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Ansprache anlässlich der Eröffnung des Studienjahres 1924/25 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule

von Prof. A. Rohn, Rektor.
Hochgeehrter Herr Schulratspräsident, Meine Herren Kollegen, Liebe Studierende,

Zum zweiten Mal habe ich heute die Ehre, im Kreise zahlreicher Kollegen und Studierenden, das beginnende Studienjahr der Eidgenössischen Technischen Hochschule zu eröffnen.

Wie letztes Jahr beabsichtige ich auch diesmal, mich in erster Linie an unsere studierende Jugend zu wenden, und zwar besonders an die neu aufgenommenen Studierenden, die morgen zum ersten Mal die Stätte ihrer letzten, der fachlich-wissenschaftlichen Ausbildung betreten werden.

Es ist deshalb für mich zugleich eine ernst- und pflichtvolle Aufgabe und Freude, die Gelegenheit zu haben, unseren Studierenden die erste, kurze, grundsätzliche Wegleitung zur Berufsausbildung, die sie in unseren Instituten erhalten werden, zu geben; dies im vollen Bewusstsein, dass damit eine nicht unbedeutende Verantwortung verbunden ist.

Es entspricht den Traditionen unserer Hochschule, dass der Rektor anlässlich der Eröffnung des Studienjahres entweder über Neuerungen, persöhnliche Anschauungen, Forschungsergebnisse in dem von ihm vertretenen Fachgebiet spricht oder versucht, das Wesen und die Aufgaben des akademischen Unterrichtes darzustellen; letzteres in der Meinung, dass so der Allgemeinheit und besonders den neu eingetretenen Studierenden besser gedient sei.

Wenn ich mich wiederum, wie letztes Jahr, dazu entschlossen habe, allgemein gültige Gesichtspunkte zu behandeln, die — hoffe ich — dazu geeignet sind, unserer studierenden Jugend die Erreichung des gesteckten Zieles zu erleichtern, so geschieht dies, weil ich, als durchaus mit dem praktischen Leben verwachsener Ingenieur, der aus der Praxis zur Hochschule kam, vor allem das Bedürfnis empfinde, Ihnen zu schildern, was die Praxis von Ihnen erwartet.

In ähnlicher Weise wie wir früher als praktisch tätige Ingenieure die Entwicklung unserer jüngeren Mitarbeiter mit Sympathie verfolgt und mit Rat und Tat unterstützt haben, wollen wir heute als Hochschullehrer den Weg unserer Studierenden während ihres Aufenthaltes auf der Hochschule und nachher ebnen helfen — wobei wir selbstredend nicht vergessen wollen, dass Erfahrung Selbsterlebnis,

Selbsterkenntnis ist und dass somit unsere Worte nur eine sehr bescheidene, jedoch herzlich empfundene Beeinflussung Ihrer eigenen Lebensanschauungen darstellen können.

Liebe Studierende! Vor kurzem hatte ich den Besuch eines ausländischen Hochschuldozenten, der früher mit grossem Erfolg bei uns gewirkt hat; er kam zu mir mit den Worten: "Ihre Hochschule ist nicht mehr zu erkennen, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Arbeitsstätte und beneide Sie darum."

Diesen Gedanken möchte ich als ersten im Geiste unserer jüngsten Studierenden, der Schweizer wie der Ausländer, einprägen. Sie werden in den weiten, hellen Räumen der bedeutend erweiterten Bauten unserer Hochschule — die nun so gut wie vollendet sind — die Gäste der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die Gäste des Schweizer Volkes sein. Unsere Landesbehörden haben mit Weitblick und Opfersinn unsere Hochschule so ausgestattet, dass sie sich nach Anpassung an die Anforderungen der Neuzeit auf der ruhmreichen Laufbahn, die sie ihren Gründern und den hervorragenden Lehrkräften der ersten Zeit verdankt, weiterentwickeln kann.

Die Ausgaben des Bundes für unsere Hochschule betragen jährlich, ohne Einschluss irgend welcher Verzinsung oder Tilgung des Baukontos etwa zwei Millionen Franken. Unsere Teilnahme an dieser Bundesschenkung legt uns allen, die in diesen Räumen tätig sind, die Pflicht auf, unsere Arbeit, unsere Studien im Rahmen des uns durch die Landesbehörden bekundeten Interesses einzuordnen.

Ich lasse zunächst einige Angaben folgen über die Aufnahme von Studierenden in das erste Semester des Studienjahres 1924/25; vergleichsweise füge ich die Zahlen des letzten Jahres hinzu.

Die Höchstzahl in den Neuaufnahmen konnte unsere Hochschule im Jahre 1919/20 aufweisen; die Frequenzabnahme, die seither einsetzte, dauerte bis zum letzten Jahre, die Gründe hierfür habe ich an dieser Stelle vor Jahresfrist auseinandergesetzt. Uebrigens folgten früheren wirtschaftlichen Krisen ganz ähnliche Rückschläge.

Die Stauung, die die wirtschaftliche Depression der Nachkriegszeit ganz besonders in der Betätigung akademisch gebildeter Männer verursacht hat, lässt zwar langsam nach; immerhin sind die Beschäftigungsverhältnisse auf allen Gebieten der sogenannten "gelehrten Berufe" weiterhin ungünstig, sodass wir den Wunsch aussprechen möchten, dass dem eingetretenen Stillstand in der Frequenzabnahme keine allzu schnelle Steigerung auf die früheren Höchstzahlen folgen möge — sondern dass fortan Gleichgewicht bestehe zwischen Frequenz und Nachfrage seitens der Praxis.

Die Anpassung an die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse, d. h. die grösste Frequenzabnahme ist bei denjenigen Abteilungen eingetreten, deren Tätigkeitsgebiet von der Finanzlage des Staates, der Gemeindewesen, oder der grossen Bauverwaltungen abhängig ist; diese Organisationen haben heute eine einzige gemeinsame

Steuerjahr 1924/25 1923/24
Zahl der angemeldeteten Studierenden
(unter Abzug zurückgezogener Anmeldungen) 388 395
Zahl der Aufnahmen auf Grund von
Maturitätszeugnissen 266 259
Zahl der angemeldeten Studierenden, die sich
einer Aufnahmeprüfung unterzogen haben 122 136
Hiervon hatten Erfolg 91 85
Gesamtzahl der neu aufgenommenen Studierenden 357 344
wovon Ausländer 94 47
Die neu aufgenommenen Studierenden verteilen
sich auf die einzelnen Abteilungen wie folgt:
I. Abtlg. für Architektur 20 16
II. " " Bauingenieurwesen 44 52
III. " " Maschineningenieurwesen und Elektrotechnik 168 136
IV. "" Chemie 46 41
V. " Pharmacie 13 14
VI. "" Forstwirtschaft 6 16
VII. " " Landwirtschaft 40 39
VIII. " Kulturingenieurwesen 8 10
IX. "" Fachlehrer in Mathematik und Physik 6 7
X. " " Fachlehrer in Naturwissenschaften 6 12
XI. " " Militärwissenschaften — 11

Richtlinie, die Sparsamkeit! Die industriellen Unternehmungen sind zum Teil in der gleichen Lage, sie haben jedoch andere wirtschaftliche Richtlinien, die die Depression vom Standpunkt des Arbeitsmarktes weniger erkennen lassen.

Liebe Studierende! Dieser Hinweis auf die durch den Krieg in der Schweiz und in andern Ländern Europas geschaffene Gleichgewichtsstörung zwischen dem Angebot und der Nachfrage akademisch gebildeter Techniker — wodurch unsere Absolventen mehr als früher auf eine Auslands- oder Ueberseetätigkeit angewiesen sind — soll Sie in erster Linie auf den Ernst, mit welchem heute Hochschulstudien betrieben werden sollen, aufmerksam machen. Je schwieriger die wirtschaftlichen Verhältnisse sind, desto mehr ist eine gründliche, zielbewusste Vorbereitung auf der Hochschule erforderlich, desto mehr soll sich nur derjenige der Hochschule zuwenden, der durchaus dazu berufen ist. Nicht der Umstand, dass Sie die Hochschule besucht haben, sondern die Befähigung, die Sie besitzen, dort Kenntnisse zu erwerben und sie später fruchtbringend anzuwenden, wird Ihnen die befriedigende Anerkennung im praktischen Leben verschaffen.

Ich setze also in erster Linie voraus, dass Sie alle, die sie die Schwelle unseres ersten Semesters betreten, eine genaue Analyse Ihrer Fähigkeiten und Charaktereigenschaften vorgenommen haben,

dass Sie genau wissen, warum Sie studieren wollen und weshalb Sie Ihre Ausbildung in der einen oder anderen Berufsgattung in Aussicht genommen haben. Hierbei soll nicht die Aussicht auf lohnende Beschäftigung in der einen oder andern Berufsgattung, also vor allem nicht die heutige Konjunktur — wie das hässliche Wort heisst — massgebend sein, sondern allein Ihre Befähigung für den einen oder andern Beruf, Ihre Freude, ja Ihre Begeisterung dafür. Mögen auch die Anfänge schwierig sein, so wird dem Tüchtigen stets auf seinem Gebiet Erfolg in Aussicht stehen.

Freude am Beruf, Freude an dessen Vorbereitung birgt, bewusst oder unbewusst, in sich die Pflege gewisser Ideale, die heute mehr als je wegleitend während des Studiums, wegleitend während der ersten Jahre des praktischen Lebens sein müssen.

Wenn Sie zu uns kommen, muss es geschehen aus Liebe zur Wahrheit, der gemeinsamen Grundlage aller Wissenschaften, aus Liebe zur Natur, aus Liebe zur Technik, um später als frei denkende Männer aus eigener Kraft mit schöpferischem Geist tätig zu sein.

Während des Studiums wie nachher darf der junge Ingenieur keine materiellen Vergleiche ziehen mit anderen Berufsarten, die vielleicht nach kürzerer Lehrzeit materiell besser befriedigen; sein Ideal, das des frei schaffenden, des schöpferisch tätigen Mannes muss zunächst die Nachteile der materiellen Situation kompensieren.

Nur dieser freie Geist, der sich allein der Pflege des Wissens und Könnens widmen will, ohne Rücksicht auf spätere materielle Vorteile, erlaubt es unseren Studierenden, während ihrer Studienzeit und nachher die grundlegende und unerlässliche schöpferische Veranlagung zu entwickeln und mit jenen Energien versehen das praktische Leben anzutreten, die später am sichersten Erfolge im Beruf erhoffen lassen.

Liebe Studierende! Also nicht aus Familientradition, nicht materiellen Vorteilen zu lieb sind Sie zu uns gekommen, sondern aus freiem Entschluss zur Vorbereitung ihrer zukünftigen Tätigkeit auf einem Gebiet, das Ihren intellektuellen Aspirationen am besten entspricht.

Wir wollen niemals vergessen, dass der höchste Lohn des Akademikers darin liegt, dass ihm seine ganze Ausbildung zu stetigem Weiterarbeiten Anlass gibt; diese fortwährende Neubildung des Geistes verleiht ja dem Leben seinen innersten und tiefsten Wert, sie erfrischt fortlaufend und erhält unsere intellektuelle Kraft. Sollte dieser Vorteil, im Gegensatz zu der Tätigkeit des Mannes, der sein Leben lang im engen Rahmen stets die nämliche Arbeit leisten muss und dadurch geistig frühzeitig altert, nicht auch als Lohn gewertet werden können?

Bevor wir zur Behandlung der eigentlichen Frage des Wesens und der Aufgaben des Unterrichtes an unserer Hochschule übergehen, möchte ich kurz einen Rückblick auf die Neuerungen werfen, die seit Jahresfrist auf Antrag des Schweiz. Schulrats vom

Schweiz. Bundesrat gutgeheissen und mit dem 1. Oktober 1924 in Kraft gesetzt worden sind:

Das Reglement für die E. T. H. vom 16. April 1924 bringt u. a. als Neuerung für die Studierenden die Einführung eines Einschreibe-Heftes, das die bisherigen Inskriptionsbogen, die Aufnahme-Urkunden, die Zulassungskarten zu den Diplomprüfungen, die Austrittszeugnisse sowie sämtliche Kassaquittungen ersetzen soll. Wir hoffen, dass mit diesem Einschreibeheft der administrative Teil der Studien vereinfacht werde. Ferner führt das neue Reglement zwei neue Gruppen von Ingenieuren ein. In Zukunft werden die Abteilungen für Forst- und Landwirtschaft das Diplom eines "Forstingenieurs" bezw. eines Ingenieur-Agronoms" erteilen. Wenn es auch in erster Linie der französische Sprachgebrauch ist, der zu dieser Aenderung Anlass gab, so freut es doch den Sprechenden, als Träger des ältesten Ingenieurtitels, feststellen zu können, wie sehr diese Bezeichnung begehrt wird.

Am 10. Mai 1924 hat ferner der Bundesrat die allgemeinen Bestimmungen des Diplomregulativs, die für alle Abteilungen gelten, genehmigt. Diese Bestimmungen bleiben im allgemeinen den Traditionen, die unsere Hochschule. trotz allen Schwierigkeiten des letzten Jahrzehntes weiter verfolgen konnte, treu, indem nur durchaus qualifizierte Absolventen diplomiert werden sollen. Unsere Studierenden werden in dem einen oder andern Punkt eine Verschärfung bisheriger Bestimmungen erblicken; eine Verschärfung, die sie später im praktischen Leben als durchaus begründet betrachten werden, wenn sie die Bedeutung eines auf hoher Warte stehenden Diploms selbst erkennen werden. Inbezug auf die Termine, die einzuhalten sind bei der Anmeldung zu den einzelnen Prüfungsstufen, sind Erleichterungen eingeführt worden, um jede Härte zu vermeiden, die nichts mit der Qualifikation der Bewerber zu tun hat.

Ferner freut es mich, feststellen zu können, dass die Ausländerzuschläge, die seit 1921 erhoben wurden, wieder beseitigt worden sind. Vor einem Jahre bin ich an dieser Stelle warm für die Gleichstellung aller Studierenden an unserer Hochschule eingetreten; sie entspricht durchaus den besonderen Verhältnissen und den Traditionen unseres Landes, sowie auch seinen industriellen Bestrebungen. Auf Antrag des schweiz. Schulrates hat der schweiz. Bundesrat diesem vom Lehrkörper einstimmig unterstützten Postulat entsprochen.

Die ausländischen Studierenden sind also, wie früher, in jeder Hinsicht bezüglich ihrer finanziellen Leistungen an unsere Hochschulkasse gleichgestellt wie die einheimischen Studierenden.

Diese Massnahme ist nicht überall unter Abwägung aller ihrer Gesichtspunkte gewürdigt worden. Es wurde erwähnt, dass sie den Anstrengungen des Bundes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuwider laute, dass der Bund finanzielle Leistungen zu. Gunsten der Ausländer übernehme, und sogar, dass hiermit eine ausländische Konkurrenz grossgezogen werde. Von einer höheren ethischen und

volkswirtschaftlichen Warte aus betrachtet, bleibt nichts bestehen von diesen Einwänden. Die Schweiz ist stolz auf ihre freiheitlichen Traditionen auf politischem, sowie geistigem Gebiet, sie liegt im Mittelpunkt der Wechselbeziehungen mit dem Auslande; die an unserer Hochschule geknüpften Bande sind wertvoll für unsere, auf Qualitätserzeugung gestützte Volkswirtschaft.

Unsere Aufnahmebedingungen sind zur Zeit einer Revision unterworfen, über welche ich binnen Jahresfrist zu berichten hoffe. Auch diese Bedingungen sollen dem bisherigen Geiste der hoch qualifizierten Stellung unserer Studierenden treu bleiben und zum mindesten im Rahmen der schweizerischen Maturitätsprüfung liegen.

Ziemliche Arbeit hat das Rektorat jedes Jahr mit der Behandlung ausländischer Reifezeugnisse zu bewältigen, da zahlreiche hierauf gestützte ausländische Anmeldungen nicht ohne weiteres berücksichtigt werden können; diese Kandidaten entschliessen sich dann zum Teil zur Ablegung der ganzen oder teilweisen Aufnahmeprüfung. Bei der Nichtanerkennung ausländischer Reifezeugnisse wollen die Hochschulbehörden in keiner Weise einer Kritik an den Wert derselben ausüben; sie erklären vielmehr mit dieser Ablehnung dass sie nicht in der Lage sind, einwandfrei festzustellen, ob die vorgelegten Zeugnisse den Ansprüchen genügen, die die Verträge der E. T. H. mit den schweiz. Mittelschulen, voraussetzen.

Und nun, liebe Studierende, einige Worte über das Wesen und die Aufgaben unseres Unterrichtes:

Der Unterricht an der E. T. H. berücksichtigt in erster Linie die Erfüllung der wissenschaftlichen Anforderungen der Praxis; er sucht Männer heranzubilden, die sich relativ schnell wegleitend im technischen Leben einstellen können; dies unter Vermeidung einer Ausbildung in praktischer Hinsicht, die die Praxis schneller vermittelt, anderseits auch unter Vermeidung —wenigstens für die Allgemeinheit —einer rein theoretischen Schulung.

An den meisten Abteilungen sind sogenannte Normalstudienpläne aufgestellt worden, die den Studierenden angeben, wie sie ihre Studien in zweckmässiger Weise einteilen sollen. Die Aufstellung solcher Normalstudienpläne war nötig, um die Reihenfolge, die Verkettung der Disziplinen, die dem technischen Unterricht eigen sind, zu dokumentieren. Diese Normalstudienpläne geben an, in welcher kürzesten Zeit die Ablegung der Studien möglich ist.

Grundsätzlich besteht Studienfreiheit, d. h. jeder Studierende kann seine Studien in anderer Weise einrichten, als der Normalstudienplan vorsieht, wobei jedoch im allgemeinen mit dem Hinzufügen eines Semesters oder mehrerer Semester zu rechnen sein wird. Eine gewisse Einschränkung erfährt die Studienfreiheit durch Art. 14 des Reglements; er schreibt vor, dass "für den Zutritt zu den Vorlesungen und Uebungen der höhern Semester, deren Verständnis das Studium bestimmter Disziplinen voraussetzt, erforderlich ist, dass die vorbereitenden Fächer des Normalstudienplanes

absolviert worden sind". Der hiermit in Verbindung stehende ordnungsgemässe Abschluss der Uebungen und Praktika wird nach Art. 34 des Reglements "nach Erledigung des darin zu bewältigenden Stoffes" durch das Schlusstestat im Einschreibeheft bescheinigt.

Zweifellos erfordert die Organisation des technischen Studiums, wegen der schon erwähnten Verkettung der einzelnen Disziplinen, sobald das Diplom in kürzester Frist, gemäss Normalstudienplan erlangt werden soll, eine straffe Selbstdisziplin, die zum Teil hohe Anforderungen an die Willenskraft stellt. Viel mehr als es für andere akademische Gebiete zutrifft, erfordert das technische Studium einen systematischen Aufbau, ein zweckentsprechend es Aufeinanderfolgen und Ineinandergreifen der Lehrgebiete, ein gleichmässiges Arbeiten, wenn der Enttäuschung, die eintritt, sobald der Kontakt verloren ist, vorgebeugt werden soll.

Wir wollen diese etwas straffere Organisation des technischen Unterrichts nicht bedauern; sie bildet ja die beste Vorbereitung auf die künftige praktische Tätigkeit des Technikers, der als verantwortungsvoller Leiter von Bauplätzen, von Fabriken oder Bureaux stets mit dem Beispiel in Bezug auf zähes Ausharren bei der Arbeit vorangehen muss.

Dennoch, liebe Studierende, liegt es Ihren Lehrern fern, Sie irgendwie an den Normalstudienplan fesseln zu wollen; er ist lediglich die beste ökonomische Lösung für den Studierenden, der sich ganz seiner Aufgabe widmen kann.

Gesundheitsverhältnisse, Militärdienst, praktische Tätigkeit, Parallelstudien auf andern Wissensgebieten, besondere Vertiefung einzelner Disziplinen begründen ohne weiteres eine Verlängerung der Studienzeit.

Wenn wir von der Mittelschule zur Hochschule kommen, wobei wir oft gleichzeitig den Familienkreis verlassen, schwebt uns der Stern der Studienfreiheit vor Augen — nicht zuletzt oft aus Reaktion gegen die strengere Disziplin der Mittelschule. Nicht so tief immer wurzelt in uns, im neunzehnten Altersjahr, das Bewusstsein der Pflichten, die jede Freiheit uns auferlegt.

Wie viel schwieriger ist es doch im Gegensatz zum früheren Zwang, seine Studien nach eigenem Ermessen so einzurichten, dass dabei volle innere Befriedigung empfunden wird. jeder von Ihren Lehrern ist bereit, Ihnen beizustehen bei dieser freien Organisation ihrer Studien; sie ist allerdings einfacher und erwünschter bei einzelnen Studienrichtungen, z. B. für die Fachlehrer-Abteilungen, als für die Ingenieurwissenschaften, bei denen der Aufbau der einzelnen Gebiete keine grosse Vertauschung zulässt.

Das Ziel des Unterrichtes eines jeden Hochschullehrers ist die Behandlung der wissenschaftlichen Grundlagen seines Fachgebietes, die Beleuchtung des Grundsätzlichen. Hierdurch wird vor allem der erschwerende, das Interesse lähmende Ballast abgestossen; ferner wird der Weiterausbau angeregt und das funktionelle Denken

gefördert. Nicht alle Lehrgebiete erlauben in gleicher Weise diese Konzentration auf das Grundsätzliche. Die Praxis des Ingenieurs verlangt neben dem Wissen ein gewisses Mass des Könnens, das durch Uebung erworben wird. Aber auch dieses Können wird in weitestgehendem Masse nur in Grundlagen geübt.

Eine weitere Erschwerung der Konzentration auf das Grundsätzliche bietet zweifellos die rastlose Entwicklung der Technik. Denken wir z. 8. an die Entwicklung der Lokomotive. Noch nicht hat die Kolbendampflokomotive ihren Höhepunkt erreicht, als auch schon Turbinen- mit Diesel- und elektrischen Lokomotiven in Konkurrenz treten. Denken wir ferner an die Entwicklung der Stark- und Schwachstromtechnik, an die gewaltigen Aufgaben des Kraftwerkbaues, an die rastlosen Neuerungen auf chemischem Gebiet. Die fortwährende Anpassung an diese Entwicklung oder besser noch ihre wissenschaftliche Vorbereitung bedingen seitens des Hochschul-Dozenten einen stetigen Auf- und Abbau seines Lehrstoffes.

Die Hochschule ist nicht dazu da, um die praktische Handfertigkeit der technischen Mittelschulen zu vermitteln; wir geben ohne weiteres zu, dass infolgedessen unsere Absolventen zunächst auf kurze Zeit im Nachteil sein werden; die Praxis vermittelt jedoch weit schneller und in zweckmässigerer Form die rein praktischen Kenntnisse. Uebrigens können Sie durch scharfe Beobachtung — das ist ein Hauptmerkmal des tüchtigen Technikers — während ihrer Studien, während der Ferien und zu Beginn der Praxis, die schnelle Anpassung an die Bedürfnisse ihrer praktischen Tätigkeit sehr beschleunigen.

Wenn auch der gesamte Hochschul-Unterricht rein wissenschaftliche Ziele verfolgt, so ist doch an den meisten unserer Abteilungen der Beginn der Studien — die ersten propädeutischen Semester — nicht unwesentlich verschieden von ihrem Ende — den den Anwendungen gewidmeten Semestern.

Die Einstellung des Studierenden im Uebergang von den exakten Wissenschaften zu den technischen Anwendungen, welch letztere oft durch wirtschaftliche Erwägungen mit bedingt sind, ist nicht einfach; übrigens bleibt die Vorliebe für das eine oder andere Gebiet meistens auch später im praktischen Leben bestehen.

Auch die Uebungen der letzten Semester, die naturgemäss den grössern Umfang annehmen, können nur grundsätzliche Punkte behandeln. Der Studierende, der die schriftliche Diplomarbeit ausführt, wird zum ersten Mal die erworbenen Kenntnisse systematisch zusammenfassen können, wobei er auch zum ersten Male die Freude einer schöpferischen Gesamtleistung empfindet.

Liebe Studierende! Sie studieren, um Kenntnisse zu erwerben. Das soll Ihr erstes Ziel sein. Das Leben bewertet jedoch — weil ein anderer einfacher Masstab bisher. nicht erfunden worden ist — den Wert dieser Kenntnisse nach Massgabe von Prüfungsergebnissen. Wir empfehlen Ihnen dringend, Ihre Studien so einzustellen, dass

Sie diese Prüfungen ablegen können. Nicht nur für die Anfangsstellung, sondern, in Verwaltungen z. B., auch noch für Männer reiferen Alters wird der Nachweis erfolgreicher Studien verlangt. In erster Linie sollte versucht werden, diesen Nachweis in Form eines Schlussdiplomes zu erbringen; sollte dies missglücken, oder durch andere Umstände verunmöglicht werden, so wollen Sie rechtzeitig für Erlangung eines qualifizierten Abgangs-Zeugnisses bezw. Einschreibe-Heftes sorgen, das mehr Wert besitzt, als eine Sammlung von Vortestaten für das Belegen von Disziplinen!

Die grundsätzlichen Erwägungen, auf die sich der Unterricht stützt, wollen Sie auch beim Selbststudium vor Augen haben; vermeiden Sie sowohl eine weitgehende Spezialisierung als eine Zersplitterung auf zu viele Gebiete. Zersplitterung führt zur oberflächlichen Behandlung; was Sie studieren — auch im Rahmen allein des Grundsätzlichen — werden Sie vertiefen; erst dann haben Sie Ihre Kenntnisse erweitert. Vertiefung und Gründlichkeit sind Hauptgebote in der verantwortungsvollen Laufbahn des Technikers.

Bei jedem Fachstudium wird jeder von Ihnen auf Einzelgebiete stossen, die ihm wenig behagen, für die das Verständnis zunächst ganz zu fehlen scheint; dies, meine lieben Studierenden, sind diejenigen Gebiete, denen Sie nicht ausweichen dürfen, denen Sie im Gegenteil Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken müssen. Nachdem Sie diese Widerstände beseitigt haben, werden Sie etwas mehr Vertrauen in sich selbst haben, und hiermit beginnt das auf Tüchtigkeit beruhende Selbstbewusstsein, das so wesentlich ist in der Praxis, um führend und überzeugend zu wirken.

Gewöhnen sie sich überhaupt daran, schon während der Studienzeit, solange diese Aufgabe noch leicht zu erfüllen ist, Schwierigkeiten durch raschen Entschluss nicht nur zu beseitigen, sondern endgültig zu lösen, und dies stets ohne Rücksicht auf Ihre persönliche Bequemlichkeit.

Die Geistesgegenwart, die schnelle Entschlussfähigkeit ist eine unerlässliche Eigenschaft des Technikers. Erlauben Sie mir ein Beispiel aus meinem Fachgebiet, dem Brückenbau: Im Jahre 1907, beim Bau der eisernen St. Lawrencebrücke bei Quebec, deren Hauptöffnung 549 m weit ist, beobachtete der bauleitende Ingenieur, dass ein Druckstab leicht ausgebogen war, was einen Knickungsvorgang befürchten liess. Statt sofort den Weiterbau zu verbieten und Verstärkungen anzuordnen, reiste der Bauleiter zu seinem Vorgesetzten nach New York, zum Bericht. Vor ihm kam dort die Nachricht an, dass die Brücke eingestürzt sei, welcher Unfall 74 Arbeitern das Leben kostete und Eisenkonstruktionen im Werte von 12 Millionen Franken im Fluss versenkte.

Wir wollen uns auch bereits während der Studienzeit daran gewöhnen, uns klar auszudrücken, sei es im Gespräch, z. B. in der Diplomprüfung, sei es in der Schrift. Später im praktischen Leben handelt es sich seltener darum, Berufskollegen mündlich oder schriftlich zu überzeugen, als darum, gegenüber Männern anderer Berufe,

Politikern, Rechtsgelehrten usw., in möglichst einfacher, eindringlicher Weise, Projekte, eigene Anschauungen zu vertreten.

Die zähe Ueberwindung von Widerständen beim Ausbau der Kenntnisse, die schnelle Entschlussfähigkeit. das Ueben im logischen Denken und in der klaren Ausdrucksweise sind die Quellen des Vertrauens in sich selbst, das soviel dazu beiträgt, trotz der Enttäuschungen der ersten Zeit, trotz aller schweren Verantwortungen, den vorgeschriebenen Weg freudig empor zu steigen.

Während Ihrer Studienzeit und nachher, liebe Studierende, werden Sie alles aufbieten, um die "déformation professionnelle" zu vermeiden, die so gerne den Techniker ergreift, weil er vermöge der Eigenart und der Verantwortung seiner Aufgabe ganz in derselben aufgeht. Unsere Allgemeine Abteilung mit ihren mannigfaltigen Vorträgen aus nicht technischen Gebieten, aus philosophischen und staatswissenschaftlichen, historischen und politischen Wissenschaften wird Ihnen am Abend, zwischen 17 und 19 Uhr eine lehrreiche und willkommene Ablenkung und Gelegenheit zu wertvoller Weiterbildung geben. Auch die Kenntnisse über Sprache, Geschichte und Sitten anderer Völker, die Sie an unserer XII. Abteilung erwerben können, werden Ihnen später Ihre Tätigkeit auf internationalem Boden erleichtern. Keinem andern Akademiker ist eine solche Vorbereitung so nötig wie dem Techniker, dessen Tätigkeitsfeld keine Landesgrenzen kennt.

Wir glauben, dass unsere Hochschule an Vorlesungen und Uebungen, sei es in den Fachabteilungen, sei es an der Allgemeinen Abteilung auch eine genügende, gesunde Einführung in das Gebiet der Volkswirtschaft bietet. Allerdings wird uns oft, von Nicht-Technikern, oder von solchen, die es nicht mehr sind, der Vorwurf gemacht, dass unsere Hochschule den volkswirtschaftlichen Fragen zu wenig Interesse entgegenbringe. Während der letzten Jahre hat man überall den Versuch unternommen, die Kriegsfolgen durch wirtschaftliche Massnahmen abzuschwächen. So sehr diese Massnahmen im praktischen Leben zu begrüssen sind und so sehr wir es wünschen, dass der schaffende Techniker niemals vergessen möge, dass Technik und Wirtschaft nur eins sein können, so sehr glauben wir, dass es der Hochschule unmöglich ist, die Vorbedingungen zu erfüllen, die die Uebung in wirtschaftlichen Problemen erfordert. Das Verständnis für wirtschaftliche Fragen wird der junge Techniker erst erlangen, wenn er sie in ihrem wahren Rahmen praktisch durchlebt hat.

Die Hochschule hat zur vornehmsten Aufgabe wissenschaftliche Grundlagen zu vermitteln; sie wird das auch auf dem Gebiet der Volkswirtschaft tun. Aus der Technischen Hochschule, wie es im Ausland bereits geschehen ist, eine Hochschule für Technik und Wirtschaft machen zu wollen, dürfte dagegen nur falsche Hoffnungen bei ihren Absolventen hervorrufen, die durch ihre Ausbildung event. der ersten, segensreichen technischen Praxis beraubt werden. Unsere schweizerische Technik, die nur auf Qualitätsarbeit beruht, bedarf

einer gründlichen wissenschaftlichen Vorbereitung auf der Hochschule. Lieber an diesem Ziel festhalten als Halbes auf zwei Gebieten zu leisten.

Diese kurzen Betrachtungen über Wirtschaft und Technik führen uns naturgemäss zu derjenigen Frage wirtschaftlicher Art, die die grösste Bedeutung für den leitenden Techniker hat, nämlich seine Stellung zum Arbeitnehmer. Aber auch hier liegt ein Problem vor, das Sie nicht auf der Hochschule lösen werden, es sei denn während ihrer Ferienzeit, wenn Sie im Bureau, in der Fabrik oder auf dem Bauplatz praktisch arbeiten werden und so die Anschauungen des Arbeitnehmers — als Selbsterlebnis — erfahren werden.

Eine obligatorische Praxis vor Ablegung der Schlussdiplomprüfung kann unsere Hochschule kaum verlangen, da sie nicht in der Lage ist, ihre Durchführung bei den Unternehmungen oder Verwaltungen zu erzwingen; dagegen empfehlen wir Ihnen dringend, jede Gelegenheit zu benutzen, um alle diejenigen Arbeiten kennen zu lernen, die Sie später bei Ihren Hülfskräften beaufsichtigen sollen.

Meine Herren! Ich habe einleitend die Leistungen der Landesbehörden für den Ausbau der E. T. H. erwähnt. Der Rahmen, in dem wir uns heute bewegen, ist zu Studienzwecken der denkbar schönste, er gibt den Masstab, mit dem Lehrer und Studierende sich ihrer Aufgabe widmen wollen. Immerhin darf unsere Hochschule nicht auf dieser Entwicklungsstufe stehen bleiben. Wir sind den Landesbehörden zu bleibendem Dank verpflichtet für das, was sie während des Krieges für uns getan haben; dafür, dass sie es uns ermöglicht haben, in jeder Beziehung an den durch die Tradition gegebenen Richtlinien festzuhalten. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse mehren sich jedoch die Stimmen, die unsern Landesbehörden nahelegen möchten, auch die Wissenschaft mit dem rauhen Masstab zu messen, der bei den Budget-Beratungen Verwendung finden muss. Dieser Masstab lässt sich mancherorts vorübergehend ohne Schaden anlegen, im wissenschaftlichen Gebiet dürfte er dauernd zu Schaden führen.

Wir sind davon überzeugt, dass es dem Schweiz. Schulrat und den obersten Landesbehörden weiterhin gelingen wird, die Fortentwicklung des grossen Werks zu gewährleisten; die Behörden werden zweifellos wie bisher für den Ausbau unserer Institute und Laboratorien sorgen, ohne die für unser Land eigenartige einfache Zweckmässigkeit zu verlassen; sie werden auch darnach trachten, das geistige Leben, die Forschungstätigkeit der Dozenten in jeder Hinsicht erspriesslich zu gestalten.

Auch der schweizer. Industrie und den schweizerischen Unternehmungen sind wir zu Dank verpflichtet für die zahlreichen Beweise ihres Interesses. Als letztes Zeichen desselben erwähne ich nur die schönen Wandgemälde, die bemerkenswerte technische Objekte unseres Landes in den Gängen und Sammlungen der E. T. H. verewigen.

Und schliesslich gedenke ich heute auch der Gesellschaft der Ehemaligen Studierenden der E T H., die den Geist unserer Hochschule verkörpert. Die 3500 "Ehemaligen", die über alle Weltteile zerstreut, in unwandelbarer Freude am gewählten Beruf, kräftig der Alma mater zur Seite zu stehen, fordern Sie auf, liebe Studierende der jüngsten Generation, Gleiches zu tun wie die älteren, die nach einer tüchtigen wissenschaftlichen Vorbereitung, durch ihre Laufbahn in allen Weltteilen den Ruf unserer Hochschule gegründet haben, dank ihres Wissens, ihres Könnens und ihrer Arbeitsfreude; die Liebe zum Vaterland und zur Studienstätte mit derjenigen verbindend, die sie für das Feld ihrer Tätigkeit empfinden!

Chers Etudiants de Suisse Romande et du Tessin,

Le temps, dont je dispose, ne me permet pas de répéter ce que je viens de dire dans la langue de la majorité de nos auditeurs; du reste vous aurez certainement retenu les points principaux de mon allocution. Si je tiens cependant à y ajouter deux mots en langue française, afin que vous en saisissiez toute la portée, c'est pour souligner le caractère confédéral de notre école, la seule école fédérale de hautes études, c'est pour vous dire que vous êtes des nôtres tous aux même titre, et que, puisque vous êtes un peu moins chez vous que vos confédérés suisses allemands, nous nous occuperons volontiers un peu plus de vous, pour peu que vous en exprimiez le désir.

Meine Herren! Mein letzter Gruss gebührt dem Verband der Studierenden an der E T H., der unseren nüchternen Eröffnungsakt durch Fahnen- und Farbenschmuck verschönert. Wichtiger als dieser Schmuck ist aber für uns das Bewusstsein, dass diese Vertretung unserer Studentenschaft ein lebendiges Zeichen dafür ist, dass an unserer Hochschule Jung und Alt, Student und Lehrer in gemeinschaftlicher Arbeit eng mit einander verbunden sind.

Meine Herren, das Studienjahr 1924/25, das 70. seit Gründung unserer Hochschule, ist eröffnet.