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Ansprache des Rektors der Eidg. Techn. Hochschule,

Prof. Dr. C. F. Baeschlin,

am E.T. H.-Tag

21. November 1935

Auszug. Statistische Angaben über die Studierenden.

Im Studienjahr 1934/35 waren eingeschrieben 1774 Studierende, wovon 1317 Schweizer und 457 Ausländer; Damen waren 81 als Studierende eingeschrieben.

Die Zahl der eingeschriebenen Hörer betrug:
im Wintersemester 1934/35 1350
im Sommersemester 1935 727

Die Zahl der eingeschriebenen Studierenden beträgt gegenwärtig im Wintersemester 1935/36 1587.

Die Aufnahmen in die einzelnen Abteilungen zu Beginn des laufenden Semesters zeigen das folgende Bild:

Aufnahmen in höhere
Abteilung Vorjahr Total
1. Semester Semester
I, Architektur 30 ³ 33 4 77 37 10
II, Bauingenieurwesen . . . 40 3 50 12 41 4
III A, Maschineningenieurwesen 39 12 75 18 3 3 42 15
III B, Elektrotechnik 29 4 2 2 31 6
IV, Chemie 31 11 36 9 1 1 32 12
V, Pharmacie 24 1 18 ° 2° 26 1
VI, Forstwirtschaft 13 1 12° — 13 1
VII, Landwirtschaft 25 2 25³ — 25 2
Uebertrag 231 37 249 46 16 14 247 51

Aufnahmen in höhere Abteilung Vorjahr Total 1. Semester Semester Uebertrag 231 37 249 46 16 14 247 51 VIII, Kulturingenieur- und Vermessungswesen . . . 20 0 16° 1° 21° IX, Mathematik und Physik 20° 15° 1° 21° X, Naturwissenschaften . . 16° 15° 16 0 Total 28742 295 46 1814 305 56 Vorjahr 295 46 20 13 315 59

Die als Exponenten geschriebenen Zahlen bezeichnen die Anzahl der Ausländer.

Es ist also ein kleiner Rückgang der Studierenden festzustellen, was im Hinblick auf die Ueberfüllung der akademischen Berufe nur begrüßt werden kann.

Im Berichtsjahre ist der Bau des Maschinenlaboratoriums beendigt und seinem Zwecke übergeben worden. Mit diesem neuen Bau ist eine wertvolle Bereicherung der Lehr- und Forschungsmöglichkeiten an unserer Hochschule in Richtung des Maschinenbaues geschaffen worden; wir danken dafür den Hochschulbehörden, vor allem dem Präsidenten des Schweiz. Schulrates, Herrn Prof. Dr. A. Rohn, dem hohen Bundesrate und den die Kredite bewilligenden eidg. Räten. In nächster Zeit wird eine reich illustrierte Veröffentlichung, verfaßt von Herrn Prof. Salvisberg, über den Bau des neuen Maschinenlaboratoriums erscheinen, die allen Interessenten empfohlen werden kann.

Die Zeiten sind ernst. Die gespannte Finanzlage des Bundes zwingt die Behörden zu äußerster Sparsamkeit, auch in bezug auf die der Eidg. Techn. Hochschule gewährten Kredite. Wir begreifen und billigen es, daß ernsthaft gespart werden muß. Wir hoffen aber zuversichtlich, daß der Bundesrat und die eidg. Räte, trotz der Not der Zeit, der E. T. H. die zum Leben notwendigen Kredite nicht vorenthalten werden. Es handelt sich dabei um die Ausbildung der künftigen akademischen Techniker der Schweiz. Nur beste wissenschaftliche und praktische Methoden sind imstande unserer schwer leidenden Industrie neue Wege zu weisen und damit die Grundlagen zu neuer Prosperität zu schaffen. Die Gefahr ist groß, daß die kulturpolitischen Aufgaben des Staates unter dem Drucke der wirtschaftlichen Not vernachlässigt werden. Ich würde dies für unser Land als außerordentlich verhängnisvoll und als kleinmütige Selbstaufgabe betrachten. Kulturaufgaben sind sehr empfindlich; sehr schnell ist da großer Schaden angerichtet, den wieder gut zu machen lange mühsame Arbeit erfordern würde. Ich rufe die Versammlung auf, daß jeder an seinem Orte dahin tätig sein möge, daß der Staat die ihm obliegenden Kulturaufgaben nicht verkümmern lasse.

Nach diesem Rück- und Ausblick gestatten Sie mir, daß ich Ihnen ein uraltes wissenschaftliches Problem in seinen Grundzügen vorführe.

Es ist alte Tradition der Hochschulen, dal) der Rektor bei seinem ersten Kontakt mit der akademischen Oeffentlichkeit über ein Problem der von ihm vertretenen Wissenschaft referiert. Ich habe die Ehre, seit dem 80jährigen Bestehen unserer Hochschule zum ersten Male die Geodäsie im Rektorate zu vertreten. Deshalb möchte ich versuchen, Ihnen das grundlegende Problem der Geodäsie vorzuführen: Die Bestimmung der Figur der Erde.

Die Bestimmung der Gestalt und Größe der Erde drängte sich dem Menschen auf, sobald er die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß die Dimensionen unseres Planeten endliche seien. Der Grieche Eratosthenes, geboren im Jahre 276 vor Christi Geburt, führte die erste Erdmessung durch, d. h. eine Operation zur Bestimmung des Radius, der nach der Lehre der Pythagoräer kugelförmigen Erde. Doch ich möchte Ihnen keine Geschichte der Geodäsie darlegen, sondern Ihnen die grundlegenden Methoden zur Bestimmung der Erdfigur vorführen.

Zunächst müssen wir uns Klarheit verschaffen, was wir unter der Figur der Erde verstehen wollen. Wir unterscheiden zunächst die sogenannte physische Erdoberfläche, als die Begrenzungsfläche zwischen dem festen und flüssigen Teil unseres Planeten gegen den gasförmigen Teil. Diese Fläche, auf deren schließliche Bestimmung das Bestreben der Geodäsie gerichtet ist, stellt eine ungemein komplizierte Fläche dar. Zur vorläufigen Vereinfachung der Aufgabe bilden wir uns eine fiktive, also nur in unserer Vorstellung existierende Fläche, die sogenannte mathematische Erdoberfläche. Es ist eine typische Methode der Wissenschaft, vor allem aber der Mathematik, solche Gedankendinge zu definieren und mit ihnen weiter zu operieren.

Wir gehen aus von dem Begriffe der Meeresoberfläche und erkennen leicht, daß hier eine sehr viel einfachere Fläche vorliegt, als wie sie die physische Erdoberfläche im allgemeinen darstellt. Wohl ist die Meeresfläche bei Wellengang noch ziemlich kompliziert; bei vollständiger Windstille in einer geschützten Bucht nimmt aber die Wasseroberfläche eine bemerkenswert einfache Gestalt an. Um zu unserer Abstraktion der mathematischen Erdoberfläche zu gelangen, denken wir uns die Kräfte, welche zur Bildung der Wellen führen, also vor allem die Wirkung der Winde, weg. Ferner abstrahieren wir von den Kräften, die zu den Meeresströmungen führen und schließlich vernachlässigen wir die Wirkung der Anziehung der Gestirne, vor allein von Mond und Sonne, welche die Flutwellen des Meeres erzeugen. Nach diesen Abstraktionen stellt die idealisierte Meeresfläche die Gleichgewichtsfigur der Wassermassen der Weltmeere unter dem Einfluß der wirkenden Kräfte dar. Diese wirkenden Kräfte sind: 1. Die Massenanziehung oder Gravitation sämtlicher Massen der Erde auf ein betrachtetes Massenteilchen und 2. die aus der Rotation der Erde um ihre Rotationsachse folgende Reaktionskraft, die sogenannte Zentrifugalkraft. Die Resultierende dieser beiden Kräfte nennen wir die Schwerkraft. Ihre Richtung in einem bestimmten Erdort ist die Lotrichtung. Die Hydrodynamik zeigt, daß eine Flüssigkeit, die in ein auf ihre Massenteilchen wirkendes Schwerefeld

gebracht wird, ihre freie Oberfläche so einstellt, daß sie überall normal zu den Kraftrichtungen steht. Die idealisierte Oberfläche der Weltmeere stellt daher eine Fläche dar, welche zu den Lotrichtungen normal steht, die also mit andern Worten eine orthogonale Trajektionsfläche der Lotlinien ist. Diese Fläche ist vorläufig nur auf den Ozeanen definiert. Es steht aber nichts im Wege, sie auch unter die Kontinente fortzusetzen, sofern bestimmte Lotrichtungen auch für die unter der physischen Erdoberfläche sich befindenden Erdpunkte existieren. Dies kann aber sowohl experimentell, wie rechnerisch festgestellt werden. Es existieren eindeutige Lotrichtungen auch in den tiefsten Schächten und Stollen. So definieren wir als mathematische Erdoberfläche oder als Geoid eine Fläche, die alle Lotlinien der Erde normal schneidet und von der die ruhend gedachten Weltmeere ein Teil sind. Dieses von uns entwickelte Gedankending ist eine von der Zeit unabhängige Fläche, weil wir auch das Schwerefeld der Erde durch unsere Abstraktionen von der Zeit unabhängig gemacht haben. In Wirklichkeit ist es allerdings nicht so; die stärksten Zeugen für die zeitliche Aenderung des Schwerefeldes der Erde sind Flut und Ebbe (1er Ozeane. Trotzdem vermag diese vereinfachte Theorie für die meisten praktischen Fälle vollauf zu genügen, weil die zeitliche Aenderung der Schwerkrafts- oder Lotrichtung eines Punktes unterhalb der normalen Beobachtungsgenauigkeit liegt. Nur durch ganz besondere Beobachtungsanordnungen, die sogenannten Horizontalpendel, gelingt es, die zeitliche Verlagerung der Lotrichtung festzustellen. Ebenso ist die zeitliche Aenderung der Schwerkraftsbeschleunigung mit den gewöhnlichen Apparaten zu deren Bestimmung nicht zu ermitteln; Die zeitliche Variation liegt unterhalb des Beobachtungsspiegels der gewöhnlich verwendeten Instrumente. Auch hier bedarf es ganz besonderer Instrumente, um die zeitliche Veränderung messen zu können. Solche Messungen sind erst in den letzten Jahren praktisch möglich geworden.

Aehnlich wie die mathematische Erdoberfläche oder das Geoid kann man unendlich viele andere analoge Flächen definieren, die ebenfalls orthogonale Trajektionsflächen der Lotlinien sind, nur daß diese Flächen die freien Weltmeere nicht enthalten. Eine solche Fläche heißen wir eine Niveaufläche der Erde. Das Geoid und die Niveauflächen der Erde sind im allgemeinen geschlossene Flächen ohne Spitzen und Kanten. Die Niveauflächen umhüllen einander; sie stellen aber keine Parallelflächen dar, woraus folgt, daß die Lotlinien schwach gekrümmte Kurven sind. Die Bestimmung der Form und der Dimensionen des Geoides ist die vornehmste Aufgabe der Geodäsie. Zur Lösung dieser Aufgabe besitzen wir zwei grundsätzlich verschiedene Methoden, nämlich die geometrische und die physikalische Methode.

Lassen Sie mich Ihnen zunächst die geometrische Methode kurz darlegen.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erkannten Huyghens und Newton, daß die mathematische Erdoberfläche nahezu die Form eines abgeplatteten Rotationsellipsoides besitzen müsse. Nach den

modernsten Bestimmungen beträgt die große Halbachse dieses Erdellipsoides

6 378 388 Meter.

Die Abplattung, als welche wir das Verhältnis der Differenz zwischen der großen und der kleinen Halbachse zur großen Halbachse verstehen, beträgt

1 : 297

Die Methoden zur Bestimmung dieses Erdellipsoides muß ich hier übergehen. Es sind dies die Gradmessungen.

Unter der Annahme eines bestimmten Erdellipsoides können wir mit Hilfe der Methoden der Triangulation an der physischen Erdoberfläche mit hoher Genauigkeit die Länge von geodätischen Linien der mathematischen Erdoberfläche bestimmen, wobei der Einfluß der Annahmen über das Erdellipsoid resp. das Geoid hei der Reduktion der Messungen ein sehr geringer ist, der nie die Beobachtungsunsicherheit erreicht. Nachdem so also die Dimensionen in der Fläche mit großer Genauigkeit bestimmt worden sind, gehen wir dazu über, die geographischen Koordinaten, also Länge und Breite der Triangulationspunkte zu berechnen. Dabei bestimmen wir von einem Zentralpunkt der Triangulation auf direktem, astronomischem Wege die Breite und Länge, sowie von einer von diesem Zentralpunkt ausgehenden Dreiecksseite das geographische Azimut. Wir nehmen nun ein geeignetes sogenanntes Referenzellipsoid an, welches das Geoid im Zentralpunkt berührt und dessen Rotationsachse im allgemeinen nur parallel zur Erdachse ist. Aus diesen Daten bekommen wir die geographischen Breiten und Längen der Triangulationspunkte, als die Winkel, welche die Ellipsoidnormalen mit dem Ellipsoidäquator und einem Ausgangsmeridian bilden. Diese Elemente nennen wir die geodätischen geographischen Koordinaten. Nun kann man aber auf den Triangulationspunkten auch direkte, astronomische Bestimmungen der geographischen Breite und Länge ausführen. Diese Elemente zeigen die Winkel der Geoidnormalen mit dein Aequator und dem Ausgangsmeridian. Bei solchen Operationen stellt man fest, da!) die astronomischen geographischen Koordinaten eines Punktes im allgemeinen von den geodätischen geographischen Koordinaten desselben Punktes abweichen. Das zeigt uns, daß das Geoid vom angenommenen Referenzellipsoid abweicht. 'Wenn die Punkte der Triangulation genügend nahe beieinander liegen, so kann man aus solchen Operationen die Gestalt des Geoides näherungsweise festlegen. Zur strengen Festlegung des Geoides müßte die Punktdichte unendlich groß sein. Im Interesse einfacherer Rechnung ordnet man die Punkte entweder auf einem Meridian oder auf einem Ost-West-Profil an; man wählt die Entfernung der Punkte zirka 3 bis 8 Kilometer und nennt solche. Operationen geodätische Nivellements. Zwei Operationen dieser Art sind von der schweiz. geodätischen Kommission in den letzten Jahren in der Schweiz durchgeführt worden. Die erste erstreckt sich im Meridian des St. Gotthard, so daß die geographischen

Ortsbestimmungen Breitenbestimmungen sein mußten. Das zweite solche Nivellement liegt im Parallelkreis von Zürich; die astronomischen Messungen mußten hier geographische Längenbestimmungen sein. Die erste Operation liegt fast vollständig berechnet vor; sie ergibt sehr interessante Aufschlüsse über den Verlauf des Geoides in der Schweiz, was großes wissenschaftliches Interesse bietet, wegen der komplizierten geologischen Struktur unseres Landes. Diese hier skizzierte geometrische Methode erlaubt aber höchstens das Geoid eines Kontinentes zu bestimmen, da es nicht möglich ist, über die Ozeane zu triangulieren. Wohl sind von Zeit zu Zeit mehr oder weniger ernste Vorschläge gemacht worden, um mit Zuhilfenahme von Ballonen über die Weltmeere zu triangulieren. Zur Stunde könnte aber kaum eine genügende Genauigkeit erreicht werden. Aus diesen und aus andern Gründen, auf die einzugehen uns zu weit führen würde, kann uns also die geometrische Methode keinen Aufschluß geben über die Gestalt des Geoides über den Ozeanen und über die Beziehungen der bestimmbaren Geoidteile unter den Kontinenten zueinander.

Uns interessiert aber zur Lösung des von uns gestellten Problemes die Frage, wie das Geoid relativ zu einem best sich ihm anschmiegenden Rotationsellipsoid liegt, wobei in erster Linie die Abweichungen des Geoides vom Rotationsellipsoid in radialer Richtung interessieren, die sogenannten Geoid-Undulationen. Diese können mit Hilfe der geometrischen Methode zurzeit und wohl auch in Zukunft nicht bestimmt werden.

Wir wollen daher jetzt die physikalischen Methoden betrachten.

Die physikalischen Methoden beruhen hauptsächlich auf der Bestimmung der Schwerebeschleunigung an den Punkten der Erdoberfläche. Bis vor kurzem stand die Schwerependelmethode im Vordergrunde. Man unterscheidet absolute und relative Pendelmethoden. Die absolute Methode stützt sich auf das Reversionspendel. Sie wird nur zur Bestimmung der absoluten Schwerebeschleunigung an einigen wenigen Punkten der Erde verwendet. Die Methode ist für Feldbeobachtungen viel zu kompliziert; sie kommt nur für bestausgerüstete Institute in Frage. Eine vorzügliche absolute Bestimmung der Schwerebeschleunigung wurde am geodätischen Institut in Potsdam durchgeführt. Die relative Methode beruht auf der Idee, dasselbe unveränderliche Pendel an verschiedenen Orten schwingen zu lassen und seine Schwingungsdauer genau zu messen. Im Punkte P1, dessen Schwerebeschleunigung g1 schon bekannt ist, wurde die Schwingungsdauer des invariablen Pendels zu T1 Sekunden ermittelt. In einem zweiten Punkte P2, dessen Schwerebeschleunigung g2 zu bestimmen ist, wurde die Schwingungsdauer desselben Pendels zu T2 Sekunden gemessen. Es läßt sich leicht einsehen, daß wenn die mathematische Pendellänge auf beiden Stationen dieselbe war, daß dann die Beziehung gilt

g1 T2 1 =g2 T2 2

woraus g2 berechnet werden kann. Natürlich ist es unmöglich, die

Pendellänge in aller Strenge unverändert zu erhalten. Aber mit Hilfe von Reduktionen, die sich auf erhobene Daten stützen (Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Ausschlag des Pendels, Stabilität der Unterlage, Gang der Beobachtungsuhr) kann man die beobachtete Schwingungsdauer auf ein ideelles unveränderliches Pendel umrechnen. Die Genauigkeit der Methode ist ungefähr 0.001 cm sec-2, also ein Milli-Gal. Diese Pendelmethode ist von dem holländischen Geodäten Venning-Meinesz, Prof. in Utrecht und Präsident der Internationalen geodätischen Vereinigung auch für Beobachtungen auf dem offenen Meere verwendbar gemacht worden, durch geschickte Ausnutzung des sogenannten Doppelpendels. Zur Vermeidung des stärksten Einflusses der Wellenbewegung werden die Beobachtungen in einem Unterseeboot ausgeführt, das zirka 10 Meter untertaucht. Die Genauigkeit ist zwar nicht ganz so hoch, wie bei Beobachtungen auf dem festen Lande, doch durchaus praktisch genügend. So können Schweremessungen an fast beliebig über die ganze Erde verteilten Punkten durchgeführt werden. Es liegen heute ungefähr 3000 Bestimmungen der Schwerebeschleunigung g vor: In der Arktis und der Antarktis, auf hohen Gebirgen und in tiefen Schächten, über alle Kontinente und alle Ozeane verteilt. In den letzten Jahren ist ein neues Instrument zur Bestimmung der Schwerebeschleunigung konstruiert worden, das die Bestimmung wesentlich vereinfacht und verbilligt hat. Es ist dies das sogenannte elastische Pendel von Holweck und Pater Lejeune, das sich bei vergleichenden Versuchen schon sehr gut bewährt hat. In letzter Zeit ist auch ein statisches Schwerebestimmungsinstrument von Haalck ausgeführt worden. Vergleichende Versuchsmessungen sind im Gange.

Mit Hilfe solcher Schweremessungen gelingt es, die Form der mathematischen Erdoberfläche zu bestimmen. Diese Aufgabe führt den Geodäten in das Gebiet der Potentialtheorie. In der Mechanik wird gezeigt, daß wenn eine Kraft in einem sogenannten Kraftfeld nur eine sogenannte Ortsfunktion, also unabhängig von der Zeit und daher nur Funktion der Raumkoordinaten ist, daß dann eine Funktion dieser Raumkoordinaten existiert, deren erste partielle Differentialquotienten nach den Koordinaten die Komponenten dr Kraft in Richtung der Koordinaten liefern, oder deren erster partieller Differentialquotient nach einem Linienelement die Komponente der Kraft in Richtung dieses Linienelementes ist. Die erste partielle Ableitung dieser Funktion nach der Kraftrichtung in einem bestimmten Punkte gibt daher die Kraft in diesem Punkte. Die so definierte Funktion nennen wir die Kräftefunktion des Feldes. Die Kräftefunktion für einen bestimmten Punkt ist eine eindeutige Funktion der Koordinaten des Punktes.

Für unsere im vorangehenden gemachten Abstraktionen über die Erdschwere hat das Erdschwerefeld eine Kräftefunktion. Es ist leicht zu zeigen, daß die Gleichung

W (x, y, z) = Konstant

wo W die Kräftefunktion der Erde ist, eine geschlossene Fläche definiert,

welche die Eigenschaft hat, eine orthogonale Trajektionsfläche der Kraftrichtungen zu sein; sie ist also eine Niveaufläche im Sinne unserer geometrischen Betrachtungen.

Die Potentialtheorie ist von großen Mathematikern der klassischen und der modernen Zeit ausgebildet worden; ich nenne nur die hauptsächlichsten: Laplace, Poisson, Gauß, Green, Dirichlet, Henri Poincarré; um das praktische geodätische Problem haben sich Bruns und Helmert ganz besondere Verdienste erworben. Diese Potentialtheorie zeigt uns, daß man gemäß ihrer zweiten Randwertaufgabe aus den Schwerkraftbeschleunigungen auf einer gegebenen Fläche auf die Kräftefunktion und damit auf die Niveauflächen schließen kann. Da die Punkte der Erdoberfläche, in welchen Schwerkraftsmessungen vorliegen, nicht auf einer einfachen Fläche liegen, so müssen die gemessenen Schwerebeschleunigungen auf eine geeignet gewählte Fläche reduziert werden. Diese Reduktionen verlangen aber zur korrekten Durchführung die Kenntnis der Massenverteilung mindestens in der Umgebung des betreffenden Punktes. Wir sind aber über die Massenverteilung in der Erdkruste nur sehr unvollkommen orientiert; deshalb haftet diesen Reduktionen der beobachteten Schwerebeschleunigungen stets etwas hypothetisches an. Ein großer Teil der Geodäten nimmt heute die sogenannte Isostasie der Erdrinde an und versteht damit das Folgende:

Die Schwere aller Prismen gleicher Grundfläche von einer Niveaufläche, die in 120 km Tiefe unter der Meeresfläche liegt, bis zur physischen Erdoberfläche, ist dieselbe, unbekümmert darum, ob das Prisma unter einem hohen Berge oder unter dem Ozean liegt. Die Masse unter dem hohen Berge muß danach geringere Dichte besitzen als diejenige unter dem tiefen Ozean, da ja das Meerwasser mit einer Dichte von 1 .03 gegenüber der mittleren Gesteinsdichte an der Erdoberfläche von zirka 2. 7 einen beträchtlichen Massendefekt darstellt. Nach dieser Annahme stellt daher die Ausgleichsfläche eine Fläche gleichen Druckes im Sinne der Hydromechanik dar. Gestützt auf diese Theorie der Isostasie kann man aus der Gestalt der physischen Erdoberfläche die Reduktion der Schwerebeschleunigungen auf eine bestimmte Fläche, als welche man das Geoid wählt, berechnen. Es fehlt aber nicht an Kritikern, welche die Isostasie der Erdrinde in Zweifel ziehen. So behauptet vor allem Hopfner in Wien, daß die Annahme der modernen Geodäsie betreffend der Isostasie der Erdkruste nicht genügend wissenschaftlich fundiert sei. Aus den verschiedenen Auffassungen ergeben sich mit Hilfe der zirka 3000 Schweremessungen an der Erdoberfläche etwas verschiedene Undulationen gegenüber dem sogenannten Niveausphäroid, das genügend genau mit einem Rotationsellipsoid zusammenfällt. Nach der Theorie der Isostasie betragen die Geoidundulationen nirgends mehr als 100 Meter, während nach der Hopfnerschen Auffassung eventuell einige Hundert Meter folgen sollen.

Um zu einer praktischen Auswertung der Schweremessungen zu gelangen, stellt man die Kräftefunktion des Erdschwerefeldes durch eine nach allgemeinen Kugelfunktionen fortschreitende Reihe dar.

Daraus folgt auch eine nach allgemeinen Kugelfunktionen fortschreitende Reihe für die Schwerebeschleunigungen auf einer Niveaufläche, deren Koeffizienten im Anschluß an die reduzierten Schwerebeschleunigungen berechnet werden können. Aus dieser Entwicklung nach Kugelfunktionen kann man dann auf die Geoidundulationen schließen. Als Bezugsfläche wählt man vorteilhafterweise das sogenannte Niveausphäroid, d. h. diejenige Fläche, welche sich durch Beschränkung der Kugelfunktionsentwicklung bis zu Kugelfunktionen 2. Ranges ergibt. Ein solches Niveausphäroid, dessen Abweichung von einer Rotationsfläche beobachtungstechnisch nicht verbürgt ist, weicht von einem Rotationsellipsoid mit gleicher großer Achse und gleicher Abplattung in radialer Richtung maximal um 18 Meter ab.

Das hier skizzierte Problem der Bestimmung des Geoides ist nicht identisch mit dem hochinteressanten, mathematisch schwierigen Problem, die Gleichgewichtsfigur einer rotierenden Flüssigkeit zu bestimmen, deren Massenteile sich nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz anziehen. Denn die Erdrinde zum mindesten ist sicher nicht flüssig. Dieses Problem haben u. a. Maclaurin, Clairault, Jacobi und Poincaré behandelt. Unser Landsmann Wavre, Genf, hat eine beachtete Zusammenstellung des Problemes gegeben und neue methodische Wege gewiesen. Dieses Problem der Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten bietet für die Geodäsie insofern Interesse, als daraus auf die generelle Figur des Geoides geschlossen werden kann, da die Innern Teile der Erde flüssig oder doch plastisch sind.

Während nun die Messungen der Schwerebeschleunigung an möglichst vielen, über die ganze Erde verteilten Punkten uns über die Form des Geoides im ganzen orientieren, besitzen wir Beobachtungsmethoden, welche über die Krümmungsverhältnisse des Geoides in unmittelbarer Umgehung des Beobachtungspunktes orientieren. Zu Beobachtungen dieser Art dienen die Eötvössche Drehwaage und die Heckersche Pendel-Waage; wir erhalten damit die Werte der 6 zweiten partiellen Ableitungen der Kräftefunktion nach den Koordinaten für den Beobachtungspunkt. Wenn man solche Beobachtungen in einem beschränkten Gebiete in (1er nötigen Anzahl von Punkten durchfährt, so kann man unter gewissen Voraussetzungen über die generelle Lagerung der Massen, also etwa über ihre Schichtung, wie sie durch geologische Untersuchungen festgestellt werden können, auf die Verteilung der Massen im nächsten Untergrund schließen. Es muß nämlich beachtet werden, daß aus den Aeußerungen eines Schwerefeldes an sich nicht auf die Massenverteilung geschlossen werden kann, weil unendlich viele Massenverteilungen dieselbe beobachtete Wirkung erzeugen können. Mit Hilfe solcher geodätischer Messungen, hauptsächlich mit der Eötvösschen Drehwaage, ist es möglich die Lage von Erzlagerstätten und von Erdöllagern zu finden, so daß teure und zeitraubende Probeschächte vermieden werden können. Diese Methode hat in vielen Fällen große Erfolge zu verzeichnen gehabt, wesentlich dann, wenn der Geologe und der Geodät verständnisvoll zusammengearbeitet haben.

Hier haben also die modernen geodätischen Methoden auch praktisch-wirtschaftliche Erfolge gezeitigt, während sie sonst, wie Sie aus meinen Darlegungen entnommen haben werden, im allgemeinen rein wissenschaftlicher Natur sind, nur diktiert durch den menschlichen Forschungsdrang. Noch sind nicht alle Probleme der Geodäsie gelöst, trotzdem es sich uni eine sehr alte Wissenschaft handelt. Möge auch an unserer Hochschule die reine wissenschaftliche Forschung immer eine gastliche Stätte finden, ohne Rücksicht darauf, ob augenblicklich die Ergebnisse der Forschung wirtschaftlichen Nutzen bringen. Gerade die Forschungsmethoden der Geodäsie zeigen deutlich, daß aus scheinbar ganz unnützlichen Dingen, wie sie etwa die Potentialtheorie darstellt, wichtige technische und wirtschaftliche Methoden resultieren, wie das die geodätischen Aufschlußmethoden über den Untergrund mit Hilfe der Eötvösschen Drehwaage belegen.

Möge an unserer Hochschule der Drang zu reiner wissenschaftlicher Forschung und zu verantwortungsbewußter technischer Anwendung der Erkenntnisse der Wissenschaft sich paaren zum Nutzen des Landes, dem dienen zu dürfen unser Stolz ist.

In diesem Sinne möge auch das begonnene 81. Studienjahr seine Früchte bringen.