neuerdings in dem Deutschen Lehrplan vorgesehen wird, den Vorlesungen über Geschichte sowohl als über Dogmatik eine Übersicht über das Ganze als Einführung vorausgehe, die unter dem Titel Enzyklopädie übrigens bei uns seit langem besteht.

Endlich wird, die gleiche Sorgfalt wie bisher auf die Übungen verwendet werden müssen. Entnehmen die exegetischen wie bis anhin mit Vorteil ihren Stoff vorzugsweise aus dem geschichtlichen Recht, so wird die Behandlung praktischer Fälle namentlich das, geltende Recht zu Grunde legen. Da letzteres als Vorlesung früher als bisher an die Reihe kommen soll, so wird, was sehr zu begrüssen ist, auch die Selbsttätigkeit des Studenten, die in den Übungen neben sein rein rezeptives Verhalten in der theoretischen Vorlesung tritt, früher beginnen.

Nun kommen aber noch aus den eigenartigen schweizerischen Verhältnissen abgeleitete neue Anforderungen.

Selbstverständlich wird man der Kenntnis der direkten Quellen, aus denen , das schweizerische Civilgesetz geschöpft hat, nicht ganz entraten dürfen. Da es nun grossenteils aus dem bisherigen kantonalen Recht herausgewachsen ist, so wird in der dogmatischen Vorlesung vielfach darauf Bezug genommen werden müssen Es wird kaum angehen, nach Einführung des einheitlichen Gesetzbuches die selbständige Vorlesung über die kantonalen Privatrechte beizubehalten, trotzdem nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechtes das bisherige Gesetz für vor Inkrafttreten des neuen zur Entstehung gekommene Rechtsverhältnisse in Geltung bleiben wird.

Dagegen dürfte sich empfehlen, die schweizerische Rechtsgeschichte als selbständigen Unterrichtsgegenstand beizubehalten,

wenn auch der privatrechliche Teil derselben in der deutschen Rechtsgeschichte mitbehandelt werden könnte.

Zu den bisherigen Disziplinen wird neu hinzutreten müssen die Rechtsvergleichung, das örtliche Seitenstück der Rechtsgeschichte.

Beide bilden den besten Damm gegen die mit jeder Kodifikation auftauchende Buchstaben-Jurisprudenz. Sie tragen in ähnlicher Weise zu Mehrung der Einsicht in das geltende Recht bei: durch die Übereinstimmung, wie durch den Gegensatz zum Fernliegenden wird der Blick für das Präsente geschärft. Dabei verbinden uns vielfach mehr Berührungspunkte und zwar hier mit gegenseitigem Geben und Empfangen — mit den Kulturvölkern der Gegenwart als mit der eigenen Vergangenheit.

Die Wünschbarkeit der Rechtsvergleichung trifft für uns in der Schweiz mehr als anderswo zu, weil unser Rechtsgebiet auch nach Annahme des neuen Civilgesetzbuches verhältnismässig klein, und zugleich unser Verkehr mit anderen Völkern ein sehr reger ist, wodurch auch unsere Universitäten in noch höherem Grade als anderswo Bildungsstätten von internationaler Bedeutung geworden sind. Dazu kommt, dass die Schweiz in ihren Nationalitäten verschiedene Kulturen repräsentiert, und dass die vorhandenen internationalen Büreaus bereits einen Sammelpunkt internationaler Beziehungen bilden und die Solidarität der Interessen aller Kulturvölker zu beredtem Ausdruck bringen.

Bisher war die Darstellung des grössten Teiles des schweizerischen Privatrechts selbst nur in vergleichender Methode möglich gewesen und hatte die Beschäftigung mit fremden Rechten notwendig mit sich gebracht, weil dieselben den kantonalen Gesetzbüchern als Vorbilder gedient hatten. Das wird wegfallen, und wenn auch vorderhand dem dringendsten Bedürfnisse durch die Hereinziehung fremden Rechts in die Hauptvorlesung Rechnung getragen werden mag, wobei auch die allgemeine juristische Bildung den Praktiker über Schwierigkeiten hinweghelfen, wird: so wird, je länger je dringender, die Rechtsvergleichung doch eine eigene Vorlesung erheischen wie sie bereits in einigen französisch-schweizerischen und Französischen

und bezüglich einiger Partien des Civilrechts auch in deutschschweizerischen Universitäten besteht, während die reichsdeutschen und österreichischen Universitäten, im Privatrecht wenigstens der Rechtsvergleichung gegenüber sich eher ablehnend verhalten.

Von den fremden Rechten bedürfen zwei einer besonderen Erwähnung: das Französische und das Deutsche, speziell der Code civil français und das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch mit einigen älteren Nebengesetzen. Da das französische Gesetzbuch in einigen Teilen der Schweiz geradezu Gesetzeskraft hat, so erklärt sich, dass es an drei Universitäten Vorlesungsstoff bildet. Die an einigen Universitäten eingeführte Vorlesung über das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch scheint auf die Bedürfnisse reichsdeutscher Studierender zugeschnitten zu sein. Daneben aber ist die schweizerische Bundesgesetzgebung von den Gesetzbüchern der Nachbarstaaten so beeinflusst worden, dass auch aus diesem Gesichtspunkt, und auch für schweizerische Studierende, das Interesse daran sich begreifen lässt, sind doch z. B. ganze Abschnitte des Schweizerischen Obligationenrechts wörtlich aus der deutschen Handels- und Wechsel-Gesetzgebung entnommen. Es ist naheliegend, dass man in der Schweiz die fremde Gesetzgebung und die Gerichtspraxis und namentlich auch die Literatur, wenn auch deren allgemeine wissenschaftliche Bedeutung der über Fragen des Gemeinen Rechts nicht ebenbürtig sein wird, ausbeutet. Immerhin wäre nicht zu begrüssen, dass man dies alles ungesehen hinnehmen würde, und speziell, dass die ausführlichere auswärtige Gesetzgebung gleichsam sich zum Kommentar unseres Rechts hergeben müsste, wofür in der Tat nicht geringe Gefahr besteht.

Mit der Rechtsvergleichung hängt zusammen das internationale Privatrecht, denn dasselbe soll uns zeigen, ob in einem Einzelfall die einheimische oder eine fremde, und welche fremde Rechtsnorm anwendbar sei. Diese Rechtsdisziplin besitzt bereits gegenwärtig an allen schweizerischen Universitäten Lehrstühle und weist damit indirekt auf die Wichtigkeit der Kenntnis des

fremden Privatrechts hin. Das internationale Privatrecht hat zur Zeit bei der Verschiedenheit der kantonalen Rechte neben der internationalen auch interkantonale Bedeutung. Diese wird mit der Rechtseinheit fast ganz wegfallen, aber durch das stetige Wachsen der Beziehungen mit dem Auslande wird die internationale Bedeutung allein die Belassung der Vorlesung vollauf rechtfertigen, wenn sie auch in Deutschland und Österreich im Gegensatz zu Frankreich fast gar nicht eingebürgert ist.

Es dürfte schliesslich noch die Frage gestreift werden, ob nicht in einem neuen Studienplane mehr Raum gewährt werden sollte zur Behandlung von Rechtsinstituten, die mit den modernen Errungenschaften des gewerblichen und industriellen Lebens, des Verkehrs in seinen viel verschlungenen mannigfaltigen Gestaltungen zusammenhängen.

Es wird dies von mancher Seite postuliert, während andererseits dem Verlangen entgegengehalten wird, ein in den allgemeinen Rechtsdisziplinen ausgebildeter Jurist werde durch seinen Fonds von Kenntnissen auch den gesteigerten neuen Anforderungen des wirtschaftlichen Lebens gewachsen sein.

Jedenfalls werden, wo es bisher der Fall war, auch nach Einführung des Civilgesetzbuches die Institute des Handelsrechtes den Gegenstand besonderer Vorlesung bilden können, und es wird Sache des Taktes des einzelnen Dozenten sein, zu ermessen, inwiefern darin den Rechtsgebilden der Neuzeit Raum zu gewähren sein wird.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass an die Studierenden, selbst bei Beschränkung des römischen und germanischen Rechts erhöhte Aufgaben herantreten werden. Verbindet man damit die ebenfalls zunehmenden Anforderungen des öffentlichen Rechts, so wird die Frage zu erwägen sein, ob die gegenwärtig für die juristischen Studien eingeräumte Zeit noch ausreiche. Deren Lösung hängt mit der zukünftigen Gestaltung der staatlichen Prüfung zusammen, über welche beiden Gegenstände hier nicht weiter gesprochen werden soll.

Die zuletzt genannten, wie die übrigen von mir berührten Fragen sind derart, dass es wünschbar wäre, wenn bezüglich

derselben unter den schweizerischen Rechtsfakultäten ein gemeinsames Vorgehen erzielt, ja dass an deren Lösung der ganze schweizerische Juristen stand mitarbeiten würde. Die gemachten Vorschläge wollen kein definitives Resultat bieten, sondern nur das akut gewordene Problem in Fluss bringen.