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II. Zivilgesetzbuch und Rechtswissenschaft.

Die Ziele der Privatrechtswissenschaft können sich nicht stets und überall gleich bleiben. Sie sind abhängig von den staatlichen Verhältnissen und dem jeweiligen Stande der rechtsgeschichtlichen Entwicklung. So waren denn auch die Aufgaben der schweizerischen Privatrechtswissenschaft, seit überhaupt von einer solchen gesprochen werden kann, einem raschen Wechsel unterworfen. Einen Juristenstand und eine privatrechtliche Wissenschaft, welche diesen Namen verdient und welche sich in der Rechtsprechung durchsetzen und ihren Einfluß auf die Gesetzgebung geltend machen will, gibt es in der Schweiz im allgemeinen und in Zürich im besonderen erst seit ungefähr hundert Jahren. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat Friedrich Ludwig Keller, der nachmalige Romanist an der Universität Berlin in seiner berühmt gewordenen und heute noch lesenswerten Streitschrift über "Die neuen Theorien in der züricherischen Staatspflege" (1828) ausgeführt, wie eine besondere selbständige Pflege des Privatrechts nottue, und zwar liege das Ziel in der theoretischen Entwicklung und sichern praktischen Anwendung des zürcherischen Rechtes. Das gebotene Bildungsmittel sei aber im Studium des römischen Rechtes zu finden. So führte Keller, was anderswo zumeist nicht gelingen wollte, von Anfang an die Scheidung des positiven Rechtes und der gemeinrechtlichen Lehre "mit sicherem Takt und freier Kritik" (Bluntschli, Erinnerungen

an F. L. Keller) durch. Er lehrte das römische Recht um seines erzieherischen Wertes willen. Mit dem auf diese Weise erworbenen Können sollte dann aber das zürcherische Recht gepflegt und gefördert werden. Und hierin lag in der Tat die besondere rechtswissenschaftliche Aufgabe der Zeit: in der geschichtlichen und materiellen Erforschung des einheimischen Zivilrechts. Die wissenschaftliche Erfassung desselben war unerläßlich für die Rechtsprechung. Denn diese verfiel einer zunehmenden Unsicherheit und drohte in Willkür auszuarten. Das war nicht anders möglich beim damaligen Stand der Rechtsquellen, welche in den lückenhaften Dorf- und Amts- oder Stadt- und Landrechten oft einen recht zufälligen Inhalt boten und immer noch das meiste dem Gewohnheitsrecht überließen und beim Mangel einer grundsätzlichen Erfassung dieser mannigfachen, bunten Rechte. Ganz besonders aber mußte die wissenschaftliche Behandlung die Vorarbeiten für die Zivilgesetzgebung des 19. Jahrhunderts leisten. Die jungaufblühende germanistische Forschung, wie sie besonders von Eichhorn und Jakob Grimm begründet wurde, wies die sicheren Wege. Denn die schweizerische Privatrechtswissenschaft mußte ihrem Gegenstand nach deutschrechtlich sein. Dem geschärften Auge erschloß sich ein unerschöpflicher Reichtum tiefer germanischer Rechtsvorstellungen. Aus dem Wirrwarr der lokalen Rechte, die in ihren Besonderheiten als willkürlich und zufällig erschienen, ergaben sich einheitliche Gedanken, ein Schatz nationalen Rechtes. Wie kaum irgendwo sonst hatte sich in unseren Gebieten das germanische Recht in bewunderungswürdiger Reinheit lebendig erhalten. Jetzt erlangten die Rechtsquellen, die bis dahin wissenschaftlicher Behandlung unzugänglich und unwert erschienen waren, eine erhöhte Bedeutung. Ihr Inhalt wurde gehoben — das Recht unseres Volkes gelangte zum erstenmal zu umfassender rechtsgeschichtlicher und dogmatischer Darstellung. Allen voran ging Bluntschli, der in seiner zürcherischen Staats- und

Rechtsgeschichte in intuitiver Erfassung der Zusammenhänge eine geniale Darstellung der lokalen rechtlichen Entwicklung bot. Die gleichen Wege wandelte die stattliche Reihe der ihm folgenden schweizerischen Germanisten des 19. Jahrhunderts.

In dieser Zeit gelangten die Kantone zu ihren kantonalen Zivilgesetzbüchern. Hauptsächlich in der Ostschweiz sind sie, in den fünfziger und sechziger Jahren, in enger Anlehnung an die Ergebnisse dieser germanistischen Forschung geschaffen worden, so vor allem das zürcherische privatrechtliche Gesetzbuch 1853—55, das Werk Bluntschlis. — So konnte denn Friedrich von Wyß in seiner Antrittsrede über "das schweizerische Privatrecht in seiner Beziehung zur Rechtswissenschaft" (1863) die Pflege des kantonalen Gesetzesrechtes als das nächste Ziel der wissenschaftlichen Bearbeitung hinstellen. Daneben kündigte sich als weiteres Ziel die rechtsvergleichende Bearbeitung aller kantonalen Rechte an. Diese sollten zunächst nur einem vertieften Verständnis des eigenen kantonalen Rechtes und dem Rechtsverkehr von Kanton zu Kanton dienen. Doch konnte nicht verkannt werden, daß diese Studien auch einer kommenden Bundesgesetzgebung die Wege ebnen würden. Besonders in die sechziger und siebziger Jahre fallen die umfassenden Vorarbeiten für das schweizerische Obligationenrecht von 1883. Gleichzeitig setzt aber auch die zusammenfassende, rechtsvergleichende Darstellung der kantonalen Privatrechte ein, eine Arbeit, die schließlich in Eugen Hubers System und Geschichte des schweizerischen Privatrechtes (1886-1893) eine systematische Durchführung fand. Hieran schlossen sich unmittelbar die gesetzgeberischen Vorarbeiten für das Zivilgesetzbuch an.

Da dieses Gesetzbuch nunmehr Rechtskraft erhalten hat, bedarf die schweizerische Privatrechtswissenschaft neuer Zielsetzung. Denn nur die Klarheit über Weite und Enge der Aufgaben, die ihrer harren, weist ihr die zutreffenden

Arbeitsmethoden und sichert ihr tiefe und nachhaltige Wirkung.

Die erste Aufgabe, der sich die schweizerische Rechtswissenschaft zugewandt hat und der sie sich auch heute noch nicht entziehen darf, ist die "Verkündung der neuen Lehre", die Popularisierung des neuen Rechtes. Das ist freilich nicht eine wissenschaftliche Arbeit. Sie setzt aber die wissenschaftliche Erfassung des darzustellenden Rechtes voraus. Das ist in den letzten Jahren oft übersehen worden und die Propagierung erfolgte deshalb zuweilen mit völlig unzulänglichen Mitteln. Das muß um so mehr beklagt werden, als die Bedeutung dieser Aufgabe gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Gefahr, die zur Zeit über dem Zivilgesetzbuch schwebt und unter welcher es tatsächlich auch schon gelitten hat, liegt in der Übermacht der Tradition: Der Richter oder der Verwaltungsbeamte liest sein bisheriges Recht in das neue Gesetzbuch hinein, er löst alle Zweifelsfragen im Sinne der bisherigen Praxis, er füllt die Lücken aus mit den Mitteln des alten Rechtes. Diese Gefahren sind ganz besonders groß angesichts unserer Gerichtsorganisation, nach welcher die erstinstanzlichen Richter zumeist Laien sind. Diesen Lockungen muß der Richter erliegen, wenn er nicht mit der solidesten, gründlichsten Kenntnis des neuen Rechtes ausgerüstet ist. Und zwar genügt keineswegs die Paragraphenkenntnis. Denn leges non est verba earum tenere, sed vim ac potestatem. Er muß sich den Zusammenhang der Bestimmungen, Ziel und Zweck der Normen, den Geist, von dem das Werk erfüllt ist, zu eigen gemacht haben. Dazu müssen wir ihm nach unseren Kräften verhelfen.

Doch das Gesetz ist nicht nur für den Richter bestimmt. Es wendet sich an jedermann. "Es soll das Recht nicht allein in den Richtern und Anwälten ein lebendiges sein. Nicht in den engen Kreis dieser Juristenzünfte ist es eingeschlossen, noch für diese nur vorhanden. Es soll vielmehr in den Markigen und Schwachen, den Hohen und Niederen,

den Reichen und Armen, den Gebildeten und Ungebildeten, in allen und für alle soll es ein lebendiges Recht sein, sie alle umfassend, alle verbindend, alle beherrschend." (Bluntschli.) Noch die jüngste reiche Literatur über die Gesetzesanwendung liest sich zumeist, wie ob die Gesetze nur für den Richter geschrieben wären. Ja es fehlt auch nicht an einer gelehrten Doktrin, welche lehrt, daß der schlichte Volksgenosse kein "Normenadressat" sei. Eine solche Lehre hat einem bodenständigen und auf demokratischer Grundlage geschaffenen Rechte gegenüber keinen Raum. Dem Gesetz kommt keineswegs die beschränkte Bedeutung zu, Entscheidungsnormen für die Fälle zu bieten, die vor den Richter kommen. Seinen Bestimmungen soll vielmehr die Bedeutung von Gestaltungsnormen für das Leben zukommen. Seine Eigentums- und Arbeitsordnung will gesellschaftliche Organisationsform sein. Die tiefe Rechtsethik seines Familienrechtes bietet dem Rechtsgenossen Richtlinien seines Verhaltens, gestattet und verbietet, umzeichnet die Kreise der Freiheit und der Gebundenheit. Und manche von den elastischen Bestimmungen, die das Zivilgesetz bekanntlich begünstigt, wollen keineswegs nur auf das richterliche Ermessen verweisen, sondern sie appellieren in erster Linie an die Einsicht und richtige soziale Gesinnung der Rechtsgenossen. Wenn beispielsweise den mündigen Kindern, die ihren Eltern im gemeinsamen Haushalte ihre Arbeit und ihre Einkünfte zugewendet haben, bei der Erbteilung ein billiger Ausgleich zugestanden wird (Art. 633), überläßt das Gesetz die Rechtsbetätigung unmittelbar den Beteiligten, und nur wenn sie sich über das was billig und recht, nicht selbst zu einigen vermögen, soll der Richter entscheiden. Nur ungern wird dieser angerufen werden. So kommt dieser Verweisung auch die Einsicht des Bürgers eine nicht zu unterschätzende sozial-erzieherische Bedeutung zu. Aber alle diese Aufgaben im Dienste des Rechtslebens kann das Gesetzbuch wiederum nur erfüllen, wenn sein Inhalt zum geistigen Gemeinbesitz geworden ist. Nur so werden die

einzelnen Rechtsinstitute die Zwecke erfüllen können, um deretwillen sie aufgenommen wurden. Nur so werden beispielsweise die Bestimmungen über die Gemeinderschaft, über die Quellengemeinschaft, über den Willensvollstrecker, über die Gült, über die Eigentümerservitut, über die Kindesannahme usw. die ihnen zugedachte Bedeutung erlangen. Deshalb erforderte die Übergangszeit eine möglichst wirksame Popularisierung des neuen Rechtes und diese Aufgabe ist auch heute noch keineswegs abgeschlossen.

Die Wissenschaft darf sich dieser Arbeit aber auch wegen des erheblichen Vorteils nicht entziehen, den sie sich damit selbst sichert. Denn wenn sie sich an den weiten Kreis der Rechtsgenossen wenden soll, wird sie ihrer Wirkung nur gewiß sein können, wenn sie sich von einer absonderlichen Juristensprache möglichst frei zu halten vermag. Auch bietet ihr diese Fühlungnahme immer erneute Gelegenheit zur Selbstkontrolle ihrer Arbeit und deren Ergebnisse.

Diese erste Aufgabe ist denn auch zu verschiedenen Zeiten immer wieder von der schweizerischen Privatrechtswissenschaft in Angriff genommen und wohl auch mit glücklichem Erfolge gelöst worden. Es geschah dies in der Schweiz dank der demokratischen Art des hiesigen Rechts und Rechtslebens schon zu einer Zeit, in welcher die deutsche Wissenschaft dieser Aufgabe noch völlig fern stand. So bietet schon der Kommentar Bluntschlis zum zürcherischen privatrechtlichen Gesetzbuch eine echt wissenschaftliche und doch durchaus auch für Laien verständliche Begründung und Darstellung des Gesetzesinhaltes. So sind auch die Erläuterungen, die der Verfasser des Zivilgesetzbuches zum ersten Entwurf geschrieben hat (1901/02) eine für jedermann lesbare Darstellung der Probleme moderner Zivilgesetzgebung. Und so sind denn auch seither Darstellungen des neuen Rechtes erschienen, die volkstümlich sind ohne unwissenschaftlich zu sein.

Die zweite Aufgabe, die der Rechtswissenschaft zukommt, liegt in der Arbeit, die stets der dogmatischen

Rechtswissenschaft gegenüber einem positiven Recht zukommen wird. Es gilt, den Rechtsstoff systematisch darzulegen, die technischen Begriffe zu entwickeln, den Inhalt und die Tragweite der einzelnen Bestimmungen darzustellen, die Rechtssätze miteinander in die richtige Verbindung zu bringen, aus den einzelnen Normen Obersätze und allgemeine beherrschende Prinzipien zu gewinnen und daraus wieder die Folgerungen für das Einzelne zu ziehen. Auch diese Tätigkeit ist notwendig um die Herrschaft des neuen Rechtes durchzusetzen und zu befestigen. Sie ist die Grundlage objektiver Rechtsverwirklichung. Sie bewahrt ebensosehr vor einer innerlich zusammenhanglosen und in sich widerspruchsvollen Rechtsanwendung wie vor einer Rechtsprechung lediglich nach Routine und Präjudiz. Die Dogmatik zwingt vielmehr den Richter, sich immer wieder auf die Grundsätze des objektiven Rechtes zu besinnen. Aber auch der Erfüllung dieser zweiten Aufgabe kommt eine weit über die richterliche Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zu. Denn diese Formung der Rechtsgedanken führt zu ihrer Anerkennung und Durchsetzung in Verkehr und Leben selbst.

Doch auch hier stoßen wir auf eine Gefahr für das neue Recht. Und den neuen Kommentaren zum Zivilgesetzbuch gegenüber, die einen Umfang und einen wissenschaftlichen Apparat aufweisen, wie ihn die bisherige schweizerische Literatur zum positiven Recht noch nicht gekannt hatte, glaubte man nicht eindringlich genug auf diese Gefahr hinweisen zu können. Man befürchtet eine rein doktrinäre, scholastische Behandlung des neuen Rechts. Die Erfahrung bestätigt auch, daß die modernen gelehrten Kodifikationen nur allzu leicht zu einer Überschätzung des Gesetzeswortes und der formalen Zusammenhänge des Gesetzestextes führen.

Aber wenn anders der praktische Sinn der Schweizer nicht eine leere Einbildung, sondern eine Realität ist, wird schon er einen wirksamen Schutz gegen das Eindringen einer

unfruchtbaren Begriffsjurisprudenz bilden. Ferner sind die allgemeinen staatspolitischen Verhältnisse der Schweiz einer starren Gesetzesherrschaft nicht günstig. Wirkt die Volkssouveränetät an sich schon antiautoritär, so ließe sich das schweizerische Volk vollends nicht sein Privatrecht, das es sich in einer durch ihre Geschlossenheit, Folgerichtigkeit und Treue bewunderungswürdigen Entwicklung selbst geschaffen hat durch eine ihm wesensfremde formalistische Doktrin entziehen. Dazu ist der Anteil des Volkes an der Rechtssetzung und Rechtsanwendung viel zu stark. Darin liegt gerade der entscheidende Unterschied der Rechtsentwicklung in Deutschland und der Schweiz, daß die Gerichtsorganisation dort geschlossen auf einen gelehrten Juristenstand sich aufbaut, während die schweizerische Gerichtsverfassung eine solche ausschließliche Herrschaft der Juristen stets abgelehnt hat und stets ablehnen wird. Deshalb sind wir aber auch von jenem Konflikt zwischen Theorie und Praxis, unter dem andererseits das Rechtsleben schwer genug zu leiden hatte, durch das 19. Jahrhundert hindurch in der Hauptsache verschont geblieben. Schon die Rechtslehrer des zürcherischen politischen Institutes (1807-1833) waren durchwegs Männer der Praxis. Keller, Bluntschli, die beiden v. Wyß u. a. m. haben mitten im Rechtsleben gestanden und waren zumeist als Richter tätig. Sie haben auch alle einer harmonischen Verbindung von Theorie und Praxis das Wort gesprochen und von der Theorie stets verlangt, daß sie lebensvoll, wahr und praktisch sei. Diese Forderung hat "ihren guten und wahren Sinn, der nicht verdunkelt und verkleinert werden darf. Sie muß dazu führen, bei dem Studium des Rechts dem nachzugehen, was wirklichen Lebensgehalt hat und daher gar manches, was auf historischem und dogmatischem Gebiete in der Rechtswissenschaft schon gearbeitet worden ist, als wenig ersprießlich beiseite zu lassen. Die tiefe Spaltung und Kluft zwischen Theorie und Praxis, wie sie anderwärts vorkommt, darf nicht bestehen.

Einfachheit, Klarheit, reelle Bedeutung für das Leben im Gegensatz gegen künstliche, abstruse Spitzfindigkeit, gegen unfruchtbares Gedächtniswerk, das sind die Requisite, die mit gutem Fug und Grund geltend gemacht werden sollen". (v. Wyß sen.) —Jene äußere Verbindung von Theorie und Praxis hat sich bis heute erhalten. Wir anerkennen es dankbar, daß nicht weniger als sechs Mitgliedern unserer heutigen juristischen Fakultät eine richterliche Tätigkeit eingeräumt ist.

Daß aber innerlich unter dem neuen Recht nicht eine Scheidewand zwischen der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung entstehe, dafür bietet nicht zuletzt das neue Gesetzbuch selbst schon eine Gewähr. Und zwar schon durch seinen inhaltlichen Charakter. Es ist ein germanisches Rechtsbuch. Das deutsche Recht hat aber einer Behandlung durch eine formalistische oder Begriffsjurisprudenz zähe widerstanden. Dazu ist es zu tief und zu innerlich. Es betrachtet den Rechtsgenossen nie in einer künstlichen und lebensunwahren Isoliertheit, sondern trägt stets auch seiner Gliedstellung in den Verbänden Rechnung. Es weist deshalb stets auch einen publizistischen Einschlag auf. Deshalb ist ihm nicht beizukommen mit dem doktrinären Subjektivismus der gemeinrechtlichen Konstruktivjurisprudenz. Dazu kommt, daß das Gesetz selbst sich gleichsam in die richtige Distanz zum Rechtsleben einstellt. Stammler 14) der Verfasser der "Lehre vom richtigen Recht" sucht nachzuweisen, wie alle Einzelsätze des Gesetzbuches ihre inhaltliche Schranke finden durch die Anforderungen von Treu und Glaube. Und Jung (,,Das Problem des natürlichen Rechts" 1912) will nicht nur der Anerkennung eines natürlichen neben dem positiven Recht zum Durchbruch verhelfen, sondern er erklärt weiterhin, daß das positive Recht nur bedingt gelte, daß es für den Richter nicht sowohl ein Rechtsbefehl, sondern nur eine Erkenntnisquelle sei, ein bloßes Weistum, das ihm bei der von ihm zu treffenden Entscheidung den rechten Weg

weisen soll. Aber dem modernen Naturrecht widerfährt, was auch dem Naturrecht des 18. Jahrhunderts widerfahren war: In neuer, gelehrter Form verhilft es altem germanischem Recht zum Durchbruch. So war diese Erkenntnis in der Tat ein Besitztum des Volkes: Billigkeit muß das Recht meistern. Und davon geht jetzt auch das Zivilgesetzbuch aus. Wenn es in Art. 2 die Ausübung aller subjektiven Rechte in die Schranken von Treu und Glauben weist, bricht es allen nachfolgenden Bestimmungen die scharfen und verletzenden Spitzen ab, die sie haben könnten, wenn lediglich die Rechtskonsequenz herrschte.

Von ganz besonderer Bedeutung für die Arbeitsweise der Wissenschaft ist aber die Technik des Gesetzes. Ist dieses selbst fest und starr gefügt, ein ausgebautes engmaschiges Gitter, detailliert und kasuistisch, dann schlägt es auch die Wissenschaft in Fesseln. Die deutsche Rechtswissenschaft hat diese Gefahr erkannt und sie bewahrt sich mit bewunderungswürdiger Energie ihre Freiheit, und bereits ist sie damit auch Siegerin. Es ist ihr unzweifelhaft schon gelungen, das Gesetz selbst mit freierem Geiste zu erfüllen, als sich nach seiner Technik hat erhoffen lassen. Die schweizerische Zivilgesetzgebung, sowohl die bisherige kantonale als die neue eidgenössische legt sich dagegen große Selbstbeschränkung auf. Sie ist nicht kasuistisch, will nicht alles regeln und paradiert nicht mit einem gelehrten technischen Apparat. Sie ist ganz auf den grundsätzlichen Gehalt unserer Rechtsordnung eingestellt. Dieser soll zu klarem und eindringlichem Ausdruck gebracht werden. Das übrige wird dem Rechtsleben selbst überlassen.

Deshalb hängt der Art. 1 des ZGB. auf das engste mit dem formalen Charakter des Gesetzbuches zusammen. Das Eingangstor ist streng. im Stil des Ganzen gehalten. Der Richter wird angewiesen, in den Fällen, in denen Gesetz und Gewohnheitsrecht keine Lösung geben, nach der Regel zu entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde.

Doch hat er dabei bewährter Überlieferung und Lehre zu folgen. Damit wird die Rechtslehre zum Rang einer Rechtsquelle erhoben. Es wird ihr vom Gesetz selbst ein Anteil an der Rechtsfortbildung eingeräumt. Aber der Richter muß keineswegs nur dann regelbildend tätig sein und nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde, wenn er auf eine echte Lücke des Gesetzes stößt. Auch bei der Auslegung des Gesetzes und selbst bei der Begriffsbildung muß er in der gleichen Weise vorgehen, die Interessen bewerten und abwägen, nach Zweckmäßigkeits- und Gerechtigkeitserwägungen entscheiden. In demselben Umfang erweitert sich damit auch der Anteil der Rechtswissenschaft am Ausbau des Rechtes. Sie muß schon bei der systematischen Behandlung des Rechtes kritisch verfahren. Sie muß die Zwecke der Vorschriften aufdecken und daraus die Tragweite ihrer Geltung bestimmen. Sie muß nicht erst in der Lückenausfüllung, sondern schon in der Auslegung, welche beide Tätigkeiten auch gar nicht scharf voneinander getrennt werden können, gesetzgebungsmäßig vorgehen. Hier überall muß sie Interessen gegeneinander abwägen und Werturteile abgeben. Nur auf diese Weise soll sie zu den Grundsätzen gelangen, die sie aufstellt.

Diesen Sätzen aber hat der Richter nur zu folgen, wenn sie bewährt sind, und noch viel mehr wird auch der Verkehr sie nur dann anerkennen und sich nach ihnen richten. Die Sätze, die die Wissenschaft aufstellt, müssen somit den Anforderungen eines richtigen Rechtes entsprechen. Sie müssen somit jedenfalls gerecht und zweckmäßig sein. Sie müssen auf objektiv zutreffenden Wertungen beruhen. Nur dann sind sie gemeingültig, richtig. Nur dann können sie den Anspruch auf Anerkennung erheben.

Diese eigenartige, kritische, bewertende Aufgabe ist keineswegs neu. Sie kam schon der bisherigen Rechtsprechung und Rechtslehre zu. Gerade die Eigenart der schweizerischen Rechtsquellen, ihre Kürze und Lückenhaftigkeit,

bedingten eine ganz umfassende richterliche und rechtswissenschaftliche Tätigkeit im Sinne der Ergänzung und Fortbildung des Rechtes. Es verdient aber auch hervorgehoben zu werden, daß diese lückenausfüllende und schöpferische Funktion der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft auch in der Doktrin des schweizerischen Privatrechts stets anerkannt war. Neu ist somit lediglich die ausdrückliche Anerkennung dieser Aufgabe durch den Zivilgesetzgeber. Diese aber begrüßen wir, weil sie die Einsicht in die Bedeutung der rechtswissenschaftlichen Arbeit fördert, und weil sie geeignet ist, der Rechtswissenschaft selbst die allzeit richtige Erfassung ihrer Aufgaben zu erleichtern. Nur diese aber gewährleistet die richtigen Arbeitsmethoden.

Die Bedeutung der Aufgabe, die der Rechtswissenschaft zugedacht, ist nicht zu verkennen, aber ebensowenig, daß sie die größten Anforderungen an ihre Vertreter stellt. Gesetzeskenntnis, Rechtsgelehrsamkeit und Dialektik reichen nicht aus. Sie verlangt vor allem Beobachtungsgabe und Wirklichkeitssinn. Diese müssen das Verständnis für die Vorgänge, Bedürfnisse und Anschauungen des Lebens vermitteln und dazu befähigen, aus dem Wirrwarr der Erscheinungen das Wesentliche und Typische herauszuerkennen, den juristischen Tatbestand zu analysieren. Die juristische Diagnose bietet nicht weniger Schwierigkeiten als die medizinische. So hoch die Kenntnis der Gesetze und der Ergebnisse rechtswissenschaftlicher Forschung auch zu bewerten ist, sie allein machen den Juristen noch nicht. "Ihm ist außerdem ein zur vollen Reife entwickelter Wirklichkeitssinn unentbehrlich, der ihn befähigt, die Verhältnisse des Lebens auf den mannigfaltigen Gebieten seiner Betätigung völlig zu durchdringen und richtig zu erkennen" (Wildhagen). Außerdem erheischt diese Aufgabe eine sichere Urteilskraft, das ursprüngliche Vermögen die tatsächlichen Verhältnisse und Vorgänge richtig beurteilen zu können (Huber). Diese

Fähigkeiten liegen in der Tiefe der Persönlichkeit begründet. Sie sind deshalb in geringerem oder höherem Maße von Haus aus vorhanden und richten sich nicht nach Schuljahren und Examina, nicht nach Amt und Würde. Aber zweifellos können diese Fähigkeiten geweckt und gestärkt werden. Wie jede andere Disziplin arbeitet auch die unsere mit den Kräften, die sich ihr anvertrauen. Unsere Aufgabe ist es, diese Kräfte zu größtmöglicher Entfaltung und Förderung zu bringen.

So muß das klar erschaute Ziel uns die Wege weisen, die die Rechtswissenschaft zu beschreiten hat. Soll sie ihrer kritischen und schöpferischen Aufgabe gerecht werden, dann bedarf sie der Kenntnis der realen Vorgänge des Lebens. Nur wer die Lebensverhältnisse kennt, kann die Zwecke erkennen, die die gesetzlichen Bestimmungen verfolgen, nur er kann sie kritisch bewerten und ihre Tragweite erfassen, nur er sich mit Erfolg in den Dienst der Rechtsfortbildung stellen. So erschließt sich beispielsweise das Verständnis des Grundpfandrechtes im allgemeinen oder der Eigentümerhypothek im besonderen nur demjenigen, der eine zutreffende Vorstellung vom heutigen Realkreditverkehre besitzt und der die Entwicklung der modernen Geld- und Kreditverhältnisse in ihren Hauptzügen verfolgt hat. Ebenso sind das gemeine und bäuerliche Erbrecht der Niederschlag der ökonomischen Entwicklung und zugleich zielsetzende Stellungnahme zu derselben. Die Neuerungen des Familienrechtes werden nur verständlich durch die Wandlungen, die die Stellung des Mannes, der Frau, des Kindes, in den tatsächlichen Verhältnissen erfahren hat. Und daß dieser Einblick bei den Gesetzesauslegungen und -ergänzungen nötig ist, möge der Hinweis auf die Auslegung von Eigentumsbeschränkungen oder auf den Kampf zwischen der Freiheit des Individuums und der Macht der Verbände erhärten. Gerade dieses letztere Problem verweist auf ein wichtiges Feld der schöpferischen Rechtsprechung und Rechtslehre. Wer aber beurteilen soll,

wie weit die Bindung eines Arbeitgebers oder eines Arbeitnehmers durch die Verbände gehen dürfe und wann sie unsittlich zu werden beginne, muß die Interessen, die Güter kennen, um deren Wahrung es sich hüben und drüben handelt. — So ertönt denn auch in der reichen heutigen Reformliteratur am lautesten der Ruf nach umfassender wirtschaftlicher Ausbildung der Juristen. Der realistische Geist, der die Kulturwelt erfüllt, der Tatsachenhunger unserer Generation und wohl auch ihre naturwissenschaftliche Denkweise erhalten damit einen denkbar kräftigsten Ausdruck.

Die schweizerische Privatrechtswissenschaft hat gewiß ein volles Verständnis für die Bedeutung dieser Postulate. Wie wäre es auch anders möglich bei der ihr traditionell zukommenden und vom neuen Gesetz in aller Form eingeräumten hohen Aufgabe. Immerhin bedingen die eigenartigen Verhältnisse des schweizerischen Rechtslebens, auf die schon hingewiesen wurde, wie insbesondere unsere Gerichtsorganisation, daß manche Postulate nicht von der Dringlichkeit sind, die ihnen anderswo zukommen mag. Manches ist von unseren Hochschulen wohl auch schon vorweggenommen, so wenn der Ausbau der juristischen Fakultäten in rechts- und staatswissenschaftliche Fakultäten verlangt wird. Diese Organisation ist an den deutschschweizerischen Universitäten mit gutem Bedacht von Anfang an durchgeführt worden. So räumte schon das zürcherische politische Institut, der Vorläufer unserer Hochschule, nicht nur den öffentlich-rechtlichen Vorlesungen und der Geschichte unter besonderer Bezugnahme auf die Entwicklung der Staatsverfassungen, sondern auch der Nationalökonomie und selbst schon der Statistik einen sehr bedeutenden Platz ein. Und wenn anderswo nunmehr mit besonderem Nachdruck die Ergänzung der Sozialökonomie durch die Privatökonomie verlangt wird, dürfen wir darauf hinweisen, daß der Staat Zürich der erste war, der der jungen Disziplin ein Hausrecht in der Universität einräumte.

Ganz besonders liegen auch die seither in dankenswertester Weise durch Männer der Praxis übernommenen Vorlesungen vollkommen in der Richtung der jüngsten Wandlungen der Rechtswissenschaft und der in Deutschland angestrebten Unterrichtsreform.

Das Ziel liegt dabei keineswegs nur in der Vermittlung der Kenntnisse des wirtschaftlichen Lebens in seinen wichtigsten Erscheinungsformen und in seiner technischen Abwicklung. Vielmehr gelangen schon in diesen Vorlesungen auch die Beziehungen der wirtschaftlichen Vorgänge zum Recht zur Darstellung, die von anderer Seite aus wiederum von der Rechtswissenschaft aufgedeckt werden. Wir erhoffen deshalb von diesen Vorlesungen und Kursen ein lebendigeres Erfassen der Funktionen der Rechtssätze als der Regelung der Lebensverhältnisse und ein Verständnis für die Notwendigkeit einer systematischen und weit über die Zufälligkeiten der persönlichen Erfahrung bewußt hinausgehenden Betrachtung der Lebenstatsachen. Und darin liegt das Wertvollste der privat- und sozialökonomischen Ausbildung der Juristen, darin auch das Kriterium für die Bewertung dieser Studien: nicht sowohl in den positiven Kenntnissen als in der Schulung des Blickes für das Wesentliche und Typische, in der Schärfung der Beobachtungsgabe, in der Entwicklung des Sinnes für die Zusammenhänge des sozialen Geschehens.

Aber die Betrachtungsweise der Lebenserscheinung durch den Juristen ist eine verschiedene nach der Aufgabe, die er verfolgt. Sie ist eine andere für den Gesetzgeber und den Rechtsgelehrten als für den Richter. Nur jene befolgen eine Beobachtungsmethode, die derjenigen des Sozial- und Privatökonomen wenigstens verwandt ist. Sie erforschen in den Einzelerscheinungen das Typische und Allgemeine. Der Richter dagegen muß gerade das Eigenartige und Besondere des Einzelfalles in aller Schärfe erfassen. Er bedarf somit noch einer besonderen Lebenskunde, die ihm keine Volks- und Privatwirtschaftslehre zu bieten vermag. Er muß die konkreten Lebensvorgänge in ihren Ursachen, Zusammenhängen

und Abwicklungen scharf beobachten und lebendig erschauen können. Vieles wird hier freilich stets nur eine lange Erfahrung zu erreichen vermögen. Aber die Erfahrung ist ein teurer Lehrmeister, und die Zeche haben leider die Volksgenossen, die ihr Recht suchen, zu bezahlen. Und schließlich gewährleistet alle aufgehäufte Erfahrung doch noch nicht eine sichere Methode der Wahrheitserforschung. Die Rechtswissenschaft muß somit eine Wahrheitserforschungslehre bieten. Durch diese wird sie zur angewandten Psychologie. Und zwar muß sich auch diese Betrachtungsweise sowohl auf das Soziale wie auf das Individuelle erstrecken. Die Sozialpsychologie erschließt dem Juristen die Vorgänge bei der Bildung allgemeiner Urteile und Vorurteile, bei der Entstehung von Sitten und Gebräuchen, von Gewohnheitsrecht und Gesetz, sie zeigt ihm die Gründe und Grenzen des Rechtsgehorsams und die seelische Verfassung der Parteien und Stände des Volkes.

Die Individualpsychologie vermittelt ihm ein vertieftes Verständnis der richterlichen Tätigkeit. Vor allem aber dient die Psychologie der Parteien, der Zeugen, der Sachverständigen unmittelbar der Wahrheitserforschung. Hierin liegt die wichtigste Aufgabe der forensischen Psychologie. Sie hat eine Anleitung zu methodisch richtigem Beobachten der Lebensvorgänge, wie beispielsweise zur richtigen Zeugenbefragung zu geben. Diese richtige Methode der Beobachtung unter Ausschaltung der Fehlerquellen der Einzelbeobachtung kann sehr wohl gelehrt und angeeignet werden, und es darf nicht den Zufälligkeiten der Praxis überlassen bleiben, ob sie dort entwickelt wird. Und noch weniger geht es an, sich auf die intuitive Erfassung derselben zu verlassen. Die Gefahr ist zu groß, daß der Richter nur sein eigenes Seelenleben in die seelischen Vorgänge hineinprojiziere, die er zu beobachten und zu würdigen hat. Dieser Gefahr entgeht er nur, wenn er von der "Täuschbarkeit der subjektiven Evidenz" durchdrungen ist. Dies setzt aber psychologische Schulung und methodisches Beobachten

voraus. So muß die Rechtswissenschaft eine Methode der Beobachtung der äußeren und inneren Lebensvorgänge ausbilden und vermitteln. Die Vermittlung kann aber nur in der kritischen Anwendung selbst erfolgen. Nach dieser Richtung werden unsere Seminarien noch einen weiteren Ausbau erfahren müssen. Schon seit Semestern sucht unsere Fakultät auch den Anschluß an eine Rechtsauskunftsstelle zu erlangen, leider bisher erfolglos. Das wertvollste einer solchen juristischen Poliklinik läge in erster Linie in der uns damit gebotenen Möglichkeit einer angewandten Wahrheitserforschungslehre, in der Möglichkeit einer systematischen Schulung der Beobachtungsgabe.

Die Tatsachenerforschung bildet aber nicht nur deshalb einen wichtigsten Gegenstand der Rechtswissenschaft, weil es in jedem einzelnen Fall nur eine Wahrheit gibt, sondern auch deshalb, weil eine lebendige Erschauung der Wirklichkeit auch für die richterliche Streitentscheidung den sicheren Weg weist. So bedarf bekanntlich ein jedes Rechtsgeschäft, das zu Zweifeln Anlaß gibt, zunächst der Auslegung. Diese Auslegung muß "nach dem Laienverstand"erfolgen, ohne jede Rücksicht auf die juristische Konstruktion und ohne gelehrte Erforschung des angeblichen Willens der Parteien, lediglich nach der Anschauung, welche die Volksgenossen von dem konkreten Verhalten, das zu beurteilen ist, hegen. Diese Interpretation ergibt dann aber oft bereits eine ganz bestimmte Antwort auf die Frage, die im Streite liegt. Dann erheischt der Fall überhaupt keine Gesetzesanwendung. Er findet seine Lösung schon in einem frühern Stadium der Behandlung. Die Lösung liegt in der Auslegung des Parteiverhaltens, diese Auslegung aber ist dem Leben selbst abgelauscht. So einfach diese Grundsätze sind, so wird doch auch von unseren Gerichten immer noch gegen sie verstoßen. Der Jurist ist immer noch zu rasch mit dem Gesetze zur Stelle, statt sich zu bescheiden, das Leben zu betrachten, und wenn möglich die Lösung zu finden, die in diesem selbst schon liegt.

Doch die Rechtswissenschaft ist keine Naturwissenschaft. Schon ihre Wahrheitserforschungslehre ist eine andere als die jeder anderen Disziplin und bezweckt die wahre Erfassung des juristisch Erheblichen in jedem Tatbestand. Und die weite Welt des Realen bleibt ihr nur das Objekt der Regelung, das zu Regelnde. Die Regeln, die Normen treten diesem Objekt selbständig gegenüber, und sie bilden den engeren Gegenstand der Rechtswissenschaft. Da die Normen Werturteile sind, ist die Rechtswissenschaft wie die Sittenlehre eine Wertlehre. Dabei beschränkt sich ihre Aufgabe keineswegs auf die Darstellung der Gesetznormen. In der Auslegungstätigkeit und Lückenausfüllung ist sie selbst fortwährend bewertend und damit normbildend und schöpferisch tätig. Diese Aufgabe bestimmt auch die Methoden der wissenschaftlichen Rechtslehre.

Zunächst wird auch diese sich immer wieder auf den Gegenstand der Normen, die tatsächlichen Verhältnisse und auf die Funktionen der Rechtssätze im Leben besinnen müssen. So erblicken wir in der juristischen Soziologie eine bedeutsame Erweiterung des rechtswissenschaftlichen Arbeitsfeldes.

Sie ist die Lehre vom — außergerichtlichen — Leben des Rechts. Wer nur das Gesetz kennt, kennt noch bei weitem nicht die Gestaltung des Rechtsverkehrs. Die formale und die tatsächlich befolgte Ordnung können sehr weit auseinandergehen. Wir wollen aber das Recht kennen lernen, wie es lebt, nicht nur wie es im Buche steht. Manche gesetzliche Bestimmung steht nur auf dem Papier. So gewährt uns denn erst die Kenntnis des Rechtsverkehrs eine juristische Bedeutungslehre, einen Einblick in die wirkende Natur und Funktion der Rechtssätze. Miet- und Pachtverträge, Lieferungs-, Versicherungs-, Kreditgewährungsverträge, Kaufvereinbarungen, Statuten von Vereinen, Aktiengesellschaften und Genossenschaften sollen durchaus nicht nur einem kümmerlichen Anschauungsunterricht dienen, sondern sie sollen uns, in großer Zahl gesammelt und

kritisch durchforscht, zu einer systematischen Erfassung der Rechtswirklichkeit verhelfen. Das an unserer Fakultät errichtete Bilanzarchiv kann uns auch nach dieser Richtung wertvolle Dienste leisten. So erfahren wir, inwieweit das Gesetz sich durchzusetzen vermochte und inwieweit es mit seinen diapositiven Normen den Anschauungen und Bedürfnissen des Verkehrs entspricht. So wird jede einläßliche Untersuchung über Zahl und Inhalt der Eheverträge oder über die Bildung von Gemeinderschaften besonders unter Miterben oder über die Anwendung des Gültrechtes des neuen Gesetzbuches unseres angelegentlichsten Interesses versichert sein können. Der sichere Einblick in die Übungen des Lebens dient aber auch der unmittelbaren richterlichen Gesetzesauslegung und Lückenausfüllung. Denn in ihnen liegt ein gut Stück der Überlieferung, auf die das Gesetz (Art. 1 Abs. 3) den Richter für diese seine Aufgaben verweist.

Die kritische und normative Aufgabe der Rechtswissenschaft weist uns ferner auf das richterliche Recht als bedeutungsvolles Forschungsmaterial hin. Die heutige Literatur ist einstimmig in der Verurteilung des Präjudizienkultus durch den Richter. Jeder Einzelfall weist seine Besonderheiten auf. Und auch soweit dies nicht der Fall ist, soll der Richter der Gerichtspraxis doch nur folgen, solange sie sich als eine bewährte qualifiziert. Dagegen stellt sich die Rechtsprechung auf alle Fälle als eine so bedeutende Äußerung des Rechtslebens dar, als ein so reiches Material an richterlichen Werturteilen, daß sie die angelegentlichste Berücksichtigung durch die Rechtswissenschaft erheischt. In der aufmerksamen Verfolgung der Rechtsprechung und aller ihren Regungen und Tendenzen liegt eine besonders wichtige Betätigung der kritischen Rechtswissenschaft und oft genug ist dies die Form ihrer Mitwirkung bei der Ausgestaltung und Fortbildung des Rechtes.

Der tiefere Einblick in den politischen Charakter der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit weist auch dem Studium der Gesetzesmaterialien eine erhöhte Bedeutung

zu. Daß diesen keine Gesetzeskraft zukommt und der Richter nicht an sie gebunden ist, bedarf heute keiner Ausführungen mehr. Aber wenn gerade die jüngere Richtung in der Rechtswissenschaft die Berücksichtigung der Materialien völlig ablehnt und diese als überflüssig, ja schädlich am liebsten vollständig ausschalten möchte, ist dies nur erklärlich als Reaktion gegen die Schäden der frühern sogenannten dogmatisch-historischen Auslegung und als Ablehnung der Motive zum ersten Entwurf des d. BGB. Die Materialien zum ZGB. verdienen — ganz besonders für die Jahre des Übergangs —alle Beachtung, weil sie die Begründung der in das Gesetz aufgenommenen Werturteile enthalten, — weil sie vorzüglich zur Schulung des kritischen Denkens geeignet sind. Sie bieten gerade nicht eine formaljuristische, sondern eine kritische und "soziologische" Darstellung des Zivilrechtes.

Wenn wir in den gesetzlichen Bestimmungen Werturteile zu erblicken haben und uns die Aufgabe zukommt, selbst werturteilend und normbildend zu sein, dann kommt aber auch der Rechtsvergleichung eine hervorragende Aufgabe zu. In der sogenannten Zivilistik des 19. Jahrhunderts wurde ihr Wert im allgemeinen niedrig eingeschätzt Aber in der deutschrechtlichen Forschung bedingte der Stand der Quellen von Anfang an ein rechtsvergleichendes Arbeiten und diese Methode erwies sich als fruchtbar. Ebenso hat die schweizerische Privatrechtswissenschaft der letzten fünfzig Jahre beinahe überwiegend rechtsvergleichend gearbeitet und im Zivilgesetz liegt nicht zuletzt auch eine Frucht dieser Forschungsmethode. Die vergleichende Gegenüberstellung verschiedener Rechte schärft den Blick für das Wesentliche und läßt das Zufällige leicht als solches erkennen. Sie wirft oft ein überraschend scharfes Licht auf die rechtlichen Entwicklungstendenzen. Sie fordert auch zu kritischer Beurteilung förmlich heraus und ist auch deshalb geeignet, die funktionelle Bedeutung und die praktische Tragweite der Gesetzesbestimmungen ins helle Licht

zu rücken. Sie deckt die Besonderheiten unseres Rechtes auf und veranlaßt uns, den Gründen dieser Besonderheit nachzugehen. Sie lernt uns fremde Rechte kennen, verstehen und richtig einschätzen. Sie befreit die Wissenschaft von den nationalen Schranken, in denen die Rechtsentwicklung sich formell abspielt.

So wird die schweizerische Privatrechtswissenschaft sich die Vorteile nicht entgehen lassen, die sich besonders aus der durchgängigen Vergleichung des schweizerischen Gesetzbuches mit einer anderen modernen Kodifikation, mit dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben. Doch läge in der vergleichenden Heranziehung nur der Gesetzesnormen eine völlig willkürliche Beschränkung. Es gilt also auch die Rechtsprechung und die Wissenschaft dieses neuen Rechtes in ihren Ergebnissen zu verfolgen. Dabei ergibt sich eine sehr bestimmte Stellungnahme zu diesen Ergebnissen durch die Nachprüfung der Methode, mit welcher sie gewonnen wurden. Soweit die Urteile eines deutschen Gerichtes oder auch die Sätze der Wissenschaft lediglich mit den Mitteln der Begriffsjurisprudenz begründet werden, entbehren sie für uns des inneren Wertes. Denn sie beruhen auf dem Wortlaut und den formalen Zusammenhängen des Gesetzestextes, somit auf Momenten, die für uns Zufälligkeiten bedeuten. Eine derartige Theorie oder Praxis ist nur geeignet, unsere Juristen zu verwirren, und man kann deshalb auf sie nur Bezug nehmen, um vor ihr zu warnen. Es sei beispielsweise auf die Judikatur höherer und höchster deutscher Gerichte über die Formfehler von Testamenten und anderen formbedürftigen Rechtsgeschäften hingewiesen. Bei der Gleichartigkeit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse sind uns dagegen die von der deutschen Wissenschaft und Rechtsprechung in methodisch richtiger Weise als Werturteile aufgestellten Regeln ein Rechtsstoff von höchster Bedeutung. Es sei nur an die Entscheidungen und Lehren zu BGB. § 242 und §826 erinnert. Die deutsche Rechtswissenschaft

zu ignorieren, wie man uns hat zumuten wollen, wäre deshalb geradezu verhängnisvoll. In der andauernden kritischen Verfolgung ihrer Ergebnisse und in der Nachprüfung derselben auf ihren gemeingültigen Gehalt hin liegt eine sehr große und umfangreiche Aufgabe der schweizerischen Privatrechtswissenschaft, aber eine Aufgabe, deren Lösung das eigene Recht bereichern und in seiner Selbständigkeit nicht etwa beeinträchtigen, sondern vielmehr stärken wird.

Der methodische Ausgangspunkt, den uns die Aufgaben der Rechtswissenschaft bieten, sollte aber auch zu einer sicheren Beurteilung der Rechtsgeschichte und ihrer Bedeutung für die moderne Rechtswissenschaft verhelfen. Fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch erfreute sich die geschichtliche Methode in der Rechtswissenschaft einer beinahe völlig unangefochtenen Herrschaft und prägte ihr den Charakter einer historischen Disziplin auf. Aber um die Jahrhundertwende setzte die Reaktion ein. Auf verschiedenen Wegen wird ein neues Naturrecht zu gewinnen versucht und die Revision der juristischen Methodenlehre weist ausgesprochen antihistorische Tendenzen auf. Gegen die bisherige rechtsgeschichtliche Methode wird hauptsächlich ins Feld geführt: Die Aufgaben der Rechtswissenschaft lägen ganz und gar im Rechte und Rechtsleben der Gegenwart. Sie seien auf die Erkenntnis und Verwirklichung des Gerechtigkeitsideals mit den Mitteln und in den Schranken der heutigen Rechtsordnung gerichtet. Ihre Ziele würden ihr durch einen vorwärts gerichteten praktischen Idealismus gewiesen. Deshalb könne die Rechtsgeschichte nicht ein Bestandteil oder gar die Grundlage der Rechtswissenschaft sein. Den Bedürfnissen des Rechtslebens und der Rechtsprechung vermöge sie nicht zu dienen. Denn sie sei eben Geschichts-, nicht Rechtswissenschaft. Die Betrachtungsweise beider sei eine völlig verschiedene, diejenige der Rechtsgeschichte sei kausal, diejenige der Rechtswissenschaft teleologisch. Jene antworte auf eine Frage, die diese gar nicht stellt. Die Rechtswissenschaft frage

nach dem Wozu, und die Rechtsgeschichte antworte mit dem Woher. Ihre Antwort liege nicht in der Richtung unseres Erklärungsbedürfnisses. Sie decke ursächliche Zusammenhänge auf, während die Rechtswissenschaft die Erscheinungen auf ihre soziale Zweckmäßigkeit hin nachprüfe und danach werte. Wir wollen die bestimmenden und rechtfertigenden Gründe eines Rechtssatzes kennen, die Art der geschichtlichen Entstehung desselben könne uns gleichgültig sein.

Die Methode der historischen Schule habe aber umgekehrt auf die kritische Bewertung völlig verzichtet. Die Vernünftigkeit sei für sie hinreichend schon in der Existenz der Rechtsinstitute begründet gewesen. Eine eigene kritische Betrachtungsweise habe die historische Schule abgelehnt. Sie habe sich auf die genetische Erklärung beschränkt. Nach absoluten Wertmaßstäben zu suchen, wäre von ihr auch als eitles Bemühen abgelehnt worden. So sei die historische Forschung zu "jener Manier, die nur darstellt und beschreibt, aber nie mit einem Urteil lästig werden will" geworden und einem Relativismus verfallen, der in Skeptizismus ausarten müsse. — Von anderer Seite wird in Anlehnung an die geschichtsphilosophischen Untersuchungen von Windelband, Rickert, Simmel u. a. m. darauf hingewiesen, wie für die Geschichtswissenschaft die von ihr angestrebte reine Objektivität unerreichbar sei. Sie müsse von Anfang an mit einem Ausleseprinzip an die Fülle der Erscheinungen herantreten und müsse sie somit bewerten, um das Wesentliche und Unwesentliche auszuscheiden. Das geschichtliche Denken sei nicht das objektive Denken des Naturforschers oder des Mathematikers, sondern es sei ein kritisches, von Rickert sogenanntes wertbeziehendes Denken. Die Maßstäbe aber, die der Geschichtsforscher anlegt, findet er nicht in der Geschichte selbst, er müsse sie sich vorher schon gebildet haben. Der Geschichtsforschung gehe somit eine Besinnung auf normativ allgemeine Werte, soziale Kulturwerte, voraus.

Gerade diese Untersuchungen decken nun aber das Wesensverwandte der geschichtlichen und juristischen Arbeitsweise und die Bedeutung der ersteren für die letztere auf. Was heute für die Gegenwartswissenschaft postuliert wird, hat die rechtsgeschichtliche Wissenschaft des 19. Jahrhunderts in vorbildlicher Weise für die früheren Perioden unternommen. Sie hat sich, selbst schon zu einer Zeit, als die Naturwissenschaften damit nur erst teilweise begonnen hatten, der gründlichen sorgfältigen Tatsachenforschung hingegeben. Die deutsche Rechtsgeschichte hat dann aber auch — wiederum früher als die anderen geschichtlichen Disziplinen —die Zusammenhänge zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und dem Recht und dem Rechtsleben aufzudecken versucht. Die Rechtsgeschichte hat eminent soziologisch im Sinn unserer obigen Ausführungen gearbeitet. Vor allem aber hat sie den Entwicklungsgedanken mit aller Lebendigkeit erfaßt und auf das fruchtbarste verwertet, wiederum ehe er in den Naturwissenschaften zur vollen Herrschaft gelangte. All das macht uns gerade heute die geschichtliche Methode völlig unentbehrlich. Von der Rechtsgeschichte gilt was von der Rechtsvergleichung: Durch die Betrachtung seines Werdens wird uns die Eigenart des heutigen Rechtes ungleich lebendiger bewußt als wenn wir es in seiner Isoliertheit hinzunehmen hätten. Die Rechtsgeschichte deckt uns die gewesenen Rechtsordnungen auf als Voraussetzungen, Vorstufen und Kräfte der heutigen Rechtsordnung. Ebenso können die Wechselwirkungen zwischen Recht und Wirtschaft und somit die funktionelle Bedeutung der Rechtsnormen gar nicht hinlänglich an den Verhältnissen erhärtet werden, in denen wir mitten drin stehen. Und gar die stete Wandlung und Entwicklung des Rechts! Gerade diese muß dem modernen kritischen Juristen zu lebendigem Bewußtsein gebracht werden. Er muß mit sicherem Blick die feinsten Regungen der heutigen Rechtsentwicklung verfolgen können. Er muß allen Sinn für das Leben des Rechtes haben. Er

muß erkennen, wie sehr das Recht nach zehn- oder zwanzigjähriger Geltung des gleichen Gesetzes ein anderes sein kann. Dieses Leben des Rechts erschließt ihm aber nur der Entwicklungsgedanke und diesen kann ihm nicht das gegenwärtige Recht als solches, sondern nur als historisches Phänomen vermitteln. Und endlich gilt von der Rechtsgeschichte noch mehr als von der Rechtsvergleichung, daß sie die großen Entwicklungsrichtungen, die sich in der Vergangenheit wirksam erwiesen und in denen die Menschen der Gegenwart mitten drinnen stehen, aufzudecken vermag. So kann denn beispielsweise nur derjenige ein richtiges Augenmaß für die Stellung des Individuums in den Verbänden, wie etwa in der Familie erhalten, der die völlig andere Stellung von ehedem als Vergleichsmaßstab zur Verfügung hat. So kann das feine Sensorium für den individualistischen und für den sozialen Gehalt der heutigen Eigentumsordnung wohl wiederum nur dem zukommen, der erkannt hat, wie diese Ordnung aus einstiger Gebundenheit zur Freiheit sich durchrang und wie, wie weit, warum sich Elemente der alten sozialen Ordnung erhielten und die jüngste Gestaltung der Verhältnisse wieder neue Formen der Gebundenheit hinzufügte. So muß die vielberufene soziologische Rechtserkenntnis geschichtliche Rechtserkenntnis sein.

Darauf muß mit ganz besonderem Nachdruck vom Standpunkt der schweizerischen Privatrechtswissenschaft aus hingewiesen werden. Diese hat, wie schon gezeigt wurde, nie verkannt, daß der Jurist für die Gegenwart berufen und daß die Förderung und Wahrung des bestehenden Rechtes seine Aufgabe sei. Aber die Eigenart dieses Rechtes machte eine geschichtliche Betrachtungsweise je und je zur Notwendigkeit. Unser Privatrecht war zu tief in der Geschichte verankert, zu sehr ein Produkt jahrhundertelanger Entwicklung und der Erfahrungen von Generationen, als daß es eine von diesen Zusammenhängen abgelöste Betrachtungs- und Behandlungsweise ertragen

hätte. Seit wir eine schweizerische Privatrechtswissenschaft haben, erwies sich denn auch das geschichtliche Studium des einheimischen Rechtes als der beste Hort gegen Ratlosigkeit und Willkür wie gegen eine bloß formale, dem Wesen der Rechtseinrichtungen und den Anforderungen der Gerechtigkeit widerstrebende Behandlung. Und die lebendige entwicklungsgeschichtliche Erfassung des Rechts brachte denn auch die schöpferischen Taten zur Auslösung. Die großen Werke der schweizerischen Privatrechtswissenschaft sind getragen von der geschichtlichen Erkenntnis, erfüllt von historischem Geiste: das zürcherische und das schweizerische Zivilgesetzbuch. Damit ist auch der Wissenschaft des neuen Rechtes der Weg gewiesen. Dieses Recht kann lebenswahr nur dargestellt werden als das Ergebnis der gesamten geschichtlichen Entwicklung. Die richtige Methode kann nur in einer Synthese der kritischen und der historischen Arbeitsweise bestehen.

Nur unter der Mithilfe der geschichtlichen Betrachtungsweise vermögen wir endlich, die Rechtslehre zu einem Teil der allgemeinen Kulturlehre zu erheben und doch ist dies eine Anforderung, die wir an die Rechtswissenschaft stellen müssen, wenn unsere Auffassung über das Wesen der Rechtssätze richtig ist. Die Rechtsregeln sind als Werturteile aufs engste verbunden mit der allgemein kulturellen Beurteilung der Lebenstatsachen. Das Recht, selbst eine großartige Kulturerscheinung, ist abhängig von der allgemeinen Kultur. Diese findet ihren schärfsten Ausdruck in der dominierenden Lebensanschauung einer Zeit, in ihrer philosophischen Orientiertheit. So hängt das positive Recht enge mit den Wandlungen der philosophischen Anschauungen zusammen. Das gilt nicht nur für das öffentliche, sondern auch für das private Recht. Das preußische allgemeine Landrecht von 1794 ist erfüllt von naturrechtlichen Sentenzen. Der code civil von 1804 ist von dem gleichen Geiste getragen wie die Deklaration der Menschenrechte von 1789 und diese sind das Glaubensbekenntnis

der rationalistischen Philosophie. — Unsere zivilrechtliche Bundesgesetzgebung der Jahre 1874 bis 1883 über Zivilstand und Ehe, die Handlungsfähigkeit, das Obligationenrecht verleiht der Lebensanschauung des Liberalismus einen oft recht zugespitzten Ausdruck und stellt auch die Privatrechtsordnung mit Entschiedenheit auf den Boden jenes Individualismus, der in den subjektivöffentlichen Rechten unserer Bundesverfassung einen so lapidaren Ausdruck erhalten hat. Aber seither hat das sittliche Bewußtsein tiefe Wandlungen durchgemacht und die neue Art, das Verhältnis des Individuums zur Gemeinschaft zu bestimmen, beherrscht das Zivilgesetz und das revidierte Obligationenrecht.

Der Jurist muß sich dieser engen Zusammenhänge bewußt sein. Denn nur sie decken Ziel und Zweck der Normen auf. Er muß es aber auch deshalb, weil sich diese Abhängigkeit von der allgemeinen Kultur keineswegs auf das gesetzte Recht beschränkt. Sie gilt auch für jene weiteren Rechtsquellen, auf die das ZGB. verweist, für das Gewohnheitsrecht und die Überlieferung. Im Leben des Rechtes unter dem Gesetz und neben dem Gesetz vollziehen sich feine Wandlungen in denen sich die Änderungen in den allgemeinen und allgemeinsten Anschauungen der Zeit widerspiegeln. Also auch bei der Gesetzesauslegung und bei der Lückenausfüllung erweist sich das Recht als eine Äußerung der allgemeinen Kultur. So erklärt das Obligationenrecht unsittliche Verträge für nichtig. Aber der Eingeweihte weiß, welche Wandlungen die Anschauungen über sittlich und unsittlich erfahren haben, weiß, daß die Grenzen der Vertragsfreiheit heute bei gleichgebliebenem Wortlaut des Gesetzes sehr viel enger sind als vor dreißig Jahren.

Schon diese Hinweise zeigen, daß die bewertende Tätigkeit der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung den Juristen immer wieder bis auf die grundlegenden Probleme aller sozialen Gestaltung hinabführen. Die einfache Frage,

ob der Grundeigentümer einige Dezimeter von der Grenze entfernt einen Stacheldraht ziehen darf oder ob der Nachbar ein Verbot auswirken kann, führt auf die Grundprobleme des Eigentumsrechtes und seiner individualistischen oder sozialen Ausgestaltung zurück. Die Frage, ob eine bestimmte Bindung des Müllereibesitzers, der Bierbrauerei oder sonst eines Gewerbetreibenden oder des Arbeiters durch das Statut seines Verbandes und die von ihm versprochene Konventionalstrafe eingeklagt werden kann, beschwört eine Betrachtung der Grundstruktur der heutigen Gesellschaft herauf. Gerade deshalb darf die Beurteilung nicht nach dem Gefühl erfolgen. Dieses erliegt den Strömungen und Tendenzen des Tages, den Eindrücken der Stunde. Es führt zu einem unkontrollierbaren Subjektivismus und zu Willkür. Es ist wehrlos gegen das Eindringen einer Klassenjustiz nach der einen oder anderen Seite hin.

Unsere Aufgabe ist es demgegenüber gerade, zu einer Urteilsbildung zu gelangen, die auf Gemeingültigkeit Anspruch erheben darf. Somit kommt alles darauf an, einen sicheren Standpunkt für die Bewertung zu gewinnen. Der Wertmaßstab liegt nicht schon in den Dingen selbst. Er liegt nicht in den Übungen des Lebens, nicht in den Präjudizien und Motiven und er wird uns auch nicht durch Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte vermittelt. Er kann uns nur in einer allgemeinen Wertlehre geboten werden. Dies ist denn auch der Punkt, von dem aus für die Rechtswissenschaft wie für die anderen Geisteswissenschaften der Weg zur Philosophie gewiesen wird. Logik und Erkenntnistheorie bieten uns nicht nur eine allgemeine Wissenschaftslehre, die uns besagt, ob und inwieweit die Rechtslehre eine Wissenschaft sei, sie allein bieten uns auch die —für jede Wissenschaft unerläßliche —Methodenkritik und sie allein vermögen auch für unsere Disziplin die Prinzipien der Wertbildung zu entwickeln oder zu lehren, ob, inwieweit und wie wir zu objektiv richtigen, wahren, gemeingültigen Urteilen gelangen können. —

Ich bin mir wohl bewußt, daß den Laien in jeder Disziplin zumeist die Ergebnisse mehr interessieren, als die Art, wie sie gewonnen werden. Wenn ich trotzdem in beiden Reden, die das Amt des Rektorates mir zur Pflicht macht, und zugleich als Ehre einräumt, Fragen der juristischen Methodik behandelte, liegt das an der hervorragenden Bedeutung, die diese Probleme gerade im gegenwärtigen Stadium der schweizerischen Rechtsentwicklung haben. Stolze Aufgaben sind's, die uns zugewiesen. Das neue Recht bedarf der Pflege, der Befestigung, des Ausbaues. Zu einem guten Teil liegt es bei den Juristen selbst, ihren Anteil an dieser Aufgabe zu bestimmen. Die Stunde ruft sie auf, die Führung zu übernehmen. Der Allgemeinheit wird es zukommen, die Arbeit ihres Standes zu würdigen. Seit es eine schweizerische Rechtswissenschaft gibt, gibt es auch ein bald stärker bald schwächer kundgetanes Mißtrauen gegen die Juristen. Dieses hat den gleichen Grund wie das Mißtrauen, das das schweizerische Volk so lange gegen den privatrechtlichen Gesetzgeber, zuerst in den Kantonen, dann im Bund gehabt hat. Es ist kein Zufall, daß der letztere die Kompetenz zum Erlaß eines Zivilgesetzbuches erst volle fünfzig Jahre nach der Entstehung der neuen Eidgenossenschaft erhalten hat. Das Volk wollte nicht sein Recht, das es kannte und als wertvollen Kulturbesitz hochschätzte, gegen ein gelehrtes, ihm fremdes Juristenrecht dahingeben. Aber das Mißtrauen schwand, als es erkannte, daß in neuer besserer Form ihm sein eigenes urwüchsiges Recht wiedergegeben, ja erst recht zugänglich gemacht würde. Ebenso wird es der Arbeit der Juristen die Anerkennung nicht versagen, wenn es nur erst der aufbauenden Mitarbeit der Rechtswissenschaft sicher sein kann, wenn es aus unsern Taten zu erkennen vermag, daß die Rechtswissenschaft nicht auf tote Begriffe und enge Schablonen eingestellt ist, sondern überall in der Auslegung des Gesetzes und der Lückenausfüllung darauf, dem Leben zu dienen und überall

der materiell bestmöglichen Lösung zum Durchbruch zu verhelfen. Mit dem Volk haben auch bedeutende große Männer Worte scharfer Verurteilung gegen die "Rechtsgelehrsamkeit", gegen die "elende Juristerei", gegen diese "illiberalste Wissenschaft" gefunden. Und mehr als ein hervorragender Jurist hat eingestanden, daß sie ihm nur eine "Zwangs-, Not- und Brotwissenschaft" gewesen sei. Das ist überaus seltsam einer Wissenschaft gegenüber, deren großartiges Studienobjekt nichts anderes als die Regelung des menschlichen Zusammenlebens selbst ist, deren Betätigung des künstlerischen Einschlages, des schöpferischen Charakters nicht entbehrt und deren Ziel kein niedrigeres als die Gerechtigkeit ist. Aber ein näheres Zusehen zeigt auch, daß jene Urteile zumeist gerade jener Jurisprudenz galten, gegen die auch das Volksempfinden stets in aller Schärfe reagiert hat, die nicht das Leben, sondern nur die juristischen Formen und Formeln kannte und in konstruktive Künsteleien verfiel. Es ist ein keckes Wort, das ein deutscher Rechtsgelehrter aussprach: Die Dialektik sei die unfruchtbarste unter den Gaben des menschlichen Geistes und die Volksauffassung habe sie je und je mit Vorliebe dem Mephisto zugedacht (Ehrlich). Es ist ein gutes Wort, daß auch das Arbeiten des Juristen von jenem Bewußtsein erfüllt sein müsse, das wir immer wieder bei dem Laien als den festesten Besitz seines Rechtsdenkens antreffen: Das Gesetz könne nichts ungerechtes und ungereimtes wollen (Fuchs). Und es liegt ein schönes und stolzes Programm in der Bezeichnung unserer Wissenschaft als der Gerechtigkeitswissenschaft, ein Programm, dessen Befolgung den Juristen einen erweiterten Anteil an der Rechtsprechung sichern wird. Diese Forderung müssen wir schon heute erheben, wenn sie auch ihre volle Bedeutung erst bei der Aufstellung einer eidgenössischen Gerichtsorganisation erhalten wird. Völlig fern liegt es uns, nach einer Gerichtsorganisation nach dem Vorbild der deutschen zu rufen und die Besetzung der Gerichte nur mit Juristen

als das Ideal hinzustellen. Jene Forderung aber ist geboten, und sie ist erreichbar wie die Vereinheitlichung des Rechtes erreichbar war, sobald das Volk über die Grundlosigkeit seines Mißtrauens vergewissert ist. Und es wird dies mit der Einsicht, daß sich die juristische Betätigung der Juristen von derjenigen der Laien nicht durch eine andere Zielrichtung, sondern vielmehr nur durch die größere Sicherheit in der Wahrheitserforschung und durch eine sicherere grundsätzliche Behandlung der Rechtsfragen auszeichnet.

Ich glaubte mit der Wahl dieser Themata aber auch der universitas literarum am besten den schuldigen Tribut zu entrichten. Denn so mannigfaltig die sachlichen Berührungspunkte der Rechtswissenschaft mit anderen Disziplinen sind, am bedeutungsvollsten finden sich die Wissenschaften zusammen in den grundlegenden Problemen der Methode. In diesen findet die Denk- und Empfindungsweise der Zeit ihren Ausdruck. Diese gemeinsame Grundlage bedingt in den verschiedenen Disziplinen gleichartige Tendenzen. Auch in der Kunstentwicklung zeitigt sie entsprechende Erscheinungen. Das Charakteristische der neuen Richtung in der Rechtswissenschaft liegt einerseits in dem gesteigerten Tatsachensinn, in einem kräftigen Realismus. Dieser verlangt von uns Lebenskenntnis und psychologisch vertiefte Wahrheitserforschung. Er verlangt aber auch von der Rechtshandhabung Einfachheit, Natürlichkeit, Zweckmäßigkeit. Verwandte Entwicklungstendenzen weisen die Theologie, die Nationalökonomie, die Psychologie, die Kunstbetrachtungslehre und zweifellos in erheblichem Maße die Kunst selbst auf. Die moderne Malerei und Literatur setzten in den neunziger Jahren mit dem Naturalismus ein, die Architektur und das Kunsthandwerk folgten mit ihrem Drange nach Aufrichtigkeit, Natürlichkeit und Sachlichkeit nach.

Aber zugleich erfolgt auch die Neubelebung des Idealismus. Der Intellektualismus wird überwunden. Die Phantasie wird wieder in ihr Recht eingesetzt. Das Gefühlsleben

erfährt eine starke Aktivierung. Ein Idealismus des Willens bricht an und kündet als höchstes die schöpferische Tat. Am stärksten und frühesten bricht auch dieser Zug der Zeit auf allen Gebieten der künstlerischen Tätigkeit durch, besonders in der Literatur, in der Malerei, in der Architektur bis hin zur Heimatkunst und zum Kunsthandwerk. Er führt zur Neubelebung des religiösen Lebens und zum sozialethischen Idealismus. Er beherrscht aber auch die Entwicklung der Wissenschaften. Diese treten aus der Isoliertheit heraus, in welche sie nach dem Sturz der klassischen Philosophie getreten waren. Immer mehr Einzeldisziplinen besinnen sich auf ihre Grundfragen und sehen sich so auf methodische Untersuchungen verwiesen, die unweigerlich zur Philosophie hinüberführen. So weisen die Geschichte und die Nationalökonomie, aber auch weite Gebiete der Naturwissenschaften, Methodenkämpfe auf, die denjenigen in unserer Disziplin wesensverwandt sind. So vollzieht sich die Überwindung eines unphilosophischen Materialismus auf der Grundlage der gleichen psychischen Verfassung unserer Zeit wie die Abkehr von der Konstruktivjurisprudenz.

Diese Gesamtentwicklung bringt uns die Befreiung von einer bloß begrifflich formalen Rechtsbetrachtung, die lebendige Erkenntnis von der schöpferischen Aufgabe der Rechtswissenschaft und das starke Bedürfnis, uns auf die allgemeinsten Bedingungen unserer Tätigkeit zu besinnen. Dabei ist es uns ein erhebender Gedanke, in der Besonderung unseres fachlichen Arbeitens eine Ausdrucksform des Lebens und Fortschreitens der allgemeinen Kultur erblicken zu dürfen.

Inhaltsübersicht und Literaturangabe.

Über die Aufgaben der schweizerischen Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrh. (S. 30 ff.), vgl. A. v. Orelli, Rechtsschulen und Rechtsliteratur in der Schweiz vom Ende des Mittelalters bis zur Gründung der Universitäten von Zürich und Bern 1879, F. von Wyß sen., Das schweiz. Privatrecht in seinen Beziehungen zur Rechtswissenschaft 1863, Fr. von Wyß jun., Über Rechtsstudium in der Schweiz und Studium des schweiz. Rechts 1874, Eugen Huber, System u. Gesch. d. schweiz. Privatrechts I 1 ff.

Über die Aufgaben der R.-W. unter einer neuen Kodifikation i. A. (S. 32), Zitelmann, Gefahren des bürg. Gesetzbuches für die R.-W. 1896, unter dem ZGB. im besonderen Egger, Personenrecht XXXff., Gmür, Z. d. bern. J. V. Bd. 41 S. 1 ff.

Der Popularisierung des neuen Rechtes (S. 33 ff.) dienen Isler, Der Übergang vom alten zum neuen Recht im Kanton Aargau 1911, Bühlmann, Das schweiz. ZGB. im Kanton Bern 1912, Egger, Das schweiz. ZGB. in s. wichtigsten Neuerungen, gemeinverst. Zusammenst. h. v. Reg.-Rat des Kantons Zürich, bes. Tuor, Das neue Recht 1912.

Über die dogmatischen Aufgaben der R.-W. (S. 35 ff.) Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, bes. S. 336ff., Eugen Huber, Bewährte Lehre, S.-A. aus d. pol. Jahrb. d. schweiz. Eidg. 25 S. 10, 42. Jung, Problem des natürl. Rechts 1912 S. 283.

Über die Gefahren der dogmatischen Bearbeitung, Zitelmann 1. c., Über Theorie u. Praxis (S. 37), und den Konflikt beider in Deutschland, v. Bülow, Ernste u. heitere Betrachtungen über die R.-W. 123 ff., Über die Verbindung beider in der schweiz. Privat-R.-W., vgl. die Vorträge der beiden v. Wyß, Gmür, Gegenwart u Zukunft d. schweiz. Zivil- und Handelsrechts 1913.

Über die materielle Eigenart des schweizerischen Zivilrechtes (S. 38) Huber, schweiz. Pr.-R. I 26 ff., IV 175 ff., ders. Deutsches Privatrecht, Schmollers Jahrb. f. Gesetzgebung, Verw. u. Volksw. 20 S. 93 ff., Egger, Schweiz. Rechtsvereinheitlichung u. d. Volkstümlichkeit d. Rechts 1904, ders. Arch. f. R.- u. W.-Phil. II III ff. -

Über mod. Gesetzgebungstechnik (S. 39) Kohler, A. f. civ. Pr. 96, 345 ff., Zitelmann, Kunst der Gesetzgebung 1904, Hedemann, Werden u. Wachsen im bürgerlichen Recht 1913. Über die Technik des ZGB. vgl. die bei Egger, Personenrecht XX zit. Literatur.

Über die schöpferischen Aufgaben der R.-W. (S. 40 ff.) Bluntschli, Monatschronik der zürch. Rechtspflege VI (1835) S. 185 ff., v. Wyß sen. und jun. in den zit. Vorträgen, Fazy, La centralisation et l'unification du droit en Suisse 1890. Huber, Bew. Lehre 1. c. — Für die deutsche Literatur Huber S. 29 ff. und bes. Kohler, Grünhuts Zeitschr. XIII 48ff. und Iherings

Jahrb. XXV 262 ff. Cruet, La vie du droit et l'empuissance des lois 1908 S. 24 ff.

Bedeutung und Methoden der juristischen Wahrheitsforschung (S. 41) Wildhagen, Der bürgerliche Rechtsstreit 1912 S. 58ff., Ernst Fuchs, Juristischer Kulturkampf 1912 S. 60 ff.

Tatsachenkenntnis und wirtschaftliche Ausbildung der Juristen (S. 42ff): Gerlach: Was kann geschehen, um bei der Ausbildung das Verständnis der Juristen für psychologische, wirtschaftliche und soziologische Fragen in erhöhtem Maße zu fördern? Gutachten für den 31. d. Jur.-Tag, Verh. Bd. II S. 804 ff., mit wertvoller kritischer Literaturverarbeitung, Fuchs 51 ff., Heinsheimer in Recht und Wirtschaft 1 4ff., insb. über die privatwirtschaftliche Ausbildung Gerland 1. c. 885, Warschauer, Banktechnische Ausbildung der Juristen, Beigel, Kaufm. Kenntnisse f. d. mod. Juristen, Obst, Kaufm. Ausb. d. Jur., Bachmann u. a. in Recht und Wirtschaft I 333 ff.

Über die psychologische Ausbildung (S. 45 ff.) trefflich Prof. Hans Reichel (Zürich), Über forensische Psychologie 1910, Gerland 1. c. 813 ff., 859 ff., Fuchs, Recht und Wahrheit in unserer heutigen Justiz 120ff., Mittermaier u. a. in Recht und Wirtschaft I 340 ff. Eine feinsinnige sozialpsychol. Studie bietet auch Franz Klein, Die psychischen Quellen des Rechtsgehorsams u. d. Rechtsgeltung 1912. Über die Bedeutung der Sozialpsychologie für die Rechtswissenschaft vgl. bes. Stammler, Theorie d. R.-W. 147 ff.

Über die juristische Soziologie (S. 47): Ehrlich, Gutachten f. d. 31. d. Jur.-Tag Bd. II S. 200 ff., ders. Schmollers Jahrb. 35, 129 ff., ders. Wirtschaft u. Recht I 273 ff., ders. Soziologie u. Jurisprudenz 1906, Sinzheimer, Die sog. Methode in d. Privatrechtswissenschaft 1906, Kornfeld, Soziale Machtverhältnisse, Grundzüge einer allgemeinen Lehre vom positiven Recht auf soziologischer Grundlage, Wien 1911. Kritisch Gerland 1. c. 817 ff., 871 ff.

Bedeutung der Präjudizien und der Materialien (S. 48) für die Rechtswissenschaft Rumpf, Gesetz und Richter 120ff., 130 ff., ders. Volk und Recht 26, Jung, Problem des nat. Rechts 18 ff., 268ff., 325ff.

Die moderne Rechtsvergleichung (S. 49), Meili, Die neuen Aufgaben der modernen Jurisprudenz 1892 S. 34ff., ders. Gesetzgebung und Rechtsstudium der Neuzeit 1894 S. 42 ff.,. Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, D. Jur.-Ztg. V 329ff., Klein, Möglichkeit e. Weltprivatrechts, S.-A. aus d. Festschrift f. Zitelmann 8ff. Insb. für d. schweiz. Privatrecht von Wyß sen. 18 ff., von Wyß jun. 20, 27, Eugen Huber, System des schweiz. Privatrechts I-III, Erl. I 5 ff.

Zur Kritik der geschichtlichen Methode (S. 51 ff.): Bülow Ernste und heitere Betrachtungen 56ff., Fuchs, Jur. Kulturkampf 100 ff., Jung, Problem des nat. Rechts 219ff., Wieland, Die hist. u. d. krit. Methode in d. R.-W., 1910 und die dort S. 37ff. aufgeführten

geschichtsphilosophischen Werke von Rickert und Windelband, Rumpf, Volk und Recht 89ff., für die geschichtliche Betrachtungsweise Ehrenberg, Die d. Rechtsgeschichte u. d. jur. Bildung 1894, Bülow, 1. c. 101, 137ff., Wieland, 16 ff., Zitelmann 1. c. 20, Kipp, Humanismus und Rechtswissenschaft 1912 S. 11 ff., vgl. auch Windelband, Praeludien (1912), krit. od. gen. Methode S. 352ff.; jetzt bes. auch Starnmler, Theorie der Rechtswissenschaft 759, 774ff. — Über die geschichtl. Methode der schweizerischen Rechtswissenschaft Fr. v. Wyß sen., 15 ff., Egger, Archiv f. Rechts- und Wirtschaftsphilosophie II III ff.

Über Recht und Kultur und die Abhängigkeit der Gesetzgebung und Rechtsprechung von der allgemeinen Kulturentwicklung (S. 55) Kohler, Rechtsphilosophie 23ff., Eugen Huber, Geschichte des schweiz. Privatrechts IV 210ff., Wundt, Über den Zusammenhang der Philosophie mit der Zeitgeschichte, Reden und Aufsätze 1913 S. I ff., vgl. auch S. 36ff., Rumpf, Recht und Kultur, in Recht und Wirtschaft I 217ff., ders. Volk und Recht S. 58ff. Bäumer, D. soz. Idee in d. Weltanschauungen d. 19. Jahrh. 1910 S. I ff., 348ff. Charmont, Le droit et l'esprit démocratique 1908 S. I ff., Tanon, L'évolution du droit et la conscience sociale 1911 S. 105ff.

Die Notwendigkeit einer philosophisch begründeten Wertlehre hat unter den Juristen besonders Stammler betont: Recht und Wirtschaft 2. Aufl. 1906 S. 161 ff., ders. Lehre vom richtigen Recht 1902, ders. Theorie der Rechtswissenschaft 1911 S. 262ff., 511 ff. Eugen Huber, Soziale Gesinnung, S.-A. aus d. pol. Jahrb. d. schweiz. Eidg. 1912, bes. S. 20 ff., Breuer, Der Rechtsbegriff 1912 S. I ff. — Rumpf, Volk und Recht 86ff., ders. Recht und Wirtschaft II 87ff. — Bülow, Ernste und heitere Betrachtungen 120ff., Windelband, Kulturphilosophie und transzend. Idealismus, Logos I 186ff., ders. Normen u. Naturgesetze in s. Praeludien, Rickert, Lebenswerte und Kulturwerte, Logos II 131 ff., bes. 160ff. — Herbertz, Philosophie u. Einzelwissenschaften 1913, Spranger, Wandlungen im Wesen der Universität seit hundert Jahren 1913 S. 25ff.

Kritische Urteile über die R.-W. (S. 58) hat Radbruch in seiner ausgezeichneten Einführung in d. R.-W. 2. Aufl. 1913 zusammengestellt. Vgl. dazu Fuchs, Frankf. Ztg. 1913 Nr. 12.

Über die Besetzung der Gerichte mit Juristen und Laien, Eugen Huber, bew. Lehre 42, 58, Fr. v. Wyß jun. 1. c. 11ff., Wildhagen 82ff., Fuchs, Jur. Kulturkampf 162.

Über die parallele Entwicklung in den andern Wisenschaften und in den Künsten (S. 60) Rumpf 58f., Jung 232ff., Lamprecht, Ergänzungsbände, bes. Bd. I zu s. Deutschen Geschichte, ders. Einführung in das hist. Denken 1912 S. 33ff., ders. Zwei Reden zur Hochschulreform 1910 S. 40ff., Auch Einer, Kunst der Rechtspflege, Jena 1909.